»Die Welt oder nichts«

Ein in der französischen Linken viel diskutierter Essay zum Kampf gegen das neue Arbeitsgesetz ist nun erstmals auf Deutsch erschienen

Vor zwei Jahren begannen in Frankreich Massenproteste gegen das Arbeitsgesetz, das die prekären Arbeitsverhältnisse in dem Land vertiefen würde. Vorbild dafür ist die Agenda 2010 in Deutschland. Der Protestzyklus begann am 9. März und hielt bis zum 5. Juli an. »120 Tage und 16 ›genehmigte‹ Demonstrationen, die uns die soziale Zusammensetzung der Bewegung und ihre in ständigen politischen Fluss begriffene politische Organisierung gut vor Augen führen«, schreibt Davide Gallo Lassere. Der junge prekär beschäftigte Sozialwissenschaftler hat sich an den Protesten beteiligt. Nachdem sie abgeebbt sind, hat Lassere einen in der französischen Linken vieldiskutierten Text verfasst, der nun erstmals auf Deutsch erschienen ist. Darin nimmt er die Proteste von 2016 zum Ausgangspunkt für grundsätzliche Fragestellungen: Wie können in einer individualisierten Gesellschaft Sozialproteste erfolgreich sein? Welche Rolle spielen die Gewerkschaften in einer Gesellschaft, in der viele vor allem junge Menschen keinerlei Beziehung zu ihnen haben?

Allerdings darf man hier kein Handbuch für den kommenden Widerstand erwarten. Das Buch ist eher ein Essay, der von der Bewegung auf der Straße inspiriert wurde. »Die Besetzung von Bahnhöfen, Häfen und Flughäfen, die Störung von Personen- und Gütertransport, die Beeinträchtigungen im Dienstleistungssektor, der Boykott von Einkaufszentren, all das lässt die Umrisse eines wirklichen ›Gesellschaftsstreiks‹ am Horizont aufscheinen«, schreibt Lassere. Er knüpft damit an Debatten an, die davon ausgehen, dass ein Streik heute nicht nur den klassischen Produktionsbereich von Waren, sondern auch den Reproduktionsbereich und den Handel umfassen muss, will er Druck entfalten. Der »Angriff auf die kapitalistische Verwertung« sei nur durch die Verbindung der Kämpfe in den unterschiedlichen Sektoren möglich. Kritisch thematisiert er, dass und warum direkt von der Gesetzesverschärfung Betroffene wie etwa die Jugendlichen der Banlieue sich kaum an den Protesten beteiligen konnten oder wollten. Das Buch reflektiert zudem die Schwierigkeiten, unterschiedliche politische Kulturen, wie etwa der etablierter Gewerkschaften und der neuer sozialer Bewegungen, unter einen Hut zu bringen.

Lassere beschreibt den Moment der Befreiung, als die Menschen im März 2016 wieder auf die Straße gingen. Es war das Ende »der Schockstarre, die den öffentlichen Raum besonders in Paris nach den Attentaten vom Januar und November leergefegt hatten«. Gemeint sind die islamistischen Terrorangriffe auf die Satirezeitung »Charlie Hebdo« im Januar 2015 und mehrere Sport- und Freizeitstätten im November desselben Jahres. Mit den sich im März ausbreitenden nächtlichen Platzbesetzungen eroberten sich die Menschen den öffentlichen Raum zurück. »Plötzlich hat man wieder Luft zum Atmen«, beschreibt der Autor das Gefühl vieler Aktivist_innen. »Die Welt oder nichts« lautete eine bald vielzitierte Parole im Kampf gegen die Arbeitsgesetze. Nach einigen Wochen beteiligten sich auch die Gewerkschaften mit eigenen Aktionen an den Protesten. Eine Streikwelle begann und weitete sich im Mai und Juni aus. Selbst die Aktionen militanter Gruppen konnten die Dynamik nicht brechen. Erst die Urlaubszeit und die 2016 in Frankreich abgehaltene Fußball-Europameisterschaft sorgten für ein Abflauen. Versuche linker Gruppen, im Herbst wieder daran anzuknüpfen, scheiterten. Die Arbeitsgesetze wurden von der Regierung durchgesetzt.

Lassere skizziert zum Abschluss auch die anschließenden Debatten in unterschiedlichen Spektren der französischen Linken und schlägt vor, das bedingungslose Grundeinkommen zu einer verbindenden Forderung zu erheben.

Davide Gallo Lassere, Gegen das Arbeitsgesetz und seine Welt, Die Buchmacherei, Berlin 2018, 111 S., 10 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1083256.die-welt-oder-nichts.html

Peter Nowak

Sie nannten ihn Kazik

Die Erinnerungen des polnisch-jüdischen Ghettokämpfers Rotem Simha

Die polnische Rechtsregierung hat kürzlich ein Gesetz erlassen, das bei der israelischen Regierung auf heftige Kritik stieß. Bestraft werden soll, wer Polen beschuldigt, zwischen 1939 und 1945 mit der deutschen Besatzung zusammengearbeitet und bei der Verfolgung der Juden geholfen zu haben. Da ist es ein Glücksfall, dass jetzt die Erinnerungen eines der letzten Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto neu aufgelegt worden sind.

