Hausverbot für AfD-Rechtsaußen Höcke in Maritim-Hotels

Linke, die sich jetzt freuen, könnten selbst bald Ähnliches erleben. Denn hier werden bedenkliche Präzedenzfälle geschaffen

Das Management des Maritim-Hotels[1] ist unter Druck geraten. Grund ist der für den 22. April geplante Bundesparteitag der AfD, der in einem Hotel dieser Kette stattfinden soll. Seit Wochen gibt es dagegen Proteste[2] und Mahnwachen[3].

Mit einer bundesweiten Antifa-Mobilisierung[4] wird gerechnet. Schon beim letzten AfD-Bundesparteitag in Stuttgart mobilisierten bundesweite Antifa-Gruppen[5]. Ein großes Polizeiaufgebot[6] sorgte dafür, dass der Parteitag mit einigen Störungen stattfinden konnte. In Köln wird mit einer größeren Mobilisierung gerechnet. Schließlich hat sich die AfD in der Zwischenzeit noch deutlicher als Rechtsaußenpartei positioniert.

Nun hat sich das Maritim-Management in einer Stellungnahme gegenüber der AfD positioniert[7]. In der Erklärung heißt es, dass die Hotels allen Kräften des demokratischen Spektrums zur Verfügung stehen, es aber Grenzen gebe. Hintergrund ist die Rede, in welcher Björn Höcke das Holocaustmahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnete und von einer „dämlichen Bewältigungspolitik“ sprach.

Es gibt jedoch Einschränkungen. Beispielsweise hat Maritim als inhabergeführtes privatwirtschaftliches Unternehmen unter anderem dort Grenzen gezogen, wo andere wegen ihrer Herkunft, Rasse oder Religion diskriminiert wurden, wo der Holocaust geleugnet oder sonst die Gräuel des NS-Regimes in Abrede gestellt oder verharmlost wurden. Bei der AfD als demokratisch legitimierter Partei hat die Maritim Geschäftsführung diese Grenzen bislang nicht als überschritten angesehen. Das gilt jedoch nicht für die Äußerungen von Herrn Höcke am 17.01.2017 in Dresden (unter anderem „Denkmal der Schande „). (…) Die Maritim Hotelgesellschaft hat deshalb Herrn Höcke am 10.02.2017 ein Hausverbot für alle Maritim Hotels ausgesprochen. Dies gilt auch für den Bundesparteitag im April im Maritim Hotel Köln. Der Vertrag für diese Veranstaltung ist bereits im Frühjahr 2016 geschlossen worden. „Nach eingehender juristischer Prüfung ist ein Zurücktreten seitens Maritim leider nicht möglich“, bedauert Maritim-Geschäftsführer Gerd Prochaska. „Wir haben der AfD bereits angeboten, kostenfrei vom Vertrag zurückzutreten, wovon bedauerlicherweise bisher kein Gebrauch gemacht wurde.“Erklärung Maritim-Hotel[8]

Das Bündnis „Köln gegen Rechts“ fordert[9]. weiterhin die Kündigung des Vertrags mit der AfD. „Auch wenn uns der Begriff ‚gegenwärtig‘ etwas irritiert, freuen wir uns, dass die breiten Proteste Wirkung zeigen und hoffen, dass die Ankündigung sich nicht damit erledigt, wenn Herr Höcke am 22. 4. nicht zum Parteitag erscheint und/oder aus der AfD ausgeschlossen wird. Es gibt viele Höckes in der AfD. Bei aller Freude über diesen Schritt der Maritim Zentrale fordern wir weiterhin das Maritim auf, den Parteitag in Köln abzusagen“, fordert das antifaschistische Bündnis.

Dafür müsste das Hotel auch notfalls eine Vertragsstrafe riskieren, die ein Bruch schon unterschriebener Verträge zur Folge hätte. Erinnert wird an das Angebot des Kölner Karnevalsvereins, ein großes Festival zu organisieren, mit dem auch solche Kosten gedeckt werden. Wenn sich die Proteste ausweiten, könnte es sein, dass das Hotel auf das Angebot eingeht.

Das Management wird sich überlegen, was sich geschäftlich besser rechnet. Wenn es die AfD auslädt, könnte es auch neue Kundenkreise erschließen. Bisher machte die Maritim-Kette den Anschein, dass es keine Berührungsängste gegenüber der AfD gebe. Zumindest wenn es nach Behauptungen von Köln gegen Rechts geht. Dort spricht man sogar von einer „privilegierten Maritim-Hotelkette und der AfD“ in der Vergangenheit.

Nun mögen manche die spezielle Ausladung von Höcke als Erfolg oder Schritt in die richtige Richtung sehen. Doch damit wird eigentlich ein Kernbereich bürgerlicher Politik aufgegeben. Wenn das Hotel der AfD die Räume zum Parteitag nicht kündigen will, will sie mit der Höcke-Ausladung eine Botschaft kommunizieren. Doch was ist deren Inhalt?

Ein Hotel-Management will sich anmaßen, bei Veranstaltungen in ihren Räumen zu entscheiden, wer reindarf und wer nicht. Das ist schon juristisch äußerst fraglich und dürfte auch schnell durch Gerichte gekippt werden. Sollte der Vertrag Bestand haben, hat die AfD während des Parteitages über die gemieteten Räume das Hausrecht und kann entscheiden, wer sie betreten darf und wer nicht.

Es müsste also schon die AfD selbst Höcke Hausverbot auf ihrem Parteitag geben, was kaum zu erwarten ist, weil sich das Ausschlussverfahren ja über Monate hinziehen dürfte und zum Zeitpunkt des Parteitags nicht abgeschlossen ist.

Ob die AfD-Spitze, die insgeheim sicher gerne Höckes Auftritt verhindern würde, zu solchen Maßnahmen greift, dürfte nach der Intervention von Maritim noch fraglicher sein. Schließlich kämen sie selber schnell in Verdacht, nur dem Druck nachzugeben. Es ist eher zu vermuten, dass dieses Hausverbot Solidarisierungseffekte bei der Parteibasis auslöst und so zumindest innerparteilich Höcke eher nützt als schadet.


Dass nun das Maritim-Management die Erklärung nachgeschoben hat, künftig gar nicht mehr an die AfD zu vermieten, dürfte diese Tendenz noch verstärken. Sie müsste eigentlich von den AFD-Gegnern begrüßt werden. Denn die müssten deutlich machen, dass nicht Höcke, sondern eine rechtspopulistische Partei und die Verhältnisse, die sie hervorbringt, das eigentliche Problem sind.

Eine AfD ohne Höcke und seinen Flügel wäre sogar gefährlicher. Denn die Höcke-Gegner wollen sich in der Mitte der Gesellschaft festsetzen und gehen gegen Höcke auch deshalb vor, weil sie fürchten, dass ihre Partei oder zumindest Teile vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Höcke wird von seinen innerparteilichen Kritikern weniger seine Meinung zur Gedächtnispolitik vorgehalten, sondern seine Vision einer Bewegungspartei, die sich nicht als Mehrheitsbeschaffer der Union zur Verfügung stellt.

Das ist tatsächlich der Hauptunterschied der unterschiedlichen Flügel. Die einen wollen möglichst schnell mitregieren und die Republik nach rechts drängen. Sie sind für eine demokratische Entwicklung in Deutschland gefährlicher, weil sie die Republik konkret nach rechts drängen. Die Konzepte von Höcke und Co. sind langfristig angelegt, müssen von Antifaschisten sehr genau beobachtet werden, führen aber dazu, dass die AfD erst mal nicht Bündnispartner anderer konservativer Kräfte werden kann.

Hier liegt auch der Grund des Flügelstreits und weniger in den unterschiedlichen politischen Positionen. Auch die Höcke-Gegner in der AfD, namentlich Frauke Petry und Marcus Pretzell, sind schon öfter durch ultrarechte Äußerungen aufgefallen. Wie sich die Partei intern zerlegt, ist ihr Problem. Doch ein Hotelmanagement sollte da nicht hineinregieren.

Das sollte generell bei sämtlichen Veranstaltungen gelten. Linke, die sich jetzt im Fall der AfD darüber freuen, könnten selber bald unter diese Klausel fallen. Denn hier werden Präzedenzfälle geschaffen, die auch für anders geartete Veranstaltungen zur Anwendung kommen könnten.

Das Medienecho zu Höckes viel kritisierter Rede in Dresden verortet dessen Äußerungen völlig außerhalb des bürgerlichen Spektrums. Doch genau das ist eine Verkehrung der Tatsachen.

Es lassen sich mühelos Zitate des Schriftstellers Martin Walser[10] und des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein[11] zum Holocaust-Denkmal finden, die dem sehr ähnlich sind, was Höcke in Dresden verlautbarte.

Augsteins Ausführungen[12] übertreffen mit ihrer antisemitischen und antiamerikanischen Volte noch Höcke.

Nun soll in der Mitte der wiedergewonnenen Hauptstadt Berlin ein Mahnmal an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, dass dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität.

Und Franz Joseph Strauß erklärte[13] schon 1969: „Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen!“

Er war also in der Vergangenheitspolitik noch radikaler als Höcke. Würde er, wenn er noch lebte, nun auch aus den Maritim-Hotels ausgeladen?


Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Hausverbot-fuer-AfD-Rechtsaussen-Hoecke-in-Maritim-Hotels-3628159.html?seite=2

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[1] https://www.maritim.de/de/startseite
[2] http://gegenrechts.koeln
[3] http://gegenrechts.koeln/2017/mahnwache-vor-maritim-hotel-in-koeln-mit-100-demonstranteninnen
[4] http://gegenrechts.koeln/2017/gemeinsam-gegen-den-bundesparteitag-in-koeln
[5] https://umsganze.org/termin/gegen-den-afd-programmparteitag-in-stuttgart
[6] http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.afd-parteitag-in-stuttgart-gegendemonstrationen-mit-spektakulaeren-zwischenfaellen.f185fb88-f0ee-413e-b1c4-c424be97d162.html
[7] http://presse.maritim.de/news/maritim-hotelkette-positioniert-sich-gegenueber-afd-220392
[8] http://presse.maritim.de/news/maritim-hotelkette-positioniert-sich-gegenueber-afd-220392
[9] https://de-de.facebook.com/Koeln.gegen.Rechts/posts/1819750031576037
[10] http://www.tagesspiegel.de/kultur/martin-walser-gegen-holocaust-mahnmal/57464.html
[11] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7085973.html
[12] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7085973.html
[13] http://www.zeit.de/1988/41/worte-von-franz-josef-strauss/seite-3

Dresdner Opfermythos trifft auf Installation eines syrischen Künstlers

"Das Monument" und viele Fragen, u.a.: Welche symbolische Botschaft geht von einer von Islamisten gegen eine repressive laizistische Regierung verteidigten Barrikade aus?

Vor dem Jahrestag zur Bombardierung Dresden marschieren die Rechten wieder in der sächsischen Stadt auf. Die Mobilisierung der Gegner[1] ist in diesem Jahr allerdings schwächer als im letzten Jahr. Das dürfte auch darin liegen, dass die Nazigegner mit den allwöchentlichen Pegida-Aufmärschen ständig zu tun haben.

„Dresdner Opfermythos trifft auf Installation eines syrischen Künstlers“ weiterlesen

Unerträgliche Schmähung

Fulda – Geldstrafe für Internet-Hetzer wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano.

