"Neue Normalität": Bestimmte Menschengruppen werden besonderen Freiheitseinschränkungen unterzogen. Ob solche Maßnahmen auch in Reichen- und Mittelstandsvierteln möglich wären? Kommentar

Quarantäne in Arbeiterquartieren und Plexiglaswände in Altenheimen

Gerade jetzt, wo ein Großteil der Menschen wieder an Demonstrationen teilnehmen kann und manche Partys den Eindruck erwecken, es hätte Corona nie gegeben, fällt auf, dass bestimmte Menschengruppen besonderen Freiheitseinschränkungen unterzogen werden. Die Freiheitseinschränkungen betreffen auch Senioren in Alten- und Pflegeheimen. So gibt es Berichte, dass Bewohner lieber auf Besuche von Freunden und Verwandten verzichten, als hinter einer Trennscheibe Platz zu nehmen

Viele Jahre haben Gewerkschaften und solidarische Gruppen wie die Initiative „Arbeitsunrecht“ auf die besonderen Ausbeutungsverhältnisse der vornehmlich migrantischen Beschäftigen bei der Fleischfabrik Tönnies hingewiesen. Nun beschäftigt sich die gesamte Republik damit, weil …..

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Anlässlich ihres fünfjährigen Bestehens veröffentlicht die Berliner Dokumentationsstelle Antiziganismus eine umfangreiche Broschüre. Diese zeigt vor, wie Jobcenter Sinti und Roma diskriminieren.

Kein Grund zum Feiern

In der Dokumentation wird an Hand von Falleispielen gezeigt, wie sich das EuGH-Urteil und die Debatten in Deutschland in einer antiziganistische Behördenpraxis niedergeschlagen hat.

Die krisengeschüttelte NPD konnte Mitte September erzielte Mitte September einen juristischen Erfolg verbuchen. Das Verwaltungsgericht München urteilte, dass ein Wahlkampfplakat der NPD mit dem Spruch „Geld für Oma statt für Sinti und Roma“ nicht als Volksverhetzung gewertet werden kann. Obwohl die Darstellung einen diskriminierenden Charakter habe, überschreite sie nicht die Grenze zur Strafbarkeit, erklärten die Münchner Richter und wiesen damit eine Klage des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma gegen die Stadt Ingolstadt zurück. Der Zentralrat hatte die Stadtverwaltung aufgefordert, die zur Bundestagswahl 2017 aufgehängten Plakate abzuhängen. Die Kommune lehnte das mit Verweis auf die fehlende Rechtsgrundlage ab. Der antiziganistische Spruch wird inhaltlich auch von Kreisen geteilt, die niemals mit der NPD in Verbindung gebracht werden wollen. Es sind auch….

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Gefährliche Bürgerwehr

Bundesweit wollen Rechtsextreme sogenannte Schutzzonen errichten. In Berlin vertrieben sie Roma von einem öffentlichen Platz. Hinter der Kampagne steht die NPD.

Eine rechtsextreme Bürgerwehr hat in Berlin Roma vertrieben

»Schutzzonen – Schulwegwache« steht auf dem Rücken der roten Westen mit den weißen Streifen. Getragen werden sie von zwei Männern, die neben einer Schule im Berliner Stadtteil Hellersdorf stehen. Das Foto, das die beiden Männer zeigt, ist eine Drohung für alle Menschen, die nicht ins rechtsextreme Weltbild passen. Schließlich steht es auf der Homepage der Berliner NPD. Es soll für die Kampagne »Schafft Schutzzonen« der Neonazis werben, die in den vergangenen Wochen in verschiedenen Bundesländern lanciert wurde.

Auf weiteren Fotos von Aktionen in Berlin sind sich bürgerlich gebende Männer und Frauen zu sehen, die in den Stadtteilen Lichtenberg, Karow, Marzahn, Köpenick, Neukölln und Mitte auf Streife gehen. Auch über das konkrete Vorgehen wird auf der NPD-Seite berichtet. Es würden »soziale Brennpunkte, finstere Nebenstraßen sowie Flüchtlingsheime abgefahren«. In ­einem Beitrag mit dem Titel »Schutzzonen in der Hauptstadt – ein Fazit der vergangenen Wochen« heißt es in rassistischer Diktion: »In Berlin-Mitte war eine kleine, aber erfolgreiche Tourismusstreife unterwegs und verbannte gleich mehrere Betrüger und Zigeuner des Platzes.«

Auf Facebook waren Fotos der Opfer zu sehen. Ein auf Twitter geteiltes Foto, das eine NPD-Streife in der Nähe des Brandenburger Tors zeigt, ist mit einer antisemitischen Erklärung überschrieben: »Während Merkel lieber nach Israel pilgert, sorgen wir in Deutschland für Sicherheit.«

Medial aufgegriffen wurde die rechtsextreme Säuberungsaktion nur von der BZ. In einem Artikel vom 21. Oktober zitierte die Zeitung aus einer Ana­lyse des Berliner Verfassungsschutzes, die auch die Kampagne »Schafft Schutzzonen« unter die Lupe nimmt. Darin erklärt der Geheimdienst: »Mit der Kampagne greift die Partei auf das in der rechtsextremistischen Szene immer wieder verwendete Konzept einer Bürgerwehr zurück.« Man müsse auch die Abkürzung beachten, die sich aus der Alliteration ergebe – »SS«. Selbst dieser Hinweis führte nicht zu einer größeren öffentlichen Diskus­sion über die Kampagne beziehungsweise den Übergriff in Berlin-Mitte.

Andrea Wierich von Amaro Foro, einem Jugendverband, der sich gegen Antiziganismus engagiert, veröffentlichte eine Erklärung zu der Aktion: »In Berlin-Mitte sind Roma oder dafür gehaltene Menschen offenbar durch rechtsextreme Aktivisten vertrieben worden. Die NPD teilte dies auf Facebook und auf ihrer Homepage mit. ­Einige der Betroffenen waren offenbar minderjährig; sie wurden fotografiert und die Fotos wurden ohne ihr Einverständnis im Internet veröffentlicht.«

Im Juni hatte Amaro Foro in einer Stellungnahme den öffentlichen Umgang mit dem Angriff auf ein RomaMädchen in Berlin kritisiert. Das Mädchen hatte vor einem Haus in der Straße der Pariser Kommune im Stadtteil Friedrichshain gespielt, als ein Anwohner von seinem Balkon aus mit ­einer Luftdruckwaffe einen Schuss auf es abgab. In der Berichterstattung über den Angriff, so der Verband, sei in den Vordergrund gestellt worden, dass das Haus, vor dem das Mädchen gespielt hatte, offenbar eine sogenannte Schrottimmobilie mit viel Müll, Lärm und Kriminalität sei, die überwiegend von Osteuropäern, darunter viele Roma, bewohnt werde. »Das suggeriert, dass der Vorfall nicht überraschend und der Zorn des Schützen vielleicht sogar verständlich sei. Eine solche Darstellung eines Schusses auf ein Kind finden wir erschreckend«, heißt es in der Stellungnahme.

