Kleinstadtnovelle, von Ronald M. Schernikau, Schauspielhaus Magdeburg, 2 Kammer, 80 Minuten, Besetzung: Anton Andreew, Noro Buzalka, Lorenz Krieger, Regie: Florian Fischer

Ein Abend mit Ronald M. Schernikau

Ein Höhepunkt des Stücks war eine Gesangseinlage. Die drei Darsteller:innen sangen eine Strophe des Lieds „Brot und Rosen“, die Hymne der proletarischen Frauenbewegung. Es war wie der ganze Abend eine angemessene Würdigung des Kommunisten, des Aktivisten der progressiven Schwulenbewegung, die auch feministisch war.

Ronald M. Schernikaus kurzes Leben scheint im Nachhinein wie eine Legende: ein schwuler Kommunist, in Niedersachsen geboren, geht freiwillig in die DDR. Er überlebte sie um ein Jahr, stirbt 1991 mit nur 31 Jahren an Aids. Zuvor konnte er noch sein Mammutwerk vollenden. „Legende“ hiess auch sein voluminöser Roman, der erst posthum veröffentlicht wurde. Bekannt wurde er wohl als …

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Verkehrswendestadt Wolfsburg Den automobilen Konsens aufbrechen Regie: John Mio Mehnert Dokumentarfilm, 56 min Deutschland 2024

„Ich bin dadurch aufgewacht“

Die in Wien lehrende kritische Sozialwissenschaftlerin Nina Schlosser sieht in Wolfsburg ein Beispiel, wie ArbeiterInnen und Klimabewegung solidarisch zusammenarbeiten können. Der Film gibt dazu einen hoffnungsvollen Einblick.

„Wenn wir das Werk und eure Arbeitsplätze erhalten wollen, müssen wir jetzt umorientieren.“ Das ist die Botschaft der KlimaaktivistInnen des Wohnprojekts Amsel 44, das mitten in der von den Nazis gegründeten Autostadt Wolfsburg seit zwei Jahren für einen Weg aus der fossilen Gesellschaft wirbt. Unterstützung fand die Gruppe bei …

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Simon Schaupp: Stoffwechselpolitik Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten Suhrkamp Verlag, Berlin 2024 422 Seiten, 24 Euro ISBN 978-3-518-02986-2

Arbeit und Natur

Simon Schaupp gehört nicht zu denen, die behaupten, es gäbe heute keine Bewegung der ArbeiterInnen mehr. Er besteht aber darauf, dass sich die heutigen ArbeiterInnen und die Klimabewegung verbünden müssen. „Die Relevanz einer solchen proletarischen Umweltpolitik resultiert insbesondere daraus, dass es die Arbeitenden sind, die den Stoffwechsel mit der Natur vollziehen.“ Sie seien als erste von ökologischen Problemen betroffen. Daher hätten sie besonderen Anlass, darauf hinzuwirken, dass ökologische Risiken minimiert werden. Damit gibt Schaupp wichtige Impulse für eine wirkliche Klimagerechtigkeitsdebatte, indem er deutlich macht, dass es sich hier auch um eine Klassenfrage handelt.

„Tiere und Pflanzen, die man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte vielleicht vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Produkte einer durch viele Generationen unter menschlicher Kontrolle, vermittels menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung“, schrieb Karl Marx im ersten Band seiner bekanntesten Schrift „Das Kapital“. Der in Basel lehrende Soziologe Simon Schaupp beruft sich darauf gleich am Anfang seines …

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Peter Kern 2024: Dorfansicht mit Nazis. Hentrich & Hentrich, Leipzig. ISBN: 978-3-95565-647-8. 280 Seiten. 24,90 Euro.

Dorfidyll und Massenmord

Die autobiografisch durchdrungene Ezählung verbindet eine Kindheit und Jugend in einem pfälzischen Dorf in den 1970er Jahren mit der Geschichte der Shoah.

„‚Ab in die Kaschee‘, die Kinder sollten zu Bett gehen. Vater hatte zu Ende erzählt. Seine Kaschee stand unter der Dachschräge, sein Gitterbett“ (S. 9). Mit diesen Sätzen führt uns Peter Kern in das pfälzische Rodalben, in dem er …

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Projektgruppe Druckmachen: Linke Plakate in Thüringen seit 1990. Assoziation A, 240 S., br., 30 €.