Am 10. Februar beging der in Israel lebende Simha Rotem seinen 94. Geburtstag. »Als Kazik hatte ihn ein Kamerad aus der Kampfbewegung, gerufen«, schreibt Agnieszka Hreczuk in der Einleitung. Kazik ist ein in Polen gängiger Name, Rotem bekam ihn damals verpasst, damit er nicht als Jude erkannt wird – nicht nur von den Nazis nicht, sondern auch von Polen mit antijüdischen Ressentiments nicht. Im Buch werden viele Beispiele für den Antisemitismus in der polnischen Bevölkerung aufgeführt. Kurios allerdings, was in der Passage über seine Geldbeschaffungsaktionen für den Untergrund mitteilt. Sie mussten oft trickreich sein. Selbst Juden waren eher bereit, Wertsachen oder einen Geldbetrag zu geben, wenn sie einen nichtjüdischen Mann des polnischen Widerstands vor sich glaubten.

Die Verfolgung der polnischen Juden begann unmittelbar nach dem deutschen Überfall in aller Öffentlichkeit: »Einen Tag nach dem Einmarsch der Deutschen wurde ich Zeuge, wie Juden auf der Straße aufgegriffen und zur Zwangsarbeit abgeführt wurden … Die Deutschen verhöhnten die Juden, rissen ihnen ihre Hüte vom Kopf, stießen, schlugen und misshandelten sie«, schreibt Rotem. Auch Reaktionen in der nichtjüdischen polnischen Bevölkerung notiert er. Er vermerkt »Kollaboration« und »Denunziation von Juden und ihre Auslieferung an die Deutschen«

Gespenstisch erscheinen Rotems Schilderungen, wie die letzten Überlebenden des Warschauer Ghettoaufstands von 1943 in unterirdischen Kanälen auf ihre Rettung harrten, während über ihnen das ganze Stadtviertel von den Nazi-Okkupanten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Noch wochenlang qualmten die Ruinen mitten in der Warschauer Innenstadt, während das Alltagsleben weiterging als sei nichts geschehen. Rotem beteiligte sich mit den wenigen Überlebenden des Ghettoaufstandes im Jahr darauf auch am Warschauer Aufstand polnischer Patrioten. Im Vorfeld hatte seine Gruppe Kontakte zur nationalkonservativen Opposition aufgenommen, sich dann aber entschieden, sich der kleineren sozialistischen Widerstandsbewegung Armia Ludowa anzuschließen, die jüdische Kämpfer in ihre Reihen aufnahm. Abenteuerlich mutet die Rettung wichtiger Dokumente des Widerstands an, geborgen aus einem brennenden Gebäude und buchstäblich in letzter Minute vor dem Zugriff der Deutschen beiseite geschafft. Über zwei Wochen musste sich Rotem mit seinen Kampfgefährten in einem Keller verstecken. Sie drohten zu verdursten. Mit den Händen und primitivsten Werkzeugen buddelten sie einen tiefen Schacht, um an Trinkwasser zu gelangen.

Nach dem Ende des Krieges musste Rotem wie die meisten seiner Kampfgenossen feststellen, dass fast alle Freunde und Verwandten ermordet waren. Im Nachwort schreibt Jörg Paulsen: »Wenn wir das Zeugnis eines der wenigen Geretteten hier veröffentlichen, so mit der dringenden Bitte, ihm mit der Achtung zu begegnen, die ihm seitens der deutschen Leserschaft gebührt … Es bewahrt das Gedächtnis der Ermordeten«.

• Simha Rotem: Kazik. Erinnerungen eines Ghettokämpfers.
Verlag Assoziation A, 202 S., br., 18 €.

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Peter Nowak

Spontis, Maoisten, Feministen


Gerhard Hanloser und Ulrike Heider erinnern an den 68er-Aufbruch

»Alle diese Texte wirken völlig tot und uninteressant. Da finden sie nicht einen einzigen Artikel, den sie heute noch mit Gewinn lesen können.« So urteilte vor zehn Jahren der weit nach rechts gerückte ehemalige Aktivist der Außerparlamentarischen Opposition (Apo) Götz Aly im »Börsenblatt« über die theoretischen Texte der Neuen Linken. Der Publizist Gerhard Hanloser nahm dieses Statement zum Anlass, um an die linke Fundamentalopposition in der Bundesrepublik vor 50 Jahren und deren keinesfalls belanglos gewordene Texte und Ideen zu erinnern