Im Gespräch mit der Jungle World sagte Wierich, auch ihre Organisation habe von dem Übergriff der NPD in Berlin-Mitte durch den BZ-Artikel erfahren. Zu den Betroffenen habe man keinen Kontakt, daher sei es bislang nicht möglich gewesen, sie zu den ­Vorfällen zu befragen. Amaro Foro fordert, dass das Vorgehen der rechtsext­remen Bürgerwehren juristische Konsequenzen haben müsse. »Dieses Vor­gehen ist eine Amtsanmaßung durch Rechtsextreme, die in einer massiven Diskriminierung und Gefährdung ganzer Personengruppen resultiert: Wer befürchten muss, für nicht deutsch gehalten zu werden, kann sich in Berlin-Mitte nicht mehr sicher fühlen, nicht mehr gefahrlos bewegen«, heißt es in einer Stellungnahme, die der Verband gemeinsam mit der Opferberatungsstelle Reach­out veröffentlichte.

Weil die an der Schutzzonen-Kampagne Beteiligten offen Gesicht zeigten und sich an mehreren Orten fotografieren ließen, dürften sich die polizei­lichen Ermittlungen in diesem Fall einfach gestalten. Auf eine Anfrage der Jungle World nach dem Stand der Ermittlungen sagte ein Pressesprecher der Berliner Polizei, er warte noch auf die Rückmeldung der zuständigen Fachabteilung.

Andrea Wierich sagte der Jungle World, ihre Organisation mache seit Jahren die Erfahrung, dass Rechte, die als Bürgerwehr auftreten, ihnen missliebige Personen schikanieren und vertreiben. Dies führte in der Vergangenheit zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. So gab es bundesweit Empörung, nachdem bekannt geworden war, dass in Chemnitz im September eine selbsternannte »Bürgerwehr« sieben Menschen unterschiedlicher Nationalitäten bedroht und beschimpft hatte. In diesen Fall reagierte die Justiz sofort. Die 15 Tatverdächtigen wurden noch am selben Abend vorläufig festgenommen. Gegen sechs Männer im Alter zwischen 27 und 33 Jahren wurde Haft­befehl erlassen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wird ihnen Landfriedensbruch vorgeworfen. Zu der schnellen Reaktion der Behörden könnte es damals auch deshalb gekommen sein, weil Chemnitz im September wegen rassistischer Aufmärsche bundesweit im Fokus der Öffentlichkeit stand.

Dass Bürgerwehren Selbstjustiz gegen ihnen missliebige Minderheiten üben und von Teilen der übrigen Bevölkerung dabei unterstützt werden, zeigte sich auch am 21. Mai 2016. In einem Supermarkt im sächsischen Arnsdorf fesselten vier Männer, darunter ein Lokalpolitiker der CDU, einen irakischen Flüchtling, der Probleme mit einer Telefonkarte hatte und sich nicht verständlich machen konnte, an einen Baum. Der Vorfall wurde bekannt, weil eine Videoaufnahme des Übergriffs auf rechten Internetseiten kursierte und auf viel Zustimmung stieß. Ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung wurde im April 2017 eingestellt, weil den Angeklagten nach Meinung des zuständigen Richters nur ­geringe Strafen drohten. Das rechtsextreme Milieu feierte die vier Männer als Helden, die Zivilcourage gezeigt hätten. Zu diesem Zeitpunkt war das Opfer der Bürgerwehr schon tot. Der irakische Flüchtling hatte psychische Probleme. Im Januar 2017 erfror er in einem Wald und wurde erst Wochen später gefunden. Der Vorfall wäre wahrscheinlich längst vergessen, hätte der sächsische Künstler Mario Pfeifer ihn nicht zum Material der Videoinstallation » Again/Noch einmal« gemacht, die noch bis zum 6. Januar in den Chemnitzer Kunstsammlungen zu sehen ist.

https://jungle.world/artikel/2018/49/gefaehrliche-buergerwehr?page=all
Peter Nowak

Noch immer diskriminiert


Die Berichterstattung über Roma und Sinti ist in vielen Medien noch immer von Ressentiments geprägt. Die Ansichten der Verbände dieser Minderheit stoßen auf geringes Interesse.

Als die Teilnehmer der diesjährigen Bundesjugendkonferenz der Roma und Sinti in Berlin vom 28. September bis zum 1. Oktober über ihre Vorstellungen von einer solidarischen Gesellschaft und den Kampf gegen Rassismus diskutierten, kam kein einziger der eingeladenen Medienvertreter. Für Anita Burchardt von der Organisation Amaro Drom e.V., die für die Bürgerrechte von Sinti und Roma kämpft, ist das keine Überraschung. »Schon in den vergangenen Jahren tat sich die Presse schwer damit, der größten bundesweiten Veranstaltung junger Roma und Sinti einen Nachrichtenwert abzugewinnen«, sagte sie auf der Fach­tagung »Antiziganismus in den Medien«, die Amaro Drom mit Amaro Foro, einem Jugendverband von Roma und Nichtroma, organisiert hat.
Bei der Tagung, die vorige Woche in Berlin stattfand, wurde deutlich, dass die Medien größtenteils noch die Stereotype über die umherziehenden, nichtsesshaften Roma und Sinti verbreiten, die selbst schuld seien, dass sie am Rand der Gesellschaft leben müssen. Wie dieser stigmatisierende Diskurs funktioniert, zeigte Andrea Wierich von Amaro Foro am Beispiel der Medienberichte über »Horrorhäuser« im Ruhrgebiet und in Berlin auf. Gemeint sind damit Gebäude, in denen auf engem Raum zahlreiche osteuropäische Arbeitsmigranten leben und hohe Mieten zahlen müssen. Die Medien könnten die Wohnungskrise thematisieren, die Menschen zwingt, unter solchen Bedingungen zu leben, so Wierich. Sie könnten die Verantwortung von Hauseigen­tümern und die Rolle der Politik benennen. Doch in der Regel würden die Opfer verantwortlich gemacht und es werde behauptet, die Lebensweise der Roma und Sinti verursache die Probleme, kritisierte die Vertreterin von Amaro Foro.

»Über Sinti und Roma werden in den Medien Dinge verbreitet, die man heute über andere Minderheiten nicht mehr sagen würde«, sagte auf der Podiumsdiskussion zum Abschluss der ­Tagung die Spiegel-Kolumnistin Ferda Ataman. Bis vor zehn Jahren schickte der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, jedes Jahr um den 7. Dezember ein Paket mit Belegen für eine diskriminierende Berichterstattung an den Deutschen Presserat, der Rügen aussprechen kann. Das Datum sollte an den 7. Dezember 1935 erinnern, als NS-Reichsinnenminister Wilhelm Frick angeordnet hatte, »in allen Fällen, in denen strafbare Handlungen von ­Juden begangen sind, dies auch besonders zum Ausdruck zu bringen«. ­Danach war in Nazideutschland in Polizei- und Presseberichten über Straf­taten stets die »Rassenzugehörigkeit« herausgestellt worden. Seit Jahren drängen offen rechtsextreme, aber auch konservative Kreise darauf, die Staatsangehörigkeit von mutmaßlichen Straftätern in Medienberichten zu ­erwähnen.

