Neue Rechte verteidigt NSU-Terroristen

»Compact«-Chef Jürgen Elsässer verleumdet Angehörige der Opfer und verbreitet Verschwörungstheorien über Mördertrio

Das Urteil im NSU-Prozess wurde noch nicht gesprochen, zahlreiche Unterstützer der Hauptangeklagten Beate Zschäpe meldeten sich jedoch bereits zu Wort.

Bisher waren es vor allem obskure NS-Nostalgiker, die in dem Verfahren die große Verschwörung witterten. So werden beispielsweise in dem offen NS-verherrlichenden Blog »Deutsche Lobby« die Angeklagten zu »Opfern des immer noch wütenden besatzungsrechtlichen Verfolgungssystem BRD«. Auch der NPD-Politiker Arne Schimmer, der als sächsischer Landtagsabgeordneter Mitglied des dortigen NSU-Untersuchungsausschusses war, gab eine Broschüre heraus, in der rhetorisch gefragt wurde, ob der NSU ein Staatskonstrukt sei.

Das neurechte Magazin »Compact«, das dem völkischen Flügel der AfD nahesteht, hat kürzlich ebenso ein Sonderheft mit dem Titel »NSU – Die Geheimakten« herausgegeben und dabei sogar die Freilassung von Zschäpe gefordert. »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer gesteht im Editorial linken Politikern und Journalisten einige Verdienste zu, »was die Aufdeckung der Hilfestellung des Staatsschutzes für das Zwickauer Trio angeht«. Doch anschließend stellt er entgegen aller Beweise den neonazistischen Hintergrund des NSU in Zweifel. »Jedenfalls haben die Antifa-Jakobiner alle Spuren, die auf ausländische Täter hindeuten, notorisch unterdrückt. Der Mörder ist immer der Deutsche – nach dieser Devise schreiben sie ihre Artikel, und wer anderes behauptet, kann nur ein Rassist sein«, bedient sich Elsässer der in rechten Kreisen zirkulierenden Verschwörungstheorien. Dort werden noch immer die NSU-Opfer und ihre Angehörigen verleumdet, in dem sie mit der Drogenmafia in Verbindung gebracht werden.

Genau das war jahrelang auch die offizielle Version der Ermittlungsbehörden, die die Opfer zu potenziellen Kriminellen erklärten und deswegen ihre Angehörigen verhörten und überwachten. Mehrere der Betroffenen haben später von den traumatisierenden Erfahrungen berichtet, nach dem Mord an ihren Ehemännern, Vätern oder Geschwistern wie Schuldige behandelt zu werden.

In dem »Compact«-Sonderheft wird diese Linie fortgesetzt. Lob dafür spendet auch der langjährige Herausgeber der rechtsradikalen Publikation »Sleipnir« Peter Töpfer. »Es geht ganz sicher um das Schicksal der armen Frau Zschäpe, aber es geht auch um mehr, nämlich politisch darum, […] genau diesen oppressiven und volksfeindlichen Staat mit all seinen Lügengebilden einen Schlag zu versetzen«, schreibt er in einem auf der »Compact«-Homepage veröffentlichten Kommentar.

Obwohl sich Herausgeber Elsässer verbal von den offenen Neonazis abgrenzt, hatte er Beate Zschäpe schon im Mai 2013 einen offenen Brief geschrieben. »Ich habe Angst, dass Sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden. Ihre Münchner Zelle könnte ihre Todeszelle werden, auch wenn die Todesstrafe bei uns abgeschafft ist«, schrieb er ihr. Elsässer verharmloste in dem Brief Zschäpes Neonazikarriere als Jugendsünden. »Nicht sympathisch ist mir der Neonazismus, mit dem Sie in ihrer Jugend halb Jena erschreckt haben. Aber, selbst wenn man alles Schlimme zusammenrechnet, was Sie bis zu Ihrem Abtauchen Anfang 1998 verbrochen haben, so waren das weitaus weniger Gewaltdelikte als beim jungen Joschka Fischer«.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1067374.nsu-mordserie-neue-rechte-verteidigt-nsu-terroristen.html