In 25 Kapiteln stellt Hanloser vor, was und wer damals diskutiert wurde, darunter Mao, Marx, Lenin, Che Guevara. Die linke Literaturliste war damals jedenfalls viel umfangreicher als sie heute ist. Ernst Bloch stand ebenso darauf wie der linke Psychoanalytiker Wilhelm Reich und der Kolonialismuskritiker Franz Fanon. Einen wichtigen Stellenwert nahmen natürlich die Theoretiker der Frankfurter Schule ein, durch deren Brille junge Linke Mitte der 1960er-Jahre Marx entdeckten und studierten. Hanloser lässt nicht unerwähnt, wie enttäuscht viele waren, als sich Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gegen die Revolte wandten. Herbert Marcuse hingegen, der innerhalb der Frankfurter Schule eine Sonderstellung einnahm, unterstützte die Neue Linke vorbehaltslos. Erfreulich ist, dass Hanloser auch auf heute weniger bekannte Theoretiker wie Karl Korsch und Johannes Agnoli eingeht, die zeitweise ebenfalls viel gelesen wurden.

Der Feminismus wurde damals geboren, Simone de Beauvoir und Alexandra Kollontai standen hoch im Kurs, allerdings auch die politisch fragwürdige Valerie Solanas, die in einem Manifest zur Vernichtung aller Männer aufrief und diesen Vorsatz mit einem Attentat auf Andy Warhol gar in die Tat umsetzen wollte. Die spätere Wende des Feminismus zur Genderkritik bewertet Hanloser kritisch: »Dieser Feminismus scheint triebbiologie- und naturvergessen zu sein und trachtet, alles in Diskurse aufzulösen.«

Ein Kapitel widmet sich der Rezeption des Maoismus in der Neuen Linken. Heute werden zumeist die damals entstandenen kommunistischen Kleingruppen als abschreckende Beispiele angeführt. Der von Hanloser beleuchtete Anarchomaoismus ist hingegen kaum mehr bekannt. Er bezog sich auf das herrschaftskritische Potenzial, das in den kulturrevolutionären Elementen des Maoismus und der Parole »Bombardiert das Hauptquartier« enthalten war. Der Autor ist ein scharfer Kritiker der autoritären Linken, zu der sich einige der 68er-Aktivisten entwickelt haben. Genau so scharf kritisiert er die Spontibewegung mit ihrem Unmittelbarkeitskult und ihrem Antiintellektualismus. Viele von ihnen gehörten später zu den führenden Realos bei den Grünen.

In ihrer Kritik an Stalinisten und Spontis sind sich Hanloser und Ulrike Heider einig. Letztere war Hausbesetzerin in Frankfurt am Main, wo sie 1968 ihr Germanistikstudium begonnen hat. In einem kurzen Interview mit Hanloser betont sie die wichtige Rolle, die Lesen und die Beschäftigung mit Theorie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis spielte. Raubdrucke waren damals eine beliebte Möglichkeit, kostengünstig an gefragte Autoren zu gelangen. Erst viel später wurden linke Autoren auch in großen Verlagen aufgelegt.

Ulrike Heider hat selbst einen Erlebnisbericht vorgelegt, in dem sie ihre Politisierung in der APO beschreibt, die für sie Aufbruch und Befreiung bedeutete. Sie lehnt es vehement ab, die damaligen Kämpfe als eine Kette von Fehlern, Irrtümern, Illusionen zu charakterisieren. Dabei verklärt die Autorin jene Zeit keineswegs. Sie selbst saß oft zwischen allen Stühlen, kritisierte den Konformismus der einen und den Gruppenzwang der anderen. Auch die Gurus der selbst ernannten Antiautoritären, deren Toleranz auf Grenzen stieß, wenn es um die Verteidigung der eigenen Machtpositionen ging, werden von Ulrike Heider witzig und treffend demaskiert. Einer von ihnen wurde später Außenminister und war für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien mitverantwortlich: Joseph »Joschka« Fischer.

Ulrike Heider erlaubte sich, auch mal Urlaub vom linken Frankfurter Milieu zu machen und unternahm längere Reisen in die USA. Auch die dortige anarchistische Linke wird von ihr der Kritik unterzogen. Der Schluss ist märchenhaft. Ulrike Heider versteckt einen Laptop in ihrer Wohnung vor möglichen Einbrechern, als es diese Geräte noch nicht gegeben hat. Egal, die Bücher von Hanloser und Heider ergänzen sich famos.

• Gerhard Hanloser: Lektüre und Revolte. Eine Textsammlung der 68er Fundamentalopposition.
Unrast, 165 S., br., 9,80 €
• Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm.
Bertz + Fischer, 305 S., geb., 18 €

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Peter Nowak

Paarweise undogmatisch

Neuerscheinungen von Emmy und Roman Rosdolsky

„Mit permanenten Grüssen“ ist eine merkwürdige Form, sich in einen Brief zu verabschieden. „Paarweise undogmatisch“ weiterlesen

Klassenbrüder in Spitzbergen

Syndikalisten gibt es in den entlegensten Teilen der Welt, ein Buch widmet sich ihrer Geschichte

»Die Syndikalistische Föderation Spitzbergens sendet von den arktischen Regionen den Klassenbrüdern in allen Ländern ihre brüderlichen Grüße und hofft auf den Durchbruch des Syndikalismus unter dem Proletariat in aller Welt.« Die 1925 von Kohlearbeitern im hohen Norden geäußerten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Aber das Beispiel macht deutlich, dass die syndikalistische Strömung der Gewerkschaftsbewegung selbst in den entlegensten Teilen der Welt bei den Arbeiter_innen auf Zustimmung gestoßen ist. Daran erinnert der Bremer Historiker Helge Döhring in seiner Einführung in den »Anarcho-Syndikalismus«. 

