Streiken ohne Grenze

Ein internationales Bündnis ruft für den 1. März in Europa zu einem Aktionstag gegen Abschottungspolitik und Prekarisierung auf.

In diesen Tagen wird viel über neue Grenzen in Europa geredet. Da macht der Aufruf »24 h ohne uns!« der Transnational Social Strike Platform zu einem internationalen Aktionstag gegen »Grenzregime und Prekarisierung« am 1. März Hoffnung. In dem Text wird nicht nur die europäische Abschottungspolitik, sondern auch die Politik des Ausnahmezustands kritisiert, die sich infolge islamistischer Anschläge durchgesetzt hat. Besonders betroffen seien Migranten, Geflüchtete, Erwerbslose, prekär Beschäftigte und Fabrikarbeiter, die »im Zustand der ständigen sozialen Krise« lebten. Der Gegensatz in Europa bestehe nicht »zwischen Demokratie und Terror, sondern zwischen denen, die ausgebeutet werden, und denen, die ausbeuten, zwischen denen, die sich auf die Suche nach einem besseren Leben machen, und ­denen, die Grenzen, Zäune und Mauern errichten«. Der von letzteren geforderte Ausnahmezustand ist es, den die zum Aktionstag Aufrufenden abschaffen wollen.

Bereits 2010 hatten unter dem Motto »24 Stunden ohne uns« migrantische Beschäftigte in Frankreich, Spanien und Griechenland die Arbeit niedergelegt. Die Idee ging von Initiativen gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse in Italien aus und wurde über soziale Netzwerke verbreitet. Auf der Konferenz »Dem transnationalen Streik entgegen«, die im Oktober 2015 im polnischen Poznań stattfand (Jungle World 42/2015), wurde der diesjährige Aktionstag beschlossen. In Polen wollen Mitglieder der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (Arbeiterinitiative) vor verschiedene Leiharbeitsfirmen ziehen, um diese besondere Form prekärer Arbeitsbedingungen anzuprangern. Weitere Aktionen am 1. März sind in Italien, Holland, Spanien, Österreich und Frankreich geplant. Damit ist die Zahl der beteiligten Länder dieses Mal größer als vor sechs Jahren. Zudem sind die Aufrufe kämpferischer. Ging es 2010 noch um Öffentlichkeitsarbeit für migrantische Beschäftigte, stehen in diesem Jahr Widerstand und Organisierung im Mittelpunkt.

»Wir sehen es schon als Erfolg, dass es uns gelungen ist, in mehreren europäischen Ländern am 1. März Aktionen zu initiieren. Schließlich werden sie von kleinen linken Organisationen und Basisgewerkschaften und nicht von Parteien und Gewerkschaften mit großem Apparat vorbereitet«, sagt ein Mitglied der Migrant Strikers der Jungle World. In seiner Gruppe haben sich migrantische Lohnabhängige aus Italien zusammengeschlossen, die sich in Berlin gegen ihre prekären Arbeits- und Lebensbedingungen wehren. Sie sind Teil des Berliner Vorbereitungskreises zum 1. März und planen mit Kolleginnen und Kollegen aus Spanien und Polen einen Spaziergang durch das Berlin der prekären migrantischen Arbeit. Startpunkt soll am 1. März um 16.30 Uhr das Shoppingzentrum Mall of Berlin sein, das vergangenes Jahr zum Symbol von Ausbeutung, aber auch von Widerstand geworden ist. Rumänische Bauarbeiter kämpfen mit juristischen Klagen und politischen Aktionen seit mehr als einen Jahr um den Lohn, der ihnen noch immer ­vorenthalten wird. Auch Orte der prekären Arbeit unter anderem in der Gastronomiebranche sollen besucht werden.

Ähnliche Aktionen sind in zahlreichen europäischen Städten geplant. Erfolgreich wären die Aktionen, wenn es gelänge, über den 1. März hinaus prekäre Arbeit auf transnationaler Ebene wieder zum Kampffeld zu machen. Damit könnte an Debatten über europäische Streiks angeknüpft werden, wie sie vom Netzwerk M31 im Kontext der europäischen Krise 2012 und 2013 geführt wurden. Als mögliche Forderungen benennt der Aufruf: »Europäischer Mindestlohn, ein europaweit geltendes Grundeinkommen und Sozialsystem, das auf Aufenthalt basiert, und eine europäische Aufenthaltserlaubnis – unabhängig von Arbeitsvertrag und Einkommenshöhe.« So könnte ein Gegenpol zum Europa der Ausgrenzung und Austerität geschaffen werden.

