Die EU-Mauer fiel nicht

Verschwundene Gedenkkreuze für Mauertote lösen heftige Debatte in der Berliner Lokalpolitik aus

Die Künstler des »Zentrums für politische Schönheit« wollten die EU-Außengrenze einreißen. Symbolisch. Doch nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sie.

Während in Deutschland am vergangenen Wochenende alle Medien vor allem über die Öffnung der Berliner Mauer vor 25 Jahren redeten, machten sich etwa 100 Menschen zur EU-Außengrenze auf. Sie starteten am Freitag vom Berliner Gorkitheater mit zwei Bussen zum »Ersten Europäischen Mauerfall« nach Bulgarien: Ihr Ziel waren die Grenzanlagen zwischen Bulgarien in der Türkei.

Kurz vor dem Start klang Philipp Ruch von dem Künstlerkollektiv »Zentrum für politische Schönheit«, das die Aktion vorbereitete, kämpferisch. Mit Blick auf die Ereignisse zum Berliner Mauerjubiläum sagte er: »Gedenken wir nicht der Vergangenheit, gedenken wir der Gegenwart – und reißen die EU-Außenmauern ein. Nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern!« Davon fühlten sich nicht nur Künstler, sondern auch antirassistische Aktivisten angesprochen, die an der durch Spenden finanzierten Bustour teilnahmen.

Manche der Teilnehmer waren am Ende jedoch enttäuscht. Denn die Gruppe kam nur in Sichtweite der Grenze. Der Zugang war von einem großen Polizeiaufgebot versperrt. »Mir war klar, dass eine vorher öffentlich angekündigte Demontage des Grenzzauns nicht gelingen kann«, monierte ein Teilnehmer aus dem antirassistischen Spektrum im Radio. Doch habe er gehofft, dass die Organisatoren noch eine Überraschung vorbereitet gehabt hätten. So wie er waren auch andere Fahrgäste nach der langen Anfahrt darüber enttäuscht, dass sofort die Rückreise angetreten wurde.

Der Initiator Ruch wollte jedoch keineswegs von einer Niederlage sprechen, auch wenn die europäische Mauer nicht angetastet wurde. Schließlich sei durch die Aktion nicht nur in Deutschland sondern auch in den Ländern, die der Bus durchquerte, die Tatsache diskutiert worden, dass Flüchtlinge gewaltsam an der Einreise nach Europa gehindert werden. Besonders in Bulgarien war die Aktion ein zentrales Thema in den Medien. Der erst vor Kurzem in sein Amt gewählte bulgarische Innenminister hatte im Fernsehen sein Verbleiben im Amt daran geknüpft, dass die Grenze zur Türkei unangetastet bleiben werde.

Die Teilnehmer der Aktion bekamen auch die grenzüberschreitende Polizeiarbeit zu spüren. Bereits bei der Abfahrt in Berlin war das Gepäck aller Fahrgäste kontrolliert worden. Bei mehreren Grenzübertritten wiederholte sich das Prozedere. Und mittlerweile ermittelt der Staatsschutz gegen die Künstler, weil sie im Vorfeld der Aktion auch Weiße Kreuze entwendet hatten, die an die Mauertoten in Berlin erinnern. Das »Zentrum für politische Schönheit« erklärte, man habe die Kreuze vorübergehend zu den Geflüchteten gebracht, die heute die EU-Grenzen überwinden wollen.

Die Kreuze wurden nach Angaben der Polizei am Sonntagabend zwar wieder zurückgebracht. Doch löste ihr zeitweiliges Verschwinden eine heftige Diskussion in der Berliner Lokalpolitik aus. So griff Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) das Maxim-Gorki-Theater wegen einer angeblichen Mittäterschaft an. In einem Gastbeitrag im »Tagespiegel« schrieb Henkel am Wochenende, diese »verabscheuungswürdige« Tat erhielte eine neue Dimension, da das Theater zugebe, »die Aktion unterstützt zu haben, auch wenn das Ausmaß noch nicht ganz klar ist.« Besonders bitter sei, dass diese Komplizenschaft offenbar mit Steuergeldern gefördert worden sei, so Henkel. »Die Rolle des Maxim-Gorki-Theaters muss dringend aufgeklärt werden.«

Gegenwind für seine Kommentare erhielt Henkel von den Berliner Grünen. Diese betonten am Montag im Innenausschuss, der Senator habe keinerlei Anhaltspunkte für seine Anschuldigungen vorgelegt. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagte, stattdessen drohe Henkel der Intendantin Shermin Langhoff, »einer Migrantin wohlgemerkt«. Dabei müsse der Senat für die Freiheit der Kunst eintreten.

Das öffentlich finanzierte Gorki-Theater hatte lediglich zugegeben, Duplikate der Kreuze für die Aktion der Protestierer gebaut zu haben. Intendantin Langhoff bestätigte das der »Berliner Morgenpost«. Langhoff hatte auch gesprochen, als die Protestierer Richtung Südosteuropa abgefahren waren. Laut »Morgenpost« erhielt die Protestgruppe 10 000 Euro aus dem Kulturetat Berlins.

Die Grünen fragten mehrfach, ob es Ermittlungen auch gegen das Theater gebe. Staatssekretär Bernd Krömer (CDU), der Henkel im Ausschuss vertrat, sprach trotz Nachfragen nur von Ermittlungen in alle Richtungen und »Gesprächen mit einem Rechtsanwalt« ohne das näher zu erläutern. Probleme mit dem Gesetz bekommen jetzt zumindest die drei Männer und eine Frau, die die Gedenkkreuze zurückbrachten. Gegen sie ermittle nun der Staatsschutz, teilte die Polizei am Montag mit. Mit Agenturen

Peter Nowak

Wann kommt nach dem Berliner der Europäische Mauerfall?

