Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die Zwangsräumung von zwei Familien ausgesetzt. Doch abgesagt ist die Räumung damit nicht.

Zwangsräumungen in Berlin – Keine Ersatzwohnung gefunden

Felix Baller vom Netzwerk Bare, Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma*-Empowerment, in dem sich Roma* gemeinsam mit sozialen Trägern in Friedrichshain-Kreuzberg organisieren, hatte die erfolgreiche Mobilisierung am Mittwoch mit koordiniert. Gegenüber der taz bedauerte er, dass es lediglich eine Aussetzung und keine endgültige Absage der Räumung gab.

„Keine Zwangsräumung“ stand auf dem Transparent, hinter dem sich am Mittwochvormittag etwa 20 Personen vor einem Plattenbaublock in der Straße der Pariser Kommune in Friedrichshain versammelt hatten. Zwei Ro­ma­fa­mi­li­en sollten dort mit ihren Kindern zwangsgeräumt werden. Tatsächlich wurde die Räumungsaktion

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„Haunted Landlord“: Entmietete plagen Vermieter

Anders als beim Zentrum für Politische Schönheit steht beim Peng! Kollektiv noch die Message im Mittelpunkt. Aber besser wäre die Selbstorganisierung der Betroffenen

„Als ich nach Hause gekommen bin, tropfte das Wasser von der Decke. Die Feuerwehr sagte, das kennen wir schon.“ „Ich habe 15 Jahre in der Berlichingenstraße gewohnt, dann die Entmietung.“ „Ihre Mieterinnen und Mieter haben 7 Wochen im Winter gefroren, weil sie kein Heizöl gekauft haben.“ „Sie zerstören das Haus, in dem wir gerne leben. Für Luxusbauten? Klingt das nicht absurd?“ „Wir hatten keine Kraft mehr zu kämpfen und verließen unsere Wohnung. Jetzt steht sie leer.“

Das sind einige Zitate von Telefonaten, die bei Hauseigentümern aus verschiedenen Städten in Deutschland eingegangen sind und unter dem Titel Haunted Landlord veröffentlicht wurden. Es ist eine Aktion des Peng! Kollektivs, das mit satirischen Mitteln auf politische Missstände aufmerksam macht. „Peng ist ein explosives Gemisch aus Aktivismus, Hacking und Kunst im Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“, heißt es auf der Homepage des Kollektivs.

Die Aktivisten haben sich teils private, teils geschäftliche Telefonnummern von Vermietern organisiert und eine Software programmiert, die automatisch immer wieder dort anruft und Tonaufnahmen der Geschichten abspielt, die Mieter mit ihnen erlebt haben. „Die Entmieteten kehren zurück, um diejenigen zu plagen, die sie auf die Straße gesetzt haben“, heißt es in einem Schreiben von Peng!, das dazu veröffentlicht werden soll. Eine Woche lang soll die Aktion laufen.

Skandalisierung, aber keine gesellschaftliche Einordnung

Schon in der Vergangenheit hat das Künstlerkollektive mit Aktionen wie „Fluchthelfer“ Diskussionen angestoßen und auch einige immer wieder verärgert. Aber das ist ganz im Sinne des Kollektivs, das sich gegen Rassismus, rechte Hetze und verschiedene soziale Missstände engagiert.

Dabei verzichtet es allerdings auf eine Einordnung der angeprangerten Widerwärtigkeiten in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Das schafft den Politkünstlern immer wieder viel Aufmerksamkeit und ärgert nicht die Falschen. Doch damit bleibt die Kritik auch an der Oberfläche, wie auch die jüngste Aktion „Haunted Landlords“ zeigt.

Sie lebt von einer Personalisierung. Es wird der Eindruck erzeugt, wenn man den Verantwortlichen jetzt mal ganz persönlich sagt, welche Folgen ihre Entmietungspolitik hat, werden sie ihr Verhalten ändern. Das mag in Einzelfällen auch funktionieren und die angesprochenen Vermieter agieren vorsichtiger, sei es, weil sie ein schlechtes Gewissen haben oder weil es für das Geschäft auch nicht besonders vorteilhaft ist, von Peng! namentlich genannt zu werden.

Das mag bei Wohnungs- und Hauseigentümern, die namentlich bekannt sind, einfacher funktionieren als bei Briefkastenfirmen. Denn dann erreichen die Anrufe einfach einen vielleicht prekär Beschäftigten, der für die Briefkastenfirma das Telefon bewacht. Denn Kapitalismus funktioniert nicht so, dass man den Verantwortlichen einfach ins Gewissen redet und alles wird gut … Das zentrale Motiv für die geschilderten Entmietungspraktiken ist nicht die persönliche Gier oder ein moralisch böse handelnder Unternehmer. Es ist die Profitlogik einer kapitalistischen Gesellschaft, die den Rahmen schafft, in denen dann die unterschiedlichen Player agieren.