Für Roma und Sinti hat die mediale Diskriminierung nie aufgehört. Doch der Presserat sah trotz der Massenzusendungen offenbar keinen Anlass, die Berichterstattung zu rügen. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Verhalten konnte auf der Tagung nicht stattfinden, weil trotz Einladung kein Vertreter des Presserats erschien. Auch von der Deutschen Journalisten-Union war niemand anwesend, obwohl sich die gewerkschaftliche Interessenvertretung der Journalisten gegen Rassismus einsetzt. Es sei in vielen Kreisen noch nicht verstanden worden, dass der Kampf gegen Antiziganismus eine Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft und nicht der Opfer sei, monierte Wierich.

Dass es in den vergangenen Jahrzehnten dennoch einige Fortschritte gegeben hat, machte der Berliner Rechtsanwalt Thomas Moritz deutlich, der aus der Urteilsbegründung zitierte, mit der der Bundesgerichtshof 1956 einer Roma-Frau die Entschädigung für NS-Verfolgte verweigert hatte. »Sie ­neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist«, heißt es dort in völkischer Diktion. Für das Urteil hat sich der Bundesgerichtshof mittlerweile entschuldigt. Die derzeitigen Formen der Diskriminierung sind subtiler, verschwunden sind die Ressentiments jedoch nicht.##

https://jungle.world/artikel/2018/44/noch-immer-diskriminiert
Peter Nowak

Wenn die Medien Klischees verbreiten


Bei einer Berliner Fachtagung wurde die Berichterstattung über Sinti und Roma kritisiert

Sie sind nicht sesshaft, halten es wegen ihres Wandertriebs nie lange an einen Ort aus und sind deshalb zu einem Leben am Rande der Gesellschaft verdammt. Diesen Stereotypen über Sinti und Roma, die immer wieder in deutschen Medien zu lesen sind, widmete sich am Mittwoch eine Fachtagung von Amaro Foro in Berlin. Die »Jugendorganisation von Roma und Nichtroma« setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, dass Roma und Sinti in Deutschland nicht mehr Bürger*innen zweiter Klasse sind.

Dieser Anspruch wird auch von Medien oft nicht eingehalten, die sich klar gegen Rassismus positionieren. »Über Sinti und Roma werden in den Medien Dinge verbreitet, die man heute über andere Minderheiten nicht mehr sagen würde«, betonte auf der Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung die »Spiegel«-Kolumnistin Ferda Ataman. Sie ist Sprecherin der »Neuen Deutschen Medienmacher«, einem Zusammenschluss von Journalist*innen, die auch in der Berichterstattung deutlich machen wollen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Andrea Wierich, die Pressereferentin von Amaro Foro, verwies auf die Berichterstattung über als »Horrorhäuser« apostrophierte Gebäude im Ruhrgebiet und Berlin in den letzten Jahren. In den Häusern müssen Arbeitsmigrant*innen aus osteuropäischen Ländern unter beengten Bedingungen leben und dafür noch hohe Mieten bezahlen. Die Medien könnten die Wohnungskrise thematisieren, die Menschen zwingt, unter solch schlechten Bedingungen zu leben. Sie könnten skandalisieren, dass Hauseigentümer*innen hier mit dem Elend der Menschen Profite machen und auf die Verantwortung der Politik weisen. Doch in der Regel werden die Opfer verantwortlich gemacht und behauptet, die Zustände lägen an der Lebensweise der Roma und Sinti, kritisierte Wierich.

Wie wenig zahlreiche Medien an Berichten interessiert sind, in denen Roma und Sinti nicht mit Armut, Flucht und Kriminalität in Verbindung gebracht werden, wurde durch eine Stellungnahme deutlich, die sie zu der Fachtagung veröffentlicht wurde. Dort wurde noch einmal an die diesjährige Bundesjugendkonferenz der Sinti und Roma erinnert, die Anfang Oktober 2018 in Berlin stattgefunden hat. Dort diskutierten die Teilnehmer*innen über ihre Vorstellungen einer solidarischen Gesellschaft und den Kampf gegen den Aufstieg der Rechten. »Es gab ein Presseteam, um die Fragen der zahlreich eingeladenen Journalist*innen entgegenzunehmen. Doch keine einzige Pressevertreter*in ist gekommen«, kritisiert Anita Burchardt von Amaro Drom e.V. . Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass die Medien Veranstaltungen ihrer Organisation ignoriert hätten.

Über engagierte junge Roma und Sinti, die nicht als Opfer auftreten, sondern klar ihre Vorstellungen haben und ihre Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen äußern, werde nicht berichtet, so das ernüchternde Fazit von Burchardt. Das auf der Tagung aufgeworfene Thema sollte auch Organisationen wie die Deutsch Journalist*Innenunion interessieren, die in Berlin vermisst wurden. Denn Antiziganismus ist wie alle Formen rassistischer Unterdrückung ein Problem der Mehrheitsgesellschaft und nicht der Opfer, betonte Wierich. Das scheint aber bisher bei vielen Medien noch nicht angekommen zu sein.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1104363.darstellung-von-minderheiten-wenn-die-medien-klischees-verbreiten.html

Peter Nowak

RACIAL PROFILING

Der antiziganistische Rassismus ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Von Peter Nowak

Seit Oktober 2003 werden Roma und Sinti von deutschen Polizeibehörden nicht mehr in den berüchtigten »Landfahrerdateien « gespeichert. Nach bundesweiten Protesten von Roma-Verbänden war auch der Freistaat Bayern bereit, auf den Namen (»Zigeuner«), der im Nationalsozialismus die Grundlage für die Deportation und Ermordung Zehntausender Sinti und Roma gewesen ist, zu verzichten.

Die NS-Diktion hatte ausgedient, doch die Erfassung ging weiter. Dafür kreierten Beamte Bezeichnungen wie »mobile ethnische Minderheit«, kurz MEM. Bei der sächsischen Polizei bleibt man näher an der Tradition. Durch eine Anfrage des sächsischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Valentin Lippmann, wurde bekannt, dass die Polizei im Freistaat mehr als 2.000 Personen unter dem Hinweis »wechselt häufig Aufenthaltsort « speichert. Daneben sind dort in einer weiteren Datei 432 Personen als »Stadt- und Landstreicher« registriert. Das sächsische Innenministerium verweigerte aus Sicherheitsgründen Auskünfte über die Zusammensetzung des erfassten Personenkreises.

