Unter_bau

Eine neue Gewerkschaft für eine neue Hochschule
Interview mit Pressesprechern

Unter_bau nennt sich eine neue Basisgewerkschaft im Hochschulbereich, die sich im April an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gegründet hat. Peter Nowak sprach mit den Pressesprechern Anna Yeliz Schentke und Manuel Müller.

Was sind eure konkreten Forderungen?
Unser Ziel ist eine soziale Hochschule in basisdemokratischer Selbstverwaltung: Ihre Angehörigen sollen gleichberechtigt entscheiden und ihr Profil nicht von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sein. Ein solches Ziel erfordert eine Gewerkschaftspolitik, die Tageskampf und grundlegende Veränderung zusammendenkt.

Wie wollt ihr das in der wirtschaftsliberal ausgerichteten Hochschullandschaft umsetzen?
Grundsätzlich geht es darum, Einfluss auf Alltag und Struktur der Hochschule zu nehmen, sowie kontinuierlich Erfahrungen aus Arbeitskämpfen weiterzugeben. Dadurch soll eine Gegenmacht entstehen, mit der sich die Herrschaftsstrukturen an der Hochschule aufbrechen lassen, sodass alternative Strukturen Raum greifen können. Arbeitsbedingungen werden prekarisiert und Stellen abgebaut, Arbeiten outgesourct und Belegschaften gespalten, der Zwang im Studium erhöht und kritische Inhalte verdrängt, die soziale Selektion verschärft und Bildung der Verwaltung von Humankapital unterworfen.

Aus diesen Zuständen ergeben sich für uns unter anderem folgende konkrete Forderungen: Wiedereingliederung von outgesourcten Arbeitsplätzen, Tarifverträge für alle Beschäftigtengruppen, mehr Raum für kritische Studieninhalte, die nicht nach rein ökonomischen Interessen ausgerichtet sind. Dazu gehören auch Forderungen nach mehr unbefristeten Stellen, insbesondere im Mittelbau, und nach einer ausreichenden Finanzierung aller Fächer. Dies lässt sich nur verwirklichen, indem wir die Probleme an der Wurzel packen und die Hochschule zu einer grundlegenden Veränderung ihrer Struktur drängen. Dies soll Antrieb und Anfangspunkt für eine gesamtgesellschaftliche Transformation sein.

Kann sich auch eine Putzfrau oder Mensabeschäftigte bei euch organisieren?
Der Unter_bau ist für alle Statusgruppen, die an der Universität beschäftigt sind, sowie für Studierende offen. Die Universität unterscheidet sich von ihrer Struktur her stark von anderen Arbeitgebern, sie beschäftigt die Arbeitnehmer auf sehr unterschiedliche Weise. Viele Bereiche, wie zum Beispiel der Reinigungssektor oder das Sicherheitspersonal, werden zu weiten Teilen von externen Dienstleistern abgedeckt. Häufig sind die Angestellten höchst prekären Beschäftigungsverhältnissen ausgesetzt.

Studierende, Hilfskräfte, wissenschaftliches Personal und administrativ-technisches Personal arbeiten alle gemeinsam an der Universität. Es ist für alle Gruppen von Beschäftigten offensichtlich, dass nicht nur am eigenen Arbeitsplatz zunehmend Ausbeutungsverhältnisse gefördert werden. Daraus ergeben sich gemeinsame Themenfelder für den Arbeitskampf, die bisher nicht ausgeschöpft wurden. Alle Statusgruppen leiden schlussendlich unter der Ökonomisierung der Hochschule, die sowohl in der Mensa, als auch in Wissenschaft und Lehre ihr Hauptaugenmerk auf Effizienz richtet und dadurch den Bedürfnissen der Menschen an der Universität widerspricht. Eine Trennung von akademischem und nichtakademischem Personal und die damit einhergehende Hierarchisierung lehnt der Unter_bau ab.

Warum organisiert ihr euch nicht bei der GEW oder der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di?
Der Unter_bau unterscheidet sich von seiner Struktur her stark von anderen Gewerkschaften, da ihm ein föderales Konzept zugrunde liegt. Entscheidungen werden basisdemokratisch getroffen, mögliche Funktionärsstrukturen werden durch dieses Konzept ausgeschlossen. Es ist wichtig, dass es sowohl GEW, als auch Ver.di gibt, um Arbeitskämpfe zu führen, allerdings ist das Selbstverständnis des Unter_bau insofern weitreichender, als dass es politisch ist. Es geht über einfache Lohnpolitik hinaus, zu seinem Programm gehört die Einmischung in die Gestaltung der sozialen Umwelt. Ziel ist eine Transformation der Universität, die nur durch ein Infragestellen der bestehenden Machtstrukturen umsetzbar wird. Der Unter_bau will den Angehörigen der Universität die Möglichkeit bieten, sich durch statusgruppenübergreifende Solidarität aktiv und orientiert an den eigenen Interessen und Forderungen einzusetzen. Sie müssen sich nicht schon bestehenden gewerkschaftlichen Strukturen unterordnen, sondern gelangen in die Position, selber eine neue Form von Arbeitskampf führen zu können.

Droht durch eure Initiative nicht eine Zersplitterung gewerkschaftlicher Aktivitäten?
Die Gründung des Unter_bau sollte unter keinen Umständen als Spaltungsmoment für die Gewerkschaftslandschaft betrachtet werden: Wir machen lediglich Gebrauch von dem Recht auf Gewerkschaftspluralismus und Koalitionsfreiheit, wie es allen Arbeitnehmern gesetzlich zusteht. Von der Analyse und der Programmatik des Unter_bau ausgehend, kann die Organisierung am Arbeitsplatz durch verschiedene Gewerkschaften, die kollegial und solidarisch miteinander arbeiten, nur begünstigt werden. Dies sollte unserer Meinung nach auch das Verständnis von gewerkschaftlicher Arbeit anderer Genossinnen und Genossen sein, um gemeinsam grundlegende Veränderungen am Arbeitsplatz zu ermöglichen. Die Gründung des Unter_bau sollte daraus folgend keinesfalls als Zersplitterung aufgefasst werden. Sie aktiviert Beschäftigte, die sich durch die vorhandenen Organisierungsangebote nicht angesprochen fühlen.

http://unterbau.org

http://www.sozonline.de/2016/06/unter_bau/

Interview: Peter Nowak

Torte auf Sahra Wagenknecht …

…hier übt die junge SPD

Eigentlich kann sich die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Sahra Wagenknecht[1] bei der antifaschistischen Initiative „Torten für Menschenfeinde“ bedanken. Schließlich war Wagenknecht auch parteiintern heftig kritisiert worden, weil sie bei straffälligen Flüchtlingen das Gastrecht verwirkt sah und Obergrenzen für Geflüchtete vorschlug. Damit befindet sie sich im Widerspruch zum gegenwärtigen Parteiprogramm der Linken.

In einem Antrag[2] zum Parteitag gegen das „Obergrenzen-Gerede“ wurde Wagenknecht sogar indirekt der Rücktritt nahegelegt.

Nach dem Tortenangriff auf Wagenknecht haben solche Initiativen keine Chancen mehr. Selbst parteiinterne Kritiker wie die Co-Vorsitzende Katja Kipping stellen sich nun demonstrativ hinter Wagenknecht. Dabei wurde der Tortenangriff – der auch von Linkspartei durchaus als lustig empfunden wird, wenn der politische Gegner betroffen ist – zur Gewalt hochstilisiert und die Phrasenmaschine lief auf Hochtouren. „Das war nicht nur ein Angriff auf Sahra, das war ein Angriff auf uns alle“, erklärte Kipping und erntete großen Applaus. Wagenknechts Kompagnon im Fraktionsvorstand verstieg sich zur Aussage, dass der Tortenangriff hinterhältig und asozial gewesen sei.

Nun hat die Initiative „Torten für Menschenfeinde“ in einem Schreiben[3], in dem sie die Aktion begründete, verdeutlich, dass sie keine Freunde der Linkspartei sind. Dort wird Wagenknecht als Gallionsfigur für all das bezeichnet, „was die Linkspartei für uns unerträglich macht“.

Dass sie Gespräche mit Pegidagagängern nicht ausschließt, wird ihr dort ebenso angekreidet, wie die Worte ihres Ehemanns Oskar Lafontaine aus den19 90er Jahren, als der von Fremdarbeitern in Deutschland schwadronierte.

Nun muss sich eine emanzipatorische Initiative schon fragen, ob sich eine Ehefrau für die Worte und Taten ihres Ehemannes mit verantworten muss. Auch eine Passage in Wagenknechts neustem Buch[4] wird in dem Schreiben angeführt, in dem sie Unterschiede und Kultur und Sprache als Kriterien dafür einführt, dass eine Einheit nicht funktioniert.

Hier werden tatsächlich Ideologeme verbreitet, die nicht weit von völkischen Vorstellungen sind. Schließlich wird hier negiert, dass es schon immer unterschiedliche Kulturen und Sprachen gab und erst der Nationalismus durch Ein- und Ausgrenzung für die Homogenität sorgte, die auch Wagenknecht anscheinend als erstrebenswert bezeichnet.

Wagenknecht gleich Beatrice von Storch?

Ein Schwachpunkt in der Erklärung aber ist der durchgehende Versuch, Wagenknecht wegen solcher Positionen in die Nähe der AfD und deren Spitzenpolitikern Beatrice von Storch zu rücken. Gleich am Beginn heißt es, dass die beiden nicht nur eine, dass jede von linken Kritikern eine Torte ins Gesicht bekam. Vielmehr wird beiden Politikern vorgeworfen, den „Volkszorn in politische Forderungen zu übersetzen“.

Dabei wird ausgeblendet, dass man Wagenknecht viel eher vorwerfen könnte, dass ihre Positionen nahe an SPD, Grünen und auch der Union liegen, die schließlich seit Jahrzehnten permanent das Asylrecht und die Situation für Geflüchtete verschärft haben. Die Linkspartei hat mit Einschluss von Wagenknecht gegen diese Verschärfungen gestimmt. Es ist aber eine auffallende Leerstelle in dem Text, dass jede Kritik an der Flüchtlingspolitik dieser Parteien fehlt und daher so getan wird, als gebe es nur Linkspartei und AfD.

