Das WM-Vorrunden-Aus der deutschen Fußballer wird von rechten Politiker*innen, Medien und Netzwerken seit Mittwochabend für eine verstärkte Kampagne gegen ein angeblich buntes, multikulturelles Team genutzt. »Unsere Nationalmannschaft nahm ohnehin nicht teil«, twitterte zunächst der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schulz. Der Tweet war am Donnerstag jedoch nicht mehr online. Zahlreiche Politiker*innen haben sich zudem auf Mesut Özil und Ilkay Gündogan eingeschossen.
Die beiden deutsch-türkischen Nationalspieler standen schon vor WM-Beginn nicht nur bei Rechten wegen ihres Fotos mit dem autokratischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in der Kritik. Von der AfD und rechten Medien werden sie hingegen auch ohne jenes Foto als nicht deutsch genug angegriffen. Christian Lüth, Pressesprecher der Partei, unterstellte dem gebürtigen Gelsenkirchener sogar, mit Absicht verloren zu haben. »Özil kann zufrieden sein, Glückwunsch, Erdogan«, kommentierte Lüth die Niederlage der deutschen Mannschaft.
Der AfD-Rechtsaußen Jens Meier twitterte: »Ohne Özil hätten wir gewonnen.« Zudem teilte er ein Foto des Fußballers mit der Überschrift: »Zufrieden, mein Präsident?« Dafür zog Meier Kritik und Spott von Fußballkenner*innen auf sich. »Politisches Irrlicht als Trittbrettfahrer. Und keine Ahnung von Fußball«, kommentierte der Journalist Georg Restle Meiers nationale Ausfälle.
»Die Mannschaft repräsentiert das kaputte Deutschland von Angela Merkel«, ätzte Norbert Kleinwächter, der in einem Video akribisch die Stammbäume des Fußballteams ausbreitet. »Wie Multikulti soll unser Land eigentlich sein?«, fragte der AfD-Abgeordnete am Ende rhetorisch.
Autor*innen der rechtspopulistischen Plattform PI-News schießen sich derweil auch auf den Bundestrainer ein. »Löw weg, Merkel weg – ein schöner Tag für Deutschland« titelte der ehemalige BILD-Chefredakteur und PI-Autor Peter Bartels, obwohl bislang weder Joachim Löw noch Angela Merkel ihre Posten verloren haben. »Das Versagen war kollektiv, und trotzdem liegt der Grund darin, dass gerade kein nationales Kollektiv mehr zu sehen war«, polemisierte Jürgen Elsässer im von ihm herausgegebenen »Compact«-Magazin. Der ehemalige Exponent der antideutschen Linken ergeht sich nun in nationalistischen Bestrafungsfantasien. »Der Rücktritt von Löw, ein Rauswurf von Özil und Gündogan reichen nicht mehr. Strafe muss sein: Die zwei Türken sollen ab nach Anatolien, ihr badischer Pate darf in Sibirien Steine klopfen.« Das kann nicht mal die NPD toppen. Sie hatte sich bis Donnerstagabend zum WM-Aus noch nicht zu Wort gemeldet.
Das sollte aber kein Argument für einen Schland-Patriotismus sein
Das WM-Debakel Deutschlands wird von rechten Politikern, Medien und Netzwerken für eine Kampagne gegen ein angeblich buntes, multikulturelles Team genutzt. „Unsere Nationalmannschaft nahm ja ohnehin nicht teil“, twitterte der AfD-Bundestagsabgeordnete Uwe Schulz.
Eingeschossen haben sich zahlreiche rechte Politiker auf die deutsch-türkischen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Sie standen nicht nur bei Rechten wegen ihres Fotos mit dem autokratischen türkischen Präsidenten Erdogan im Vorfeld der WM in der Kritik[1]. Der AfD-Pressesprecher Christian Lüth unterstellte den beiden Kickern sogar, mit Absicht verloren zu haben. „Özil kann zufrieden sein, Glückwunsch Erdogan“, kommentierte Lüth das WM-Debakel für die deutsche Mannschaft.
Der AfD-Rechtsaußen Jens Meier twitterte „Ohne Özil hätten wir gewonnen“[2]. Zudem teilte er ein Foto des Fußballspielers mit der Überschrift „Zufrieden, mein Präsident“. „Die Mannschaft repräsentiert das kaputte Deutschland von Angela Merkel“, ätzte[3] Norbert Kleinwächter, der in einem Video akribisch die Stammbäume des Fußballteams ausbreitet. „Wie Multikulti soll unser Land eigentlich sein?“, fragt der AfD-Bundestagsabgeordnete am Ende rhetorisch.
