Mieterinitiativen und ein Bündnis protestieren gegen Zwangsräumung in Kreuzberg
Im beschaulichen Berliner Westen dürfte es heute unruhig werden. Mieterinitiativen und das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« rufen zu einer Kundgebung vor dem Büro der Falstaf Vermögensverwaltung AG in der Schlüterstraße 4, Stadtteil Charlottenburg, auf.
»Ob Nuriye, ob Kalle, wir bleiben alle«, so heißt das Motto. Damit soll Nuriye Cengiz unterstützt werden, der demnächst die Zwangsräumung droht. Sie sollte die Wohnung am Maybachufer 18 bis zum 30. April räumen. Die fristlose Kündigung wurde juristisch in zwei Instanzen bestätigt. Frau Cengiz hat mittlerweile Berufung beim Berliner Landgericht eingelegt.
Aber Nuriye Cengiz hat sich nicht nur auf den Rechtsweg verlassen. Auf handgeschriebenen Plakaten, die sie in die Fenster ihrer Parterrewohnung klebte, informierte sie die Passanten über ihre drohende Räumung und ihren Widerstand: »Ich gehe hier nicht lebendig raus«, heißt es da. Und: »Ich bleibe hier, ich bin schwer krank.«
Diese Botschaften lasen auch zwei Mitglieder der Berliner »Kampagne gegen Zwangsumzüge«, die sich 2005 gegründet hat, um Erwerbslose zu unterstützen, die nach der Einführung von Hartz IV wegen zu hoher Mieten umziehen sollen. Sie nahmen sofort Kontakt mit der Mieterin auf und daraus ist das Solidaritätskomitee entstanden.
»Ich habe schon immer gegen Ungerechtigkeit gekämpft«, begründete Nuriye Cengiz ihre Plakataktion. Die Metallarbeiterin hat sich als Betriebsrätin gegen niedrige Löhne eingesetzt. Auch im Mieterbeirat hat sie sich schon engagiert. Nachdem sie krank wurde und nach 30-jähriger Berufstätigkeit in Rente ging, wollte sie sich eigentlich zur Ruhe setzen. Daher war sie froh, dass sie 2005 nach langer Suche die behindertengerechte Wohnung am Maybachufer gefunden hatte. Doch mittlerweile liegt das Haus in einer Gegend, in der aus Kreuzberg der angesagte Szenebezirk »Kreuzkölln« wurde. Den Aufwertungsdruck bekam auch Frau Cengiz zu spüren. Nachdem das Haus 2008 von der Falstaf Vermögensverwaltung übernommen wurde und die Anschlussförderung wegfiel, begannen die Mietsteigerungen. »Plötzlich sollte ich für meine 47 Quadratmeter große Wohnung statt 386 Euro 638 Euro zahlen«, sagt die Frau. Die meisten Mieter zogen aus, und es entstanden teure Eigentumswohnungen.
Nur Cengiz entschloss sich zum Widerstand. Die neuen Nachbarn waren von den Plakaten an den Fenstern gar nicht begeistert. Doch durch die Unterstützung der Mieteraktivisten hat sie wieder Mut geschöpft. Oft ist sie im nahen Camp am Kottbusser Tor zu Besuch, wo sich seit Ende Mai Mieter aus Protest gegen hohe Mieten niedergelassen haben. Auch sie unterstützen die Kundgebung.
»Frau Cengiz kämpft exemplarisch für viele Mieter, die nicht mehr wissen, wie lange sie noch ihre Miete bezahlen können«, erklärt ein Sprecher der Initiative »Zwangsräumung verhindern«. Sollte es zu einem Räumungstermin kommen, will sie dieses Motto umsetzen. Dabei sehen die Aktivisten ihr Vorbild in Ländern wie Spanien. Dort haben im Zuge der Krise tausende Menschen ihre Wohnungen verloren, und Blockaden gegen Wohnungsräumungen sind mittlerweile an der Tagesordnung.
Die Polemik zwischen Eurogruppenchef Juncker und führenden Unionspolitkern ist ein Indiz für die Zuspitzung der Krise
Lange Zeit galt Eurogruppenchef Jean Claude Juncker als Verbündeter der deutschen Bundesregierung in der Euro-Krise. Er sucht nicht nur auf Fotos immer wieder demonstrativ die Nähe zu Mitgliedern der Bundesregierung. Auch in der Disziplinierung der europäischen Peripherie schien es wenige Unterschiede zu geben. Doch jetzt ist ausgerechnet ein Streit unter den ehemaligen Verbündeten ausgebrochen.
Anlass war ein Interview Junckers in der Süddeutschen Zeitung, wo er vor einem Zerfall der Eurozone warnt. Die Welt rede darüber, ob es in einigen Monaten die Eurozone noch gibt, Juncker folgerte:
„Wir müssen jetzt mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten.“
Hätte er es dabei belassen, hätte das Interview wohl in Deutschland kaum so viel Aufmerksamkeit erregt. Doch Juncker sparte auch nicht mit Kritik an der deutschen Politik und nahm sich vor allem Politiker aus Union und FDP vor, die Griechenland einen Austritt aus der Eurozone nahe legen. „Nur um einen billigen innenpolitischen Diskurs zu unterstützen, sollte man den Austritt nicht mal als Hypothese behandeln“, moniert Juncker. Und er wurde noch deutlicher:
„Wieso eigentlich erlaubt sich Deutschland den Luxus, andauernd Innenpolitik in Sachen Eurofragen zu machen? Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale? Wenn das alle 17 Regierungen machten, was bliebe dann übrig von dem was uns gemeinsam ist. Warum ist das so?“
Nun wird sich der sowohl ökonomisch versierte als auch mit den europäischen Machtverhältnissen vertraute Juncker diese Fragen selber beantworten können. Sie sind ein Indiz für die zunehmende Nervosität in Kerneuropa, die eben nicht zu einem Schulterschluss, sondern zu einem Streit verschiedener Machtgruppen führt.
Kann sich Juncker am „Rettungssanitäter Deutschand“ leisten?
Der Fehdehandschuh wurde in Deutschland sofort aufgegriffen. Die CSU-Politiker Alexander Dobrinth und Horst Seehofer griffen den Fehdehandschuh umgehend auf und zweifelten daran, ob Juncker auf den Posten noch der Richtige sei. Dabei ist die Wortwahl der beiden Politiker einer deutschen Regierungspartei interessant.
„Wenn man jetzt dem Rettungssanitäter die Schuld in die Schuhe schiebt für den Unfall, dann zeigt das einfach, wie verdreht die Welt an dieser Stelle ist“, moniert Dobrinth und stellt damit deutlich klar, wie er und viele andere Politiker der Regierungskoalition die Machtverhältnisse in Europa sehen. Der Retter Deutschland steht außerhalb jeder Kritik.
Die gab es freilich schon lange. Seit Monaten erinnern Ökonomen, soziale Initiativen und auch Politiker vor allem aus den südeuropäischen Staaten daran, dass die Wirtschafts- und Niedriglohnpolitik Deutschlands das zentrale Problem in der Eurozone ist. Diese Kritik hat man im politischen Berlin aber weitgehend ignorieren können. Doch nun hat die Verschärfung der Krise den Streit in das sogenannte Kerneuropa getragen, für das zu sprechen die deutsche Politik immer beansprucht hat. Die Auseinandersetzung wird die Krise schon deshalb vergrößern, weil natürlich die berühmten Märkte einen solchen Streit als Ausdruck der Krise sehen und entsprechen reagieren.