Peter Nowak

Mehr als Symbolik

»Genug geschwiegen« steht auf dem Transparent an der Spitze der Demonstration. Dahinter gehen zehn Personen in weißen T-Shirts, auf denen die Gesichter der zehn Todesopfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« zu sehen sind. Drei Jahre sind seit dessen Selbstenttarnung vergangen. In Berlin wurde das zum Anlass genommen, um mit einer Demonstration zu erinnern, dass jenseits offizieller Sonntagsreden keine ernsthaften Konsequenzen gezogen wurden. In den Redebeiträgen, die am Samstag auf der Route durch den Wedding gehalten werden, wird betont, dass Rassismus in großen Teilen der Bevölkerung wie auch in den Staatsapparaten fest verankert sei. Knapp 1 500 Menschen beteiligen sich an der Demonstration, bei der es nur einen ernsthaften Zwischenfall gibt. Aus einem Haus wird ein schweres Gefäß auf die Demonstranten geschleudert, zum Glück trifft es niemanden. Auf der Abschlusskundgebung betonen mehrere Redner, dass der Kampf um das Gedenken an die NSU-Opfer weitergeht. In vielen Städten wollen Angehörige die Straßen, in denen ihre Verwandten ermordet wurden, nach den Opfern benennen. Überall wurde dieses Ansinnen abgewiesen oder verzögert. In einigen Fällen sammelten Anwohner sogar Unterschriften gegen eine Umbenennung. Mit symbolischen Straßenumbenennungen haben Angehörige und antirassistische Gruppen in Hamburg und Berlin deutlich gemacht, dass sie es nicht akzeptieren, dass den Angehörigen selbst diese Geste der Anerkennung verweigert wird. Von der Politik können sie keine Unterstützung erwarten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte am 31. Oktober das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und lobte dessen Beitrag für die Sicherheit Deutschlands. Die ungeklärten Fragen über die Rolle dieses Dienstes beim Umgang mit dem NSU reduzierte Merkel auf »ein paar Dinge aus der Vergangenheit«. Es ist zu befürchten, dass sie damit großen Teilen der deutschen Bevölkerung nach dem Munde redet.

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50871.html

Peter Nowak

Der NSU und der Verfassungsschutz – Dinge von gestern?

„Die NSU-Mordserie als Vorbild“

Für den 6. April ruft die Initiative für die Aufklärung des Mords an Burak B. in Berlin zu einer Demonstration auf, die um 14 Uhr am Friedhof Columbia­damm beginnen soll. Helga Seyb von der Opferberatung »Reach Out« engagiert sich in der Initiative.

Wer war Burak B.?

Der 22jährige Mann wurde in der Nacht vom 4. auf den 5. April 2012 in Berlin auf offener Straße erschossen, gegenüber dem Neuköllner Krankenhaus. Burak stand in einer Gruppe junger Männer, als nach Augenzeugenberichten ein etwa 40 bis 60 Jahre alter Mann gezielte Schüsse auf die Gruppe abgab. Zwei junge Männer wurden schwer verletzt, Burak starb noch am Tatort an einem Lungendurchschuss.

Warum sieht Ihre Initiative Parallelen zur NSU-Mordserie?

Auffällig war der Tathergang. Es stellte sich schnell heraus, dass es keinerlei Verbindung zwischen den Opfern und dem Täter gab. Zudem gab es vor der Tat keinen Wortwechsel oder Streit. Der nach Angaben der Augenzeugen deutsche Täter hat kaltblütig und gezielt auf die Gruppe geschossen. Daher stellte sich die Frage, ob die NSU-Mordserie als Vorbild gedient hat. Deshalb wurde Burak B. kürzlich auf die Liste der Personen gesetzt, bei denen der Verdacht besteht, dass ihr Tod rechte Hintergründe hat.

Wie liefen die bisherigen Ermittlungen?

Die Polizei hat aus der NSU-Mordserie immerhin so viel gelernt, dass es keine Versuche gab, die Schuld bei den Opfern zu suchen. Andererseits erklärt die Polizei seit einem Jahr, dass sie in alle Richtungen ermittele. Das Perfide ist, dass weder die Angehörigen noch die Freunde von Burak den Stand der Ermittlungen kennen. Die Tatsache, dass die Polizei den Mordfall kürzlich bei der Fernsehsendung »Aktenzeichen XY ungelöst« vorgestellt hat, deutet darauf hin, dass es keine Ermittlungsergebnisse gibt.

Was ist das Ziel der Demonstration?

Wir wollen mit den Angehörigen und Freunden an Burak erinnern. Zudem wollen wir verhindern, dass die Ermittlungen eingestellt werden. Nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie haben wir als Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer Gewalt uns oft die Frage gestellt, warum uns die ganzen Jahre über bei all den unaufgeklärten Morden nichts aufgefallen ist. Warum sind wir nicht hellhörig geworden und an die Öffentlichkeit gegangen? Mit der Demons­tration wollen wir deutlich machen, dass uns das nicht wieder passieren darf.

http://jungle-world.com/artikel/2013/14/47462.html

Small Talk von Peter Nowak

Hat Deutschland ein Rassismusproblem?

Ein Jahr nach der NSU-Aufdeckung – viel Gerede wenig Änderung

Nicht nur die Taz erinnert dieser Tage an einen besonders makaberen Jahrestag: die Aufdeckung des neonazistischen Untergrunds NSU vor einem Jahr. Es waren nicht die Ermittlungsbehörden, die den Rechtsterroristen auf die Spur gekommen sind. Es war vielmehr der Selbstmord von zwei der rechten Protagonisten, der aufdeckte, dass jahrelang Neonazis in Deutschland morden konnten und die Opfer zu Tätern gestempelt wurden. Wie so etwas möglich sein konnte, war in den vergangenen 12 Monaten Gegenstand zahlreicher außerparlamentarischer Initiativen, aber auch parlamentarischer Ausschüsse.

