Es soll deutsch regiert werden

Wahl in Frankreich: Linke sollen sich für Macron entscheiden?

Formal findet die Stichwahl in Frankreich erst am 7. Mai statt. Doch für die internationalen Beobachter ist die Wahl gelaufen und schon machen sich mache Gedanken, ob Macron die Grausamkeiten gegen die Lohnabhängigen durchsetzen kann, die Deutschland hinter sich hat.

„Der So-gut-wie-Präsident“, lautet die Überschrift im Journal Internationale Politik und Gesellschaft[1] neben einen Konterfei von Emmanuel Macron, der nicht zufällig wie eine jugendliche Ausgabe von Sarkozy aussieht.

Bei der IPG wird nicht mehr diskutiert, ob Macron gegen Le Pen die zweite Runde gewinnt, sondern ob ihm, dem Newcomer ohne Parteibündnis bei den Parlamentswahlen, eine eigene Mehrheit im Parlament gelingt. Die Politikberater machen sich Gedanken, was passiert, wenn Macron ohne diese regieren muss:

Wenn ihm also die eigene parlamentarische Mehrheit fehlen sollte, bestehen drei Optionen. Erstens könnte sich eine der größeren Fraktionen auf eine Koalition mit Macron einlassen. Das wäre ein Novum in der französischen Politik, seit Charles de Gaulle die V. Republik schuf. Zweitens und eher vorstellbar wäre die Stützung seiner Politik ohne formalisierte Koalitionsvereinbarung oder drittens die als Ausnahmefall bereits praktizierte Cohabitation, bei der der Präsident mit einem von der Opposition unterstützten Ministerpräsidenten regiert
IPG-Journal[2]

Der Mythos von den unversöhnlichen Parteien in Frankreich

Nun wird sehr viel Wind um die angebliche französische Eigenart gemacht, dass es keine Kompromisse zwischen den französischen Parteien gebe. Gleich in mehreren Wahlkommentatoren durfte die inhaltsleere Metapher von der Französischen Revolution[3] nicht fehlen, die Macron angeblich schaffen könnte.

Dass auch die konservative Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diese Wortwahl[4] bemüht, muss nicht verwundern. Was hier als „Französische Revolution“ ausgegeben wird, ist nämlich exakt das Gegenteil. Die Französische Revolution stand für den Aufstand des 3. Standes, den Aufbruch einer bürgerlichen Gesellschaft und war das Gegenteil zum kleingeistig-reaktionären Preußentum, das sich bald in Deutschland breit machte.

Immer dann, wenn selbstbewusste Bürger als Citoyen auf die Straße gehen, wurde die Französische Revolution wieder aufgerufen. Sie stand dafür, keine Angst vor den Autoritäten zu haben weder in der Fabrik, am Arbeitsamt noch in der Gesellschaft. Was aber Macron nach der Hoffnung der KAS, der Bild-Zeitung und anderen leisten soll, ist die Demontage dieses Images der Französischen Revolution.

Er soll endlich die Reformen im Interesse der deutsch-europäischen Wirtschaft in Angriff nehmen, an denen sich seine Vorgänger, zuletzt Hollande, verhoben hatten. Wenn nun so stark betont wird, dass Macron keiner der alten Parteienfamilien entstammt, dann wird die Hoffnung geäußert, dass für ihn im Zweifel die wirtschaftsliberalen Denkfabriken mehr Gewicht haben als für einen Präsidenten, der sich gelegentlich seinen Rückhalt bei den Parteien holen muss.

Dabei ist es ein Mythos, dass die Parteien in Frankreich eine gegenüber Kapitalinteressen unversöhnlichere Rolle spielten als in Deutschland. Auch in Frankreich hat Hollande nach der Wahl die Politik fortgesetzt, die Sarkozy und die Konservativen propagierten. Alle Versprechungen von Hollande, er wolle die EU auch gegenüber Merkel sozialer machen, waren Makulatur.

