Unschönes Schöneberg

In Berlin-Schöneberg haben Anwohner als Ursache der Probleme im Stadtteil kürzlich zugezogene Roma ausgemacht. Diese leben in einem heruntergekommenen, überteuert vermieteten Wohnhaus und werden von Schlägertrupps drangsaliert.

Die Angst geht um im Berliner Stadtteil Schöneberg. Seit einigen Wochen leben dort, in der Grunewaldstraße 87, Roma aus osteuropäischen Ländern. In der Einladung zu einem Nachbarschaftstreffen Ende Mai waren Rassisten explizit ausgeschlossen. Doch in manchen Redebeiträgen der ungefähr 30 Mieter, die in der Gegend rund um die Grunewaldstraße wohnen, schwang ein Hauch von Pegida im gutbürgerlichen Schöneberg mit. Von »Problemanwohnern« war die Rede und von denen, »die sich nicht an unsere Gewohnheiten anpassen«.

Ein Mann verteilte auf dem Treffen Telefonnummern der Polizei und ermunterte seine Zuhörer, sie sollten lieber einmal zu oft dort anrufen. Ein anderer Mann schlug vor, selbst zu kontrollieren, wer die Häuser betrete. Ein gewisses Maß an Versachlichung brachten ein Mitglied eines Schöneberger Stadtteilvereins und eine Mitarbeiterin von Sibyll Klotz (Die Grünen), der Schöneberger Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung, in die Debatte. Sie erinnerten daran, dass die Bewohner der Grunewaldstraße 87 überwiegend legal in Deutschland lebten und mehrheitlich gültige Mietverträge für die Wohnungen abgeschlossen hätten. Die Probleme rührten auch daher, dass die Neumieter oft aus armen Verhältnissen kommen, was mit den Lebensgewohnheiten im gutbürgerlichen Schöneberg kollidiere. Als sich einige Mieter über angebliche Ladendiebstähle der Kinder ihrer neuen Nachbarn echauffierten, erinnerte die Mitarbeiterin der Stadtteilinitiative daran, dass Ladendiebstahl in den Siebzigern auch unter unangepassten Jugendlichen in Deutschland nicht selten war und dafür sogar der Begriff »Einklaufen« kreiert worden sei. Einige Anwesende schimpften über »Gutmenschengerede« und verließen das Treffen.

Wenige Tage später kamen acht Mieter aus der Grunewaldstraße 87 in den Räumen von Amaro Foro, einem Jugendverband für Roma und Nichtroma, in Neukölln zu Wort. Sie berichteten über unzumutbare Wohnbedingungen und ihre Angst vor Schlägertrupps, die der Hauseigentümer bezahle. Mitte Mai seien diese das erste Mal aufgetaucht und hätten die Mieter zum sofortigen Verlassen ihrer Wohnungen aufgefordert. Für den Fall einer Weigerung hätten sie mit Schlägen, der Entführung der Kinder und der Vergewaltigung der Frauen gedroht. Auch Stadträtin Sibyll Klotz sprach im Tagesspiegel von »Armutsausbeutung« und »einem Vermieter mit krimineller Energie«. Doch von der Polizei und der Politik fühlen sich die Mieter im Stich gelassen. Sie hätten Anzeige gestellt und sogar die Namen von mutmaßlichen Tätern genannt. Zudem hätten sie gefordert, dass der Trupp das Haus nicht mehr betreten dürfe. »Die Polizei ist nicht auf unserer Seite«, sagte eine Mieterin, alle anderen stimmten ihr zu.

Unterstützung erhalten die Mieter überwiegend von Amaro Foro. Merdjan Jakupov, der Vorstandsvorsitzende der Organisation, sagte zur Situation in der Grunewaldstraße: »Die hinzugezogenen rumänischen Familien sind nicht dafür verantwortlich, dass ihnen ohne eine Chance auf dem Berliner Wohnungsmarkt stark überbelegter Wohnraum in sehr schlechtem Zustand und völlig überteuert vermietet wird. Die Wohnungen haben zum Teil kein Wasser, keinen Strom und vor allem keine Toiletten.«

In Gesprächen mit den Familien habe sich zudem herausgestellt, dass einige Personen um ihren Lohn geprellt wurden. Diese hätten aber weder Zeit noch Energie, um für die Auszahlung des Gelds zu kämpfen. Näheres zu diesen Fällen ist bislang nicht bekannt. Die Personen wären aber nicht die ersten, denen es so erginge. Auch rumänischen Bauarbeitern des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« werden die Löhne vorenthalten. Eine Mitarbeiterin von Amaro Foro sagte Mitte Mai in einer Rede auf der Solidaritätsdemonstration für die Arbeiter: »Viele Betroffene leben, arbeiten und wohnen in solch prekären Verhältnissen, dass sie nicht für ihre Rechte wie ausstehenden Lohn kämpfen können.« Doch im Gespräch mit den Mietern der Grunewaldstraße 87 blitzte auch Kampfbereitschaft auf. »Wenn es einen erneuten Räumungsversuch gibt, verlassen wir alle das Haus und bauen unsere Zelte in einem Park oder vor dem Bezirksamt auf«, sagte ein Mieter unter zustimmendem Nicken der anderen.

http://jungle-world.com/artikel/2015/23/52068.html

Peter Nowak