Die Stadtbrücke, die Frankfurt (Oder) mit der polnischen Nachbarstadt Słubice verbindet,ist zu allen Tageszeiten sehr belebt. Menschen passieren die Brücke in beide Richtungen. Einige sind verwundert über die Mauerstücke, die seitlich an der Uferpromenade auf der deutschen Seite die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vor allem die messerscharfen Scherben am oberen Rand der Mauerstücke vermitteln ein Gefühl der Bedrohung und Angst. Sie erinnern an ähnliche Anlagen an den EU-Außengrenzen, wo sich Migrant*innen schwer verletzten, wenn sie die Barrieren überwinden wollen. Dabei betont die polnische Künstlerin Joanna Rajkowska, dass ihre Installation ein freundliches Kunstwerk sei. Es trägt den Titel …
„Ein Kunstwerk an der Frankfurter Stadtbrücke als Entschuldigung“ weiterlesenSchlagwort: Antirassistischen Initiative Berlin
Aus Angst vor Abschiebung in den Suizid getrieben
Am 22. März 2020 soll ein 25-jähriger Afghane von der Polizei abgeholt und abgeschoben werden. Er springt aus dem dritten Stock der Sammelunterkunft im sächsischen Plauen in die Tiefe und wird mit schweren Verletzungen an Rücken und einer Hand ins Helios-Klinikum Vogtland gebracht werden. Auch nach langer stationärer Behandlung muss er weiter seine Abschiebung fürchten, obwohl er bereits fünf Jahre in Deutschland ist. Dies ist eines von Tausenden Einzelschicksalen, die in der soeben erschienenen 28. Ausgabe der alljährlich aktualisierten …
„Aus Angst vor Abschiebung in den Suizid getrieben“ weiterlesenIn der Zelle allein gelassen
Es ist genau ein Jahr her: Am 23. Juli 2021 verbrannte der algerische Flüchtling Ferhat M. in einer Gefängniszelle in der Haftanstalt Moabit. Der 38-Jährige saß wegen Diebstahlverdachts in Untersuchungshaft. Linke Gruppen rufen anlässlich seines Todestages am Freitag um 20 Uhr zu einer Gedenkkundgebung vor dem U-Bahnhof Turmstraße auf. Anschließend ist eine Demonstration zur JVA-Moabit geplant. Initiiert wird die Gedenk- und Protestaktion von der anarchistischen Gruppe Criminals for Freedom (CfF). Sie setzt sich für eine …
„In der Zelle allein gelassen“ weiterlesenLieber Suizid als Abschiebung
»18. April 2018: Justizvollzugsanstalt Bremervörde im niedersächsischen Landkreis Rotenburg an der Wümme. An der Tür des Nassbereichs seiner Zelle erhängt sich ein irakischer Flüchtling mit seinen Schnürsenkeln. Er wird erst gefunden, nachdem die Leichenstarre bereits eingesetzt hat. Der psychologische Dienst hatte zuvor eine Suizidabsicht verneint. Der Mann hinterlässt sieben Kinder im Alter von elf bis 15 Jahren.« Zahlreiche solcher Meldungen über Selbstmorde oder Selbstmordversuche von Flüchtlingen finden sich in der 26. Ausgabe der Dokumentation….
„Lieber Suizid als Abschiebung“ weiterlesenSchrecken nach der Abschiebung
Die Antirassistische Initiative Berlin hat Schicksale von abgewiesenen Asylbewerbern in Afghanistan dokumentiert
Mitte Dezember 2016 haben die Abschiebung von Geflüchteten aus Deutschland nach Afghanistan begonnen. Mittlerweile sind sie zur Routine geworden. Insgesamt 13 Abschiebeflüge gab es in den vergangenen anderthalb Jahren. 234 Menschen wurden ausgeflogen. Schlagzeilen machen die Flüge in der Regel nur noch, wenn es einem Geflüchteten gelingt, sich erfolgreich einer Ausweisung zu entziehen. Jetzt hat die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) an die Konsequenzen dieser Abschiebungen für die Betroffenen erinnert. Sie stehen im Mittelpunkt der aktualisierten Dokumentation »Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen«, welche die ARI seit 1994 jährlich herausgibt. Dort sind die Menschen benannt, die nach ihrer Abschiebung in Afghanistan verletzt oder getötet wurden.
Der 23-jährige Asylbewerber Atiqullah Akbari war am 23. Januar 2017 abgeschoben worden. Zwei Wochen später wurde er durch einen Bombenanschlag in Kabul verletzt. Der 22 Jahre alte Farhad Rasuli wurde am 10. Mai 2017, drei Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland, in Afghanistan bei einem Anschlag durch die Taliban getötet. Der 23-jährige Abdullrazaq Sabier stirbt am 31. Mai bei einem Bombenanschlag im Diplomatenviertel von Kabul. Sein Asylantrag in Deutschland war abgelehnt worden. Nachdem die dritte Sammelabschiebung stattgefunden hatte, gab er dem Abschiebungsdruck der Behörden nach und war im März »freiwillig« nach Afghanistan zurückgekehrt.
Elke Schmidt von der ARI macht im Gespräch mit »nd« darauf aufmerksam, dass die Massenabschiebungen nicht nur in Afghanistan tödliche Folgen haben können, sondern auch hierzulande. »Mindestens acht Afghan_innen, davon 3 Minderjährige, töteten sich in den Jahren 2016 und 2017 selbst. Es am zu 110 Selbstverletzungen und Suizidversuchen«. Elke Schmidt geht von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Schließlich veröffentlicht die ARI in ihrer Dokumentation nur Meldungen, die gegenrecherchiert und bestätigt wurden. So zündete sich am 2. Januar 2017 ein 19-jähriger Afghane im Warenlager eines Supermarkts im bayerischen Gaimersheim selbst an, nachdem er sich mit Benzin übergossen hatte. Mit schweren Brandverletzungen wurde er ins Krankenhaus gebracht. Der bayerische Flüchtlingsrat erinnerte nach dem Vorfall daran, dass die Arbeitsverbote und die sich häufenden Abschiebungen bei vielen Geflüchteten aus Afghanistan Ängste auslöst, die bis zum Selbstmord führen können. Oft komme es auch zur Retraumatisierung bei Menschen, die in Afghanistan und auf ihrer Flucht mit Gewalt und Misshandlungen konfrontiert wurden.