Doch das Problem liegt tiefer. Es sind die Konstruktionsfehler der Eurozone, in der wirtschaftlich nicht kompatible Ökonomien zusammengebracht wurden, um auf dem Weltmark gegen China und die USA zu konkurrieren. Es ist das kapitalistische Wertgesetz, dass sich hier gegen die Politik Geltung verschafft. In der Krise fällt nun den Politikern allen Parteien nur ein, hinter ihrem heimischen Standort in Deckung zu geben. Schließlich leben dort ihre Wähler. Dabei müsste jeder europäische Politiker, der es ehrlich meint, das Scheitern dieses gegen jede ökonomischen Gesetze zusammengebastelten Euromodells konstatieren und Modelle einer Rückabwicklung, ohne nationalistische und populistische Anwandlungen gemeinsam mit der Bevölkerung entwickeln
Aber so viel Mut zur Ehrlichkeit fehlt allen Politikern und daher fällt ihnen in der voraussehbaren kritischen Situation nur die Zuflucht zu Populismus und zur Verteidigung ihres jeweiligen Heimat-Standortes ein. Daher dürften wir noch viele solcher Auseinandersetzungen erleben. Auch die sozialen Initiativen, die Modelle für ein soziales Europa entwickeln und dies auch in praktischen Auseinandersetzungen durchsetzten müssten, scheinen im deutschen Sommerloch verschwunden. Derweil bleiben die wenigen sozialen Kämpfe gegen die Eurokrisenpolitik hoffnungslos isoliert.
Es ist bezeichnend, dass die Meldung, wonach griechische Stahlarbeiter nach massiver Polizeirepression jetzt ihren monatelangen Streik aufgeben mussten, nicht auf der Homepage der diversen Krisenbündnisse, sondern des Flugladens wahrgenommen wurde. Die Botschaft an die Zielgruppe ist klar. Auf der Titanic-Eurozone geht die Party weiter bis zum Untergang und die Crew streitet sich . derweil, wer die letzten Rettungsboote losbindet. Fragt sich nur, wer drin sitzen wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152495
Peter Nowak
In mehreren europäischen Ländern gab es am Wochenende Proteste gegen ein EU-Überwachungsprogramm, das vor 2 Jahren gestartet ist
Es war eine überschaubare Anzahl von Menschen, die am Samstagmittag in Berlin Transparente und Schilder mit der Forderung „Stoppt INDECT“ trugen und für viel Verwunderung bei den Passanten sorgten. Schließlich ist der Begriff noch wenig bekannt. Es ist eine Abkürzung für „Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment“. Dabei handelt es sich um ein vernetztes Überwachungsprogramm, für das die EU fast 15 Millionen Euro bereit stellt. Die Demonstration fand im Rahmen des ersten europäischen Aktionstages gegen INDECT statt. Aktionen gab es vor allem in Tschechien, Frankreich und in einem Dutzend Städten in Deutschland. „Wir wollten mit dem Aktionstag INDECT zunächst einmal in der Öffentlichkeit bekannt machen. Daher haben wir auch gar nicht mit einem Massenandrang gerechnet“, meinte ein Berliner Mitorganisator. Er ist aber optimistisch, dass sich in den nächsten Wochen der Protest verstärkt. „Auch der Widerstand gegen Acta begann mit Demonstration von wenigen Menschen“, erinnerte der Aktivist an eine erfolgreiche Kampagne.
Wie bei Acta ist auch bei INDECT die Hackergruppe Anonymous am Protest beteiligt. Allerdings gibt es auch wesentliche Unterschiede zu Acta. Bei INDECT handelt es sich um ein europäisches Forschungsprogramm, dass schon 2009 startete und im nächsten Jahr abgeschlossen sein soll. Der Protest beginnt also in der letzten Phase. Schon seit mindestens 2009 sind wichtige Dokumente auf Wikileaks zu finden und seit dieser Zeit haben die Medien auch darüber berichtet, ohne dass es zu einer besonderen öffentlichen Resonanz kam (Totalüberwachung der realen und virtuellen Räume, Fliegende Kameras für Europas Polizeien).
Wunschtraum der Sicherheitspolitiker
Ein Grund dafür könnte sein, dass mit Begrifflichkeiten wie „Orwells 1984″ oder “ Science Fiction wird Realität“ eher Ohnmacht als Widerstandswillen erzeugt wird. Zudem ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass große Teile der Bevölkerung mit Kriminologen und Sicherheitspolitikern die Utopie einer Gesellschaft teilen, in der abweichendes Verhalten schon im Vorfeld erkannt und gegebenenfalls sanktioniert werden kann. Genau darum geht es bei dem Programm. Videokameras, die in Kombination mit Drohnen Menschen über einen längeren Zeitraum verfolgen, Computerprogramme, die Gesichter automatisch wieder erkennen und die abweichendes Verhalten schon an der Mimik oder der Handbewegung erkennen, bevor es ausgeführt wird.
Zum Forschungsprogramm gehören Methoden der Internetüberwachung mit Hilfe von Suchmaschinen, das Auffinden von Bildern und Videos mit Hilfe von Wasserzeichen, sowie die Erkundung von automatisierte Suchroutinen zum Aufspüren von Gewalt oder „abnormalem Verhalten“. Zudem soll eine Computerlinguistik weiterentwickelt werden, die i Beziehungen zwischen Personen sowie den Kontext einer Unterhaltung in Chats mit einzubeziehen soll.
Die Organisatoren von INDECT verweisen auf eine Ethikkommission, die dafür sorgen soll, dass die Bürgerrechte beachtet werden. Datenschützer haben schon mehrmals weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Kritik an INDECT geübt. Auch der AStA der Universität Wuppertal, die sich in Deutschland neben den Unternehmen Tec DATA und PSI Transcom an den Forschungsprojekt beteiligt, hat schon dagegen protestiert. Allerdings ist INDECT nur ein von der EU gefördertes Überwachungsprogramm, es gibt noch weitere: Die Großen Brüder von INDECT.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152492
`Peter Nowak
Konferenz zum Feuertod des Asylbewerbers
Seit sieben Jahren kämpfen Flüchtlingsorganisationen darum, den Tod von Oury Jalloh aufzuklären. Am Samstag haben sie auf einer Berliner Konferenz eine kritische Bilanz der bisherigen Ermittlungen gezogen.
Im Münzenberg-Saal des nd-Gebäudes hängen zahlreiche Fotos. Sie zeigen die Gesichter von Christy Schwundeck, Ousyman Sey und Oury Jalloh. Darunter, die Daten ihres Todes. Es handelte sich um Menschen ohne deutschen Pass und ohne weiße Hautfarbe. Alle sind in den letzten Jahren durch Schüsse aus Polizeipistolen oder in Polizeigewahrsam umgekommen. Der bekannteste dieser Fälle ist der von Oury Jalloh, der im Januar 2005 in der Zelle einer Dessauer Polizeistelle verbrannte.
Zweifel an den Todesumständen
Die beiden Anwälte Gabriele Heinecke und Philipp Napp, die als Verteidiger der Nebenkläger in das Verfahren involviert sind, hatten es nicht leicht, den juristischen Sachverhalt den über 100 Besuchern des Kongresses plausibel zu erklären. Die Anklage wirft dem Polizisten Andreas S. vor, Jalloh zu spät zu Hilfe gekommen zu sein. Sie ist bisher davon ausgegangen, dass er mit einem Feuerzeug, das bei der Leibesvisitation nicht entdeckt wurde, die Matratze, auf der er gefesselt lag, selbst angezündet habe.
Es mehren sich die Zweifel an dieser Version. So wurden an dem Feuerzeug weder DNA-Spuren von Jalloh noch andere Hinweise gefunden, die belegen, dass es sich bei Ausbruch des Brandes in der Zelle befand. Damit gewinnt die von Unterstützergruppen vertretene Version an Bedeutung, dass das Feuer von noch unbekannten Personen gelegt wurde. Da der angeklagte Polizist dafür nicht infrage kommt, weil er ein Alibi für die Zeit des Brandbeginns hat, muss er freigesprochen werden. Am Ende würde dann festgestellt, dass die Umstände des Brandes nicht geklärt werden konnten.
Für Heinecke wäre ein solcher Ausgang des Prozesses ein Erfolg. »Damit wäre der Raum geöffnet, für neue Ermittlungen in alle Richtungen«, betonte sie. Da sich die Justiz nicht vorstellen kann, dass ein Polizeibeamter für den Brand verantwortlich sein könnte, wurde eine Brandstiftung des Flüchtlings als die einzige Möglichkeit angesehen.
