Wenn Flüchtlingsunterbringung zur Staatsräson wird und der Wille der Menschen nicht zählt
Am Freitag konnte man antirassistische Transparente an den Fassaden der SPD-Bundeszentrale in Berlin und eines Magdeburger SPD-Büros sehen. Das ist aber nicht eine Aktion der Sozialdemokraten gegen die bundesdeutsche Flüchtlingsabwehr, die mit dem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz einen Höhepunkt erreichte. Die Transparentaktion ist vielmehr der Auftakt der Frühlingskampagne von Antirassismusgruppen [1].
Heute beginnt eine bundesweite Aktionswoche unter dem Motto Asylgesetzverschärfungen stoppen [2]. Ein Bündnis „Bedingungsloses Bleieberecht“ wollte mit der Besetzung der SPD-Büros „ein öffentliches Zeichen gegen die drohende Asylrechtsverschärfung setzen“. Das inkriminierte Gesetz zur Neubestimmung von Bleiberecht und der Aufenthaltsbeendigung [3] soll einigen Geflüchteten ein Bleiberecht bringen. Doch Flüchtlingsinitiativen und Antirassismusgruppen monieren [4] vor allem die Passagen in dem Entwurf, der das Bleiberecht massiv einschränken würde.
Verschärfung der rechtlichen Situation für Geflüchtete
Konkret wird kritisiert, dass Asylsuchende oder Menschen, die bereits ein Aufenthaltsrecht haben, nach dem Entwurf eine Ausweisung ausgewiesen werden könne, wenn „dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet“.
Neu daran ist die Einführung des „Ausweisungsinteresses“ sowie die diffus gehaltenen Formulierung „oder sonstige erhebliche Interessen“, die zu einer Ausweisung führen können. Auch die Erweiterung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist in dem Gesetz enthalten. Ebenso wurde vom Gesetzgeber nun der Begriff „Fluchtgefahr“ mit Kriterien gefüllt, die einen massiven Gebrauch der Abschiebehaft zur Folge haben werden.
Insoweit wird auch hier vom Gesetzgeber die Umcodierung des Reformbegriffs vorangetrieben. Noch in den 1970er Jahren bedeuteten Reformen in der Regel Verbesserung für viele Menschen. Seit mehr als einem Jahrzehnt dienen Reformen dazu, den Sozialstaat abzubauen und die Lebensbedingungen vieler Menschen zu verschlechtern. Was im Sozialbereich seinen Ausgang nahm, wird jetzt auch in der Flüchtlingspolitik praktiziert.
Flüchtlinge sollen mit allen Mitteln an einen Ort, den sie nie gewählt haben
Die anvisierte Verschärfung für die Geflüchteten ist kein Widerspruch zu den vollmundigen Bekenntnissen von Politikern aller im Bundestag vertretenen Parteien nach dem Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in dem Städtchen Tröglitz.
Sie betonten, das jetzt erst recht möglichst schnell Geflüchtete dort untergebracht werden müssen. Alles andere wäre eine Kapitulation des Rechtsstaates, erklärte der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht. Er nannte die Unterbringung der Geflüchteten in dem Ort eine „Frage der Staatsräson“ [5].
Diese Haltung passt gut zu den zeitgleich laufenden Versuchen, Geflüchtete schneller abzuschieben oder erst gar nicht nach Deutschland kommen zu lassen. Auch das ist für sie eine Frage der Staatsräson. Bei der gesamten Diskussion um Tröglitz wurde besonders viel über Staatsräson gesprochen. Über die Geflüchteten, die nun mit aller Gewalt in einen Ort untergebracht werden sollen, den sie nie ausgewählt haben und in dem sie nicht willkommen sind, spricht hingegen kaum jemand.
Sie werden wie Güter behandelt, die da untergebracht werden müssen, wo es der Gesetzgeber vorsieht. Dass es sich um Menschen handelt, die vielleicht selber gefragt werden wollen, ob sie in dem Ort leben wollen, wird dabei gerne übersehen. Dabei ist es nicht nur eine rassistische Grundstimmung von einem Teil der Einwohner in dem Ort, dass es genug Gründe für eine Kampagne unter dem Motto „Keine Geflüchtete nach Tröglitz gegen ihren Willen“ gäbe. Vielleicht wollen die Menschen lieber in eine größere Stadt, wo sie mehr Möglichkeiten haben, ihr Leben zu gestalten?
Es ist ein Zeichen der großen Defensive auch von Antirassismusgruppen, dass sie gar nicht mehr wagen, die Forderung zu stellen, die Geflüchteten nicht nach Tröglitz zu bringen, sondern sie zu fragen, wo sie hinwollen. Sie wollen nicht in den Verdacht geraten, Rassisten und Rechten mit solchen Forderungen in die Hände zu spielen. Deswegen wird auch von antirassistischer Seite ihre alte Forderung „Nein zum Heim“ nicht mehr propagiert.
Damit war der Kampf gegen die Unterbringung der Menschen in Heimen statt in Privatwohnungen gemeint. Seit Jahren wurde sie von Rechten gekapert. Die meinen aber keine Geflüchteten in ihrer Nähe. Die Antirassismusbewegung wäre gut beraten, gründlicher zu diskutieren, ob es im Interesse der Geflüchteten sinnvoll ist, gegen rechte Heimgegner in der Provinz zu agieren und damit eine Unterbringung dieser Menschen gegen ihren Willen aber nach Staatsräson durchzusetzen.
Wäre es nicht viel sinnvoller, die Ablehnung dieser Zwangsunterbringung in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen? Auf Lampedusa hat das ja geklappt. Dort demonstrierten vor Jahren Einwohner und gegen ihren Willen auf der Insel gestrandete Geflüchtete. Aus unterschiedlichen Gründen waren sie sich in einem einig, sie sollen nicht auf der Insel bleiben.
Staatsräson Flüchtlingsvermeidung
Ansonsten bekommen wir täglich mit, dass es zur Staatsräson gehört, Flüchtlinge abzuschieben, wann immer es möglich ist. Da wird durch eine ARD-Sendung bekannt [6], dass die Berliner Ausländerbehörden mit Rainer Lerche immer wieder auf einen dubiosen Arzt zurückgreifen [7], der Flüchtlinge grundsätzlich für abschiebefähig erklärt und damit gut verdient.
Die Sache wurde publik, weil eine der Abschiebungen vom Berliner Verwaltungsgericht nachträglich als rechtswidrig erklärt [8]wurde. Die zu Unrecht Abgeschobene wird aber nicht zurück nach Deutschland geholt.
Am vergangenen Montag begann ein Gerichtsprozess gegen drei Flüchtlingsaktivisten, die sich im Sommer 2014 mit einer Dachbesetzung gegen ihre Räumung aus einer besetzten Schule in Berlin-Kreuzberg erfolgreich gewehrt haben. Am 10.Dezember 2014, mehrere Monate nach den Aktionen wurden sie verhaftet und wegen schwerer Körperverletzung angeklagt [9] . Sie sollen Gegenstände vom Dach geworfen und damit Menschen gefährdet haben. Beim ersten Prozesstag blieben die Beweise aber sehr vage.
Der Prozess wird am 21. April fortgesetzt. Die drei Beschuldigten bleiben in Untersuchungshaft. Juristen gehen davon aus, dass bei der Aktenlage die Beschuldigten frei wären, wenn sie einen deutschen Pass hätten. So wird auch recht subtil zweierlei Recht praktiziert.
http://www.heise.de/tp/news/Sollen-Fluechtlinge-gegen-ihren-Willen-nach-Troeglitz-2599495.htm
Peter Nowak
Links:
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