Die Dokumentation liefert viele erschreckende Beispiele über die tödliche deutsche Flüchtlingspolitik. Sie ist seit 1994 ein leider noch immer unverzichtbares Stück Gegenöffentlichkeit. Seit wenigen Wochen ist diese wohl umfangreichste Dokumentation des deutschen Alltagsrassismus auf einer Datenbank im Internet zu finden (www.ari-dok.org). Durch die Onlinedatenbank hoffen Elke Schmidt und ihre Mitstreiter_innen, dass noch mehr Menschen auf die gesammelten Daten zugreifen. In der letzten Zeit habe es vermehrt Anfragen von Schüler_innen und Studierenden gegeben.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1090400.schrecken-nach-der-abschiebung.html
Peter Nowak
Pegida, Patzelt, Petry
Kurz vor den Landtagswahlen in drei Bundesländern nähert sich die Führung der Dresdner Pegida-Bewegung an die »Alternative für Deutschland« an. Diese hat jedoch kein Interesse an einem solchen Bündnis. Derweil geht die Diskussion über den Rechtsextremismus in Sachsen weiter.
»Ja, Sachsen hat ein Problem mit dem Rechtsextremismus.« Aus dem Munde des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich sind diese Worte durchaus bemerkenswert. Schließlich hat seine CDU im Freistaat Sachsen in den vergangenen 25 Jahren den Feind zumeist links gesehen. Die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, hatte nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Bautzen und der Blockade eines Busses mit Flüchtlingen durch einen rechten Mob in Clausnitz gesagt: »Wenn man mal einen Feldversuch machen will, wie man Nazis groß bekommt, dass die richtig machen können, was sie wollen, dann muss man sich Sachsen angucken.« Alle bisherigen sächsischen Landesregierungen hätten nie richtig etwas gegen rechte Tendenzen unternommen, so Kahane. Nur wenn es nicht mehr anders gegangen sei hätten sie reagiert – und auch das nur halbherzig. Stattdessen seien diejenigen, die sich gegen Neonazis engagierten, als Linksextremisten diffamiert und beschimpft worden.
Die Replik kam vom sächsischen CDU-Landtagsabgeordneten Alexander Krauß – ausgerechnet in der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit. »Von jemandem, der Rassismus mit umgedrehten Vorzeichen betreibt, brauchen wir in Sachsen keine Belehrungen«, sagte er und machte damit deutlich, wie berechtigt Kahanes Kritik an den sächsischen Verhältnissen ist. Selbst der sächsische SPD-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig warf der sächsischen Polizei vor, mit Pegida zu sympathisieren. Er habe den Eindruck, dass es in der Landespolizei einen großen Nachholbedarf bei der interkulturellen Kompetenz und bei der Führungskultur gebe, sagte Dulig. Er frage sich, warum die Polizei nicht die Personalien feststelle, wenn von Bühnen herab volksverhetzende Reden gehalten werden, so Dulig in der Zeit.
Auch Carsten Wolf von der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) kritisiert die sächsische Polizei. Die Initiative hatte kürzlich eine Liste von 107 Vorfällen rechter Gewalt in Sachsen allein für die ersten beiden Monaten des Jahres veröffentlicht. Als Quelle dienten in erster Linie Polizeiberichte. Dass die meisten rechten Vorfälle nicht einmal von der Lokalpresse wahrgenommen wurden, liegt Wolf zufolge an den Polizeiberichten. Dort würden rassistische Übergriffe »häufig entpolitisiert oder schlichtweg verharmlost, oft findet eine Täter-Opfer-Verwischung statt«. So vermeldete ein Polizeibericht am 3. Februar »eine tätliche Auseinandersetzung in der Straßenbahn« in Chemnitz. Dass der Täter aus dem rechtsextremen Milieu kam, wurde nicht erwähnt. Die ARI veröffentlichte den Vorfall auf der von ihr erstellten Liste unter der Überschrift: »Chemnitz-Helbersdorf Neonaziüberfall in Straßenbahn«.
Wenn es um das Kleinreden rechtsextremer Umtriebe in Sachsen geht, darf auch der Dresdner Politologe Werner Patzelt nicht fehlen. Er gibt sich in der Öffentlichkeit gerne als Pegida-Erklärer, Kritiker bezeichnen ihn schon lange als Pegida-Versteher. »Pegida-Demonstranten sind mehrheitlich keine Gegner des Demokratieprinzips; viele von ihnen haben aber dessen bundesrepublikanischer Gestalt innerlich gekündigt«, lautete der Befund in Patzelts neuester Studie vom 25. Februar. Auch wenn eine gewisse Radikalisierung bei Pegida zu verzeichnen sei, gibt Patzelt Entwarnung: »Von einer allgemeinen Entwicklung von Pegida hin zum Rechtsradikalismus kann nur bedingt gesprochen werden.« Viele Befürchtungen der Demonstranten hätten sich inzwischen bewahrheitet, »Masseneinwanderung ohne Grenzkontrolle, islamistische Anschläge, große Kosten der Einwanderung bei geringer Beschäftigungswirkung, zerreißender gesellschaftlicher Zusammenhalt«, so Patzelt.
Der Münchner Rechtspopulist und Organisator zahlreicher Pegida-Aufmärsche in Bayern, Michael Stürzenberger, lobte Patzelt auf dem antimuslimischen Webportal »PI-News« für ein Interview, das der Politologe dem Lokalsender »FMR spezial« kürzlich gab. Darin sagte Patzelt, es sei geradezu lachhaft, wenn Politiker bestritten, dass die Grenzen effektiv geschlossen werden könnten. Auf die Einschätzung der sächsischen Linkspartei-Politikerin Juliane Nagel, das Asylpaket II sei eine »lange Liste von Grausamkeiten« erwidert Patzelt: »Was eine Grausamkeit ist, hängt sehr stark vom Empfinden dessen ab, dem diese Grausamkeit widerfährt.« Auch eine »Wurzelbehandlung beim Zahnarzt« sei »natürlich unschön, aber ab und zu notwendig«.
In seiner Studie konstatierte Patzelt, dass es der »Alternative für Deutschland« (AfD) gelinge, im Lager von Pegida Fuß zu fassen. Der Dresdner Pegida-Sprecher Lutz Bachmann betrachtet diese Entwicklung zu Recht als Gefahr für seine Bewegung. Schon seit Wochen ist das Medieninteresse an den Pegida-Aufmärschen zurückgegangen. Dafür bekommt die AfD immer mehr Medienaufmerksamkeit. Wenn Bachmann, wie Anfang vergangener Woche geschehen, der AfD eine Listenverbindung nach »Verhandlungen auf Augenhöhe« vorschlägt, geschieht das aus genau diesem Grund. Vor wenigen Monaten wollte Bachmann noch eine eigene Pegida-Partei in Konkurrenz zur AfD gründen. Bei der Dresdner Oberbürgermeisterwahl hatte die Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling knapp zehn Prozent der Stimmen bekommen, während der weitgehend unbekannte AfD-Kandidat unter fünf Prozent geblieben war.