Um Wolf Biermann war es in der letzten Zeit still geworden. Nun hat er seinen Auftritt am 9. November vor dem Bundestag mal wieder genutzt, um sich zu Wort zu melden. Wie üblich schimpfte er über die reformistische Linkspartei, die eigentlich genau das heute im Programm haben, was er als DDR-Kritiker immer durchsetzen wollte, einen Reformsozialismus.

Biermanns Auftritt passt zu seiner konservativen Wende und war deshalb so berechenbar wie langweilig. Einen Moment hatte man gehofft, es wäre noch etwas vom Widerstandsgeist Biermanns, wie man ihn bis Ende der 80er Jahre kannte, erhalten geblieben. Er hat damals immer betont, dass er auch im Westen keine Ehrfurcht vor der Macht habe und sich auf die Seite der Unterdrückten stelle. Da hätte man in diesen Tagen erwartet, dass er sein Lied Ermutigung dort singt, wo Geflüchtete heute um ihre Rechte kämpfen.

In Berlin hätte er einfach das Regierungsviertel verlassen müssen und sich zur besetzten Schule in die Ohlauer Straße begeben können. Dort müssen Geflüchtete eine Räumung ihres Domizils befürchten [1]. Oder er hätte zu den Roma-Familien gehen können, die im Berliner Herbst obdachlos [2]durch die Metropole irren, weil sie aus mehreren Gebäuden geräumt wurden und die Flüchtlingsunterkünfte verlassen mussten.

Dort hätte sein Lied „Ermutigung“ gepasst. Statt dessen singt er es in den Häusern der Macht und lässt sich von denen beklatschten, die mit dafür sorgen, dass die Mauer zwischen den Staatsbürgern und den Non-Citiziens, also den Menschen ohne Papiere, auch in Deutschland noch höher wird. Indem Biermann ausgerechnet im Bundestag dazu schwieg, wurde er zu dem, was er eigentlich nie werden wollte, zu einem staatsnahen Sänger.

Europäische Mauer einreißen

Dabei hätte es knapp 2 Kilometer vom Deutschen Bundestag entfernt eine Alternative zum Staatsakt mit Selbstbeweihräucherung gegeben. Vor dem Berliner Gorkitheater verabschiedeten sich sich am 9. November um 13 Uhr mehrere Busse, die sich zum „Ersten Europäischen Mauerfall“ [3] aufmachten. Sie sind jetzt auf dem Weg zur europäischen Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei, um die dort errichtete Mauer [4]einzureißen. Sie wurde zur Abwehr von Menschen errichtet, die vor wirtschaftlicher Not oder Verfolgung aller Art nach Europa fliehen [5].

Die Initiatoren des „Ersten Europäischen Mauerfalls“, der im Rahmen des Festivals Voicing Resistance [6] stattfindet, haben die aktuelle Mauerfall-Euphorie so charakterisiert:

„Während sich Politiker aller Parteien am 9. November in den Armen liegen und das Ende der mörderischen innerdeutschen Mauer feiern, haben sie die viel mörderischeren Außenmauern Europas finanziert. Diesem Verrat nimmt sich das Zentrum für Politische Schönheit [7] an. Rücken wir den illegalen Mauerbauten in der Europäischen Union zu Leibe.“

Universelle Bewegungsfreiheit oder nur für Deutsche?

Für die meisten Politiker und deutschen Staatsbürger, die jetzt feiern, ist es wohl kein Verrat. Sie wollten mit der Maueröffnung nicht ein universelles Recht auf Bewegungsfreiheit durchsetzen, sondern nur für deutsche Staatsbürger. Das bekam schon vor zwei Jahren bei den Gedenkveranstaltungen zum Mauerbau ein Redner zu spüren, der an das Schicksal der Menschen heute zu erinnern wagte, die als Geflüchtete keine Bewegungsfreiheit haben. Es gab wütende Zwischenrufe aus dem Publikum.

Doch der Begriff Verrat ist insgesamt zu hinterfragen. Denn damit wird unterstellt, es sei moralisch besonders verwerflich, eine politische Position zu ändern. Dabei reicht es doch vollständig aus, genau diese Positionierung zu kritisieren, völlig unabhängig davon, ob der Träger bisher eine andere vertreten hat.

Dass die Initiatoren des Europäischen Mauerfalls manchen die deutschnationale Feierstimmung um den 9. November verdorben haben, zeigen die wütenden Reaktionen [8] ultrarechter Kreise, aber auch vieler Boulevardmedien [9], als sie die Gedenkkreuze für die Mauertoten entführten und zu den Menschen brachten, die heute vor der Europäischen Mauer stehen und diese zu überwinden trachten.

Allerdings fällt auf, dass die Sprecher des Zentrums für politische Schönheit in ihren Aussagen die Aktion wohl dadurch dem Mainstream der Gesellschaft nahebringen wollen, indem sie sie entschärfen. So betont [10]Philipp Ruch, dass man mit Zynismus und Provokation nichts
zu tun habe und redet so, als wolle er als Bundestagskandidat auftreten, der Stimmen aus allen Schichten der Bevölkerung haben will, und nicht als Künstler, der weiß, dass Provokationen und nicht KonsensgeschwätzDiskussionen auslösen.

