„Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“

Der neueste Lagebericht für Afghanistan der Bundesregierung und eine Dokumentation der Antirassistischen Initiative

Viel Konkretes ist bei der ersten Abgeordnetenbefragung der Bundeskanzlerin nicht herausgekommen. Es seien zu viele Fragen gestellt wurden und daher waren die Antworten erwartbar unkonkret, lautet die Kritik.

Und doch könnte die Antwort auf eine Frage dafür sorgen, dass Flüchtlinge aus Afghanistan noch mehr in der Angst leben müssen, in ihre Heimat zurück geschickt zu werden. Angesichts eines neuen Lageberichts aus dem Auswärtigen Amt ist Merkel der Meinung, dass die Gründe für die Einschränkung des Abschiebestopps entfallen.

Wie unterschiedlich ein Lagebericht zu Afghanistan bewertet wird

Der neueste Lagebericht für Afghanistan wird sehr unterschiedlich bewertet. Diejenigen, die die afghanischen Flüchtlinge möglichst schnell abschieben wollen, stützen sich auf die Passage, „die keine systematische, staatlich organisierte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung“ in Afghanistan mehr feststellt.

Vor diesem Hintergrund hatte die CSU bereits gefordert, den Abschiebestopp auf den Prüfstand zu stellen. Nun hat sich Merkel dem angeschlossen. In der SPD gibt es noch Widerspruch dazu. Doch, es gibt auch eine ganz andere Interpretation des Berichts. „Die Lage in Afghanistan bleibt desaströs“, lautet[1] zum Beispiel das Fazit der Süddeutschen Zeitung, die an den noch als vertraulich eingestufen Bericht gekommen ist.

Das Auswärtige Amt hat einen neuen Bericht über die Lage in Afghanistan fertiggestellt. Demnach ist die Situation in dem Land nach wie vor desaströs, auf fast jede positive Entwicklung folgt ein Aber.

Süddeutsche Zeitung

Mitte Dezember 2016 haben die Massenabschiebungen von Geflüchteten aus Deutschland nach Afghanistan begonnen. Längst sind sie zur Routine geworden und die Kritik[2] wie auch die Einschränkungen haben daran wenig geändert.

Die wenig bekannten Konsequenzen

Schlagzeilen machen sie in der Regel nur noch, wenn es einem Geflüchteten gelingt, sich erfolgreich einer zwangsweisen Ausweisung zu entziehen. Jetzt erinnert die Antirassistische Initiative Berlin[3] mit einer Dokumentation an die Konsequenzen dieser Abschiebungen für die Betroffenen.

Sie ist anders als die Berichte des Auswärtigen Amts keine Grundlage für die Regierungspolitik. Daher spielt sie auch bei der Debatte im Bundestag keine Rolle. Dabei steht die Situation der Flüchtlinge in Afghanistan im Mittelpunkt der aktualisierten Dokumentation „Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die die ARI seit 1994 jährlich herausgibt.

Dort sind die Menschen benannt, die nach ihrer Abschiebung in Afghanistan verletzt oder getötet wurden:

Der 23-jährige Asylbewerber Atiqullah Akbari war am 23. Januar 2017 abgeschoben worden. Zwei Wochen später wurde er durch einen Bombenanschlag in Kabul verletzt. Der 22 Jahre alte Farhad Rasuli wird am 10. Mai 2017, drei Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland, in Afghanistan bei einem Anschlag durch die Taliban getötet. Der 23jährige Abdullrazaq Sabier stirbt am 31. Mai bei einem Bombenanschlag im Diplomatenviertel von Kabul. Sein Asylantrag in Deutschland war abgelehnt worden. Nachdem die dritte Sammelabschiebung stattgefunden hatte, gab er dem Abschiebungsdruck der Behörden nach und war im März „freiwillig“ nach Afghanistan zurückgekehrt.