Der Titel des Buches ist etwas missverständlich, denn Döhring schildert darin auch die tiefen Konflikte der Syndikalist_innen mit Teilen der anarchistischen Strömungen. Die Grundsätze des Syndikalismus fasst Döhring so zusammen: »Syndikalismus beginnt dort, wo sich auf ökonomischer Ebene Menschen zusammenschließen, um sich im Alltag gegenseitig zu helfen, mit dem Ziel, der Ausbeutung der Menschen ein Ende zu bereiten.« Damit teilen sie auch die Ziele der marxistischen Arbeiter_innenbewegung. Doch im Gegensatz zu ihnen lehnen die Syndikalist_innen zentralistische Strukturen ab und favorisieren Streiks und Klassenkämpfe statt Kungelrunden mit den Bossen. 

Doch Döhring zeigt auch an zahlreichen Beispielen auf, dass Syndikalist_innen häufig Kompromisse machten, wenn sie einflussreicher wurden. Besonders in Schweden ist die mächtige syndikalistische Gewerkschaft in den Staatsapparat integriert. Das führte immer wieder zu Spaltungen und Streit zwischen den Anhänger_innen der reinen Lehre und angeblichen Revisionist_innen. Darin sind sich die marxistische und die syndikalistische Bewegung ähnlich. Als syndikalistischen Revisionismus bezeichnet Döhring die Ansätze des späten Rudolf Rocker. Der wichtigste Kopf des deutschsprachigen Syndikalismus näherte sich nach 1945 der Sozialdemokratie an. Anders als in den spanischsprachigen Ländern und Teilen Skandinaviens blieb der Syndikalismus in Deutschland minoritär. 

Das letzte »Perspektiven« überschriebene Kapitel des Buches ist leider etwas kurz geraten. Dort prognostiziert Döhring, dass die Syndikalist_innen von dem Rückgang der fordistischen Großindustrie und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust der DGB-Gewerkschaften profitieren könnten. Dabei beruft er sich auf historische Erfahrungen, nach denen syndikalistische Gewerkschaften in den Bereichen an Einfluss gewonnen haben, in denen Zentralgewerkschaften entweder gar nicht oder nur schwach präsent waren. So haben sich etwa Arbeitsmigrant_innen in den USA und anderen Ländern verstärkt in syndikalistischen Gewerkschaften organisiert. Ein Grund dafür liegt in den Hürden, die ihnen die meisten etablierten Gewerkschaften stellten. 

Auch die Arbeitskämpfe, die in Deutschland in den letzten Jahren von der syndikalistischen Freien Arbeiter Union (FAU) geführt wurden, fanden in Branchen statt, in denen die DGB-Gewerkschaften kaum vertreten sind. Das trifft für die Kinos ebenso zu wie für die Fahrradkurier_innen. Leider ist Döhring auf diese aktuellen Kämpfe nicht detaillierter eingegangen und hat in der Literaturliste die Bücher, die über diese neuen Arbeitskämpfe erschienen sind, nicht aufgeführt. Trotzdem ist seine gut verständliche Einführung in die syndikalistische Arbeiter_innenbewegung zu empfehlen. 

Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung, 228 S., 16 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1078852.klassenbrueder-in-spitzbergen.html

Peter Nowak

Alexander Berkman

Im Januar 1920 wurde der Anarchist Alexander Berkman zusammen mit seiner Genossin Emma Goldman aus den USA in die Sowjetunion abgeschoben. Auch als beiden zwei Jahre später enttäuscht über die autoritäre Entwicklung und die Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt das Land wieder verließen, änderte Berkman nichts an den Sätzen, mit denen er die Gefühle beim Eintreffen in der Sowjetunion beschrieb: »Mir war danach, die ganze Menschheit zu umarmen, ihr mein Herz zu Füßen zu legen, mein Leben tausendfach im Dienste der sozialen Revolution hinzugeben. Der schönste Tag meines Lebens«. Diese Notizen nimmt Bini Adamczak zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen über mögliche alternative Pfade der Revolution. Dabei geht sie auch auf historisch wenig bekannte Ereignisse ein. So kam in Finnland ganz ohne Gewalt eine linke Regierung an die Macht, die ihre Gegner zu überzeugen versuchte. Die aber entfachten den Weißen Terror, dem in wenigen Monaten 8.500 Menschen zum Opfer fielen; noch mehr starben in den von den Rechten eingerichteten Konzentrationslagern. Im Juni 1918 übernahm für kurze Zeit ein von den Menschewiki und Rechten Sozialrevolutionär_innen dominierter Block die Macht in der Wolgaregion. Doch bald gingen reaktionäre Kräfte mit Terror gegen die Linke vor. Diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur an den Bolschewiki lag, dass die Revolution abgewürgt wurde. Bini Adamczak widerlegt alle, die mit der Oktoberrevolution schon den Weg in den Stalinismus vorgezeichnet finden.