Warum Ruch und andere Mitstreiter behaupten, es sei im Sinne der Mauertoten, dass sie sich jetzt mit den Geflüchteten von heute solidarisieren, ist nicht nachvollziehbar. Bei den meisten war die individuelle und nicht die universelle Bewegungsfreiheit der Grund, bei den heutigen Unterstützern kommt noch das deutschnationale Narrativ dazu. Warum es die Künstler überhaupt nötig haben, bei ihrer Aktion sich auf einen angeblichen Willen der Mauertoten zu berufen, ist unverständlich. Es würde doch völlig ausreichen, sich auf ein universelles Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit zu berufen und den 9. November als einen guten Anlass dafür anzusehen.

http://www.heise.de/tp/news/Wann-kommt-nach-dem-Berliner-der-Europaeische-Mauerfall-2444427.html

Peter Nowak

[1]

http://www.sueddeutsche.de/politik/raeumung-der-gerhart-hauptmann-schule-sollen-sie-doch-kommen-1.2207729

[2]

http://www.medibuero.de/de/News/Raeumung-besetzte-Schule-Kreuzberg.html

[3]

https://www.indiegogo.com/projects/erster-europaischer-mauerfall

[4]

http://www.voxeurop.eu/de/content/article/464531-auf-der-anderen-seite-der-mauer

[5]

http://www.arte.tv/de/eine-mauer-gegen-den-fluechtlingsstrom-bulgarien-schottet-sich-ab/7780570,CmC=7781454.html

[6]

http://www.gorki.de/spielplan/themen/voicing-resistance/

[7]

http://www.politicalbeauty.de

[8]

http://www.pi-news.net/2014/11/asyllobby-schaendet-gedenkkreuze-fuer-mauertote/

[9]

http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2014/11/streit-opfer-gedenken-mauer-rechtfertigung-zentrum.html

[10]

http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F11%2F04%2Fa0053&cHash=5636593763e06f9d0e314235905bcf31

Kinderleichte Syrienhilfe

Manuela Schwesig erscheint auf einer Website als Retterin. 55 000 Kinder aus Syrien dürfen angeblich nach Deutschland einreisen. Doch es handelt sich um eine Kunstaktion.

Die Festnetznummer der Kindertransporthilfe des Bundes ist zurzeit wegen Überlastung nicht zu erreichen. In den letzten Tagen haben viele Menschen angerufen, die Kinder aus den syrischen Krisengebieten zeitweise in ihren Haushalt aufnehmen würden, um ihnen einen temporären Urlaub vom Kriegsalltag zu ermöglichen.

»55 000 syrische Kinder werden von Familienministerin Manuela Schwesig gerettet«, heißt es auf der Homepage der Kindertransporthilfe des Bundes. Doch das Konterfei der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) täuscht. Hinter der Aktion steckt die Politkunstgruppe »Zentrum für politische Schönheit«, die sich bereits in der Vergangenheit mit Politikern und Wirtschaftsvertretern anlegte.

Ein Video, in dem die Gruppe den Pressesprecher der Deutschen Bank kritisch mit den Folgen der Nahrungsmittelspekulation konfrontierte, wollte dieser sogar aus dem Verkehr ziehen.

In seiner Arbeitsweise kann das »Zentrum für politische Schönheit« mit der US-amerikanischen Künstlergruppe »The Yes Men« verglichen werden, die immer wieder politische und ökonomische Verantwortungsträger in Verlegenheit bringen. Sie lässt humanitäre Maßnahmen verkünden, die sich zwar viele Menschen wünschen, aber die der kapitalistischen Profitlogik oder dem politischen Kalkül zuwiderlaufen. So wurden »The Yes Men« bekannt, als sie einen Sprecher des Chemiekonzerns Union Carbide Company verkünden ließen, dass er bereit sei, die Opfer des Giftgasunfalls in der Filiale im indischen Bhopal zu entschädigen. Die international unterstützte Forderung wurde bis heute allerdings nicht erfüllt.

Zur Kindernothilfe gab es vom zuständigen Familienministerium noch keine Reaktion. HIngegen reagierten viele Menschen mit großem Ärger, sobald sie erfahren, dass es sich bei der Aktion um eine Kunstaktion handelt, sagte eine Sprecherin der Kunstinitiative.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/932905.kinderleichte-syrienhilfe.html

Peter Nowak

55.000 syrische Kinder nach Deutschland

Eine Aktion politischer Künstler könnte Gutes bewirken

Die Festnetznummer der Kindertransporthilfe des Bundes [1] ist zurzeit wegen Überlastung nicht zu erreichen. In den letzten Tagen haben viele Menschen angerufen, die ein Kind aus den syrischen Krisengebieten zeitweise in ihren Haushalt aufnehmen würden, um temporär ein Leben ohne Granateneinschläge und Krieg zu ermöglichen. „Die Bundesregierung hat mit dem am 8. Mai 2014 im Bundestag eingebrachten Gesetzesentwurf 18/1333 die gesetzlichen Grundlagen für die Aufnahme besonders gefährdeter Kinder aus Syrien für die Dauer des Konfliktes geschaffen. Als gefährdet gelten Kinder, deren Eltern schon einmal inhaftiert waren oder sind, Kinder aus Waisenhäusern und Knaben älteren Jahrgangs, die von Verhaftung bedroht sind, sowie bei erwiesener Armut oder Obdachlosigkeit der Familie. Im Rahmen des Hilfsprogramms des Bundes können vorübergehend 55.000 Kinder im Alter von bis zu 17 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland einreisen“, heißt es in einem Soforthilfeprogramm des Bundes, für das die Ministerin Manuela Schwesig [2] die Federführung haben soll. Doch weder auf ihrer persönlichen Homepage noch auf der Webseite ihres Ministeriums [3] findet sich ein Hinweis auf das Kinderhilfsprogramm. Denn tatsächlich hat das Ministerim ein solches Programm bisher nicht verkündet.