Doch Jörg Meuthen, Vorsitzender der AfD neben Frauke Petry, lehnte Bachmanns Vorstoß umgehend ab. Weder befürworte er eine Zusammenarbeit mit Pegida, noch könne er sich eine Listenverbindung vorstellen, so Meuthen. Die AfD sei »auf keinerlei Koalitionen oder wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit anderen Parteien oder Organisationen angewiesen«. Für Meuthen kommt eine Annäherung an Pegida zur Unzeit, will er sich doch als seriöser Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl in Baden-Württemberg am kommenden Sonntag präsentieren. Petry hingegen hatte in der Vergangenheit von »inhaltlichen Schnittmengen« von AfD und Pegida gesprochen. Vor anderthalb Wochen allerdings sagte sie, ihre Partei wolle unabhängig von Pegida bleiben. AfD und die Dresdner Bewegung seien »politisch unterschiedliche Instrumente«.
Schließlich winkt der AfD politischer Erfolg auch ohne die schwer berechenbare Pegida. Letzte Umfragen sahen Petrys Partei in allen drei Bundesländern, in denen am Sonntag gewählt wird, im zweistelligen Bereich. In Sachsen-Anhalt könnte sie sogar aufw 20 Prozent kommen.
http://jungle-world.com/artikel/2016/10/53629.html
Peter Nowak
Rechten Taten auf der Spur
Berliner Gruppe prüft und zählt Übergriffe in Sachsen
»Gersdorf – Heil Hitler rufende Gruppe verprügelt Anwohner«, »Pirna – brutaler Angriff auf Asylsuchende mit abgebrochenem Flaschenhals«, »Altenberg – Nazi mit Stahlhelm und Hakenkreuz greift Geflüchtete an«. Das sind drei von 107 rechten Vorfällen in den letzten 2 Monaten in Sachsen. Sie sind auf einer Liste zu finden, die die ehrenamtlich arbeitende Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) kürzlich unter www.ari-berlin.org ins Netz gestellt hat. Die Berliner Gruppe gibt es seit 1993. Bekannt wurde sie durch ihre alljährlichen Dokumentationen zur deutschen Flüchtlingspolitik.
Der Anstoß zur aktuellen Recherche kam durch die offene rassistische Gewalt in Bautzen und Clausnitz am vorletzten Wochenende. »Neben Zeitungsartikeln haben wir die Mitteilungen aller Polizeidienststellen in Sachsen gelesen und ausgewertet. Danach gab es vom 1. Januar bis zum 22. Februar 2016 107 rechte Vorfälle«, erklärt ARI-Mitarbeiter Carsten Wolf gegenüber »nd«. Der Schwerpunkt der rechten Gewalt seien die sächsischen Regionen Chemnitz, Erzgebirge und Bautzen gewesen. Hier habe es neben rechten Propagandadelikten auch Anschläge und Überfälle gegeben.
Nur wenige der aufgelisteten Fälle wurden von den Medien aufgegriffen. Dazu gehört der Angriff auf einen zwölfjährigen Flüchtling aus Irak in Limbach-Oberfrohna, der es nur in die Lokalzeitung schaffte, weil sich der städtische Präventionsbeauftragte Dietrich Oberschelp empört über die Attacke auf ein Kind zeigte und die Familie beim Formulieren der Anzeige unterstütze.
Die meisten rechten Vorfälle werden dagegen auch in den Lokalmedien nicht erwähnt. Verantwortlich dafür sind laut Carsten Wolf von der ARI vor allem die Polizeiberichte. Dort würden rassistische Übergriffe »häufig entpolitisiert oder schlichtweg verharmlost, oft findet eine Täter-Opfer-Verwischung statt«. So vermeldet der Polizeibericht am 3. Februar »eine tätliche Auseinandersetzung in der Straßenbahn« in Chemnitz. Die Herkunft des Täters aus dem rechten Milieu wird dort nicht erwähnt und wurde erst von der ARI recherchiert. Die Gruppe veröffentlichte den Vorfall auf der von ihr erstellten Liste unter der Überschrift: »Chemnitz-Helbersdorf – Neonaziüberfall in Straßenbahn«.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1003524.rechten-taten-auf-der-spur.html
Peter Nowak
Zu Gast im Knast
Die Bundesregierung will das Asylrecht erneut verschärfen. Anders als im Jahr 1993 ist kein großer außerparlamentarischer Widerstand zu erwarten.
Die Zugänge zum Bundestag werden von Tausenden Menschen blockiert, die sich gegen die Verschärfung der Asylgesetzgebung wenden. Auf den Straßen kommen die Bundestagsabgeordneten nicht weiter. Manche Antirassisten haben auch Boote gemietet, die mit Transparenten und Lautsprechern ausgestattet sind.
Solche Bilder gab es am 26. Mai 1993 in der Umgebung des Bonner Parlaments zu sehen. Doch Antirassisten aus der ganzen Republik konnten nicht verhindern, dass vor mehr als 22 Jahren eine ganz große Koalition aus SPD, FDP und CDU/CSU das Asylrecht derart verschärfte, dass es faktisch abgeschafft wurde. Die Proteste konnten die Abstimmung allerdings um viele Stunden verzögern. Zudem war die antirassistische Gegenwehr das bestimmende Thema in der in- und noch mehr in der ausländischen Presse. Vor allem in Deutschlands Nachbarländern wurden die Anliegen der Kritiker verstanden. Während in west- und vor allem ostdeutschen Städten ein Bündnis aus Neonazis und Wutbürgern Flüchtlingsheime attackierte, zeigten die Politiker der führenden Parteien, dass sie die vermeintlichen Sorgen der deutschen Bevölkerung ernstnahmen.
Mehr als zwei Jahrzehnte später haben die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« und ihre regionalen Ableger das Erbe der Vorkämpfer aus den frühen neunziger Jahren ebenso angetreten wie die lokalen »Nein-zum-Heim-Initiativen«, die es in der ganzen Republik gibt. Und wieder zeigen bundesdeutsche Politiker großes Verständnis für die Anliegen derartiger Zusammenschlüsse, und wollen das Asylrecht abermals verschärfen.