Das  Landgericht Fulda verurteilte am 9. Februar Marcus B. wegen Verleumdung der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen in der Höhe von 30 Euro. Im Anschluss an ein antifaschistisches Konzert im April 2015, in dem Esther Bejarano gemeinsam mit der RAP-Gruppe „Microphone Mafia“  in Fulda  aufgetreten war, postete B. unter dem Namen Sucram Relhärb: „Die große ‚Esther-Bejarano-Show’, Lesungen, Vorträge und zum Schluss noch ein Konzert…. Komischerweise werden überall in der Welt alte Menschen für ‚Beihilfe zum Massenmord’ angeklagt und verurteilt, weil sie mit dem Nazi-Regime kollaboriert hatten. Und nichts anderes hat diese Frau, die ‘um ihr Leben gesungen‘ hat, getan, sie hat andere mit einem lachenden Auge in den Tod gehen lassen, in dem sie sich mit anderen FREIWILLIG zur Bildung eines Lagerchors gemeldet hat!! Die schöne Welt der scheinheiligen Doppelmoral…“

„Es ist schon unerträglich, dass meine Lesung über meine Erlebnisse unter dem Nazi-Regime als „Esther-Bejarano-Show“ tituliert wird, dass dieser Herr B. dann aber auch noch mich als Täterin bezeichnet und mich der „Beihilfe zum Massenmord“ beschuldigt, ist eine Täter-Opfer-Umkehrung sondergleichen,“ schrieb die 92-jährige Esther Bejarano in ihrer Anzeige. Auch das Auschwitzkomitee hatte gegen B. geklagt. Nach zweijähriger Ermittlung verurteilte ihn das Landgericht jetzt zu einer Geldstrafe. B., der als Feuerwehrmann im Landkreis Fulda arbeitet, entschuldigte sich vor Gericht wegen der Verleumdung.

Nach Angaben eines Mitglieds der Initiative „Fulda stellt sich quer“, der seinen Namen nicht veröffentlichen will, sei B. bereits in der Vergangenheit mit rechten Postings auf verschiedenen Internetseiten bekannt geworden. Auch das zivilgesellschaftliche Bündnis sei von ihm mehrmals angegriffen worden. In der letzten Zeit kam es mehrmals zur Bedrohung von Mitarbeitern dieses Bündnisses.

aus:  Blick nach Rechts, 10.02.2017

https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/unertr-gliche-schm-hung

Peter Nowak

Stammtischkampf statt Straßenkampf

Was tun gegen den Rechtspopulismus? Diese Frage stellt sich verstärkt vor mehreren Landtags- und einer Bundestagswahl, in der Erfolge der AfD befürchtet werden. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie[1] legte auf einem bundesweiten Ratschlag[2] unter dem Titel „Kampf gegen Nationalismus und Rassismus – demokratische Milieus stärken“ am vergangenen Samstag im Berliner Haus der Demokratie den Fokus auf konkrete Handlungsmöglichkeiten.

Schon im Titel werden die demokratischen Milieus angesprochen, die nach Überzeugung des Grundrechtekomitees durchaus nicht nur in den Metropolen zu finden sind. Es sei gerade in Kleinstädten und Provinzen wichtig, die Kräfte zu stärken, die sich den Rechten entgegenstellen, betonte die Journalistin Heike Kleffner[3], die über die rechte Szene und den Alltagsrasssismus seit mehr als zwei Jahrzehnten recherchiert.

Im Jahr 2000 gehörte sie zu den Journalistinnen und Journalisten, die nachgewiesen haben, dass die Zahl der Opfer rechter Gewalt[4] in Deutschland wesentlich höher war als die von den Behörden genannten Fälle.

Kleffner sieht Parallelen zwischen der rassistischen Welle der 1990er Jahre und heute auch in Bezug auf die Gegenstrategien. „Voraussetzung für den Erfolg rechter Mobilisierung ist ihre Akzeptanz und Integration in den Alltag“, betont sie. Das war in den 1990er Jahre so, als Angriffe auf Unterkünfte von Flüchtlingen zu einem Feierabendvergnügen wurden, wo die Nachbarschaft mit dem Bierkasten zuguckte und applaudierte.

Die aktuelle rechte Mobilisierung begann mit den Lichtläufen[5] im sächsischen Schneeberg gegen die Aufnahme von Geflüchteten in dem sächsischen Städtchen Schneeberg im Jahr 2013. Die Rechten traten dort als Bürgerinitiative auf und konnten so Menschen mobilisieren, die nicht hinter Bannern von Naziorganisationen gelaufen wären.

Sie breiteten sich auf Greiz und andere sächsische Städte aus und wurden zum Vorbild der Pegida-Bewegung. Am Beispiel von Bautzen zeigte Kleffner auf, wie die rechte Szene gestärkt statt bekämpft wurde. Die Angriffe auf sorbische Jugendliche und später auf Geflüchtete zeigten eine langjährige rechte Präsenz in den Ort. Der Bautzener Bürgermeister habe die Rechten durch seine Gesprächsbereitschaft[6] aufgewertet.

Die wenigen demokratischen Gegenkräfte hingegen seien ignoriert und ausgegrenzt worden. Die jungen Flüchtlinge, die das Ziel der rechten Angriffe gewesen sind, wurden zu Tätern erklärt, als sie sich gewehrt haben. Zudem dürften ihre Unterkünfte abends nicht mehr verlassen.

So haben die Rechten in Bautzen ihr Ziel erreicht. Sie sind anerkannte Gesprächspartner eines linksliberalen Bürgermeisters, der mit Unterstützung von SPD, Grünen und Linkspartei gewählt wurde. Den Geflüchteten werden durch das Ausgehverbot die Grundrechte beschnitten.

Als positives Gegenbeispiel führte Kleffner das sächsische Heidenau an, das 2015 ebenfalls durch rassistische Aufmärsche[7] und einen Brandanschlag[8] Schlagzeilen machte.

Dass dort heute Geflüchtete und ihre Unterstützer in der Innenstadt präsent sind, ist für Heike Kleffner das Verdienst der frühzeitigen Intervention von Antifaschisten[9] aus der Umgebung. Durch die starke Polizeipräsenz vor Ort seien auch die rechten Aktivitäten stark einschränkt worden.

Diese Taktik bestätigte auf der Abschlussdiskussion des Ratschlags Albrecht von der Lieth vom Bündnis Dresden nazifrei[10]. Es zeigt aber auch eine gewandelte Einstellung von Teilen der Antifa-Bewegung zur Polizei. In den 1990er Jahren wollten die Antifa die Rechten noch selber vertreiben und sah die Polizei keineswegs als zumindest indirekten Bündnispartner.

Auch das Verhältnis zur Justiz hat sich in Teilen der unabhängigen Antifa-Szene entspannt. So hätten zivilgesellschaftliche Kräfte im sächsischen Freitag begrüßt, dass die Generalbundesanwaltschaft das Verfahren gegen eine rechte Zelle übernommen[11] hat. Von der örtliche Justiz seien sie zu oft als die Jugend von hier“ behandelt worden, die es vielleicht mit ihren Angriffen bisschen übertrieben hätten.

Dass es beim Ratschlag über die veränderte Rolle von Teilen der Antifa-Szene in Bezug auf die staatlichen Apparate keine größeren Diskussionen gab, lag sicher auch daran, dass die meisten Teilnehmer eher zur linken und liberalen Zivilgesellschaft gehörten. Dagegen waren gerade jüngere Antifa-Aktivisten kaum vertreten.

Michael Trube von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin[12] berichtete über den Wandel ihrer Aufgaben. Während vor 10 Jahren noch die Frage im Mittelpunkt stand, wie erkenne ich Neonazis, wenn sie nicht offen auftreten, lassen sich die Leute heute beraten, wie sie bei Familien- oder Klassentreffen rechten Parolen argumentativ entgegentreten können. Das ist ein Zeichen dafür, wie sich rechte Ideologie in der Gesellschaft verbreitete.

Um sich argumentativ zu wappnen, werden verstärkt sogenannte Stammtischkämpfer[13] eingesetzt, die sich gemeinsam auf ihre Aufgabe vorbereiten. Die Parole, mit den Rechten reden wir nicht, die noch in den 1990er Jahren in der Antifa-Szene weitgehend Konsens war, ist nicht mehr zu halten, wenn nicht mehr nur Neonazi-Gruppen, sondern der eigene Onkel oder die nette Arbeitskollegin die Parolen der AfD oder von Thilo Sarrazin verbreiten.

Ob das Konzept der Stammtischkämpferinnen und – kämpfer erfolgreicher ist, muss sich zeigen. Zumindest beim Ratschlag war wenig Zeit für die Fragen einer Teilnehmerin, die in einer örtlichen Gruppe gegen rechts aktiv ist und erklärte, sie habe Verständnis für die Sorgen der Anwohner, wenn 300 alleinstehende Männer als Flüchtlinge in die Nachbarschaft ziehen oder jemand statt von Schokokuss in einer Kantine das verpönte N-Wort benutzte und deswegen entlassen wurde.


Stephan Nagel, der im Grundrechtekomitee für den Themenkomplex soziale Fragen zuständig ist, sieht in der politisch geförderten Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse einen Grund für das Anwachsen der Rechten. So seien durch den verstärken Zuzug von Migranten die Folgen einer bewussten Austrocknung des sozialen Wohnungsbaus durch eine wirtschaftsliberale Politik, bei der alles zur Ware wird, besonders deutlich geworden.

So entstehe bei den Menschen, die bewusst abgehängt vom sozialen Leben werden, ein Konkurrenzverhältnis zu den Zugezogenen, das sich auch auf dem prekären Arbeitsmarkt, den Essenstafeln und der Versorgung von Wohnungslosen bemerkbar macht. So werde verstärkt auch bei Sozialdiensten zwischen Wohnungslosen, die versorgt werden sollen, und Zuwanderern aus Osteuropa unterschieden, die möglichst verschwinden sollen. So sorgt die wirtschaftsliberale Politik für einen Sozialchauvinismus, der den Erfolg von Thilo Sarrazin um 2010 und jetzt der AfD erklärt.

Doch die Parole „Soziale Politik gegen rechts“ würde er nicht unterschreiben. Eine Sozialpolitik müsse verknüpft werden mit einer klaren Absage an Rassismus und Nationalismus und dem Bekenntnis, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, betonte Nagel.

Eine Teilnehmerin kritisiert in diesem Kontext auch die Rhetorik des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schutz, der „die hart arbeitenden Menschen“[14] ansprechen will und deshalb auch immer „schuften“ statt „arbeiten“[15] sagt. Damit würden Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, nicht hart arbeiten, ausgegrenzt, kritisiert die Frau auf dem Forum.

Dieser richtige Einwand dürfte sicher manche Sozialdemokraten in den Bündnissen gegen rechts wenig begeistern. Aber die Frage, wie breit die Bündnisse gegen die AfD überhaupt sein sollen, blieb auf dem Ratschlag undiskutiert. Zumindest hat Stephan Nagel mit seinem Eintreten für die Rechte für alle Menschen große Zustimmung bekommen. Dann dürfte aber die Breite des Bündnisses gegen die AfD überschaubar bleiben, wenn es nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt.

Eine kurze Kontroverse entzündete sich nach dem Referat von Heike Kleffner an ihrer Fokussierung auf Ostdeutschland. Die rechte Mobilisierung sei ein gesamtdeutsches Problem, wurde ihr entgegen gehalten. Dem stimmte Kleffner zu, sie wies aber darauf hin, dass in NRW die Versuche, Pegida-Aufmärsche zu etablieren, an einer größeren Gegenmobilisierung scheiterten.

Nur angerissen wurde die Frage, ob die DDR-Politik oder die Wende für das Erstarken der Rechten in Ostdeutschland verantwortlich sind. Diese Frage ist noch immer mit einer Positionierung zur DDR verknüpft- Dabei kann man das Auftreten der Deutschlandfahnen schwingenden Massen mit ihren entsprechenden Parolen zeitlich ziemlich genau lokalisieren. Sie war verbunden mit der Niederlag der DDR-Oppositionellen, die für radikaldemokratische, soziale und ökologische Forderungen und nicht für die Wiedervereinigung eingetreten sind.

Seit dem November 1989 koordinierten sich ost- und westdeutsche Rechte zunehmend und schufen so die Grundlage für die ostdeutschen Spezifika in der Rechten, die heute noch bemerkbar sind. Wer sich einen grundsätzlicheren Einblick in das Thema Neonazis nach 1945 in Westdeutschland informieren wollte, hatte dazu in den Pausen Gelegenheit. Am Ort des Ratschlags ist noch einige Tage lang eine informative Ausstellung zum Thema Vergessene Geschichte – Berufsverbote -Politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland“[16] zu sehen.