Peter Nowak

Bini Adamczak: Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman. Vom möglichen Gelingen der russischen Revolution. Edition Assemblage, Münster 2017, 150 Seiten, 12,80 EUR.

https://www.akweb.de/ak_s/ak634/11.htm
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 634 / 23.1.2018

Die Möglichkeit des radikal Anderen

100 Jahre nach der brutalen Niederschlagung: Autor Simon Schaupp über die Bedeutung und Erforschung der Bayerischen Räterepublik

Zur Person

Simon Schaupp ist Soziologe und in der Technischen Universität München als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Er hat kürzlich im Unrast-Verlag »Der kurze Frühling der Räterepublik – ein Tagebuch der bayerischen Revolution« herausgeben. Am 26.1. stellt Schaupp das Buch im Berliner FAU-Lokal in der Grüntaler Straße 24 vor.

Mit dem Wissenschaftler sprach Peter Nowak.

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Schweigen und Verschleppung

Ein neues Buch über das Leben von Roman Rosdolsky und dessen Frau Emmy, die Trotzki nahestanden, gibt die Möglichkeit, das Werk eines wenig bekannten marxistischen Ökonomen kennenzulernen.

«Mit permanenten Grüssen» ist eine merkwürdige Form, sich zu verabschieden. Manche dürften sich dabei…

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„Er teilt das Schicksal vieler linker Querdenker“

Willy Huhn war zu links für die SPD und vergessener Pionier der Westberliner Anti-AKW- Bewegung. Der Politikwissenschaftler Jochen Gester hat ein Buch über ihn veröffentlicht 

Der Autor und das Buch
Jochen Gester, Politikwissenschaftler, 1951 geboren, Ende der Sechziger durch die Außerparlamentarische Bewegung politisiert. In den Siebzigern am Versuch kommunistischer Gruppen beteiligt, die Betriebe zu politisieren. Seit Jahren ehrenamtlich in der IG Metall aktiv.
In seinem Verlag „Die Buchmacherei“ veröffentlichte Gester Ende 2017 die Biographie „Auf der Suche nach Rosas Erbe“ über den weitgehend vergessenen Berliner Linkssozialisten Willy Huhn.

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Die Scham eines Berliner Rätemanns

Mit Willy Huhn verlieren seine persönlichen und politischen Freunde einen guten Genossen, der als sozialistischer Theoretiker, Pädagoge und Publizist eine wertvolle politische Arbeit geleistet hat … Am meisten erstaunte sein enzyklopädisches Wissen, das er sich autodidaktisch angeeignet hat.« Mit diesen Worten würdigten Westberliner Jungsozialisten am 24. Februar 1970 Willy Huhn an dessen Grab. Verabschiedet wurde ein Mann, der in seinen letzten Jahren eng mit der jungen Generation der sich gerade entwickelnden außerparlamentarischen Bewegung verbunden war und ihr die Ideen des Rätekommunismus zu vermitteln suchte. Huhn gehörte zudem zu den frühen Kritiker der Atomkraft, nicht nur für militärische Zwecke, sondern auch zur sogenannten friedlichen Nutzung. Bereits Ende der 1950er Jahre hatte er in Westberlin eine Anti-AKW-Initiative ins Leben rufen wollen.

Es ist Jochen Gester, Gründer des Verlags Die Buchmacherei zudanken, dass nach Jahrzehnten des Vergessens an Willy Huhn erinnert wird. Das vorzüglich lektorierte Buch gibt einen Überblick über dessen Leben und Kampf links von SPD und KPD, gegen stalinistische und sozialdemokratische Konterrevolution, was ihn nicht vor fatalen politischen Fehlschlüssen bewahrte.

In seiner Kindheit und Jugend litt Huhn unter einem tyrannischen Vater, der ihn mehrmals krankenhausreif schlug. »Ich habe Prügel bekommen … viel Prügel, Prügel über Prügel und noch mal Prügel«, schrieb er, als er die sozialistische Jugendbewegung entdeckte und entschied: »Der Sozialismus – ich gehöre ihm.« Er wurde dann jedoch Mitglied der »Roten Kämpfer«, einer rätekommunistischen Gruppierung, die sich dem Erbe von Rosa Luxemburg verpflichtet fühlte. Nach Hitlers Machtantritt 1933 gingen einige seiner Freunde in den Widerstand, andere versuchten im NS-Staat zu überwintern. Huhn selbst wurde 1941 zum Protagonisten des deutschen »Endsiegs«. Diese erschreckende Äußerung fand Gester in Huhns Nachlass.