Für den 2. Juli ist die zweite und dritte Lesung des Gesetzes zur »Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung« im Bundestag angesetzt. Das Gesetz würde eine umfassende Ausweitung der Abschiebehaft für Flüchtlinge bedeuten. Die Haft soll möglich sein, wenn jemand »unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist« ist, Identitätspapiere wie Ausweise vernichtet oder »eindeutig unstimmige oder falsche Angaben gemacht« hat, wie es im Gesetzentwurf heißt. Abschiebehaft droht auch, wenn Geflüchtete vor der Einreise nach Deutschland bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden, wenn Identitätspapiere fehlen oder die Behörden der Ansicht sind, sie würden über die Identität des Asylsuchenden getäuscht. Zudem droht Abschiebehaft, wenn Geld für Fluchthelfer bezahlt wurde und wenn der Flüchtling »Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität verweigert oder unterlassen hat«. Eine fünfjährige Einreise- und Aufenthaltssperre soll Flüchtlingen drohen, deren Asylantrag im Schengen-Raum bereits abgelehnt wurde, die ihrer Ausreisepflicht nicht in der »gesetzten Ausreisefrist« nachgekommen sind oder »in das Bundesgebiet eingereist sind, um öffentliche Leistungen zu beziehen«.
Die Formulierungen des Gesetzes machen deutlich, dass eine erhebliche Kriminalisierung von Flüchtlingen möglich wäre. Die Delikte sind so vage formuliert, dass sehr viele Menschen betroffen sein könnten. So soll die Bezahlung von Fluchthelfern zu einer strafbaren Handlung erklärt werden, obwohl dies für viele Menschen die einzige Möglichkeit ist, überhaupt nach Europa zu kommen. Statt, wie von humanitären und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Pro Asyl seit Langem gefordert, den in vielen Ländern Nordafrikas festsitzenden Flüchtlingen gefahrlose Transfermöglichkeiten zu öffnen, damit sie nicht mehr den Weg über das Mittelmeer nehmen müssen, sollen sie nun kriminalisiert werden.
Diese umfassenden Pläne zur Kriminalisierung von Flüchtlingen fallen in eine Zeit, in der die Empörung über die Tausenden toten Flüchtlinge an der Außengrenze Europas auch in Deutschland gewachsen ist. Das zeigte sich beispielsweise am 20. Juni, als anlässlich des »Gedenktags für die Opfer von Flucht und Vertreibung« das Kunstkollektiv »Zentrum für politische Schönheit« unter dem Motto »Die Toten kommen« symbolisch tote Flüchtlinge in Deutschland beerdigte. Während das Gräberfeld auf der Wiese vor dem Bundestag schon nach wenigen Stunden von der Gartenbaubehörde eingeebnet wurde, gibt es in den Grünanlagen zahlreicher deutscher Städte mittlerweile symbolische Gräber, mit denen der unbekannten Flüchtlinge gedacht werden soll, die im Mittelmeer ertrunken sind.
Allerdings spielen die tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik in der Kampagne des Künstlerkollektivs keine Rolle. Dabei liefert seit mehr als 20 Jahren eine Arbeitsgruppe der Antirassistischen Initiative Berlin in einer jährlich aktualisierten Dokumentation der tödlichen Folgen der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik immer wieder stichhaltige Beweise. Dort sind zahlreiche Suizide von Flüchtlingen dokumentiert, die es in den Heimen nicht mehr aushielten oder Angst vor der Abschiebung hatten.
Tritt das geplante neue Gesetz in Kraft, droht auch eine Zunahme solcher Verzweiflungstaten. Auf den Zusammenhang zwischen den tödlichen Folgen der Flüchtlingspolitik an den EU-Grenzen und denen in Deutschland hat in den vergangenen Wochen die Kampagne »Asylrechtsverschärfung stoppen« hingewiesen. Sie ruft unter dem Motto »Wer nicht ertrinkt, wird eingesperrt« zum Widerstand gegen das Gesetz auf. Allerdings wird es Anfang Juli wohl zu keiner Parlamentsblockade wie im Mai 1993 in Bonn kommen. Das ist auch ein e Folge der Schwächung der außerparlamentarischen Linken in den vergangenen zwei Jahrzehnten. So verlegten sich Antirassisten bisher auf symbolische Taten wie das Einfärben zweier Brunnen in Berlin. »Wir haben die Farbe Rot gewählt, um an das Blut der Menschen zu erinnern, die an den Außengrenzen der EU ihr Leben verloren haben und die aufgrund von bürokratischen Entscheidungen und unmenschlichen Gesetzen in ihrer Existenz bedroht sind. Das mag vielleicht ein wenig pathetisch sein, aber für eine andere Farbe reichte unsere Phantasie leider nicht aus«, heißt es in der Pressemitteilung eines antirassistischen Bündnisses.
Am rechten Rand wird hingegen schon für weitere Asylrechtsverschärfungen getrommelt. So besetzten Mitglieder der rechtsextremen »Identitären Bewegung« am 28. Juni SPD-Büros in Hamburg und Berlin, um gegen einen »Bevölkerungsaustausch« zu protestieren. Die SPD trage Verantwortung, »dass wir als Deutsche in nur wenigen Jahrzehnten zur Minderheit im eigenen Land werden«, heißt es der klassischen rechten Diktion in einer Pressemitteilung. Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat in einem Interview mit dem Münchner Merkur eine neue Kampagne gegen den angeblichen Asylmissbrauch angeleiert.
Dabei richtete er sich auch gegen eine Passage in der Rede von Bundespräsident Joachim Gauck, die dieser am »Tag der Opfer von Flucht und Vertreibung« im Deutschen Historischen Museum in Berlin gehalten hatte. Gaucks Publikum bestand aus Mitgliedern und Sympathisanten des Bundes der Vertriebenen, für den der Gedenktag installiert wurde.
Gauck redete auch ganz nach dem Geschmack dieser Klientel, besang das Lied von den Heimatvertriebenen als deutschen Opfern und beklagte, dass es zeitweise tabu gewesen sei, »Heimatlieder« zu singen. In einer Passage zog er jedoch auch eine Verbindung zu den derzeitigen Flüchtlingen. »Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Heimatvertriebenen, dass sie solche Vergleiche nicht gerne hören. Die Ursachen sind jetzt andere, jetzt geht es auch um massenhaften Asylmissbrauch. Ich finde diese Diskussion nicht angezeigt«, sagte Seehofer dazu. Damit dürfte er die Stimmung im Umfeld der Vertriebenenverbände gut erfasst haben.