Er machte gar nicht den Versuch, sich mit Ländern der europäischen Peripherie gegen die deutsche Austeritätspolitik zu wehren. Zudem gab es bereits in den vergangenen Jahren ganz offiziell eine Politik der Cohabitation, also der Zusammenarbeit zwischen den Parteien. Was vielmehr von Macron erwartet wird, ist dass er eben ohne Parteiinteressen ganz im Interesse der Wirtschaftsliberalen durchregieren wird und vor allem auch den Widerstand auf der Straße und in den Betrieben von den Basisgewerkschaften ignoriert oder sogar repressiv bekämpft.

Cohn-Bendit und Interessen der deutschen EU

Ein früher Unterstützer von Macron war der langjährige Grüne Daniel Cohn-Bendit[5], dem noch immer die Aura der Rebellion von 1968 anhaftet. Doch auch da war eben viel Mythos im Spiel. Cohn-Bendit gehörte sehr schnell zu den Neuen Linken, die ihren gegen den Stalinismus berechtigten Linksradikalismus in eine Liebe zum Westen umwandelte.

Der Westen wurde bald die EU. Und seit mehr als zwei Jahrzehnten kann Cohn-Bendit als Propagandist der deutsch-imperialistischen Interessen im grünen Gewand immer auf ein aufmerksames Publikum zählen. Das war auch am Dienstagabend in der Berliner Schaubühne so, als Cohn-Bendit mit mehreren deutschfranzösischen Journalistinnen über die Frankreich-Wahl und die Folgen diskutierte[6].

Obwohl die auch für den Tagespiegel arbeitende Publizistin Pascale Hugues sowie die Journalistinnen Hélène Kohl und Elise Graton nur in Nuancen von Cohn-Bendit abwichen, hätten sie doch einige interessante Details beisteuern können. Doch die Diskussion drehte sich hauptsächlich um Cohn-Bendit. Der aber machte in einer emotional gehaltenen Rede deutlich, warum er niemals den Kandidaten der Linken Jean-Luc Mélenchon unterstützen würde.

Inhaltlich ist das ja gar nicht so einfach zu begründen. Schließlich hatte der Linke ein ökologisches Programm und setzte sich für einen Ausstieg aus der Atomkraft ein. Doch für Cohn-Bendit stand er außenpolitisch auf der falschen Seite, d.h. nicht auf der Seite von Deutsch-Europa. So sei er im Konflikt zwischen China und Tibet nicht auf Seiten der tibetanischen Opposition gewesen wie Cohn-Bendit.

Dass diese im Wesentlichen aus Vertretern der klerikalen Gelbmützensekte bestand, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nahm[7], erwähnte Cohn-Bendit nicht. Aber dass Mélenchon im Kosovo-Konflikt auch die serbische Seite nicht von vornherein als illegal empfand und dass er auch im Ukraine-Konflikt den Bösen nicht nur in Putin sah, regte Cohn-Bendit derart auf, dass er erklärte, einen, der sich so positioniere, würde Dany le Rouge nur über seine Leiche unterstützen.

Unabhängig davon, wie man die einzelnen Konflikte beurteilt, ist auffällig, dass Cohn-Bendit kein Problem mit einem Bündnis mit ukrainischen Rechten bis zu syrischen Islamisten hat. Wichtiger noch, er unterstützt von Serbien über Tibet bis zur Ukraine überall die Kräfte, die schon vor 1945 Bündnispartner Deutschlands waren und es bis heute noch sind.

Dass Cohn-Bendit zu Mélenchons Missetaten auch eine Aufforderung an Merkel zählt, diese solle einfach mal das Maul halten, komplementiert das Bild von einem Mann, der als junger Linksradikaler gesprungen und als deutscher Schäferhund gelandet ist.

Unmut bei Cohn-Bendit und einigen Zuhörerin zog sich der Schaubühne-Regisseur Thomas Ostermeier zu, der es tatsächlich wagte, eine prononcierte Gegenmeinung zu Cohn-Bendit zu äußern, die in der Frage gipfelt, warum prekäre Franzosen den Kandidaten Macron wählen sollen, der nun die Mehrheit der Bevölkerung mit jenen Zumutungen beglücken will, die in Deutschland als Hartz-IV bekannt sind.

