AktivistInnen laden zum Protest gegen den Arbeitgeber Amazon. Anlass: der Springer Award für CEO Bezos
Für den 24. April rufen linke Gruppen, soziale Initiativen und Gewerkschaften zu Protesten vor dem Springer-Haus in Kreuzberg auf. Es handelt sich aber nicht um ein APO-Revival nach 50 Jahren: Der Unmut richtet sich gegen die Verleihung des Springer Award 2018 an Amazon-Chef Jeff Bezos, dem auch die Washington Post gehört.
„Mit der Auszeichnung würdigt Axel Springer sein visionäres Unternehmertum in der Internetwirtschaft sowie die konsequente Digitalisierungsstrategie der 140-jährigen US-Traditionszeitung“, lässt das Medienhaus verlauten. Das Bündnis Make Amazon Pay (MAP) will den „Abend für Jeff Bezos“ dagegen nutzen, um die schlechten Arbeitsbedingungen, die Tarifflucht und die Gewerkschaftsfeindlichkeit anzuprangern. „Das Zukunftsmodell von Amazon heißt: Keine Tarifverträge, Lohndruck, prekäre Jobs, Arbeitshetze und permanente Überwachung. Das ist nicht unsere Zukunft!“, so MAP-Sprecherin Maria Reschke zur taz. Diese Kritik teilen Beschäftigte an den Amazon-Standorten Bad Hersfeld und Leipzig, die seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Ein Teil von ihnen kommt mit dem Bus nach Berlin. Bereits um 16 Uhr wollen sich die Amazon-KritikerInnen am Oranienplatz treffen, um zum Springer-Hochhaus zu ziehen. Dort will das Netzwerk Attac um 17.30 Uhr gegen Amazon als Pionier der Steuervermeidung protestieren und Vorschläge für die Schließung der Steuerschlupflöcher vorstellen. Im Anschluss gehört die Bühne Beschäftigen aus verschiedenen europäischen Amazon-Standorten. Der kämpferische Bad Hersfelder Amazon- Betriebsrat Christian Krähling gehört ebenso dazu wie GewerkschafterInnen aus Poznan und Wrocław, die sich ebenfalls seit Jahren für höhere Löhne und gegen Arbeitshetze und Überwachung engagieren. Während die Beschäftigten aus Poznan in der anarchosyndikalistischen Workers’ Initiative organisiert sind, hat in Wrocław die Gewerkschaft Solidarność Einfluss unter den KollegInnen. Motto der Protestaktion: „Feedback für Jeff Bezos“. „Amazon setzt durch regelmäßige Ge- spräche über die Arbeitsleistung Beschäftigte unter Druck, dieses Mal wollen die Beschäftigten Jeff Bezos ein ‚Feedback‘ geben“, sagt Maria Reschke.
Ende März traten erneut Beschäftigte in mehreren deutschen Amazon-Standorten in den Ausstand. Hauptforderung ist die Bezahlung nach dem Flächentarif für den Einzelhandel. Doch der Amazon-Konzern bleibt bei seiner bekannten Linie und lehnt die Forderungen ab. Für das Management ist es eine Machtfrage, die Forderungen der Beschäftigten abzuwehren. In der Dienstleistungsgewerkschaft gab es bereits im letzten Jahr Überlegungen, den Kampf bei Amazon auslaufen zu lassen. Doch längst ist der Kampf bei Amazon über eine Auseinandersetzung zwischen Konzern und Verdi hinausgewachsen.
Solidarität an der Basis
Beschäftigte, die sich in den Streikauseinandersetzungen politisiert haben, sind in den Standorten ein wichtiger Faktor an der Basis. Seit mehr als zwei Jahren hat sich zudem eine außerbetriebliche Amazon-Streiksolidarität gegründet, die mit den Beschäftigten kooperiert. Ein weiterer zentraler Pluspunkt des Amazon-Streiks ist die transnationale Dimension. Seit mehr als einem Jahr sind im Amazon-Logistikzentrum Poznan Kolleg_innen in der anarchosyndikalistischen Workers Initiative (IP) organisiert. Gemeinsam mit den Beschäftigten organisierte sie in den letzten Monaten zwei Solidaritätsaktionen mit den Streikenden in Deutschland. Vom Verdi-Apparat gab es dabei keinerlei Unterstützung, schließlich ist die polnische Partnergewerkschaft von Verdi im Amazon-Werk in Poznan kaum vertreten. Trotzdem ist eine Kooperation der Kolleg_innen aus Deutschland und Polen gelungen. Mit Unterstützung des Solidaritätskomitees wurden die Kontakte angebahnt. „Als wir uns das erste Mal getroffen haben, merkten wir schnell, es ist die gleiche Arbeitshetze, die gleichen Methoden der Ausbeutung“, beschreibt ein Amazon-Kollege aus Bad Hersfeld die schnelle Verständigung unter den Kolleg_innen. „Als wir uns mit dem Arbeitskampf der Kolleg_innen in Deutschland solidarisieren, spielte die Frage der Gewerkschaft überhaupt keine Rolle. Wir unterstützen die streikenden Kolleg_innen“, erklärte auch eine Amazon-Beschäftige aus Poznan. Mittlerweile hat es mehrere Treffen gegeben, bei denen aktive Kolleg_innen aus beiden Ländern sich austauschten und auch überlegten, den Arbeitskampf über die Landesgrenzen auszuweiten.