Seehofers Schelte macht Gaucks Rede aber nicht akzeptabel. Denn es ist geradezu grotesk, Menschen, die wegen einer Notlage aus ihrem Herkunftsland fliehen müssen, mit einem Personenkreis in Verbindung zu bringen, der vor 1945 mehrheitlich die NS-Politik begeistert unterstützte und im Zuge der deutschen Niederlage die Verwirklichung der Parole »Heim ins Reich« etwas anders als gedacht erlebte.
http://jungle-world.com/artikel/2015/27/52232.html
Peter Nowak
Erschütternd aktuell: der Report „Deutsche Flüchtlingspolitik“
Dass Tausende Flüchtende im Mittelmeer sterben, schockiert uns immer wieder. Weniger Schlagzeilen machen die mindestens 451 Refugees, die seit 1993 in Deutschland den Tod gefunden haben. Dass diese Zahlen überhaupt bekannt werden, ist Ehrenamtlichen zu verdanken, die sich in der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) engagieren. Seit 1993
geben sie den Report Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen heraus, der die verschiedenen
Formen von Gewalt, Verletzungen und Diskriminierungen gegen Flüchtlinge recherchiert und auflistet. Alljährlich
wird er aktualisiert, gerade ist eine neue Auflage erschienen, die alle Fälle bis zum Jahresende 2014 erfasst. Die Schicksale, die dort chronologisch aufgelistet sind, schaffen es meist nur als kleine Meldung auf die hinteren Seiten der Zeitungen. Da übergießt sich am 20. Februar 2014 der Iraner Kahve Pouryazdani mit Benzin und stirbt den Feuertod. Am 11. März vergangenen Jahres versucht sich eine 39-jährige Abschiebegefangene zu vergiften, am 7. September eine Nigerianerin mit ihren beiden Kindern. Elke Schmidt, die seit Jahren die Dokumentation koordiniert, führt die Suizide auf die wachsende Verzweiflung angesichts der schlechten Lebensbedingungen zurück, denen Flüchtlinge, Asylbewerber und Menschen ohne Papiere in Deutschland ausgesetzt sind. Das Problem, sagt Elke Schmidt, seien nicht nur die restriktiven Rahmenbedingungen, die durch die bundesdeutschen Asylgesetze vorgegeben werden: „Es sind auch die Mitarbeiter der Ämter, der Polizei und der Abschiebegefängnisse, die oft mit Allmachtsgebaren, Willkür, Schikanen, Rechtsbruch und purer Gewalt gegen die Schutzsuchenden vorgehen.“ Für die Erstellung der Dokumentation wertet die Gruppe Presseartikel, Polizeiberichte und Informationen von Flüchtlingshilfsorganisationen aus. Alle Meldungen werden gegenrecherchiert und erst veröffentlicht, wenn sie von zwei unabhängigen Quellen bestätigt werden. Elke Schmidt hat das Projekt 1993 mit einer Mitstreiterin gestartet, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt hatte. Sie forschten nach und fanden heraus, dass er mit acht anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Mit einem Filmteam machte die ARI damals den Tod in der Neiße öffentlich. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt, die in direktem Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik stehen. Noch so ein Fall: Am 20. Januar 2014 stoppt die griechische Küstenwache einen Fischkutter. Darin sitzen 27 Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien. Einige wollen zu Verwandten nach Deutschland. Die griechische Küstenwache versucht den Fischkutter zurück auf türkisches Territorium zu drängen und nimmt ihn ins Schlepptau. In der stürmischen See reißt das Seil, der Kutter sinkt. Drei Frauen und acht Kinder sterben. Die Überlebenden mussten über Monate mit Hilfe von Pro Asyl darum kämpfen, dass sie bei Verwandten in Deutschland leben können. Auch darüber informiert die Dokumentation, die in Zeiten von Pegida und der erneuten Verschärfung der Asylgesetzgebung noch immer so wichtig ist wie vor über zwei Jahrzehnten. Dabei ist der größte Wunsch der Herausgeber, Zustände zu schaffen, in denen ihre Dokumentation endlich überflüssig wird.
S. 14
Peter Nowak
Tödliche Willkommenskultur
Über die Folgen der Flüchtlingspolitik
Keine großen Schlagzeilen machte die Anzeige [1], die Überlebende einer besonderen Schiffskatastrophe am 20. Januar 2015 vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gegen Griechenland stellten. Am 20. Januar 2014 stoppte die griechische Küstenwache einen Fischkutter. Darin saßen 27 Geflüchtete aus Afghanistan und Syrien. Einige wollten zu Verwandten nach Deutschland. Die griechische Küstenwache versuchte den Fischkutter zurück auf türkisches Territorium zu drängen und nahm ihn in Schlepptau. In der stürmischen See reißt das Seil und der Fischkutter sinkt. Drei Frauen und acht Kinder sterben (Das griechische Lampedusa [2]).
Einige der Überlebenden machten den Vorfall bekannt und stellten auch die Anzeige. Denn der Grenzeinsatz mit tödlichen Folgen war ganz klar in mehrfacher Weise illegal. Statt die Menschen zu retten, ist die Küstenwache für ihren Tod verantwortlich. Zudem sind solche Push-Back-Aktionen auch ohne tödliche Folgen illegal, weil es den Geflüchteten das Recht nimmt, ihren Asylantrag zu stellen.
Doch ihr eigentliches Ziel, nämlich Deutschland, bleibt für die Geretteten weiterhin unerreichbar. Weil Griechenland das erste Land im Euroraum ist, das sie betreten haben, müssen sie nach den Dublin-Bestimmungen dort ihr Asylverfahren abwarten. Es ist gerade die deutsche Regierung, die gegenüber den Ländern der europäischen Peripherie auf die strikte Einhaltung der Dublin-Regelungen besteht. Selbst für die schwertraumatisierten Überlebenden der Schiffskatastrophe gibt es kein Pardon.
Die tödliche Grenzschutzaktion wird in der aktuellen Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ dargestellt, die jährlich von einer Arbeitsgruppe der Antirassistischen Initiative Berlin [3] aktualisiert wird.