Jalloh ist kein Einzelfall
Vertreter von Flüchtlingsorganisationen sahen den Tod von Jalloh als Beispiel für die Fortdauer kolonialistischer Gewalt und zogen Parallelen zu anderen Fällen. So erinnerte ein Aktivist aus Frankfurt am Main an den Tod der in Afrika geborenen Christy Schwundeck, die vor mehr als einem Jahr in einem Jobcenter von einer Polizistin erschossen wurde. Obwohl sie mehr als zwei Meter entfernt stand, wurde auf Notwehr erkannt. Anklage wurde nicht erhoben.
Erst vor wenigen Wochen rief Ousyman Sey einen Arzt. Er gab an, gesundheitliche Probleme zu haben. Statt dessen nahm ihn die Polizei fest. In Polizeigewahrsam starb Sey an Herzversagen. Auch in seinem Fall forderten die Initiativen eine vollständige Aufklärung. Es ist fraglich, warum ein Mann, der um ärztliche Hilfe bat, in Handschellen gefesselt sterben musste.
Auf der Konferenz wurde deutlich, dass auch die Angehörigen der Opfer leiden. So zum Beispiel die kürzlich an Herzinfarkt verstorbene Mutter von Jalloh, die sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten hatte und sich um Gerechtigkeit für ihren verstorbenen Sohn bemühte.
Peter Nowak
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233910.oury-jalloh-rassismus-mit-todesfolge.html
Peter Nowak
Nicht nur in Deutschland hat die Debatte über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone an Fahrt gewonnen
Als kürzlich Berlins Vizekanzler Philipp Rösler wieder einmal laut über einen Austritt Griechenlands aus der EU-Zone redete, wurde von einigen SPD-Politikern dessen Rücktritt gefordert. Er habe mit seinem unverantwortlichen Geschwätz mit dazu beigetragen, dass nun auch Deutschland von den Ratingagenturen abgewertet wurde, lautete die ganz auf den Standort bezogene Kritik der Sozialdemokraten. Denn für die Interessen der griechische Bevölkerung einzutreten, könnte ja wieder fast als Vaterlandsverrat gewertet werden – und davor haben besonders deutsche Sozialdemokraten große Angst.
Da brauchte vor einigen Wochen der FDP-Wirtschaftslobbyist Brüderle das V-Wort nur kurz in den Mund zu nehmen, als manche Sozialdemokraten nach dem Wahlsieg des französischen Parteifreunds Hollande zu forsch gegenüber der Bundesregierung auftraten. Und schon waren sie wieder kleinlaut. Als vor wenigen Tagen nun der bayerische Finanzminister Markus Söder Rösler noch überbot und einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als fast unabwendbar bezeichnete, kam denn auch von der SPD keine große Resonanz. Sie haben mittlerweile längst mitbekommen, dass Griechenland-Schelte und EU-Kritik populär ist.
Schon längst gibt es Bestrebungen, bei den nächsten Wahlen mit einer populistischen Partei der EU-Kritiker anzutreten. Noch sind sich die beteiligten Personen nicht ganz einig, aber es sieht so aus, als liefe es auf die Kandidatur der Freien Wähler hinaus. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sie damit das politische Koordinatensystem in Deutschland durcheinanderbringen könnte. Besonders betroffen davon während die aktuellen Regierungsparteien. So kann die Intervention von Rösler und Söder auch als ein vorgezogener Wahlkampf betrachtet werden. Es ist klar, dass die EU-Politik dort eine zentrale Rolle einnehmen wird.
Schließlich sind Söder und Rösler in Europa nicht alleine mit der Forderung nach einem schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Die Regierung von Lettland hat diese Forderung bereits gestellt. Wenig überraschend war, dass sich der als EU-Kritiker bekannte tschechische Präsident Klaus es sich nicht nehmen ließ, sich ebenfalls in dieser Frage zu Wort melden. Er forderte in einem Beitrag im Handelsblatt nicht nur einen schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, sondern auch einen Abschied von der sozialen Marktwirtschaft und von grünen Utopien.
Schrankenloser Kapitalismus ohne Sozialklimbim
Mit seinem Bekenntnis zum schrankenlosen Kapitalismus ohne Sozialklimbim und Umweltauflagen ist er sich auch mit den Politikern einig, die Griechenland in der Eurozone halten wollen Schließlich werden im Windschatten der Krise europaweit Arbeits- und Gewerkschaftsrechte abgebaut. Darauf haben Isabelle Schömann und Stefan Clauwaert in einer im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsinstituts verfassten Studie mit dem Titel Arbeitsrechtsreformen in Krisen – eine Bestandsaufnahme in Europa kürzlich hingewiesen.
EU-Politiker wie Barroso wollen am Beispiel Griechenland deutlich machen, wie weit man die Wirtschaft eines Landes deregulieren kann. Das soll natürlich ein Pilotprojekt für andere EU-Länder werden. Klaus, Rösler und andere wollen das Exempel eher im Rausschmiss Griechenlands sehen. An der Deregulierung im Interesse des Kapitals haben beide Fraktionen keine Kritik. „Mit dem bisherigen Krisenmanagement wird die Chance vertan, Europa sozial und nachhaltig aufzubauen“, so der Befund von Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand im Vorwort der erwähnten Studie des Gewerkschaftsinstitut. Die Studie ist allerdings auch eine Herausforderung an die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen. Doch die sind hierzulande kaum präsent, weder in der Griechenlanddebatte noch in der Solidarität in einer sich gerade ausweitenden sozialen Bewegung in Spanien.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152480
Peter Nowak
»Gewerkschaften und Studierende: Passt das überhaupt zusammen? Wir meinen schon.« Diese Überzeugung der Freiburger DGB-Hochschulgruppe ist noch im Internet zu finden. Doch mittlerweile muss man sich die Frage stellen, ob eine emanzipatorische studentische Politik und der DGB-Apparat zusammenpassen. Denn der DGB-Südbaden hat die Campusgruppe aufgelöst, nachdem diese ein Sprecherduo gewählt hatte, ohne den zuständigen DGB-Sekretär Jan Wieczorek um Erlaubnis zu bitten. Zudem hatte die gewerkschaftlich orientierten Studierenden nach Angaben eines Gruppenmitglieds beschlossen, dass der DGB-Sekretär nicht mehr Rederecht als andere in der Gruppe haben soll.
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Der Konflikt kündigte sich an, als Wieczorek einen von der Campusgruppe vorbereiteten Flyer, der in satirischer Form die prekären Beschäftigungsverhältnisse an der Uni aufspießte, ablehnte, weil er »in dieser Form dem DGB schadet«. Nähere Begründungen erhielt die Unigruppe nach Angaben eines Mitglieds nicht.
In einem Gespräch mit dem Freiburger Radio Dreyeckland verteidigte der DGB-Vorsitzende Südbaden-Hochrhein Jürgen Höffin die Auflösung vehement. Er sieht auch nachträglich keinen Raum für ein von den Studierenden vorgeschlagenes klärendes Gespräch. Auch einen Offenen Brief der Gruppe wollte er nicht beantworten. Schließlich habe er einzelnen Mitgliedern den Standpunkt des DGB klar vermittelt. Die Campusgruppe habe sich mit der eigenmächtigen Wahl ihrer Sprecher nicht an die Grundsätze des DGB gehalten, die im übrigen auch für Erwerbslosen- und Seniorengruppen des DGB gelten. Es könne schließlich nicht angehen, dass jedes studentische DGB-Mitglied eine Gruppe unter diesem Label gründe.