Kollektive Kreativität

Die Projektgruppe Druckmachen präsentiert linke Plakate in Thüringen. Nach der Betrachtung des empfehlenswerten Bandes kann man wehmütig werden, angesichts der Tatsache, dass ein mit der Digitalisierung untergehendes Gewerbe gezeigt wird. Das Buch zeigt, was dadurch verloren geht.

Wer erinnert sich noch an Angelo Lucifero? Der engagierte Gewerkschaftssekretär avancierte in den 90er Jahren zum Feindbild der Rechten in Thüringen. Denn für ihn war klar, dass eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik nur im Bündnis mit Antifaschist*innen möglich ist. Da er jedoch am Ende auch von der Gewerkschaftsbürokratie im Stich gelassen wurde und die Drohungen der Rechten immer gefährlicher wurden, zog er sich schließlich aus dem politischen Leben in der ersten Reihe zurück. Jetzt hat der antifaschistische Gewerkschaftler eine späte Würdigung erfahren: Gleich zwei Plakate, die Lucifero auch namentlich gezeichnet hat, sind in dem Band …

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Dem seit Tagen der DDR-Opposition existierenden subkulturellen Club Kirche von unten wurde gekündigt. Doch aufgeben wollen die Betreiber noch nicht.

Clubsterben in Berlin:Die „Kirche von Unten“ soll gehen

Die Kündigung fällt in eine Zeit, in der zahlreiche Clubs ihrem Ende entgegengehen. Das Freizeitverhalten ändert sich, dadurch sinken die Einnahmen, und der Stress für die Be­trei­be­r*in­nen und Mit­ar­bei­te­r*in­nen wächst. Deshalb musste im Dezember 2023 bereits der linksalternative Club Mensch Meier direkt neben dem KVU schließen. Dort ist eine Großdiskothek eingezogen.

„Wer kennt sie nicht, die KVU, die Kirche von unten?“ Diese Frage stellte der Berliner Musiker Paul Geigerzähler schon vor elf Jahren, als eine Kampagne verhinderte, dass dieser wichtige Ort der …

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Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt Wolfsburg.

ARBEITER:INNEN FÜR DIE ZUKUNFT DES PLANETEN

Der Film gibt da einen hoffnungsvollen Einblick. Allerdings bleibt ein Kritikpunkt. Die Klimaaktivist:innen verlassen Wolfsburg und es bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwie weiter geht mit der Verkehrswende. Warum wurden in den zwei Jahren von den kämpferischen Beschäftigten nicht Strukturen im Betrieb aufgebaut?

Mitten im Corona-Winter 2021 hatten die Essenslieferdienste Hochkonjunktur. Weil die Restaurants und Kneipen geschlossen waren, musste das Essen nach Hause bestellt werden. An die oft prekär Beschäftigten dachte niemand. Die Kisten mit dem bestellten Essen wurden immer schwerer und dann gab es im Februar 2021 noch einige besonders kalte Wintertage in Berlin. In diesen Tagen besannen sich Beschäftigte auf ihr wichtigstes Gut, die Solidarität. Sie weigerten sich, …

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Prozess in Düsseldorf: hohe Haftstrafen gefordert

Türkische Linke kriminalisiert

Der Verein Demokratischer Jurist*innen (VDJ), der das Verfahren beobachtet, übt darüber hinaus grundsätzliche Kritik an diesem und weiteren Verfahren gegen türkischstämmige Linke. »Den Angeklagten werden nicht Terrorakte oder eigene strafbare Handlungen vorgeworfen. Sie werden vielmehr für Tätigkeiten wie die Organisation von Musikveranstaltungen und Tagungen zur Rechenschaft gezogen, weil diese eine Unterstützung der als Terrororganisation eingestuften DHKP-C darstellen sollen«, heißt es in einer Erklärung des VDJ.