Peter Nowak

»24 Stunden ohne uns«

Prekär Beschäftigte und Migranten sollen für einen Tag in ganz Europa streiken – noch bleibt es beim Appell

Sie sind rechtlos und unsichtbar: Arbeitsmigranten, die überall in Europa unter miesen Bedingungen schaffen. Linke Aktivisten wollen sie unterstützen und werben für einen 2transnationalen sozialen Streik.

Gegen das europäische Grenzregime und prekäre Arbeitsverhältnisse sind am 1. März in zahlreichen europäischen Ländern Kundgebungen und Demonstrationen, aber auch Diskussions- und Filmveranstaltungen geplant. Zu Arbeitsniederlegungen dürfte es aber kaum kommen, obwohl der Aktionstag als »europäischer MigrantInnenstreik« beworben. »Wir wollen über das Konzept des sozialen Streiks reden, das vor allem für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen interessant ist, die nicht einfach die Arbeit niederlegen können«, erläutert Luca von der Gruppe »Migrant Strikers«, in der sich in Berlin lebende Arbeitsmigranten aus Italien koordinieren, das Motto gegenüber »nd«. Sie wollen an Aktionen in ihrer Heimat anknüpfen, wo vor sechs Jahren der 1. März zum ersten Mal unter dem Motto »24 Stunden ohne uns« stand.

Bei einem sozialen Streik sollen Erwerbslose, Mieter, aber auch Verbraucher in Arbeitskämpfe einbezogen werden. Das soll den Druck erhöhen, den Beschäftigte im prekären Sektor allein in der Regel nicht haben. Die Aktionen wollten auf die große Bedeutung von Arbeitsmigranten aufmerksam machen, die besonders diskriminiert sind und von großen Gewerkschaften weitgehend ignoriert werden.

Beschlossen wurde der Aktionstag bei einem Treffen im polnischen Poznan im Oktober 2015, an dem Basisgewerkschaften und Gruppen der außerparlamentarischen Linken aus mehreren europäischen Ländern teilgenommen hatten. Aus Deutschland waren Aktivisten des Blockupy-Bündnisses vertreten.

Der Aktionstag am 1. März ist die erste gemeinsame Aktion in Europa. In Polen ruft die Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) dazu auf, vor Leiharbeitsfirmen gegen die prekären Arbeitsbedingungen zu protestieren. Weitere Aktionen sind in Italien, Holland, Italien, Spanien, Österreich und Frankreich geplant. Damit ist die Zahl der beteiligten Länder größer als vor sechs Jahren. Zudem sind die Aufrufe kämpferischer: Ging es 2010 vor allem um Lobbyarbeit für migrantische Beschäftigte, stehen in diesen Jahr der Widerstand gegen das Grenzregime und die Organisierung der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen im Mittelpunkt. »Wir sehen es schon als Erfolg, dass es uns gelungen ist, in mehreren europäischen Ländern Aktionen zu initiieren«, erklärte Luca für den Vorbereitungskreis in Berlin. Schließlich seien die beteiligten Gruppen klein und hätten keine Parteien und Gewerkschaftsapparate im Rücken.

Am 1. März ist ein »Spaziergang« durch das Berlin der prekären migrantischen Arbeit geplant, der am Nachmittag an der »Mall of Berlin« beginnen soll. Das Einkaufszentrum ist zum Symbol für die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte geworden – aber auch für Widerstand. Seit mehr als einem Jahr kämpfen rumänische Bauarbeiter vor Gericht und mit politischen Aktionen um den Lohn, der ihnen vorenthalten wird. Der »Spaziergang« soll weiter an Jobcentern, einer Leiharbeitsfirma und Gastronomieeinrichtungen vorbei führen. Ähnliches ist in Frankfurt am Main und Hamburg geplant.

Das Bündnis sucht auch Kontakt zum DGB. »Von uns werden sicherlich Kollegen am 1. März dabei sein«, sagt der Koordinator des Projekts »Faire Mobilität« beim DGB, Dominique John, gegenüber »nd«. Schließlich habe man bereits mit einigen beteiligten Gruppen bei Aktionen gegen Lohndumping in der Baubranche und im Schlachtergewerbe gut kooperiert. Die Selbstorganisation spanischer und italienischer Arbeitsmigranten in Deutschland sieht John als »ermutigende Entwicklung«.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/1003029.stunden-ohne-uns.html

Peter Nowak