Antirassistische Initiative Berlin

Die Angst wächst auch unter afghanischen Flüchtlingen in Deutschland

Elke Schmidt von der ARI macht im Gespräch mit Telepolis darauf aufmerksam, dass die Massenabschiebungen nicht nur in Afghanistan tödliche Folgen haben. „Mindestens 8 Afghanen, davon 3 Minderjährige, töteten sich in den Jahren 2016 und 2017 selbst. Es kam zu 110 Selbstverletzungen und Suizidversuchen.“

Doch Elke Schmidt geht von einer höheren Dunkelziffer aus. Schließlich veröffentlicht die ARI in ihrer Dokumentation nur Meldungen, die gegenrecherchiert und bestätigt wurden. So zündete sich am 2. Januar 2017 ein 19jähriger Afghane im Warenlager eines Supermarkts im bayerischen Gaimersheim selbst an, nachdem er sich mit Benzin übergossen hatte. Er wurde mit schweren Brandverletzungen ins Krankenhaus gebracht.

Der bayerische Flüchtlingsrat[4] erinnerte nach dem Vorfall in einer Presseerklärung daran, dass die Arbeitsverbote und die sich häufenden Abschiebungen bei vielen afghanischen Geflüchteten Ängste auslösen, die bis zum Selbstmord führen. Oft kam es auch zur Retraumatisierung bei Menschen, die in Afghanistan und auf ihrer Flucht mit Gewalt und Misshandlungen konfrontiert waren.

Die aktuelle Debatte um die Aufhebung der noch bestehenden Einschränkungen bei den Abschiebungen nach Afghanistan dürfte die Ängste der Menschen noch erhöhen. Die Dokumentation liefert viele erschreckende Beispiele über die tödliche Flüchtlingspolitik aus der ganzen Republik. Sie ist seit 1994 ein leider noch immer unverzichtbares Stück Gegenöffentlichkeit.

Seit wenigen Wochen ist diese wohl umfangreichste Dokumentation des bundesdeutschen Alltagsrassismus unter ari-dok.org[5] auf einer Datenbank im Internet zu finden. Durch die Onlinedatenbank hoffen Schmidt und ihre Mitstreiter, dass noch mehr Menschen auf die gesammelten Daten zugreifen. In der letzten Zeit habe es vermehrt Anfragen von Schülern und Studierenden gegeben.

Schmidt gehörte vor 24 Jahren zu den Mitbegründern des Projekts. Damals hatte sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass er mit 8 tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken ist. Die Neiße als EU-Grenze ist längst Geschichte, die gewalttätige und oft auch tödliche deutsche Flüchtlingspolitik leider nicht

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4075253
https://www.heise.de/tp/features/Bundesdeutsche-Fluechtlingspolitik-und-ihre-toedlichen-Folgen-4075253.html

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/lagebericht-des-auswaertigen-amts-afghanen-droht-wieder-abschiebung-1.3998925
[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-01/fluechtlinge-afghanistan-abschiebeflug
[3] http://www.ari-berlin.org
[4] https://www.fluechtlingsrat-bayern.de/informationen.html
[5] https://www.ari-dok.org/

Rechte Politik macht immer noch die Mitte

Schäuble als „Reserve-Kanzler“? Die Lobeshymen auf Schäuble bis ins linksliberale Milieu zeigen, dass erfolgreiche rechte Politik ohne die AfD gemacht wird

Die vergangene Woche gab es eine „Premiere“, zumindest wenn man den Medien Glauben schenkt. Der Bundestag hat sich konstituiert, in dem bekanntlich mit der AfD eine Fraktion rechts von der CDU/CSU eingezogen ist. Nun machten sich alle Gedanken darüber, wie man jetzt mit den rechten Neuzugängen im Parlament umgehen soll. Eigentlich eine absurde Frage.

Schließlich wurde rechte Politik seit Gründung der BRD im Bundestag immer gemacht und dazu brauchte man in der Tat in den seltensten Fällen eine Fraktion rechts von der Union. Denn in der Regel hatten das Monopol für rechte Politik die Unionsparteien, die FDP und auch der Mehrheitsflügel der SPD. Das hatte sich auch bei der Konstituierung des neuen Bundestages gezeigt.

Am gleichen Tag wurden 14 Afghanen mit einem Sonderflug nach Kabul geflogen. Es ist die siebte Sammelabschiebung nach Afghanistan seit Dezember 2016 und dass sich das Datum dieses Mal mit der Bundestagseröffnung kreuzt, war sicher keine Verbeugung vor der AfD, wie die Innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, polemisch schrieb[1].


