RACIAL PROFILING

Der antiziganistische Rassismus ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Von Peter Nowak

Seit Oktober 2003 werden Roma und Sinti von deutschen Polizeibehörden nicht mehr in den berüchtigten »Landfahrerdateien « gespeichert. Nach bundesweiten Protesten von Roma-Verbänden war auch der Freistaat Bayern bereit, auf den Namen (»Zigeuner«), der im Nationalsozialismus die Grundlage für die Deportation und Ermordung Zehntausender Sinti und Roma gewesen ist, zu verzichten.

Die NS-Diktion hatte ausgedient, doch die Erfassung ging weiter. Dafür kreierten Beamte Bezeichnungen wie »mobile ethnische Minderheit«, kurz MEM. Bei der sächsischen Polizei bleibt man näher an der Tradition. Durch eine Anfrage des sächsischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Valentin Lippmann, wurde bekannt, dass die Polizei im Freistaat mehr als 2.000 Personen unter dem Hinweis »wechselt häufig Aufenthaltsort « speichert. Daneben sind dort in einer weiteren Datei 432 Personen als »Stadt- und Landstreicher« registriert. Das sächsische Innenministerium verweigerte aus Sicherheitsgründen Auskünfte über die Zusammensetzung des erfassten Personenkreises.

Die sächsischen Behörden liegen da im Trend. Längst wird in Deutschland der antiziganistische Rassismus ganz uncodiert nicht nur bei Pegida und Co., sondern auch in einem Berliner Jobcenter verbreitet. Dort weigerte sich eine Sachbearbeiterin, den Antrag einer Roma- Familie auf Leistungen nach ALG II anzunehmen. »Ich will deine Unterlagen nicht sehen. Ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben«, erklärte sie. Es ist das einer von zahlreichen antiziganistischen Vorfällen im letzten Jahr in Berlin gewesen, die die Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro vor einigen Wochen veröffentlicht hat (amaroforo.de/ sites/default/files/files/Dokumentation 2015.pdf). In diesem Bericht wird auch eine Polizistin zitiert, die bei der Aufnahme eines Fahrradverlusts nach Nennung der Anschrift sogleich erklärte: »Die Straße ist bekannt für die Rumänen, weshalb Sie sich fernhalten sollten.«

So zurückhaltend mag die Kleingartenkolonie »Frieden« in Berlin-Tempelhof nicht sein. Dort wurde einem in der Türkei geborenen Berliner die Mitgliedschaft in dem Kleingartenverein mit der Begründung verweigert, dass die Migrantenquote von 20 Prozent bereits überschritten sei. Den Garten könne er als »NDH« daher nicht bekommen – das Kürzel steht für »nichtdeutsche Herkunft «. »Sie sind kein reinrassiger Deutscher «, übersetzte der Vorsitzende des Kleingartenvereins »Frieden« das, was sich hinter Kürzeln wie MEM und NDH verbirgt, in eine Sprache, die auch der letzte Kamerad noch versteht.

aus: in konkret 8/2016

http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-82016/articles/racial-profiling.html

Peter Nowak

Ein «Fahrendes Volk» für die Sachsen

Stigmatisierende Spezialdatei für Sinti und Roma?

Die sächsische Polizei hat die Daten von mehreren Tausend Menschen im Freistaat gespeichert. Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten der Grünen Valentin Lippmann hervor. «Die Daten sollen primär dem Schutz des Betroffenen und der Eigensicherung von Polizeibediensteten» dienen«, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums.

Für Lippmann ist eine Speicherung bei Personen, die als »bewaffnet« oder »gewalttätig« geführt würden nachvollziehbar. Trotzdem übt der in seiner Fraktion für Demokratiefragen zuständige Politiker heftige Kritik an Art und Umfang der Datensätze. »Die Datensammlung der Polizei zu den personengebundenen Hinweisen ist uferlos. Ein Großteil dieser, bestimmten Personen zugeordneten Merkmale ist überflüssig, stigmatisierend und möglicherweise rechtswidrig«. So sind unter dem Merkmal »Ansteckungsgefahr« 723 Personen gelistet. Auf MDR-Anfrage erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums, bei Ansteckungsgefahr würden Menschen mit verschiedensten Infektionskrankheiten erfasst, von denen für Polizisten eine Gefahr ausgehen könne. Diese Daten würden gelöscht, wenn die erfassten Personen nicht mehr erkrankt seien. Wie und wann genau, konnte die Sprecherin zunächst nicht erklären. Lippmann hat jedoch noch andere Auffälligkeiten bei den Datensammlungen ausgemacht: So sind mehr als 2000 Personen unter dem Hinweis »wechselt häufig Aufenthaltsort« gespeichert. Daneben sind in einer weiteren 432 als sogenannte Stadt- und Landstreicher registriert. Das sächsische Innenministerium hat bisher nicht erklärt, welche Personen genau in welchen Kategorien erfasst sind.

Die beiden Datensätze erregen bei Lippmann viel Kritik. Nach seiner Ansicht soll hier eine Lebensweise stigmatisiert werden. Zudem hat er den Verdacht, dass es sich um eine spezielle Datei für die Erfassung von Sinti und Roma handelte. Erinnerungen an die berüchtigten Landfahrerdateien werden wach, in denen jahrzehntelang die Daten von Sinti und Roma gespeichert waren. Im Nationalsozialismus wurden sie zur Grundlage für die Deportation und Ermordung vieler Sinti und Roma.

Nach 1945 dienten sie weiterhin ihrer Stigmatisierung und Verfolgung. Nach heftigen Protesten von Romaverbänden und einer Bürgerrechtsbewegung hatte Bayern als letztes Bundesland diese Landfahrerdateien im Oktober 2001 abgeschafft. Bereits am 20. März 2003 kritisierte Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma, dass einige Polizeibehörden zur verschleierten Fortführung der Erfassung von Sinti und Roma das Ersatzkürzel »MEM« für »mobile ethnische Minderheit« eingeführt hätten. Setzt Sachsen diese Praxis fort? Das fragen sich jetzt auch Antirassismusgruppen und verlangen Aufklärung.

Der sächsische Flüchtlingsrat beklagt zudem eine gnadenlose Abschiebepolitik des Bundeslandes gegen staatenlose Roma aus Osteuropa und wirft dem Dresdner Verwaltungsgericht vor, das Recht auf Asyl auszuhebeln. So wurde am 24. Mai die an Depression leidende Azbije Kamberovic mit drei ihrer Kinder nach Mazedonien abgeschoben. Ihr Mann wurde mit den zwei älteren Kindern von Unterstützern an einen sicheren Ort gebracht, weil auch ihnen die Abschiebung droht. Gegenüber »nd« schilderte Sami Bekir in bewegenden Worten das Leben seiner Familie. »Wir konnten nirgends bleiben, nicht in Bosnien und nicht in Mazedonien. Wir kamen nach Deutschland und hofften, dass wir uns hier mit den Kindern ein neues Leben aufbauen können. Und nun erleben wir hier das gleiche. Wir werden wieder abgeschoben.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1015821.ein-fahrendes-volk-fuer-die-sachsen.html

Peter Nowak