Autoren der rechtspopulistischen Plattform PI-News[4] schießen sich auch auf den Bundestrainer ein. „Löw weg, Merkel – ein schöner Tag für Deutschland“ titelte der ehemalige BILD-Chefredakteur und PI-Autor Peter Bartels. „Das Versagen war kollektiv, und trotzdem liegt der Grund darin, dass gerade kein nationales Kollektiv mehr zu sehen war“, polemisierte der Ex-Linke Jürgen Elsässer im von ihm herausgegebenen Compact-Magazin und ergeht sich in nationalistischen Bestrafungsphantasien[5]. „Der Rücktritt von Löw, ein Rauswurf von Özil und Gündogan reichen nicht mehr. Strafe muss sein: Die zwei Türken sollen ab nach Anatolien, ihr badischer Pate darf in Sibirien Steine klopfen.“
Das kann die offen neonazistische NPD nicht toppen. Sie hat sich zum WM-Debakel noch nicht zu Wort gemeldet. 2006 hatte sie noch mit einen urdeutschen WM-Planer für Empörung[6] gesorgt. Auch die Justiz ermittelte[7] gegen rechte Hetze gegen Fußballspieler, die den Rechten nicht ins nordische Weltbild passten
Schland – oder wie Linksliberale zu Fußballpatrioten wurden
Spätestens seit 2006 wurde erstmals registriert, dass ein Teil der Rechten mit den vielen Deutschlandfahnen, die anlässlich der WM gezeigt wurden, nicht recht zufrieden sind. Denn es waren auch Menschen, die nicht ins rechte Weltbild passten, die die Deutschlandfahne schwangen. Das war für einen großen Teil der Rechten Grund genug, gegen die schwarzrotgelbe Multikultirepublik zu ätzen. Die Parole „Du bist nicht Deutschland“, richtete sich besonders gegen Bürger, die ihren deutschen Pass nicht schon seit Generationen haben.
Umgekehrt haben Linksliberale und Teile der Linken nun ihre Liebe zum schwarzrotgoldenen Fußballpatriotismus entdeckt. Aus Deutschland wurde Schland und so wollte man sich die Feier und die Fahnen nicht mehr vermiesen lassen. Als vor einigen Tagen die deutsche Mannschaft ganz knapp gegen Schweden gewonnen hatte, beschwor[8] der Taz-Chefkommentator Jens Feddersen erneut den Geist von Schland:
Jedes Spiel, das das DFB-Team gewinnt, ist wie ein Maulkorb für jene, die sich über das Scheitern Özils und Boatengs freuen. Gemeint ist die AfD.
Jens Feddersen
Gerade zu pathetisch wurde es, als er schrieb:
„Wer ein linkes, wer ein multikulturelles Herz hat, will, dass die DFB-Männer weiter gewinnen. Wer nur einen Sinn hegt für eine Mannschaft, die von niemandem so verehrt wird wie gerade von den Kindern der Einwanderer*innen nach Deutschland, von keinem wie von den Kindern der Geflüchteten, unterstützt dieses Team. Weil die Völkischen und Traditionalisten Bundestrainer Löw und seine Auswahl nicht mögen. Weil sie ihnen den Erfolg neiden – und weil ihre charakterlose Missgunst nicht anders kann.
Jens Feddersen
Wer nun die rechte Freude am WM-Debakel einer Mannschaft, die für AfD und Co. nicht deutsch genug war, erlebt, muss einräumen, dass Feddersen auf einer realpolitischen Ebene nicht unrecht hat. Es stimmt auch, dass nach dem WM-Aus gerade im besonders transnationalen Berliner Stadtteilen wie Kreuzberg und Neukölln gedrückte Stimmung herrschte. Doch diese Firmierung eines neuen nationalen Projekts Deutschland unter Einschluss von Neubürgern funktioniert in transnationalen Stadtteilen, aber wohl nicht beim WM-Team.
Das Foto von Özil und Gündogan mit Erdogan sowie die Erklärung, dass er nicht Deutschlands Hymne mitsingt, sind für Verfechter des modernisierten deutschen Patriotismus tatsächlich ein Debakel, über das sie bisher wenig reden. Denn dieses Modell basiert ja auf der Annahme, dass die Neubürger als stolze Deutsche die Hymne besonders ergriffen singen und die Fahne besonders vehement wedeln. Es ist klar, dass diese Schwachstellen des modernisierten deutschen Patriotismus von den klassischen Verfechtern des Deutschnationalismus wie AfD und Co. nun für ihre Angriffe genutzt wird.
Eine Alternative zu Schland
Generelle Kritiker von Staat und Nation tun gut daran, zu beiden Varianten des Nationalismus auf Distanz zu gehen. Schließlich ist auch der postmoderne Partypatriotismus eine Variante des Nationalismus. Die Schland-Bundeswehr stellt die alten deutschen Traditionen nicht mehr so stark in den Mittelpunkt. Manche NS-Täter sind nicht für eine Traditionspflege geeignet, andere werden nur etwas in den Hintergrund gerückt. Man ist auch offen für Frauen und die Hautfarbe soll bei der bunten Truppe theoretisch auch kein Ausschlusskriterium mehr sein.