Die sächsischen Behörden liegen da im Trend. Längst wird in Deutschland der antiziganistische Rassismus ganz uncodiert nicht nur bei Pegida und Co., sondern auch in einem Berliner Jobcenter verbreitet. Dort weigerte sich eine Sachbearbeiterin, den Antrag einer Roma- Familie auf Leistungen nach ALG II anzunehmen. »Ich will deine Unterlagen nicht sehen. Ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben«, erklärte sie. Es ist das einer von zahlreichen antiziganistischen Vorfällen im letzten Jahr in Berlin gewesen, die die Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro vor einigen Wochen veröffentlicht hat (amaroforo.de/ sites/default/files/files/Dokumentation 2015.pdf). In diesem Bericht wird auch eine Polizistin zitiert, die bei der Aufnahme eines Fahrradverlusts nach Nennung der Anschrift sogleich erklärte: »Die Straße ist bekannt für die Rumänen, weshalb Sie sich fernhalten sollten.«

So zurückhaltend mag die Kleingartenkolonie »Frieden« in Berlin-Tempelhof nicht sein. Dort wurde einem in der Türkei geborenen Berliner die Mitgliedschaft in dem Kleingartenverein mit der Begründung verweigert, dass die Migrantenquote von 20 Prozent bereits überschritten sei. Den Garten könne er als »NDH« daher nicht bekommen – das Kürzel steht für »nichtdeutsche Herkunft «. »Sie sind kein reinrassiger Deutscher «, übersetzte der Vorsitzende des Kleingartenvereins »Frieden« das, was sich hinter Kürzeln wie MEM und NDH verbirgt, in eine Sprache, die auch der letzte Kamerad noch versteht.

aus: in konkret 8/2016

http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-82016/articles/racial-profiling.html

Peter Nowak

Tief verwurzeltes Ressentiment

Eine Online-Dokumentation antiziganistischer Vorfälle in Berlin zeigt, dass Diskriminierung von Roma und Sinti in den Ämtern der Hauptstadt verbreitet ist.

Die Diskriminierung von Roma und Sinti ist bei Berliner Behörden an der Tagesordnung. Das ist das Resümee einer Dokumentation antiziganistischer Vorfälle in Berlin im Jahr 2015, die kürzlich von der Roma-Selbstorganisation Amaro Foro unter www.amaroforo.de online veröffentlicht wurde. Die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung mit »dem weitverbreiteten und tief verwurzelten Ressentiment«, wie der Sozialwissenschaftler Markus End den Antiziganismus bezeichnet, hat erst vor wenigen Jahren begonnen. Mit der Dokumentation wird auch deutlich, dass eine Haltung zu Roma und Sinti, wie man sie vielleicht bei Pegida und der AfD vermuten würde, auch in staatlichen Behörden verbreitet ist.

Mit stigmatisierenden und oft sachlich falschen Begründungen werden den Menschen ihnen zustehende soziale Leistungen verweigert. Amaro Foro vermittelt Betroffenen Kontakt zu Rechtsanwälten. Viele gewannen ihre Klagen gegen solche Ablehnungsbescheide.

Nur selten jedoch wird der Antiziganismus dabei so offen formuliert wie von der Mitarbeiterin eines Jobcenters, die einer serbischen Familie, die Leistungen nach SGB II beantragen wollte, entgegnete: »Ich will deine Unterlagen nicht sehen. Ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben.« Als die betroffene Frau anfing zu weinen, sei sie von der Security hinausgeschmissen worden, heißt es in der Dokumentation.

Dass selbst juristische Erfolge noch ignoriert werden, zeigt der dokumentierte Fall einer Rumänin mit zwei minderjährigen Kindern. Sie hatte vor dem Oberverwaltungsgericht erfolgreich eine Unterkunft eingeklagt. Die Soziale Wohnhilfe wurde per Eilbeschluss verpflichtet, die Familie unverzüglich unterzubringen und die Kosten zu tragen. Da sich aber Jobcenter und Bezirksamt über die Übernahme der Kosten stritten, wurde die Familie nicht in das Hostel eingelassen, in dem sie übernachten sollte, wodurch sie bis nach dem nächsten Wochenende ohne Dach über dem Kopf blieb.

Eine Polizistin sagte bei der Aufnahme einer Verlustmeldung für ein Fahrrad, als sie die Adresse hörte, unter der das Rad zum Kauf angeboten wurde: »Die Straße ist bekannt für die Rumänen, weshalb sie sich fernhalten sollten.« Die »Rumänen« in diesem Stadtteil seien »bekannt für organisiertes Verbrechen und Diebstahl«.

Dafür, dass solche Äußerungen in Behörden zu hören sind, tragen auch Medien Verantwortung, die sich zuweilen antiziganistischer Klischees bedienen. Das zeigt das Medienmonotoring, mit dem die Dokumentation schließt. Dazu wurden Artikel aus der Berliner Presse analysiert, in denen es vergangenes Jahr um ein Haus in Berlin-­Schöneberg ging. Dort lebten zahlreiche Roma aus Osteuropa in beengten Verhältnissen bei hoher Miete. Doch von der menschenunwürdigen Unterbringung war in den analysierten Artikeln nicht die Rede. Vielmehr wurden die Mieter mit antiziganistischen Klischees belegt. Da ist die Rede von Müll, Fäkalien, Kriminalität, Gewalt gegen Frauen, Prostitution und international organisierter Kriminalität.

Zum politischen Kontext, der solche Ressentiments fördert, gehören behördliche Bestrebungen, bestimmte EU-Bürger von sozialen Leistungen auszuschließen, was mit dem Missbrauch der sozialen Sicherungssysteme begründet wird. Besonders Roma aus Osteuropa sind mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Die Erklärung der Westbalkanländer zu »sicheren Herkunftsstaaten« hat zu einer Zunahme der Abschiebungen geführt. Dagegen protestieren seit Monaten Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, sowie ihr kleines Unterstützernetzwerk. So versammelten sich Mitte Mai 70 von Abschiebung bedrohte Roma aus verschiedenen osteuropäischen Ländern am Denkmal für die im National­sozialismus ermordeten Roma und Sinti in Berlin. Bereits nach wenigen Stunden wurden das Denkmal und der es umgebende Platz geräumt.

http://jungle-world.com/artikel/2016/24/54227.html

Peter Nowak

Antiziganismus im System

Die Halle der Schande

Wirtschaft und Soziales: In Berlin kämpfen rumänische Bauarbeiter für ihr Recht

Fast ein Jahr kämpfen rumänische Bauarbeiter in  Berlin um ihren Lohn. Aber auf das Geld  warten sie noch immer. Dabei haben sie bereits mehrere Erfolge vor dem Berliner  Arbeitsgericht errungen. So entschied das Gericht am 5. August,  dass die   Firma Openmallmaster GmbH   Niculae M.  1.200 Euro  und Nicolae H 4.400 Euro  Lohn für ihre Arbeit beim Bau der Mall of Berlin nachzahlen muss. Bei den Unternehmen handelt es sich um ein für Bau in unmittelbarer Nähe des Potsdamer Platzes gelegenen Nobel-Shopping-Center   angeheuertes Subunternehmen. Eine Woche später sprach das Berliner Arbeitsgericht Elvis Iancu für seine Tätigkeit auf der Mall of Berlin die Nachzahlung von 7400 Euro zu.    Er  hat einen  wesentlichen Anteil daran, dass der Kampf der Bauarbeiter eine solche Bedeutung bekommen hat,  über Monate die Medien beschäftigt und nun auch juristische Erfolge zeigt.