Cohn-Bendit, Pascale Hugues sowie Hélène Kohl wurden nicht müde zu berichten, wie genau die konservativen Medien verfolgen, wie in Deutschland diese Zumutungen umgesetzt wurden und wie die französische Elite davon lernen kann. Zumindest ein Zuhörer konnte die Lüge widerlegen, dass es in Deutschland keine Proteste gegen Hartz-IV gab. Dass es damals eine monatelange Protestbewegung gab und als Spätfolge über den Umweg der WASG die Linkspartei daraus entstand, muss ein Cohn-Bendit und die ihm huldigen Journalisten nicht mehr wissen.


Wer Macron nicht wählt, ist schuld an Le Pen

Dafür wurden schon neue Gegner ausgemacht. Dass sind all die Linken, die nicht mit fliegenden Fahnen und möglichst noch in der Wahlnacht zur Wahl von Macron aufgerufen haben. Da ist natürlich Cohn-Bendit in einer paradoxen Situation.

Einerseits ist er davon überzeugt, dass Le Pen bei den Wahlen keine Chance hat, und da hat er wahrscheinlich Recht. Andererseits darf Macron auch nicht den Eindruck erwecken, die Wahlen seien schon gelaufen. Sonst werden eben viele einfach die Wahlen boykottieren. Da wurde schon erinnert, dass ein Teil der Konservativen, Klerikalen etc. im Gegensatz zu Fillon nicht für Macron stimmen wollen.

Umso mehr werden nun die Linken in die Pflicht genommen. So haben die oft aus einen Missverständnis bestehende Sympathien deutscher Linksliberaler mit dem französischen Soziologen Didier Eribon bereits starke Risse bekommen, weil der bekennende Mélenchon-Wähler[8] eben nicht bereit[9] ist, Macron zu wählen und zur Erneuerung der Linken aufruft[10].

Er ist nicht allein. Auch Geoffroy de Lagasneri hatte – vor der ersten Wahlrunde – eindeutig erklärt[11], dass das Hochschreiben von Le Pen dazu dient, eine linke Alternative zu diskreditieren:

Das Problem ist, dass alle nur noch strategisch wählen und wir uns kaum noch fragen, was wir eigentlich möchten. Wir sollten diese Frage vermeiden und stattdessen neue Dynamiken für die Linke entwickeln – mit einem sozialistischen Kandidaten oder Jean-Luc Mélenchon.
Geoffroy de Lagasnerie

Der Philosoph und Essayist (vgl. „Die Kunst der Revolte“[12] über Snowden, Assange und Manning) hat auch ganz klar benannt, wofür Macron steht:

Ordnung, Gehorsam und Hierarchie. In jedem Aspekt des sozioökonomischen Lebens ist er immer für den Abbau jener Systeme, die die Menschen vor sozialer Gewalt schützen. Er will das Arbeitsrecht aufheben – die Arbeiterrechte beschneiden und die Arbeitgeberrechte stärken -, um die Klassenordnung zu stärken. Er will die allgemeine Wehrpflicht einführen. Und in einem Gay-Magazin auf mehr Rechte für die Transgender angesprochen, antwortete er, das sei sehr kompliziert, weil mehr Rechte für Transgender eine Provokation für das französische Seelenleben bedeuteten.
Geoffroy de Lagasnerie

Lagasnerie hat auch eine Erklärung für das Hochschreiben von Le Pen:

Damit wir am Ende glücklich sind über einen rechten konservativen Kandidaten. So war es in den Niederlanden. Da wird unsere Angst regiert. Lassen Sie uns nicht über die FN-Wähler sprechen, sondern über die vielen, die nicht wählen können und tatsächlich Ausgeschlossene sind. Menschen, die den FN wählen, tun dies, um repräsentiert zu werden. Das ist ein sehr gewaltvoller Akt. Aber was ist mit den Schwarzen, den Arabern in der Banlieue, die sich ausgeschlossen fühlen?
Geoffroy de Lagasnerie