Ob der DGB-Apparat gut beraten ist, die wenigen überzeugten Gewerkschafter an den Hochschulen abzuwürgen? Studierende, die sich am Campus für den DGB einsetzen, sind eine absolute Minderheit. Dabei wäre angesichts der prekären Arbeitsbedingungen dort eine kämpferische Gewerkschaftspolitik notwendig. Wäre es nicht eine gute Gelegenheit, die auch im DGB diskutierten Grundsätze von Selbstermächtigung und Basisdemokratie einfach umzusetzen?
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233706.schlecht-beraten.html
Peter Nowak
Mathias Bartelt ist Student und Mitglied des Akademischen Senats (AS) der FU Berlin Der Akademische Senat der Freien Universität (FU) Berlin hat dem künftigen Verfassungsschutz-Chef Georg Maaßen eine Honorarprofessur verweigert. Eine studentische Initiative hat jetzt trotzdem eine Petition gestartet. Warum ist diese noch nötig, wenn die Entscheidung gegen Maaßen ausgefallen ist?
Wir haben die Initiative gestartet, nachdem Maaßen in Zeitungsinterviews erklärt hatte, er könne sich eine Kandidatur vorstellen, wenn sich die Mehrheitsverhältnisse im Akademischen Senat geändert haben.
Wie realistisch ist das? Das ist durchaus möglich, denn die momentane rechnerische Stimmverteilung im Akademischen Senat der FU stellt zum Teil eine Ausnahme dar, weil Listen aus formalen Gründen nicht antreten konnten. Meist war der Akademische Senat in den vergangenen Jahren von einer konservativen Mehrheit geprägt. können sich immer ändern. Ich bin sicher, dass Herr Maaßen so etwas im Hinterkopf hatte.
Warum halten Sie Georg Maaßen für eine Honorarprofessur an der FU-Berlin nicht geeignet? M.B.: Maaßen war als Beamter im Innenministerium mit verantwortlich für die menschenunwürdige Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Als Ko-Schriftleiter und Autor der Zeitschrift „Ausländerrecht und Ausländerpolitik“ hat er sich dort und in anderen Publikationen stets als „Hardliner“ präsentiert, der auch darüber sinnierte, dass verdächtigen Muslimen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden müsste, was ganz klar grundgesetzwidrig ist.
Maaßen ist zudem mitverantwortlich für die Verweigerung der Einreisegenehmigung des vier Jahre unschuldig im US-Lager Guantanamo Bay festgehaltenen Mannes. Wir halten solche Positionen mit einer Honorarprofessur einer Institution, die in einer kritischen wissenschaftlichen Tradition steht, für unvereinbar.
Welche Gruppen haben im Senat gegen die Berufung Maaßens gestimmt?
Als Mitglied des AS darf ich zu Personal-Vorgängen im AS keine Angaben machen.
Worauf stützt sich diese Geheimtuerei bei der Personalentscheidung einer Hochschule? Im Berliner Hochschulgesetz ist festgeschrieben, dass Personalangelegenheiten geheim sind.
Ist eine solche Geheimhaltung in einer Zeit, , wo so viel von Transparenz geredet wird, nicht anachronistisch? Wir kritisieren diese Geheimhaltungspolitik, die im übrigen nicht nur bei der Professurenberufung praktiziert wird. Auch bei der Diskussion um die neue Grundordnung der Hochschule hat die Fraktion des Hochschulpräsidenten durchgesetzt, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden muss.
Was soll mit der Petition geschehen? Sie kann in den nächsten 6 Monaten unterzeichnet werden und richtet sich an die Fachbereiche und die Hochschulgremien. Mitten in den Semesterferien läuft die Unterzeichnung natürlich langsam an. Wir wollen dazu beitragen, dass nach Semesterbeginn auch mit Veranstaltungen und Aktionen eine Debatte hierüber entsteht.
Die Kritik an einer scheinbar belanglosen Änderung im Steuerrecht mit möglicherweise großen Folgen wächst
Bislang konnten betroffene Organisationen im Falle einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ihre Gemeinnützigkeit vor dem Finanzamt oder durch eine Klage vor dem Finanzgericht nachweisen. Durch die geplante Gesetzesänderung ist ihnen diese Möglichkeit künftig verbaut. Es bleibt nur eine zeitaufwendige Klage vor einem Verwaltungsgericht gegen die Nennung im Verfassungsschutzbericht (Steuerrecht als Verfassungsschutz?). Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen fordern daher die Bundestagsabgeordneten auf, dem Jahressteuergesetz 2013 die Zustimmung zu verweigern; in dem Aufruf der Kritiker heißt es:
„Mit dem vorgelegten Gesetz will die Bundesregierung die Abgabenordnung (AO) so ändern, dass Organisationen, die in einem Verfassungsschutzbericht im Zusammenhang mit Extremismus genannt werden, die Gemeinnützigkeit ohne Prüfung entzogen wird (§ 51, Absatz 3, AO). Damit würde dem Verfassungsschutz ermöglicht, de facto über den Fortbestand gemeinnütziger Organisationen zu entscheiden.“
Stärkung des VS im Windschatten des NSU-Skandal
Die innenpolitische Sprecherin der Linken Ulla Jelpke stellt einen Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion über die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Skandal her: „Dass nach dem Willen der Bundesregierung zukünftig ausgerechnet die Versager vom Verfassungsschutz mit ihren politischen Einschätzungen gemeinnützige Vereine finanziell ausbluten können, ist politisch und rechtlich bedenklich“, erklärt die Parlamentarierin .
Erstaunlicherweise übernimmt Jelpke mit dem Begriff des Versagens eine aktuell sehr weit verbreitete Version der Rolle des Verfassungsschutzes. Es gibt allerdings durchaus Kritiker dieser Lesart. Zudem ist die Kehrseite des Versagens dann ein rekonstruierter und eben effektiver Verfassungsschutz. Daher ist es kein Widerspruch, dass im Windschatten der NSU-Debatte Pläne für eine Verstärkung der Behörden diskutiert wird. Ulla Jelpke, die dagegen für eine Auflösung eintritt, müsste eigentlich die These vom Versagen der Dienste kritischer betrachten.
Die Bundesregierung hat in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Jelpke ihre Pläne noch einmal bekräftigt, mit dem Steuerrecht gegen angebliche Extremisten vorzugehen. In der Antwort an die Linken bekräftigte ein Sprecher der Bundesregierung, dass sie weiter zu einer Antwort auf eine Anfrage der FDP vom Jahr 2008 steht.
„Nach den Grundsätzen unseres Rechtsstaats reicht ein Verdacht oder eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch nicht für eine Sanktion – hier: Aberkennung der Gemeinnützigkeit – aus.“
Die Organisation müsse vom VS ausdrücklich als extremistisch bezeichnet worden sein, um die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Jelpke weist mit Recht darauf hin, dass es sich hier bei um keinen definierten Rechtsbegriff, sondern um einen Kampfbegriff handele. Manche Kritiker dieser geplanten Klausel hoffen darauf, dass die FDP ihr bürgerrechtliches Engagement entdeckt und die Extremismusklausel aus dem Steuerrecht entfernt.
Der Aktionskünstler Philipp Ruch über eine Initiative gegen Eigentümer des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei
nd: Wie kamen Sie auf die Idee, die Panzerfamilie im Fall von Krauss-Maffei an die Öffentlichkeit zu bringen?
Philipp Ruch: Durch einen Auszug des Handelsregisters und entsprechende Vorrecherchen wurde uns klar: Das ist keine kleine Sache, wenn ein Bundesvorstand der Humanistischen Union, eine Berufsschullehrerin, eine Fotografin und ein Künstler aus der Pfalz sich hinter bürgerlichen Fassaden und schöngeistigen Engagements verstecken und nebenher von Millionengewinnen aus schmutzigen Waffendeals leben. Wir wollten den Eigentümern keine andere Wahl lassen, als in den Spiegel zu sehen und sich nach delphischem Muster zu erkennen. Einer der Waffenhändler hielt das für einen Angriff auf seine »Reputation und Integrität«. Nun ist ihm klar geworden, dass er diesen Angriff jahrzehntelang selbst geführt hat – nicht wir.