Dabei ist noch einmal wichtig, sich  die Chronologie des Arbeitskampfes vor Augen zu führen:  Rund 50 rumänische Bauarbeiter  waren  in der Endphase des Baus der Mall of Berlin   beteiligt. Sie bekamen nur einen Bruchteil ihres Lohnes. Als das Nobeleinkaufszentrum   mit viel Pomp eröffnet wurde, standen die Bauarbeiter auf der Straße.  Mit ihrer Arbeit hatten sie auch ihre Unterkunft verloren. Dass sie nicht nach Rumänien zurückkehrten und den geprellten Lohn abschrieben, ist vor allem Iancu zu verdanken. Er  motivierte mit seinen gewerkschaftlichen Erfahrungen seine Kollegen zum Widerstand    Zunächst forderten sie vom  Openmallmaster-Chef die sofortige vollständige  Auszahlung des Lohnes ein.  Als sie damit auf taube Ohren stießen, organisierten sie eigenständig die erste kollektive Widerstandsaktion.  Sie stellten sie sich mit Transparenten, auf dem sie ihren Lohn forderten, Berlin   in das Atrium der Mall.

Im Oktober 2014 wandten sie sich  an den DGB Berlin-Brandenburg. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic. Nach Verhandlungen sollte jeden der  Bauarbeiter  pro Person 700 Euro nachgezahlt werden, was allerdings nur einen Bruchteil des ihnen zustehenden Lohnes bedeutet hätte.  Die Auszahlung war an die Bedingung geknüpft, dass die Beschäftigten  sich vertraglich verpflichten sollen, keine weiteren Ansprüche mehr zu stellen.

Unterstützung durch die FAU

Acht Bauarbeiter weigerten sich, auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten. Mittlerweile hatte Elvis Iancu den Kontakt zur Basisgewerkschaft Freie  Arbeiterunion (FAU) hergestellt. Damit wurde die Mall of Berlin zur Mall of Shame. Der Kampf  entfachte  ein großes Medienecho und  zeitigte nun auch juristische Erfolge. Dabei  beschränkte sich   die Rolle der  FAU nicht nur auf die Organisierung von Kundgebungen, Soliveranstaltungen und die Bereitstellung von Jurist_innen für die Arbeitsgerichtsprozesse. Sie sorgte  auch für  Unterkunft und Verpflegung der arbeits- und obdachlosen Bauarbeiter.   Wenn sie auch nach  fast zwölf  Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische Arbeiter_innen in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. „Es gibt viele solcher Fälle. Aber leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren“, meint eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebenden Romajugendlichen. Das Leben von vielen Arbeitsmigrant_innen aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Die  erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierungen am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen. So berichtete die Essener Rechtsanwältin Christina Worm in einem Interview mit der Jungen Welt, dass ein Jobcenter einen Migranten aus Osteuropa die Finanzierung eines Bettes mit der Begründung verweigerte, er könne wie zu Hause auf dem Boden schlafen.

Rumänische Mieter_innen in die Obdachlosigkeit zwangsgeräumt

Oft fehlt es den Betroffenen  an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter_innen in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet. Nicht, dass sie in überteuerte Schrottwohnungen in der Schöneberger Grunewaldstraße 87 leben mussten, wird skandalisiert, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passen. Mittlerweile sind die meisten  rumänischen Bewohner_innen aus der Grunewaldstraße 87 geräumt worden, oft gegen ihren Willen und ohne gesetzliche Grundlage. Viele der Betroffenen mussten wochenlang in Parks übernachten, weil sich der Bezirk Schöneberg weigerte, den obdachlosen Menschen Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Stattdessen bot der Bezirk eine Rückfahrkarte in ihre Heimatländer an. Das Berliner Verwaltungsgericht bezeichnete  diese Praxis sei rechtswidrig und verpflichtete den Bezirk Schöneberg, eine rumänische Frau mit ihren Kind, die längere Zeit in einen Park nächtigen musste, eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen.    Sowohl der Kampf der rumänischen Bauarbeiter der Mall of  Shame wie  der juristische Erfolg der  Mieterin aus der Grunewaldtraße 87  zeigt, wie hierzulande Menschen entrechtet werden. Durch das  Engagement der FAU und  Amaro Foro konnten einige der Betroffenen ihre Rechte durchsetzen.

aus:

ak 608 vom 15.9.2015

https://www.akweb.de/

Peter Nowak

Roma haben Anspruch auf eine Notunterkunft

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entscheidet zugunsten betroffener Familie aus Rumänien

Eine Familie landete aus dem Skandalhaus »Grunewaldstraße 87« in Schöneberg zwangsweise auf der Straße. In solchen Fällen muss der Bezirk eine Unterbringung organisieren, entschied ein Gericht.

Rumänische Staatsbürger, die in Berlin leben, haben Anspruch auf eine Notunterkunft. Mit diesem vor wenigen Tagen getroffenen Beschluss verpflichtet der 1. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg den Bezirk Tempelhof-Schöneberg, eine rumänische Frau und ihre beiden Kleinkinder nach dem Allgemeinen Gesetz zum Schutz der Sicherheit und Ordnung (ASOG) in einer Notunterkunft unterzubringen.

Die junge Mutter hat vor Gericht eidesstaatlich versichert, mit ihren beiden Kindern seit Ende Juli 2015 obdachlos gewesen zu sein und in einem Park übernachtet zu haben. Da ihre Kinder bereits erkältet seien, sei sie um ihre Gesundheit besorgt, benannte die Frau den Grund für die Klage.

Zuvor hat die Mutter mit den beiden Kindern in der Grunewaldstraße 87 in Schöneberg gelebt. Das Haus war in die Schlagzeilen geraten, nachdem bekannt geworden war, dass der Eigentümer die Zimmer teuer vermietet und die Bewohner schikaniert und bedroht (»nd« berichtete). Vor Gericht gab die Klägerin an, dass der Vermieter die Eingangstür zugenagelt und ihr mit körperlicher Gewalt den Zugang verwehrt habe, so dass ihr ein weiterer Aufenthalt in dem Haus nicht möglich gewesen sei. Trotzdem hatte die Abteilung Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung des Bezirks Tempelhof-Schöneberg noch Ende Juli die Unterbringung der Frau mit ihren beiden Kindern in einer Notunterkunft abgelehnt. »Derzeit erhalten Sie keine ausreichenden Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes, mithin auch nicht zur Zahlung etwaiger Kosten einer Notunterbringung«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Ablehnungsbescheid der Behörde.

Dort wurde der Frau die Übernahme der Rückreisekosten nach Rumänien in Aussicht gestellt. »Sie erhielten mithin die Möglichkeit, ihre Obdachlosigkeit zu beenden«, heißt es. Das Oberverwaltungsgericht wies diese Begründung zurück, weil sich die Antragstellerin mit ihren Kindern als Unionsbürger rumänischer Staatsangehörigkeit rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. »Daher spricht derzeit nichts dafür, dass die Antragssteller als Unionsbürger trotz ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf die Möglichkeit einer Rückkehr in das Heimatland verwiesen werden könnten, um die Gefahr der Obdachlosigkeit abzuwenden«, heißt es in der Begründung des Oberverwaltungsgerichts.