The Yesmen von Deutschland

Vielmehr handelt sich um eine Aktion der Politkunstgruppe Zentrum für politische Schönheit [4]. Sie hat schon in der Vergangenheit mit ähnlichen Aktionen im Grenzbereich zwischen Kunst und Politik für Aufsehen gesorgt [5]. So agierte die Künstlergruppe gegen die Nahrungsmittelspekulation und konnte sich damit gegen den Pressesprecher der Deutschen Bank durchsetzen, der ein Interview mit den Künstlern aus dem Verkehr ziehen wollte [6]. Auch vorher legten sich die Künstler schon mal mit Politik und Justiz an [7]. Das Zentrum für politische Schönheit ist von ihrer Arbeitsweise mit der US-amerikanischen Künstlergruppe The Yesmen [8] zu vergleichen, die es immer wieder schafft, politische und ökonomische Verantwortungsträger in Verlegenheit zu bringen, weil sie sie humanitäre Maßnahmen verkünden lässt, die viele Menschen sich wünschen, die aber der kapitalistischen Profitlogik oder dem politischen Kalkül zuwiderlaufen. So wurden The Yesmen bekannt, als sie einen Sprecher des Chemiekonzern Union Carbide Company verkünden ließ, dass er bereit ist, die Opfer des Giftgasunfalls in ihrer Filiale im indischen Bhopal zu leisten. Auch The Yesmen konnten diese international verbreitete Forderung [9] nicht durchsetzen, brachte den Chemiekonzern aber in große Erklärungsnöte.

Wird mit der Aktion nicht Opferstatus der Kinder zementiert?

Ob auch die Aktion Kinderhilfstransporte des Zentrums für politische Zentrums eine solche Wirkung haben wird, ist noch offen. Eine Sprecherin erklärte gegenüber Telepolis, bisher haben viele Menschen angerufen, die ein syrisches Kind aufnehmen würden. Manche seien emotional sehr aufgewühlt, wenn sie erfahren, dass es sich um eine Kunstaktion handelt. Zumindest hat die Aktion deutlich gemacht, dass es viele Menschen bereit wären, ein Kind aufzunehmen und dass es viele Hilfsorganisationen gibt, die solche Aufnahmemöglichkeiten dringend suchen. Seit Monaten appelliert [10] UNICEF an die internationale Öffentlichkeit wegen der verzweifelten Lage der syrischen Kinder. Die Kampagne knüpft an ähnliche Hilfsprogramme an, mit denen Kinder der Umgebung von Tschernobyl oder aus dem zerfallenden Jugoslawien zumindest zeitweise eine andere Umgebung geboten wurde. Natürlich sollte man auch an der Stoßrichtung der Kampagne Kritik üben können. So wird dort immer mit anklagenden Kinderaugen geworben. Auch das Zentrum für politische Schönheit operiert mit dem Motiv, wenn Kinder in einer Schulkasse die Bilder der Ministerin Schwesig in die Höhe halten und sich auf selbstgemalten Schildern bei ihr bedanken. Wird hier der Opferstatus nicht zementiert? Warum werden nicht Jugendliche in einem Alter gezeigt, in der sie nicht mehr Objekte von Mitleid sind? Warum wird mit den Formulierungen von der Kinderrettung dieser Opferstatus noch auf die Spitze getrieben? Diese Fragen, die bereits länger an solche Hilfsprogramme gerichtet [11] werden, könnten auch an das Zentrum für politische Schönheit gestellt werden. Zudem stellt sich natürlich die Frage, ob eine temporäre Aufnahme in einer Familie in Deutschland wirklich die Probleme lösen kann, wenn sie dann nach Monaten doch wieder in ihre alte Umgebung zurück müssen. Allerdings ist es das Verdienst der Künstler, die Bundesregierung unter Zugzwang zu bringen, die einerseits viele Worte über das Schicksal der Menschen im syrischen Bürgerkrieg verliert, aber nicht zu einer solchen humanitären Hilfsaktion bereitet ist. Vielleicht gelingt es mit der Aktion auch mehr Aufmerksamkeit für Hilfsaktionen mit den syrischen Kindern zu schaffen, die wie die Spendenaktion „Zahlmobil für Syrien [12]“ bisher wenig Publicity bekamen aber auch zu konkreter Hilfe für die Betroffenen beitragen.

http://www.heise.de/tp/news/55-000-syrische-Kinder-nach-Deutschland-2188316.html

Peter Nowak

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Waffenhändler verstecken sich hinter bürgerlicher Fassade

Der Aktionskünstler Philipp Ruch über eine Initiative gegen Eigentümer des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei

nd: Wie kamen Sie auf die Idee, die Panzerfamilie im Fall von Krauss-Maffei an die Öffentlichkeit zu bringen?
Philipp Ruch: Durch einen Auszug des Handelsregisters und entsprechende Vorrecherchen wurde uns klar: Das ist keine kleine Sache, wenn ein Bundesvorstand der Humanistischen Union, eine Berufsschullehrerin, eine Fotografin und ein Künstler aus der Pfalz sich hinter bürgerlichen Fassaden und schöngeistigen Engagements verstecken und nebenher von Millionengewinnen aus schmutzigen Waffendeals leben. Wir wollten den Eigentümern keine andere Wahl lassen, als in den Spiegel zu sehen und sich nach delphischem Muster zu erkennen. Einer der Waffenhändler hielt das für einen Angriff auf seine »Reputation und Integrität«. Nun ist ihm klar geworden, dass er diesen Angriff jahrzehntelang selbst geführt hat – nicht wir.