Frankreich im Ausnahmezustand unter Macron oder Le Pen

Auch Edouard Louis hält[13] nichts von der These, dass Macron das Gegenmittel zu Le Pen sind:

Blödsinn. Politiker wie Macron haben Le Pen stark gemacht. Sie gaben sich als Linke und haben lupenrein rechte Politik gemacht, die Banken unterstützt, das Parlament geschwächt. Wenn er im ersten Wahlgang gewinnt, hat Le Pen im zweiten Wahlgang gute Chancen. Weil sie in erster Linie das Produkt des Ekels vor dieser konservativen Linken ist. Ich habe meine Mutter vor der letzten Wahl überzeugt, für Präsident François Hollande zu stimmen. Heute sagt sie, du hast mich betrogen, er hat vier Jahre lang Politik gegen uns gemacht. Jetzt ist sie geradezu besessen von Le Pen.
Edouard Louis[14]

Nun hat Louis als einer der wenigen Linken auszusprechen gewagt, dass die Wahlen tatsächlich erst am 7. Mai zu Ende sind und bis dahin auch ein Sieg von Le Pen theoretisch noch denkbar ist. Darauf werden jetzt alle Fans von Macron setzen.

Sie würden natürlich auch nicht fragen, ob eine erklärte Wirtschaftsliberale gegen einen Rechtspopulisten auch schon in den USA verloren hat. Manchen war es auch peinlich, dass in EU-Kreisen und der Bundesregierung bereits nach dem ersten Wahlabend in Frankreich von einem guten Ergebnis für Europa gesprochen wurde. Da wurde doch zu offensichtlich das Kreuzeln für irrelevant erklärt.

Da könnte man sich ja gleich Algerien zum Vorbild nehmen. Dort wurde, nachdem Anfang der 1990er Jahre die Islamistische Rettungsfront zu stark wurde, der zweite Wahlgang einfach abgesagt. Das wird man in Frankreich wohl nicht machen. Aber selbst wenn wahrscheinlich Macron auch gewinnt – auch ohne Unterstützung aller Linken -, dürfte er eine Politik machen, die die Rechte weiter stärkt. Es wäre nur zu hoffen, dass auch die entschiedene Linke sich weiter entwickelt, damit bei den nächsten Wahlen wirklich wieder eine zumindest begrenzte Alternative möglich ist.

Ansonsten ist zu hoffen, dass die sozialen Bewegungen und Basisgewerkschaften sich wieder auf der Straße zu Wort melden, und allen Präsidenten deutlich machen, dass mit ihren Widerstand zu rechnen ist. Schließlich hatte ja erst im letzten Jahr eine Kombination aus sozialer Bewegung und Gewerkschaften für mehrere Monate in Frankreich die politische Agenda bestimmt.

In dieser Zeit war der Front National ins Hintertreffen geraten. Die transnationale Unterstützung ist umso wichtiger, weil ja in Frankreich weiterhin der Ausnahmezustand gilt und keiner der Präsidentschaftsbewerber ihn aufheben will. In der aktuellen Ausgabe der Zeitung für Bürgerrechte Cilip[15] wird auf dieses Frankreich im Ausnahmezustand eingegangen.

Es besteht die Gefahr, dass soziale Grausamkeiten wie die Agenda 2010 oder die Rente mit 67 im Zeichen des Ausnahmezustands durchgesetzt werden sollen. Bezeichnend war schon, dass diese Sondergesetze bei der Veranstaltung von Cohn-Bendit genau so wenig erwähnt wurden, wie die aktuellen sozialen Bewegungen, mit denen der Posterboy der 68er nichts zu tun hat.