Ergebnis gründlicher Recherchearbeit
Die Dokumentation ist, wie jedes Jahr, die Frucht von viel Recherchearbeit unentgeltlich arbeitender Menschen, die die Fälle sichten, Informationen einholen und gegenrecherchieren. Dann erst werden die Meldungen in die Dokumentation aufgenommen. Daher hat sie seit Langem den guten Ruf, dass man sich auf die Informationen berufen kann. Jedes Jahr liefert die Lektüre einen Einblick in das Lagersystem, in dem Flüchtlinge noch immer zu leben gezwungen sind.
In diesem Jahr steht die Willkommenskultur im Mittelpunkt. „Die derzeitige Proklamierung einer „Willkommens-Kultur“ durch dieselbe rassistische Politik kann angesichts der Realität der hier lebenden Flüchtlinge nur als Hohn bezeichnet werden“, heißt es in der Dokumentation. Die vielen aufgelisteten Beispiele von Selbstmordversuchen, dem Sterben wegen unterlassener Hilfeleistung und von rassistischen Angriffen sind ein Seismograph für die aktuellen deutschen Zustände.
Am 3. Februar 2014 schluckt eine Frau aus Afghanistan eine Überdosis Medikamente, weil sie ihre Lebensbedingungen nicht mehr aushält. Am 11. Februar 2014 stirbt ein Mann aus Libyen im Asylheim. Er hatte über Schmerzen geklagt, die aber nicht behandelt worden waren. Am 20. Februar 2014 übergießt sich der Iraner Kahve Pouryazdani mit Benzin und zündet sich an. Er stirbt an den Brandverletzungen. Solche Berichte gibt es fast täglich.
Dieser Dokumentation ist eine große Verbreitung zu wünschen. Denn anders als die ganzen Sonntagsreden der Politiker wird hier ein ungeschminktes Bild der deutschen Zustände gezeigt. Die angekündigten Asylverschärfungen dürften ebenso zur weiteren Verschlechterung der Lebenssituation der Geflüchteten beitragen, wie die Ablehnung von Flüchtlingen, die sich nicht nur in den Pegida-Aufmärschen manifestiert.
http://www.heise.de/tp/news/Toedliche-Willkommenskultur-2610768.html
Peter Nowak
Links:
[1]
[2]
[3]
Zurück Mehr Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte
Die oft tödlichen Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik und der schwierige Widerstand dagegen
Ein mauretanischer Flüchtling vergiftet sich in der Asylunterkunft Ludwigslust mit Tabletten. Im Oberallgäu verliert eine Flüchtlingsfrau ihr Kind, weil der Krankenwagen zu spät gerufen wurde. Ein 50jähriger Flüchtling aus Vietnam tötet sich selbst.
Das sind drei Beispiele für menschliche Tragödien, die im letzten Jahr in bundesdeutschen Flüchtlingsheimen geschahen. Sie haben es höchstens auf die hinteren Seiten der Zeitungen geschafft, wenn überhaupt. Dass sie jetzt noch einmal bekannt geworden sind, ist der Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen [1]“ zu verdanken, die von der Antirassistischen Initiative Berlin [2] (ARI) jährlich aktualisiert herausgegeben [3] wird.
Die 21te Fassung mit den Zahlen vom letzten Jahr ist gerade erschienen. Sie ist, wie jedes Jahr, die Frucht von viel Recherchearbeit unentgeltlich arbeitender Menschen, die die Fälle sichten, Informationen einholen, gegenrecherchieren. Dann erst werden die Meldungen in die Dokumentation aufgenommen. Daher hat sie seit Langem den guten Ruf, dass man sich auf die Informationen berufen kann. Jedes Jahr liefert die Lektüre einen Einblick in das Lagersystem, in dem Flüchtlinge noch immer zu leben gezwungen sind.
So lässt die Meldung erschrecken, dass am 25. April letzten Jahres in Friedersdorf der 33jährige Cosmo Saizon aus Benin stirbt, weil er zu spät ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Dass dies kein Einzelfall ist, zeigt eine andere Meldung: Im Dezember letzten Jahres wurde Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung gegen die erhoben, die einem 18 Monate altem Kleinkind im Erstaufnahmelager Zirndorf medizinische Hilfe verweigerten. Nachdem es die Eltern per Anhalter und zu Fuß in ein Krankenhaus brachten, fiel es in ein Koma und wird bleibende Schäden davon tragen, weil die Behandlung zu spät begonnen hat.
Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gestiegen
In der Dokumentation werden auch die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte aufgelistet. Waren es im Zeitraum von 2008 bis 2011 14 Angriffe, stieg die Zahl 2012 auf 17 und im letzten Jahr auf 24 Angriffe. Damit drücken sich die oft von extrem rechten Kräften geschürten Kampagnen gegen Flüchtlingsunterkünfte auch in zunehmender Gewalt aus. Dabei sind in der Dokumentation Hakenkreuzschmierereien und Angriffe auf noch im Bau befindliche, aber noch nicht bezogene Flüchtlingsunterkünfte nicht mit aufgelistet.
Das unterscheidet sie von der vom Bundeskriminalamt erstellten Statistik überAngriffe auf Flüchtlingsunterkünfte [4]. Ein Mitarbeiter der ARI bescheinigt der BKA-Arbeitsgruppe in diesem Fall eine gestiegene Sensibilität für rechte Gewalt. Es sei keine Tendenz zu erkennen, die rechte Gewalt herunter zu rechnen. So würden in der BKA-Statistik auch Böllerwürfe oder ein Ketchup-Attentat auf eine Flüchtlingsunterkunft zur rechten Gewalt gezählt.
In den vergangenen Jahren hatten vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen gegen Rechts [5] polizeiliche Stellen kritisiert [6], weil sie Delikte oft auch dann nicht als rechte Gewalt klassifizieren wollten, wenn die Täter zweifellos Neonazis waren. Im Zuge der NSU-Debatte werden deswegen rückwirkend noch einmal Delikte der letzten Jahre daraufhin überprüft, ob es einen rechten Hintergrund gibt.
Der Mitarbeiter der ARI sieht die Sensibilität des BKA im Falle der Angriffe auf Flüchtlingsheime gewachsen – sowohl vor dem Hintergrund der NSU-Enttarnung als angesichts auch der Serie rassistischer Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in den 90er Jahren. Damals wurden Polizei und staatliche Stellen oft heftig dafür kritisiert, dass sie zu spät eingegriffen hatten.
Allerdings veröffentlichen zivilgesellschaftliche Gruppen [7] aktuell auch eigene Zahlen von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte, die höher liegen als die Angaben des BKA .