Wer steckt hinter der Gruppe Zentrum für politische Schönheit?
Wir sind ein Thinktank, der versucht, die Eigentümer des größten deutschen Panzerkonzerns auf den richtigen Weg zu bringen. Geschäfte wie das mit Saudi-Arabien darf es nie wieder geben. Dafür tragen die Eigner die Verantwortung und dafür wollen wir sie auch zur Verantwortung ziehen. Wir haben zehn Aktionen ausgearbeitet und wieder verworfen, bis wir zu der Form gelangt sind, die Sie jetzt betrachten können. In einer früheren Fassung wollten wir die Eigentümer entführen. Wir haben auch tatsächlich nach einer neuen Beate Klarsfeld gesucht.

Warum haben Sie auch das Privatleben der Eigentümer in Ihre Kampagne einbezogen?
Händler, die von Waffengeschäften in Milliardenhöhe leben, müssen dazu stehen, wenn sie die Gewinne kassieren wollen. Sie können und dürfen sich nicht hinter gesellschaftlichen Engagements verstecken und nebenher mit ihren Produkten eine der schlimmsten Diktaturen der Welt aufrüsten. Das war unser vorrangiges Ziel. Dass darüber hinaus die nächsten Bekannten und Weggefährten der Waffenhändler nichts von den Einkommensquellen der Eigentümer wussten, war ein großes Glück. Wir hoffen, dass der Saudi-Arabien-Deal schon daran scheitern wird.

Es wird kritisiert, Ihre Aktion stelle Menschen an den virtuellen Pranger und lade zur Denunziation ein.
Diese Kritik nehmen wir ernst. Für Denunziationen braucht es einen Unrechtsstaat oder allgemein ein dysfunktionales Rechtssystem. Wir glauben aber an das deutsche Recht, das u.a. die Freiheit der Kunst, sich auch mit Waffenhändlern intensiv auseinanderzusetzen, schützt. Wir haben nur »Denunzianten« gesucht für strafrechtlich relevante Vergehen. Wenn eine Person mit ihrem Vermögen Steuern hinterzieht, sollte sie dafür auch rechtmäßig in Haft kommen. Es war nicht unser Ziel, Reputation zu beschädigen, sondern es wurden öffentlich zugängliche Informationen zusammengetragen, wodurch falsche Reputationen automatisch verschwanden. Ansonsten müssten wir auch vom Handelsregisterpranger sprechen.

Welche juristischen Folgen kommen jetzt auf Sie zu?

Die Waffenindustrie ging mit Staranwälten gegen uns vor. Zunächst erwirkte Krauss-Maffei Wegmann über den größten Eigentümer Rüdiger von Braunbehrens eine Unterlassungserklärung gegen unser Projekt. Vergangenen Dienstag veröffentlichten wir eine interne E-Mail des Künstlers und Waffenhändlers Burkhard von Braunbehrens. Zwei Tage darauf setzte er uns eine knappe Frist von mehreren Stunden, die E-Mail zu löschen.

Wie wollen Sie weiter vorgehen?

Es kann nicht angehen, dass reiche Waffenhändler uns verklagen. Wir brauchen dringend Spenden für den juristischen Gegenschlag. Die können eingezahlt werden auf ein Konto der GLS Bank. Kontoinhaber: Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V., Konto Nr. 1115471800, BLZ: 43060967
http://www.neues-deutschland.de/
artikel/233278.waffenhaendler-verstecken-sich-hinter-buergerlicher-fassade.htm
Interview: Peter Nowak

Aktion gegen „Panzerfamilie“: die Grenzen der Kunstfreiheit

Während die Familie, die zu den Eigentümern von Krauss-Maffei gehört, juristisch auf die Aktion „25000 Euro“ reagiert, wächst auch andernorts der Widerstand gegen deutsche Rüstungsexporte

Eigentlich können die Politkünstler vom Zentrum für politische Schönheit zufrieden sein. Nur wenige Wochen, nachdem sie im Internet bekannt machten, dass zu den Eigentümern der Waffenhersteller Krauss Maffei bekennende Philanthropen und Humanisten gehören, die in ihrer Freizeit in diversen Menschenrechtsorganisationen engagiert sind, haben zwei der Familienmitglieder sich vom Panzerdeal mit Saudi Arabien distanziert.

So erklärte Burkhart von Braunbehrens in einem Interview, den Waffendeal mit Saudi Arabien verhindern zu wollen, und auch Vera von Braunbehrens ließ verlautbaren, das Waffengeschäft nicht zu billigen. Damit sind zwei Mitglieder der „Panzerfamilie“ auf Distanz gegangen. Im Internet wird nun darüber debattiert, wie ernst diese Distanzierungen gemeint sind und vor allem, ob damit auch die Bereitschaft verbunden ist, auf die Profite an dem Rüstungsdeal zu verzichten. Diese Reaktionen sind ganz im Sinne der Kampagne, wie sie auf der Homepage der Politkünstler in sechs Schritten skizziert ist. Mittlerweile ist der unter Punkt 6 genannte Machtkampf zwischen den beiden Eigentümerfamilien von Krauss Maffei im Gange und der Ausgang ist noch ungewiss.

Anwaltskosten drohen Initiative lahmzulegen

Doch mittlerweile haben die Braunbehrens auch juristische Schritte gegen die Künstler eingeleitet. Deshalb musste die Webseite umgestaltet werden, bestimmte Formulierungen durften nicht mehr verwendet werden. Doch gravierender für die Künstlerinitiative sind die Kosten, die durch die Klagen auf sie zukommen. „Am Freitag mussten wir sogar die Anwaltskosten des 90fachen Millionärs und Waffenhändlers Rüdiger von Braunbehrens (1.248,31 Euro) schultern. Unsere Webseite mussten wir selbst zensieren, um Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe abzuwenden“, erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit.

