Gefährliche Bürgerwehr

Bundesweit wollen Rechtsextreme sogenannte Schutzzonen errichten. In Berlin vertrieben sie Roma von einem öffentlichen Platz. Hinter der Kampagne steht die NPD.

Eine rechtsextreme Bürgerwehr hat in Berlin Roma vertrieben

»Schutzzonen – Schulwegwache« steht auf dem Rücken der roten Westen mit den weißen Streifen. Getragen werden sie von zwei Männern, die neben einer Schule im Berliner Stadtteil Hellersdorf stehen. Das Foto, das die beiden Männer zeigt, ist eine Drohung für alle Menschen, die nicht ins rechtsextreme Weltbild passen. Schließlich steht es auf der Homepage der Berliner NPD. Es soll für die Kampagne »Schafft Schutzzonen« der Neonazis werben, die in den vergangenen Wochen in verschiedenen Bundesländern lanciert wurde.

Auf weiteren Fotos von Aktionen in Berlin sind sich bürgerlich gebende Männer und Frauen zu sehen, die in den Stadtteilen Lichtenberg, Karow, Marzahn, Köpenick, Neukölln und Mitte auf Streife gehen. Auch über das konkrete Vorgehen wird auf der NPD-Seite berichtet. Es würden »soziale Brennpunkte, finstere Nebenstraßen sowie Flüchtlingsheime abgefahren«. In ­einem Beitrag mit dem Titel »Schutzzonen in der Hauptstadt – ein Fazit der vergangenen Wochen« heißt es in rassistischer Diktion: »In Berlin-Mitte war eine kleine, aber erfolgreiche Tourismusstreife unterwegs und verbannte gleich mehrere Betrüger und Zigeuner des Platzes.«

Auf Facebook waren Fotos der Opfer zu sehen. Ein auf Twitter geteiltes Foto, das eine NPD-Streife in der Nähe des Brandenburger Tors zeigt, ist mit einer antisemitischen Erklärung überschrieben: »Während Merkel lieber nach Israel pilgert, sorgen wir in Deutschland für Sicherheit.«

Medial aufgegriffen wurde die rechtsextreme Säuberungsaktion nur von der BZ. In einem Artikel vom 21. Oktober zitierte die Zeitung aus einer Ana­lyse des Berliner Verfassungsschutzes, die auch die Kampagne »Schafft Schutzzonen« unter die Lupe nimmt. Darin erklärt der Geheimdienst: »Mit der Kampagne greift die Partei auf das in der rechtsextremistischen Szene immer wieder verwendete Konzept einer Bürgerwehr zurück.« Man müsse auch die Abkürzung beachten, die sich aus der Alliteration ergebe – »SS«. Selbst dieser Hinweis führte nicht zu einer größeren öffentlichen Diskus­sion über die Kampagne beziehungsweise den Übergriff in Berlin-Mitte.

Andrea Wierich von Amaro Foro, einem Jugendverband, der sich gegen Antiziganismus engagiert, veröffentlichte eine Erklärung zu der Aktion: »In Berlin-Mitte sind Roma oder dafür gehaltene Menschen offenbar durch rechtsextreme Aktivisten vertrieben worden. Die NPD teilte dies auf Facebook und auf ihrer Homepage mit. ­Einige der Betroffenen waren offenbar minderjährig; sie wurden fotografiert und die Fotos wurden ohne ihr Einverständnis im Internet veröffentlicht.«

Im Juni hatte Amaro Foro in einer Stellungnahme den öffentlichen Umgang mit dem Angriff auf ein RomaMädchen in Berlin kritisiert. Das Mädchen hatte vor einem Haus in der Straße der Pariser Kommune im Stadtteil Friedrichshain gespielt, als ein Anwohner von seinem Balkon aus mit ­einer Luftdruckwaffe einen Schuss auf es abgab. In der Berichterstattung über den Angriff, so der Verband, sei in den Vordergrund gestellt worden, dass das Haus, vor dem das Mädchen gespielt hatte, offenbar eine sogenannte Schrottimmobilie mit viel Müll, Lärm und Kriminalität sei, die überwiegend von Osteuropäern, darunter viele Roma, bewohnt werde. »Das suggeriert, dass der Vorfall nicht überraschend und der Zorn des Schützen vielleicht sogar verständlich sei. Eine solche Darstellung eines Schusses auf ein Kind finden wir erschreckend«, heißt es in der Stellungnahme.