Anders als im Titel vermutet, geht es dabei nicht nur um den sogenannten Radikalenerlass der 1970er Jahre, der weltweit als Berufsverbot[17] bezeichnet wurde. Es geht auch um die Vorgeschichte und mehrere Tafeln informieren darüber, wie schon um 1950 linke Nazigegner wieder verfolgt wurden, während die Altnazis in ihre Posten zurückkamen.

Die Exposition wäre nicht nur eine gute Grundlage für eine Diskussion über eine gesamtdeutsche Repression gegen Oppositionelle. sondern auch eine Hintergrundinformation für Menschen, die sich heute gegen rechts engagieren wollen.

https://www.heise.de/tp/features/Stammtischkampf-statt-Strassenkampf-3617957.html

Peter Nowak


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[1] http://www.grundrechtekomitee.de/start
[2] http://www.grundrechtekomitee.de/node/821
[3] http://www.bebraverlag.de/autoren/autor/659-heike-kleffner.html
[4] https://www.schluss-mit-hass.de/opfer-rechter-gewalt
[5] https://freiepressevolontaere.wordpress.com/2014/02/12/die-schneeberger-lichtellaufe-eindrucke-einer-volontarin
[6] http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/demonstrationen-1/artikel/waffenruhe-in-bautzen-neonazis-stellen-politik-ultimatum.html
[7] http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/08/27/zahlreiche-bekannte-neonazis-bei-ausschreitungen-in-heidenau_20099
[8] http://www.svz.de/regionales/brandenburg/bb-politik/auf-heidenau-folgt-nauen-id10544716.html
[9] http://antifa-nordost.org/3024/fotos-bericht-antifa-demo-in-heidenau-23-08-2015-2
[10] http://dresden-nazifrei.com/
[11] http://www.endstation-rechts.de/news/kategorie/sonstige/artikel/generalbundesanwalt-hebt-freitaler-neonazi-terrorzelle-aus.html
[12] https://www.mbr-berlin.de
[13] https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/kampagne/stammtischkaempferinnen/
[14] http://www.sueddeutsche.de/medien/spd-kanzlerkandidat-martin-schulz-sagt-er-verstehe-die-menschen-1.3353936
[15] https://www.taz.de/Kolumne-So-nicht/!5375745/
[16] http://www.hausderdemokratie.de/artikel/ausstellungen.php4
[17] http://www.berufsverbote.de/index.php/Ausstellung-Vergessene-Geschichte.html

Mit besserer Sozialpolitik allein ist gegen Nazis nicht getan

Erfahrungsaustausch zur Abwehr von Rechtsextremismus und Rassismus

Was tun gegen den Rechtspopulismus? Diese Frage stellt sich angesichts von mehreren Landtags- und einer Bundestagswahl, bei denen Erfolge der AfD befürchtet werden. Das Komitee für »Grundrechte und Demokratie« legte auf einem bundesweiten Ratschlag unter dem Titel »Kampf gegen Nationalismus und Rassismus – demokratische Milieus stärken« am Samstag in Berlin den Fokus auf konkrete Handlungsmöglichkeiten. Es sei gerade in Kleinstädten und Provinzen wichtig, sich den Rechten entgegenzustellen, betonte die Journalistin Heike Kleffner. »Voraussetzung für den Erfolg rechter Mobilisierung ist ihre Akzeptanz und Integration in den Alltag«, erklärte die langjährige Beobachterin der rechten Szene.

Sie erinnerte an die sogenannten Lichtlläufe gegen die Aufnahme von Geflüchteten im sächsischen Schneeberg 2013, die zu einem Vorbild für die Pegidabewegung wurden. Die Rechtsextremen traten dort als Bürgerinitiative auf und konnten so Menschen mobilisieren, die nicht hinter Bannern von Nazi-Organisationen gelaufen wären. Am Beispiel von Bautzen zeigte Kleffner auf, wie man die rechte Szene stärkt, statt bekämpft. Die aktuellen Angriffe auf sorbische Jugendliche und später auf Geflüchtete basierten auf einer langjährigen rechten Präsenz im Ort. Der Bürgermeister habe die Rechtsextremen durch seine Gesprächsbereitschaft aufgewertet. Die wenigen Gegenkräfte hingegen seien ausgegrenzt worden und die jungen Flüchtlinge, die das Ziel der Angriffe gewesen sind, durften ihre Unterkünfte abends nicht mehr verlassen.

Als positives Gegenbeispiel führte Kleffner das sächsische Heidenau an, wo sich Geflüchtete und ihre Unterstützer rechtsextremistischen Angriffen erfolgreich widersetzten. Einen Grund dafür sieht Kleffner in der frühzeitigen Intervention von Antifaschisten aus der Umgebung. Zudem habe die Polizeipräsenz das Tun der Rassisten eingeschränkt.

Den Erfolg dieser Taktik bestätigte Albrecht von der Lieth. Er gehört zum Bündnis »Dresden nazifrei«. Es zeige sich auch eine gewandelte Einstellung von Teilen der Antifa-Bewegung zur Polizei. Michael Trube von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin berichtete über den Wandel ihrer Aufgaben. Während vor zehn Jahren noch die Frage im Mittelpunkt stand, wie erkenne ich Neonazis, wenn sie nicht offen auftreten, gehe es heute vor allem um Beratung dazu, wie man bei Familien- oder Klassentreffen rechten Parolen argumentativ entgegentreten kann. Um sich inhaltlich zu wappnen, werden auch sogenannte Stammtischkämpfer geschult und eingesetzt. Stephan Nagel, der im Grundrechtekomitee für den Themenkomplex soziale Fragen zuständig ist, sieht in der politisch geförderten Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse einen Grund für das Anwachsen des rechten Spektrums. Doch reiche dagegen keine bessere Sozialpolitik. Die müsse verknüpft werden mit einer klaren Absage an Rassismus und Nationalismus sowie dem Bekenntnis, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, betonte Nagel.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1040870.mit-besserer-sozialpolitik-allein-ist-gegen-nazis-nicht-getan.html

Peter Nowak

Sind jetzt alle gegen die USA außer der AfD und Pegida?

Bei der harschen Trump-Schelte geht es auch um ein neues Selbstbewusstsein des EU-Blocks

„Mein Freund ist Amerikaner“ – Diese Parole hätte man lange Zeit kaum mit den Pegida-Aufmärschen assoziiert. Schließlich haben viele der patriotischen Europäer mit den USA alles das verbunden, was sie ablehnen. Doch seit Donald Trump in den USA die Regierung übernommen hat, ist alles anders. Der neue Präsident gilt den Pegidisten als Hoffnungsträger, der auch „einen Reigen der Politikveränderung in Europa“ einleiten soll, wie es ein der Pegidabewegung nahestehendes Magazin[1] formulierte.

Auf dem letzten Dresdner Pegida-Spaziergang in Dresden am 23.1. wurden von mehreren Rednern zwei Männer besonders mit Lob bedacht[2], der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und der neue US-Präsident. Diese neue Konstellation hat natürlich auf die innerrechte Debatte Auswirkungen.

Profitieren werden jene Rechten, die sich als proamerikanisch bezeichnen wie das Onlinemagazin PI-News und natürlich die AfD, die sofort nach Trumps Wahl ein Glückwunschtelegram[3] versandte. Dort wird auch formuliert, was den Rechten – nicht nur in Deutschland – so an Trump gefällt:

Aufgrund Ihrer bisher getätigten Aussagen verfolgen wir als Deutsche und Europäer hoffnungsvoll Ihre außenpolitischen Positionen, weil sich diese wohltuend vom Kurs der vergangenen Jahrzehnte unterscheiden. Sie kündigen einen Weg der Nichteinmischung, der Lösungen und der Ordnung an. Sie haben die stabilisierende Funktion von Grenzen als einer zivilisatorischen Errungenschaft erkannt.

AfD

So ist es auch nur folgerichtig, dass die AfD schon Trumps deutsche Vorfahren ins Gespräch brachte und vom Trump-Effekt für das Örtchen Kallstadt schwärmte[4]. Doch viele Einwohner von Kallstadt sind einstweilen skeptisch mit Argumenten, die eigentlich auch die AfD verstehen müsste.

So wird Trumps Vorfahren noch immer übel genommen, dass er illegal aus Kallstadt verschwunden ist und sich vom Militärdienst gedrückt hat[5]. Da muss die AfD wohl aufpassen, dass ihr nicht nachgesagt wird, amerikanische Interessen zu vertreten. Das war ja bisher immer ein Lieblingsargument der Rechten nicht nur in Deutschland.

Anderseits wurde der Verdacht erhoben, „unsere amerikanischen Freunde“ nicht zu achten, wenn in den vergangenen Jahrzehnten Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen Kritik gegen die Politik der USA geäußert haben. So wird schon mal die gesamte Apo der späten 1960er Jahren mit dem Anti-Amerikanismus-Verdikt belegt, weil die oft auch in polemischer Art und Weise den Vietnamkrieg kritisiert hat.

Dass aber gerade die Apo sehr wohl die neue US-Kultur adaptiert hatte und sie erst in der BRD etablierte, wird dabei gerne vergessen. Wenn man nun die Antiamerikanismus-Messlatte der alten BRD auf die aktuelle Situation anlegen würde, müsste man von einem tektonischen Beben sprechen. Während die AfD und Pegida Trump feiert, übt sich eine ganz große Koalition von der Linkspartei bis zur Union in Trump-Kritik.

Nur der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer wollte sich da nicht gleich die neue deutsche Volksfront einreihen und erinnerte daran, dass Trump seine Wahlversprechen schnell abarbeitet[6]. Doch dafür musste er sich fast entschuldigen und bald wollte es Seehofer auch nicht so gemeint haben[7].

Das ist eine ganz neue Erfahrung für einen konservativen Politiker, dass eine zu große verbale Nähe zum neuen US-Präsidenten der Karriere womöglich nicht gut bekommen könnte. Dabei entsprachen Seehofers Äußerungen zweifelsfrei der Realität. Denn all die Maßnahmen, die Trump jetzt umzusetzen versucht, auch das begrenze Einreiseverbot aus einigen islamischen Ländern gehörte zu den Wahlversprechen von Trump.

Nur wurde während des Wahlkampfs und vor allem nach seiner Wahl immer die Vermutung oder Hoffnung geäußert, dass seien nur leere Versprechungen, die ein amtierender Präsident möglichst schnell vergessen wird. Nun haben sich die Kommentatoren mit dieser Prognose vorerst getäuscht.

Trump macht das, was manche neue Politiker immer machen. Sie versuchen auch mit viel Symbolpolitik gleich in den ersten Wochen vieles von dem, was sie versprochen haben, umzusetzen, werden dann mit den verschiedenen Problemen konfrontiert und schwenken dann in eine sogenannte pragmatische Politik über, d.h. sie machen das, was dem kapitalistischen Standort nützt. Gemeint sind dabei immer die innovativsten Teile innerhalb des Kapitalismus.

Da haben die Startups von Silicon-Valley die Nase vorn und von dort kommt auch der größte Widerstand gegen das zeitweise Einreiseverbot. Denn diese Branche lebt in Gegensatz zu den alten Industriebranchen, wo Trump im Wahlkampf punktete, von den vielen Kreativen aus aller Welt, die in den USA ihr Glück versuchen. Nicht wenige haben ihre Ausbildung in asiatischen und afrikanischen Ländern gemacht.

Der Brain-Train, der dadurch ausgelöst wird, dass sie alle den Versprechungen des American Way of Life folgen, wird in der Regel nicht beachtet. Aber junge IT-Manager, Wissenschaftlerinnen oder Ärzte, die auf Flughäfen der USA wegen des Einreiseverbots stecken bleiben, können die US-Liberalen und die liberale Weltöffentlichkeit mobilisieren. Die Menschen, die nur einen Dollar am Tag zum Leben haben, sind von Einreiseverbot nicht betroffen.