Wer steckt hinter der Gruppe Zentrum für politische Schönheit?
Wir sind ein Thinktank, der versucht, die Eigentümer des größten deutschen Panzerkonzerns auf den richtigen Weg zu bringen. Geschäfte wie das mit Saudi-Arabien darf es nie wieder geben. Dafür tragen die Eigner die Verantwortung und dafür wollen wir sie auch zur Verantwortung ziehen. Wir haben zehn Aktionen ausgearbeitet und wieder verworfen, bis wir zu der Form gelangt sind, die Sie jetzt betrachten können. In einer früheren Fassung wollten wir die Eigentümer entführen. Wir haben auch tatsächlich nach einer neuen Beate Klarsfeld gesucht.
Warum haben Sie auch das Privatleben der Eigentümer in Ihre Kampagne einbezogen?
Händler, die von Waffengeschäften in Milliardenhöhe leben, müssen dazu stehen, wenn sie die Gewinne kassieren wollen. Sie können und dürfen sich nicht hinter gesellschaftlichen Engagements verstecken und nebenher mit ihren Produkten eine der schlimmsten Diktaturen der Welt aufrüsten. Das war unser vorrangiges Ziel. Dass darüber hinaus die nächsten Bekannten und Weggefährten der Waffenhändler nichts von den Einkommensquellen der Eigentümer wussten, war ein großes Glück. Wir hoffen, dass der Saudi-Arabien-Deal schon daran scheitern wird.
Es wird kritisiert, Ihre Aktion stelle Menschen an den virtuellen Pranger und lade zur Denunziation ein.
Diese Kritik nehmen wir ernst. Für Denunziationen braucht es einen Unrechtsstaat oder allgemein ein dysfunktionales Rechtssystem. Wir glauben aber an das deutsche Recht, das u.a. die Freiheit der Kunst, sich auch mit Waffenhändlern intensiv auseinanderzusetzen, schützt. Wir haben nur »Denunzianten« gesucht für strafrechtlich relevante Vergehen. Wenn eine Person mit ihrem Vermögen Steuern hinterzieht, sollte sie dafür auch rechtmäßig in Haft kommen. Es war nicht unser Ziel, Reputation zu beschädigen, sondern es wurden öffentlich zugängliche Informationen zusammengetragen, wodurch falsche Reputationen automatisch verschwanden. Ansonsten müssten wir auch vom Handelsregisterpranger sprechen.
Welche juristischen Folgen kommen jetzt auf Sie zu?
Die Waffenindustrie ging mit Staranwälten gegen uns vor. Zunächst erwirkte Krauss-Maffei Wegmann über den größten Eigentümer Rüdiger von Braunbehrens eine Unterlassungserklärung gegen unser Projekt. Vergangenen Dienstag veröffentlichten wir eine interne E-Mail des Künstlers und Waffenhändlers Burkhard von Braunbehrens. Zwei Tage darauf setzte er uns eine knappe Frist von mehreren Stunden, die E-Mail zu löschen.
Wie wollen Sie weiter vorgehen?
Es kann nicht angehen, dass reiche Waffenhändler uns verklagen. Wir brauchen dringend Spenden für den juristischen Gegenschlag. Die können eingezahlt werden auf ein Konto der GLS Bank. Kontoinhaber: Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V., Konto Nr. 1115471800, BLZ: 43060967
http://www.neues-deutschland.de/
artikel/233278.waffenhaendler-verstecken-sich-hinter-buergerlicher-fassade.htm
Interview: Peter Nowak
Mit Bankenbashing versucht sich SPD-Chef Gabriel von Merkel abzusetzen und innerparteilich in Stellung zu bringen
Eigentlich ist die SPD in den letzten Wochen kaum präsent. Einige ihrer Spitzenpolitiker werfen Bundeskanzlerin Merkel zwar regelmäßig vor, sie brauche zu lange, um in der Eurokrise die Positionen einzunehmen, die die SPD schon immer vertritt. Doch wenn es zur Abstimmung kommt, stimmen die Sozialdemokraten in der Regel brav mit der Regierung, wie vor einigen Tagen bei der Entscheidung über die Finanzhilfen für die spanischen Banken. Da meldete sich sogar die Parteibasis zu Wort und wagte zögerliche Kritik an dieser Finanzspritze.
Nun hat es der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel doch noch geschafft, mit einem Thesenpapier im Sommerloch einige Tage für Schlagzeilen zu sorgen. Dabei werden in den Medien einige prägnante Sätze über das Erpressungspotential der Banken zitiert und schon entsteht der Eindruck, die SPD entwickele sich zur Kapitalismuskritikerin. Nun ist Bankenbashing noch keine Kapitalismuskritik, oft sogar das Gegenteil davon. Doch dieThesen lesen sich wie eine Mixtur aus kirchentagstauglichen Floskeln und Stammtischweisheiten.
„Banken diktieren die Politik“, heißt es in den Thesen und ebenso: „Banken zocken die Kunden ab“, „Banken manipulieren“ und „spekulieren riskant mit dem Geld ihrer Sparer“. Alles keine Neuigkeiten und alles andere als radikal. Den Zweck der Übung hat Gabriel gleich mit aufgeschrieben. „Die Bundestagswahl 2013 muss zu einer Entscheidung über die Bändigung des Banken- und Finanzsektors werden.“
Tatsächlich hat das Papier eine so große mediale Aufmerksamkeit bekommen, weil Gabriel damit den Ton für den kommenden Wahlkampf vorgeben will. Allerdings geht es erst einmal um den Kampf um die Nummer eins innerhalb der SPD. Da sind seine Kontrahenten mit Peer Steinbrück und Walter Steinmeier nicht zufällig zwei Exponenten der Schröder-SPD, die gemeinsam mit den Grünen wesentliche Regulierungen im Banken- und Finanzsektor abbauten. Darauf haben Unionspolitiker in einer ersten Replik sofort hingewiesen.
Noch ist längst nicht ausgemacht, ob Gabriel im innerparteilichen Machtkampf Erfolg hat. Im Gegenteil: Dem ehemaligen Pop-Beauftragen der SPD werden im Machtkampf nur Chancen eingeräumt, wenn sich die Exponenten der Schröder-SPD, Steinbrück und Steinmeier, untereinander zerstreiten. Aber auch hier könnte Gabriel schnell ins Hintertreffen geraten, falls sich Hannelore Kraft, die in Umfragen schon als erfolgreichste Merkelherausforderin gehandelt wird, doch noch entschließt, in die Bundespolitik zu gehen.
Wiederauflage der Heuschreckenkampagne
Doch Gabriels Thesen könnten auch ohne ihn an exponierter Stelle zum Ton des nächsten SPD-Wahlkampfs werden. Schließlich sind sie allgemein genug gehalten und sie greifen einen sich in der Krise steigernden Unmut in der Bevölkerung auf. Das Lamento über die Gier der Bankmanager ist dann schnell zu hören. Hier will Gabriel die SPD gleichermaßen gegen die gegenwärtigen Regierungsparteien als auch gegen die Linkspartei in Position bringen.
Letztere wird von verschiedenen SPD- Politikern in öffentlichen Statements gerne schon als erledigter Fall betrachtet. In Wirklichkeit ist den führenden SPD-Politikern klar, dass es Wunschdenken ist. Mit verbaler Bankenkritik und Gerechtigkeitsfloskeln hofft man dem Wunsch näher zu kommen. Das Ganze wirkt wie eine Neuauflage der Heuschreckenkampagne, mit der der damalige Parteivorsitzende Franz Müntefering den Sozialdemokraten 2005 in der Endphase der Schröder-SPD einen Hauch von sozialer Kompetenz erhalten wollte.