Es ist gut, dass der Biograf diese Epoche in Huhns Leben nicht unterschlug. Der Leser lernt keinen Helden kennen, sondern eine widersprüchliche Person, die neben scharfsinniger Kritik am Nominalsozialismus und sozialdemokratischen Etatismus in einer Zeit, da das NS-Regime Europa mit Terror überzog, Sätze wie diese notierte: »Wir können uns jedenfalls keine Parlamentarisierung Deutschlands noch die Balkanisierung Mitteleuropas wünschen, solange die übrige Welt imperialistisch ist. Deshalb muss Deutschland siegen.«

Nach 1945 äußerte Huhn Scham über seine NS-Apologie und erklärte sie mit Vereinsamung und mangelndem Kontakt zu Genossen. Nach einem kurzen Intermezzo in der Sowjetischen Besatzungszone, wo er der KPD und später der SED beitrat, allerdings alsbald in Konflikt mit der autoritären Partei geriet, übersiedelte er nach Westberlin und gehörte der SPD an, die ihn ausschloss, als er deren Rolle in der Novemberrevolution kritisierte.

Huhn hinterließ zahlreiche Texte, die in dem Buch teils erstmalig veröffentlicht sind, allerdings nur in einer Auswahl.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1076130.die-scham-eines-berliner-raetemanns.html

Jochen Gester: Auf der Suche nach Rosas Erbe. Der deutsche Marxist Willy Huhn (1909 – 1970). Die Buchmacherei, 627 S., br., 22 €.

Zwei Bücher über die radikale Linke in Berlin Jagd auf Linke als Krimi

Zwei neue Bücher befassen sich mit radikalen Linken in Berlin. Viele Fragen bleiben jedoch offen.

»Dies ist die Geschichte von Oliver Rast. Sie handelt von einem Mann, der einmal ein Juso war.« So stellt der Journalist Frank Brunner die Hauptfigur seines kürzlich im Lübbe-Verlag erschienenen Buches »Mit aller Härte. Wie ­Polizei und Staatsschutz Linksradikale jagen« vor. Gestützt auf Polizeiakten, Prozessberichte, Interviews und persönliche Recherche schildert er darin die jahrelange Jagd von Staatsschützern und Polizei auf eine kleine Gruppe radikaler Linker. Oliver Rast ist nicht etwa ein an der Jagd beteiligter Politiker oder Ermittlungsbeamter. Der ehemalige Juso radikalisierte sich, betätigte sich im Studierendenparlament der FU Berlin und wurde schließlich in einem ­Indizienprozess wegen eines Brandanschlags und Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe«, einem klandestinen Zirkel der radikalen Linken, zu ­einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Rast äußerte sich im Prozess nie zu diesem Vorwurf. Nun ist er der Held eines Buches, das linke Geschichte als Kriminalfall auch Lesern schmackhaft zu machen versucht, die unterhalten werden wollen.

»Ich wollte ein Buch, in dem ohne Diskreditierungen klandestine Militanz thematisiert wird. Das ist absolut gelungen«, sagte Rast der Jungle World. Es sei ihm darum gegangen, militante Gruppen nach dem Ende der Revolutionären Zellen und der RAF in den Fokus zu rücken. »In der Post-RAF-Ära hat sich im militanten Sektor der radikalen Linken mehr getan, als man heute vielleicht vermutet«, so Rast.

Hier zeigen sich aber auch die Grenzen eines solchen Projekts. So hat Brunner auch Bernhard Falk besucht, der sich zunächst für RAF-Gefangene einsetzte, als Mitglied der Antiimperialistischen Zellen die Liebe zum Islam entdeckte und sich derzeit in der Gefangenenhilfe für inhaftierte Salafisten engagiert. Im Buch präsentiert sich Falk weiterhin als überzeugter Antiimpe­rialist – unter der grünen Fahne des Propheten. Da ergäben sich viele Fragen, auch zur Haltung der militanten Linken zu Islam und Islamismus lange vor den Anschlägen vom 11. September 2001. Doch solche Fragen stellt Brunner kaum. Das wird deutlich, wenn er Rast fragt, ob der Weg zur von Rast mitgegründeten Gefangenengewerkschaft Reformismus sei. Der überreicht ihm mit den Worten »Beantwortet das Ihre Fragen?« die Kopie des von Ulrike Meinhof 1974 verfassten »Provisorischen Kampfprogramms für den Kampf um die politischen Rechte der gefangenen Arbeiter«. Damit endet das Buch.