Im Gespräch mit der Jungle World sagte Wierich, auch ihre Organisation habe von dem Übergriff der NPD in Berlin-Mitte durch den BZ-Artikel erfahren. Zu den Betroffenen habe man keinen Kontakt, daher sei es bislang nicht möglich gewesen, sie zu den ­Vorfällen zu befragen. Amaro Foro fordert, dass das Vorgehen der rechtsext­remen Bürgerwehren juristische Konsequenzen haben müsse. »Dieses Vor­gehen ist eine Amtsanmaßung durch Rechtsextreme, die in einer massiven Diskriminierung und Gefährdung ganzer Personengruppen resultiert: Wer befürchten muss, für nicht deutsch gehalten zu werden, kann sich in Berlin-Mitte nicht mehr sicher fühlen, nicht mehr gefahrlos bewegen«, heißt es in einer Stellungnahme, die der Verband gemeinsam mit der Opferberatungsstelle Reach­out veröffentlichte.

Weil die an der Schutzzonen-Kampagne Beteiligten offen Gesicht zeigten und sich an mehreren Orten fotografieren ließen, dürften sich die polizei­lichen Ermittlungen in diesem Fall einfach gestalten. Auf eine Anfrage der Jungle World nach dem Stand der Ermittlungen sagte ein Pressesprecher der Berliner Polizei, er warte noch auf die Rückmeldung der zuständigen Fachabteilung.

Andrea Wierich sagte der Jungle World, ihre Organisation mache seit Jahren die Erfahrung, dass Rechte, die als Bürgerwehr auftreten, ihnen missliebige Personen schikanieren und vertreiben. Dies führte in der Vergangenheit zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. So gab es bundesweit Empörung, nachdem bekannt geworden war, dass in Chemnitz im September eine selbsternannte »Bürgerwehr« sieben Menschen unterschiedlicher Nationalitäten bedroht und beschimpft hatte. In diesen Fall reagierte die Justiz sofort. Die 15 Tatverdächtigen wurden noch am selben Abend vorläufig festgenommen. Gegen sechs Männer im Alter zwischen 27 und 33 Jahren wurde Haft­befehl erlassen. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft wird ihnen Landfriedensbruch vorgeworfen. Zu der schnellen Reaktion der Behörden könnte es damals auch deshalb gekommen sein, weil Chemnitz im September wegen rassistischer Aufmärsche bundesweit im Fokus der Öffentlichkeit stand.

Dass Bürgerwehren Selbstjustiz gegen ihnen missliebige Minderheiten üben und von Teilen der übrigen Bevölkerung dabei unterstützt werden, zeigte sich auch am 21. Mai 2016. In einem Supermarkt im sächsischen Arnsdorf fesselten vier Männer, darunter ein Lokalpolitiker der CDU, einen irakischen Flüchtling, der Probleme mit einer Telefonkarte hatte und sich nicht verständlich machen konnte, an einen Baum. Der Vorfall wurde bekannt, weil eine Videoaufnahme des Übergriffs auf rechten Internetseiten kursierte und auf viel Zustimmung stieß. Ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung wurde im April 2017 eingestellt, weil den Angeklagten nach Meinung des zuständigen Richters nur ­geringe Strafen drohten. Das rechtsextreme Milieu feierte die vier Männer als Helden, die Zivilcourage gezeigt hätten. Zu diesem Zeitpunkt war das Opfer der Bürgerwehr schon tot. Der irakische Flüchtling hatte psychische Probleme. Im Januar 2017 erfror er in einem Wald und wurde erst Wochen später gefunden. Der Vorfall wäre wahrscheinlich längst vergessen, hätte der sächsische Künstler Mario Pfeifer ihn nicht zum Material der Videoinstallation » Again/Noch einmal« gemacht, die noch bis zum 6. Januar in den Chemnitzer Kunstsammlungen zu sehen ist.

https://jungle.world/artikel/2018/49/gefaehrliche-buergerwehr?page=all
Peter Nowak

Noch immer diskriminiert


Die Berichterstattung über Roma und Sinti ist in vielen Medien noch immer von Ressentiments geprägt. Die Ansichten der Verbände dieser Minderheit stoßen auf geringes Interesse.