Die Unfähigkeit einer außerparlamentarischen Linken, Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft zu formulieren, ohne die AfD immer gleich zum absolut Bösen aufzubauen, ist kein Zufall. Dahinter steht die Vorstellung, dass Antifaschismus der einzige Bezugspunkt linker Politik ist. Ein solches Politikverständnis landet letztlich doch wieder bei aller linken Rhetorik bei SPD und Grünen als kleineres Übel.

Wenn der SPD-Vize Ralf Stegner Wagenknecht erst kürzlich in einen Interview[5] bescheinigte, in „manchen Positionen näher bei der AfD-Vorsitzenden Petry als bei der SPD“ zu stehen, muss man sich schon fragen, ob die Menschenfreunde nicht in einigen Jahren ihren Platz in der Sozialdemokratie oder bei den Grünen gefunden haben, die sie heute schon nicht kritisieren können oder wollen.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48368/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.sahra-wagenknecht.de/

[2]

https://emanzipatorischelinke.files.wordpress.com/2016/04/fort-mit-dem-damoklesschwert-der-ausweisung1.pdf

[3]

https://twitter.com/thodenk/status/736496851206189056

[4]

http://www.sahra-wagenknecht.de

[5]

http://www.deutschlandfunk.de/stegner-spd-ampel-koalition-besser-als-rot-rot-gruen.447.de.html?drn:news_id=618242

„Ich hätte nicht hier sein sollen“

Der Film „A War“ ist ohne einen explizit politischen Anspruch eine einzige Anklage gegen die modernen Zivilisationskriege, weil er deren Lügen aufdeckt

Die gestresste Mutter im komfortablen Reihenhaus kümmert sich rund um die Uhr um ihre drei Kinder. Doch dann passiert es doch. Während sie den Älteren beim Einschlafen hilft, schluckt das Jüngere einige Tabletten. Sofort wird es mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht. Nachdem der Magen ausgepumpt wurde, wird festgestellt, dass die Prozedur medizinisch nicht nötig war. Aber im Zweifel für die Sicherheit, lautet die Devise im dänischen Kleinbürgeridyll.

Wenn am Abend, kurz bevor die Kinder einschlafen, das Telefon klingelt, wissen alle Familienmitglieder, dass es der Ehemann und Vater ist. Dann hat er einige ruhige Minuten, um zumindest telefonisch mit seiner Familie in Kontakt zu sein. Doch Carl Michal Pedersen ist kein schwer beschäftigter Manager, der seine Zeit bis tief in die Nacht im Büro verbringt und daher seine Familie nicht sehen kann. Die Hauptfigur des preisgekrönten Films „A War“[1] ist Kommandeur des dänischen Militärkontingents in Afghanistan. Die ist in einen Gebiet stationiert, in dem die Taliban ihr Unwesen treiben.

Der Film lebt vom Widerspruch zwischen diesen beiden Welten: der dänischen Kleinbürgeridylle, wo die größte Sorge darin besteht, dass sich der Sohn in der Schule prügelt, und der Alltagssituation des Ehemannes, der an einem Militärengagement teilnimmt, das keine Probleme löst, sondern neue schafft, zumindest für die afghanischen Bewohner.

Wenn die Bevölkerung zu Tode geschützt wird

Das wird in vielen Szenen deutlich. Zunächst werden die Soldaten, die an ihrem Einsatz zu zweifeln beginnen, weil sie merken, dass sie dabei auch umkommen können, auch von Pedersen mit den üblichen Propagandafloskeln motiviert. „Wir sind hier, um die Menschenrechte und die Zivilisation der afghanischen Bevölkerung zu verteidigen.“ Nur hat man jeder Begegnung zwischen dieser Bevölkerung und den Soldaten den Eindruck, hier begegnen sich Kolonialherren und Kolonisierte.

Eine besonders eindringliche Szene ist die Durchsuchung eines Fahrzeugs, in dem drei Passanten sitzen, darunter ein älterer Mann. Sie werden rüde aus dem Wagen gezerrt, geduzt, beleidigt, gedemütigt. Sie müssen sich auf den Boden legen, dem Mann wird das Handy entrissen. Als sich herausstellt, dass es sich um ungefährliche Zivilisten handelt, werden sie ohne Erklärung und Entschuldigung aufgefordert, schnell zu verschwinden.

Besonders verhängnisvoll ist die Kolonialherrenperspektive für eine afghanische Familie, die mit den Soldaten kooperiert. Damit gilt sie den Taliban als Todfeinde und die meinen es ernst. Als die Familie nach den Drohungen in das Militärlager flieht und um Asyl bittet, wird sie von Pedersen rüde zurückgeschickt. Auch der schüchterne Einwand einer Soldatin, dass doch für die Familie genug Platz wäre, wird zurückgewiesen. Der Kommandant pocht auf die Vorschriften, und die sehen nun mal nicht vor, dass afghanische Bauern auch nur für eine Nacht dort verbringen können, wo die europäischen Zivilisationsbringer leben.

Als die Soldaten am nächsten Tag zum Bauernhof kommen, haben die Taliban die Familie grausam ermordet. Zudem wurden sie in eine Falle gelockt und die Islamfaschisten beginnen einen Angriff, bei dem abermals ein dänischer Soldat schwer verwundet wird. Daraufhin befiehlt Pedersen die Unterstützung durch die Luftwaffe, die, wie sich später herausstellt, ein Gebäude bombardiert, wobei zahlreiche Zivilisten ums Leben kommen.

Ihr Tod ist im Film nicht zu sehen. Die Zuschauer erfahren erst davon, als die Militärpolizei Ermittlungen aufnimmt, weil Pedersen einige Regeln zum Einsatz der Luftwaffe verletzt hatte. Er hatte versäumt, sich bestätigen zu lassen, dass es sich um ein militärisches Ziel handelt. Kurz sehen wir den Kommandanten zweifeln, aber bevor er vielleicht sogar die Konsequenzen zieht und seinen Fehler bekennt, wird er von seinen Kameraden und seiner Frau bearbeitet. Er solle einfach lügen und vor Gericht aussagen, er habe die die Bestätigung gehabt, könne sich nur nicht mehr erinnern, von wem.

Großer Schlachter rettet Pedersen

Dann kommt der Gerichtsprozess mit einer Staatsanwältin, die ihren Job ernst nimmt und die Aussage des Kommandanten als die Lüge erkennt, die sie auch war. Sie holt sämtliche in Frage kommenden Soldaten in den Zeugenstand und fragt sie, ob sie die Urheber der Bestätigung sind.

Zunächst verneinen alle, doch am Ende findet sich ein Soldat, um Pedersen mit einer Lüge vor einer Haftstrafe zu bewahren. Er trägt bezeichnenderweise den Spitznamen Schlachter. „Großer Schlachter, kleiner Schlachter“, sagt er lächelnd vor Gericht. Weiter will er sich nicht äußern. Mit seiner Aussage hat die Staatsanwaltschaft ihren Trumpf verloren. Sie zweifelt weiterhin den Wahrheitsgehalt an, hat aber bei so viel Korpsgeist keine Chance. Der Freispruch in allen Punkten wird von der versammelten Einheit gebührend gefeiert. Auch Pedersen stimmt in das Lachen und den Jubel ein.

Die afghanischen Opfer sieht man nicht

Dabei bekamen die afghanischen Opfer erst vor Gericht ein Gesicht. Es wurden Fotos gezeigt, die dokumentieren, wie es in dem bombardierten Gebäude aussah. Man sah entstellte Gesichter, aufgeplatzte Gedärme, Arme und Beine ohne Körper. Pedersen und seine Kompanie guckten gequält. Doch als der Kommandant die Möglichkeit hatte, ein letztes Wort vor der Urteilsverkündung zu sprechen, verzichtete er. Er hatte wohl kein Bedürfnis, sich zumindest persönlich, unabhängig vom juristischen Ausgang, bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen.

Aber der Freispruch entlockte ihm doch Gefühle, wie sich in der letzten Szene zeigte. So zeigt der Film mit seiner fiktiven Handlung sehr viel über den Charakter des Militärs und der Menschenrechtseinsätze in Afghanistan und anderswo. Jede Szene zeigt das Gefälle zwischen erster und dritter Welt. Wenn seine Kameraden vor Gericht Pedersen bescheinigen, er sei ein guter Soldat gewesen, weil er sich von der Devise leiten ließ, dass er keinen Kameraden zurück lässt, so ist das sehr entlarvend. Das Leben eines dänischen Soldaten zählt eben mehr als das von afghanischen Zivilisten.

Der ständige Wechsel zwischen dem dänischen Kleinfamilienidyll und dem afghanischen Alltag zeigt viel darüber, wie unvernünftig die Welt heute eingerichtet ist. Für die rundum versorgten dänischen Kinder ist jede kleine Prellung ein Ereignis. Die Opfer der Bomben der Zivilisationsbringer sieht man nur für einige Sekunden. Sei bleiben namenlos wie die Opfer von Oberst Klein in Kunduz und die Toten vieler anderer Kollateralschäden.

Wenn dann wieder ins dänische Reihenhaus gewechselt wird, fallen einem die Bilder der US-Künstlerin Martha Rosler[2] ein. In der Serie Bringing The War home[3] entwirft sie ähnlich komfortable Reihenhäuser und Idyllen und projiziert[4] Bilder von Kriegen, von Bränden und Versehrten darauf.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48172/1.html

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48172/1.html

Anhang

Links

[0]

http://www.dfi.dk/faktaomfilm/film/da/90953.aspx%3Fid%3D90953

[1]

http://www.imdb.com/title/tt3830162/

[2]

http://www.martharosler.net/

[3]

http://www.martharosler.net/reviews/cottingham.html

[4]

http://www.martharosler.net/photo/war2/war1.html

Erinnerung an ein Stück Computersozialismus

In Chile wurde unter dem sozialistischen Präsidenten Salvador Allende versucht, eine computergesteuerte Planwirtschaft umzusetzen. Im Roman «Gegen die Zeit» von Sascha Reh stehen die MitarbeiterInnen dieses Projekts im Mittelpunkt.