Die Kritik, die er damit erntete, gehörte zum Konzept. So wie Müntefering später loyaler Koalitionspartner der Merkel-CDU wurde, dürften sich auch die aktuellen SPD-Führungsvertreter ähnliche Hoffnungen machen. Schließlich gilt eine große Koalition als wahrscheinlichste Regierungsvariante nach der nächsten Bundestagswahl und so ist an die Spitzenkandidatur auch der Vizekanzlerposten gekoppelt. Mögen nach dem rosagrünen Wahlerfolg in Nordrhein-Westfalen auch manche in der OPD wieder an eine solche Regierungskombination im Bund denken, bleiben die Realisierungsmöglichkeiten gering. Sollten wieder fünf – oder mit den Piraten sechs Parteien – in den Bundestag einziehen, ist eine Mehrheit aus SPD und Grüne eher unwahrscheinlich.
Zudem machen die jüngsten Querelen bei den Grünen deutlich, dass sich dort wieder Kräfte melden, die von der Orientierung an die SPD loskommen will. Darauf zielen die Kritiker des Duos Trittin/Roth, das als Garant einer solchen Anlehnung an die SPD gilt. Dass jetzt von den Kritikern mit Kathrin Göhring Eckardt eine Befürworterin der Öffnung auch zur Union in die Diskussion gebracht wurde, macht deutlich, dass es auch nach der nächsten Wahl Regierungsoptionen ohne SPD gibt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152436
Peter Nowak
Neben positiven Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgesetzes zu den Leistungen für Flüchtlinge gibt es auch Hetze von rechts
„Jahrelang haben Politiker Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben verweigert. Gut, dass das Verfassungsgericht den Betroffenen recht gibt. Traurig, dass die Sache erst vor Gericht landen musste.“ So wie dieser Kommentar der Frankfurter Rundschau zum aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den finanziellen Leistungen für Flüchtlinge, bewerten es viele als ein Trauerspiel der Politik, dass jahrelang Menschen bewusst Gelder vorenthalten worden sind.
Auch der Flüchtlingsrat Brandenburg spricht in einer ersten Stellungnahme von einer schallenden Ohrfeige für die Bundesregierung. „Ihre Politik der menschenunwürdigen Behandlung von Flüchtlingen muss nun endlich ein Ende haben. Das AsylbLG ist nicht reformierbar und gehört abgeschafft“, lautet das Fazit der Sprecherin des Brandenburger Flüchtlingsrats Beate Selders. Ähnlich kommentiert Pro Asyl das Urteil. Es habe klargestellt, dass Flüchtlinge keine Menschen zweiter Klasse sind.
Hetze von Rechtsaußen
Erwartungsgemäß anders fallen die Reaktionen in den Kreisen aus, die ihre Politik gerade darauf abstellen, Menschen nach Nation und vermeintlicher Rasse auszusortieren. „Abschaffung des Sozialstaats – mehr Geld für Asylbewerber“ setzt die NPD-Thüringen ihre Kampagne gegen alle, die sie als Nichtdeutsche klassifiziert, fort. „Geld für alle Welt – wenn die Deutschen nicht endlich aktiv Widerstand gegen derlei Ungerechtigkeiten leisten und ihrem Zorn wirkungsvoll Ausdruck verleihen, haben die Ausländerlobbyisten ihr Ziel erreicht und letztlich Deutschland abgeschafft“, heißt es bei der NPD. Das kann fast 20 Jahre nach dem pogromartigen Auseinandersetzungen eines rechten Mobs gegen Flüchtlinge in Rostock durchaus als Drohung verstanden werden. Zumal solche Äußerungen nicht nur aus der Ecke der NPD, von der nichts anderes erwartet wird, kommen.
Während die rechtskonservative Junge Freiheit noch relativ neutral über das Urteil berichtet, würden viele Leserkommentare auch die NPD-Ideologen erfreuen. Da wird von der Wut des Volkes geraunt und den Richtern geraten, „selber für die Asylbewerber zu blechen“. Dabei berufen sie sich u.a. auf Sarrazin. Auch beim rechtspopulistischen Onlineportal PI-News finden sich unter einem Kommentar zum Urteil hetzerische Kommentare. In dem Text auf der Homepage wird positiv an die Schweiz erinnert, wo die Leistungen für Flüchtlinge sinken würden. Auf der Kommentarspalte wird ein Link zwischen den Leistungen für Flüchtlinge und der Eurokrise gezogen und Deutschland als Opfer imaginiert.
Hartz IV für alle?
Nun muss sich zeigen, wie die Politiker der etablierten Parteien das Urteil kommentieren und ob es auch dort populistische Zungenschläge gibt. Noch am Wochenende hatten in der linksliberalen Tageszeitung unter der Rubrik Streit der Woche nicht nur Unionspolitiker, sondern auch ein parteilose Leser dafür plädiert, die Leistungen für Flüchtlinge nicht zu erhöhen.
Wenn jetzt Länderpolitiker davor warnen, dass durch die Mehrbelastung, die durch das Urteil entsteht, womöglich Erwerbslose benachteiligt würden, sind populistischen Zungenschläge schon angelegt. Weitgehend kommentarlos haben die aktiven Erwerbslosengruppen in Deutschland auf das Urteil reagiert. Dabei hätten sie Grund, darauf hinzuweisen, dass Hartz IV für alle Menschen unzumutbar ist, ihr Ziel müsste sein, für alle Menschen, die hier leben, ein akzeptables Einkommen zu erstreiten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152414
Peter Nowak
Während die Familie, die zu den Eigentümern von Krauss-Maffei gehört, juristisch auf die Aktion „25000 Euro“ reagiert, wächst auch andernorts der Widerstand gegen deutsche Rüstungsexporte
Eigentlich können die Politkünstler vom Zentrum für politische Schönheit zufrieden sein. Nur wenige Wochen, nachdem sie im Internet bekannt machten, dass zu den Eigentümern der Waffenhersteller Krauss Maffei bekennende Philanthropen und Humanisten gehören, die in ihrer Freizeit in diversen Menschenrechtsorganisationen engagiert sind, haben zwei der Familienmitglieder sich vom Panzerdeal mit Saudi Arabien distanziert.
So erklärte Burkhart von Braunbehrens in einem Interview, den Waffendeal mit Saudi Arabien verhindern zu wollen, und auch Vera von Braunbehrens ließ verlautbaren, das Waffengeschäft nicht zu billigen. Damit sind zwei Mitglieder der „Panzerfamilie“ auf Distanz gegangen. Im Internet wird nun darüber debattiert, wie ernst diese Distanzierungen gemeint sind und vor allem, ob damit auch die Bereitschaft verbunden ist, auf die Profite an dem Rüstungsdeal zu verzichten. Diese Reaktionen sind ganz im Sinne der Kampagne, wie sie auf der Homepage der Politkünstler in sechs Schritten skizziert ist. Mittlerweile ist der unter Punkt 6 genannte Machtkampf zwischen den beiden Eigentümerfamilien von Krauss Maffei im Gange und der Ausgang ist noch ungewiss.
Anwaltskosten drohen Initiative lahmzulegen
Doch mittlerweile haben die Braunbehrens auch juristische Schritte gegen die Künstler eingeleitet. Deshalb musste die Webseite umgestaltet werden, bestimmte Formulierungen durften nicht mehr verwendet werden. Doch gravierender für die Künstlerinitiative sind die Kosten, die durch die Klagen auf sie zukommen. „Am Freitag mussten wir sogar die Anwaltskosten des 90fachen Millionärs und Waffenhändlers Rüdiger von Braunbehrens (1.248,31 Euro) schultern. Unsere Webseite mussten wir selbst zensieren, um Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe abzuwenden“, erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit.
Die Initiative ruft zu Solidaritätsspenden auf. Die sollen bei der GLS-Bank auf ein Konto der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V.“ eingezahlt werden. Leider inszeniert sich die Initiative fast in Occupy-Manier als Interessenvertreter von nicht gleich 99, aber doch 94 Prozent der deutschen Öffentlichkeit, die laut Meinungsumfragen gegen den Export der Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien seien. Wenn Ruch in seinem Solidaritätsaufruf so oft betont, wie viel die Initiative bereits riskiert hat und sie jetzt „nicht mit Waffen sondern per Gerichtsverfahren“ zum Schweigen gebracht werden soll, klingt das Eigenlob doch sehr deutlich durch. Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Schließlich hatte die Aktion eine überwiegend positive Berichterstattung. Zudem hat die Initiative mittlerweile Nachahmer bei Politaktivisten gefunden.