Sie haben gar nicht die Möglichkeit, in die USA zu gelangen und wenn sie es doch irgendwie versuchen wollten, würden sie umgehend festgesetzt und zurückgeschickt. Denn es stimmte historisch und aktuell nie, dass die USA für alle Menschen, die es wollten, offenstanden. Im Gegenteil wurde die Migration in die USA schon seit Jahrzehnten streng geregelt. Nach dem islamistischen Anschlägen vom 9. September 2001 waren Tausende Menschen mit Einreiseverboten konfrontiert, oft wurde ihnen nicht einmal die Begründung genannt. Islamisten waren die wenigsten.


Wenn nun weltweit eine solche Erregung wegen der ersten Maßnahmen von Trump laut wird, muss man immer genau hinsehen, wer sich hier artikuliert. Sind es US-Linke, Vertreter von Minderheiten in den USA und weltweit? Dann kann man davon ausgehen, dass ihre Kritik berechtigt und unterstützenswert ist.

Wenn nun aber fast die gesamte politische Klasse in Deutschland und in anderen EU-Länder in die Trump-Schelte einstimmen, geht es vor allem um die Herausbildung eines EU-Nationalismus in scharfer Frontstellung zu den USA. Diese Entwicklung hat sich in den Jahren 2002 und 2003 schon abgezeichnet, als die europäischen Werte gegen den Irakkrieg in Stellung gebracht wurden. Unter Obama wurde diese Entwicklung weg von den USA mehr ökonomisch als politisch vorangetrieben.

Unter Trump nimmt man den Diskussion über die europäischen Werte erneut, aber mit noch mehr Vehemenz auf. Das korrespondiert mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein des EU-Blocks und genau damit ist die neue Tonlage gegen die US-Administration zu erklären: „Deutsch-Europa“ kann sich diese Töne leisten.

Um politische Inhalte geht es dabei weniger. Wenn ausgerechnet die EU sich so sehr über den geplanten Mauerbau an der Grenze zwischen den USA und Mexiko echauffiert, die ja selbst ihr Territorium zur Festung ausgebaut hat und Migranten lieber im Mittelmeer ertrinken oder in den Balkanländern frieren lässt, als sie aufzunehmen, dann zeigt sich, dass die vielzitierten europäischen Werte vor allem Ideologie sind.

Auch in der EU gibt es mannigfache Einreiseverbote. Wer es nicht glaubt, sollte mit Menschen aus Lateinamerika und Afrika reden, denen Visa verweigert werden, weil ihnen unterstellt wird, sie würden nicht ihre Heimatländer zurückkehren. Nur sind die Gründe in diesem Falle meist nicht die Religion, sondern zu wenig Geld.

Wenn nun Trump beschuldigt wird, sämtliche Grundsätze der USA aufzugeben, könnte es daran liegen, dass die Details der US-Einwanderungspolitik zu wenig bekannt sind. Aber auch jüngeren Politikern dürfte der Vietnamkrieg und seine mörderischen Folgen bekannt sein. Damals haben Politiker von Union, SPD und FDP alle Kritiker dieses Militäreinsatzes als antiamerikanisch tituliert. Denn, so die Begründung, Deutschland werde auch in Vietnam verteidigt.

Das war mehr als eine Propagandafloskel. Damals war die BRD bei ihren Wiederaufstieg noch auf die US-Unterstützung angewiesen. Heute ist Deutschland ein Kontrahent der USA. Daher wird die Politik von Trump so angegriffen.

Es geht um europäische Kapitalinteressen und weil dafür Menschen nicht so ohne weiteres zu begeistern sind, wird eine Wertediskussion geführt. Daran beteiligen sich an vorderster Front auch die Grünen und die ihnen nahestehende Taz. Die will mit ihrer Kampagne „mein Land“[8] für einen angeblich inklusiven Patriotismus[9] endgültig von einer Linken Abschied nehmen, die mit Rio Reiser der Überzeugung war, „dieses Land ist es nicht“[10]. Denn, so schreibt[11] die Taz-Redakteurin Nina Apin:

Die Deutschen, die sich ihres Deutschseins schämten, suchten ihre Heimat im progressiven Weltbürgertum, im Europäer sein oder im Regionalen. Und für viele, auch die Verfasserin dieser Zeilen, erweckte die gern bei linken Demos skandierte Parole „Kein Gott! Kein Staat! Kein Vaterland!“ allemal mehr positive Gefühle als ein Land, das man – so man nicht bekennendeR AnarchistIn war – zwar als Staat akzeptierte, aber keinesfalls als Heimat- oder gar „Vaterland“.

Nina Apin

Nun gab es den gesellschaftlichen Rechtsruck, der eigentlich diesem Grundsatz für eine emanzipatorische Politik bestärken müsste. Doch Nina Apin zieht daraus eine andere Konsequenz:

Gerade in einem Einwanderungsland, in dem sich Homogenität der Herkunft, des Glaubens in eine Vielschichtigkeit auflöst, braucht es ein identitätsstiftendes Narrativ: eine positive Erzählung darüber, was eine Gesellschaft prägt, was sie ausmacht, wer sie sein will. Eine solche Erzählung anzubieten hat die mittelschichtsdominierte Linke bisher versäumt, die Notwendigkeit dafür wurde schlicht unterschätzt. Ortsverbundenheit, Geborgenheit – solcher vermeintliche Gefühlskitsch passte schlicht nicht zum eigenen Freiheitsnarrativ.

Nina Apin

Also aus Angst vor dem Rechten sollen jetzt alle Patrioten werden, ist also die Konsequenz. Und der schwarz-grüne Chefideologe der Taz Peter Unfried kippt eine kräftige Portion Wirtschaftsliberalismus in die patriotische Sauce. Deswegen hat Unfried im französischen Wahlkampf Emmanuel Macron zum Bannerträger der europäischen Werte ausgerufen[12]. Denn der ist anders als die beiden Sozialdemokraten Mélenchon und Hamon garantiert nicht links.

„Er ist radikal proeuropäisch, das ist zentral. Gesellschaftsliberal. Jenseits von linksnationalistischem Protektionismus, für eine Umgestaltung des Arbeitsmarktes. Verkürzt gesagt, Priorität hat das Zurückkommen in Anstellung und nicht mehr nur das Bleiben in Festanstellung“, lobt Unfried Deutschlands Hoffnungsträger in Frankreich.

Macron soll da weitermachen, wo Hollande gescheitert ist – bei der Umsetzung der Agenda 2010 in Frankreich. Dafür werden die europäischen Werte bemüht. Daher sollten wir gerade aktuell vorsichtig sein, dass wir bei der berechtigen Kritik an der Politik der jetzigen wie der vergangenen US-Administrationen nicht zu Lautsprechern einer „Deutsch-EU“ werden, die sich in Konkurrenz zu den USA befindet.

https://www.heise.de/tp/features/Sind-jetzt-alle-gegen-die-USA-ausser-der-AfD-und-Pegida-3613568.html

Peter Nowak


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/pegida-feiert-us-wahl-trump-eroeffnung-eines-reigens-der-politikveraenderung-in-europa-a1975492.html
[2] http://www.pi-news.net/2017/01/pegida-dresden-solidaritaet-mit-bjoern-hoecke
[3] https://www.alternativefuer.de/glueckwunschtelegramm-der-afd-an-donald-trump/
[4] http://www.deutschlandradiokultur.de/der-kallstadt-impuls-trumps-deutsche-vorfahren.1001.de.html?dram:article_id=376295
[5] http://www.taz.de/!5374809/
[6] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/horst-seehofer-lobt-donald-trump-fuer-tatkraft-konsequenz-14797201.html
[7] https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-trump-101.html
[8] http://www.taz.de/!t5024660/
[9] http://www.taz.de/!t5024660/
[10] http://www.songtexte.com/songtext/ton-steine-scherben/der-traum-ist-aus-53d9a78d.html
[11] https://www.taz.de/Debatte-Deutsche-Identitaet/!5374678/
[12] https://www.taz.de/Kolumne-Die-eine-Frage/!5374703/

Hamburg und die Würdigung der Schlächter

»Wir möchten unsere große Unzufriedenheit darüber ausdrücken, dass sich die Stadt Hamburg entschieden hat, die historische Rolle zu ignorieren, die sie beim Genozid an den Overherero und Nama in den ehemaligen deutschen Kolonien in Südwestafrika spielte.« Diese harte Kritik steht in einen Offenen Brief, den der Regierende Bürgermeister von Hamburg Olaf Scholz am vergangenen Montag erhalten hat. In dem Schreiben kritisiert die Association of the Ovaherero Genocide in the USA (OGA), dass in Hamburg noch immer Kolonialverbrecher geehrt werden, die maßgeblich am Völkermord in Südwestafrika beteiligt waren

Dafür nennen die Organisation in dem Brief mehrere Beispiele, etwa das sogenannte Trothahaus. »Das in der NS-Zeit errichtete Gebäude, in dem bis heute Bundeswehrangehörige untergebracht sind, verherrlicht mit dem berüchtigten ›Schutztruppenkommandeur‹ Lothar von Trotha noch immer einen der Hauptverantwortlichen für den Genozid an den Herero und Nama in den Jahren 1904-08«, kritisieren die Verfasser des Briefes.

Auch dass in Hamburg weiterhin der Kolonialkaufmann und Reeder Adolph Woermann gewürdigt wird, findet bei den Verfassern des Briefes starken Widerspruch. Woermann habe durch den Transport von Truppen, die Einrichtung von privaten Konzentrationslagern und den Einsatz von Zwangsarbeitern direkt vom Völkermord profitiert. Gleich zwei Straßen tragen in dem Hamburger Stadtteil Ohlsdorf den Namen von Woermann. In dem Offenen Brief wird vorgeschlagen, die Straßen nach einer Persönlichkeit aus dem antikolonialen Widerstand umzubenennen.

Auch die Gedenktafel für die gefallenen deutschen Kolonialsoldaten, die noch immer in der Kirchengemeinde der Hauptkirche St. Michaelis zu sehen ist, wird kritisiert. »Statt der zahlreichen Opfer des deutschen Kolonialregimes werden noch immer Hamburgs gefallene Kolonialkrieger im damaligen Deutsch-Südwestafrika auf einer unkommentierten Ehrentafel glorifiziert.«

Christian Kopp, der seit Langem für Gerechtigkeit für die Opfer des deutschen Kolonialismus eintritt, erklärt im Gespräch mit dem »nd«, eine Delegation aus Afrika habe bei einem Hamburg-Besuch im letzten Jahr die Tafel entdeckt. »Wir erwarten, dass nicht nur an der Hamburger Universität über den deutschen Kolonialismus geforscht wird, sondern dass die antikoloniale Praxis auf der Straße sichtbar werden muss«, erklärte Kopp zu dem Zweck, der mit dem Offenen Brief verfolgt wird.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1040526.hamburg-und-die-wuerdigung-der-schlaechter.html

Peter Nowak

Mit Racial Profiling gegen Sexismus

Wenn der Zweck die Mittel heiligt

Das Agieren der Polizei zu Silvester in Köln war angemessen. Da waren sich Anfang Januar 2017 die rechtspopulistische Gruppierung Pro Köln, die CDU, die FDP und die Mehrheit der Grünen unisono einig. Schließlich habe der Polizeieinsatz sexistische Vorkommnisse verhindert, die Silvester 2015 weltweit als Beweis herhalten mussten, dass eine Gesellschaft, die ihre Grenzen nicht schützt, nur in Terror und Gewalt enden könnte.

Im Vorfeld des Jahrestages haben auch Feministinnen der linken Bewegung vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Kölner Silvesternacht die Opfer im Stich gelassen zu haben.

Dabei fällt auf, dass die Übergriffe von Köln eine Dimension bekommen, die sie heraushebt aus dem alltäglichen Sexismus, mit dem Frauen in der patriarchalen Gesellschaft immer wieder besonders dann konfrontiert sind, wenn sich viele Männer irgendwo zusammenrotten. Besonders die Publizistin Hannah Wettig  wandte sich in einem Beitrag in der „Jungle World“ dagegen, dass die sexistischen Übergriffe von Köln mit frauenfeindlichen Angriffen auf dem Münchner Oktoberfest oder ähnlichen Großevents mit Männerbesäufnissen verglichen werden.