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Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Es-soll-deutsch-regiert-werden-3699072.html?seite=4
http://www.heise.de/-3699072

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/frankreich-vor-der-zaesur/artikel/detail/der-so-gut-wie-praesident-2000/
[2] http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/frankreich-vor-der-zaesur/artikel/detail/der-so-gut-wie-praesident-2000/
[3] http://www.bild.de/politik/ausland/emmanuel-macron/waere-macron-gut-fuer-europa-und-deutschland-51418912.bild.html
[4] http://www.kas.de/wf/de/33.48666/
[5] http://www.cohn-bendit.eu/de
[6] http://taz.de/!164153/
[7] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!1452036&s=goldner&SuchRahmen=Print
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1048825.eribon-waehlt-am-sonntag-melenchon.html
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/praesidentschaftswahl-in-frankreich-didier-eribon-wer-macron-waehlt-waehlt-le-pen-1.3470851
[10] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/didier-eribon-zur-krise-der-linken-in-frankreich-14973605.html
[11] http://www.taz.de/!5398106/
[12] http://www.deutschlandfunkkultur.de/geoffroy-de-lagasnerie-die-kunst-der-revolte-helden-des.950.de.html?dram:article_id=345604
[13] http://www.sueddeutsche.de/kultur/frankreich-die-linke-muesste-meine-eltern-ansprechen-ohne-soziorassistisch-zu-sein-1.3469363
[14] http://www.sueddeutsche.de/kultur/frankreich-die-linke-muesste-meine-eltern-ansprechen-ohne-soziorassistisch-zu-sein-1.3469363
[15] https://www.cilip.de/2017/03/05/112-maerz-2017-alles-anti-terror/

Sind jetzt alle gegen die USA außer der AfD und Pegida?

Bei der harschen Trump-Schelte geht es auch um ein neues Selbstbewusstsein des EU-Blocks

„Mein Freund ist Amerikaner“ – Diese Parole hätte man lange Zeit kaum mit den Pegida-Aufmärschen assoziiert. Schließlich haben viele der patriotischen Europäer mit den USA alles das verbunden, was sie ablehnen. Doch seit Donald Trump in den USA die Regierung übernommen hat, ist alles anders. Der neue Präsident gilt den Pegidisten als Hoffnungsträger, der auch „einen Reigen der Politikveränderung in Europa“ einleiten soll, wie es ein der Pegidabewegung nahestehendes Magazin[1] formulierte.

Auf dem letzten Dresdner Pegida-Spaziergang in Dresden am 23.1. wurden von mehreren Rednern zwei Männer besonders mit Lob bedacht[2], der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und der neue US-Präsident. Diese neue Konstellation hat natürlich auf die innerrechte Debatte Auswirkungen.

Profitieren werden jene Rechten, die sich als proamerikanisch bezeichnen wie das Onlinemagazin PI-News und natürlich die AfD, die sofort nach Trumps Wahl ein Glückwunschtelegram[3] versandte. Dort wird auch formuliert, was den Rechten – nicht nur in Deutschland – so an Trump gefällt:

Aufgrund Ihrer bisher getätigten Aussagen verfolgen wir als Deutsche und Europäer hoffnungsvoll Ihre außenpolitischen Positionen, weil sich diese wohltuend vom Kurs der vergangenen Jahrzehnte unterscheiden. Sie kündigen einen Weg der Nichteinmischung, der Lösungen und der Ordnung an. Sie haben die stabilisierende Funktion von Grenzen als einer zivilisatorischen Errungenschaft erkannt.

AfD

So ist es auch nur folgerichtig, dass die AfD schon Trumps deutsche Vorfahren ins Gespräch brachte und vom Trump-Effekt für das Örtchen Kallstadt schwärmte[4]. Doch viele Einwohner von Kallstadt sind einstweilen skeptisch mit Argumenten, die eigentlich auch die AfD verstehen müsste.

So wird Trumps Vorfahren noch immer übel genommen, dass er illegal aus Kallstadt verschwunden ist und sich vom Militärdienst gedrückt hat[5]. Da muss die AfD wohl aufpassen, dass ihr nicht nachgesagt wird, amerikanische Interessen zu vertreten. Das war ja bisher immer ein Lieblingsargument der Rechten nicht nur in Deutschland.