Für AfD-Rechtsaußen Höcke und Co. ist diese Bundeswehr nicht mehr ihre Armee. Das ist das Pendant zur WM-Mannschaft. Wem die zu bunt und multikulturell ist, wird sich wohl auch gegen die moderne Bundeswehr wenden. Doch ist das ein Grund, dass kritische Menschen nun die Bundeswehr verteidigen und mit dem Fußball-Team aus Deutschland feiern müssen? Wohl kaum. Dafür gibt es viele Gründe. Die Soziologin Dagmar Schediwy hat in ihre Studie „Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold“[9] eine sehr kritische Perspektive auf den postmodernen Partypatriotismus eingenommen[10].
Die meisten, die ich unter anderem auf den Fanmeilen befragt habe, haben während der WM 2006 ein nationales Coming-out erlebt. Vorher war die offene Zurschaustellung von Nationalgefühl stärker tabuisiert. Erst als dieses Verhalten in den Medien als Normalisierung des Verhältnisses zur eigenen Nation begrüßt wurde, haben sich die Leute massenhaft getraut, Deutschlandflaggen zu schwenken. Das wurde von vielen als Befreiung empfunden. Besonders stark war das bei jüngeren InterviewpartnerInnen ausgeprägt. Sie lehnten auch mit Vehemenz eine Festschreibung des Deutschlandbildes auf den Nationalsozialismus ab. Der 2006 aufflammende Fußballpatriotismus trug Züge einer Revolte gegen ein Geschichtsverständnis, das sich auf den Holocaust fokussiert.
Dagmar Schediwy
Die Soziologin sieht die Zunahme des Partynationalismus auch im Zusammenhang mit der Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse vieler Menschen (Fußballpatriotismus in Krisenzeiten[11]). Es ist ein Ventil für die alltäglichen Zumutungen im Job oder an der Schule.
Um Gründe gegen den modernisierten deutschen Nationalismus zu finden, braucht man nur die Gratis-Bildzeitung durchblättern, die Anfang Juli millionenfach verteilt wurde. Auf der letzten Seite findet sich ein Foto des WM-Teams, das die Rechten aller Couleur so aufgeregt hat, weil es nicht mehr an den deutschen Mief erinnert, der noch bis in die 1970er Jahre dort geherrscht hat.
Doch in der Bild-Ausgabe gibt Ex-Bundespräsident Gauck für die Neubürger die Grenzen und Regeln vor, die der neue deutsche Nationalismus zieht. Ein deutscher Bergmann und viel deutscher Adel stehen für alte deutsche Werte. Hier wird auch deutlich, wie eng begrenzt die so vielbeschworene Modernität des angeblich neuen deutschen Patriotismus doch ist.
Es geht um die Festigung nationaler Identifikation
Der konservative polnische Politiker Marek Migalski[12] sagte[13] recht unverblümt, dass der Fußballnationalismus im Sinne der Herrschaft gut ist:
Wenn wir die Spiele der WM anschauen, machen wir uns nicht klar, wie sehr wir dabei politisch manipuliert werden. Nicht nur in dem banalen Sinn, dass alle möglichen Politiker bei Gelegenheit der Spiele ins Fernsehen kommen wollen. Die wirkliche Manipulation liegt eine Ebene tiefer: Sie betrifft die Herausbildung patriotischer Einstellungen. Denn der Sport, insbesondere der Fußball, dient dazu, aus Zuschauern Polen, Deutsche oder Senegalesen zu machen, indem er ihnen den Gedanken der Liebe zu ihren Heimatländern nahebringt. (…) Die Kommentatoren bedienen sich nolens volens der Sprache des Krieges: „Türkei macht Ägypten fertig“, „Franzosen besiegen England“, „Polen zwingt Russland in die Knie“. (…) Diese Sprache festigt nationale Identifikationen und schweißt die einzelnen Nationen zusammen.
Ein natürliches Phänomen ist das nicht; man wird schließlich nicht als Pole oder Tscheche geboren. Daher benutzen Staaten und Nationalisten alle denkbaren Werkzeuge wie Erziehung, Medien, Militärdienst, Museen usw., um patriotische Gefühle in die Köpfe der Wähler hineinzudrücken. Die WM ist eine fantastische Möglichkeit, dasselbe auch mit den Mitteln des Sports zu tun.
Marek Migalski
Was der Politiker hier durchaus in zustimmender Absicht sagt, trifft auch auf den Partynationalismus zu. Daher sollte nicht nur die rechte Kampagne, sondern auch der Schland-Patriotismus weiterhin Gegenstand von Kritik sein. Nur weil die Rechte sich auf die WM-Mannschaft und die Bundeswehr einschießt, heißt das noch lange nicht, dass sie von links verteidigt werden muss.
Peter Nowak
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