Die Romaselbsthilfeorganisation Amaro Foro begrüßt die Entscheidung. »Wir haben für die Familien mit schlechter SGB-II-Prognose die Unterbringung nach dem ASOG vom Bezirk gefordert«, erklärt die Amaro Foro-Mitarbeiterin Andrea Wierich. In einem offenen Brief an die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) war diese Forderung unter anderem vom Berliner Bündnis gegen Zwangsräumungen und Antirassismusgruppen unterstützt worden. Der juristische Erfolg könnte weitere ehemalige Bewohner der Grunewaldstraße 87 nun ebenfalls zum Einklagen von Notunterkünften ermutigen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/982820.roma-haben-anspruch-auf-eine-notunterkunft.html

Peter Nowak

Obdachlosigkeit abgewendet

SCHÖNEBERG Das Oberverwaltungsgericht zwingtdas Bezirksamt, einer rumänischen Mutter mit zwei Kleinkindern eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen
Der Bezirk Schöneberg-Tempelhof muss einer rumänischen Mutter mit ihren beiden Kleinkindern eine Notunterkunft zur Verfügung stellen. Das beschloss der Erste Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg. Die junge Mutter hat vor Gericht eidesstattlich erklärt, mit ihren beiden Kindern seit Ende Juli 2015 obdachlos gewesen und in einem Park übernachtet zu haben. Da ihre Kinder bereits erkältet seien, sei sie um deren Gesundheit besorgt, benannte die Frau den Grund der Klage. Zuvor hatten sie in der Grunewaldstraße 87 in Schöneberg gelebt. Das Haus war in die Schlagzeilen geraten, als bekannt geworden war, dass der Eigentümer des Hauses, dessen baulicher Zustand extrem schlecht ist, teuer vermietet und die BewohnerInnen schikaniert und bedroht. Vor Gericht gab die Klägerin an, dass der Vermieter die Eingangstür zugenagelt und ihr mit körperlicher Gewalt den Zugang verwehrt habe, sodass ihr ein weiterer Aufenthalt in dem Haus nicht möglich sei. Dennoch hatte die Abteilung Gesundheit, Soziales und   Stadtentwicklung des Bezirks Schöneberg noch Ende Juli die Unterbringung der Frau mit ihren beiden Kindern in einer Notunterkunftabgelehnt. „Derzeit erhalten Sie keine ausreichenden Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes, mithin auch nicht zur Zahlung etwaiger Kosten einer Notunterbringung“, heißt es in dem der taz vorliegenden Ablehnungsbescheid. Im Bezirk wurde der Frau die Übernahme der Rückreisekosten nach Rumänien in Aussicht gestellt. „Sie erhielten mithin die Möglichkeit, ihre Obdachlosigkeit zu beenden“, heißt es abschließend. Das Oberverwaltungsgericht wies diese Begründung, der Frau keine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen, zurück, weil sich die Antragstellerin mit ihren Kindern als Unionsbürger rumänischer Staatsangehörigkeit“ rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. „Daher spricht derzeit nichts dafür, dass die Antragsteller als Unionsbürger trotz ihres rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf die Möglichkeit einer Rückkehr in das Heimatland verwiesen werden könnten, um die Gefahr der Obdachlosigkeit abzuwenden“, heißt es in der der taz vorliegenden Begründung des Oberverwaltungsgerichts. Bereits Mitte Juli hatte die Romaselbsthilfeorganisation Amaro Foro einen offenen Brief initiiert, in dem zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen von der zuständigen Schöneberger Bezirksstadträtin für Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung, Sibyll Klotz, die Unterbringung der durch die Räumungen in der Grunewaldstraße 87 obdachlos gewordenen Menschen in Wohnungen und Notunterkünften des Bezirks fordern.
aus: Taz vom 17.8.2015
Peter Nowak

Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn

Die Auseinandersetzung migrantischer Arbeiter der „Mall of Berlin“ für ihren Lohn und ihre Würde geht weiter

„Sie haben die Arroganz der Macht, doch sie haben nicht mit unserer Bereitschaft zum Widerstand gerechnet. Was das Aufgeben betrifft, da haben sie bei uns keine Chance.“ Die knapp 200 TeilnehmerInnen der Demonstration „Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn“ brechen in Applaus aus, als einer der rumänischen Kollegen spricht, die um ihren Lohn kämpfen (DA berichtete). Ein Stundenlohn von sechs Euro sowie Kost und Logis war ihnen versprochen worden. Der Betrag ist wesentlich niedriger als der im Baugewerbe gültige Mindestlohn. Aber selbst dieser Niedriglohn wurde den Bauarbeitern vorenthalten.

Im Oktober 2014 hatten sie sich zunächst an den DGB Berlin-Brandenburg gewandt. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, auf und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Andere beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten, und wollten weiter gehen. Erst, als sich die verbliebenen Bauarbeiter an die FAU wandten, begann die Öffentlichkeitsarbeit. „Mall of Berlin – auf Ausbeutung gebaut“ lautete die Parole. Der von der FAU kreierte Begriff „Mall of Shame“ hat sich mittlerweile im Internet verbreitet. Der gesellschaftliche Druck hatte bisher nicht ausgereicht, um zu bewirken, dass der Generalunternehmer und seine Subunternehmen die ausstehenden Löhne bezahlten. Dabei handelte es sich um einige Tausend Euro. Für die Unternehmen sind es Beträge aus der Portokasse. Für die betroffenen Bauarbeiter und ihre Familien in der Heimat ist das Geld existenziell. Anfang April hatten zwei der Bauarbeiter einen juristischen Etappensieg errungen. Das Berliner Arbeitsgericht bestätigte die Forderungen von Nicolae Molcoasa und Niculae Hurmuz. Das beklagte Subunternehmen war nicht zur Verhandlung erschienen und hatte auch keinen Anwalt geschickt. So musste das Gericht der Klage stattgeben. Doch wenige Tage später ging ein Anwalt des Unternehmens in Berufung – jetzt müssen die Arbeiter weiter auf ihren Lohn warten. Im August sind die nächsten Prozesse vor dem Arbeitsgericht angesetzt. Trotz aller Schwierigkeiten betonen die betroffenen Arbeiter, wie wichtig es für sie war, gemeinsam mit der FAU um ihren Lohn zu kämpfen. Nur ein Teil der Betroffenen kann die Auseinandersetzung jetzt noch in Berlin führen. Andere mussten wieder nach Rumänien zurück oder haben in einer anderen Stadt Arbeit gefunden. Die Kollegen, die bis heute durchgehalten haben, berichten auch über die vielen Schwierigkeiten. Zu Beginn ihres Kampfes hatten sie weder Geld noch Unterkunft. Die FAU kümmerte sich um Essen und Obdach. Wenn sie auch nach sechs Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische ArbeiterInnen in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. Denn der Fall der rumänischen Bauarbeiter ist keine Ausnahme. „Es gibt viele solcher Fälle. Aber leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren“, meint eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebenden Romajugendlichen, auf der Demonstration. Das Leben von vielen Arbeitsmigranten aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Das erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierungen am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen. Zudem fehlt es den Betroffenen oft an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet. Nicht, dass sie in überteuerte Schrottwohnungen leben müssen, wird skandalisiert, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passen. Es gibt also genug zu tun für eine kämpferische Organisation wie die Foreigners Section der FAU. Sie ist mittlerweile zum Anlaufpunkt für KollegInnen aus den verschiedenen Ländern geworden, die in Deutschland um ihren Lohn oder um bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

aus:  Direkte Aktion 230 – Juli/August 2015

https://www.direkteaktion.org/230/sechs-monate-kampf-und-noch-immer-kein-lohn

Peter Nowak

Mall of Shame verhandlungsunfähig

Die sieben rumänischen Arbeiter, die auf der Baustelle der Mall of Berlin am Leipziger Platz gearbeitet haben und denen ein Großteil ihres Lohns nie ausgezahlt wurde, müssen weiter auf ihr Geld warten.

