Der Streit um die Null-Toleranz-Politik gegenüber Cannabis am Görlitzer Park in Berlin
Eigentlich hat der Berliner Stadtteil Kreuzberg den Ruf, sehr liberal zu sein. Schließlich sind die Grünen dort die führende Partei und die CDU hat in dem Stadtteil eine Größenordnung, wie sie woanders die Grünen haben. Und doch gelten in einem Teil des Stadtteils seit fast einen Monat die restriktivsten Drogengesetze Berlins.
Seit dem 31. März gilt rund um den Görlitzer Park eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Cannabis. Wer dort mit auch einer kleinen Menge Cannabis von der Polizei angetroffen wird, muss mit Strafverfolgung rechnen. Der Jurist Wolfgang Neskovic hält diese Verordnung des CDU-Innensenators Henkel für rechtswidrig [1] mit Verweis auf den „Cannabis-Beschluss“ des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994:
Neskovic wurde dadurch bekannt wurde, dass er schon zu einer Zeit für eine Entkriminalisierung von Cannabis eingetreten ist, als so eine Haltung noch gesellschaftlich in der Minderheit war. Mittlerweile hat sich das geändert und daher ist es umso anachronistischer, dass ausgerechnet mitten in Kreuzberg eine harte Linie gegen Drogenkonsumenten durchgesetzt werden soll.
Darüber waren sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion unter dem Motto „Mach meinen Görli nicht an“ [2] einig, zu der am 28. April die Rosa Luxemburg Stiftung und die Helle Panke in den Veranstaltungsaal SO 36 [3]nach Kreuzberg einluden.
Der Vorsitzende der Berliner Linkspartei Klaus Lederer [4] sieht die Null-Toleranz-Linie um den Görlitzer Park als ein Pilotprojekt der Berliner CDU, um mit sich mit einer Law- and Order-Politik zu profilieren und ihr Klientel bei der Stange zu halten.
Gute Drogen, schlechte Drogen und romantisierte Drogenverkäufer
Auch der Historiker Jan-Henrik Friedrichs, der über die Drogenpolitik im historischen Kontext forscht (), kritisiert [5] den weitverbreiteten Irrglauben, dass bestimmte Drogen immer und überall verboten waren.
„Keine Droge ist illegal, sondern sie werden durch eine Interessenpolitik illegalisiert“, erklärt er mit Verweis auf das Alkoholverbot in den USA in den 20 Jahren des letzten Jahrhunderts. Weniger bekannt ist, dass die preußische Regierung 1777 den Konsum von Tee verbot. Die Begründung war aufschlussreich.
Der Teekonsum sorge dafür, dass die Menschen zu lange untätig herumsitzen, anstatt zu arbeiten. Die Eigenschaft der Entschleunigung wird auch Cannabis zugesprochen. Ist es da nicht naheliegend, dass in einer Gesellschaft, in der Untätigkeit noch immer verpönt ist, Cannabis im Verdacht steht, den Arbeitsethos anzuknacksen? Sind andererseits nicht Drogen und Pillen gern gesehen, die die Arbeitsfähigkeit der Menschen zumindest kurzfristig steigern? Liegt hier nicht auch ein Grund, warum Nutzer von Speed und vielen anderen Aufputschmittel weniger in der Kritik stehen als die von Cannabis?
Medizinisch ist das nicht zu erklären. Das betonte auch Astrid Leicht von der Organisation Fixpunkt [6], die Drogenkonsumenten berät und unterstützt. Sie lehnt die Politik der Kriminalisierung entschieden ab. Sie warnte allerdings auch vor einer Romantisierung der Drogenverkäuferszene.
Dort herrsche Kapitalismus pur betonte sie. Eine Regulierung sei im Interesse der Konsumenten dringend notwendig. So könnte auch besser kontrolliert werden, was in dem Stoff überhaupt drin ist, der angeboten wird.
Ist ein Coffeeshop die Lösung?