Die Initiative ruft zu Solidaritätsspenden auf. Die sollen bei der GLS-Bank auf ein Konto der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V.“ eingezahlt werden. Leider inszeniert sich die Initiative fast in Occupy-Manier als Interessenvertreter von nicht gleich 99, aber doch 94 Prozent der deutschen Öffentlichkeit, die laut Meinungsumfragen gegen den Export der Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien seien. Wenn Ruch in seinem Solidaritätsaufruf so oft betont, wie viel die Initiative bereits riskiert hat und sie jetzt „nicht mit Waffen sondern per Gerichtsverfahren“ zum Schweigen gebracht werden soll, klingt das Eigenlob doch sehr deutlich durch. Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Schließlich hatte die Aktion eine überwiegend positive Berichterstattung. Zudem hat die Initiative mittlerweile Nachahmer bei Politaktivisten gefunden.

Unter dem Motto „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ agieren zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisionen gegen den deutschen Waffen- und Rüstungsgüterexport. Ein Kampagnenschwerpunkt lautet auch dort, „den Tätern Namen und Gesicht zu geben“. In der letzten Augustwoche soll im Namen eines Illuminationsprojekts eine Bildmontage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Panzerkommandantin per Laserstrahl an öffentliche Gebäude projiziert werden. Auch Aktionen am Firmensitz des Panzerherstellers Krauss Maffei-Wegmann in Kassel gehören zum Protestfahrplan.

Allerdings sollen auch die Firmensitze von anderen Unternehmen besucht werden, die am Rüstungsgeschäft verdienen. Dazu gehören die ATM-Computersysteme in Konstanz, die die Software für den Leopard-Panzer liefern, wie die Diehl-Defence in Überlingen, die Geschäfte mit der Produktion von Munition, Drohnen und Panzerketten macht, sowie die MTU Friedrichshafen GmbH, die Panzermotoren herstellt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152408

Peter Nowak

Pranger gegen Panzerfamilie?

„Wer hat Informationen, die zur Verurteilung dieser Menschen führen?“ – eine Kunstinitiative stellt Eigentümer der Rüstungsfirma Krauss Maffei Wegmann bloß

Ein Banner in den Berliner Kunstwerken, wo noch bis zum Monatsende im Rahmen der Berlin-Biennale Occupy seinen Spagat zwischen Kunst und Politik versucht, sorgt für Aufregung und zeigt Wirkung. „Endlich geben wir dem deutschen Panzerhandel ein Gesicht!“, begründen die Politikkünstler von Zentrum für Politische Schönheit ihre durchaus nicht unumstrittene Outing-Aktion, mit der sie in Form eines Steckbriefs die Familie hinter der Waffenschmiede Krauss Maffei-Wegmann exponiert. Dazu wird im Stil von XY-Ungelöst aufgerufen, alles über die abgebildeten Personen zu melden.

Auch Details der persönlichen Lebensführung gehören ausdrücklich dazu. Auf der Homepage der Kampagne wird dieses Schnüffeln im Privaten damit begründet, dass in Deutschland der Handel mit schweren Kriegsgerät nicht strafbar ist. Also hoffen die Kunstaktivisten, dass ein anderes Vergehen bekannt wird, beispielsweise eine Steuerhinterziehung oder die unangemeldete Beschäftigung einer Hausangestellten, damit sie die Personen doch noch ins Gefängnis bringen können.

„Wer hat Informationen, die zur Verurteilung dieser Menschen führen?“, heißt es auf der Homepage. Die Ähnlichkeit mit Denunziationsaufrufen sticht ins Auge. Das wirft die Frage auf, ob ein politisch unterstützenswertes Ziel – wie die Skandalisierung des Waffenhandels im Allgemeinen und des Waffendeals an Saudi-Arabien – solche Mittel rechtfertigt. Die Beteiligung am Outing scheint nicht besonders hoch. Auf der Kampagnenhomepage zumindest heißt es auf den Steckbriefen der Panzerfamilie, es seien noch keine Angaben eingetroffen. Andererseits finden sich zu einzelnen Mitgliedern teilweise sehr detaillierte biographische Angaben.

Waffenhändler mit Apo-Vergangenheit

So wird der Mozartliebhaber Volkmar von Braunbehrens gefragt, wie er seine Rolle als Miteigentümer einer Waffenschmiede mit seiner Funktion als Vorstandsmitglied der linksliberalen Menschenrechtsorganisation Humanistische Union vereinbaren kann. Braunbehrens Vergangenheit als Aktivist der Studentenbewegung um 1968 wird ebenso aufgeführt, wie seine Strafanzeigen gegen Freiburger Hausbesetzer 2009. Bis vor kurzem gehörte auch Burkhard von Braunbehrens zur Panzerfamilie. Doch vor wenigen Tagen hat er sich öffentlich gegen den Panzerdeal mit Saudi-Arabien gestellt. In einem Interview mit der Tageszeitung erklärte er:

„Ich halte die mögliche Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien für eine schlimme Antwort auf die arabische Rebellion. Sie verstößt sowohl gegen die deutschen als auch gegen die europäischen Interessen.“

Ansonsten gibt er sich in dem Interview allerdings sehr wortkarg. Meldungen, dass Burkhard von Braunbehrens nach seiner öffentlichen Distanzierung vom Panzer-Deal mit Saudi-Arabien vom Aufsichtsrat als Mitgesellschafter gefeuert worden sein soll, wollte er weder bestätigten noch dementieren. Erstaunlich zugeknöpft gab sich der Apo-Veteran bei Fragen zu anderen Waffendeals von Krauss-Maffei Wegmann. So wollte er ausdrücklich nicht kritisieren, dass das Unternehmen auch vom Wettrüsten zwischen Griechenland und der Türkei profitiert. In einer Stellungnahme geht der Apo-Veteran allerdings in die Offensive.