Am 16. Juli sollten zwei der sieben Klageverfahren gegen die Openmallmaster GmbH (OMM), ein Subunternehmen beim Bau der Mall of Berlin, vor dem Berliner Arbeitsgericht stattfinden. Doch der Prozess wurde nach kurzer Zeit verschoben. »Der vom Gericht geladene Dolmetscher war kurzfristig erkrankt. Der für ihn erschienene Vertreter war nicht vereidigt«, schrieb der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Kunz in einer Pressemitteilung. Der Arbeitsrechtler ist einer der Anwälte der rumänischen Beschäftigten. Zudem war auch der Geschäftsführer der OMM, dessen Erscheinen vom Gericht angeordnet worden war, nicht zur Verhandlung gekommen. Er ließ durch seinen Anwalt mitteilen, er sei verhandlungsunfähig erkrankt. In der kurzen Verhandlung stritt der Anwalt alle Vorwürfe gegen das Unternehmen seines Mandanten ab. OMM habe lediglich einen Bauleiter auf der Baustelle im Einsatz gehabt und alle Arbeiten durch Subunternehmen ausführen lassen.

»Rechtlich ist das möglich. Aber ist das praktikabel und glaubwürdig?«, schreibt die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) auf ihrer Homepage. Die geprellten Arbeiter haben mit Unterstützung der FAU den Rechtsweg beschritten. Das dauert nun bereits mehr als acht Monate und noch immer haben sie ihren Lohn nicht bekommen. Im Oktober 2014 wandten sich die Arbeiter zunächst an den DGB Berlin-Brandenburg. Dessen »Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte« nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, auf und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Sieben Beschäftigte beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten, und wollten für diese Forderung kämpfen. Erst nachdem sie sich an die FAU wandten, traten sie unter der Parole »Mall of Berlin – auf Ausbeutung gebaut« auch an die Öffentlichkeit. Da die Beschäftigten trotz des positiven Presseechos auf die Kundgebungen und Demonstrationen vom Dezember 2014 nicht erreichten, dass ihnen die vorenthaltenen Löhne ausgezahlt wurden, reichten sie schließlich die Klagen vor dem Arbeitsgericht ein, über die noch immer nicht entschieden ist.

»Sie haben die Arroganz der Macht, doch sie haben nicht mit unserer Bereitschaft zum Widerstand gerechnet. Was das Aufgeben betrifft, da haben sie bei uns keine Chance«, sagte einer der klagenden Arbeiter selbstbewusst. Wenn die Beschäftigten auch noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Der Kampf um die ausstehenden Löhne hat gezeigt, dass ausländische Lohnabhängige in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. »Es gibt viele solcher Fälle. Nur leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren«, sagt eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebender Roma-Jugendlicher. Das Leben vieler Arbeitsmigranten aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Die erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt oft in »teuren Schrottimmobilien« wohnen.

Nicht zuletzt fehlt es den Betroffenen oft an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet (Jungle World 23/2015). Dass die Arbeiter horrende Mieten für slumähnliche Behausungen bezahlten, war freilich nicht Anlass der Aufregung, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passten. Passend dazu wird im Umgang mit den Arbeitern von OMM nicht der an ihnen begangene Lohnbetrug skandalisiert – es wird ihnen vorgeworfen, nicht arbeiten zu wollen. Auch die Dolmetscherin und Schriftstellerin Eva Ruth Wemme, die rumänische Migranten längere Zeit auf die Ämter begleitete und darüber das im Verbrecher-Verlag erschienene Buch »Meine 7 000 Nachbarn« geschrieben hat, berichtet von systematischer Entrechtung von Roma durch Vermieter und Arbeitgeber.

Positiv lässt sich zumindest festhalten: Der Lohnkampf gegen die Mall of Berlin hat die Roma als Menschen, die um ihre Rechte als Beschäftigte kämpfen, sichtbar und kenntlich gemacht. Ihr Kampf um die ausstehenden Löhne könnte Perspektiven für einen transnationalen Gewerkschaftskampf aufzeigen. Mittlerweile ist die »Foreigners«-Sektion der FAU zum Anlaufpunkt für Beschäftigte aus verschiedenen Ländern geworden, die in Deutschland um ihren Lohn oder um bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Auch in verschiedenen DGB-Gewerkschaften setzen sich Mitglieder dafür ein, dass Geflüchtete Mitglieder werden können. Dem Gewerkschaftstag von Verdi liegen entsprechende Anträge vor.

http://jungle-world.com/artikel/2015/30/52356.html

Peter Nowak

Unschönes Schöneberg

In Berlin-Schöneberg haben Anwohner als Ursache der Probleme im Stadtteil kürzlich zugezogene Roma ausgemacht. Diese leben in einem heruntergekommenen, überteuert vermieteten Wohnhaus und werden von Schlägertrupps drangsaliert.

Die Angst geht um im Berliner Stadtteil Schöneberg. Seit einigen Wochen leben dort, in der Grunewaldstraße 87, Roma aus osteuropäischen Ländern. In der Einladung zu einem Nachbarschaftstreffen Ende Mai waren Rassisten explizit ausgeschlossen. Doch in manchen Redebeiträgen der ungefähr 30 Mieter, die in der Gegend rund um die Grunewaldstraße wohnen, schwang ein Hauch von Pegida im gutbürgerlichen Schöneberg mit. Von »Problemanwohnern« war die Rede und von denen, »die sich nicht an unsere Gewohnheiten anpassen«.

Ein Mann verteilte auf dem Treffen Telefonnummern der Polizei und ermunterte seine Zuhörer, sie sollten lieber einmal zu oft dort anrufen. Ein anderer Mann schlug vor, selbst zu kontrollieren, wer die Häuser betrete. Ein gewisses Maß an Versachlichung brachten ein Mitglied eines Schöneberger Stadtteilvereins und eine Mitarbeiterin von Sibyll Klotz (Die Grünen), der Schöneberger Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung, in die Debatte. Sie erinnerten daran, dass die Bewohner der Grunewaldstraße 87 überwiegend legal in Deutschland lebten und mehrheitlich gültige Mietverträge für die Wohnungen abgeschlossen hätten. Die Probleme rührten auch daher, dass die Neumieter oft aus armen Verhältnissen kommen, was mit den Lebensgewohnheiten im gutbürgerlichen Schöneberg kollidiere. Als sich einige Mieter über angebliche Ladendiebstähle der Kinder ihrer neuen Nachbarn echauffierten, erinnerte die Mitarbeiterin der Stadtteilinitiative daran, dass Ladendiebstahl in den Siebzigern auch unter unangepassten Jugendlichen in Deutschland nicht selten war und dafür sogar der Begriff »Einklaufen« kreiert worden sei. Einige Anwesende schimpften über »Gutmenschengerede« und verließen das Treffen.