Ihsan Çibelik ist vielen Menschen türkischer Herkunft bekannt. Antifaschist*innen schätzen ihn als Musiker der linken Band Grup Yorum. Mit ihren Texten gegen Faschismus und Krieg füllt das vielköpfige Ensemble große Säle, in der Türkei wie auch in der Bundesrepublik. Doch wegen ihres politischen Engagements werden die Musiker auch immer wieder juristisch verfolgt. Einige sitzen in der Türkei im Gefängnis. Auch in Deutschland wurden …

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Zu Beginn der 1930er Jahre erschien »Gewalt und Terror in der Revolution« von Isaak Nahman Steinberg. Das wichtige Buch des linken Sozialrevolutionärs, jüngst neu aufgelegt, wirft einen kritischen Blick auf die Oktoberrevolution

Antiautoritarismus statt Märtyrerkult

Isaak Steinberg formuliert einen Anspruch, der noch heute brauchbar ist, um bloßen Militarismus von der Militanz einer emanzipatorischen Linken zu unterscheiden. »Man tritt in die Revolution mit der roten Fahne in der Hand ein; doch der schwarze Flor der Trauer umwindet diese Fahne.« Diese Trauer gilt allen Menschen, die im revolutionären Kampf ihr Leben oder ihre Gesundheit verloren haben.

Den Namen Isaak Nahman Steinberg findet man auf der nur mühsam rekonstruierbaren, keineswegs aber kurzen Liste der vergessenen und weitgehend unbekannten Revolutionäre«. Dies schreibt der Soziologe Hendrik Wallat in der Publikation …

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Sold City - Wenn Wohnen zur Ware wird Deutschland2024 - 204 min. Regie: Leslie Franke Drehbuch: Herdolor Lorenz Produktion: Klaus Galimberti Musik: O'Ton-Studio, Hinrich Dageför, Stefan Wulff Kamera: Hermann Lorenz, Stefan Corinth, Jan- Holger Hennies & Axel Schaeffler Schnitt: Herdolor Lorenz, Leslie Franke, Stefan Corinth & Alexander Grasseck

Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wirdDie Mietrebell:innen sind nicht tot

Das Duo Leslie Frank und Herdolor Lorenz ist seit Jahren für sozialkritische Filme bekannt, in denen die Menschen zu Wort kommen, die nicht in die kapitalgerechte Stadt passen. Das ist auch in ihren neuesten Film Sold City so.

Er besteht aus zwei Teilen von jeweils 102 Minuten, die getrennt geschaut werden können. Vor allem der erste Teil eignet sich auch gut zur Mobilisierung von Mieter*innen. Wir sehen bei Demonstrationen oder Protestkundgebungen gegen Zwangsräumungen, wie sich …

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Popjournalist Jens Balzer stellt sich Diskussion: Er beschrieb Reaktionen vieler Linker auf den Hamas-Angriff als moralischen Bankrott. Wie kam es dazu? Ein Kommentar.

Führt Wokeness zu Antisemitismus?

Jens Balzer stellte seine kleine Streitschrift am Mittwochabend im Veranstaltungssaal der taz in Berlin zur Diskussion und fragte, warum eine Szene, der es so sehr um Empathie und Achtsamkeit geht, ausgerechnet mit jüdischen Menschen, die im Staat Israel einen Schutzraum sahen, nach dem 7. Oktober keine oder wenig Empathie zeigten.

Die Wokeness hat nicht mehr viele Befürworter. In der letzten Zeit ist eine ganze Reihe von Büchern erschienen, die daran sogar die Krise der gesellschaftlichen Linken festmachen. Am bekanntesten ist da sicherlich Sahra Wagenknechts Bestseller „Die Selbstgerechten“ – inklusive „Gegenprogramm für Gemeinsinn und Zusammenhalt“. Wenn beim Versuch einer Umsetzung aber eine Bewegung irgendwo zwischen…

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David E. Arns: Der Weg in die NS-Diktatur. Die Geschichte von Pfungstadt 1928 bis 1933. Die Buchmacherei, Berlin 2024, 267 Seiten, 16 Euro

Schleichender Beginn

Wie in vielen anderen Städten funktionierte auch in Pfungstadt eine antifaschistische Einheitsfront von unten. Noch am 5. März 1933, nachdem die NSDAP mit ihren deutschnationalen Bündnispartnern bei den schon von Naziterror bestimmten Wahlen eine Mehrheit im Reichstag gewonnen hatte, waren SPD, KPD und unorganisierte Antifaschist*innen dort zum Kampf gegen die Rechtsregierung entschlossen.