Langsam verblasst die Erinnerung an die knapp dreijährige Regierungszeit der Unidad Popular unter Präsident Salvador Allende in Chile. Im Herbst 1970 wurde der linke Präsident ins Amt gewählt und im Anschluss immer heftiger von der chilenischen Konterrevolution
und ihren Verbündeten in den USA, aber auch in lateinamerikanischen Nachbarstaaten attackiert.

„Erinnerung an ein Stück Computersozialismus“ weiterlesen

Das Proletariat wird transnational

Neue Publikationen beschäftigen sich mit linken Betriebsinterventionen in Europa infolge des Aufbruchs von 1968. Die länderübergreifende Solidarität in Arbeitskämpfen war damals programmatisch.

»Mit seinem Ketzerbuch ›Abschied vom Proletariat‹ ist er nun überraschend aus der St.-Marx-Kirche ausgetreten«, spottete der Spiegel 1981 über den linken französischen Soziologen André Gorz. Das Buch wurde damals vor allem bei der vom Aufbruch von 1968 geprägten Linken zum Bestseller und sein Titel zum Programm. Denn nun konnte manch altgedienter Maoist auch theoretisch begründen, warum sein Bemühen, die Fabrikarbeiter für die Revolution zu gewinnen, keinen Erfolg gehabt hatte. Von Gorz ist vielen heute nur »Abschied vom Proletariat« bekannt. Die Bücher, in denen er Brücken zwischen der alten Arbeiterbewegung und dem Aufbruch der Neuen Linken nach 1968 schlagen wollte, sind hingegen fast vergessen. Sie trugen ebenso programmatische Titel wie »Die Aktualität der Revolution« und »Zur Strategie der Arbeiterbewegung im Neokapitalismus«.

Klassenkampf überall. Eine Demonstration der Gruppe »Lotta Continua« in Mailand, Anfang der siebziger Jahre

Klassenkampf überall. Eine Demonstration der Gruppe »Lotta Continua« in Mailand, Anfang der siebziger Jahre (Foto: www.lalottacontinua.it)

Es könnte sein, dass die heute nur noch antiquarisch erhältlichen Bücher bald wieder stärkere Beachtung finden. In den vergangenen Jahren haben jüngere Historiker den lange vergessenen dissidenten Strömungen der Arbeiterbewegung Aufmerksamkeit gewidmet. Diese hatten in der Forschung zuvor höchstens in den Fußnoten Erwähnung gefunden. Konzentrierte sich die Forschung auf die großen Arbeiterparteien und Gewerkschaften, widmet man sich jetzt der Rätebewegung und untersucht die zahlreichen Gruppen, die sich weder der Sozialdemokratie noch dem Parteikommunismus zurechneten.

Kürzlich ist die erste Ausgabe der Zeitschrift für historische Studien „Arbeit Bewegung Geschichte“ mit dem Schwerpunktthema »Linke Betriebsintervention, wilde Streiks und operaistische Politik 1968 bis 1988« im Metropol-Verlag erschienen. Die Zeitschrift ist aus dem »Jahrbuch für Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung«, das seine Wurzeln in der DDR hatte, hervorgegangen. Vor allem der transnationale Charakter der Betriebsinterventionen sei in der historischen Forschung bisher kaum beachtet worden, schreibt der Berliner Historiker Dietmar Lange von der Redaktion von „Arbeit Bewegung Geschichte„. Dabei habe es vor allem nach 1969 einen regen Austausch unter den linken Gruppen diverser europäischer Länder gegeben.

Neben dem Pariser Mai sei der heiße Herbst 1969 in Italien ein wichtiges Schlüsseldatum gewesen.Damit ist ein Zyklus von Kämpfen und Streiks gemeint, die ganz Italien erfasst hatten. Diese Auseinandersetzung wurde von Linken in Europa mit besonderem Interesse wahrgenommen, weil in Italien für einige Monate Realität wurde, was sich viele von ihnen in anderen Ländern vergeblich erhofften: Ein relevanter Teil der Lohnabhängigen beteiligte sich mit militanten Demonstrationen, Streiks und Fabrikbesetzungen an den gesellschaftlichen Kämpfen. Bereits 1969 kam es zu ersten Vernetzungstreffen linker Gruppen, Gewerkschaften und Solidaritätsinitiativen aus verschiedenen Ländern. Dabei wurden Fragen diskutiert, die erstaunlich aktuell scheinen. »Forciert wurde die Kontaktaufnahme nicht nur durch die geographische Nähe, sondern durch die zu dieser Zeit wachsenden Herausforderungen, wie die wachsende Kapitalverflechtung, die zunehmende Migration von Arbeitskräften und die zunehmende Integration im Rahmen des gemeinsamen europäischen Marktes«, schreibt Dietmar Lange. Er hat bei seinen Forschungen in italienischen Archiven einige bisher weitgehend unbekannte Quellen über diese transnationale Vernetzung erschlossen.

Das erste Treffen fand in Rom statt. Daran beteiligten sich Vertreter linkssozialistischer Gruppen und Parteien, die seit 1968 entstanden waren und sich weder dem Traditionskommunismus noch der Sozialdemokratie zuordnen wollten. Auch die beiden in Italien zeitweise einflussreichen linken Gruppen Lotta Continua und Autonomia Operaia, die sich auf unterschiedliche Fraktionen der dissidenten Linken bezogen, suchten und festigten ihre internationalen Kontakte. 1971 war in Zürich ein Koordinationsbüro eröffnet worden, das sich dem Aufbau einer länderübergreifenden Solidarität mit streikenden Betrieben widmen sollte. Zu der wichtigsten Aktivität dieses Büros gehörte eine im April 1973 in Paris veranstaltete Konferenz zur Situation in der europäischen Automobilindustrie. Dort war es zu spontanen Streiks gekommen. Als Protagonist der Kämpfe wurde auf der Konferenz der »multinationale Massenarbeiter« ausgemacht. Damit waren vor allem an- und ungelernte Beschäftigte an den großen Montagebändern gemeint, die oft aus andere Landesteilen oder Ländern zugewandert waren. So spielten in den italienischen Fabrikkämpfen ungelernte Beschäftige aus Süditalien eine zentrale Rolle.

Über die Pariser Konferenz sind viele Details bekannt, weil Lange in den Archiven einen verschollen geglaubten Bericht gefunden und übersetzt hat. Demnach haben sich Automobilarbeiter aus Frankreich, Großbritannien, Italien und der Schweiz an der Konferenz beteiligt. Aus Deutschland waren Beschäftigte der Kölner Ford-Werke, von VW aus Rüsselsheim, Volkswagen aus Hannover und BMW aus München beteiligt. Die Teilnehmer widerlegten die in den bürgerlichen Medien verbreitete These, dass die »italienische Krankheit«, wie die Zunahme der Kämpfe in Italien von Politik und Wirtschaft genannt wurde, nicht auch für andere Länder Bedeutung erlangen könnte. So hätten sich Sabotage und Absentismus, wie das Verlassen des Arbeitsplatzes genannt wurde, auch bei VW-Hannover und bei BMW-München verbreitet.

Doch es wurde auch offen über die Schwierigkeiten und Probleme gesprochen, die einer schnellen Ausbreitung der Arbeitskämpfe in ganz Europa im Wege standen. »Es gibt zu viele Schutzvorrichtungen, politische Stauräume, Ventile zum Dampfablassen, die das Gesamtkapital mit allen seinen produktiven und institutionellen Gliederungen in Bewegung setzen kann«, lautete die Einschätzung in dem Protokoll. »Unter diesen Voraussetzungen kann eine internationale Vereinheitlichung des Arbeiterverhaltens nur in dem Tempo und nach dem Interesse der Bosse vonstatten gehen«, so das wenig optimistische Fazit. Das war für die Konferenzteilnehmer gleichzeitig ein Plädoyer für den Aufbau einer einheitlichen kommunistischen Organisation, die sie Gesamtprojekt nannten.

Doch die Phase der linken Fabrikinterventionen fand ein rasches Ende. »Nur kurze Zeit nach der Konferenz in Paris vollzog ein Großteil der beteiligten Gruppen einen Richtungswechsel und löst sich auf«, schreibt Lange. Auch sein Interviewpartner Karl-Heinz Roth, der damals in diesen Kämpfen eine wichtige Rolle spielte, konnte im Gespräch wichtige Hinweise auf die Hintergründe geben, die nicht nur zur Auflösung des Zürcher Büros, sondern auch zum Zusammenbruch der transnationalen Betriebssolidarität führten. Er erinnerte an Berichte von Teilnehmern der Pariser Konferenz, die sich damals neuen Konzernstrategien widmeten, mit denen das Konzept des kämpferischen Massenarbeiters untergraben wurde. »Diese Prophezeiung des heraufziehenden Postfordismus stand als Menetekel an der Wand des Kongresses«, so Roth. Der lange Abschied der Linken vom Proletariat nahm hier seinen Anfang.

In den vergangenen Jahren gab es neue Versuche, eine transnationale Streiksolidarität aufzubauen. Dafür stehen die Streiks bei Amazon ebenso wie die Migrant Strikers oder die Oficina Precaria Berlin, zwei Initiativen, in denen sich spanische und italienische Arbeitsmigranten in Berlin organisieren. So dürfte das Schwerpunktthema von Arbeit Geschichte Bewegung nicht nur historisches Interesse wecken. Im Vorwort weisen die Herausgeber auf Parallelen zwischen ihrem Forschungsthema und heutigen Auseinandersetzungen hin: »Dazu gehören die bedeutende Rolle von Migranten und Migrantinnen, die Thematisierung der Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen sowie der Wohn- und Lebensverhältnisse im Stadtteil.«

Am 30. Mai um 19 Uhr diskutieren in Berlin im Buchladen Schwarze Risse (Mehringhof) Dietmar Lange, Redakteur von »Arbeit Bewegung Geschichte«, und Mitglieder der Basisgewerkschaft IWW über Betriebssolidarität damals und heute.

Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2016/15/53836.html
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Berlin:

Diskussionsveranstaltung:

30.Mai 2016, 19 Uhr, Buchladen Schwarze Risse, Gneisenaustr. 2a.

Ist der lange Abschied vom Proletariat zu Ende?