Wenige Tage später kamen acht Mieter aus der Grunewaldstraße 87 in den Räumen von Amaro Foro, einem Jugendverband für Roma und Nichtroma, in Neukölln zu Wort. Sie berichteten über unzumutbare Wohnbedingungen und ihre Angst vor Schlägertrupps, die der Hauseigentümer bezahle. Mitte Mai seien diese das erste Mal aufgetaucht und hätten die Mieter zum sofortigen Verlassen ihrer Wohnungen aufgefordert. Für den Fall einer Weigerung hätten sie mit Schlägen, der Entführung der Kinder und der Vergewaltigung der Frauen gedroht. Auch Stadträtin Sibyll Klotz sprach im Tagesspiegel von »Armutsausbeutung« und »einem Vermieter mit krimineller Energie«. Doch von der Polizei und der Politik fühlen sich die Mieter im Stich gelassen. Sie hätten Anzeige gestellt und sogar die Namen von mutmaßlichen Tätern genannt. Zudem hätten sie gefordert, dass der Trupp das Haus nicht mehr betreten dürfe. »Die Polizei ist nicht auf unserer Seite«, sagte eine Mieterin, alle anderen stimmten ihr zu.

Unterstützung erhalten die Mieter überwiegend von Amaro Foro. Merdjan Jakupov, der Vorstandsvorsitzende der Organisation, sagte zur Situation in der Grunewaldstraße: »Die hinzugezogenen rumänischen Familien sind nicht dafür verantwortlich, dass ihnen ohne eine Chance auf dem Berliner Wohnungsmarkt stark überbelegter Wohnraum in sehr schlechtem Zustand und völlig überteuert vermietet wird. Die Wohnungen haben zum Teil kein Wasser, keinen Strom und vor allem keine Toiletten.«

In Gesprächen mit den Familien habe sich zudem herausgestellt, dass einige Personen um ihren Lohn geprellt wurden. Diese hätten aber weder Zeit noch Energie, um für die Auszahlung des Gelds zu kämpfen. Näheres zu diesen Fällen ist bislang nicht bekannt. Die Personen wären aber nicht die ersten, denen es so erginge. Auch rumänischen Bauarbeitern des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« werden die Löhne vorenthalten. Eine Mitarbeiterin von Amaro Foro sagte Mitte Mai in einer Rede auf der Solidaritätsdemonstration für die Arbeiter: »Viele Betroffene leben, arbeiten und wohnen in solch prekären Verhältnissen, dass sie nicht für ihre Rechte wie ausstehenden Lohn kämpfen können.« Doch im Gespräch mit den Mietern der Grunewaldstraße 87 blitzte auch Kampfbereitschaft auf. »Wenn es einen erneuten Räumungsversuch gibt, verlassen wir alle das Haus und bauen unsere Zelte in einem Park oder vor dem Bezirksamt auf«, sagte ein Mieter unter zustimmendem Nicken der anderen.

http://jungle-world.com/artikel/2015/23/52068.html

Peter Nowak

Arm und schief angesehen

Rumänen und Bulgaren in der Grunewaldstraße 87 haben Probleme – und Nachbarn haben ein Problem mit ihnen

Die neuen Mieter sind arm und müssen viel Geld für schlechte Wohnungen bezahlen. Dann werden sie von Nachbarn auch noch zu Problemanwohnern erklärt.

Das alte denkmalgeschützte Haus ist renovierungsbedürftig. Doch in der Abendsonne kann man sich schwer vorstellen, dass die Grunewaldstraße 87 seit Monaten als »Horrorhaus von Schöneberg« durch die Medien geistert. Die G 87 Grundbesitz GmbH, die seit 2012 Eigentümerin des Hauses ist, hat es an rumänische und bulgarische Staatsbürger vermietet, die in Berlin ein besseres Leben suchen. In dem Haus finden sie es kaum. Die Mieter klagen über katastrophale hygienische Zustände und kaputte Fenster. Zudem wohnen zu viele Menschen auf engem Raum. Sie müssen zudem noch Mieten von fast zwölf Euro pro Quadratmeter bezahlen. Es gibt also viele Gründe, sich über die Zustände in der Grunewaldstraße 87 aufzuregen.

Doch um diese Probleme ging es der Nachbarschaftsinitiative zunächst nicht, die sich am Donnerstagabend in einer Pizzeria in der Grunewaldstraße traf. Mehr als zwei Dutzend Anwohner waren gekommen. Man wollte sich über den Umgang »mit den Problemanwohnern« verständigen. In der Einladung wurde die Beteiligung von Rassisten ausdrücklich ausgeschlossen.

Anfangs war in den Wortmeldungen viel von »uns Mietern und denen aus der Grunewaldstraße 87, die sich nicht an unsere Lebensweise anpassen«, die Rede. Ein Mieter verteilte Telefonnummern der Polizei und riet, die Beamten zu rufen, wenn einem etwa komisch vorkommt. Ein anderer Bewohner regte an, zu kontrollieren, wer die Häuser betritt und Unbekannte nach ihrem Ziel zu fragen. Von der gefühlten Angst vor den Neumietern war viel die Rede. Auf die Frage, wer konkret von den Bewohnern des Problemhauses bedroht worden ist, meldeten sich zwei Nachbarn.

Zur Versachlichung der Debatte trugen ein Stadtteilverein und eine Mitarbeiterin der Stadträtin für Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung und Bauen, Sibyll Klotz (Grüne), bei. Sie mahnten zur Differenzierung und wiesen darauf hin, dass es sich den Bewohnern der Grunewaldstraße 87 überwiegend um Menschen handelt, die sich legal in Deutschland aufhalten und gültige Mietverträge für die Wohnungen haben. Die Probleme kämen auch daher, dass die Neumieter oft aus armen Verhältnisse stammen und mit ihren Lebensgewohnheiten in dem gutbürgerlichen Stadtteil auffallen. Stadträtin Klotz hatte in einer Erklärung, die bei dem Treffen aushing, betont, dass schnelle Lösungen nicht zu erwarten sind. Die Mitarbeiterin von Klotz berichtete über kleine Schritte zur Entspannung der Situation. So habe man gemeinsam mit der Initiative »Amaro Foro«, die sich für die Selbstorganisation junger Roma einsetzt, Kita- und Schulplätze für die Kinder der Neumieter gesucht. Während ein Nachbar auf die »Gutmenschenallüren« schimpfte, betonten andere, dass es ihnen nicht darum gehe, die Menschen aus dem Haus zu vertreiben, sondern darum, die katastrophale Wohnsituation der Menschen zu ändern. »Der Druck auf den Eigentümer muss stärker werden«, sagte eine Frau. Dabei würden sicher auch einige der betroffenen Mieter mitmachen. Es war ein großes Manko des Treffens, dass viel über die Neumieter und nicht mit ihnen gesprochen wurde. Dabei saßen einige von ihnen auf der anderen Straßenseite auf einer Bank.

Peter Nowak