Als die Teilnehmer der diesjährigen Bundesjugendkonferenz der Roma und Sinti in Berlin vom 28. September bis zum 1. Oktober über ihre Vorstellungen von einer solidarischen Gesellschaft und den Kampf gegen Rassismus diskutierten, kam kein einziger der eingeladenen Medienvertreter. Für Anita Burchardt von der Organisation Amaro Drom e.V., die für die Bürgerrechte von Sinti und Roma kämpft, ist das keine Überraschung. »Schon in den vergangenen Jahren tat sich die Presse schwer damit, der größten bundesweiten Veranstaltung junger Roma und Sinti einen Nachrichtenwert abzugewinnen«, sagte sie auf der Fach­tagung »Antiziganismus in den Medien«, die Amaro Drom mit Amaro Foro, einem Jugendverband von Roma und Nichtroma, organisiert hat.
Bei der Tagung, die vorige Woche in Berlin stattfand, wurde deutlich, dass die Medien größtenteils noch die Stereotype über die umherziehenden, nichtsesshaften Roma und Sinti verbreiten, die selbst schuld seien, dass sie am Rand der Gesellschaft leben müssen. Wie dieser stigmatisierende Diskurs funktioniert, zeigte Andrea Wierich von Amaro Foro am Beispiel der Medienberichte über »Horrorhäuser« im Ruhrgebiet und in Berlin auf. Gemeint sind damit Gebäude, in denen auf engem Raum zahlreiche osteuropäische Arbeitsmigranten leben und hohe Mieten zahlen müssen. Die Medien könnten die Wohnungskrise thematisieren, die Menschen zwingt, unter solchen Bedingungen zu leben, so Wierich. Sie könnten die Verantwortung von Hauseigen­tümern und die Rolle der Politik benennen. Doch in der Regel würden die Opfer verantwortlich gemacht und es werde behauptet, die Lebensweise der Roma und Sinti verursache die Probleme, kritisierte die Vertreterin von Amaro Foro.

»Über Sinti und Roma werden in den Medien Dinge verbreitet, die man heute über andere Minderheiten nicht mehr sagen würde«, sagte auf der Podiumsdiskussion zum Abschluss der ­Tagung die Spiegel-Kolumnistin Ferda Ataman. Bis vor zehn Jahren schickte der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, jedes Jahr um den 7. Dezember ein Paket mit Belegen für eine diskriminierende Berichterstattung an den Deutschen Presserat, der Rügen aussprechen kann. Das Datum sollte an den 7. Dezember 1935 erinnern, als NS-Reichsinnenminister Wilhelm Frick angeordnet hatte, »in allen Fällen, in denen strafbare Handlungen von ­Juden begangen sind, dies auch besonders zum Ausdruck zu bringen«. ­Danach war in Nazideutschland in Polizei- und Presseberichten über Straf­taten stets die »Rassenzugehörigkeit« herausgestellt worden. Seit Jahren drängen offen rechtsextreme, aber auch konservative Kreise darauf, die Staatsangehörigkeit von mutmaßlichen Straftätern in Medienberichten zu ­erwähnen.

Für Roma und Sinti hat die mediale Diskriminierung nie aufgehört. Doch der Presserat sah trotz der Massenzusendungen offenbar keinen Anlass, die Berichterstattung zu rügen. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Verhalten konnte auf der Tagung nicht stattfinden, weil trotz Einladung kein Vertreter des Presserats erschien. Auch von der Deutschen Journalisten-Union war niemand anwesend, obwohl sich die gewerkschaftliche Interessenvertretung der Journalisten gegen Rassismus einsetzt. Es sei in vielen Kreisen noch nicht verstanden worden, dass der Kampf gegen Antiziganismus eine Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft und nicht der Opfer sei, monierte Wierich.