Viele Fragen hatte dagegen der in Wien lebende Journalist Samuel Stuhlpfarrer. Er hat im Mandelbaum-Verlag unter dem Titel »Kommen. Gehen. Bleiben« Gespräche mit Andrej Holm veröffentlicht. Holm war 2007 mit Rast verhaftet worden und hatte im vorigen Jahr Schlagzeilen gemacht. Der Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Wohnungspolitik war zum Staatssekretär für Wohnen in Berlin ernannt worden, doch bald dominierte seine fünfmonatige Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR die ­Berichterstattung. Schließlich trat er zurück. In Stuhlpfarrers Buch schildert Holm seine politische Sozialisation in einem kommunistischen Elternhaus und seine langsame Entfremdung vom SED-Regime. Erfreulich ist auch, dass er an den weitgehend vergessenen außerparlamentarischen Widerstand im Berlin der früheren neunziger Jahre erinnert, in den er involviert war.

Doch auch Holm und sein Interviewer erzählen nicht die ganze Geschichte. Kein Wort etwa über die Zeitschrift Radikal, die der offizielle Grund für Holms flächendeckende Überwachung war. Dafür folgt am Ende ein klares Bekenntnis zur Verfassung und zur Hoffnung auf Reformen. Diese können Holm zufolge aber eher von der außerparlamentarischen als der parlamentarischen Linken angestoßen werden.

Die Bücher machen auch deutlich, dass Holm und Rast – 2007 forderte eine Solidaritätskampagne ihre Freilassung – sich heutzutage nichts mehr zu sagen haben. In Brunners Buch wird Holm fast nur negativ erwähnt. Auch in der Linken gibt es Indizienprozesse mit zweifelhafter Beweisführung.

https://jungle.world/artikel/2018/01/jagd-auf-linke-als-krimi

Peter Nowak

Wer von Glyphosat redet, darf von Kapitalismus nicht schweigen

Ein CSU-Minister als Vertreter der Landwirtschaftsindustrie gegen eine Ökokapitalistin mit SPD-Parteibuch. So stellte sich Ende November die Auseinandersetzung zur Verlängerung der Glyphosat-Zulassung in der EU da. Doch diese Personifizierung verstellt den Blick darauf, dass in einer Gesellschaft, in der der Profit das Maß aller Dinge ist, eben nicht die Frage der Gesundheit an erster Stelle steht. Davon berichtet sehr kenntnisreich der Leiter der Forschungsstelle Arbeit, Gesundheit und Biographie in Bremen Wolfgang Hien in seinen im VSA-Verlag erschienenen Buch „Kranke Arbeitswelt“.
Hien erinnert noch einmal an die Asbest-Katastrophe, die eigentlichen besser als Kriminalfall bezeichnet wird. Motiv: Profitsteigerung, Täter: Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Arbeitsmedizin, gedeckt wurden sie von DGB-Vorständen und jenen Teil der Lohnabhängigen, die für einen Arbeitsplatz über Leichen gehen.
„Leider muss zugleich festgehalten werden, dass auch führende Gewerkschaftler und viele Betriebsräte sich damals der Meinung anschlossen, ganz einfach auch deshalb, weil sie um ihre Arbeitsplätze fürchteten“, schreibt Hien. Er zeigt auch, mit welch harten Bandagen im wahrsten Sinne des Wortes auch unter Lohnabhängigen für die Arbeit mit gesundheitsschädlichen Materialen gekämpft wurde. Da wurde schon mal einen oppositioneller Betriebsrat nicht nur verbal sondern auch körperlich attackiert. Hien erinnert aber auch daran, wie in Italien Lohnabhängige gemeinsam mit AktivistInnen der außerparlamentarischen Linken gegen gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen aktiv geworden sind. Und er erinnert an oppositionelle GewerkschafterInnen wie die Echolot-Gruppe in der deutschen Chemieindustrie, die auch von den DGB-Gewerkschaften nicht unterstützt wurde.

Dabei geht es nicht um moralische Kritik. Das Kleinbürgertum in ihren Ökostadtteilen hat nun wahrlich keine Veranlassung, sich über Lohnabhängige zu mokieren, die angeblich zu dumm seien, um sich vor gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen. Nein, es ist die kapitalistische Profitgesellschaft, die Menschen so zurichtet, dass sie für einen Arbeitsplatz ihre Gesundheit zu ruinieren bereit sind. Hien jedenfalls stellt das in seinem Buch ganz klar.
Er macht nicht die Opfer dafür verantwortlich. Seine Kritik richtet sich an die WissenschaftlerInnen, darunter viele ArbeitsmedizinerInnen, und die Wirtschaftsverbände, die jahrelang gegen alle wissenschaftliche Evidenz bestritten, dass Asbest gesundheitsschädlich ist. Hien spricht sogar davon, dass sich führende WissenschaftlerInnen des Bundesgesundheitsamtes von der Asbestindustrie haben kaufen lassen. Eternit und andere Unternehmen und eben auch viele gekaufte Wissenschaftler behaupteten bis zuletzt, Asbest sei nicht oder nur gelegentlich gesundheitsschädlich.
Wenn man das Kapitel über den Kriminalfall Asbest und den langen Kampf liest, bis
auch die Wirtschaftsverbände nicht mehr verhindern konnten, dass Asbest als gesundheitsgefährdendes Material anerkannt wurde, erinnert man sich an das Diktum von Karl Marx Für 100 Prozent Profit geht das Kapital über Leichen. Während der Kriminalfall Asbest doch noch in Erinnerung geblieben ist, ist es Hien zu verdanken, noch einmal auf die Arsenkatastrophe an der Mosel erinnert zu haben. Dass von BASF produziert Insektenvernichtungsmittel Arsentrioxid verursachte viele tödliche Erkrankungen. Hien zeigt auf, wie ArbeitsmedizinerInnen noch versuchten, den Opfern nachträglich die Entschädigungszahlungen zu verweigern.

