Der Polizeieinsatz gegen eine antifaschistische Kundgebung am 6. Juni 2021 war teilweise rechtswidrig. Das hat das Berliner Verwaltungsgericht am vergangenen Donnerstag entschieden, …
„Einsatz offiziell rechtswidrig“ weiterlesenSchlagwort: Peer Stolle
Nicht nur erinnern
Tausende Menschen haben am Samstag im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen mit einer Demonstration an die tagelangen Angriffe auf Asylsuchende und vietnamesische Vertragsarbeiter im August 1992 und weitere rassistische Anschläge von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart erinnert. Die Polizei sprach von 3600 Teilnehmenden der Demo unter dem Motto »Erinnern heißt verändern«, die Organisator*innen von bis zu 5000. Ein Bündnis aus regionalen Vereinen und Initiativen hatte bundesweit zu der Kundgebung mobilisiert. Auf Transparenten und selbstgemachten Plakaten waren Parolen wie »Solidarität statt Ausgrenzung« und »Alle zusammen gegen den Rassismus« zu lesen. Polizei und Sicherheitsorgane wurden in Sprechchören unter anderem wegen ihres Umgangs mit den Verbrechen des rechtsterroristischen NSU kritisiert. Die Täter konnten über Jahre ungestört mindestens neun Migranten ermorden, während die Polizei Familienangehörige verdächtigte. Außerdem verlangten Demonstrant*innen, die von den Pogromen betroffenen Sinti und Roma materiell zu entschädigen und ihnen ein Rückkehrrecht einzuräumen. Die meisten von ihnen wurden damals zuerst aus der Stadt gebracht und später abgeschoben. »Es geht uns nicht darum, immer zum …
„Nicht nur erinnern“ weiterlesenAngeklagte in TKP-Prozess freigelassen
129b-Haftbefehl gegen vier Beschuldigte aufgehoben
Für Susanne Kaiser war der 19. Februar ein Freudentag. Schließlich konnte die Nürnberger Ärztin ihre Freundin und Kollegin Dilay Banu Büyükavci wieder in die Arme schließen. Büyükavci war Ende April 2015 von einer schwer bewaffneten Anti-Terror-Einheit festgenommen worden, als sie sich nach ihrer Arbeit an einer Nürnberger Klinik mit Kolleg_innen getroffen hatte. Seitdem saß die 46-Jährige im Hochsicherheitstrakt München-Stadelheim in Untersuchungshaft.
Mit Büyükavci sind neun weitere türkische Linke verhaftet worden, darunter der Lebensgefährte der Ärztin. Sie alle werden beschuldigt, die 1972 gegründete Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch Leninistisch (TKP/ML) unterstützt zu haben. Diese kämpft in der Türkei auch mit Waffengewalt gegen das türkische Militär.
Laut eigener Aussage haben die Angeklagten nie eine Waffe in der Hand gehabt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen dagegen die Organisierung von Solidaritätskonzerten und das Sammeln von Spenden für eine terroristische Organisation vor. Nur ist die inkriminierte TKP/ML in Deutschland nicht verboten. Grundlage der Anklage ist der Paragraf 129b, nach dem legale Tätigkeiten kriminalisiert werden können, wenn damit eine als terroristisch klassifizierte Organisation unterstützt worden sein soll. Das Bundesjustizministerium muss in jeden einzelnen 129b-Fall die Verfolgungsermächtigung geben.
Die Haftbefehle gegen Büyükavci und ihre drei Mitangeklagten wurden jüngst außer Vollzug gesetzt. Sie konnten unter Auflagen das Gefängnis verlassen. Büyükavcis Anwälte Yunus Ziyal und Peer Stolle werten die Freilassung als Erfolg.
Banu Büyükavci kann in der Nürnberger Klinik, an der sie vor ihrer Verhaftung angestellt war, nun weiterarbeiten. Einige ihrer Kolleg_innen hatten sie die ganze Zeit unterstützt. Dazu gehörte Susanne Kaiser. Mit einem kleinen Kreis weiterer Kolleginnen hatte sie sich für die Freilassung Büyükavcis eingesetzt. Sie schrieben unter anderem an verschiedene Landes- und Bundespolitiker. Die meisten Adressat_innen reagierten nicht einmal. Lediglich der Bund der Steuerzahler antworte mit einem Brief. Ihn hatten sie angeschrieben, um auf die Kosten des Münchner Mammutprozesses hinzuweisen. Der geht auch nach der bedingten Freilassung der vier Angeklagten in München weiter. Seit einem Jahr wird im Münchner Strafjustizzentrum verhandelt.
Erst vor Kurzen begann in Hamburg der Prozess gegen den türkischen Linken Musa Asoglu. Anfang Februar forderten auf einen Kongress in Hamburg Anwält_innen und Solidaritätsgruppen seine Freilassung. Als »Auftragsarbeit für Erdogan« bezeichnen auch die Anwälte Stolle und Ziyal das Münchner TKP-ML-Verfahren. Dieses sei nur durch eine Kooperation der deutschen und türkischen Justiz möglich.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1080133.angeklagte-in-tkp-prozess-freigelassen.html
Peter Nowak
Wenn auf privatisierten Plätzen die Grundrechte nicht mehr gelten
Ein aktueller Fall in Berlin zeigt, wie richtig die Fragestellung der Innenstadtaktionstage vor 15 Jahren war
Der Leopoldplatz liegt mitten im Berliner Stadtteil Wedding. Viele Menschen überqueren ihn täglich. Kaum jemand wusste, dass dort die Grundrechte nicht uneingeschränkt gelten. Erst als kürzlich die Initiative Hände weg vom Wedding [1], in der sich Mieter und Stadtteilaktivisten aus dem Wedding zusammengeschlossen haben, dort am vergangenen Donnerstag eine Videokundgebung mit dem Film „Mietrebellen“ [2] aufführen wollten, wurde das deutlich.
Seit 2006 gehört ein Teil des Platzes der evangelischen Nazareth-Kirchgemeinde [3] und die lehnte es ab [4], dort die Kundgebung zu genehmigen. Auf dem Platz müsse politische Neutralität herrschen, lautete die Begründung des Vorsitzenden der Kirchengemeinde, Sebastian Bergman. Davon war er auch nicht durch den Offenen Brief [5] von Matthias Coers und Gertrud Schulte Westenberg, den beiden Regisseuren des Films, abzubringen. Dort heißt es:
Fraport-Urteil findet keine Anwendung
Doch gravierender ist, dass sich das Berliner Amtsgericht der Sichtweise der Kirchengemeinde anschloss und eine Einstweilige Verfügung gegen das Platzverbot mit der Begründung zurückwies. dass die Kirchengemeinde „nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden“ sei. Denn bei ihr handele es nicht um „eine staatliche Organisation oder ein Unternehmen, das mehrheitlich im Eigentum der öffentlichen Hand steht“.
Deshalb finde in diesem Fall auch das Fraport-Urteil [6] aus dem Jahr 2005 keine Anwendung. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass auch auf einem Flughafen Proteste gegen die Abschiebung von Flüchtlingen möglich sein müssen.
Der Berliner Rechtsanwalt Peer Stolle [7], der die Weddinger Stadtteiliniaitive juristisch vertrat, hat für die Entscheidung des Berliner Amtsgerichts kein Verständnis und hält sie für rechtsfehlerhaft. Im Gespräch mit Telepolis moniert er, dass das Amtsgericht einen Widerspruch unmöglich gemachthat, indem es die Entscheidung nicht per Fax, sondern per Post versandte.
Damit war ein neues Rechtsmittel aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich. Für Stolle hat das Gericht damit einen Rechtsschutz unmöglich gemacht. Letztlich war es am Donnerstagabend der Zivilcourage der Kundgebungsteilnehmer zu verdanken, dass sie die Linie zum kirchlichen Teil des Platzes souverän ignorierten.
Wem gehört die Stadt?
Das Beispiel macht einmal mehr deutlich, wie aktuell die Frage ist, die sich heute viele Mieter und Stadtteilaktivisten stellen: Wem gehört die Stadt? [8]
Das betrifft einkommensschwache Teile der Bevölkerung, die in bestimmten Stadtvierteln nicht mehr leben können, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Das betrifft aber auch Menschen, die sich an bestimmten Plätzen nicht mehr aufhalten können, weil sie nicht genug Geld zum Konsumieren haben. Dies kann man an dem Diskurs über die Trinker sehen, die oft zum unerwünschten Ärgernis auf aufgewerteten Plätzen erklärt werden.
Damit sind immer Menschen betroffen, die sich ihr Bier günstig aus dem Spätkauf oder einem Discounter holen und es auf einen öffentlichen Platz genießen wollen. Menschen, die es sich leisten können und wollen, ihre alkoholischen Getränke in einem der Restaurants zu verzehren, werden hingegen als begehrte Konsumenten umworben. Oft folgen der Verdrängung der einkommensschwachen Trinker auf öffentlichen Plätzen die konsumfreudigen Kneipenbesucher.
So wird die Ausübung der Grundrechte zu einer Klassenfrage. Sollte die Lesart des Berliner Amtsgerichts Schule machen, dann könnten private Unternehmen mitten in der Innenstadt Zonen errichten, auf denen die Grundrechte nicht oder nur eingeschränkt gelten. Schließlich handelt es sich beim Leopoldplatz um keinen abgeschlossenen Hinterhof, sondern um einen zentralen Platz.
Aber auch Plätze, die Bewohner einer Straße gemeinsam und ohne Konsumzwänge nutzen, fallen dem Privatisierungswahn zum Opfer. Ein aktuelles Beispiel ist der Hirschhof am Prenzlauer Berg [9], den kritische Geister der DDR-Bürokratie abgetrotzt haben. Nun ist er geschlossen, weil die Eigentumsrechte obsiegt [10] haben. Damit gehen auch Plätze verloren, an denen sich Menschen ohne Konsumzwang und Verwertungslogik treffen, feiern und austauschen konnten.
Solche Orte aber werden in einer Gesellschaft, wo immer mehr Menschen auch in ihrer Lohnarbeit isoliert sind, immer notwendiger. Solche öffentlichen Orte können auch Wände in den Hochschulen sein. Sie waren lange Zeit ein Platz für Flugblätter und Mitteilungen verschiedener politischer Initiativen. Mittlerweile sind die Flächen größtenteils privatisiert. Wenn dort jemand einen Flyer anbringen will, muss er bei den Werbeträgern eine Gebühr zahlen.
Seit Mitte der 90er Jahre warnten künstlerische Initiativen und Stadtteilaktivisten mit Innenstadtaktionstagen [11] vor den Konsequenzen [12] einer Privatisierung öffentlicher Plätze [13]. Diese Bewegungen verschwanden wieder aus dem öffentlichen Diskurs. Nun haben aktive Mieter ihre Themen wiederentdeckt.
http://www.heise.de/tp/news/Wenn-auf-privatisierten-Plaetzen-die-Grundrechte-nicht-mehr-gelten-2289489.html
Peter Nowak
Links:
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[8]
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