Gespräch über die Geschichte und Aktualität linker Betriebsinterventionen
Mit  Dietmar Lange, Historiker und Mitherausgeber der Zeitschrift Arbeit
Bewegung Geschichte und Mark Richter  Mitglied der IWW*

Moderation Peter Nowak,  Journalist und Herausgeber des Buches „Ein Streikt seht, wenn mensch ihn selber macht“

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Arbeit Bewegung Geschichte

(http://www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de/?p=536)  werden heute weitgehend
unbekannt Details über eine länderübergreifende Koordinierung der linken
betrieblichen Interventionen vorgestellt. Darunter ist ein Bericht über eine Pariser Konferenz von Beschäftigten aus dem Automobilsektor aus mehreren europäischen Ländern im April 1973. Dietmar Lange wird  einen Überblick über den Versuch einer transnationalen linken
Betriebsintervention geben und auchdie Probleme benennen. Waren sie der Grund für den langen Abschied vom Proletariat vieler linker Gruppen? In den letzten Jahren sind Solidarität mit Streiks und anderen betrieblichen Kämpfen wieder Gegenstand linker Initiativen geworden.
Unter dem Titel „Direct Unionism“- Strategie für erfolgreiche Basisgewerkschaften auf der Höhe der Zeit“ veröffentlichte die IWW kürzlich ein Diskussionspapier

(https://de.scribd.com/doc/283876879/Direct-Unionism-Strategie-fur-erfolgreiche-Basisgewerkschaften-auf-der-Hohe-der-Zeit),
in das Erfahrungen mit Arbeitskämpfen in prekären Sektoren einflossen. Mark Richter aus Frankfurt am Main wird die dort vertretenen Thesen zur Diskussion stellen.

Transnationaler Streiktag

Über den Aktionstag am 1. März

Zum transnationalen Streiktag am 1.März gab es Aktionen in mehreren europäischen Ländern.

«Take a Walk on the Workerside» lautete das Motto eines Spaziergangs durch die prekäre Arbeitswelt in Berlin am 1.März. Organisiert wurde er von den «Migrant Strikers», einer Gruppe von italienischen Arbeitsmigranten in Berlin, den «Oficina Precaria», in der sich Kolleginnen und Kollegen aus Spanien koordinieren, und der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren die Proteste gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und die Eurokrise koordinierte.

Der Aktionstag am 1.März wurde von europäischen Basisgewerkschaften und linken Gruppen bei einem Treffen Mitte Oktober 2015 in Poznan beschlossen, bei dem über transnationale Kooperation im Arbeitskampf beraten wurde (siehe SoZ 12/2015).

Der Schwerpunkt der Aktionen lag in Spanien, Italien und Polen. Die polnische anarchosyndikalistische Arbeiterinitiative IP organisierte in mehreren Städten Kundgebungen gegen Zeitarbeitsfirmen, auf denen die dort praktizierten prekären Arbeitsbedingungen angeprangert wurden. «Wir fordern die gleichen Löhne, die gleichen Rechte und die gleichen Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden», hieß es im Aufruf der IP. Dort wurde auch auf den Kampf bei Amazon Bezug genommen und eine transnationale Perspektive gefordert. Die IP hat im Amazon-Werk in Poznan zahlreiche Beschäftigte organisiert.

In Deutschland gab es am 1.März nur in wenigen Städten Aktionen. In Dresden organisierte die FAU eine Diskussionsrunde zum Thema «Verteidigung des politischen Streiks» auf einem öffentlichen Platz. In Berlin war der Spaziergang durch die prekäre Arbeitswelt die zentrale Aktion. Startpunkt war die Mall of Berlin, die zum Symbol von Ausbeutung migrantischer Arbeit, aber auch des Widerstands dagegen wurde. Seit 15 Monaten kämpfen acht rumänische Bauarbeiter um den ihnen vorenthaltenen Lohn für ihre Arbeit auf der Baustelle (siehe SoZ 2/2015). Eine weitere Station war ein Gebäude der Berliner Humboldt-Universität. Dort sprach ein Mitglied einer studentischen Initiative, die sich für einen neuen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte einsetzt, über die prekären Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb.

An dem Spaziergang beteiligten sich auch Beschäftigte des Botanischen Gartens der FU Berlin mit einem eigenen Transparent mit Verdi-Logo. Sie sorgten in den letzten Wochen für Aufmerksamkeit, weil sie gegen die Outsourcingpläne der Unileitung kämpfen. Dazu hat sich ein Solikreis gebildet, an dem Studierende verschiedener Berliner Hochschulen beteiligt sind. In den letzten Wochen organisierte Ver.di zwei Warnstreiks im Botanischen Garten.

Es wurden am 1.März also Beschäftigte mit unterschiedlicher Gewerkschaftsorganisation angesprochen, die sich gerade in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen oder Löhne befinden. In Berlin will das kleine Vorbereitungsteam weiterarbeiten. Die nächste Aktion ist am 1.Mai geplant.

Transnationaler Streiktag

Peter Nowak

Die „Flüchtlingskrise“ ist eine Krise der deutschen Hegemonie in der EU

Um den neuen Konsens in Europa wird noch kräftig gerungen werden

„Die EU, wir sie sie kennen, ist gescheitert. Das wird auch ein Sondergipfel nicht ändern.“ Diesen Befund verfasste die überzeugte EU-Befürworterin und Gründerin des European Democracy Lab[1], Ulrike Guérot[2] in der aktuellen Ausgabe[3] der Wochenzeitung Freitag. Ihre Analyse ist sehr klar: „Keine Frage ist in den letzten Wochen so oft gestellt worden wie die nach dem Scheitern der Europäischen Union, ja nach ihrem möglichen Untergang. Nicht von Unkenrufern, sondern von europäischen Abgeordneten oder europäischen Premierministern.“

Dann bekräftigt die Autorin noch einmal:

Und ja, die EU ist gescheitert, und jeden Tag wird dieses Scheitern offensichtlicher, greller. Es dringt hartnäckig ins öffentliche Bewusstsein – auch derer, die immer noch meinen, der nächste Adria- oder Ägäis-Urlaub wird der letzte, derer, die immer noch hoffen, der nächste EU-Sondergipfel am 7. März – spätestens der übernächste – hält die Lösung bereit. Eine Weile wird das noch weitergehen, eine Weile weiteres Warten auf den europäischen Godot.

Modell Urban versus Modell Merkel?

So prägnant Guérot den Zustand der EU beschreibt, so schwach ist sie in der Analyse. Was ist eigentlich der Kern der aktuellen Krise der EU? Irreführend wird immer von einer Flüchtlingskrise gesprochen. Nach dieser Lesart besteht die Krise darin, dass die EU keinen gemeinsamen Umgang mit den Zuwanderern findet. Das Bild einer humanistisch gesinnten deutschen Regierung wird gezeichnet, die unter Merkel die Flüchtlinge willkommen heißt und dabei von zunehmend mehr EU-Regierungen sabotiert wird.

Besonders der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident wird als Merkels Antipode hingestellt. Während die ungarische Regierung Zäune um das Land bauen lässt, stehe Merkel für ein offenes Europa. Das ist das Bild, das Befürworter und Gegner von Merkel immer wieder zeichnen. Die einen ernennen Merkel zur Kanzlerin der Herzen[4] und diskutieren darüber, erstmals CDU zu wählen. Die Gegner organisieren derweil mit der Parole „Merkel muss weg“ eine personifizierte Kampagne gegen eine Kanzlerin, die mit der rechten Kampagne gegen Willi Brandt Anfang der 1990er Jahre vergleichbar ist. Auch damals tauchten im Neonazimilieu Galgen auf und Parolen wie „Brandt an die Wand“.

Doch durch die Stilisierung von Merkel entweder als Hort der Menschlichkeit oder als „Volksverräterin“ gerät der Charakter der gegenwärtigen EU-Krise in den Hintergrund. Er besteht im Wesentlichen im Unvermögen Deutschlands, in der EU eine Hegemonie herzustellen. Vor nicht allzu langer Zeit schien diese deutsche Hegemonie in der EU unangefochten. Merkel wurde schon zur mächtigsten Frau der Welt erklärt. Selbst Länder wie Italien und Frankreich konnten nicht gegen Deutschland Politik machen.

Führende CDU-Politiker jubelten darüber, dass in der EU deutsch gesprochen wird. Der Höhepunkt der deutschen Macht in Europa war auch der Kippunkt. Es ging um die Unterwerfung der griechischen Regierung unter das Austeritätsdiktat der EU. Deutsche Politiker, in erster Linie Wolfgang Schäuble, haben sich dabei besonders exponiert.

Warnende Stimmen aus verschiedenen europäischen Ländern, die für eine Lockerung des Austeritätsprogramms und für einen Dialog mit der linkssozialdemokratischen griechischen Regierung plädierten, wurden von Deutschland ignoriert. Doch damit hatten die Verantwortlichen in Deutschland ihre Macht überreizt. Die harte Haltung gegenüber Griechenland wurde von Politikern, aber auch von großen Teilen der Bevölkerung vieler europäischer Ländern mit Schrecken betrachtet und erzeugte Widerstand.

Selbst in Frankreich und Italien mehrten sich die Stimmen, die den Umgang der von Deutschland dominierten EU mit Griechenland als Pilotprojekt für andere Länder – und auch für sie selbst – betrachteten. So hat die deutsche Politik im Falle Griechenland einen Pyrrhussieg errungen. Gegen Griechenland konnten sie sich durchsetzen. In vielen anderen Ländern aber wuchs der Widerstand gegen die von Deutschland ausgehende Politik.

Migranten wollen in der Regel nach Deutschland

Dabei ist es auch kein Zufall, dass der Bruch der deutschen Hegemonie in der Frage des Umgangs mit den Migranten so deutlich wurde. Denn die überwiegende Mehrheit dieser Menschen will nach Deutschland und einige andere Kernstaaten der EU migrieren und nicht in die Balkanländer, nach Ungarn oder die Slowakei. Denn ihr Ziel ist ein besseres Leben in Europa und das erhoffen sie sich in den Kernländern.

