Rassismus oder Wissenschaft?


Die wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit des in Berlin lehrenden Migrationsforschers Ruud Koopmans sorgt für Diskussionen

Einwanderungs- und Integrationspolitik, soziale Bewegungen und Rechtsradikalismus gehören zu den Forschungsthemen von Ruud Koopmans. Seit 2013 hat er die Professur für Soziologie und Migrationsforschung an der Berliner Humboldtuniversität (HU) inne. Zudem ist Koopmans Direktor der Abteilung „Migration Integration und Transnationalisierung“[1] am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Dass ein Mann mit einer solchen wissenschaftlichen Reputation gefragter Interviewpartner zu den Themen Einwanderung und Islam ist, dürfte ebenso wenig überraschen, wie die Einspeisung seiner Thesen in den politischen Meinungsstreit.

Zu islamkritisch für Deutschland?

So titelte die FAZ am 29.April 2016 mit Verweis auf Forschungsergebnisse des Wissenschaftlers: „Koopmans hält Multikulti für gescheitert“[2]. In dem FAZ-Interview behauptet der Migrationsforscher, dass die Diskriminierung von Migranten in Deutschland ein viel geringes Problem sei, als bislang angenommen. Dabei geriert er sich auch als Überbringer unbequemer Wahrheiten, die angeblich in Deutschland unterdrückt werden.

„Es ist schon so, dass die meisten Politiker und Journalisten nur die Bestätigung ihrer eigenen Meinung hören wollen. Und da ist vielleicht die Position, die ich vertrete, in Deutschland zurzeit nicht so populär. Insgesamt ziehen meine Forschungsergebnisse schon Aufmerksamkeit auf sich. Anfang 2015 habe ich eine Studie über islamischen Fundamentalismus und Feindbilder von Muslimen in Europa[3] veröffentlicht. Diese Ergebnisse wurden in vielen Ländern auf der ganzen Welt von Pakistan über Israel bis in die Vereinigten Staaten heftig diskutiert, auch in Europa – aber eben nicht in Deutschland.“

Ein solcher Befund mutet in einer Zeit merkwürdig an, wo islamkritische Positionen doch wahrlich nicht im politischen Untergrund Gehör finden. In der Neuen Züricher Zeitung[4] hinterfragt Koopmans auch die Frage, ob und wann Migranten diskriminiert werden. Auch in der Schweizer Zeitung geriert sich Koopmans als verfolgte Minderheit: „Es gibt Forscher, die seine Mails nicht mehr beantworten und ihrem akademischen Nachwuchs von einem Kontakt mit Koopmans abraten, weil sie ihn für einen verkappten Rassisten halten“, heißt es dort.

Bildung ohne Feindbild

Ob sich die Studierenden, die sich in Berlin in den letzten Wochen kritisch mit den wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeiten Koopmans auseinandersetzten, als akademischer Nachwuchs verstehen, muss offen bleiben. Dass sie aber ihre kritische Handlung eigenständig bilden könnten und nicht von Professoren dazu animiert werden, könnte sich auch bei der NZZ rumgesprochen haben.

Die Kommilitonen der sozialwissenschaftlichen Fachschaft an der Humboldtuniversität hat die Debatte auf ihrer Facebookseite[5] dokumentiert. Die Kritik an Koopmans umfasst neben seiner publizistischen auch seine wissenschaftliche Tätigkeit: „Wir möchten hiermit klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass Ruud Koopmans wissenschaftlich höchst fragwürdige Ergebnisse publiziert. Gleichzeitig nutzt er ebenjene Ergebnisse für normativ zweifelhafte Handlungsempfehlungen und um Stimmung gegen Personen muslimischen Glaubens in Deutschland zu machen“, heißt es in einer Stellungnahme. Während einige wissenschaftliche Kollegen von Koopmans von Denunziation sprachen, wurden die Studierenden in ihrer Kritik vom akademischen Mittelbau unterstützt.

Dabei belassen es die Kritiker nicht bei Erklärungen. Ein Banner mit der Aufschrift „Für Forschung ohne Feindbild“ soll nach einem Beschluss des Institutsrats demnächst zwei Wochen an einer geeigneten Stelle angebracht werden. Da nun die vorlesungsfreie Zeit angebrochen ist, dürfte sich der Streit am Sozialwissenschaftlichen Institut[6] zunächst beruhigen. Dabei wird sich zeigen, ob es im Herbst gelingt, am Sowi-Institut eine Diskussion zu führen, die sich einigen grundsätzlicheren Fragen widmet, die die Kontroverse aufwirft.

Studierende üben Wissenschaftskritik

Dabei geht es einmal um den Formwandel studentischer Proteste, der durchaus positiv ist. Lange Jahre haben Studierende in Zyklen gegen das Bachelorstudium gekämpft und verloren, die Studiengebühren hingegen wurden durch studentische Kämpfe abgewehrt. Doch in den letzten Jahren ist wenig von solchen studentischen Kämpfen zu hören. Dafür sind die Studierenden dazu übergegangen, die wissenschaftlichen Inhalte kritisch unter die Lupe zu nehmen und geraten damit mit Professoren in Konflikt, die auf einmal ihre wissenschaftlichen und politischen Thesen in der Öffentlichkeit verteidigen müssen.