Explizit wandte sich Wettig dagegen, dass feministische Initiativen schon wenige Wochen nach den Kölner Silvesterereignissen im Bündnis #ausnahmslos mitarbeiteten, in dem sie sich gegen jeglichen Sexismus aussprachen, egal welche Herkunft die Täter haben. Für Hannah Wettig führte eine solche Initiative zu einer Abwehrdebatte, die für die betroffenen Frauen verheerend sei. „Sie müssten Angst haben, als Rassistinnen zu gelten, wenn sie berichteten, was ihnen geschehen ist.“ Seltsamerweise klammert Wettig aus, dass die Kölner Silvesternacht und die Folgen von Anfang an von rechten Webseiten und Initiativen genutzt wurden, für die Geflüchtete und Vergewaltiger synonym sind.

Schon wenige Tage nach Köln tauchten die ersten rechten Aufkleber auf, auf denen aus Refugees „Rapefugees“ wurden. Die rechte Kampagne gegen dunkle Männer, die sich an  deutschen Frauen vergreifen, hat eine historische Parallele. Als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die französische Armee, zu der auch nordafrikanische Soldaten gehörten, das Ruhrgebiet und andere westdeutsche Städte besetzten, initiierten völkische Kreise die Kampagne von der Schwarzen Schmach. Für sie war es ein besonderes Zeichen von Kulturverfall, dass jetzt schon Soldaten aus Afrika gleichberechtigt in der Armee agieren dürfen.

Die rechten Stimmen über die Kölner Silvesternacht hörten sich so an, als würde an diese Kampagne wieder angeknüpft. Nicht der (aus emanzipatorischer, linker Sicht immer und ohne Ausnahme zu bekämpfende) Sexismus ist in den Augen der RassistInnen das Problem, sondern dass die Täter keine Deutschen waren.

Apartheid in Köln

Wenn nun selbst in linken Kreisen Antirassismus plötzlich als Täterschutz bezeichnet wird, ist es nur konsequent, dass es kaum Kritik gibt. wenn in der Kölner Silvesternacht gleich alle Männer, die nicht in das Bild der deutschen Leitkultur passten, in Polizeikontrollen hängenblieben.

„Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden in der Silvesternacht in Köln stellt einen Verstoß gegen das im deutschen Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot dar.

Amnesty International fordert eine unabhängige Untersuchung“, erklärte der Sprecher der Menschenrechtsorganisation Amnestie International,  Alexander Bosch, der streng rechtsstaatlich argumentierte.

Danach hat die Polizei in der Silvesternacht eben nicht nur die Aufgabe, Frauen vor sexistischer Gewalt zu schützen, betont Bosch.

„Gleichzeitig ist es auch Aufgabe der Polizei, Menschen vor Diskriminierung zu schützen – und diese Aufgabe hat die Polizei Köln ignoriert. Hunderte Menschen sind allein aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten nordafrikanischen Herkunft eingekesselt und kontrolliert worden.

Das wichtigste Entscheidungskriterium der Polizisten ist das Merkmal der angenommenen Herkunft gewesen: Jeder Mensch, den die Beamten für einen Nordafrikaner gehalten haben, wurde in einen separaten Bereich geführt, viele von ihnen mussten dort laut Medienberichten stundenlang ausharren.

Bei dem Einsatz der Polizei Köln handelt es sich also um einen eindeutigen Fall von Racial Profiling. Damit hat die Polizei gegen völker- und europarechtliche Verträge und auch gegen das im deutschen Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot verstoßen.“

Der Kampf gegen Racial Profiling hat eine lange Tradition

Tatsächlich gehört der Kampf gegen Racial Profiling seit Jahren zu den Aktivitäten von Organisationen, in denen sich Schwarze in Deutschland und anderen Ländern engagieren. Sie wurden dabei zunehmend von antirassistischen Gruppen unterstützt.

Es war eine zähe, aber nicht erfolglose Arbeit. 2012 wurde von Johanna Mohrfeldt und Sebastian Friedrich  aufgezeigt, wie sehr Racial Profiling zur normalen Polizeiarbeit auch in Deutschland gehörte (1).

Erst neueren Datums sind Empfehlungen von Menschenrechtsorganisationen an die Polizei (2), wie eine solche Praxis zu verhindern oder zumindest zu minimieren  ist. Deshalb ist es ein Rückschlag für diese Bemühungen einer möglichst diskriminierungsarmen Polizeiarbeit, wenn nun dem Racial Profiling offen das Wort geredet wird.

In der konservativen Tageszeitung „Die Welt“ wurde Racial Profiling als notwendig für die Polizeiarbeit erklärt und der umstrittene Begriff „Nafri“ als Abkürzung aus der Polizeiarbeit relativiert. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, dass andere Begriffe, die viele der davon Betroffenen als diskriminierend bezeichnet haben, so wieder offiziell in die alltägliche Behördenarbeit zurückkehren. Inoffiziell waren sie nie verschwunden.

Nun wird die berechtigte Empörung über die sexistischen Übergriffe von Köln genutzt, um hart erkämpfte Fortschritte im Bereich des Antirassismus zu schleifen.

Der Shitstorm, der auf die Grünen-Vorsitzende Sabine Peters niederging, als sie es wagte, Kritik am Kölner Polizeieinsatz zu äußern, hat noch einmal deutlich gemacht, dass es in bestimmten Zeiten zumindest politisch gefährlich sein kann, wenn eine Oppositionspolitikerin  ihren Job macht. In der Taz hat Inlandsredakteur Daniel Bax noch einmal daran erinnert, dass Kritik an rassistischen Polizeikontrollen Bürger_innenpflicht sein sollte.

Kampf gegen Sexismus und Rassismus

Für Linke verbietet es sich, auf einer Party zu feiern, auf der Menschen ausgesondert werden, weil sie die falsche Hautfarbe und das falsche Aussehen haben.

Das Aussehen und nicht ein konkreter Verdacht, war der Grund für die Durchsuchungen. Für eine außerparlamentarische Linke dürfte es keinen Zweifel geben, dass die Kämpfe gegen Rassismus und Sexismus zusammen gehören.

Dafür hat die außerparlamentarische Linke bereits einige Diskussionsbausteine geliefert, die für ein Zusammendenken einer antirassistischen und antisexistischen Praxis nützlich sein können. Dazu gehört der Triple Oppression-Ansatz (3), der davon ausgeht, dass Rassismus, Sexismus und kapitalistische Ausbeutung drei Unterdrückungsverhältnisse seien, die unabhängig voneinander von unterschiedlichen Gruppen ausgeübt werden und nicht einander bedingen.

Dieser Ansatz der in sich verzahnten dreifachen Unterdrückung grenzt sich von traditionslinken Vorstellungen ab, dass die kapitalistische Ausbeutung der Hauptwiderspruch und Rassismus und Patriarchat Nebenwidersprüche seien.

Nach dem Triple-Oppression-Ansatz können Männer, die selber rassistisch unterdrückt sind, sexistische Unterdrückung ausüben, wie in Köln und in anderen Städten geschehen.

Frauen, die Opfer sexistischer und patriarchaler Gewalt sind, können selber wiederum rassistische Unterdrückung ausüben und verstärken.

Peter Nowak

Anmerkungen:

1)        https://kop-berlin.de/beitrag/alltagliche-ausnahmefalle-zu-institutionellem-rassismus-bei-der-polizei-und-der-praxis-des-racial-profiling

2) www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/Studie_Racial_Profiling_Menschenrechtswidrige_Personenkontrollen_nach_Bundespolizeigesetz.pdf

3) www.archivtiger.de/downloads/maennerarchiv/viehmann.pdf

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 416, Februar 2017, www.graswurzel.net

Rassistischer Drohbrief

»Was um alles in der Welt denkt sich eine weiße Frau dabei, sich mit einem Schwarzen einzulassen und dadurch Mischlinge zu produzieren?« Ein anonymes Schreiben mit dieser rassistischen Zeile wurde Sonja Prinz am 21. Dezember per Post zugestellt. In dem Pamphlet wird Prinz beschuldigt, »zum Niedergang Deutschlands« beizutragen. Prinz, die sich mit ihrem Projekt »New Generation Berlin« für eine tolerante Gesellschaft einsetzt, war an die Öffentlichkeit gegangen, nachdem ihr 17-jähriger Sohn Ende November in Prenzlauer Berg zusammengeschlagen worden war. Darauf nimmt der »nd« vorliegende Drohbrief Bezug, der mit dem Satz beginnt: »Mich ärgert die Dreistigkeit, mit der Sie und Ihr Bastard in der Zeitung posieren.«

»Ich bin bisher solche Drohungen im Internet, aber nicht an meine Privatanschrift gewohnt«, erklärte Prinz. Als sie bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt stellen wollte, habe ihr ein Beamter erklärt, es fehle an Personal. Außerdem enthalte das Schreiben keine strafbaren Inhalte. Als sie auf einer Anzeige bestand, habe der Polizist vorgeschlagen, einen Sachbearbeiter zu schicken und auf die Möglichkeit der Online-Anzeige hingewiesen. Auch die von Prinz vorgeschlagene Untersuchung des Schreibens nach Fingerabdrücken und Speichelresten wurde abgelehnt. Sollte der Brief als Beweismittel gebraucht werden, werde man sich bei ihr melden, sei ihr beschieden worden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1036335.rassistischer-drohbrief.html

Peter Nowak

Polizei erkennt keine strafbaren Inhalte

ZIVILCOURAGE :Mutter eines von Nazis schwerverletzten Jungen erhält rassistische Drohbriefe

„Mich ärgert die Dreistigkeit, mit der Sie und Ihr Bastard in der Zeitung posieren. Dank voller Namensnennung erhalten Sie dafür diesen Brief von mir.“ Mit diesen Zeilen beginnt ein rassistisches Pamphlet, das Sonja Prinz am 21. Dezember per Post zugesandt wurde. „Ich bin solche Drohungen im Internet  gewöhnt, aber es ist das erste Mal, dass so etwas bis an meine Privatanschrift kommt. Meine Kinder haben richtig Angst bekommen“, berichtet die Projektleiterin, die sich mit dem Verein New Generation Berlin gegen Rassismus engagiert.

Täter zeigte Hitlergruß

Anlass für den Brief war der öffentliche Aufruf von Prinz zur Suche nach den Tätern, die am 26. November an einer Tram-Station in Prenzlauer Berg ihren 17-jährigen Sohn niedergeschlagen und so schwer verletzt hatten, dass er stationär behandelt werden musste (taz berichtete). Weil die Polizei zunächst keinen  öffentlichen Fahndungsaufruf nach den Tätern, von denen einer einen Hitlergruß zeigte, herausgab, organisierte Prinz mit einer Antifagruppe eine Kundgebung am Tatort.  Konsterniert ist sie über die Reaktion eines Polizeibeamten, als sie wegen des Drohbriefs Anzeige gegen Unbekannt stellen wollte. Man habe nicht genügend Personal, wurde sie beschieden. Erst auf ihren Protest hin wurde ihr zugesichert, dass sich ein Sachbearbeiter darum kümmern werde. Auch die Anregung von Prinz, den Brief nach Fingerabdrücken und Speichelresten untersuchen zu lassen,

wurde abgelehnt. Sollte man das Schreiben als Beweismittel brauchen, werde man sich später bei ihr melden, hieß es nur. Besonders überrascht war Prinz über die Einschätzung des Polizeibeamten, dass das Schreiben keine strafbaren Inhalte enthalte. Dabei fallen die beleidigen Vokabeln schon in den ersten Sätzen ins Auge. Zudem heißt es dort: „Was um alles in der Welt denkt sich eine weiße Frau dabei, sich mit einem Schwarzen einzulassen und dadurch Mischlinge zu produzieren?“ Prinz wird beschuldigt, „zu einem ethischen Durcheinander“ beizutragen, dass „zum Niedergang Deutschlands“ führe. Der Brief macht deutlich, dass Prinz ins Visier geriet, weil sie mit voller Nennung ihres Namens öffentlich gegen Rassismus und rechte Gewalt aufgetreten ist. Die von ihr geschilderte Reaktion des Polizisten dürfte zur Förderung von Zivilcourage kaum beigetragen haben.