Flüchtlingswiderstand und die Grenzen
Positiv gewürdigt wird in der ARI-Dokumentation der Widerstand von Flüchtlingen in der gesamten Republik, der im Herbst 2012 begann und das ganze letzte Jahr über mit hoher Intensität anhielt:
Wie verzweifelt die Lebensbedingungen für viele der Flüchtlinge sind, zeigt sich daran, dass sie sich im letzten Jahr 121 Mal bei Hunger- und Durststreiks in Lebensgefahr befanden und in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Oft setzten die Protestierenden, nachdem ihnen im Krankenhaus die lebenserhaltende Injektion verabreicht worden war, ihren Hunger- und Durststreik fort. Das führte dazu, dass sich manche Flüchtlinge mehrmals in einer lebensbedrohlichen Situation befanden. Es sind unhaltbare Lebensumstände, die viele Flüchtlinge dazu bringen, ihren Körper als letzte Waffe einzusetzen.
Natürlich müsse es eigentlich selbstverständlich klar sein, dass unterschiedliche Flüchtlingsgruppen verschiedene Interessen haben. Beim in der letzten Woche von einem Teil der Flüchtlinge freiwillig geräumten Protestcamp am Oranienplatz gelang es nicht, eine Regelung zu finden, die allen an dem Protest Beteiligten entgegenkam.
Das führte dazu, dass der Teil der Flüchtlingsgruppe, die das Camp gegen eine temporäre Unterkunft tauschen wollte, dann auch die Zelte der Geflüchteten abriss, die das Camp nicht aufgeben wollten, weil es für sie vor allem ein Ort war, an dem sie ihren Protest gegen das deutsche Flüchtlingsregime deutlich machen [8] wollten.
Die Gräben, die sich am Tag der Räumung zwischen den beiden Flüchtlingsgruppen [9], die am Oranienplatz bleiben oder ihn verlassen wollten, aber auch zwischen Flüchtlingen und Unterstützern aufgetan haben, dürften so schnell nicht zu überbrücken sein.
Das zeigte sich am Dienstagabend während einer längeren Diskussionsveranstaltung [10] , die der Bildungsverein Helle Panke [11] zur Flüchtlingspolitik in Kreuzberg organisiert hatte. Die Veranstaltung entwickelte sich hauptsächlich zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen den Flüchtlingen, die ihren Protest fortsetzen wollen und der grünen Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg.
Dabei ging ein Gutachten [12] des wissenschaftlichen Dienstes des Bundesamtes etwas unter, das eine rechtliche Handhabe aufzeigt, wie allen Flüchtlingsaktivisten ein Aufenthaltsstatusaus humanitären Gründen [13] nach § 23 Aufenthaltsgesetz gewährt werden könnte.
http://www.heise.de/tp/news/Mehr-Angriffe-auf-Fluechtlingsunterkuenfte-2172151.html
Peter Nowak
Links:
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Gefährliche Flüchtlingspolitik
Ein Dokumentationsteam sammelt Nachrichten über die Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik, die in der Regel vergessen werden
Am 23. April 2012 brachte sich ein iranischer Flüchtling in der Würzburger Asylunterkunft mit den Scherben einer zerbrochenen Flasche schwere Schnittverletzungen bei. Am 3.Mai letzten Jahres schluckte ein tunesischer Abschiebegefangener im Haftkrankenhaus der Justizvollzugsanstalt Leipzig vier Schrauben und einige Tage einen zerbrochenen Löffel. Diese Informationen finden sich in der aktualisierten Dokumentation „Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die die Antirassistische Initiative Berlin seit nunmehr 19 Jahren herausgibt.
Elke Schmidt hat mit einer Mitstreiterin 1994 das Projekt begonnen, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI wandte. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass er mit 8 anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken ist. Zusammen mit einem Filmteam hat die ARI den Tod in der Neiße öffentlich gemacht. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik.
Gesammelt werden Informationen und Nachrichten, die es oft nur auf die hinteren Seiten de Regionalzeitungen bringen und schnell wieder vergessen werden. Im letzten Jahr ist die Zahl der Selbsttötungen von Flüchtlingen zurückgegangen, doch die Zahlen der Selbstverletzungen und Selbsttötungsversuche sind weiterhin sehr hoch. Die Gründe dafür sieht Schmidt in der existentiellen Angst vor der Abschiebung, dem „jahrelangen traumatisierenden Zustand des Wartens und Hoffens auf ein Bleiberecht und den zerstörerischen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Lagern und Heimen“.
Wie die bundesweiten Flüchtlingsproteste begannen
Doch Schmidt betont, dass Suizidversuche und Selbstverletzungen nicht nur Ausdruck der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit sondern auch des Protestes sind: „Die Menschen wählen diesen Weg, weil sie keine andere Möglichkeit sehen sich zu wehren“. In der ARI-Dokumentation wird auch auf die Umstände des Selbstmordes des iranischen Flüchtlings Mohammed Rahsepar am 29. Januar 2013 im Flüchtlingsheim Würzburg eingegangen.
Wegen starker gesundheitlicher Probleme wollte der 29jährige Mann einen Arzt aufsuchen. Nachdem er nach stundenlangem vergeblichem Warten ins Flüchtlingsheim zurückkehrte, schloss er sich in sein Zimmer ein und erhängte sich. Nach seinem Tod demonstrierten 80 Mitbewohner in der Würzburger Innenstadt gegen ihre Lebensbedingungen. Es war der Beginn des bisher größten bundesweiten Flüchtlingswiderstands, der bis heute anhält. Ein Zeltdorf und eine besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg sind die aktuellen Domizile von Flüchtlingen aus ganz Deutschland.
Erinnerung an ein Jubiläum
Die vielen Beispiele der zerstörerischen Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik sind aber noch aus einem weiteren Grund interessant. Sie verweisen auf einen Jahrestag, den bisher nur wenig politische Gruppen überhaupt registriert haben. Im Mai 1993 wurde vom Bundestag damals noch in Bonn das Asylrecht soweit eingeschränkt, dass kaum noch Menschen die Möglichkeit haben, einen langfristig gesicherten Aufenthalt zu bekommen.