Es ist zweifellos richtig, dass die Verantwortlichen da nicht nur kapitalistische Sachzwänge exekutieren, sondern für ihr Handeln auch Verantwortung tragen. Ein gutes Beispiel sind die Wohnungseigentümer der Rentnerin Rosemarie F., die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung im April 2013 gestorben ist. Die Vermieter waren trotz einer Zusage, dass die Miete pünktlich überwiesen ist, nicht bereit, die Kündigung zurückzunehmen. Im Gegenteil, haben sie die Rentnerin noch in den Medien beleidigt.

Das sind keine Einzelfälle, wie die vom Peng! Kollektiv aufgelisteten Entmietungsfälle zeigen. Wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass das sich durch die Anrufe tatsächlich einige verändern, so hat die Aktion durchaus einen Sinn, weil sie eine gesellschaftliche Diskussion über Mieterwillkür auslösen. Hier liegt das positive Moment der Aktion. Sie öffnet bei schwachen oppositionellen Kräften Räume, um Unmut und Protest auszurücken.


Peng ist näher am Alltagswiderstand als das Zentrum für politische Schönheit

Wenn sich die Betroffenen gegen die Entmietung wehren, indem sie juristische Klagen führen oder politisch aktiv werden, beispielsweise in Bündnissen wie „Zwangsräumung verhindern“, dann verlassen sie den Opferstatus und lernen auch viel über die Verfasstheit unserer Gesellschaft. Sie nehmen damit auch eine kritische Haltung zu Gesellschaft ein. Sie brauchen dann auch keine Zwischeninstanzen wie das Peng!, das ihnen die Stimme leiht.

Doch in einer Situation, in der diese oppositionellen Gruppen schwach sind, kann das Kunstkollektiv dazu beitragen, dass die Politik der Entmietung als der gesellschaftspolitische Skandal wahrgenommen wird, der er ist. Im Gegensatz zum Zentrum für Politische Schönheit, mit dem das Peng! Kollektiv den Glauben an den liberalen Rechtsstaat und die Macht der Skandalisierung teilt, widmet es sich dem Alltagswiderstand.

Dadurch werden die Anliegen auch nicht durch die Macht der Künstler erdrückt. Das Zentrum organisiert mit immer mehr finanziellen Mitteln und viel logistischem Aufwand seine Aktionen, so dass die politischen Anliegen dahinter verschwinden. Wenn dann Tiger in einem Käfig in Berlins Mitte zu sehen sind, sind die Menschen dadurch mehr beeindruckt als von der Message, dass es um die Rechte von Migranten geht, was dann noch am Rande erwähnt wird.

Bei der aktuellen Aktion des Zentrums, dem Nachbau des Mahnmals der Ermordeten Juden vor dem Haus des AFD-Rechtsaußen Björn Höcke ist der Inszenierungs- und Kunstcharakter noch größer. Viel mehr wird darüber diskutiert, ob das Privatleben der Höcke-Familie beeinträchtigt oder die Shoah-Opfer instrumentalisiert werden, als über die rechten Thesen von Höcke bzw. Landolf Ladig.

Das macht die Gefahr deutlich, dass die politisch motivierten Kunstaktionen die Message erdrücken und ein Eigenleben entwickeln. Was vom künstlerischen Standpunkt aus zu begrüßen ist, kann politisch fatal sein. Das Peng!Kollektiv sollte sich dieser Gefahr bewusst sein.

https://www.heise.de/tp/features/Haunted-Landlord-Entmietete-plagen-Vermieter-3907276.html

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-3907276

Links in diesem Artikel:
[1] https://hauntedlandlord.de
[2] https://de-de.facebook.com/pengcollective/
[3] https://pen.gg/de/
[4] http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/mit-fluechtlingen-auf-der-balkanroute-die-fluchthelfer/12645368.html
[5] https://philosophia-perennis.com/2017/09/08/votebuddy-kriminell
[6] https://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/
[7] http://berlin.zwangsraeumungverhindern.org/
[8] https://www.politicalbeauty.de/
[9] https://www.thueringen24.de/erfurt/article210243713/Petry-Bjoern-Hoecke-schrieb-als-Landolf-Ladig-fuer-die-NPD.html

Wenn die Renditechancen steigen, wird schneller geräumt

Berlin: Der sozialstaatlich-immobilienwirtschaftliche Komplex und die Frage, ob Hausbesetzungen eine geeignete Aktionsform zur Schaffung von Wohnraum sind

Zwangsräumungen sind in Berlin und anderen Städten zu einem politischen Thema geworden, seit sich Mieter dagegen zu wehren begonnen haben. Dass sind längst nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aus der linken Ecke. Senioren die in der Stillen Straße in Berlin-Pankow eine Begegnungsstätte besetzen [1], die aus finanziellen Gründen geschlossen werden soll, die Mieter der Palisadenstraß [2]e, die erfolgreich eine Mieterhöhung in ihrer Seniorenanlage verhindert haben, wurden über Berlin hinaus bekannt- Auch die 67 jährige schwer kranke Rentnerin Rosemarie F [3]., die am 11. April 2013 zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung gestorben ist, wurde bundesweit zu einen Symbol für eine unbarmherzige Wohnungspolitik.

Einblicke in den sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“

Zum zweiten Todestag hat Margit Englert in dem in der Edition Assemblage erschienenen Buch Rosemarie F. kein Skandal [4] die Umstände untersucht, die zum Tod der Rentnerin führten. Dazu wertete Englert zahlreiche Dokumente aus, die die Rentnerin dem Berliner Bündnis „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ [5] überlassen hatte. Bei der Initiative suchte sie Unterstützung gegen ihre Zwangsräumung.

In dem Buch werden auch zahlreiche Briefe veröffentlicht, mit denen sich F. gegen ihre Räumung wehrte. Doch sie hatte gegen den „sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“ keine Chance, wie Englert das Konglomerat aus Eigentumswohnungsbesitzer und ihrer Lobbygruppen, Politik und eines Hilfesystem, das vor allem darauf abzielt, Zwangsräumungen möglichst geräuschlos zu bewältigen, bezeichnet. Darüber gibt sie im Buch einen guten Überblick.

Sie zitiert auch die Kommentare einiger Nachbarn in den Eigentumswohnungen des Wohnblocks, in dem F. wohnte. Die Rentnerin hätte nicht in das Haus gepasst. Schließlich bezog sie Grundsicherung, sammelte zur Aufbesserung ihrer geringen Rente Flaschen und war damit niemand, die nicht gut verwertbar. Englerts Anliegen war es, den Fall er Rentnerin nicht als Ausnahme hinzustellen, wie es viele Medien nach dem Tod der Rentnerin praktizierten. Englert erklärt gegenüber Telepolis:

Wenn der Tod Rosemaries zum Skandal erhoben wird, lässt es sich leicht zurücklehnen und zur Tagesordnung übergehen. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen, oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der freiwerdenden Wohnungen zu nehmen, oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern, durch Investition in Immobilien.

Langzeitmieter sind eine Gewinnbremse

Was Englert am Beispiel von Rosemarie F. ausführte, haben Stadtforscher der Berliner Humboldtuniversität in einer noch nicht veröffentlichten Fallstudie mit dem Titel „Zwangsräumungen und Krise des Hilfesystems“ gut belegt. In der von Laura Berner, Andrej Holm und Inga Jensen verfassten Fallstudie, die Telepolis vorliegt, heißt es:

Der Berliner Wohnungsmarkt ist in den letzten Jahren durch eine fast flächendeckende Mietsteigerungsdynamik geprägt und innerhalb des S-Bahn-Ringes hat sich Gentrification zu einem Mainstream-Phänomen entwickelt. Diese Entwicklungen haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Zwangsräumungen in Berlin und die Überlastung des wohnungsbezogenen Hilfesystems. Insbesondere die Entstehung von Mietschulden, die Klagebereitschaft von Eigentümer*innen und die Unterbringungsschwierigkeiten sind eng mit Mietsteigerungen im Bestand, Ertragserwartungen von Eigentümer*innen und den Preisentwicklungen von Wohnungsangeboten verbunden.

Dort wird anschaulich beschrieben, wie die Wohnungseigentümer von einem Mieterwechsel profitieren und wie der dann auch forciert wird. Aus einer ökonomischen Perspektive verwandeln sich Bewohner, die schon sehr lange im Haus wohnen und günstige Bestandsmieten zahlen in „unrentable Mieter“. Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele Eigentümer in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den Mieterwechsel zu forcieren.

Diese Entwicklung haben die Stadtforscher nicht nur in einigen angesagten Szenestadtteilen sondern in ganz Berlin festgestellt. Die Zahl der Zwangsräumungen war denn auch nicht in Kreuzberg oder Neukölln sondern in dem Stadtteil Marzahn im Osten Berlins besonders hoch. Belegt wird in der Studie auch, dass Jobcenter mit ihrem Handeln die Bedingungen für Zwangsräumungen schaffen:

Jobcenter und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sind Teil einer staatlichen Koproduktion von Zwangsräumungen und erzwungenen Umzügen. Mit ihrer konsequenten Orientierung an Kostensenkungsverfahren und der repressiven Hartz-IV-Gesetzgebung sind die Jobcenter an der Entstehung von Mietrückständen oft beteiligt.

Ein Hilfesystem, das den Betroffenen nicht hilft

In der Studie werden auch die verschiedenen Instrumentarien untersucht, mit denen der Verlust der Wohnung von einkommensschwachen Mietern verhindern werden soll. Ihre Schlussfolgerungen sind wenig ermutigend:

Unter den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheinen die Mietschuldenübernahme und die Unterbringung als klassische Instrumente der Sozialen Wohnhilfe völlig ungeeignet, um eine Vermeidung von Wohnungslosigkeit tatsächlich durchzusetzen.

Ausführlich wird an vielen Beispielen belegt, wie die Hilfesysteme selbst dem Zwang unterworfen sind, rentabel zu arbeiten und dadurch Ausgrenzungsmechanismen gegen einkommensschwache Mieter entwickeln.

Durch Sparzwang und fehlende Ressourcen entwickelt sich eine Logik des Hilfesystems, die die eigentliche Logik von Auffangsystemen ins Gegenteil verkehrt. Statt davon auszugehen, dass unterstützungsbedürftige Menschen grundsätzlich immer Hilfe gewährt wird, gilt die Devise: „Es ist nichts zum Verteilen da, Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings möglich.“

Im Fazit betont das Forschertrio noch einmal, dass mit den Instrumenten des Hilfesystems Zwangsräumungen und erzwungene Umzüge nicht verhindert werden können. Organisierter Widerstand gegen Zwangsräumungen, wie er in Spanien in den letzten Jahren massenhaft praktiziert und in Deutschland in einigen Städten durchaus ein Faktor wurde, könnte die Interessen für einkommensschwacher Mieter besser vertreten.

In Berlin wurde unter dem Motto „Besetzen statt Räumen“ [6] diskutiert, ob Häuserbesetzungen nicht zur Etablierung einer Subkultur, sondern zur Schaffung von Wohnraum für von Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit bedrohten Menschen eine Aktionsform sind. Im Vorfeld des in Berlin noch immer unruhigen 1. Mai ergehen sich manche Medien in Spekulationen [7], ob diese Aktionsform an diesen Tag etwa ausprobiert werden soll.

Tatsächlich steht die Organsierung von sozialer Gegenwehr in diesem Jahr auch um den 1. Mai verstärkt im Mittelpunkt. So wird auch am Vorabend des 1. Mai nicht mehr unter dem politisch missverständlichen Motto Walpurgisnacht [8], um den Schwerpunkt deutlicher auf den Widerstand sozialen Widerstand zu legen.

Wenn selbst im Tagespiegel bestätigt [9]wird, dass die Politik an der Bereitstellung von billigem Wohnraum gescheitert ist, dürften solche Bestrebungen der außerparlamentarischen Initiativen auf Unterstützung stoßen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-die-Renditechancen-steigen-wird-schneller-geraeumt-2599807.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/

[2]

http://palisaden-panther.blogspot.de/

[3]

http://petitionen24.de/events/gedenktag-rosemarie-fliess-protestmarsch-berlin/

[4]

http://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/

[5]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[6]

http://besetzenstattraeumen.blogsport.de/

[7]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/1-mai-in-berlin-hausbesetzung-statt-steinhagel/11596958.html

[8]

http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/

[9] http://www.tagesspiegel.de/berlin/steigende-mieten-in-berlin-politik-schei

500 gedenken Rosemarie Fliess

»Zwangsräumungen können tödlich sein«, hat eine Frau auf ein selbstgemaltes Schild gemalt. Sie gehörte zu den mehr als 500 Demonstranten, die am Sonnabend durch Kreuzberg und Nordneukölln zogen, um der 67-jährigen Rentnerin Rosemarie Fliess zu gedenken, die vor einem Jahr kurz nach ihrer Zwangsräumung gestorben war. Schon am Freitag hatten 20 Aktivisten der Erwerbslosenbewegung an Fliess erinnert. Beide Aktionen waren von einem großen Polizeiaufgebot begleitet worden. Am Samstag sorgten rigide Vorkontrollen für Unmut unter den Teilnehmern. Mehrere Demonstranten mussten Transparente und Fahnen zurücklassen, weil die Stangen zu lang waren. Das große Polizeiaufgebot konnte die kämpferische Stimmung nicht dämpfen. Immer wieder rief Ali Gülbol auf deutsch und türkisch zur Organisierung gegen Vertreibung im Stadtteil auf und bekam dabei viel Zustimmung von den Anwohnern. Gülbol war selbst Opfer einer Zwangsräumung geworden.

»Die Räumung der Gülbols und der Tod von Rosemarie Fliess haben die Bewegung gegen Zwangsräumung nicht gelähmt, sondern gestärkt«, sagte eine Demons- trantin. Mittlerweile würden auch völlig unpolitische Leute die Kampagne gegen Zwangsräumungen um Unterstützung bitten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/930069.500-gedenken-rosemarie-fliess.html

Peter Nowak

Und die Miete steigt

Die geplante sogenannte Mietpreisbremse mag die SPD in der Regierung beruhigen, die betroffenen Mieter hingegen nicht.

Es mag länderspezifischem Patriotismus geschuldet sein, dass der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst, den Sozialdemokraten Heiko Maas zum »Superminister« kürte. Dabei ist der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz bisher vor allem mit Äußerungen hervorgetreten, die das Selbstbewusstsein der SPD in der Großen Koalition stärken sollen. Dazu gehört auch die Ankündigung, schnell eine sogenannte Mietpreisbremse einzuführen, schließlich gehörte eine Begrenzung der Mietsteigerungen zu den Versprechen, die die Partei im Wahlkampf gemacht hatte.

Vorgesehen ist nach dem Gesetzentwurf, den der Justizminister nun vorgelegt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts geschickt hat, dass Neumieten »in angespannten Wohnungsmärkten« nur noch um zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen dürfen. Neuerungen sind auch bei der Provision für den Makler geplant, diese soll künftig derjenige zahlen, der ihn beauftragt.

Allerdings soll die Regelung nicht in ganz Deutschland gelten, sondern nur »in angespannten Wohnungsmärkten« eingeführt werden. Welche Regionen dazu gehören, definieren die Bundesländer für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Nach Berechnungen des Justizministeriums liegen dem Bericht zufolge gut 4,2 Millionen der 21,1 Millionen deutschen Mietwohnungen in solchen »angespannten« Gebieten. Aber auch für diese sind Ausnahmen von der Mietenbremse vorgesehen. Nicht gelten soll sie bei der Erstvermietung neu gebauter Wohnungen sowie bei Wohnungen, die vor der Vermietung umfassend saniert wurden. Begründet wird dies damit, dass der Wohnungsbau und die Modernisierung bestehender Wohnungen attraktiv bleiben sollen. Auch Wohnungen, deren Preise bereits über dem Vergleichswert des Mietspiegels liegen, sollen weiterhin teuer vermietet werden können. In seinem Kommentar in der Taz kritisiert Gereon Asmuth deshalb, dass die »Mietexplosion« mit der geplanten Preisbremse nicht verhindert werden kann. »Der Turbo-Motor der Preisspirale bleibt unangetastet: Es ist die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, die gemeinhin über Mietspiegel ermittelt wird.«

Wie immer, wenn die Verwertungsinteressen durch kleine Reformen auch nur minimal tangiert werden könnten, protestieren die Interessenvertreter der Eigentümer heftig gegen die geplanten Änderungen. So bescheinigte Manfred Binsfeld, Immobilienmarktexperte der Rating-Agentur Feri, den Koalitionären hektische Betriebsamkeit und Populismus. Der Hamburger Rechtsanwalt Thies Boelsen bezeichnete die Mietpreisbremse gar als »verfassungswidrig«.

Diese Polemik ist natürlich Taktik. Schließlich wollen die Interessenvertreter der Eigentümer die Gesetzesreform noch stärker in ihrem Sinn beeinflussen. Prompt erklärte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der Entwurf sei unausgewogen. Die Immobilienwirtschaft werde ihrer Ansicht nach zu wenig berücksichtigt. Maas und seine Mitstreiter von der SPD dürften sich über die kalkulierbare Aufregung der Immobilienwirtschaft freuen. Schließlich kann angesichts der Kritik der Immobilienlobby der Eindruck erweckt werden, der Gesetzentwurf sei mieterfreundlich. Mancher Interessenvertreter sorgte hingegen ungewollt für Aufmerksamkeit, indem er seiner Klientel gutgemeinte Ratschläge gab, die die Vermieter nicht benötigen, weil sie bereits längst von ihnen befolgt werden. So riet Kai Warnecke, Geschäftsführer des Vermietervereins »Haus & Grund«, bei einem Treffen der Immobilienbesitzer in Stuttgart seinen Zuhörern: »Versuchen sie, die Miete schleichend in kleinen Schritten zu erhöhen.«

Mitglieder der Mieterbewegung in Berlin haben derzeit hingegen anderes zu tun, als über das geplante »Reförmchen« aus dem Hause Maas zu debattieren. »In den Ohren eines mit energetischer Modernisierung geschlagenen Mieters hört sich die neue Gesetzesvorlage wie blanker Hohn an«, sagt der Videojournalist Matthias Coers im Gespräch mit der Jungle World. »Nicht nur bei den Modernisierungsmaßnahmen am Weichselplatz kann man sehen, dass unter dem Deckmantel der Ökologie Hauseigentümer eingeladen werden, die Mieter zur Ader zu lassen. Die bestehenden Gesetze bürden den Mietern die gesamten Kosten der Modernisierung auf. Diese verlieren ihre Wohnung oder, wenn das Einkommen reicht, um die Wohnung zu behalten, steigt der Wohnkostenanteil oft massiv«, sagt Coers, der in einem Haus in Neukölln wohnt, das energetisch saniert werden soll.Gemeinsam mit Gertrud Schulte Westenberg hat er den Film »Mietrebellen« produziert, der im April in den Kinos zu sehen sein wird. Der Dokumentarfilm liefert einen guten Überblick über die Mieterproteste in Berlin der vergangenen zwei Jahre.

Die Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpft, wird dort ebenso porträtiert wie die Seniorengruppen »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«, die erfolgreich gegen Verdrängung kämpften. Am Schluss des Filmes bezeichnet ein Aktivist die Diskussion um die Mietpreisbremse als »Placebo« für die Mieterproteste. Coers sieht das ähnlich: »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.« Ob das gelingt, ist fraglich.

Am kommenden Wochenende soll beim Kongress »Berliner Ratschlag – Wem gehört die Stadt?« an der Technischen Universität in Berlin eine Bilanz nach zwei Jahren stadtpolitischer Kämpfe der Mieterbewegung gezogen werden. Darüber hinaus wollen die Teilnehmer auch darüber debattieren, wie sich aus dem Protest gegen steigende Mieten Widerstand gegen Mieterhöhungen und Räumungen formieren kann.In Berlin nehmen Räumungen von Mietern zu, die sich dagegen wehren, aus ihren Wohnungen geworfen zu werden und damit an die Öffentlichkeit gehen.

Am Donnerstag voriger Woche wurde in der Reichenbergerstraße in Kreuzberg eine Wohnung mit großem Polizeiaufgebot geräumt. Als knapp 100 Aktivisten und solidarische Nachbarn nach einer erfolglosen Blockade eine spontane Demonstration gegen »steigende Mieten, Zwangsumzüge und Verdrängung« begannen, nahm die Polizei acht Personen fest. Bei der monatlich stattfindenen »Lärmdemo« des Mieterbündnisses »Kotti & Co« kam es am Samstag zu einem hef­tigen Polizeieinsatz (siehe auch Seite 17). Für Anfang April stehen weitere Räumungen in Berlin an, die das Protestbündnis »Zwangsräumung verhindern« behindern möchte.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft »Wohnungslosenhilfe« geht bundesweit von 25 000 Räumungen im Jahr 2012 aus. Der Anteil der Mieter, die sich dagegen wehren, ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Mittlerweile existieren nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Han­nover und Köln Bündnisse gegen Räumungen. In Köln wurde im Februar die Räumung eines Mieters, der nach 32 Jahren seine Wohnung verlieren sollte, verhindert. Für den 16. April wurde ein neuer Räumungstermin angekündigt, aber auch eine Blockade durch die Mieterbewegung. Die Mietpreisbremse von Heiko Maas wirkt dort keineswegs beruhigend.

http://jungle-world.com/artikel/2014/14/49607.html

Peter Nowak

Kein Durchkommen

Nach erstem Urteil demonstrieren über 100 Nachbarn gegen Zwangsräumung

Noch läuft die Berufung, aber schon jetzt protestieren Nachbarn in der Reichenberger Straße gegen die Zwangsräumung einer fünfköpfigen Familie.

Kämpferische Stimmung herrschte am Samstagnachmittag auf einer Protestkundgebung in Kreuzberg. Mehr als 120 Menschen hatten sich an der Reichenbergerstraße 73 versammelt, darunter viele Nachbarn. Sie reagierten mit Empörung auf die Kündigung, mit der eine fünfköpfige Familie ihre Wohnung in dem Haus verlieren soll. Grund war ein zivilrechtlicher Streit zwischen den Mietern und den Betreibern der Pizzeria im Erdgeschoss. Weil dadurch der Hausfrieden gestört worden sei, wurde die Kündigung ausgesprochen. In der ersten Instanz hat das Landgericht der Kündigung stattgegeben. Die Mieter haben Berufung eingelegt.

Doch das Bündnis »Zwangsräumungen gemeinsam verhindern« will sich nicht auf den Rechtsweg verlassen. »Vor einen Jahr konnte die Polizei ganz in der Nähe nur unter großen Widerstand die Zwangsräumung gegen Familie Gülbol durchsetzen«, erklärte ein Aktivist. Ihre Kündigung war vom Gericht durch alle Instanzen bestätigt. »Menschen mit geringem Einkommen sollen aus dem Stadtteil verdrängt werden«, meinte ein älterer Mann. Die Reichenbergerstraße 73 ist für ihn genau so ein Beispiel: »In dem Haus haben sich die Mieter in der letzten Zeit gegen falsche Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungen und Kündigungen wehren müssen«. Die Probleme hätten angefangen, als die Familie Brenning das Haus erwarb. Sie besitzt mehrere Immobilien, nicht nur in Berlin. Der Rechtsanwalt Ernst Brenning ist CDU-Politiker und stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender der Schulstiftung Evangelischer Schulen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch eine Immobilie in der Kollwitzstraße 43 gehört ihm. Dort musste Brenning jedoch eine Niederlage hinnehmen: Das Oberverwaltungsgericht hob die Genehmigung für einen Anbau nachträglich auf, weil er zu dicht an den Nachbargrundstücken gestanden hat. Der Neubau musste nach einem jahrelangen Rechtsstreit abgerissen werden.

Auch in Kreuzberg wollen die Mieterinitiativen die Pläne Brennings stoppen. Auf der Kundgebung wurde deutlich, wie viele Menschen in der Gegend Angst vor Verdrängung haben. In zahlreichen Häusern in der Nachbarschaft gibt es Konflikte mit den Eigentümern. So berichteten Bewohner der Reichenbergerstraße 72a, dass in ihrem Gebäude die Zahl der Eigentumswohnungen zunimmt. Viele Mieter seien schon ausgezogen. Eine 65-Jährige aber, die dort seit Jahren wohnt, weigerte sich und hat gerade vor Gericht Recht bekommen. Sie habe vor allem Glück gehabt, erzählt sie, weil die Kündigung so offensichtlich fehlerhaft war.

Die Organisatoren freuten sich über die rege Beteiligung an der Kundgebung. »Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren konnten, ist das ein gutes Zeichen.« Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, sei für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen, rief eine Mieterin unter großen Applaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/923509.kein-durchkommen.html

Peter Nowak

Trommeln gegen Räumung

MIETEN Nach der Kündigung einer fünfköpfigen Familie in Kreuzberg versammeln sich Anwohner und Aktivisten zu einer Kundgebung

Ein Hauch von Vorfrühling wehte am Samstagnachmittag durch die Reichenberger Straße in Kreuzberg. Es wurde getrommelt und jongliert, bei milden Temperaturen saßen viele TeilnehmerInnen auf Bänken und hörten RednerInnen zu: AnwohnerInnen und AktivistInnen des Bündnisses „Zwangsräumung gemeinsam verhindern“ hatten sich zu einer Kundgebung versammelt. Sie hatten mobilisiert, nachdem das Landgericht der Kündigung einer fünfköpfigen Familie in der Reichenberger Straße 73 stattgab (die taz berichtete). Der Grund ist ein zivilrechtlicher Streit mit der Betreiberin einer Pizzeria im Erdgeschoss. Dadurch werde der Hausfrieden gestört, so das Gericht. Die MieterInnen gingen in Berufung.

Doch die Kündigung hat die AnwohnerInnen alarmiert, wie sich auf der Kundgebung zeigte. Ein Redebeitrag ging auf den Eigentümer des Hauses ein, mit dem die gekündigte Familie seit Jahren Konflikte hatte. Der Anwalt und CDU-Politiker besitze mehrere Immobilien in Berlin und Potsdam, so der Redner. Auch BewohnerInnen umliegender Häuser meldeten sich mit Kurzbeiträgen zu Wort. So berichteten NachbarInnen, dass in ihrem Haus die Umwandlung in Eigentumswohnungen voll im Gange sei, viele MieterInnen seien bereits ausgezogen. Eine 65-jährige Bewohnerin habe sich geweigert und kürzlich vor Gericht recht bekommen: Die Kündigung sei fehlerhaft gewesen.

Eine Aktivistin des Bündnisses „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ zeigte sich erfreut über die rege Beteiligung an der Kundgebung. „Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren können, ist das ein gutes Zeichen. Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, ist für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen“.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F10%2Fa0112&cHash=961ad98de2800c268609142845d31ea8

Peter Nowak

Obdachlos mitten in deutschen Städten

Links

[1]

http://www.berlin-eisfabrik.de/

[2]

http://www.taz.de/!124442/

[3]

http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/vg/presse/archiv/20131223.1345.392959.html

[4]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[5]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/polizeieinsatz-im-rathaus-mitte-eisfabrik–protest-gegen-raeumung,10809148,25674782.html

[6]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/kommentar-zur-eisfabrik-in-der-koepenicker-strasse-elendsquartiere-in-berlin,

[7]

http://asylstrikeberlin.wordpress.com/

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/armutszuwanderung-ferber-csu-beim-asylrecht-gibt-es-keinen.694.de.html?dram:article_id=273067

[9]

http://www.lsg.nrw.de/behoerde/presse/Aktuelle_Pressemitteilungen_des_LSG/Hartz-IV_Anspruch_auch_fuer_EU-Buerger_aus_Rumaenien/index.php

[10]

http://www.berliner-zeitung.de/archiv/vor-achtzig-jahren-wurden-die-juden-des-scheunenviertels-opfer-eines-pogroms-es-begann-am-arbeitsamt,10810590,10127312.html

[11]

http://europeandayofactionforhousingrights.wordpress.com/

[12]

http://wirbleibenalle.org/?p=930

[13]

https://www.verdi.de/

[14]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf

Protest wird breiter

MIETEN Wissenschaftler und Privatpersonen wehren sich gegen Zwangsräumung von Familie

Der Protest gegen Zwangsräumungen in Kreuzberg geht neue Wege. Mit einer sogenannten Selbstverpflichtungserklärung haben sich Initiativen und Einzelpersonen bereit erklärt, die Zwangsräumung der Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8 verhindern zu wollen. Weil die Familie bei einer vom Gericht verfügten Mietnachzahlung Fristen versäumt hatte, war ihr vom Hauseigentümer André Franell gekündigt worden.

Der Fall hatte Schlagzeilen gemacht. Ein erster Räumungsversuch musste am 22. Oktober abgebrochen werden, nachdem sich etwa 150 UnterstützerInnen vor dem Hauseingang versammelt hatten (taz berichtete). Die Gerichtsvollzieherin will das nächste Mal mit Polizeibegleitung wiederkommen.

Ein Zeichen setzen

Der Fall hat inzwischen auch Wissenschaftler alarmiert. So will sich die an der Fachhochschule Fulda lehrende Politologin Gudrun Hentges an einer neuerlichen Blockade beteiligen. „Damit will ich ein Zeichen gegen das Steigen der Mieten setzen“, erklärt sie gegenüber der taz. „Davon bin ich auch als Akademikerin betroffen. Ich wohne in Schöneberg in einem Haus, das in zehn Jahren siebenmal verkauft wurde.“

Hentges ist ein Beispiel für das erfolgreiche Netzwerk, das in Kreuzberg gegen Zwangsräumungen geknüpft wird. Andere Unterstützer sind Dirk Behrendt (Grüne), der Autor Raul Zelik, der Kinderzirkus Cabuwazi und die Frauen- und Mädchenabteilung des Fußballvereins Türkiyemspor, die ebenfalls blockieren will. „Dieser Kontakt ist in der Protesthütte am Kottbusser Tor entstanden, in der sich MieterInnen der Initiative Kotti und Co gegen drohende Verdrängung wehren“, sagt Robert Claus vom Türkiyemspor-Förderverein. „Es geht nicht um Kreuzberger Sozialromantik. Es soll sichergestellt werden, dass Menschen mit niedrigen Einkommen weiter hier wohnen können.“

Manuela Bojadzijev hat nicht nur den Einzelfall im Blick. „Mir geht es um die Frage, wie wir in Berlin mit den Folgen der Wirtschafts- und Bankenkrise umgehen“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität.

Dass die Familie Gülbol kein Einzelfall ist, bestätigt David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“. „Seit Ende Oktober melden sich betroffene Familien bei uns, alle mit Migrationshintergrund“, betont er. So soll ein schwerkrankes Seniorenehepaar seine Wohnung in einem Haus der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) in der Lübbener Straße räumen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2012%2F11%2F21%2Fa0146&cHash=4acd645119287420d16b5762c28f286f
Peter Nowak