Normalzustand rechter Politik

Es war vielmehr der Normalzustand rechter Politik, den der sächsische Innenminister und Vorsitzende der Bundesinnenministerkonferenz Markus Ulbig so auf den Punkt brachte[2]: „Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren und Inanspruchnahme aller rechtsstaatlichen Mittel bei uns kein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen.“

Konsequente Rückführungen seien notwendig „für die Akzeptanz unserer Asylpolitik bei den Bürgern“. Damit unterschlägt der konservative Politiker, dass es eine ganze Reihe von Migranten gibt, die trotz eines abgelehnten Asylverfahrens nicht abgeschoben werden können, beispielsweise weil ihre Herkunft unklar ist oder das Herkunftsland die Rücknahme verweigert. Nur unter Außerachtlassung dieser Fakten kann sich Ulbig als Vollstrecker des „Volkswillens“ inszenieren, der hier mit „möglichst viele Ausländer raus“ interpretiert wird.

Wechselwirkung des AfD-Wahlerfolgs mit dem Rechtskurs der etablierten Parteien

Hier zeigt sich die Wechselwirkung des AfD-Wahlerfolgs mit dem Rechtskurs in den etablierten Parteien. Profitieren können davon beide Seiten. Der rechte Flügel der etablierten Parteien kann sich nun mehr in der Mitte präsentieren und immer davor warnen, dass die AfD profitiert, wenn nun nicht schneller abgeschoben wird.

Die AfD hingegen kann darauf verweisen, dass knapp 12% Wahlstimmen schon Wirkung zeigen und dass die etablierten Politiker jetzt von ihr abschreiben. Dabei muss sie keine Angst davor haben, dass ihr die Themen ausgehen. Sie wird immer noch mehr Einschnitte bei den Flüchtlingsrechten fordern und kann die Etablierten so vor sich hertreiben.


Abschiebung zur „Chefsache machen“

Auch die Bild-Zeitung beteiligt sich wie üblich an dem Spiel, wer der Populistischere im ganzen Land ist, und startet eine Unterschriftenaktion mit dem Motto Abschiebung zur Chefsache machen[3]. Deutlich wird, wie gering die Trennschärfe zwischen den Etablierten und der AfD inhaltlich ist. Dabei zielt die Bildkampagne schon auf die mögliche Koalition von Union, FDP und Grünen.

Auf letztere soll damit Druck ausgeübt werden, bloß nicht etwa auf einer humanen Flüchtlingspolitik zu beharren. „Tausende Leser unterstützen den Bild-Appell“, lobt sich das Boulevardblatt selber und zitiert Politiker von SPD und Union, die nun ebenfalls auf Bild-Linie sind. In den Leser-Statements ist es noch fast eine gemäßigte Position, dass alle vom Gastrecht ausgehen, das verwirkt, wer sich hier nicht anpasst.

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wurde heftig kritisiert, weil sie nach der Silvesternacht von 2015 ebenfalls vom verwirkten Gastrecht redete. Allerdings wurde wohl auch von ihren Kritikern davon ausgegangen, dass sich alle, die sich in Köln danebenbenommen haben, Flüchtlinge waren. Doch das ist ja schon mal eine Zuschreibung. Warum geht man nicht erst einmal davon aus, dass es sich um Besucher handelt, die auch Gäste genannt werde?

Dann kann man durchaus darüber diskutieren, ob bei erwiesenen sexistischen Handlungen ein temporäres Einreiseverbot eine Sanktionsmaßnahme sein kann. Menschen, die aus asylrechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, wären davon ausgenommen.

Bei der Diskussion um das Wagenknecht-Zitat ließen auch ihre Kritiker diese Differenzierung vermissen und setzten die Köln-Besucher der Silvesternacht mit Flüchtlingen gleich, was ja schon eine Projektion ist. In den Statements der Bild-Leser gibt es größtenteils diese Differenzierung ebenfalls nicht.

Da gibt es nur ein Gastrecht und das hat schon verwirkt, wer sich nicht benimmt, wie eine Leserin erklärte. Das heißt, es braucht nicht einmal mehr ein justitiables Delikt für eine Abschiebung. Und wenn von manchen argumentiert wird, durch die Abschiebungen bekomme man Platz für die, die wirklich Asyl brauchen, wird unterstellt, dass wer in Deutschland kriminell wird, nicht in einem anderen Land verfolgt wurde und wird.