Heute werden die Gesundheitsgefahren exportiert

Hien ist auch weit davon entfernt, diese Probleme als nicht mehr aktuell darzustellen. Im Gegenteil wird heute das Gesundheitsproblem ausgelagert. LeiharbeiterInnen aus Osteuropa oder dem globalen Süden sterben in ihren Heimatländern an den Krankheiten, die sie sich bei gesundheitsgefährdenden Arbeiten im globalen Norden zugezogen haben. Oder das Giftmaterial wird gleich in den globalen Süden exportiert, was Hien am Beispiel der Demontage von Schiffen in Asien zeigt. Wenn aber in Indien oder Afrika Menschen an den Wohlstandsmüll aus dem globalen Norden sterben, erregt das längst nicht so sehr, als wenn nun das vielleicht gelegentlich gesundheitsschädliche Glyphosat im EU-Raum zum Einsatz kommt. Gerade das ökokapitalistische Kleinbürgertum empört sich nur gelegentlich, wenn im globalen Süden Menschen krank werden für den Wohlstand im Norden. In der Debatte um das möglicherweise „gelegentlich gesundheitsschädliche“ Glyphosat ist aber nur glaubwürdig, wer die hohe Messlatte für mögliche Gesundheitsgefährdungen global anlegt. Und wer das Problem beim Namen nennt, das Kapitalismus heißt.

aus Graswurzelrevolution Januar 2018

http://www.graswurzel.net/425/
Peter Nowak

Hien Wolfgang, Kranke Arbeitswelt, VSA-Verlag, 200 Seiten, EUR 16.80 , ISBN 978-3-89965-703-6

Alltagswiderstand

Der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein knüpft mit seinem neuesten Buch »Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen« an die vor allen in englischsprachigen Ländern geführte Debatte über die Poor People’s Movements an. Es sind soziale Bewegungen von Menschen, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen und denen auch von linken Sozialwissenschaftler_innen oft politisches Desinteresse unterstellt wird. Letztere beziehen sich dabei auf die Marienthal-Studie von Anfang der 1930er Jahre. Marienthal war ein österreichisches Dorf, in dem nach der Pleite einer großen Textilfabrik ein Großteil der Bewohner_innen erwerbslos wurde. Resignation und Apathie bei vielen von Ihnen waren die Folge. Rein kritisiert, dass die Ergebnisse bis heute unzulässig verallgemeinert werden. Sehr kenntnisreich und detailliert beschreibt er, wie sich Erwerbslose nach der Novemberrevolution von 1918 in Räten organisierten und von den Gewerkschaften selbstbewusst Unterstützung und Solidarität einforderten. Detailliert und ohne antikommunistische Reflexe stellt der Autor auch die Erwerbslosenpolitik der KPD in der Weimarer Republik vor. In den letzten Kapiteln listet er die unterschiedlichen Themenfelder der jüngeren Erwerbslosenbewegung auf. Dabei richtet er den Blick auf den Alltagswiderstand von Erwerbslosen, der sich rund um die Jobcenter abspielt. Zu hoffen ist, dass sich manche durch die Lektüre des Buches zur Nachahmung ermutigt fühlen.

Peter Nowak

Harald Rein: Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen…! Bemerkungen über den Zusammenhang von Alltag und Protest. AG SPAK, Neu-Ulm. 184 Seiten, 14,80 EUR.

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nrhttps://www.akweb.de/ak_s/ak633/04.htm
. 633 / 12.12.2017

Der Zusammenhang von Alltag und Protest

Wenn von armen Leuten die Rede ist, schwingt schnell ein Klang von Bedauern und Mitleid mit. Doch, wenn der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein seinem neuesten Buch den Titel gibt „Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen“ knüpft er an eine Debatte über die Poor Peoples Movements an. Es sind soziale Bewegung von Menschen, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen.

In einem eigenen Kapitel setzt sich Rein kritisch mit der auch von linken Wissenschaftler_innen vertretenen Meinung auseinander, dass arme Leute nicht in der Lage sind, sich politisch zu artikulieren.

„Der Zusammenhang von Alltag und Protest“ weiterlesen

Die Rosdolskys

Ein Sammelband über das sozialistische Ehepaar Rosdolsky

Emmy und Roman Rosdolsky waren seit frühester Jugend in der sozialistischen Linken des zerfallenden Habsburgerreichs engagiert und sahen wie viele Genossen in der Oktoberrevolution…

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