Unisono kritisch äußerten sich alle Podiumsteilnehmer zu einem vieldiskutierten Vorschlag der Kreuzberger Grünen. Sie wollen mittels eines Coffeeshop am Görlitzer Park [7] den Drogenkonsum regulieren. Astrid Leicht sieht darin keinen wirklichen Schutz für die Drogennutzer.
Klaus Lederer kritisiert, dass durch den Coffeeshop Drogen noch mehr zur Ware werden. Er schlägt dagegen Kollektive vor, die die Pflanzen gemeinsam anbauen und auch nutzen. So könnte auch besser garantiert werden, dass der Stoff qualitativ in Ordnung ist. Katharina Oguntoye vom Interkulturellen Netzwerk Joliba [8] brachte bei ihrer Kritik an dem Coffeeshop-Projekt einen Aspekt mit ein, der auch bei großen Teilen des Publikums auf Zustimmung gestoßen ist.
Bisher sind es vor allem Geflüchtete, die Drogen verkaufen, weil sie durch die restriktiven Gesetze keine andere Möglichkeiten haben, sich und ihre Familien zu versorgen. Wenn nun durch einen Coffeeshop eine weiße Mittelschicht profitiert, aber den Geflüchteten keine Alternativen angeboten sind, sorgt ein solches Projekt mit dafür, dass die Not der Menschen noch größer wird. Oguntoye warnt aber auch vor Romantisierungen. Die jungen Menschen aus Afrika auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa, hätten nie vorgehabt, Drogen zu verkaufen.
Es müsse darum gekämpft werden, dass diesen Menschen eine andere Perspektive geboten wird. Oguntoye und ihr Verein haben etwas gemacht, was viele ablehnen. Sie nahmen Kontakt mit den Drogenverkäufern auf. Postkarten wurden gedruckt und verteilt. „Wir haben gesehen, dass es hier nicht um eine Masse sondern um einzelne Individuen mit ihrem ganz persönlichen Schicksal geht“, betont Oguntoye.
All diejenigen, die sich über „dealende Afrikaner“ aufregen, wären gut beraten, sich an der Arbeit des Vereins ein Beispiel zu nehmen. Dann könnten sie auch mal die Perspektive der Menschen erfahren, die mit dem Begriff „afrikanische Dealer“ künstlich homogenisiert werden. Dass um den Görlitzer Park der Drogenverkauf so im Mittelpunkt steht und da vor allem die Händler angegriffen werden, hat seinen Grund auch in solchen rassistischen Zuschreibungen, meinten viele im Publikum.
Schließlich gibt es auch in Berlin viele andere Plätze, an denen mit Drogen gehandelt wird. Dort gibt es aber kein solches Medieninteresse. Am Berliner Bahnhof Zoo, der in den 1980er Jahren durch das Buch „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ bundesweit als Drogenort bekannt wurde, standen nicht die Händler sondern die Nutzer im Mittelpunkt des Interesses.
Wenn der Mittelstand die Drogen entdeckt
Auch hier kommt es auf deren gesellschaftliche Stellung an. So sind Drogen solange verpönt und werden kriminalisiert, solange die einkommensschwachen Menschen sie benutzen. Dann wird das Bild des Faulheit und Sittenverfall fördernden Drogenkonsums aufgebaut. Das war vor mehr als 100 Jahren beim Alkohol nicht anders als bei den heute illegallsierten Drogen.
Erst wenn die Drogen auch bei der Mittelschicht populär waren, werden sie langsam gesellschaftlich anerkannt. Das ist auch der Grund, warum in den USA in verschiedenen Bundesstaaten Cannabis und andere lange verbotene Drogen heute legalisiert werden und Gewinne für den Staat abwerfen.
Ein Veranstaltungsteilnehmer sieht auch in der Auseinandersetzung um den Görlitzer Park einen Klassenkonflikt. Der gut verdiender Mittelstand will weder einkommensarme Menschen noch Drogennutzer in seiner Nähe dulden. Dafür decken sie ihren Drogenkonsum in angesagten Szenekneipen in Neukölln.
http://www.heise.de/tp/news/Keine-Droge-ist-illegal-2629256.html
Peter Nowak 29.04.2015
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