Unter dem Motto „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ agieren zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisionen gegen den deutschen Waffen- und Rüstungsgüterexport. Ein Kampagnenschwerpunkt lautet auch dort, „den Tätern Namen und Gesicht zu geben“. In der letzten Augustwoche soll im Namen eines Illuminationsprojekts eine Bildmontage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Panzerkommandantin per Laserstrahl an öffentliche Gebäude projiziert werden. Auch Aktionen am Firmensitz des Panzerherstellers Krauss Maffei-Wegmann in Kassel gehören zum Protestfahrplan.
Allerdings sollen auch die Firmensitze von anderen Unternehmen besucht werden, die am Rüstungsgeschäft verdienen. Dazu gehören die ATM-Computersysteme in Konstanz, die die Software für den Leopard-Panzer liefern, wie die Diehl-Defence in Überlingen, die Geschäfte mit der Produktion von Munition, Drohnen und Panzerketten macht, sowie die MTU Friedrichshafen GmbH, die Panzermotoren herstellt.
Wie funktioniert die Stimmungsmache gegen »Transferbezieher«? Eine Untersuchung zeigt, was Bild-Leser von Empfängern des ALG II halten.
Kürzlich versorgte die Bild-Zeitung aus Anlass ihres 60jährigen Bestehens alle deutschen Haushalte mit einem Gratisexemplar. Auch der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) durfte seine Meinung in dieser Jubiläumsausgabe kundtun. Das Boulevardblatt könne »nur Trends verstärken, aber keine eigenen setzen«, befand Schröder im Interview. »Es muss immer eine Stimmung da sein, an die Bild anknüpfen kann.« In der Bevölkerung vorhandene Stimmungen zu nutzen, beherrschte auch er als Kanzler der Agenda 2010 virtuos. Schon zu Beginn seiner Amtszeit stellte er klar: »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft.«
Der Ausspruch stieß nicht nur an Stammtischen auf Zuspruch. Bild nahm die Stimmung auf und sorgte mit der eigenen Berichterstattung dafür, dass sie erhalten blieb und verstärkt wurde. Das ist das alltägliche Kerngeschäft der Zeitung seit ihrer Gründung. Die Soziologen Britta Steinwachs und Christian Baron haben nun unter dem Titel »Faul, frech, dreist« ein Buch im Verlag »Edition Assemblage« herausgebracht, in dem sie genauer untersuchen, wie die Stimmungsmache gegen Arbeitslose funktioniert.
Anhand des Untertitels »Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch Bild-Leser*innen« wird schon deutlich, dass die Autoren einigen gedanklichen Kurzschlüssen mancher Kampagnen gegen die Bild-Zeitung nicht erliegen, in denen das Boulevardblatt vor allem als Medium denunziert wurde, das die Bevölkerung im Sinne der Herrschenden manipuliere. Baron und Steinwachs hingegen konstatieren nicht nur in der Ober- und Mittelschicht, sondern auch unter Lohnabhängigen und sogar den Erwerbslosen selbst eine Stimmung gegen Erwerbslose, die angeblich nicht arbeiten wollen und zu Unrecht Leistungen beziehen.
Als Grundlage der Untersuchung dient die Berichterstattung über den von Bild zu »Deutschlands frechstem Arbeitslosen« stilisierten Arno Dübel. Weil der schwer kranke und seit Jahrzehnten Arbeitslosengeld beziehende Mann sich dafür in der Öffentlichkeit nicht schämte, sondern freimütig bekannte, es gebe für ihn Schöneres als Lohnarbeit, wurde er zum Gegenstand einer Kampagne, an der sich die Leser der Zeitung eifrig beteiligten. Die Autoren haben hierzu Leserkommentare auf Bild.de ausgewertet und in ihre Untersuchung einbezogen. Sie sind in Auszügen auf mehr als 20 Seiten abgedruckt und liefern einen Eindruck von »Volkes Stimme«. Während schriftliche Leserbriefe vor dem Abdruck häufig noch verändert werden, zeigen die Beiträge im Internet ungefiltert, was die Kommentatoren aus der Bevölkerung über Menschen denken, die nicht dazu bereit sind, ihre Arbeitskraft zu jedem Preis und unter allen Bedingungen zu verkaufen.
Genau das nämlich forderten viele, die sich auf Bild.de über Dübel äußerten. Selbst Krankheit und Alter wurden dabei nicht mildernd berücksichtigt. So empfahlen gnädige Bild-Leser, der Mann solle zum »Pappe aufheben im Park« verpflichtet werden oder Einkaufswagen einsammeln. Andere wünschten, er solle im Winter unter Brücken schlafen oder »ganz weggesperrt« werden. »Auf die Straße mit dem Arbeitsverweigerer, der hat nichts anderes verdient«, urteilte eine Person. Schon in der Wortwahl wird deutlich, dass es den meisten Usern um Sanktionierung und Repression ging. Doch Bild-Leser haben auch ein Herz. »Der arme Hund. Der kann doch nichts dafür«, litt ein Schreiber beispielsweise mit Dübels Haustier.
Häufig verwiesen diejenigen, die sich besonders bei der Hetze gegen den Mann hervortaten, darauf, dass sie auch arbeiteten, ohne staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. »Also, ich gehe gerne jeden Morgen arbeiten und bin nicht neidisch auf solche Schmarotzer wie Dübel«, lautet ein repräsentativer Satz. Einige betonten stolz, keine ALG-II-Empfänger in ihrem Freundeskreis zu haben. Manche fanden es besonders verabscheuungswürdig, dass Dübel mit seinem Verhalten »die ehrlichen und anständigen Arbeitslosen« verunglimpfe.
»Wer Gesetze zu seinem Lebensunterhalt in Anspruch nehmen will, muss sich an die Regeln dieser Gesetze halten«, lautete eine gängige Auffassung. Zwar führten wenige Leser Konventionen und Gesetze an, die es verbieten, einen offensichtlich kranken Mittfünfziger mittellos auf die Straße zu setzen. Andere Kommentatoren sahen denn auch gerade in der Existenz solcher Bestimmungen einen schweren Fehler des Sozialstaats. Häufig endeten solche Postings mit den Worten: »Armes Deutschland!«
Baron und Steinwachs haben eine ergiebige Übersicht geliefert. Doch so begrüßenswert ihr Ansatz ist, die Rolle der Bild-Leser in den Mittelpunkt ihre Untersuchung zu rücken und damit die plumpe These zu hinterfragen, das Boulevardblatt betreibe Manipulation von oben, so fragwürdig bleiben ihre weiteren Erklärungen. Sie interpretieren die Hassbotschaften, die sich gegen Dübel richteten, als ein Beispiel von »Klassismus«, einer Diskriminierung von Erwerbslosen durch Lohnabhängige. Allerdings ist diese Klassifizierung in zweifacher Hinsicht fragwürdig.
So dürften zu den Kommentatoren auf Bild.de auch pflichtbewusste Erwerbslose gehören, die ihre ständige Suche nach Lohnarbeit von jemandem wie Dübel lächerlich gemacht sehen. Davon zeugt die Empörung über die vermeintliche Verunglimpfung »ehrlicher und anständiger Arbeitsloser«. Andererseits finden sich unter den Empfängern von ALG II immer mehr Menschen, deren Lohnarbeit nicht mehr ihre Lebenskosten deckt und die daher staatliche Unterstützung benötigen.