Wenn nun von Deutschland gefordert wird, die Migranten auf Europa aufzuteilen, wird zunächst der Wille dieser Menschen ignoriert. Sie würden mehrheitlich in Länder verfrachtet, in die sie nicht wollen. Für die Regierungen vieler europäischer Länder bedeutet der Widerstand gegen die Flüchtlingskontingente neben xenophoben und rassistischen Motiven vor allem ein Infragestellen der deutschen Hegemonie über die EU.

Wie gut ihnen das gelungen ist, zeigt das Beispiel Österreich. Lange Zeit haben deren Politiker sich immer im Windschatten der deutschen Politik bewegt und noch im Frühherbst 2015 schien die Wiener Regierung ein guter Partner von Merkel beim Durchwinken der Migranten. Doch diese Transitrolle will die österreichische Regierung nicht mehr einnehmen. Sie hat sich mit ost- und südosteuropäischen Ländern verbündet und damit einen wesentlichen Schlag gegen die deutsche Hegemonie in Europa geführt.

Das Ende des Durchwinkens – der neue europäische Konsens

Nun versucht die deutsche Politik natürlich die verlorene Hegemonie wieder herzustellen. Die Pendeldiplomatie deutscher Politiker der letzten Wochen hatte genau dieses Ziel. Dazu gehören auch die regen Reiseaktivitäten des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer, der vor einigen Tagen in Ungarn zu Gast war. Dabei greift es zu kurz, solche Aktivitäten nur durch die Brille zu sehen, ob sie Merkel nützen oder schaden.

Denn die Kanzlerin sucht natürlich schon längst den neuen europäischen Konsens, um vielleicht wieder die Hegemonie in Europa zu erlangen. Die Zeit des Durchwinkens ist vorbei, könnte dabei der kleinste gemeinsame Nenner werden. Wenn EU-Ratsherr Tusk die Migranten offiziell auffordert, nicht nach Europa zu kommen, so wird das von konservativer Seite als „Bankrott der Merkelschen Politik“ interpretiert[5].

Doch Tusk ist sich mit Merkel darin einig, dass eine massive Reduzierung der Migranten erfolgen muss. Zudem gibt es ähnliche Kampagnen zur Verhinderung von Migration bereits seit Längeren auch von deutschen Stellen beispielsweise in Afghanistan.

Deswegen war auch klar, dass Merkel die Aufforderung aus Österreich, die Migranten direkt von Griechenland nach Deutschland zu bringen, klar zurückweist. Nach einem Gespräch mit dem kroatischen Ministerpräsidenten Tihomir Oreskovic betonte sie, man wolle nun die Politik der EU-Kommission umsetzen, nämlich „die Politik des Durchwinkens beenden“.

Diese Willensbekundung verknüpft Merkel mit einer klaren Drohung gegen die Migranten und ihre Rechte. Es gebe kein Recht für sie, sich auszusuchen, wo sie um Schutz nachsuchen könnten. Die FAZ beschreibt[6], wie die Wiener Regierung auf diese Erklärung von Merkel reagierte.

In Wien reibt man sich in den Regierungsstellen die Augen: Das sei doch genau die österreichische Position. Nichts anderes wolle man: Registrierung und Warten der Flüchtlinge in Griechenland oder besser noch vor der EU-Außengrenze, und dann gegebenenfalls Weiterverteilung einiger Kontingente in die aufnahmewilligen Länder. Doch müsse klar sein, was Merkel nicht hinzugefügt habe: Dass die Flüchtlinge nicht in Griechenland bleiben würden, wenn sie nicht dazu gezwungen wären – durch die von Österreich initiierte Schließung der Balkanroute.

Um den neuen Konsens in Europa wird in der nächsten Zeit noch kräftig gerungen werden, sicher auch auf dem morgigen EU-Gipfel. Doch schon ist klar, die Rechte der Migranten werden noch mehr angegriffen. Darauf hat die Refugee-Welcome-Bewegung keine Antwort, die oft selber in die Falle gegangen ist, Merkel als Exponentin von offenen Grenzen zu loben. Es gab in diesen Kreisen schon keine klare Haltung zur deutschen Forderung nach europäischen Flüchtlingskontingenten. Teilweise wurde diese Forderung sogar befürwortet.

Die Staaten, die sich verweigern, galten als die Gegner. Die Tatsache, dass die meisten betroffenen Migranten nicht in diese Länder wollen, wurde ignoriert. So macht sich die Refugee-Welcome-Bewegung ungewollt zu Unterstützern der deutschen Hegemonie in der EU.

Jetzt wo die Grundanlagen neu ausgehandelt werden, müsste eine Forderung nach einem Transfer von Migranten aus Griechenland nach Deutschland im Mittelpunkt stehen. Damit würde das Recht auf Migration gestärkt, ohne Rücksicht auf die innereuropäischen Kämpfe um Hegemonie.

Cover

Hg.: Florian Rötzer Der halbe Hegemon Die Rückkehr der „deutschen Frage“ und die Lage der EU Als eBook[7] bei Telepolis erschienen

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

https://europeandemocracylab.wordpress.com

[2]

http://ulrikeguerot.eu

[3]

https://www.freitag.de/ausgaben/0916

[4]

http://www.taz.de/!5279025

[5]

http://www.rolandtichy.de/tichys-einblick/die-bankrott-erklaerung/

[6]

http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/oesterreich-und-deutschland-in-der-fluechtlingskrise-14102018.html

[7]

http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_26.html

Pogida“ erneut ausgebremst

Der Pegida-Ableger in Potsdam musste am Mittwochabend eine weitere Niederlage einstecken.

Mit dem Absingen aller drei Strophen des Deutschlandliedes endete am gestrigen Mittwoch gegen 20.00 Uhr ein erneuter Versuch von „Pogida“, in der Brandenburger Landeshauptstadt Fuß zu fassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Dauerkundgebung wegen des schlechten Wetters schon erheblich dezimiert. Nur noch knapp 20 Unermüdliche harrten noch aus. Zwei Stunden vorher hatten sich rund 100 Teilnehmer  beim Bahnhof  Medienstadt Babelsberg versammelt. Neben dem obligatorischen  Transparent, auf dem  für die rechtspopulistische Webseite „PI-News“geworben wird, war auch eine Gruppe  mit der einem Transparent vertreten, auf dem stand: Wir sind keine Nazis – Bürgerprotest gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung“.

Nach einer kurzen Ansprache des Pogida-Anmelders Christian Müller beschwerte sich ein Redner aus Teltow, dass jetzt massenhaft Wohnungen für Flüchtlinge gebaut würden: „Schlichtwohnungsbau nennt sich das. Wir Deutschen müssen unsere Häuser aber immer noch nach deutschem Baurecht bauen“, lamentierte er.  Die Demonstration stoppte alsbald nach wenigen Metern, weil hunderte Menschen die Route blockierten. Dann stellte sich gar heraus, dass Pogida wieder umkehren und zum  Ausgangspunkt  zurückkehren musste. Die Polizei weigerte sich, die Blockaden zu räumen, weil sich auch viele Kinder und Familien unter den Protestierenden  befanden.

Der „patriotische Freund“

Nun mussten die Pogida-Teilnehmer mit dem Gastredner Enrico Graziani vorliebnehmen, der auch schon zuvor in Potsdam geredet hatte. Dafür wird er von Pogida-Anhängern  als „Amici patrioti di Potsdam“ bezeichnet.  Sie applaudierten ihm für Sätze: „Die Flagge des Islam wird niemals über Europa wehen“ und „Deutschland braucht wieder Grenzen“.  Bekannt wurde Graziani als Redner beim Leipziger Pegida-Ableger „Legida“. Dort hatte er erklärt, die aktuellen Fluchtbewegungen würden von langer Hand geplant, um Europa zu destabilisieren und einen Bevölkerungsaustausch durchzuführen. In Interviews  begründet Graziani seine Aktivitäten mit seiner Rolle als Familienvater, der dafür sorgen wolle, dass seine Kinder weiter in Freiheit leben könnten.

Auch der erneute Misserfolg hielt Pogida-Anmelder Christian Müller nicht davon ab, weitere Aktionen anzukündigen.  „Dann wollen wir sie mal an ihre Grenzen bringen. Babelsberg ist groß, mir fallen da viele schöne Ecken ein“, wird Müller in der  „Märkischen Allgemeinen  Zeitung“ (MAZ)  zitiert.

aus Blick nach Rechts

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/pogida-erneut-ausgebremst

Peter Nowak

Retro bei der Mitbestimmung

Beim Betriebsrat hört für einen Online-Händler der Spaß auf

Computerspiele boomen und das Berliner Unternehmen Konsolenkost gehört zu den Firmen, die alles liefern können, was das Gamerherz begehrt. Spezialisiert hat sich der Online-Händler auf den Verkauf von Retrokonsolen. In der Vergangenheit scheint die Geschäftsführung aber auch in der Frage der gewerkschaftlichen Mitbestimmung zu leben. Im Herbst letzten Jahres ergriffen Mitarbeiter der Firma die Initiative und wollten einen Betriebsrat gründen. Am 21. Oktober 2015 fand die Betriebsratsversammlung in Anwesenheit des zuständigen verdi-Sekretärs Sebastian Triebel statt. Doch ein Betriebsrat wurde bis heute nicht gewählt. Sechs der sieben Mitglieder des Wahlvorstandes sind heute nicht mehr im Betrieb. Ihnen wurde aus unterschiedlichen Gründen gekündigt. Einige haben mittlerweile Abfindungen bekommen, bei anderen sind die gerichtlichen Verfahren noch nicht abgeschlossen.

Patrick Neuhaus war einer der Initiatoren des Betriebsrates. Insgesamt zweieinhalb Jahre arbeitete er bei Konsolenkost. Dass die Initiative für mehr Mitbestimmung bei der Geschäftsführung auf so viel Widerstand stieß, kann Neuhaus bis heute nicht verstehen. Man dürfe den Wunsch nach einem Betriebsrat nicht mit einem Misstrauensvotum verwechseln. »Wir wollten schlicht und einfach dazu beitragen, dass die Belegschaft in Fragen der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeit und des Arbeitsschutzes mitbestimmen kann, wie es der Gesetzgeber vorsieht«, betont Neuhaus das Anliegen. »Ein Betriebsrat ist gelebte Demokratie.«

Doch nach Angaben der Mitarbeiter hat die Mitbestimmungsinitiative das Klima im Betrieb extrem verschlechtert. Die Arbeitszeit, der in dem Betrieb beschäftigten Werkstudenten sei gedrosselt worden, mündliche Absprachen über die Arbeitszeiten seien widerrufen, berichten ehemalige Mitarbeiter, die nicht namentlich genannt werden wollen. Eine Woche nach der Betriebsversammlung seien die Arbeitsrechner von zwei Mitgliedern des Wahlvorstands im laufenden Betrieb abgebaut und entfernt worden. Vor der Einsetzung des Wahlvorstands habe ein lockerer Umgangston in dem Unternehmen geherrscht. Privatgespräche seien kein Problem gewesen. Doch nach der Betriebsversammlung habe sich das geändert. Zunächst seien die Mitarbeiter von der Geschäftsführung aufgefordert worden, die Privatgespräche zu minimieren. Mittlerweile seien sie während der Arbeitszeit untersagt. Es habe gegen Mitarbeiter Abmahnungen gegeben, weil sie gegen die Anweisung verstoßen haben sollen.

Der zuständige verdi-Sekretär Triebel bestätigte gegenüber »nd« die vergeblichen Versuche bei Konsolenkost im Herbst 2015 einen Betriebsrat zu installieren. Wegen noch laufender Verfahren wollte er sich zu den Vorwürfen gegen das Unternehmen nicht im Detail äußern. Die Geschäftsführung von Konsolenkost reagierte nicht auf eine Anfrage.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/999769.retro-bei-der-mitbestimmung.html

Peter Nowak

In die Ferne fuchteln

Eine fortschrittliche Linke muss sich jeder Nation verweigern und jedem Krieg eine Absage erteilen.

Anfang der neunziger Jahren wurde in antideutschen Kreisen für Linke, die ohne jeglichen gesellschaftlichen Einfluss immer ein Repertoire an Vorschlägen für die Lösung der Konflikte in aller Welt parat hatten, der schöne Begriff des Fernfuchtlers geprägt. Nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 wurden einige vormalige Antideutsche selbst Fernfuchtler. Spätestens als die Zeitschrift Bahamas im April 2003 den US-Präsidenten zum »Man of Peace« kürte und die schnelle Niederlage des Ba’ath-Regimes nicht nur feierte, sondern damit die Hoffnung auf ein Ende der antisemitischen Internationale verband, war klar, dass ein Teil dieser Strömung es nicht mehr bei Ideologiekritik belassen wollte. Nach den Anschlägen von Paris schwingt sich die Fernfuchtler-Fraktion zu neuen Höhenflügen auf. Bereits im Dossier der Jungle World 48/2015 blies Matthias Küntzel zum großen Krieg und unterschied sich in seinen Argumentationen kaum vom rechten Flügel der US-Republikaner. So warf er US-Präsident Obama eine Politik der »Selbstentmachtung« und der »Selbstdemütigung« vor. Ausgeblendet hat er dabei, dass Obama mit seiner Politik auf das völlige Scheitern der Außenpolitik seines Vorgängers reagierte und nachvollzog, was große Teile der US-Bevölkerung nach der Ende der Bush-Ära einforderten. Bushs außenpolitische Bilanz war geprägt von einer wachsenden Zahl toter US-Soldatinnen und -Soldaten. Die toten Zivilisten vor Ort spielten für den Kurswechsel eine geringere Rolle. Die größte Selbstdemütigung der USA, zumindest für die Menschen, für die ihre Gründungsdokumente noch eine Bedeutung hat, waren sicherlich die Foltermethoden von Guantánamo bis Abu ­Ghraib. Hier wurde übrigens auch auf vielfältige Art und Weise gesät, was die unterschiedliche ­Islamistenfraktionen später ernten konnten. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist nur die zurzeit bekannteste dieser islamfaschistischen Bewegungen.

Es sind ganz konkrete Maßnahmen, wie die Auflösung der irakischen Armee nach dem Sturz des Ba’ath-Regimes, die erklärbar machen, wie eine Gruppierung wie der IS so stark werden konnte. Und die Bilder von Abu Ghraib und Guantánamo haben dazu beigetragen, dass in vielen arabischen Ländern und längst nicht nur in islamistischen Kreisen jegliches Vertrauen in die US-Politik verloren ging. Ist schon vergessen, dass nach 2001 nicht wenige tatsächliche oder vermeintliche Islamisten für die Schmutzarbeit an die Häscher des syrischen Regimes übergeben wurden? So bediente sich der Westen genau der Terrormethoden des syrischen Regimes, die heute so wortreich beklagt werden. Von alldem lesen wir bei Küntzel nichts, der den Westen zum ganz großen Kampf gegen die von ihm so bezeichnete »Koalition der Wahnsinnigen« aufruft. Diese umfasst die Hamas, die Hizbollah, al-Qaida, den IS und den Iran. All diesen Akteuren wird niemand eine Träne nachweinen.

Die Leidtragenden einer Intervention in Syrien wären neben den vielen Zivilisten auch die Israelis. Es ist ein Glück für Israel, dass die islamistischen Kräfte untereinander zerstritten sind. Eine vereinigte islamistische Front würde erst geschmiedet, wenn jemand mit Macht, vielleicht ein US-Präsident Donald Trump, Küntzels Vorschlag umsetzen wollte. Für Israel wäre das eine große Gefahr. Es ist auffallend, dass in Küntzels Aufzählung der Wahnsinnigen Saudi-Arabien nicht auftaucht. Dabei hat das Regime bei der Praktizierung von Terror nach innen und Islamismusexport nach außen den Iran längst eingeholt. Gehört das Land jetzt nach Küntzels Meinung zu den wesentlichen Verbündeten des Westens?

Auch Gerhard Scheit erweist sich in seinem Beitrag in der Jungle World 49/2015 als Fernfuchtler mit globalem Anspruch. Allein der Vorwurf des Appeasements gegen Politiker, die nicht überall Bomber hinschicken wollen, macht deutlich, wie sehr er in militärstrategischen Kategorien denkt. Da ist für zivilgesellschaftliche, geschweige denn herrschaftskritische Gedanken kein Platz mehr. Das wird deutlich, wenn Scheit es begrüßt, dass »der NSA-Skandal« nach den Anschlägen von Paris »von deutschen Moralaposteln und grünen Politikern natürlich abgesehen, kaum noch jemanden interessiert«. Nun kann man mit Recht an dem Mainstream der deutschen NSA-Debatte kritisieren, dass sie die Überwachungsmethoden deutscher Dienste bagatellisierte, von Antiame­rikanismus geprägt war und die angeblich nicht vorhandene deutsche Souveränität beklagte. Wenn aber der Protest gegen die NSA-Überwachung für nebensächlich gehalten wird, zeigt dies doch vor allem, dass die individuellen Grundrechte – und dazu gehört das Recht, nicht abgehört zu werden – auf der Strecke bleiben, wenn das Fernfuchteln beginnt.

Und nicht nur das. Nach den Anschlägen von Paris wollten plötzlich von einer Kritik an der omnipräsenten französischen Fahne auch solche Menschen nichts mehr hören, die eigentlich immer eine klare Kritik an Staat und Nation geübt haben. Dabei entscheidet sich gerade dann, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird, was diese Kritik wert ist. Denn dann werden von der Herrschaft die Toleranzgrenzen eng gezogen, und es kann sogar strafrechtlich sanktioniert werden, wenn man an der alten Staatskritik festhält. Da wird historisch argumentiert, dass es die Fahne der französischen Revolution ist. Doch die französische Fahne bedeutet einen nationalen Schulterschluss, bei dem dann zumindest kurzfristig die innergesellschaftlichen Widersprüche, wie den Kampf gegen die Rechte in Gestalt des Front National (FN), aber auch Arbeitskämpfe an Bedeutung verlieren.

Die französische Fahne zu zeigen, bedeutet auch zu schweigen über ein anderes Pariser Massaker, bei den am 17. Oktober 1962 Hunderte Teilnehmer einer von der französischen Regierung verbotenen Demonstration für die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN ermordet und wurden. An solche und andere Verbrechen der Nation gerade in Zeiten zu erinnern, in denen zum na­tionalen Schulterschluss aufgerufen wird, gehört zu der wichtigsten Aufgabe einer Linken, die ihre Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus ernst nimmt. Sie erkennt als erstes ihre völlige Machtlosigkeit und unterlässt jedes Fernfuchteln.

Nur eine Linke, die sich in Zeiten des Notstands und des Ausnahmezustands verweigert, wenn zur Vereinigung unter den unterschiedlichen Nationalfahnen aufgerufen wird, wird in der Lage sein, einen widerständigen Block zu bilden, der die Barbarisierungspotentiale im Zerfallsprozess des Kapitalismus analysiert und bekämpft. Dazu gehört der Klerikalfaschismus, wovon die unterschiedlichen islamistischen Gruppen nur die Speerspitze bilden. Dazu gehören aber auch die unterschiedlichen faschistischen oder nationalistischen Gruppierungen, die in ganz Europa anwachsen.

Eine Linke, für die die Kritik an Staat, Kapital und Nation kein Schönwettergeschwätz ist, sollte dazu beitragen, dass diese Zusammenhänge erkannt und der Widerstand gegen die beiden Formen der extremen Krisenreaktionen des Kapitalismus in den Stadtteilen organisiert wird, in denen die Menschen leben, die heute oft nicht einmal mehr vom Kapitalismus ausgebeutet werden. Es sind die Stadtteile, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wählerpotential rechter Bewegungen wurde. Es sind auch Quartiere, in denen die überwiegende Mehrheit der islamfaschistischen Attentäter leben. Man braucht also nicht Bomber in den Nahen Osten zu schicken, wenn man die unterschiedlichen Spielarten des Faschismus bekämpfen will. Diese Klärungs- und Organisationsprozesse sollten in den europäischen Kernländern geführt werden. Doch dazu braucht es eine antagonistische Linke, die nicht durch die Zusammenarbeit mit der Macht diskreditiert ist. Historische Reminiszenzen sollten sicher nicht überstrapaziert werden. Doch diese antagonistische Fraktion der Linken kann sich ein historisches Vorbild an der Zimmerwalder Linken nehmen, sich mitten im Ersten Weltkrieg in einem Meer von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsbegeisterung die entschiedenen Kriegsgegner sammelten. Bei allen zeitbedingten Unterschieden sind zwei Grundsätze der Zimmerwalder heute aktueller denn je: die Absage an die Kriege der Herrschenden nach außen und an die Politik des Burgfriedens nach innen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53320.html

Peter Nowak

Jugendzentrum »Zelle 79« in Schwierigkeiten

Finanzielle Förderung durch einen konstruierten Extremismusverdacht in Frage gestellt

Ausgerechnet ein früherer LINKE-Politiker wärmt einen Extremismusverdacht der Bundesfamilienministeriums auf und bringt ein linksalternatives Jugendzentrum in Cottbus damit in Bedrängnis.