An der Geschichte des kleinen Dokumentationsteam kann man die Konsequenzen gut aufzeigen. 1994 war die Festung Deutschland schon soweit Realität, dass ein Überqueren der Neiße tödlich enden konnte. So wie die ARI-Gruppe dmals diese tödliche Flüchtlingspolitik in Film und Text festhielt, erinnert sie sie weiterhin kontinuierlich daran, dass die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik auch dann gefährlich und zuweilen auch tödlich ist, wenn nicht gerade Neonazis und deren Untergrund aktiv sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154116
Peter Nowak
Tödliche Flüchtlingspolitik
Dokumentation listet Fälle von Misshandlungen, Gewalt und Suiziden auf
In Deutschland sterben Jahr für Jahr Menschen, weil der Staat sie ohne Zukunftsaussichten in Heime sperrt. Eine antirassistische Initiative dokumentiert die Fälle.
Am 23. April 2012 brachte sich ein iranischer Flüchtling in der Würzburger Asylunterkunft mit den Scherben einer Flasche schwere Schnittverletzungen bei. Am 3. Mai letzten Jahres schluckte ein tunesischer Abschiebegefangener im Haftkrankenhaus der Justizvollzugsanstalt Leipzig vier Schrauben und einige Tage später einen zerbrochenen Löffel. Diese Fälle finden sich in der aktualisierten Dokumentation »Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen«, die die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) seit nunmehr 19 Jahren herausgibt.
Elke Schmidt hat mit einer Mitstreiterin 1994 das Projekt begonnen, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI wandte. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass er mit acht tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken ist. Zusammen mit einem Filmteam hat die ARI den Tod in der Neiße öffentlich gemacht. Seitdem sammelt das kleine Dokuteam Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik.
Gesammelt werden Informationen und Nachrichten, die es oft nur auf die hinteren Seiten der Regionalzeitungen bringen und schnell wieder vergessen werden. Im letzten Jahr ist die Zahl der Selbsttötungen von Flüchtlingen zurückgegangen, doch die der Selbstverletzungen und Selbsttötungsversuche ist weiterhin sehr hoch. Die Gründe dafür sieht Schmidt in der existenziellen Angst vor der Abschiebung, dem »jahrelangen traumatisierenden Zustand des Wartens und Hoffens auf ein Bleiberecht und den zerstörerischen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Lagern und Heimen.«
Doch Schmidt betont, dass es nicht darum gehe, die Flüchtlinge lediglich als Opfer zu sehen. Suizidversuche und Selbstverletzungen seien nicht nur Ausdruck der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit, sondern auch des Protestes. »Menschen wählen diesen Weg, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, sich zu wehren.«
Auffällig ist die gehäufte Folge von Selbsttötungsversuchen in bayerischen Flüchtlingsunterkünften im letzten Jahr, die dokumentiert werden. Darunter auch der Fall des iranischen Flüchtlings Mohammed Rahsepar am 29. Januar 2013 im Flüchtlingsheim Würzburg. Wegen starker gesundheitlicher Probleme wollte der 29-jährige Mann einen Arzt aufsuchen. Nachdem er nach stundenlangem vergeblichen Warten ins Flüchtlingsheim zurückkehrte, schloss er sich in sein Zimmer ein und erhängte sich. Nach seinem Tod demonstrierten 80 Mitbewohner in der Würzburger Innenstadt gegen ihre schlechten Lebensbedingungen. Das war der Beginn des bisher größten bundesweiten Flüchtlingswiderstandes, der bis heute anhält.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/818944.toedliche-fluechtlingspolitik.html
Peter Nowak
Dokumentation der Gewalt
Auch 2010 Diskriminierung von Flüchtlingen zahlreich dokumentiert
Die neueste Auflage der Dokumentation über die Opfer deutscher Flüchtlingspolitik von der Antirassistischen Initiative Berlin berichtet über 6000 Einzelschicksale von Betroffenen.
Am 20. Januar 2010 verübte der 23jährige Wladim S. Selbstmord, in dem er sich von der Hamburger S-Bahn überfahren ließ. Er war 1993 mit seiner Familie von Lettland nach Deutschland gekommen, wegen kleinkrimineller Delikte verurteilt und in seine Heimat abgeschoben worden. Er versuchte mehrmals nach Deutschland zurückzukehren, wo er seinem Leben ein Ende setzte.
Am 21. Juli wurde der 58 Jahre alte Slawik C. in der JVA Hannover-Langenhagen tot aufgefunden. Er war 1999 aus Aserbaidschan in die Bundesrepublik geflohen, nachdem ein Sohn während des Militärdienstes auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen war. Seine Asylanträge wurden abgelehnt und aus Angst vor der drohenden Abschiebung tötete er sich.
Diese beiden Todesfälle sind in der aktualisierten Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und seine tödlichen Folgen« aufgeführt, die gestern von der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) veröffentlicht worden ist.
Seit 1993 gibt die ARI den jährlich aktualisierten Report heraus, der die verschiedenen Formen von Gewalt, Verletzungen und Diskriminierungen gegen Flüchtlinge recherchiert und auflistet. Die Zahlen der letzten 18 Jahre geben erschreckende Auskunft über eine meist totgeschwiegene Realität:
160 Flüchtlinge töteten sich in diesem Zeitraum angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 62 Menschen in Abschiebehaft. 922 Flüchtlinge verletzten sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung. 68 Flüchtlinge starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. 15 Flüchtlinge starben durch Angriffe auf der Straße und 785 wurden dabei erheblich verletzt.
»Die Diskriminierung, Ausgrenzung, Kriminalisierung, Traumatisierung und das Elend von Flüchtlingen in der Bundesrepublik setzten sich auch im Jahre 2010 unverändert fort«, heißt es in der Pressemitteilung zur aktuellen Dokumentation. »Die Dokumentation ist der Versuch anhand von vielen Einzelbeispielen und in ihrer Gesamtheit Beweise für den institutionellen Rassismus vorzulegen. Sie ist der Versuch, die schlimmsten Auswirkungen des rassistischen Systems dieses Staates auf Flüchtlinge und Menschen ohne Papiere für die Leserinnen und Leser deutlich zu machen«, erklärte eine ARI-Mitarbeiterin gegenüber ND.
Einen besonderen Schwerpunkt legten die Antirassisten auf das Flüchtlingslager Nostorf-Horst in Mecklenburg Vorpommern. In den Räumen einer ehemaligen DDR-Kaserne leben vier bis fünf Personen in einen Raum von 15 Quadratmetern. Im Sommer und Herbst 2010 habe sich die Zahl der Bewohner auf über 400 Menschen erhöht, heißt es in der Dokumentation. Darin werden auch mehrere Beispiele von Schikanen gegenüber Flüchtlingen und Fälle von Flüchtlingswiderstand aufgelistet.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/197972.dokumentation-der-gewalt.html
Peter Nowak