»Retouren aus dem ­Weihnachtsgeschäft«

Die Beschäftigten von Amazon erhalten Unterstützung im Arbeitskampf. David Johns ist Mitglied des »Streik-Solibündnisses Leipzig«, das zum Konsumentenstreik bei dem Versandhandel aufruft, um die Forderung nach einem Einzelhandelstarifvertrag zu unterstützen.

Wie können Kunden die Beschäftigten bei Amazon unterstützen?

Der Konsumentenstreik funktioniert ganz einfach: Man bestellt bei Amazon Waren und schickt diese – am besten mit einer Solidaritätsnachricht an die Streikenden – nach Erhalt umgehend zurück. Die Aktion kostet Amazon unmittelbar Geld, da unprofitable Mehrarbeit entsteht und der Händler sich vertraglich verpflichtet, bei einem Warenwert von über 40 Euro die Portokosten für die Hin- und Rücksendung zu übernehmen.

Wie haben die Kollegen und Verdi auf das Vorhaben reagiert?

Einige Gewerkschaftsfunktionäre haben sich klar abgegrenzt und hervorgehoben, dass Verdi nichts mit der Kampagne zu tun hat. Andere haben unseren Aufruf übernommen und die Aktion unterstützt. Bei vielen Streikenden ist die Kampagne sehr gut angekommen. Der Aufruf wurde erst veröffentlicht, nachdem wir die Einzelheiten mit Beschäftigten aus mehreren Standorten abgestimmt hatten. Wir haben von vielen ein sehr positives Feedback erhalten.

Wissen Sie, wie viele Kunden sich bisher beteiligt haben?

In unserem Aufruf bitten wir darum, uns Fotos von den Solidaritätsbotschaften zu schicken. Wir haben schon viele Fotos erhalten und können die Solidarität nun auch für Beschäftigte außerhalb der Retourenannahme sichtbar machen. Wir haben viele Anfragen für Flyer und Poster bekommen und Material in viele Städte geschickt. Trotzdem ist das Ausmaß der Beteiligung schwer abzuschätzen.

Wann endet die Kampagne?

Sie soll noch bis Ende Januar dauern, dann kommen die ganzen Retouren aus dem Weihnachtsgeschäft. Bis dahin brauchen wir noch viel Unterstützung!

Sie arbeiten nicht bei Amazon. Warum solidarisieren Sie sich dennoch mit den Beschäftigten?

Der Kampf bei Amazon hat eine hohe Signalwirkung auf die Branche, da sich viele andere Unternehmen an dem Flaggschiff orientieren. Erkämpfte Erfolge können andere Belegschaften motivieren, sich gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen zu wehren. Die lange Dauer des Kampfes hat es möglich gemacht, gute Kontakte zu den Streikenden aufzubauen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/01/53275.html