Ein Jahr nach der Aufdeckung hat sich wenig geändert. Das zeigt die Reaktion der Gewerkschaft der Polizei, die sich zum Jahrestag nicht etwa noch mal offiziell bei den Opfern dafür entschuldigt, dass durch Fehler in der Polizeiarbeit die Morde nicht aufgeklärt wurden und man statt dessen das Umfeld der Toten ausspioniert hatte.

Mehr Geld Polizei eine Lösung?

Stattdessen wird in einer Pressemeldung von einer „ungeheuerlichen Unterstellung“ gesprochen, weil der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy und der Vorsitzende der Türkischen Gemeinden in Deutschland Kenan Kolat deutlich machten, dass es ein Rassismus-Problem in Deutschland gibt. Den Funktionären der Polizeigewerkschaft fällt dazu nur ein, dass die Politik auch in ihren Kerngebieten Einsparungen vorgenommen hat. Hätte also ein größerer Etat für Polizei und Geheimdienste die NSU-Morde verhindert oder zumindest früher aufgedeckt?

Mit einen solchen Argument wird nicht nur von der Polizei und den in die Kritik geratenen Geheimdiensten, sondern auch von Unionspolitikern als Konsequenz aus der NSU-Affäre eine Stärkung von Sicherheitsdiensten und Staat propagiert. Noch mehr Geld für die Sicherheitsorgane, noch mehr Gesetze, noch mehr Überwachung wird hier als Konsequenz aus den NSU-Versagen angeboten. Dabei haben die Ermittlungen der letzten Monate eins deutlich gezeigt. Die unterschiedlichen Dienste waren sehr nah dran an den Protagonisten der NSU. Warum sie trotzdem nicht aufgedeckt werden konnten, kann sehr wohl mit einem strukturellen Rassismus bei den Sicherheitsdiensten erklärt werden, der einen neonazistischen Untergrund für undenkbar hielt, dafür Ausschau nach „kriminellen“ Migranten hielt.

Darauf macht auch ein bundesweites Bündnis gegen Rassismus aufmerksam, das in den nächsten Tagen in zahlreichen Städten mit Gedenkveranstaltungen an die Opfer der NSU-Morde erinnert. In Berlin beginnt die geplante Demonstration bei dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz in Kreuzberg. Dort haben sich nach einen bundesweiten Marsch Flüchtlingen eingerichtet, um gegen die verschiedenen Sondergesetze gegen Flüchtlinge in Deutschland zu protestieren. Eine Gruppe von 20 Flüchtlingen trug ihre Forderungen vor das Brandenburger Tor in die Mitte Berlins und wurde durch Ordnungsrecht und Polizei fast schutzlos der winterlichen Kälte ausgeliefert. Auch hier stellt sich die Frage des Rassismus, wie auch bei der kürzlich durch eine Konferenz und ein Gerichtsurteil in die Diskussion gekommenen Racial Profiling eine Rolle spielt.


Welche Lesart setzt sich durch?

Dabei wird in allen Fällen Rassismus als strukturelles Problem von Behörden und Instanzen verstanden. Die Gewerkschaft der Polizei hingegen macht daraus ein persönliches Problem und verwahrt sich dagegen, dass Polizisten in die Rassismusecke gesteckt werden. Damit aber würde die NSU-Affäre als Mittel benutzt, um die Sicherheitsapparate zu Opfern der Debatte zu machen. Es wird vor allen davon abhängen, ob außerparlamentarische und zivilgesellschaftliche Initiativen in der Lage sind, diesem Trend auch medial zu widersprechen und dabei auch gehört zu werden.

Der Jahrestag der NSU-Aufdeckung ist in dieser Hinsicht vielleicht ein wichtiges Datum, um in der Öffentlichkeit eine eigene Lesart zu präsentieren. Es gibt mittlerweile auch verschiedene Autoren, die die NSU-Affäre zum Anlass für historische Forschungen zu rechten Untergrundtätigkeiten nahmen. Solche Arbeiten sind wichtig, um den Kontext zu ermessen und die NSU-Affäre nicht einfach nur als Kette von Fehlern, Pleiten und Pannen erklären, aus denen die Sicherheitsdienste wie Phönix aus der Asche auferstehen können. Allerdings muss man bei den historischen Recherchen aufpassen, nicht selber in den Bereich von Spekulationen und Verschwörungstheorien abzugleiten. Auch deshalb ist es wichtig, vollständige Aktentransparenz von den Behörden einzufordern.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153112
Peter Nowak