„Sie haben in mir eine Person, die die öffentliche Herausforderung annimmt, und die sich und ihr Tun und Lassen im Einklang mit dieser Republik, ihrer Verfassung, ihrer mehrheitlich demokratisch beschlossenen Politik und ihrer Gesetze sieht“, schreibt Braunbehrens, der auf der Internetseite vor einem Panzer aus eigener Produktion steht.

„Ich persönlich bin unbedingt dafür, dass Europa eine eigene Waffenproduktion unterhält, solange es Waffen auf der Welt gibt. Um diese Produktion auf hohem technologischen Niveau aufrecht zu erhalten, ist Export notwendig, weil der heimische und europäische Markt allein zu klein ist.“

In seiner Entgegnung zeigt der durch die Apo sozialisierte von Braunbehrens auch die Problematik einer rein moralisch aufgeladenen Kritik. So kritisiert er, dass in einem Brief die alliierten Bombardierungen deutscher Städte in der Endphase des zweiten Weltkriegs als Argument gegen den Waffenhandel genommen wurden, mit Recht als populistische Argumentation, weil doch gerade der Krieg gegen den NS ein Beispiel für eine historische Situation ist, wo es Schlimmeres als einen Krieg gebe.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/152245

Banker gegen Kunst

Der Aktionskünstler Philipp Ruch über die Schwierigkeiten, wenn Pressesprecher ihre Äußerungen zurücknehmen wollen
Philipp Ruch ist Gründer des Zentrums für Politische Schönheit, in dem Aktionskünstler mit politischen Aktivisten zusammenarbeiten. Gegen ihren Film »Schuld – Die Barbarei der Privatheit« über Nahrungsmittelspekulationen wollte die Deutsche Bank juristisch vorgehen. Peter Nowak sprach mit dem Aktionskünstler, der wie alle Mitglieder des Zentrums bei öffentlichen Auftritten an Kohle- und Rußspuren erkennbar ist. Denn: Sie wühlen in den verbrannten politischen Hoffnungen Deutschlands.
nd: Was störte die Deutsche Bank an Ihrem Film?
Die Passage ihres Pressesprechers Frank Hartmann, in der er die Menschen in Somalia für ihre Armut selber verantwortlich machte.

Der Bankkonzern zog inzwischen seine Ankündigung zurück. Ist das ein Erfolg der massiven Internetproteste?
Das kann man so sehen. Nach Bekanntwerden eines Eingriffsversuchs der sonst so kunstaffinen Deutschen Bank in die Kunstfreiheit wurde der Film zum Gesprächsthema Nummer 1 im Internet. Nach den ersten Agenturmeldungen über den Fall hagelte es Kritik auf der Facebook-Seite der Bank. Die Deutsche Bank wird aber eher wegen des Interesses von drei überregionalen Zeitungen eingelenkt haben.

Wurde nicht vor allen wegen der drohenden Eingriffe in die Kunst protestiert?
Die Kunst war nur der Anlass. Es ging von Anfang an um die unmoralischen Geschäfte mit dem Hunger von Millionen Menschen. Bis heute hält der Proteststurm an. Ich fürchte, die Bank wird sich bald erklären müssen.

Gab es Einigungsversuche?
Wir hatten im Vorfeld Gespräche mit drei verschiedenen Abteilungen der Bank, in denen wir eine nichtöffentliche Einigung erzielen wollten. Alle drei Stellen verhielten sich dabei ziemlich merkwürdig. Ich habe selten erlebt, dass Menschen, die professionell Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen, so wenig Sensibilität für die Bedeutung von Strafanzeigen gegenüber Aktionskünstlern besitzen. Insbesondere der Pressesprecher kam uns zeitweise wie eine schlechte Kopie von Achilles vor, der nicht weiß, wann man Gefühle zulässt und wann man schweigt. Er drohte mir ernsthaft mit zwei Jahren Gefängnis. Ich weiß ja nicht, in welchen Ländern er sich so herumtreibt. Aber in jedem Fall wäre ihm eine Welt genehm, in der Menschen für unliebsame Werke in Haft kommen.

Wie konnten Sie den Banksprecher überhaupt zu einem Interview gewinnen?
Indem wir anriefen, uns als Dokumentarfilmreporter zu erkennen gaben und nach einem Interview fragten. Danach hat er uns eine halbe Stunde mit dem Nutzen von Nahrungsmittelspekulationen voll-gequatscht. Daraufhin habe ich ihm vom Nutzen gigantischer Freiluftgulags vorgeschwärmt, die so groß sind wie Staaten. Da war dann erst mal Ruhe.