Anderseits wurde der Verdacht erhoben, „unsere amerikanischen Freunde“ nicht zu achten, wenn in den vergangenen Jahrzehnten Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen Kritik gegen die Politik der USA geäußert haben. So wird schon mal die gesamte Apo der späten 1960er Jahren mit dem Anti-Amerikanismus-Verdikt belegt, weil die oft auch in polemischer Art und Weise den Vietnamkrieg kritisiert hat.

Dass aber gerade die Apo sehr wohl die neue US-Kultur adaptiert hatte und sie erst in der BRD etablierte, wird dabei gerne vergessen. Wenn man nun die Antiamerikanismus-Messlatte der alten BRD auf die aktuelle Situation anlegen würde, müsste man von einem tektonischen Beben sprechen. Während die AfD und Pegida Trump feiert, übt sich eine ganz große Koalition von der Linkspartei bis zur Union in Trump-Kritik.

Nur der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer wollte sich da nicht gleich die neue deutsche Volksfront einreihen und erinnerte daran, dass Trump seine Wahlversprechen schnell abarbeitet[6]. Doch dafür musste er sich fast entschuldigen und bald wollte es Seehofer auch nicht so gemeint haben[7].

Das ist eine ganz neue Erfahrung für einen konservativen Politiker, dass eine zu große verbale Nähe zum neuen US-Präsidenten der Karriere womöglich nicht gut bekommen könnte. Dabei entsprachen Seehofers Äußerungen zweifelsfrei der Realität. Denn all die Maßnahmen, die Trump jetzt umzusetzen versucht, auch das begrenze Einreiseverbot aus einigen islamischen Ländern gehörte zu den Wahlversprechen von Trump.

Nur wurde während des Wahlkampfs und vor allem nach seiner Wahl immer die Vermutung oder Hoffnung geäußert, dass seien nur leere Versprechungen, die ein amtierender Präsident möglichst schnell vergessen wird. Nun haben sich die Kommentatoren mit dieser Prognose vorerst getäuscht.

Trump macht das, was manche neue Politiker immer machen. Sie versuchen auch mit viel Symbolpolitik gleich in den ersten Wochen vieles von dem, was sie versprochen haben, umzusetzen, werden dann mit den verschiedenen Problemen konfrontiert und schwenken dann in eine sogenannte pragmatische Politik über, d.h. sie machen das, was dem kapitalistischen Standort nützt. Gemeint sind dabei immer die innovativsten Teile innerhalb des Kapitalismus.

Da haben die Startups von Silicon-Valley die Nase vorn und von dort kommt auch der größte Widerstand gegen das zeitweise Einreiseverbot. Denn diese Branche lebt in Gegensatz zu den alten Industriebranchen, wo Trump im Wahlkampf punktete, von den vielen Kreativen aus aller Welt, die in den USA ihr Glück versuchen. Nicht wenige haben ihre Ausbildung in asiatischen und afrikanischen Ländern gemacht.

Der Brain-Train, der dadurch ausgelöst wird, dass sie alle den Versprechungen des American Way of Life folgen, wird in der Regel nicht beachtet. Aber junge IT-Manager, Wissenschaftlerinnen oder Ärzte, die auf Flughäfen der USA wegen des Einreiseverbots stecken bleiben, können die US-Liberalen und die liberale Weltöffentlichkeit mobilisieren. Die Menschen, die nur einen Dollar am Tag zum Leben haben, sind von Einreiseverbot nicht betroffen.

Sie haben gar nicht die Möglichkeit, in die USA zu gelangen und wenn sie es doch irgendwie versuchen wollten, würden sie umgehend festgesetzt und zurückgeschickt. Denn es stimmte historisch und aktuell nie, dass die USA für alle Menschen, die es wollten, offenstanden. Im Gegenteil wurde die Migration in die USA schon seit Jahrzehnten streng geregelt. Nach dem islamistischen Anschlägen vom 9. September 2001 waren Tausende Menschen mit Einreiseverboten konfrontiert, oft wurde ihnen nicht einmal die Begründung genannt. Islamisten waren die wenigsten.