»Die freundliche Kleinstadt Pfungstadt befindet sich im Südwesten Deutschlands. Sie liegt zehn Kilometer südlich von Darmstadt, elf Kilometer östlich des Rheins, acht Kilometer westlich des Odenwalds und sechsundfünfzig Kilometer nördlich von Heidelberg.« Mit dieser geografischen
Einordnung beginnt der US-amerikanische Historiker David E. Arns sein Buch über die Faschisierung in Deutschland am Beispiel …

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Im früheren Bethanienkrankenhaus findet die Anarchistische Buchmesse statt. Die Bewegung ist gespalten.

Leseratten und Friedenstauben

Am Samstag um 12 Uhr soll über die Theorie und Praxis der deutschen Stadtguerilla diskutiert werden. Das ehemalige RAF-Mitglied Margrit Schiller wird am Sonntag um 10 Uhr über ihre Fluchtgeschichte berichten, über die sie ein Buch geschrieben hat. Eine „antipolitisch-sozialrevolutionäre Tendenz“ will am Sonntag ab 14.30 Uhr ihre Thesen zur „Möglichkeit der Weltrevolution“ vorstellen.

 Im NewYorck, dem Ostflügel des ehemaligen Bethanienkrankenhauses in Kreuzberg, soll sich vom 5. bis zum 8. September alles um das anarchistische Buch drehen. Dort finden die anarchistischen Buchtage statt. Es gehe ihnen nicht darum, nur einige Bücherstände aufzustellen, betonen die Ver­anstalter*innen. „Nein es reicht nicht aus, denn was wir wollen, sind …

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Peter Kern: Dorfansicht mit Nazis. Hentrich & Hentrich 2024, 280 S., br., 24,90 Euro.

Peter Kerns »Dorfansicht mit Nazis«: Arisierte Provinzidylle

Peter Kerns autobiografische Gesellschaftsanalysen gelingt eine bemerkenswerte Reflexion über jüdische Geschichte und linke Verantwortung

In den letzten Jahren ließ sich eine Vielzahl gesellschaftlicher Reflexionen beobachten, die von den eigenen Erfahrungen ausgingen. Die meisten dieser Bücher wurden von Autor*innen verfasst, die durch ihr Studium gesellschaftlich aufgestiegen und damit dem Milieu ihrer Eltern und Familien entwachsen sind. Didier Eribons »Rückkehr nach Reims«, Édouard Louis’ »Das Ende von Eddy« und die Bücher von Annie Ernaux lösten mit ihren Lebensbetrachtungen politische Debatten über die Frage aus, warum sich Linke und Arbeiter*innenklasse entfremdet haben. In Deutschland hat sich nun Christian Baron mit seinem biografischen Buch »Mann seiner Klasse« in diese Linie gestellt. Bei ihm spielt die Diskussion über angebliche oder tatsächliche Fehler der Linken eine zentrale Rolle – wobei die Grenze zwischen Kritik und Ressentiment gelegentlich verschwimmt, wenn sich Baron mit Feministinnen, Veganer*innen und gesellschaftlichen Minderheiten anlegt, als hätte er die Stichworte für Sahra Wagenknechts Polemik »Die Selbstgerechten« liefern wollen. Einen völlig anderen Zugang wählt Peter Kern in seinem …

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»Gegen den Strich«, bis 7. September, Mo bis Sa 12 bis 20 Uhr, Neurotitan-Galerie im Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Straße 39, 2. Hof, 10178 Berlin, Eintritt: ab 1 Euro.

Die widerständigen Momente im Kolonialismus

Die Ausstellung »Gegen den Strich« erzählt die Kolonialgeschichte aus Sicht der Unterdrückten. Patricia Vester, stellt sich in einem Film der Exposition am Hackeschen Markt als Schwarze Deutsche, Aktivistin und Mutter vor. Vester, eine der Autor*innen der Ausstellung, hat sich auf die Suche nach Schwarzen Menschen gemacht, die auf historischen Gemälden, wie in der Szene aus Marienbad, meistens am Rande stehen. Wer waren sie? Wie kamen sie in das Bild?

Das große Historiengemälde von August von Rentzell fällt sofort auf, wenn man die Neurotian-Galerie im Haus Schwarzenberg betritt. Das Bild trägt den Namen »Kurpromenade in Marienbad«. Ins Auge stechen eine Menge Soldaten zu Fuß und zu Pferd sowie Adlige und gehobenes Bürgertum im Erholungsurlaub. Ganz in der Ecke des Bildes findet …

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