Probleme benennen
Die IP hat dabei in einer Erklärung einige Aspekte, die für die Ausweitung des Arbeitskampfes von Bedeutung sind, benannt und dabei die Probleme nicht verschwiegen. So wird das Amazon-Modell des Heuern und Feuern als hinderlich für eine Organisierung benannt.
Die Spaltung in Fest- und Zeitarbeit schwächt die Arbeiter_innen deutlich. Sie erhöht den Druck auf alle, auch auf die Festangestellten, und beschränkt die Möglichkeiten zur Selbstorganisierung. Amazon stellt zu besonderen Stoßzeiten, beispielsweise vor den Weihnachts- oder Osterfeiertagen, viele Mitarbeiter_innen ein, die danach entlassen werden. Die Arbeiter_innen leben in täglicher Angst, ihre Einkommensquelle zu verlieren oder sogar abgeschoben zu werden. Die IP hat eine Kampagne gegen die Leiharbeit gestartet, um auch die Kurzzeitbeschäftigten mit einzubeziehen. Am 1. März 2016 hat sie anlässlich des europäischen Aktionstages gegen Grenzregime und prekäre Arbeit vor mehreren Zeitarbeitsfirmen in Polen Kundgebungen organisiert. Wie in den Wochen zuvor, nahmen an den Protesten neben Beschäftigten Unterstützer_innengruppen teil. Die IP hat in ihrer Erklärung alles Nötige gesagt: „Wir sollten von dem ausgehen, was uns verbindet, und so lernen, wie wir uns gemeinsam organisieren und für höhere Löhne und angemessene Arbeitsbedingungen ohne prekäre Verträge kämpfen können. Nur wenn wir zusammenhalten, können wir bekommen, was wir alle wollen: den ganzen Kuchen statt ein paar Krümel vom Tisch unserer Herren.“
Peter NowakDer Autor ist freier Journalist (peter-nowak-journalist.de) und Herausgeber des Buches „Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“
Peter Nowak über ein Treffen der Amazon-Solidaritätsgruppen
Das osthessische Städtchen Bad Hersfeld nicht nur für FreundInnen der Theaterfestspiele an der Stiftsruine eine Reise Wert. Auch politische AktivistInnen steigen dort schon einmal ab. Dafür sorgt das Amazon-Werk am Rande der Stadt, dessen Ansiedlung von der örtlichen Politik wegen der Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region vehement begrüßt worden war. Wenn in der letzten Zeit bei Amazon für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt wurde, waren die KollegInnen vom Standort Bad Hersfeld immer mit dabei.
Am letzten November-Wochenende war nun Bad Hersfeld der Ort, in dem sich die Amazon-Streiksolidaritätsgruppen zu einem bundesweiten Seminar im Tagungshaus der Falken gleich neben der Stiftsruine trafen. Ca. 20 solidarische UnterstützerInnen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, Leipzig und Kassel waren anwesend. AktivistInnen es Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main berichteten über Erfahrungen in den betrieblichen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen des Caresektors.
Amazon-Beschäftige kamen aus den Werken Brieselang, Leipzig und Bad Hersfeld. Durch die Wahl des Ortes war so gewährleistet, dass die KollegInnen besser einbezogen wurden als bei den vorherigen Treffen in Leipzig und Frankfurt/Main.
Solidaritätsstrukturen sind keine Ersatzgewerkschaft
Ausführlich wurde über das Verhältnis der Solidaritätsstrukturen zu den Gewerkschaften diskutiert. Dabei gab es auch von einigen aktiven KollegInnen viel Kritik an ver.di, wenn es um konkretes Agieren während des Arbeitskampfes geht. Konsens war aber auch, dass die Solidaritätsstrukturen weder alternative Gewerkschaften noch als „unbezahlte OrganizerInnen für ver.di tätig sein sollen, wie es ein Seminarteilnehmer ausdrückte. Als gute Beispiele für eine eigenständige Rolle der Solidaritätsstrukturen wurden die Kontakte zu der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas oder der polnischen Inicjatywa Pracownicza (IP) genannt. Beide Gewerkschaften gehören nicht zu den gesellschaftlichen BündnispartnerInnen von Ver.di, sind aber in ihren Ländern sehr Logistiksektor aktiv. Die IP hat in den letzten Monaten bei Amazon-Poznań KollegInnen organisiert und auch schon Solidaritätsaktionen mit den Streik in den bei deutschen Amazon-Werken durchgeführt. Aus den heraus entstanden Kontakte zu Bündnissen der außerparlamentarischen Linken, die z.Beispie im Rahmen der Blockupy-Aktionstage zu gemeinsamen Aktivitäten führten.