Wenn nun weltweit eine solche Erregung wegen der ersten Maßnahmen von Trump laut wird, muss man immer genau hinsehen, wer sich hier artikuliert. Sind es US-Linke, Vertreter von Minderheiten in den USA und weltweit? Dann kann man davon ausgehen, dass ihre Kritik berechtigt und unterstützenswert ist.

Wenn nun aber fast die gesamte politische Klasse in Deutschland und in anderen EU-Länder in die Trump-Schelte einstimmen, geht es vor allem um die Herausbildung eines EU-Nationalismus in scharfer Frontstellung zu den USA. Diese Entwicklung hat sich in den Jahren 2002 und 2003 schon abgezeichnet, als die europäischen Werte gegen den Irakkrieg in Stellung gebracht wurden. Unter Obama wurde diese Entwicklung weg von den USA mehr ökonomisch als politisch vorangetrieben.

Unter Trump nimmt man den Diskussion über die europäischen Werte erneut, aber mit noch mehr Vehemenz auf. Das korrespondiert mit dem gewachsenen Selbstbewusstsein des EU-Blocks und genau damit ist die neue Tonlage gegen die US-Administration zu erklären: „Deutsch-Europa“ kann sich diese Töne leisten.

Um politische Inhalte geht es dabei weniger. Wenn ausgerechnet die EU sich so sehr über den geplanten Mauerbau an der Grenze zwischen den USA und Mexiko echauffiert, die ja selbst ihr Territorium zur Festung ausgebaut hat und Migranten lieber im Mittelmeer ertrinken oder in den Balkanländern frieren lässt, als sie aufzunehmen, dann zeigt sich, dass die vielzitierten europäischen Werte vor allem Ideologie sind.

Auch in der EU gibt es mannigfache Einreiseverbote. Wer es nicht glaubt, sollte mit Menschen aus Lateinamerika und Afrika reden, denen Visa verweigert werden, weil ihnen unterstellt wird, sie würden nicht ihre Heimatländer zurückkehren. Nur sind die Gründe in diesem Falle meist nicht die Religion, sondern zu wenig Geld.

Wenn nun Trump beschuldigt wird, sämtliche Grundsätze der USA aufzugeben, könnte es daran liegen, dass die Details der US-Einwanderungspolitik zu wenig bekannt sind. Aber auch jüngeren Politikern dürfte der Vietnamkrieg und seine mörderischen Folgen bekannt sein. Damals haben Politiker von Union, SPD und FDP alle Kritiker dieses Militäreinsatzes als antiamerikanisch tituliert. Denn, so die Begründung, Deutschland werde auch in Vietnam verteidigt.

Das war mehr als eine Propagandafloskel. Damals war die BRD bei ihren Wiederaufstieg noch auf die US-Unterstützung angewiesen. Heute ist Deutschland ein Kontrahent der USA. Daher wird die Politik von Trump so angegriffen.

Es geht um europäische Kapitalinteressen und weil dafür Menschen nicht so ohne weiteres zu begeistern sind, wird eine Wertediskussion geführt. Daran beteiligen sich an vorderster Front auch die Grünen und die ihnen nahestehende Taz. Die will mit ihrer Kampagne „mein Land“[8] für einen angeblich inklusiven Patriotismus[9] endgültig von einer Linken Abschied nehmen, die mit Rio Reiser der Überzeugung war, „dieses Land ist es nicht“[10]. Denn, so schreibt[11] die Taz-Redakteurin Nina Apin:

Die Deutschen, die sich ihres Deutschseins schämten, suchten ihre Heimat im progressiven Weltbürgertum, im Europäer sein oder im Regionalen. Und für viele, auch die Verfasserin dieser Zeilen, erweckte die gern bei linken Demos skandierte Parole „Kein Gott! Kein Staat! Kein Vaterland!“ allemal mehr positive Gefühle als ein Land, das man – so man nicht bekennendeR AnarchistIn war – zwar als Staat akzeptierte, aber keinesfalls als Heimat- oder gar „Vaterland“.