Der Name »Zelle 79« klingt für manche Ohren vielleicht nach Gefängnis. Für die linksalternative Szene in der Lausitz ist es aber ein wichtiger Freiraum für ihre Subkultur. Das Jugendkulturzentrum hat sich nach seinem Standort in der Cottbuser Parzellenstraße 79 benannt. Die Themenpalette der in dem Haus stattfindenden Aktivitäten ist groß, wie ein Blick auf den aktuellen Veranstaltungskalender zeigt. Für die nächsten Wochen sind Solidaritätspartys für Flüchtlinge sowie Diskussionen zu sozialen und antifaschistischen Themen geplant.

Seit einigen Wochen plagen die Mitarbeiter und Nutzer des Kulturzentrums Zukunftssorgen. Auf der letzten Stadtverordnetenversammlung Mitte Dezember stellte der fraktionslose Stadtverordnete Jürgen Maresch, von Beruf Bundespolizist, die finanzielle Förderung des Projektes zur Diskussion. Er habe über die »Zelle 79« recherchiert und dabei auf deren Webseite einen Link zur Wochenzeitung »Jungle World« entdeckt, ließ er wissen. Die Verfassungstreue der Zeitung stellte er infrage. Dabei berief er sich auf eine Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahre 2012. Damals war das Ministeramt von der konservativen CDU-Politikerin Kristina Schröder besetzt, die sich den Kampf gegen angeblichen linken Extremismus auf die Fahnen geschrieben hatte.

In der »Jungle World« sind Mareschs Quelle zufolge »Hinweise auf Veranstaltungen aus dem linksextremistischen Spektrum« zu finden. Zudem greife die Wochenzeitung »regelmäßig Themen aus dem linksextremen Spektrum« auf.

Maresch, der ab 2009 mehrere Jahre der Linksfraktion im Landtag angehörte, stieß mit seinen unabgesprochenen Initiativen die damaligen Fraktionskollegen immer wieder vor den Kopf. Er handelte oft aus dem Bauch heraus. Manche seiner Vorstöße kollidierten mit der Linie der Partei. So machte er zum Beispiel Front gegen die Rote Hilfe und lehnte eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten strikt ab.

Bei der Kommunalwahl 2014 wurde Maresch noch für die LINKE ins Cottbuser Stadtparlament gewählt, doch die dortige Linksfraktion weigerte sich, mit ihm zusammenzugehen. Mittlerweile ist Maresch aus der Partei ausgetreten und dem Landtag gehört er auch nicht mehr an.

Seine Anfrage zur »Zelle 79« habe nichts mit links oder rechts zu tun, beteuerte er. »Nach den Ereignissen in Leipzig, wo zahlreiche Kollegen von mir verletzt worden sind, sehe ich mich sehr wohl im Recht, diesbezüglich da nachzufragen, ohne dass man hier gleich irgendwelche Unterstellungen erfährt«, begründete Maresch sein Nachfragen. In Leipzig war es im Dezember bei Protesten gegen einen Neonaziaufmarsch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.

»Wo der Zusammenhang zum Engagement des ›Vereins für ein multikulturelles Europa‹ besteht, bleibt offen«, erklärte Erika Schmidt von diesem Trägerverein der »Zelle 79«. Bei Mitarbeitern und Unterstützern des Zentrums stößt Maresch Vorstoß auf völliges Unverständnis.

Da auch Stadtverordnete der CDU Bedenken gegen die weitere Förderung der Zelle 79 äußerten, wurde die Entscheidung vertagt. Auf der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 4. Januar haben sich Vertreter verschiedener Parteien für eine weitere Förderung des Projekts ausgesprochen. Entschieden wird allerdings erst bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 27. Januar. Bis dahin wollen die Mitarbeiter weiter für ihre Sache mobilisieren. Es dürfe nicht sein, dass durch unbegründete Unterstellungen ein wichtiges Projekt im schlimmsten Fall nicht mehr unterstützt wird, betonte Erika Schmidt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/997645.jugendzentrum-zelle-in-schwierigkeiten.html

Peter Nowak

Anarchos gegen Steuerzahler

»Paradies für Touristen – Hölle für die Arbeiter« und »Pay the Workers« riefen die knapp 20 Menschen mit den schwarz-roten Fahnen. Die Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union« (FAU) hatte am Abend des 24. Oktober vor dem Restaurant »Cancún«, direkt neben dem Fernsehturm am Alexanderplatz, zur Unterstützung eines Barkeepers aufgerufen, der Urlaubs- und Lohnansprüche im vierstelligen Bereich geltend machte. Der Mann hatte im »Cancún« seit Oktober 2014 gearbeitet, bevor er im Juli 2015 wegen andauernder Unregelmäßigkeiten bei den Lohnzahlungen und Arbeitsstunden kündigte.

Doch der Geschäftsführer des Cancún hatte seine Freunde mobilisiert, die vor dem Restaurant standen und »Wir sind die Steuerzahler« riefen. Zudem mokierten sie sich darüber, dass bei der FAU-Kundgebung die Kollegen nicht alle hochdeutsch sprachen. Unterdessen hatte der ungewöhnliche Arbeitskampf viele Passanten neugierig gemacht. Nach einer knappen Stunde kam ein Vertreter des Geschäftsführers und zahlte den ausstehenden Lohn aus. In bar und unter freiem Himmel. Danach beendete die FAU ihre Kundgebung.

Für die FAU war der Ausgang des Arbeitskampfes ein Erfolg auf ganzer Linie. Schließlich konnte die Gewerkschaft einmal ein Instrument aus der syndikalistischen Tradition erfolgreich anwenden: die direkte Aktion. Der zeitaufwändige Weg durch die juristischen Instanzen wurde vermieden, weil der Beschäftigte den ausstehenden Lohn direkt ausgezahlt bekommen hat. Ob vielleicht einige der neugierigen Passanten durch das Beispiel motiviert wurden, an ihrer eigenen Arbeitsstelle nicht alles hinzunehmen, wird sich zeigen. Auf einer Veranstaltung im Berliner FAU-Lokal jedenfalls wurde betont, dass der Gastronomiesektor ein Experimentierfeld für geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen ist.

http://jungle-world.com/artikel/2015/45/52952.html

Peter  Nowak (in der Jungle World unter Pseudonym Carsten Fuchs)

Nazis müssen Stinkefinger ertragen


JUSTIZ Gericht stellt Verfahren gegen bekannte Anti-Nazi-Aktivistin wegen Beleidigung ein
Den Rechten den Mittelfinger zeigen wollen in diesen Tagen viele. Zumindest bei I bleibt das auch straffrei. Sie hatte sich am 31. Januar an Protesten gegen eine Kundgebung der rechtsextremen NPD in Blankenfelde im Landkreis Teltow-Fläming beteiligt. Als Zeichen der Missbilligung hatte sie ihren Mittelfinger in Richtung des rechten Aufmarschs in die Höhe gestreckt. Einer der Teilnehmer erkannte offenbar die bekannte 1945 geborene Anti-Nazi-Aktivistin und erstattete daraufhin Anzeige.
Strafbefehl über 450 Euro
Mensah-Schramm erhielt wegen Beleidigung einen Strafbefehl über 450 Euro. Dagegen legte sie Widerspruch ein. Eigentlich
sollte an diesem Donnerstag vor dem Amtsgericht Zossen darüber verhandelt werden, ob das Strecken eines Mittelfingers – sprich des Stinkefingers – in Richtung einer rechten Kundgebung strafbar ist. Doch einen Tag vorher stellte die Richterin das Verfahren ein und sagte den Termin ab. Man habe dies „wegen geringem Verschulden und fehlendem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung entschieden, teilte eine Sprecherin des Gerichts am Mittwoch mit. Martin Vesely vom Verein Opferperspektive aus Potsdam sieht die Einstellung als Erfolg. Er kann nicht verstehen, warum es überhaupt zum Strafbefehl gekommen ist. Es sei klar, dass nach einer Anzeige ermittelt werden muss. Dass aber das Verfahren nicht bereits in der Anfangsphase eingestellt wurde, sei ein Rätsel. „Betroffene rechter Gewalt müssen teilweise jahrelang auf die prozessuale Verfolgung der Gewaltstraftaten warten. Eine Frau, die für ihr langjähriges zivilgesellschaftliches
Engagement gegen rechte Propaganda sogar mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet wurde, sollte dagegen wegen einer Lappalie einer Strafverfolgung ausgesetzt werden“, sagte Vesely der taz. Die seit 1969 in Berlin lebende Irmela Mensah-Schramm entfernt
seit Mitte der 80er Jahre in der gesamten Republik Neonaziaufkleber. Dafür wurde sie vielfach gelobt und ausgezeichnet, geriet aber immer wieder ins Visier von Neonazis, die sie bedrohten und auch körperlich attackierten.
aus taz-Berlin: 29.10.2015
Peter Nowak

Bespitzelung der linken Szene Heidelbergs war rechtswidrig

Viele von der Ausspähung durch Polizeispitzel Betroffene suchten den Rechtsweg und bekommen auch Recht. Doch ob damit das Spitzelwesen eingedämmt werden kann, ist noch offen

Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers im Jahr 2010 gegen die linke Szene in Heidelberg war nachweislich umfassend rechtswidrig: Das entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe [1] am Mittwoch. Damit setzten sich die sieben von der Bespitzelung Betroffenen durch, die die Klage ins Rollen brachten. So fand ein Spitzeleinsatz gegen linke Strukturen noch eine juristische Bewertung, der 2010 für Aufsehen sorgte [2].