Hatten Sie Schwierigkeiten, Vertreter aus Wirtschaft und Politik für den Film vor die Kamera zu bekommen?
Nein. Die großen Akteure warten darauf. Das Thema findet keine Beachtung. Das Zentrum für Politische Schönheit nimmt sich generell nur schwersten Menschenrechtsverletzungen an. Wie kann es sein, dass Deutschland heute drittgrößter Waffenhändler der Welt ist? Wie kann es sein, dass in Kongo über sechs Millionen Menschenleben vernichtet werden, ohne dass wir es mitbekommen? Diese Fragen sind allesamt »under-reported«, wie es im Englischen heißt. Sprich – sie werden weit unter ihrer Bedeutung abgebildet.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/213766.banker-gegen-kunst.html
Interview: Peter Nowak

Bank, die Kunst und der Hunger


Facebookproteste in Deutschland zwangen die Deutsche Bank zum Einlenken

Der Pressesprecher der Deutschen Bank hätte vielleicht einmal googeln sollen, bevor er Interviews gibt. Dann hätte erfahren, dass das Zentrum für politische Schönheit keine konventionellen Interviews macht, in denen die Gesprächspartner sich selber produzieren können. Bei dem Zentrum handelt sich nämlich um eine Schnittstelle zwischen Aktionskunst und Politaktivismus. Spätestens mit ihrer versuchten Versteigerung der Bundeskanzlerin wurde es zu einem Medienthema (s.a.: Rechtsstaat gegen Schönheit?).

Jetzt haben die Aktionskünstler die Öffentlichkeit zumindest im Internet wieder auf ihrer Seite. Haben Sie doch die Deutsche Bank zum Einlenken gezwungen. Sie wollte juristisch gegen einen 15minütigen Filmbeitrag mit dem Titel Schuld – Die Barbarei der Privatheit vorgehen. In dem streckenweise sehr moralischen Film ist auch ein Gespräch mit dem Pressesprecher der Deutschen Bank zu hören. Stein des Anstoßes war ein Ausschnitt von knapp 90 Sekunden des Gesprächs, in dem dieser den Afrikanern die Schuld an ihrer Armut gibt. Die Justiziare der Deutschen Bank forderten zunächst die Entfernung des nichtautorisierten Gesprächs. Nachdem sich die Aktionskünstler weigerten und der Fall immer größere Wellen in der Öffentlichkeit schlug, verzichtete die Deutsche Bank auf die angekündigten juristischen Schritte. Telepolis sprach mit dem Gründer des Zentrums für politische Schönheit Philipp Ruch über die Gründe.

Ist der Verzicht der Deutschen Bank auf die Klage ein Erfolg der Internetproteste?

Philipp Ruch: Das kann man so sehen. Nach Bekanntwerden eines Eingriffsversuchs der sonst so kunstaffinen Deutschen Bank in die Kunstfreiheit wurde der Film zum Gesprächsthema Nummer 1 im Internet. Nach den ersten Agenturmeldungen über den Fall hagelte es Kritik auf der Facebook-Seite der Bank. Die Deutsche Bank wird aber eher wegen des Interesses von drei überregionalen Zeitungen eingelenkt haben. Sie dachte wohl, damit wäre die Sache aus der Welt.

Wurde nicht vor allen wegen der drohenden Eingriffe in die Kunst protestiert?

Philipp Ruch: Die Kunst war nur der Anlass. Es ging von Anfang an um die unmoralischen Geschäfte mit dem Hunger von Millionen Menschen. Bis heute hält der Proteststurm an. Ich fürchte, die Bank wird sich bald erklären müssen.

Hätten Sie das Interview nicht autorisieren müssen?

Philipp Ruch: Ich bin kein Jurist. Es ist aber schon verwunderlich, dass die Bank, die das Leben und die Rechte hunderttausender Menschen qualitativ dramatisch verschlechtert, sich bei uns über die Verletzung von Gesetzen beschweren will.

Gab es Einigungsversuche im Vorfeld?

Philipp Ruch: Wir hatten im Vorfeld Gespräche mit drei verschiedenen Abteilungen der Bank, in denen wir eine nichtöffentliche Einigung erzielen wollten. Alle drei Stellen verhielten sich dabei ziemlich merkwürdig. Ich habe selten erlebt, dass Menschen, die professionell Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen, so wenig Sensibilität für die Bedeutung von Strafanzeigen seitens der Deutschen Bank gegenüber Aktionskünstlern besitzen. Insbesondere der Pressesprecher kam uns zeitweise wie eine schlechte Kopie von Achilles vor, der nicht weiß, wann man Gefühle zulässt und wann man schweigt. Er drohte mir ernsthaft mit zwei Jahren Gefängnis. Ich weiß ja nicht, in welchen Ländern er sich so herumtreibt. Aber in jedem Fall wäre ihm eine Welt genehm, in der Menschen für unliebsame Werke in Haft kommen.

Wie konnten Sie den Banksprecher überhaupt zu einem Interview gewinnen?

Philipp Ruch: Indem wir anriefen, uns als Dokumentarfilmreporter zu erkennen gaben und nach einem Interview fragten. Danach hat er uns eine halbe Stunde mit dem Nutzen von Nahrungsmittelspekulationen vollgequatscht. Daraufhin habe ich ihm vom Nutzen gigantischer Freiluftgulags vorgeschwärmt, die so groß sind wie Staaten. Da war dann erst mal Ruhe.

Hatten Sie Schwierigkeiten, Vertreter aus Wirtschaft und Politik vor die Kamera zu bekommen?

Philipp Ruch: Nein. Die großen Akteure warten darauf. Das Thema findet keine Beachtung. Das Zentrum für Politische Schönheit nimmt sich generell nur schwersten Menschenrechtsverletzungen an. Die sind allesamt „under-reported“, wie es im Englischen heißt. Wie kann es sein, dass Deutschland heute drittgrößter Waffenhändler der Welt ist? Wie kann es sein, dass im Kongo über sechs Millionen Menschenleben vernichtet werden, ohne dass wir es mitbekommen?
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36117/1.html
Peter Nowak