Im letzten Jahr sorgte die kritische Auseinandersetzung[7] mit Forschung, Lehre und politischer Zuarbeit des Politologen Herfried Münkler[8] durch Studierende für Aufmerksamkeit. Auch damals wurden die Kritiker der Denunziation bezichtigt.

In Rostock geriet eine solch wissenschaftskritische studentische Tätigkeit sogar unter Extremismusverdacht[9]. Dabei müsste das neue Interesse studentischer Aktivisten an kritischer Auseinandersetzung mit Forschung und Lehre doch eigentlich Unterstützung von Akademikern bekommen, die tatsächlich noch an einer kritischen Wissenschaft interessiert sind.

Dass Studierende nicht mehr nur für größere Hörsäle und eine bessere Bibliotheksausstattung streiten, sondern die Wissenschaft selber in den Fokus der Auseinandersetzung nehmen, ist keine Radikalisierung. Das kann damit verglichen werden, dass Opel-Arbeiter nicht mehr nur über Lohn und Arbeitszeit verhandeln wollen, sondern sich über die Produkte, die sie herstellen, Gedanken machen und vielleicht sogar Rüstungs- oder Automobilkonversion fordern.

Wo endet die kritische Wissenschaft und wo beginnt der Rassismus?

Natürlich müssen die studentischen Kritiker der offiziellen Wissenschaft sich auch selber der Kritik stellen, die sie gegenüber den Professoren formulieren. Da muss es auch um die Frage gehen, ob es sich bei den inkriminierten Aussagen von Koopmans um Rassismus oder um wissenschaftliche Islamkritik handelt und ob die studentischen Kritiker sich schwer mit einer Kritik am Islam tun.

Der israel-arabische Publizist und Psychologe Ahmad Mansour[10] hat in einen Taz-Beitrag[11] Linken und Linksliberalen genau das vorgeworfen und dafür stichhaltige Argumente geliefert. In seinem engagierten Beitrag liefert Mansour auch das wissenschaftliche Handwerkszeug, das eine dringend notwendige wissenschaftliche Kritik am Islam vom Rassismus unterscheidet:

Humanistische Gesellschaftskritik und Aufklärung haben eine große Tradition im deutschsprachigen Raum. Aufklärung hat immer – absolut immer – mit der Kritik an Herrschaft zu tun, und Herrschaft hat fast immer mit Herren zu tun, also mit Männern, mit dem Patriarchat. Die großen monotheistischen Weltreligionen huldigen einem patriarchalen, strafenden Gott, einem der stärksten Machtfaktoren für ein hierarchisches, antidemokratisches Weltbild. Marx nannte Religion das „Opium fürs Volk“. Hegel, Kant und Weber waren Religionskritiker. Freud analysierte als Ursprung für die Erfindung eines strengen Gottvaters unter anderem ein unmündiges Bedürfnis danach, Verantwortung an Autoritäten abzugeben, sich kindlich zu unterwerfen. Die Französische Revolution übte Kritik an Religion als Instrument der Herrschaft und Unterdrückung. Auch in der Studentenrevolte von 1968 ging es um die Kritik am Klerus, an der Stellung der Frau in der Kirche, an religiösen Denkverboten, an den Vorstellungen von Autorität oder an der grausamen Praxis in staatlichen wie kirchlichen Kinder- und Jugendheimen. In jüngster Zeit empört sich die demokratische Öffentlichkeit über den massenhaften Missbrauch von Kindern in katholischen und anderen Institutionen, der ab 2010 ans Licht gekommen ist. Kritik von Gläubigen wie Nichtgläubigen an Religion als Herrschaftsinstrument ist ein Klassiker der Linken! Diese Kritik gehört zentral zu ihrem Fundament. Umso verrückter erscheint es, wenn die muslimischen Kritiker ihrer eigenen Religion von Grünen, Linken und sogar Sozialdemokraten mit Argwohn betrachtet werden. Warum ist unsere Kritik nicht ebenso berechtigt?Ahmad Mansour

Ahmad Mansour

Es wäre sicher eine lohnende Aufgabe einer emanzipatorischen Wissenschaftskritik, die Arbeiten von Koopmans und seiner Kritiker unter dieser Prämisse zu diskutieren.

Anhang

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48854/1.html

Links

[1]

https://www.wzb.eu/de/personen/ruud-koopmans

[2]

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/migrationsforscher-koopmans-haelt-multikulti-fuer-fatal-14202950.html

[3]

https://www.wzb.eu/sites/default/files/u252/s21-25_koopmans.pdf

[4]

http://www.nzz.ch/feuilleton/gespraech-mit-dem-soziologen-ruud-koopmans-assimilation-funktioniert-ld.13975

[5]

https://www.facebook.com/sowi.fachschaft/posts/1017206941690385:0

[6]

https://www.sowi.hu-berlin.de/de/institut/ueber

[7]

http://hu.blogsport.de/muenkler-watch/

[8]

https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/theorie-der-politik/mitarbeiter-innen/2507

[9]

http://kritischeunihro.blogsport.de/

[10]

http://ahmad-mansour.com/de/

[11]

http://www.taz.de/!5317219/