Simon Bromma war in die linke Szene Heidelbergs eingeschleust worden und sollte eine antifaschistische Gruppe ausspähen. Doch Simon Brenner, wie der Alias-Namen von Bromma lautete, suchte auch Kontakt zu linken studentischen Initiativen und beteiligte sich auch an bundesweiten Bündnistreffen. Nach knapp 9 Monaten endete die verdeckte Arbeit von Bromma, als er durch Zufall enttarnt wurde.

Eine Urlaubsbekanntschaft erkannte den vermeintlichen Germanistikstudenten als Polizisten und informierte seine neuen Bekannten und vermeintlichen Freunde. Die stellten den vermeintlichen Genossen zur Rede, der innerhalb kurzer Zeit seine Spitzeltätigkeit einräumte und aus Heidelberg verschwand.

2014 hat dann die Frankfurter Rundschau den enttarnten Spitzel wieder entdeckt [3]. In Zeitungsanzeigen versprach er als alternativer Reiseveranstalter Mountainbikegruppen „Spannung, Spaß und Schokolade“ bei Touren durch die Alpen.

Die von der Ausspähung Betroffenen gründete den Arbeitskreis Spitzelklage [4], die am gestrigen Mittwoch erfolgreich war. Die Vorsitzende Richterin des Karlsruher Verwaltungsgericht Anna Mayer konnte keine konkrete Gefahr bei einem der beiden Zielpersonen der Ausspähung sehen. Die konkrete Gefahr einer Straftat mit erheblicher Bedeutung ist aber die Voraussetzung für den Einsatz eines verdeckten Ermittlers der Polizei.

Michael Dandl, der eine der Zielpersonen war, auf die Bromma angesetzt werden sollte, erklärte gegenüber Telepolis der AK Spitzelklage werde nun beratschlagen, ob die Betroffenen Klagen auf Schadenersatz wegen der unrechtmäßigen Überwachung einreichen. Der AK sieht im juristischen Weg vor allem einen Teil des politischen Kampfes gegen die Überwachung linken Zusammenhänge.

Etwas Sand in das Getriebe des Überwachungsapparates streuen

„Wir können den Repressionsorganen damit etwas Sand ins Getriebe streuen“, hofft Dandl. Doch mit der außerparlamentarischen Widerständigkeit hapert es etwas. Die AG Spitzeleinsatz hatte am vergangenen Samstag in Heidelberg eine Demonstration organisiert, hätte sich aber eine größere Beteiligung [5]gewünscht. Neben den Semesterferien, die in der Universitätsstadt Heidelberg die politische Arbeit erschweren, könnte auch die Häufung von Spitzeleinsätzen gegen linke Zusammenhänge zu einer Abstumpfung beigetragen haben.

Sehr bekannt geworden ist der europaweit agierende Polizeispitzel Mark Kennedy, der in Großbritannien weiterhin die Gerichte beschäftigt [6]. Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko hatte in einem Brief an die britische Justiz darauf hingewiesen [7], dass Kennedy auch in Deutschland linke Zusammenhänge ausspioniert hat. Zudem hat er freundschaftliche Beziehungen zu Frauen aus den außerparlamentarischen Bewegung geknüpft.

Mehrere der Betroffenen haben Klagen eingereicht. Auch in diesem Fall ist das öffentliche Interesse in Deutschland zurückgegangen. Dabei böten doch gerade die juristischen Schritte in Großbritannien eine gute Gelegenheit, auch hierzulande den Druck zu erhöhen. Man würde sich wünschen, dass ein Teil der medialen Empörung, die die NSA-Überwachung in Deutschland auslöste, auch auf Bespitzelungen verwendet würde, bei dem keine US-Stellen involviert sind.

Es muss sich noch zeigen, ob die optimistische Einschätzung des AK Spitzelklage Bestand hat, die das gestrige Urteil so kommentierten [8]:

Das Urteil ist eine schallende Ohrfeige für einen Repressionsapparat, der sich für allmächtig hält und seine Befugnisse im Verborgenen immer weiter ausbaut.

Undercover-Polizeibeamtin in Hamburg aufgedeckt

Es stimmt schon, dass juristisch schon mehrere Spitzeleinsätze nachträglich für rechtswidrig erklärt wurde. Ähnlich wie es auch häufig mit harten Polizeieinsätzen geschah. Doch genau so wenig wie damit für die Zukunft ausgeschlossen werden kann, dass die Polizeieinsätze weiter repressiv bleiben, so kann auch eine Zurückweisung von Bespitzelungen nicht verhindern, dass in anderen Fällen weiter linke Zusammenhänge ausgeforscht werden.

So wurde von einer linken Recherchegruppe in Hamburg erst vor wenigen Tagen die verdeckte Polizeibeamtin Maria Böhmichen enttarnt [9], die unter dem Namen Maria Block zwischen 2010 und 2012 in linken Zusammenhängen Hamburgs aktiv war und auch internationale Bündnistreffen besuchte.

Erst vor knapp einen Jahr war in Hamburg die verdeckte Ermittlerin Iris Schneider enttarnt worden [10]. Sie hat unter Anderem lange beim Freien Sendekombinat aktiv mitgearbeitet [11]. Die Betroffenen haben ebenfalls Klage gegen die Bespitzelung eingeleitet.

http://www.heise.de/tp/news/Bespitzelung-der-linken-Szene-Heidelbergs-war-rechtswidrig-2792072.html

Peter Nowak 

[1]

http://vgkarlsruhe.de/pb/,Lde/Startseite

[2]

http://www.heidelberg.rote-hilfe.de/docs/20110110-Bromma.html

[3]

http://www.fr-online.de/politik/fall-simon-brenner-entdeckter-ermittler,1472596,26211830.html

[4]

http://spitzelklage.blogsport.de/

[5]

http://spitzelklage.blogsport.de/2015/08/22/pe-zur-heutigen-demonstration/

[6]

http://www.theguardian.com/uk-news/undercover-with-paul-lewis-and-rob-evans/2015/jul/17/judge-leading-public-inquiry-into-undercover-police-to-speak-for-the-first-time?CMP=share_btn_tw

[7]

https://twitter.com/AndrejHunko/status/624538990344056832

[8]

http://spitzelklage.blogsport.de/2015/08/26/pe-vg-karlsruhe-betrachtet-den-heidelberger-spitzeleinsatz-als-rechtswidrig/

[9]

https://enttarnungen.blackblogs.org/

[10]

http://www.fr-online.de/panorama/verdeckte-ermittlerin-in-hamburg-was-von–iris-schneider–uebrig-blieb,%201472782,29484000.html

[11]

http://www.fsk-hh.org/blog/2015/05/08/pressemitteilung_zurueck_ins_lektorat_floragate

Islamfeinde und Verschwörungstheoretiker

Bei der Kundgebung des Berliner Pegida-Ablegers waren am gestrigen Montag neben dem Münchner Islamhasser Michael Stürzenberger auch rund 20 Hooligans dabei.

Knapp 100 Menschen hatten sich Montag  zum 28. „Abendspaziergang“ von Bärgida am Rande des Berliner Hauptbahnhofs getroffen. Das Mitglied der Partei  „pro Deutschland“ Karl Schmitt ging in der Eröffnungsrede  auf  die Anschlagsserie  im Regierungsviertel mit rechtem Hintergrund ein. Erst vor wenigen Tagen war ein Täter verhaftet worden. Der 48-Jährige wurde am Montagmorgen tot im Gefängnis aufgefunden. Schmitt spekulierte am Abend über eine „eine vom Verfassungsschutz gestellten Szene, welche mit Bärgida in Verbindung gebracht werden könnte“. Allerdings zog bisher eine solche Verbindung nur Schmitt selbst.

Neben Deutschlandfahnen zeigte beim „Abendspaziergang“ die „Identitäre Bewegung“ gleich mit unterschiedlichen Farbenkombinationen Flagge. Die Online-Plattform PI-News war wie in der Vergangenheit bei den Aufmärschen der Berliner Pegida-Ableger mit einem Transparent  mit der Parole „Die Islamisierung Europas stoppen“ vertreten. Auf selbst gemalten  Schildern gab es weitere Beispiele der extrem rechten Islamkritik: „Der Islam gehört zu Deutschland wie die Reeperbahn nach Mekka!“ oder „Der Islam fügt ihnen und ihren Angehörigen Schaden zu“, hieß es dort.

Grußworte von Legida und Pegida

Auf einem weiteren Schild wurde zum „ Kampf gegen Links“ aufgerufen.  Der stand auch im Mittelpunkt einer von vielen Tiraden  über die „linke SA“ und „links versiffte Antifa“ durchsetzte Rede des häufigen Bärgida-Redners René. Im Anschluss entwarf ein junger Mann, der sich als Mario vorstellte, ein globales Verschwörungsszenario. Danach soll eine Obama-Rede in Kairo die unter dem Begriff arabischer Frühling bekannt gewordenen Aufstände ausgelöst haben. Die wiederum führten zu einer Flüchtlingsbewegung, um Europa zu  überschwemmen. Das soll eine britische Zeitung bereits vor Jahren enthüllt haben. Grußworte gab es am Montag auch von Legida aus Leipzig und Pegida Deutschland.  Deren Redner  kündigte für  die Bundestagswahl 2017 nach dem Vorbild Dresden eine Kandidatur der Pegida-Bewegung an.

Das Publikum in Berlin hörte bei den Reden nur mäßig interessiert zu. Stimmung kam auf, als die Polizei rund 20 rechte Hooligans zu der Kundgebung geleitete, die  von Schmitt als „unsere lieben Sportsfreunde“ willkommen geheißen wurden. Zudem sei auch die Verpflegung gesorgt. Neben Wasser stünde auch Bier in Plastikflaschen gegen eine Spende bereit. Nachdem sich der Zug vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor bewegt hatte, sprach der als Stargast angekündigte Münchner Rechtspopulist Michael Stürzenberger von der  Kleinstpartei „Die Freiheit“.  Wie seine alle seine Reden geißelte er den Islam und seine angeblichen Unterstützer.

aus: Blick nach Rechts

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/islamfeinde-und-verschw-rungstheoretiker