FREITAG, TAZ, die tageszeitung: 23. DEZEMBER 2016

Peter Nowak

Wie man migrationspolitische Duftmarken setzt

Geht es um den Kampf gegen Flüchtlinge oder den Kampf gegen den Islamismus? Der Streit über die Einstufung der „sicheren Herkunftsländer“ wird nun im Schatten des Anschlags fortgesetzt

Der Unionspolitiker Armin Schuster[1] hat die SPD und die Grünen nun dazu aufgefordert, ihren Widerstand gegen die Deklarierung weiterer Länder, aus denen eine starke Migration nach Europa geht, zu „sicheren Herkunftsländern“ aufzugeben. Schuster hat sich in den letzten Tagen als Unionspolitiker profiliert, der in der Winterpause seine migrationspolitischen Duftmarken setzen will[2].

Dabei weiß er, dass es in beiden Parteien starke Kräfte gibt, die sich gerne von der Union in diese Richtung drängen lassen. So hat der Tübinger Oberbürgermeister mit grünem Parteibuch, der sich gerne als Kretschmann-Nachfolger geriert, schon in einem Interview[3] klargestellt, dass die Abschiebepolitik überdacht werden müsse, was nichts anderes heißt, als dass sie weiter an die Vorstellungen der besorgten Bürger angepasst werden muss.

Dabei hat Palmer zuvor selbst vor vorgefertigten Urteilen gewarnt. Ein solch falsches Urteil besteht aber darin, die Anschläge von Berlin, Nizza, Brüssel oder wo auch immer zu einem Problem von Migration und Flüchtlingen zu machen. Dabei ist es ein Problem des Islamismus in seiner besonderen Rolle als Islamfaschismus. Darin sind ganz unterschiedliche Menschen verwickelt.

Einige sind hier geboren, konvertiert und wurden zu militanten Islamfaschisten. Andere haben eine migrantische Biographie, haben aber seit Generationen in den europäischen Ländern gelebt. Es wird auch einige Islamisten geben, die im Rahmen der Migration nach Europa gekommen sind bzw. sich dahinter versteckt haben.

Nun aber das Problem der Anschläge zu einem Programm der Migration zu machen und deren Verschärfung zu fordern, ist bestenfalls aktionistische Symbolpolitik, die die Rat- und Hilflosigkeit von Behörden kaschieren soll, die einen längst bekannten und überwachten Islamisten nicht an seinem verbrecherischen Tun hindern konnten. Schlimmstenfalls wollen Politiker ihre politische Agenda im Schatten des Anschlags vorantreiben. Das ist doppelt fatal.

Es macht die Menschen, die die wenigste Unterstützung haben, zu Sündenböcken und es betreibt das Geschäft der Islamisten. Deren erklärtes Ziel besteht darin, mit den Anschlägen die Lebensbedingungen der Moslems in Europa so zu verschlechtern, dass die sich ihnen anschließen.

Deshalb ist es der größte Erfolg in der Strategie der Islamisten, wenn rechte Strömungen stärker werden und rechte Politiker Wahlen gewinnen. Sie brauchen also nur ihre Mordaktionen so zu timen, dass sie den Rechten bei Wahlen nutzen. So können wir auch im Hinblick auf die Wahl an Frankreich und anderswo noch einiges erwarten.

Doch auch die Liberalen und Linken müssen sich nach dem Anschlag von Berlin kritischen Fragen stellen. Sie müssen mehr tun, als sich selber Mut zu machen, dass wir alle besonnen sein sollen und das Leben weitergeht. Sie müssen wissen, dass mit dem Islamfaschismus ein Feind aufgetaucht ist, der neben Besonnenheit auch die Entschlossenheit braucht, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Hätte ein Neonazi nach dem Vorbild des Münchner Oktoberfestes den Anschlag in Berlin verübt, wäre diese Entschlossenheit sicher zu hören gewesen. Warum wird nicht mit gleicher Verve gegen den Islamfaschismus agiert und dabei auch deutlich gemacht, dass die politische Rechte und die Islamisten sich gegenseitig brauchen? Dabei werden die Linken und Liberalen viele Menschen auf ihrer Seite haben, die sich von ihnen abgewandt haben, weil sie teilweise abgeschreckt sind, von der Ignoranz gegenüber dem Islamismus in Teilen der Linken[4], die manchmal noch als Bündnispartner gesehen werden. So erklärt[5] die Verfasserin der Studie Siding with the Oppressor: The Pro-Islamist Left[6] Maryam Namazie:

Wir haben zwei Schriften veröffentlicht, eine kritisiert die proislamistische Linke, die andere aber die extreme Rechte. Dieser Teil der Linken – und ich sage das als eine Person, die selbst links ist – sieht wegen seiner antiimperialistischen Neigung und seiner antikolonialen Perspektive jeden Widerstand gegen imperialistische Staaten als revolutionäre Kraft. Diese Linke kann nicht verstehen, dass der Islamismus, auch wenn er den westlichen Imperialismus herausfordert, ebenso eine regressive und unterdrückerische Kraft ist.

Es geht nach dem Schema: Der Feind meines Feindes ist mein Verbündeter, daher unterstützt jener Teil der Linken die Islamisten. Sie denken, diese seien eine Widerstandsbewegung wie der ANC in Südafrika gegen die Apartheid. Aber es ist eine grundlegend andere Bewegung, die in den Ländern, in denen sie die Macht übernommen hat, in erster Linie die Linke angegriffen und die Arbeiterbewegung vernichtet hat.

Die Islamisten haben ihre eigenen imperialistischen Projekte, wenn sie die Macht übernehmen. Des Weiteren denkt diese Linke, dass sie eine antirassistische Position einnimmt, dass sie damit Minderheiten verteidigt. Sie sieht nicht, dass Minderheiten keine homogenen Gemeinschaften sind. Sie stellt sich auf die Seite der Islamisten, derjenigen an der Macht, die unterdrückerischen Kräfte, und hilft somit Minderheiten innerhalb der Minderheit zu unterdrücken.

Maryam Namazie[7]

Es sollte sich auch die Frage stellen, warum im syrischen Bürgerkrieg – auch von Teilen der Linken – niemand die Islamisten sehen wollte? Da wurde noch vor wenigen Tagen, weit weg vom Geschehen, ein Massaker der syrischen Truppen und ihrer Verbündeter an einer wehrlosen Zivilgesellschaft angeprangert. Dabei waren schon längst Verhandlungen zur Evakuierung der Zivilbevölkerung angelaufen und die in den Berichten nicht existierenden Islamisten versuchten, diese zu verhindern, in dem sie die dafür vorgesehenen Busse in Brand steckten.

In einer Buchrezension im Neuen Deutschland[8] schreibt Emran Feroz, dass die Al Nusra Front, die Al-Qaida-Filiale in Syrien, von vielen Syrern anerkannt wird und hohen Respekt genießt. Dass Teile der Zivilbevölkerung also zumindest zeitweise mit den Islamisten verbündet waren, sollte aber auch dann gesagt werden, wenn wieder mal das Lamento über die hilflose Zivilbevölkerung gesungen wird.

Dass der Kampf gegen den Islamfaschismus auch ein Signal sein kann, dass ein solches Bündnis Konsequenzen hat, wie es die deutsche Volksgemeinschaft im Mai 1945 in Berlin erfahren musste, kann auch eine linke Konsequenz sein, wenn man den Islamisten als Feind ernst nimmt.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-man-migrationspolitische-Duftmarken-setzt-3580936.html

Peter Nowak


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http://www.heise.de/-3580936

Links in diesem Artikel:
[1] http://armin-schuster.eu
[2] http://armin-schuster.eu/medien/presseveroeffentlichungen/presseveroeffentlichungen-1
[3] http://www.deutschlandfunk.de/nach-dem-anschlag-von-berlin-falsch-sind-die-vorgefertigten.694.de.html?dram:article_id=374460
[4] http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55412.html
[5] http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55412.html
[6] http://onelawforall.org.uk/siding-with-the-oppressor-the-pro-islamist-left/
[7] http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55412.html
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1028854.moerderischer-egoismus.html

Rechter Schulterschluss gegen Merkel

Akteure aus unterschiedlichen rechten Spektren nutzen das schreckliche Attentat vom Montag in Berlin für ihren Protest gegen die Bundesregierung und gegen Flüchtlinge.

Es lebe AfD und Pegida“ und „ Es lebe EinProzent und Festung Europa“, so stand auf den Transparenten bei einer knapp einstündigen Mahnwache gegenüber dem Kanzleramt am Mittwochabend. Damit war auch das politische Spektrum benannt, das dazu aufgerufen hatte. Der neurechte Ideologe und Publizist Götz Kubitschek aus Schnellroda in Sachsen-Anhalt von der „Initiative „EinProzent“ eröffnete die Kundgebung. Im Anschluss sprach ein Pfarrer im Talar ein kurzes Gebet. Das war der einzige Redebeitrag. Im Anschluss wurden klassische Musik und das Deutschlandlied gespielt.

Auf den wenigen Schildern, die gezeigt wurden, standen Parolen wie „Berlin verteidigen“, Regime change now!“ / (Regierungswechel jetzt), „Merkel muss weg“.  Aus dem  Spektrum der „Reichsbürgerbewegung“ kam die Parole. „Autonomie für Deutsche sofort! – Globalfaschismus BRD – Schutz vor Regenbogen-Faschisten“. Anwesend waren der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und der Brandenburger AfD-Chef Alexander Gauland, die aber auf Reden verzichteten. Die extrem rechte „Identitäre Bewegung“ warb bei ihren Anhängern für die Aktion, an der rund 300 Personen teilahmen.

„Identitäre“ besetzen CDU-Zentrale

Junge Männer aus dem Umfeld  des Berliner Pegida-Ablegers „Bärgida“, die Aufschriften wie „Dieses Land soll deutsch bleiben“ trugen, hielten am Mittwoch Ausschau nach möglichen Kritikern. Als ein Mann lautstark seinen Unmut über die Instrumentalisierung der Opfer des Berliner Attentats vom Montag zum Ausdruck brachte, wurde er schnell vom Platz eskortiert.  Zum Abschluss wurden weitere Anti-Merkel-Aktionen  vor dem Kanzleramt für den  11. Januar angekündigt.  Bisher beteiligten sich an solchen Aktionen wie bei den allwöchentlichen „Bärgida“-Demonstrationen nur ein kleiner Teil organisierter Rechter. Am diesem Mittwochabend hatte sich das Spektrum erweitert.

Am Ende der Mahnwache gab es die Durchsage, dass  junge Patrioten  die  Bundeszentrale der CDU besetzt hätten, was mit Applaus aufgenommen wurde. Die Besetzung entpuppte sich als eine kurze symbolische Sitzblockade vor der geschlossenen CDU-Zentrale. Auf Transparenten wurde  die Schließung der Grenzen, die Ausweisung aller illegal eingewanderten und straffälligen Migranten und den Stopp der Islamisierung gefordert.

NPD will „Grenzen dichtmachen“

Parallel zur Mahnwache hatte die NPD am Hardenbergplatz in der Nähe des Anschlagsorts eine Demonstration  unter dem Motto „Grenzen dichtmachen – an Merkels Händen klebt Blut“ angemeldet.  Nach Polizeiangaben haben sich  daran knapp 120 Personen beteiligt. Da die NPD in der jüngsten Zeit in Berlin wenige Menschen mobilisieren konnte, war diese Teilnehmerzahl doch recht hoch.