Zu diesem Ergebnis kommt eine im Juni veröffentlichte Studie des DGB. Demnach ist das Verarmungsrisiko für Erwerbstätige in den vergangenen Jahren gestiegen und weist zudem regionale Unterschiede auf. In den alten Bundesländern waren Ende 2011 durchschnittlich fast 29 Prozent der ALG-II-Empfänger erwerbstätig. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war es fast ein Drittel. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sogar mehr als ein Drittel von ihnen berufstätig. Zwischen 2007 und 2010 stieg die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Empfänger von ALG II in den alten Bundesländern um 14 Prozent, in Ostdeutschland um elf Prozent. Am stärksten war der Anstieg in Berlin. Aber in Bremen, Hessen und Hamburg ist die Zahl der sogenannten Aufstocker ebenfalls stark gestiegen.
Auch sie werden häufig den »Transferbeziehern« zugerechnet und in abwertender Weise den Lohnabhängigen gegenübergestellt, die ohne staatliche Unterstützung auskommen. Der Begriff des Sozialchauvinismus, mit dem linke Gruppen diese Art der Diffamierung in jüngster Zeit häufiger bezeichnen, ist treffender, als von »Klassismus« zu sprechen, denn er umfasst die Aversion gegen die »Transferbezieher«, die eine zentrale Rolle spielt. Der Sozialchauvinismus kann dabei ALG-II-Empfänger mit und ohne Lohnarbeit genauso treffen wie einen Staat wie Griechenland und seine Bevölkerung. Es ist kein Zufall, dass sich auch hier Bild besonders dabei hervortut, vorhandene Stimmungen zu verstärken.
http://jungle-world.com/artikel/2012/28/45835.html
Erwiderung von Andreas Kemper:
http://andreaskemper.wordpress.com/2012/09/24/sozialchauvinismus-oder-klassismus/
Peter Nowak
In einer aktuellen Entscheidung bewertet das Gericht die Hartz IV-Sätze als mit dem Grundgesetz vereinbar
Geklagt hatte eine arbeitslose 54-jährige Frau, die im Raum Mannheim allein in einer Mietwohnung lebt. Sie hält den Hartz-IV-Satz für Erwachsene von derzeit 374 Euro pro Monat für zu niedrig und forderte rund 1.000 Euro. Andernfalls seien ihre Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip verletzt. Bereits das Landessozialgericht Baden-Württemberg hatte ihre Klage 2011 abgelehnt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodell, das auf den Verbrauch der 15 Prozent niedrigsten Verdiener in Deutschland abstellt, sei zulässig. Abschläge für chemische Reinigung, Färben der Kleidung, aber auch für Alkohol seien vertretbar, so die Richter. Weil die Frau in Revision ging, musste sich nun erstmals das Bundessozialgericht in einem Piloturteil mit den Hartz IV-Sätzen befassen.
Hoffnungen auf Bundesverfassungsgericht?
Auch einige Erwerbslosengruppen machten sich große Hoffnungen, dass die neuen Hartz IV-Sätze juristisch zu Fall gebracht werden könnten. Ihre Hauptargumente lauteten, bei den neuen Hartz-Sätzen seien als Vergleichsmaßstab statt vorher 20 Prozent nur 15 % der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen herangezogen worden. Sie sind daher anders, als es das Bundesverfassungsgericht 2010 in seinen Urteil gefordert hatte, nicht nachvollziehbar und transparent errechnet worden.
Zudem seien in dieser Gruppe auch Menschen im Niedriglohnsektor vertreten gewesen, denen eigentlich Leistungen nach Hartz IV zustehen, die aber diese Leistungen nicht beantragen. Auf diese Weise wurde der Satz künstlich niedriger berechnet. Zudem halten es die Erwerbslosengruppen nicht für plausibel, dass ein Essen im Restaurant oder Geld für Schnittblumen oder alkoholische Getränke nach dem Willen der Bundesregierung nicht mehr zu den Posten gehören sollen, die aus dem Regelsatz für Hartz-IV-Bezieher bezahlt werden. Damit werde der Grundsatz verletzt, dass das Existenzminimum auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglichen müsse.
Dieser Lesart ist das Bundessozialgericht nicht gefolgt und steht jetzt in der Kritik von Erwerbslosenaktiven. So moniert Martin Behrsing vom (Erwerbslosenforum Deutschland
„Das Bundessozialgericht (BSG) hält die sogenannte Hartz-IV-Reform von 2011 und die damit verbundene Armut verfassungsgemäß.“
Behrsing wirft den Kassler Richtern vor, „kaum etwas mit den Realitäten der Hartz IV-Armut zu tun zu haben“. Allerdings war es von Anfang auch unter aktiven Erwerbslosen umstritten, mangels einer durchsetzungsstarken Bewegung auf die Richter zu setzen. Doch noch sind die Hoffnungen auch bei den Erwerbslosen, die auf den Rechtsweg setzen, nicht ganz geschwunden.
Schließlich muss sich auch das Bundesverfassungsgericht noch mit den Hartz IV-Sätzen befassen. Denn Ende April hatte die 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin die Position vertreten, dass die Hartz-IV-Sätze derzeit für Erwachsene um 36 Euro im Monat zu niedrig liegen. Richter Georg Rudnik hat daher seinerseits das Bundesverfassungsgericht um Prüfung gebeten (Hartz IV beschäftigt weiter die Gerichte). Die Karlsruher Richter sind nicht von den Entscheidungen der Kasseler Kollegen abhängig. Allerdings beobachten sie die Rechtssprechung und können sich mit ihrer Entscheidung Zeit lassen. So mag der Richterspruch aus Kassel nicht alle Hoffnungen auf ein juristisches Aus der Hartz-IV-Sätze bedeuten, ein Dämpfer ist er allemal.
MILITÄR Zum ersten Mal seit drei Jahren rufen Kritiker des Bundeswehr-Gelöbnisses zum Protest
Mit viel Pomp wird die Bundeswehr auch am diesjährigen 20. Juli ihr Gelöbnis im Bendlerblock in Tiergarten zelebrieren. Allerdings melden sich zum ersten Mal seit drei Jahren auch die KritikerInnen wieder zu Wort: Bereits um 17 Uhr ruft das „Berliner Bündnis gegen Krieg und Militarisierung“ ab Heinrich-Heine-Platz zu einer Demo unter dem Motto „Krieg beginnt hier – Widerstand auch“ auf.
Die Demo führt an verschiedenen Orten vorbei, die mit Krieg und Rüstung zu tun, so Bündnissprecherin Alina Meyer. Dazu soll neben den Sitzen des Bundesverbands der Deutschen Industrie und dem Auswärtigen Amt auch das Jobcenter Kreuzberg gehören. In der Nähe soll mit einer Rede darauf hingewiesen werden, dass die Bundeswehr nach der Abschaffung der Wehrpflicht dazu übergeht, in Jobcentern für Berufe bei der Armee zu werben.
Mit der Demo knüpft das Bündnis an die 1990er Jahre an, als die Proteste gegen das Gelöbnis noch einen wichtigeren Stellenwert in der linken Terminplanung hatten. Mehrere tausend Menschen hatten sich damals daran beteiligt. Mit der Zeit ging die Anzahl der TeilnehmerInnen jedoch massiv zurück.
„Wir wissen, was wir wollen – nämlich der heroischen Selbstinszenierung der Bundeswehr entgegentreten“, sagt diesmal jedoch Frank Brendle vom Büro für antimilitaristische Maßnahmen. Das Büro wird am Abend des 20. Juli am Kreuzberger Heinrichplatz eine satirische Videokundgebung veranstalten. Unter dem Motto „Spott und Hohn der Bundeswehr“ werden satirische Filmschnipsel zum Thema Militär unter anderem mit Charlie Chaplin, Monty Python sowie Erich Mühsam geboten – jeweils vertont von der Punkband Slime.
„Auch wenn der Protest gegen das Gelöbnis momentan keine Massen anzieht, kann das für uns kein Grund sein, unsere Anti-Kriegs-Positionen in der Öffentlichkeit nicht deutlich zu artikulieren“, betont Alina Meyer vom Demo-Bündnis.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F07%2F13%2Fa0195&cHash=7006de1829
Peter Nowak