Interview: Peter Nowak

Eigenständig solidarisch


Peter Nowak über ein Treffen der Amazon-Solidaritätsgruppen
Das osthessische Städtchen Bad Hersfeld nicht nur für FreundInnen der Theaterfestspiele an der Stiftsruine  eine Reise Wert.  Auch politische AktivistInnen steigen dort schon einmal ab.   Dafür sorgt das  Amazon-Werk am Rande der Stadt, dessen Ansiedlung  von der örtlichen Politik wegen der Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region  vehement begrüßt worden war. Wenn in der letzten Zeit bei Amazon für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt wurde, waren die KollegInnen vom Standort   Bad Hersfeld immer mit dabei.
Am letzten  November-Wochenende war nun Bad Hersfeld der Ort,  in dem sich die Amazon-Streiksolidaritätsgruppen zu einem bundesweiten Seminar im Tagungshaus der Falken gleich neben der Stiftsruine trafen. Ca. 20  solidarische UnterstützerInnen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, Leipzig und  Kassel waren anwesend.  AktivistInnen es Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main berichteten über Erfahrungen in den betrieblichen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen des Caresektors.
Amazon-Beschäftige  kamen aus den Werken Brieselang, Leipzig und Bad Hersfeld. Durch die Wahl des Ortes war so gewährleistet, dass die KollegInnen  besser einbezogen wurden als bei den vorherigen Treffen in Leipzig und Frankfurt/Main.
Solidaritätsstrukturen sind keine Ersatzgewerkschaft
Ausführlich wurde über das Verhältnis der Solidaritätsstrukturen  zu den Gewerkschaften diskutiert. Dabei gab es auch von einigen aktiven KollegInnen viel Kritik an ver.di, wenn es um konkretes Agieren während des Arbeitskampfes geht. Konsens war aber auch, dass die Solidaritätsstrukturen weder  alternative Gewerkschaften  noch als „unbezahlte OrganizerInnen für ver.di tätig sein sollen, wie es ein Seminarteilnehmer     ausdrückte. Als gute Beispiele für eine eigenständige Rolle der Solidaritätsstrukturen wurden die Kontakte zu der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas oder der polnischen Inicjatywa Pracownicza (IP)  genannt. Beide Gewerkschaften gehören nicht zu den gesellschaftlichen BündnispartnerInnen von  Ver.di,  sind aber in ihren Ländern sehr Logistiksektor aktiv. Die IP hat in den letzten Monaten bei Amazon-Poznań KollegInnen organisiert und auch schon Solidaritätsaktionen mit den   Streik in den   bei deutschen  Amazon-Werken durchgeführt. Aus den  heraus entstanden Kontakte zu Bündnissen der außerparlamentarischen Linken, die z.Beispie im Rahmen der Blockupy-Aktionstage zu gemeinsamen Aktivitäten führten.
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Geflüchtete als KollegInnen?
Ein weiterer  Diskussionspunkt in Bad Hersfeld war der Umgang mit migrantischen Beschäftigten. Das Thema war kurzfristig aufgenommen wurden, nachdem bekannt wurde, dass zum 1. Dezember bei Amazon Bad Hersfeld und Leipzig  Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft eingesetzt wurden. In Bad Hersfeld werden jeden Tag 40  Geflüchtete mit Bussen zum Werk gefahren.  Mehrere Beschäftigte berichteten, dass in der letzten Zeit in der Umgebung des Werks vermehrt Hakenkreuzschmierereien aufgetaucht seien.  Die Diskussionen unter den KollegInnen bewegen  sich „auf schlimmsten Pegida-Niveau“ , erklärte ein Beschäftigter        aus Bad Hersfeld. Auch KollegInnen, die sich aktiv an den letzten Streiks beteiligt hätten, würden teilweise die MigrantInnen nicht als gleichwertige  KollegInnen betrachten.  Ver.di würde sich überhaupt nicht dazu äußern, so die Kritik. Die anwesenden KollegInnen erklärten allerdings auch, es sei schwierig, mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten, weil sie mit Bussen zum Werk gebracht und wieder abgeholt werden. Sie berichteten allerdings über vereinzelte Kontaktmöglichkeiten. So hätten    zwei der neuen KollegInnen den Bus  verpasst und wussten nicht, wie sie zu ihrer Unterkunft kommen sollen. Dabei sei ein Kollege eingesprungen. Auch bei der Arbeit gäbe es Kontaktmöglichkeiten, die aber bisher nur wenig genutzt würden.  Über die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von alten und neuen KollegInnen gab es unter den  anwesenden KollegInnen Differenzen. Manche hielten das für ausgeschlossen und sprachen von „einen Kampf gegen Windmühlen“. Andere sahen eine solche Kooperation nicht so pessimistisch.
KonsumentInnen solidarisieren sich
Auf dem Sonntag wurde    ein Aufruf zum KonsumentInnenstreik verabschiedet. In  einen Flugblatt werden vier Schritte aufgelistet, die dabei beachtet werden müssen. Zunächst muss bei Amazon eine Ware für mindestens 40 Euro bestellt  werden. Anschließend sollen die kritischen KundInnen von der großzügigen Umtauschregelung Gebrauch machen, die für diese Einkäufe  gelten.   Innerhalb von zeri Wochen nach Empfang  können die Waren zurück geschickt werden: ab 40 Euro fallen dafür keine Versandkosten an.    Auf dem  Retourpaket können z.B.  Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden,  die sich mit den streikenden Beschäftigten  solidarisch erklären und die Forderungen nach Kunden einem Tarifvertrag unterstützen. Das  Streiksolibündnis ruft auch dazu auf, dass Fotos davon zu senden, die dann auf Facebook veröffentlicht werden sollen.  Die InitiatorInnen  betonen, dass es dabei nicht um einen Boykottaufruf gegen Amazon handelt. „Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Amazon-Management einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen“,  begründete ein Mitarbeiter der Leipziger Solidaritätsgruppe den ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zum Boykott aufrufen.
Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag gesellschaftliche Unterstützung findet. Bereits bei den beiden letzen beiden  Arbeitskämpfen im Einzelhandel haben sich kritische KundInnen mit den Streikenden solidarisiert. Dabei wurde im Juni  2008 für mehrere Stunden ein  Discounter in Berlin blockiert.        Als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim  Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort die Retoursendungen ebenfalls in die Höhe. In machen Paketen lagen Grüße an die Beschäftigten.  Zalando ist direkter Nachbar von Amazon und Brieslang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in beiden Unternehmen        Mitglieder zu gewinnen.

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

Ausgabe: Heft 12/2015

http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak