Eine Stärkung des Selbstbewusstseins der MieterInnen ist das Ziel der Initiative „Eigenbedarf kennt keine Kündigung“ – kurz E3K –, die zur solidarischen Prozessbegleitung aufgerufen hatte. Es handelt sich dabei um eine Selbstorganisation von MieterInnen, die nicht hinnehmen wollen, dass sie ausziehen müssen, nur weil der Eigentümer Eigenbedarf anmeldet.
Lauter Applaus der 12 ZuhörerInnen beendete am Dienstagnachmittag den Prozess um eine Eigenbedarfskündigung vor dem Berliner Landgericht. Zuvor hatte der Anwalt des Eigentümers erklärt, dass er den Widerruf gegen ein Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg zurückziehe. Es hatte die Kündigung zurückgewiesen, weil er den Eigenbedarf des Eigentümers nicht sah. Der plante seit 2019 in seinem Haus in drei Wohnungen ein Mehrgenerationenprojekt mit seiner gesamten Familie.In einer dieser Wohnungen lebte die Mieterin, die ausziehen sollte. Dazu ist sie grundsätzlich bereit, wenn ihr eine gleichwertige Ersatzwohnung zur Verfügung gestellt wird. Die müsse aber in Kreuzberg oder Neukölln liegen, weil sie dort als Gastronomin arbeitet, wie sie betonte. Der Eigentümer beteuerte, …
Am vergangenen Samstag gingen in der Reichenbergstraße 73 in Kreuzberg und in der Corinthstraße 53 im Friedrichshainer Südkiez Hausgemeinschaften und solidarische Nachbarschaften auf die Straße.
Das Problem Eigenbedarfskündigung beschäftigt die Berliner Mieter/innenbewegung zunehmend. Bereits vor einigen Monaten hat sich im Berliner Mietenbündnis die AG „Eigenbedarf kennt keine Kündigung“ gegründet, die betroffenen Mieter/innen mit Rat und Tat zur Seite stehen will.
Der Protest der Mieter/innen gegen Verdrängung kennt keine Pause. Am vergangenen Samstag gingen in der Reichenbergstraße 73 in Kreuzberg und in der Corinthstraße 53 im Friedrichshainer Südkiez Hausgemeinschaften und solidarische Nachbarschaften auf die Straße. Die Corinthstraße 53 gehört zum Bündnis von mittlerweile über 200 Häusern, die sich zusammengeschlossen haben, um sich besser gegen die ….
Ein Urteil zeigt, welche mitunter tödliche Folgen Eigenbedarfskündigungen haben.
Eine erfolgreiche Buchautorin und Kreativdirektorin einer großen deutschen Werbeagentur kauft in Berlin-Mitte mehrere Wohnungen. Eine bewohnt sie, eine zweite in der Torstraße will sie zusätzlich zum Arbeiten nutzen. Nur wusste sie beim Kauf im Jahr 2013, dass dort der Begründer und langjährige Leiter des Dokumentationszentrums „Prora“ Jürgen Rostock bereits seit mehr als 2 Jahrzehnten inmitten seiner großen Bibliothek wohnt und dort seinen Lebensabend verbringen will. 2015 wird Jürgen Rostock mit dem Instrument der Eigenbedarfskündigung konfrontiert. Zwei Jahre später hatte er die Klage verloren:
Die Eigentümerin lehnte daraufhin die Bitte des Seniors ab, die Frist für den Auszug um 12 Monate zu verlängern, damit er mehr Zeit hat, eine neue Wohnung zu finden. In ihrer Begründung wird viel über die Ideologie einer erfolgreichen Vertreterin der kreativen Klasse deutlich. Wer ihnen im Weg steht, muss weichen:
Es sei nicht ungewöhnlich, dass ältere Menschen ihre angestammte Umgebung verlassen müssten, um in eine altersgerechte Wohnung oder ein betreutes Wohnen umzuziehen. Dieses würde von diesen Menschen auch regelmäßig gemeistert, wobei der Beklagte auf hohem Niveau psychisch und intellektuell widerstandsfähig sei, begründet die Wohnungseigentümerin ihr Insistieren auf eine schnelle Räumung.
Katharina Rostock berichtete anschaulich, welche Folgen der drohende Verlust der Wohnung für ihren Vater hatte:
„Ich kann nicht behaupten zu wissen, dass sein plötzlicher Tod im März die Folge der Belastung durch den Rechtsstreit war. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass der Rechtsstreit eine Belastung für ihn war und das ist für einen herzkranken Menschen sehr ungünstig“, beschreibt sie die letzten Wochen seines Lebens. Jürgen Rostock starb Ende März 2018 im Alter von 81 Jahren. Seine Tochter führte am 17. Juli vor dem Berliner Landgericht den juristischen Kampf gegen die Kündigung als Erbin fort. Das Gericht erklärte die Eigenbedarfskündigung mit der Begründung für rechtmäßig, dass wegen des Todes des Mieters kein Grund für einen Härtefall mehr gegeben sei. Wäre Jürgen Rostock nicht gestorben, hätte sich die Richterin den Fall noch mal genau angesehen und unter Umständen anders entschieden.
Keine ethischen Debatten im Gerichtssaal
Gleichzeitig machte die Richterin auch deutlich, dass sie ein hohes Alter durchaus nicht pauschal als Härtefall einstuft. Zudem sorgte sie beim Publikum für Erheiterung, als sie die angeblich sozialen Mieter/innenrechte in Deutschland lobte. Der Fachanwalt für Mietrecht Christoph Müller wies als juristischer Vertreter von Katharina Rostock dagegen vor Gericht eindringlich auf die mitunter tödlichen Folgen der Eigenbedarfskündigungen hin. Nach kurzer Zeit beendete die Richterin den Disput mit der Bemerkung, ethische Diskussionen sollten vor dem Gerichtssaal fortgesetzt werden. Dort sprach Christoph Müller auch die Verantwortung der Politik an. „In Frankreich verhindert seit 2016 ein Gesetz, dass Mieter/innen über 65 Jahre durch Eigenbedarfskündigungen ihre Wohnung verlieren. In Deutschland gibt es bisher keine solche Initiative, weil sich keine Partei mit der Immobilienwirtschaft anlegen will“. Die Wohnungseigentümerin lies über ihren juristischen Vertreter, den Medienanwalt Dominik Höch, erklären: „Ich teile Ihnen mit, dass unsere Mandantin überhaupt keine Stellungnahme abgeben wird. Sie wird auch keine Fragen beantworten.“ So kommt sie auch nicht in Verlegenheit, erklären zu müssen, wie ihr Verhalten mit einem Buch zusammenpasst, in dem sie das einfache Leben feiert und Verzichtstipps gibt. Noch 2017 äußerte sie sich in einem Interview zu ihrem Buch fasziniert von den Tiny Houses und dem Leben auf 6,4 Quadratmeter. Das habe sie zu der Frage geführt, „wie viel Wohnraum man wirklich braucht“.
Lisa L. soll ihre Wohnung in der Neuköllner Leinestraße 6 verlieren, weil sich dort die Wohnungsbesitzerin eine Zweitwohnung einrichten will. Das Amtsgericht Neukölln gab einer Eigenbedarfskündigung der Eigentümerfamilie statt. Dabei haben bei der mündlichen Verhandlung Anfang Juni nicht nur die zahlreichen Prozessbesucher/innen sondern auch die Anwält/innen der Mieterin Lisa S. Zweifel am Eigenbedarf der Wohnungseigentümerin angemeldet. Schließlich hat diese Eigenbedarfskündigung eine Vorgeschichte:
2017 hat Lisa S. von der GbR Leinestraße eine Mieterhöhung erhalten, die sie mit Verweis auf die Mietpreisbremse zurückwies. Sei bekommt vor Gericht Recht. Zudem wird der bestehende Mietpreis gerügt, weil er oberhalb des Mietspiegels liegt. Die Eigentümerin ignoriert die Rüge und meldet Eigenbedarf an. Die mündliche Verhandlung verstärkt die Zweifel an dem Eigenbedarf noch mehr: Die Eigentümerfamilie besitzt ein Einfamilienhaus am Stadtrand von Berlin. Der Ehemann der Eigentümerin erklärte, dass seine Frau manchmal von ihrer Tätigkeit als Anwältin in einer Immobilienfirma abgespannt sei. Deshalb habe man nach einer Wohnung in Berlin-Mitte gesucht. Da man dort nichts gefunden habe, wolle die Familie nun in der Leinestraße 6 eine Zweitwohnung beziehen. Daher soll Lisa S. ausziehen.
Der Mann erklärte auch, dass die Wohnung mehrere Monate im Jahr leerstehen werde. Auf Nachfragen der Mieteranwälte räumte er zudem ein, dass seiner Frau die Hälfte des Wohnhauses in der Leinestraße 6 mit 26 Wohnungen, sowie ein Gewerbeobjekt in Lichtenberg gehören. Auch in der Schönhauser Allee besitzt die Frau gemeinsam mit ihrer Tochter eine Immobilie. Der Ehemann musste sogar einräumen, die Wohnung in der Leinestraße noch nie gesehen zu haben. Dass es dort weder fließend heißes Wasser noch ein Badezimmer gibt, habe er schon gehört, störe ihn aber nicht weiter, weil er vor 30 Jahren auch in einfachen Verhältnissen gewohnt habe, erklärt der Mann. Auf weitere Nachfragen der Mieteranwälte zu der finanziellen und Situation der Familie reagierte er gereizt und erklärte, keine weiteren Fragen dazu mehr beantworten zu wollen.
Mieterin ging an die Öffentlichkeit
Nach der mündlichen Verhandlung hatten viele Prozessbesucher/innen die Hoffnung, dass das Gericht werde die Eigenbedarfsklage zurückweisen. Doch sie hatten sich getäuscht. Die Richterin gab der Klage mit der Begründung statt, dass der Eigenbedarf glaubwürdig vorgetragen worden sei. Enttäuscht war die Initiative Solidarische Aktion Neukölln, die die Mieterin bei dem Prozess begleitet hat. Beim Prozess waren mehr als 70 Interessierte, darunter viele Nachbar/innen anwesend, so dass das Verfahren in einen größeren Saal verlegt werden musste. Auch zur Urteilsverkündung, die in der Regel ohne jedes Publikum verläuft, waren wieder 10 Nachbar/innen vor Ort, was die Richterin in Erstaunen versetzte.
Ein Mitglied der Solidarischen Aktion äußerte gegenüber MieterEcho Online, dass man Lisa S. weiter unterstützen werde, wenn sie sich entschließt, weiter gegen ihre Kündigung zu kämpfen. Es sei sehr positiv zu bewerten, dass sie die Kündigung nicht einfach hingenommen habe, sondern damit an die Öffentlichkeit gegangen sei. Schon lange ist bekannt, dass Eigenbedarfskündigungen zunehmend ein Instrument von Eigentümer/innen werden um Mieter/innen aus der Wohnung zu bekommen. Die Zahl der vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen hat in den letzten Jahren zugenommen. Auch Sven Fischer, der sich seit Jahren erfolgreich gegen seine Verdrängung aus der Kopenhagener Straße 46 wehrt, gehörte zu den Prozessbesuchern. Er befürchtet, demnächst ebenfalls eine Eigenbedarfskündigung zu bekommen. „Da sind keine Schlupflöcher für Vermieter in den Gesetzen, sondern Scheunentore“, war sein Kommentar.