Nina Apin

Nun gab es den gesellschaftlichen Rechtsruck, der eigentlich diesem Grundsatz für eine emanzipatorische Politik bestärken müsste. Doch Nina Apin zieht daraus eine andere Konsequenz:

Gerade in einem Einwanderungsland, in dem sich Homogenität der Herkunft, des Glaubens in eine Vielschichtigkeit auflöst, braucht es ein identitätsstiftendes Narrativ: eine positive Erzählung darüber, was eine Gesellschaft prägt, was sie ausmacht, wer sie sein will. Eine solche Erzählung anzubieten hat die mittelschichtsdominierte Linke bisher versäumt, die Notwendigkeit dafür wurde schlicht unterschätzt. Ortsverbundenheit, Geborgenheit – solcher vermeintliche Gefühlskitsch passte schlicht nicht zum eigenen Freiheitsnarrativ.

Nina Apin

Also aus Angst vor dem Rechten sollen jetzt alle Patrioten werden, ist also die Konsequenz. Und der schwarz-grüne Chefideologe der Taz Peter Unfried kippt eine kräftige Portion Wirtschaftsliberalismus in die patriotische Sauce. Deswegen hat Unfried im französischen Wahlkampf Emmanuel Macron zum Bannerträger der europäischen Werte ausgerufen[12]. Denn der ist anders als die beiden Sozialdemokraten Mélenchon und Hamon garantiert nicht links.

„Er ist radikal proeuropäisch, das ist zentral. Gesellschaftsliberal. Jenseits von linksnationalistischem Protektionismus, für eine Umgestaltung des Arbeitsmarktes. Verkürzt gesagt, Priorität hat das Zurückkommen in Anstellung und nicht mehr nur das Bleiben in Festanstellung“, lobt Unfried Deutschlands Hoffnungsträger in Frankreich.

Macron soll da weitermachen, wo Hollande gescheitert ist – bei der Umsetzung der Agenda 2010 in Frankreich. Dafür werden die europäischen Werte bemüht. Daher sollten wir gerade aktuell vorsichtig sein, dass wir bei der berechtigen Kritik an der Politik der jetzigen wie der vergangenen US-Administrationen nicht zu Lautsprechern einer „Deutsch-EU“ werden, die sich in Konkurrenz zu den USA befindet.

https://www.heise.de/tp/features/Sind-jetzt-alle-gegen-die-USA-ausser-der-AfD-und-Pegida-3613568.html

Peter Nowak


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[1] http://www.epochtimes.de/politik/deutschland/pegida-feiert-us-wahl-trump-eroeffnung-eines-reigens-der-politikveraenderung-in-europa-a1975492.html
[2] http://www.pi-news.net/2017/01/pegida-dresden-solidaritaet-mit-bjoern-hoecke
[3] https://www.alternativefuer.de/glueckwunschtelegramm-der-afd-an-donald-trump/
[4] http://www.deutschlandradiokultur.de/der-kallstadt-impuls-trumps-deutsche-vorfahren.1001.de.html?dram:article_id=376295
[5] http://www.taz.de/!5374809/
[6] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/horst-seehofer-lobt-donald-trump-fuer-tatkraft-konsequenz-14797201.html
[7] https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-trump-101.html
[8] http://www.taz.de/!t5024660/
[9] http://www.taz.de/!t5024660/
[10] http://www.songtexte.com/songtext/ton-steine-scherben/der-traum-ist-aus-53d9a78d.html
[11] https://www.taz.de/Debatte-Deutsche-Identitaet/!5374678/
[12] https://www.taz.de/Kolumne-Die-eine-Frage/!5374703/