Dass es in den vergangenen Jahrzehnten dennoch einige Fortschritte gegeben hat, machte der Berliner Rechtsanwalt Thomas Moritz deutlich, der aus der Urteilsbegründung zitierte, mit der der Bundesgerichtshof 1956 einer Roma-Frau die Entschädigung für NS-Verfolgte verweigert hatte. »Sie ­neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist«, heißt es dort in völkischer Diktion. Für das Urteil hat sich der Bundesgerichtshof mittlerweile entschuldigt. Die derzeitigen Formen der Diskriminierung sind subtiler, verschwunden sind die Ressentiments jedoch nicht.##

https://jungle.world/artikel/2018/44/noch-immer-diskriminiert
Peter Nowak

Wenn die Medien Klischees verbreiten


Bei einer Berliner Fachtagung wurde die Berichterstattung über Sinti und Roma kritisiert

Sie sind nicht sesshaft, halten es wegen ihres Wandertriebs nie lange an einen Ort aus und sind deshalb zu einem Leben am Rande der Gesellschaft verdammt. Diesen Stereotypen über Sinti und Roma, die immer wieder in deutschen Medien zu lesen sind, widmete sich am Mittwoch eine Fachtagung von Amaro Foro in Berlin. Die »Jugendorganisation von Roma und Nichtroma« setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, dass Roma und Sinti in Deutschland nicht mehr Bürger*innen zweiter Klasse sind.

Dieser Anspruch wird auch von Medien oft nicht eingehalten, die sich klar gegen Rassismus positionieren. »Über Sinti und Roma werden in den Medien Dinge verbreitet, die man heute über andere Minderheiten nicht mehr sagen würde«, betonte auf der Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung die »Spiegel«-Kolumnistin Ferda Ataman. Sie ist Sprecherin der »Neuen Deutschen Medienmacher«, einem Zusammenschluss von Journalist*innen, die auch in der Berichterstattung deutlich machen wollen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Andrea Wierich, die Pressereferentin von Amaro Foro, verwies auf die Berichterstattung über als »Horrorhäuser« apostrophierte Gebäude im Ruhrgebiet und Berlin in den letzten Jahren. In den Häusern müssen Arbeitsmigrant*innen aus osteuropäischen Ländern unter beengten Bedingungen leben und dafür noch hohe Mieten bezahlen. Die Medien könnten die Wohnungskrise thematisieren, die Menschen zwingt, unter solch schlechten Bedingungen zu leben. Sie könnten skandalisieren, dass Hauseigentümer*innen hier mit dem Elend der Menschen Profite machen und auf die Verantwortung der Politik weisen. Doch in der Regel werden die Opfer verantwortlich gemacht und behauptet, die Zustände lägen an der Lebensweise der Roma und Sinti, kritisierte Wierich.

Wie wenig zahlreiche Medien an Berichten interessiert sind, in denen Roma und Sinti nicht mit Armut, Flucht und Kriminalität in Verbindung gebracht werden, wurde durch eine Stellungnahme deutlich, die sie zu der Fachtagung veröffentlicht wurde. Dort wurde noch einmal an die diesjährige Bundesjugendkonferenz der Sinti und Roma erinnert, die Anfang Oktober 2018 in Berlin stattgefunden hat. Dort diskutierten die Teilnehmer*innen über ihre Vorstellungen einer solidarischen Gesellschaft und den Kampf gegen den Aufstieg der Rechten. »Es gab ein Presseteam, um die Fragen der zahlreich eingeladenen Journalist*innen entgegenzunehmen. Doch keine einzige Pressevertreter*in ist gekommen«, kritisiert Anita Burchardt von Amaro Drom e.V. . Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass die Medien Veranstaltungen ihrer Organisation ignoriert hätten.

Über engagierte junge Roma und Sinti, die nicht als Opfer auftreten, sondern klar ihre Vorstellungen haben und ihre Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen äußern, werde nicht berichtet, so das ernüchternde Fazit von Burchardt. Das auf der Tagung aufgeworfene Thema sollte auch Organisationen wie die Deutsch Journalist*Innenunion interessieren, die in Berlin vermisst wurden. Denn Antiziganismus ist wie alle Formen rassistischer Unterdrückung ein Problem der Mehrheitsgesellschaft und nicht der Opfer, betonte Wierich. Das scheint aber bisher bei vielen Medien noch nicht angekommen zu sein.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1104363.darstellung-von-minderheiten-wenn-die-medien-klischees-verbreiten.html

Peter Nowak