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Geflüchtete als KollegInnen?
Ein weiterer Diskussionspunkt in Bad Hersfeld war der Umgang mit migrantischen Beschäftigten. Das Thema war kurzfristig aufgenommen wurden, nachdem bekannt wurde, dass zum 1. Dezember bei Amazon Bad Hersfeld und Leipzig Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft eingesetzt wurden. In Bad Hersfeld werden jeden Tag 40 Geflüchtete mit Bussen zum Werk gefahren. Mehrere Beschäftigte berichteten, dass in der letzten Zeit in der Umgebung des Werks vermehrt Hakenkreuzschmierereien aufgetaucht seien. Die Diskussionen unter den KollegInnen bewegen sich „auf schlimmsten Pegida-Niveau“ , erklärte ein Beschäftigter aus Bad Hersfeld. Auch KollegInnen, die sich aktiv an den letzten Streiks beteiligt hätten, würden teilweise die MigrantInnen nicht als gleichwertige KollegInnen betrachten. Ver.di würde sich überhaupt nicht dazu äußern, so die Kritik. Die anwesenden KollegInnen erklärten allerdings auch, es sei schwierig, mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten, weil sie mit Bussen zum Werk gebracht und wieder abgeholt werden. Sie berichteten allerdings über vereinzelte Kontaktmöglichkeiten. So hätten zwei der neuen KollegInnen den Bus verpasst und wussten nicht, wie sie zu ihrer Unterkunft kommen sollen. Dabei sei ein Kollege eingesprungen. Auch bei der Arbeit gäbe es Kontaktmöglichkeiten, die aber bisher nur wenig genutzt würden. Über die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von alten und neuen KollegInnen gab es unter den anwesenden KollegInnen Differenzen. Manche hielten das für ausgeschlossen und sprachen von „einen Kampf gegen Windmühlen“. Andere sahen eine solche Kooperation nicht so pessimistisch.
KonsumentInnen solidarisieren sich
Auf dem Sonntag wurde ein Aufruf zum KonsumentInnenstreik verabschiedet. In einen Flugblatt werden vier Schritte aufgelistet, die dabei beachtet werden müssen. Zunächst muss bei Amazon eine Ware für mindestens 40 Euro bestellt werden. Anschließend sollen die kritischen KundInnen von der großzügigen Umtauschregelung Gebrauch machen, die für diese Einkäufe gelten. Innerhalb von zeri Wochen nach Empfang können die Waren zurück geschickt werden: ab 40 Euro fallen dafür keine Versandkosten an. Auf dem Retourpaket können z.B. Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden, die sich mit den streikenden Beschäftigten solidarisch erklären und die Forderungen nach Kunden einem Tarifvertrag unterstützen. Das Streiksolibündnis ruft auch dazu auf, dass Fotos davon zu senden, die dann auf Facebook veröffentlicht werden sollen. Die InitiatorInnen betonen, dass es dabei nicht um einen Boykottaufruf gegen Amazon handelt. „Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Amazon-Management einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen“, begründete ein Mitarbeiter der Leipziger Solidaritätsgruppe den ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zum Boykott aufrufen.
Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag gesellschaftliche Unterstützung findet. Bereits bei den beiden letzen beiden Arbeitskämpfen im Einzelhandel haben sich kritische KundInnen mit den Streikenden solidarisiert. Dabei wurde im Juni 2008 für mehrere Stunden ein Discounter in Berlin blockiert. Als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort die Retoursendungen ebenfalls in die Höhe. In machen Paketen lagen Grüße an die Beschäftigten. Zalando ist direkter Nachbar von Amazon und Brieslang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in beiden Unternehmen Mitglieder zu gewinnen.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Vom 27. bis 29. November 2015 versammelten sich rund 20 solidarische Aktivist_innen und Beschäftigte von Amazon und anderen Betrieben im hessischen Bad Hersfeld, um Erfahrungen auszutauschen und Strategien der Streiksolidarität zu diskutieren. Organisiert wurde das Treffen von den Streiksolikreisen in Kassel und Leipzig. Mit dabei waren Streikunterstützer_innen, Amazon-Kolleg_innen und Betriebsräte aus dem ganzen Bundesgebiet. Schwerpunkte der Diskussion, waren neben den Arbeitskämpfen bei Amazon auch die Streiks der vergangenen Monate in den unterschiedlichen Branchen. Da auch mehrere Aktivist_innen des Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main anwesend waren, spielten die Arbeitskämpfe im Carebereich in der Diskussion eine große Rolle. Am Samstagabend wurde über antirassistische Strategien im Betrieb diskutiert. Anlass waren die Beschäftigung von Geflüchteten in den Amazon-Standorten Bad Hersfeld und Leipzig. Ein Fortsetzungstreffen soll es im Frühjahr 2016 geben.
aus:
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 611 / 15.12.2015