Es war am Mittwochabend jedenfalls deutlich erkennbar, dass die unterschiedlichen rechten Spektren den Anschlag für sich nutzen wollen.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/rechter-schulterschluss-gegen-merkel

Peter Nowak

Gedenkort zu Wohnungen

KREUZBERG  Widerstand  gegen Baumaßnahmen  in der ehemaligen  NS-Dienststelle für  jüdische Zwangsarbeit

Mehr als 26.000 Berliner Jüdinnen und Juden wurden zwischen 1938 und 1945 in der „Zentralen Dienststelle für Juden“ in Fontanepromenade 15 in Kreuzberg für die Zwangsarbeit in verschiedenen Betrieben eingeteilt. Die Volkswirtin Elisabeth Freund war eine von ihnen. In ihren Aufzeichnungen „Als Zwangsarbeiterin in Berlin“ schrieb sie, dass die NS-Behörde in der Fontanepromenade von den Betroffenen „Schikanepromenade“ genannt wurde Die Historikerin Sieglinde Peters klassifizierte die „Zentrale Dienststelle für Juden“ bei der Einweihung des Gedenkzeichens 2013 als „eine zivile Behörde mit Handlangerdiensten zur Selektion, Ausbeutung und Vernichtung“. Doch die vor der Jahren eingeweihte Stele ist zurzeit verhüllt – und es ist nicht sicher, ob und wann sie wieder zugänglich sein wird. Denn im Frühjahr 2015 wurde das geschichtsträchtige Gebäude für knapp 800.000 Euro an die „Fontanepromenade 15 GbR“ verkauft. Und Ende August 2016 erteilte das Bezirk samt Friedrichshain-Kreuzberg der Gesellschaft eine Baugenehmigung. Vor einigen Wochen haben die Bauarbeiten an dem historischen Gebäude nun begonnen. Geplant ist der Umbau „in  Büros und Wohnungen“, wie auf einem Zettel vor Ort zu lesen ist.

Die vor drei Jahren eingeweihte Gedenkstele ist zurzeit verhüllt

Die Stadtteilinitiative „Wemgehört Kreuzberg“ fordert in einem Offenen Brief einen Baustopp und die Rücknahme der Baugenehmigung. „Wir halten es für einen absoluten Skandal, dass ein solcher Geschichtsort der Immobilienspekulation geopfert und nicht als Gedenkort zur jüdischen Zwangsarbeit und zum Holocaust öffentlich genutzt wird“, heißt es in dem Schreiben. Dort werden der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und das Land Berlin dafür kritisiert, dass sie die Chance nicht genutzt habe, durch einen Kauf des Gebäudes dafür zu sorgen, dass es als Geschichtsort erhalten bleibt. Die Stadtteilinitiative will sich nicht damit zufrieden geben, dass der einstige Bezirksamtssprecher Sascha Langenbach die Hoffnung äußerte, dass auch der private Investor das Gebäude seiner historischen Bedeutung entsprechend nutzen wird. Lothar Eberhardt, der seit Langem in der Geschichtsarbeit engagiert ist, nennt im Gespräch zwei Gebäude, die in letzter Zeit durch die Immobilienwirtschaft enthistorisiert worden seien: das ehemalige Berliner Arbeitshaus in Rummelsburg und das ehemalige NS-Kriegsgericht in Charlottenburg. Die kürzlich gegründete Initiative Gedenkort Fontanepromenade sieht noch eine Chance, eine solche Entwicklung in  Kreuzberg zu verhindern. Ihre Mitglieder haben Schreiben an die Berliner SenatorInnen für Kultur und Bauwesen gerichtet. Und warten nun auf die Antworten.

Taz 19.12.2016

PETER NOWAK

SPD-Politiker will Wohnungslose vom Hansaplatz verdrängen

Wenn man durch die Straßen Berlins geht, sieht man selbst im Winter immer mehr Menschen, die draußen übernachten müssen, weil sie keine Wohnung haben. Seit September 2013 versucht der Verein Berliner Obdachlosenhilfe e.V. diesen Menschen das Leben auf der Straße etwas erträglicher zu machen. An verschiedenen Plätzen in Berlin, an denen sich Obdachlose aufhalten, bieten ihnen die ehrenamtlich arbeitenden HelferInnen ein gesundes Essen, einen warmen Tee und saubere Kleidung an. Seit einigen Monaten gehört auch der Hansaplatz in Moabit zu diesen Orten. „Es kommen immer viele Menschen, die froh sind, sich zumindest einmal die Woche einmal satt zu Essen“, erzählt Falko Stein einer der Helfer gegenüber MieterEcho Online.

Doch ein Teil der BewohnerInnen rund um den Hansaplatz ist über dieses ehrenamtliche Engagement gar nicht erfreut. Sie werfen dem Verein vor, Wohnungslose anzulocken und damit den Kiez abzuwerten. Zum Sprachroher der KritikerInnen der Obdachlosenhilfe machte sich der SPD-Politiker Thomas Isenberg, der seinen Wahlkreis im Hansaviertel hat. Auf einer von ihm moderierten Veranstaltung „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“ am Dienstagabend machte Isenberg im Gymnasium Tiergarten mehrmals klar, dass der Hansaplatz in einem Jahr sauber sein soll und dazu sei er auch bereit, die Wohnungslosen von dort zu verdrängen.

Notfalls Anzeigen machen

Isenberg hatte Vertreter/innen der Polizei und des Ordnungsamtes sowie den Vorsitzenden des Bürgervereins Hansaviertel Matthias Rudolph  auf das Podium  eingeladen. Gleich am Beginn regte sich eine besorgte Bürgerin über „Osteuropäer“  auf, die bestimmt keine „syrische Flüchtlinge“ seien und vor dem  Eingang zu ihrem Abstellplatz für ihr Fahrrad sitzen würden. Andere störten sich daran, dass Obdachlose vor den Einkaufsmärkten stehen und auf Bänken rund um den Hansaplatz sitzen würden. Es war der anwesende Polizeikommissar Mario Kanisch, der entgegen den subjektiven Bedrohungsgefühlen einiger Anwesender klarstellte, dass die Kriminalität rund um den Hansaplatz zurückgegangen ist. Daher hätte das Verwaltungsgericht  entschieden, dass kein Kriminalitätsbelasteter Ort (KBO) ist, was die Rechte aller NutzerInnen am Platz stärkt und die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten reduziert. Das störte neben manchen Anwesenden auch Thomas Isenberg, der dazu aufrief, alles was stört zur Anzeige zu bringen, beispielsweise, wenn jemand auf einer Bank schläft oder in eine Hecke pinkelt. Doch die Hoffnung von Isenberg und einigen der Anwesenden mit vielen Anzeigen den Hansaplatz wieder zum kriminalitätsbelastenden Ort zu machen, dämpfte Polizeikommissar Kanisch, Das sei ein langes Prozedere und werde durch Gerichte entschieden. Isenberg ließ sich in einen seien Aktivismus allerdings nicht bremsen. So wolle er die Läden rund um den Hansaplatz anschreiben, damit sie den Wohnungslosen möglichst nichts verkaufen und ihnen keine Pfandflaschen mehr abnehmen. Lobend erwähnte er einen Dönerladen, der die Wohnungsläden nicht bediene. Heftig kritisiert wurde ein Spätkauf, der keinen Unterschied zwischen seinen Kund/innen macht und sich eigentlich nach den Maßstäben des Rechtsstaates vorbildlich verhält. Schließlich dürfte sich eine gezielte Nichtbedienung von Wohnungslosen wohl kaum mit den Antidiskriminierungsgrundsätze vereinbaren lassen. Doch davon ließen Isenberg und sein junger Mitarbeiter Marlon Bünck nicht beirren. Auf Einwände, dass eine Verdrängung der Obdachlosen das Problem nicht löst, entgegnete Bünck, dass sei Sozialromantik.  Wenn er redete, konnte man verstehen, warum ein Thilo Sarrazin die SPD noch als seine politische Heimat begreift. Isenberg und Bünk, der als Leiter der Projektgruppe Hansaviertel die Politik der Sauberkeit und Sicherheit umsetze sollen, haben mehrmals angekündigt, dass sie alle Schritte prüfen wollen, um der Berliner Obdachlosenhilfe die Ausgabe von Essen und Kleidung im Hansaviertel zu verbieten.

Man bekämpft die Armen nicht die Armut

Nur wenige BesucherInnen machten darauf aufmerksam, dass Obdachlose nicht verschwinden, wenn sie am Hansaplatz kein Essen mehr bekommen. Sie forderten sozialarbeiterische und gesundheitspolitische Maßnahmen, um die Obdachlosigkeit und nicht die Obdachlosen zu bekämpfen. Vage kündigte Isenberg an, damit werde sich eine weitere Veranstaltung im nächsten Jahr beschäftigen. Doch er ließ keinen Zweifel daran, dass zum 60ten Jubiläum des Weltkulturerbes Hansaviertel Arme dort keinen Platz haben.

MieterEcho online 16.12.3016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html

Peter Nowak

Der Artikel ist im Tagesspiegel hier verlinkt:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/hansaviertel-in-berlin-tiergarten-streit-um-essensausgabe-fuer-obdachlose/19240888.html

Grüne nehmen Artikel als Grundlage für große Anfrage:

http://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=7682

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
1. Große Anfrage Grüne vom 10.01.2017

Wir fragen das Bezirksamt:

Bezugnehmend auf http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html frage ich das Bezirksamt:

1. Haben Mitarbeiter des BA  an der im Artikel genannten Veranstaltung teilgenommen und welche Position des Bezirksamtes wurde dabei vertreten und gibt es hierzu eine Protokollnotiz oder einen Vermerk des betreffenden Mitarbeiters, die einsehbar ist?

2. Welche Position vertritt das Bezirksamt zu Bestrebungen, Obdachlose am Hansaplatz mit bedenklichen Methoden gezielt zu vertreiben?

3. Teilt das Bezirksamt das Ansinnen, Gewerbetreibende zur systematische n Nichtbedienung von Obdachlosen aufzufordern? Wenn nein, inwiefern gedenkt das Bezirksamt auf die Gewerbetreibenden zuzugehen mit dem Ziel, entsprechenden Aufforderungen Einzelner nicht nachzukommen?

4. Wie unterstützt das Bezirksamt die Arbeit der Berliner Obdachlosenhilfe?

5. Welche eigenen Anstrengungen unternimmt das Bezirksamt im Rahmen des Runden Tisches Hansaplatz, um Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum vor Ort diskriminierungsfrei zu regeln?


Artikel in Berliner Woche, der darauf Bezug nimmt:
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Nina Apin in der Taz vom 28.1.2017, S. 10:

Hier den Abschnitt in dem längeren text, der sich um Isenberg und den Hansaplatz dreht:
„Weil wir noch Joghurt brauchen, stieg ich erst mal am Hansaplatz aus. In dem modernistischen Hochhausquartier hat zwischen Läden und Imbissen der SPD-Abgeordnete Thomas Isenberg sein Wahlkreisbüro. Über Berlin-Mitte hinaus bekannt geworden ist der Gesundheitspolitiker dadurch, dass er Mitarbeitern einer Hilfsorganisation verbot, einmal die Woche auf dem Supermarktparkplatz warmes Essen an Obdachlose auszuteilen. Isenbergs Begründung: Die vielen Menschen, in der Mehrzahl aus Osteuropa stammende, die im angrenzen Tiergarten campieren, seien eine Belastung für Gewerbetreibende und AnwohnerInnen. Schon zuvor hatte der Sozialdemokrat unter dem Motto „Sicherheit und Sauberkeit am Hansaplatz“ zu einer AnwohnerInnenversammlung eingeladen. Der Tenor: Die Obdachlosen sollen da weg. Isenberg wollte Gewerbetreibende anschreiben und auffordern, den Obdachlosen keine Pfandflaschen mehr abzunehmen. Selbst die Polizei, die keinen Anlass sah, den Hanaplatz zum „gefährlichen Ort“ zu erklären, war da gelassener. Isenberg aber ist das anstehende 60. Jubiläum der Weltkultur erbe-Siedlung offenbar so wichtig, dass er eine Verdrängungspolitik befürwortet, die weder Anzahl noch Probleme der Obdachlosen vom Tiergarten vermindert. Zu Recht kriegt er dafür jetzt massiven Gegenwind.“

Aleppo: Warum gibt es in Deutschland kaum Erleichterung über ein Ende der Kämpfe…

… und die Niederlage der Islamisten? Das hat vielleicht weniger mit der Entwicklung in Syrien als mit der deutschen Geschichte zu tun

„Macht Euch keine Sorgen, bald werden keine Bilder aus Aleppo mehr kommen.“ Dieser Satz auf der Titelseite der Taz[1] über einem Bild von Menschen, die aus einem in diesen Tagen besonders umkämpften Stadtteil von Aleppo ins Nachbarviertel geflohen sind, soll Stimmung machen. „Mehr Macht für die UN-Vollversammlung“, forderte die Publizistin Kirsten Hilberg auf der gleichen Titelseite in einem Kommentar[2]:

Doch Aleppo ist mehr als eine Priorität Assads. Es symbolisiert das Ende einer Ära und sendet international ein fatales Signal. Ruanda, Srebrenica, Grosny – was „nie wieder“ geschehen sollte, wiederholt sich im Jahr 2016 in Echtzeit vor aller Augen und bestens dokumentiert. Der Massenmord in Syrien steht für das Versagen sämtlicher internationaler Institutionen und Mechanismen, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, um Kriege und Kriegsverbrechen zu verhindern. Vereinte Nationen, Internationaler Strafgerichtshof, Genfer Konvention? Lächerlich. Die Botschaft, die von Aleppo an die Machthaber dieser Welt ausgeht, lautet: Ihr könnt Zivilisten töten, so viele ihr wollt, solange ihr einen Freund im Weltsicherheitsrat habt. Aus dem moralischen Anspruch „Nie wieder!“ muss deshalb eine konkrete Anleitung zum Schutz von Zivilisten werden. Etwa so: Bei offensichtlichen Kriegsverbrechen würde man nicht mehr auf Einstimmigkeit im Weltsicherheitsrat warten, sondern die UN-Vollversammlung entscheiden lassen, was zu tun ist – zur Not auch militärisch.

Kristin Helberg

Bei diesen Argumentationslinien fühlt man sich an die 1990er Jahre zurückversetzt, als die einst pazifistischen Grünen kriegsfähig wurden. Wieder einmal geht es darum, einen „Massenmord“ zu verhindern. Nur etwas schlauer ist man in den letzten Jahren doch geworden. Ein neues Auschwitz, wie es damals Grüne herbei halluzinierten, will man in Aleppo nicht verhindern. Doch ansonsten sind alle Elemente vorhanden, um die Schwelle zur Kriegsfähigkeit weiter zu senken.

Dabei wird im Fall Aleppo oft mit Zitaten aus sozialen Netzwerken gearbeitet, die mehr auf das Gefühl als auf Analyse setzen. Das wird bei dem eingangs angeführten Zitat besonders deutlich. Es sagt erst einmal nur aus, dass sich Menschen im Kriegsgebiet nichts Sehnlicheres wünschen, als ein Ende der Kämpfe.

Das ist auch die Version der Journalistin Karin Leukefeld, eine der wenigen Pressevertreter, die bis zum Schluss in Syrien akkreditiert waren. Ihr wird aber sicherlich nicht zu Unrecht, eine gewisse politische Nähe zum Baathismus nachgesagt. Doch durch ihre Recherchen vor Ort gelang es ihr, ein Bild der syrischen Gesellschaft zu zeigen, dass sich den Gut-Böse-Einteilungen entzieht, die gerade in der letzten Zeit in den großen Teilen der Medien in Deutschland Konjunktur haben.

Daher sollte man bei allen Vorbehalten gegenüber Leukefelds recht unkritischer Haltung zur syrischen Regierung, ihre Schlussfolgerung, dass viele Einwohner Aleppos, unabhängig von ihrer Haltung zum Regime über ein Ende der Kämpfe froh sind, nicht vorschnell als einseitig abtun.

„Ob man für oder gegen die Regierung ist, spielt für viele Menschen in Aleppo schon lange keine Rolle mehr. Sie wollen vor allem den Kämpfen entkommen. Insofern gibt es im Gebiet unter Kontrolle der Regierung durchaus Personen, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, die aber noch viel weniger damit einverstanden sind, dass die Opposition sich von bewaffneten Gruppen unterstützen lässt“, so Leukefelds Einschätzung[3] der Situation in Aleppo.

Sie weist auch darauf hin, dass in Aleppo nicht eine wehrlose Zivilbevölkerung einem hochgerüsteten Regime gegenüberstand. Es gab bewaffnete islamistische Formationen, die gegen die Regierungstruppen gekämpft haben, und so gab es auch in allen Teilen Aleppos, in den Bereichen, die von der Regierung gehalten wurden, ebenso von den von der bewaffneten Opposition beherrschten Regionen, Verwüstung und Tod. Und dann gab es noch in den von der Opposition beherrschten Teilen Aleppos den islamistischen Terror, der merkwürdigerweise von vielen Kommentatoren der Ereignisse gar nicht erwähnt wird.

„Man darf nicht vergessen, dass Menschen auf der Straße hingerichtet wurden, dass die Frauen sich tief verschleiern mussten“, so Leukefeld. Man sollte auch nicht vergessen, dass viele Aktivisten der demokratischen Opposition, die einst gegen das Baath-Regime rebellierten, Opfer dieser Islamisten wurden. Doch nachdem Russland in den Konflikt eingriff und auch noch Erfolge zu verzeichnen hatte, schienen sich für manche diese Islamisten in Luft aufgelöst zu haben.

Zu den eifrigsten Leugnern des Islamismus in Syrien gehörte Bente Scheller[4], die das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut[5] leitet und vorher in Afghanistan war. Haben einst die Marketenderinnen die Kriegsplätze des Mittelalters abgegrast, so übernehmen diese Rolle heute Mitarbeiter von bestimmten Institutionen.

In einem Taz-Beitrag stellt sie die steile These auf, dass Assad mit Hilfe Russlands einen Massenmord verübt[6]. Besonders abstrus ist der Vorwurf an die Friedensbewegung, weitgehend tatenlos zuzusehen. Denn unabhängig davon, was man von deren Positionierung hält, ist die Friedensbewegung in Deutschland doch weitgehend marginalisiert und hat nun wirklich keinen Einfluss auf das was in Syrien passiert oder nicht passiert. Doch Scheller geht es um etwas Anderes. Sie will den Krieg in Syrien nicht beenden sondern verlängern:

An die Stelle einer Verantwortungsmoral ist die Gesinnungsmoral getreten. Lieber bleibt man seinem schlichten Weltverständnis treu, nachdem westliche Waffen keinen Frieden schaffen, als sich damit auseinanderzusetzen, dass nicht jeder Konflikt sich lösen lässt, ohne militärische Optionen auch nur zu erwägen. Das syrische Regime hat an keiner Stelle Konzessionen gemacht. Es nutzt das internationale Feigenblatt der Verhandlungen, um in seinem Schatten eine gnadenlose Militäroffensive gegen die eigene Bevölkerung zu vollstrecken – etwas, das gerade Pazifisten umtreiben sollte.

Bente Scheller

In ihrem Artikel ist von den verschiedenen islamistischen Banden, die in vielen Gebieten die Opposition vertrieben haben, nicht ein einziges Mal die Rede. Dafür wird viel Verständnis für die bewaffnete Opposition und nicht einmal verbal eine Distanz zu deren radikalislamistischen Fraktionen geäußert. Die Zitate aus sozialen Netzwerken, mit denen die Menschen, die in den Kampfgebieten wohnten, ihre Ohnmacht und Verzweiflung äußerten, werden instrumentalisiert.

Es wird nicht einmal die Überlegung angestellt, ob die Menschen nicht vor allem ein Ende der Kämpfe wollten. So könnte der Sieg der Regierung und ihrer Unterstützer tatsächlich auch für die Gegner des Regimes eine gute Nachricht sein. Jetzt können sie wieder Kraft schöpfen und sich auf den Widerstand gegen Assad konzentrierten, was in der Zeit viel schwieriger war, als die Bewaffneten die Szene beherrschten.

Warum gibt es in den Tagen, in denen in Aleppo vielleicht diese Bilder tatsächlich niemand mehr zu sehen bekommt, weil der Krieg vorerst zumindest dort beendet und die Islamisten vertrieben sind, kaum irgendwo eine Stimme, die darin eine Chance für die leidgeprüfte Bevölkerung sieht. Warum wird jetzt sogar in vielen Medien davor gewarnt, dass der künftige US-Präsident Trump in der Syrienfrage die Kooperation mit Russland sucht?

Die Erklärung sollte weniger in Syrien als in der deutschen Geschichte gesucht werden. Die fast durchweg negative Berichterstattung über die russische Intervention in Syrien noch verschärft durch einen möglichen Beistands Trumps wirkt wohl für manche in Deutschland so, als würde noch einmal eine Anti-Hitler-Koalition entstehen. Dieses Mal aber gegen den Islamismus, der in manchen Aspekten durchaus faschistische Züge hatte.

Der Begriff des Islamfaschismus kann durchaus auf einige der Formationen angewandt werden, die auch in Syrien ihr Unwesen trieben. Wenn jetzt in den deutschen Medien gar keine Erleichterung aufkommt, dass in der zweitgrößten Stadt Syriens diese Kräfte besiegt sind und die Bevölkerung jetzt zumindest keine Angst vor den Bomben und den Islamfaschisten mehr haben muss, könnte das durchaus daran liegen, dass im unterbewussten kollektiven Gedächtnis manche an Berlin 1945 dachten.

Für die meisten Deutschen waren die Soldaten der Roten Armee auch nur „die Russen“, und damals waren sie mit den USA verbündet. Man stelle sich nur vor, Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge[7] hätte aus ihrem toten Winkel[8] in der Reichskanzlei die Möglichkeit gehabt, die sozialen Netzwerke über die Situation im Berlin in den letzten Wochen vor dem Ende des NS zu füttern. Man hätte genügend Zitate über tote Kinder, über zerbombte Häuser, über Hunger und Not finden können und man hätte damit das sogenannte Gewissen der Welt überzeugen können, doch abzulassen von der Forderung der bedingungslosen Kapitulation des NS.

Diese Vorstellung war in Deutschland weit verbreitet und deswegen hat sich auch ein Großteil der Bevölkerung nicht befreit, sondern von fremden Truppen erobert gesehen. Kann nicht hier ein Grund liegen, dass so viele gar kein gutes Wort über den Sieg über die Islamisten in Aleppo finden können?

In den 1980er Jahren haben Publizisten wie Eike Geisel[9] und Wolfgang Pohrt[10] die Befindlichkeiten der damaligen deutschen Friedensbewegung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands abgeglichen[11]. Es wäre heute an der Zeit in ähnlicher Weise die aktuellen Befindlichkeiten deutscher Medien und Politiker im Syrienkonflikt zu hinterfragen. Sieht man nicht heute in den Russen und den fremden Truppen, die in Syrien die Islamisten besiegt haben, die Wiedergänger der Alliierten, die in Berlin für Deutschlands bedingungslose Kapitulation durchsetzten?

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.taz.de/Katastrophale-Lage-in-Aleppo/!5362452/
[2] https://www.taz.de/Kommentar-Kaempfe-um-Aleppo/!5362341/
[3] http://www.n-tv.de/politik/Die-Syrer-wollen-ein-Ende-der-Kaempfe-article19323121.html
[4] https://www.boell.de/de/person/bente-scheller
[5] https://www.boell.de/de/navigation/naher-mittlerer-osten-5293.html
[6] https://www.boell.de/de/2016/12/12/beim-sterben-wegsehen
[7] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=12218257X
[8] http://www.imdb.com/title/tt0311320
[9] http://www.hagalil.com/archiv/98/06/geisel.htm
[10] https://www.perlentaucher.de/autor/wolfgang-pohrt.html
[11] http://www.zeit.de/1981/45/ein-volk-ein-reich-ein-frieden