Klassiker des Rechtspopulismus

Daneben finden sich in den Statements sämtliche Klassiker des Rechtspopulismus, von der elitären Politikerkaste, die nicht auf das „Volk“ hört bis zur Behauptung, dass sich in Deutschland die Menschen nachts nicht mehr auf die Straße trauen. Die Bild-Kampagne sorgt dafür, dass die Themen, die die AfD groß gemacht hat, auch nach der Wahl kampagnenfähig bleiben.

Schon im Wahlkampf hatte man bei manchen Talk-Shows den Eindruck, als gelte die Devise, die AfD fragt und die Politiker antworten. Aber die Bild-Kampagne zeigt auch, dass die AfD nicht der einzige und nicht mal der entscheidende Akteur für die rechte Politik in Deutschland ist. Bild hat da ja schon lange Erfahrung, Manche werden sich noch an die Kampagne gegen die „Pleitegriechen“ erinnern. Auch damals ließen sich Leser mit dem Statement fotografieren, wonach der deutsche Steuerzahler keinen Pfennig an Griechenland geben soll.

AfD und Schäuble – einig in harter Haltung gegenüber Griechenland

Damit bediente Bild ein Thema, das bei der Gründung der AfD eine zentrale Rolle spielte. Die wirtschaftsliberale Professorenriege, die die Wahlalternative initiierte, störte sich in erster Linie daran, dass deutsche Steuerzahler für griechische Schulden aufkommen könnten. Das war von Anfang an falsch, aber wirkungsmächtig.

Denn um der griechischen Bevölkerung klare Kante zu zeigen, brauchte es keine neue Rechtspartei. Wolfgang Schäuble hatte als Bundesfinanzminister die nötigen Instrumente, um in Griechenland eine wirtschaftliche Entwicklung, die den deutschen Eliten nicht passt, zu verhindern. Das zeigte sich nach dem Wahlsieg von Syriza und dem kurzen griechischen Frühling, wo scheinbar tatsächlich ein anderes Europa möglich schien.

Es war vor allem Schäuble, der durchsetzte, dass es nur das deutsche Modell geben könne. Ein Bündnis aus Mob und Elite bescherte Schäuble dafür kontinuierlich hohe Zustimmungswerte und das hat sich auch nach seinem Wechsel zum Am des Bundestagspräsidenten nicht geändert.

Der Reservekanzler

Was sich geändert hat, dass es scheinbar kaum noch linke Kritik an ihm gibt. Selbst Medien wie die Taz schweigen zu seiner zentralen Rolle bei dem Abwürgen des griechischen Frühlings. Von seiner politischen Geschichte als Mann der Schwarzen Kassen in der Kohl-Ära[4] will schon gar niemand mehr was wissen.

Als Mann der Schwarzen Null wurde er zum beliebtesten Politiker. Manche sehen ihn noch immer als „Reservekanzler“, wenn Merkel scheitert wie z.B. der Cicero-Gründer Weimer. Diese konservative Stimme beschreibt[5] sehr gut den Hype um Schäuble:

Als neuer Bundestagspräsident erfährt der ehemalige Finanzminister schon jetzt ungewöhnlich viel Zuspruch. Aus dem Bundestag erreichen „den großen Demokraten“ Huldigungen aus mehreren Fraktionen, im Ausland wird er als „Gigant“ (so die IWF-Chefin Christine Lagarde) gewürdigt, Leitartikel loben ihn als lebende Legende der deutschen Politik, als graue Eminenz, zu Fleisch gewordene Bundesrepublik und der ARD-Deutschlandtrend zeigt ihn als beliebtesten Politiker Deutschlands. Schäuble ist eine Art Jupp Heynckes der deutschen Politik. Je älter desto besser.

The European[6]

Doch eher in den Bereich der Schäuble-Astrologie gehören wohl diese Hoffnungen des konservativen Blattes:

Denn Schäuble verkörpert auch als Bundestagspräsident eine sichere Alternative in unruhigen Zeiten, ein immer denkbarer Ersatz für Merkel, darum wird er in der Unionsfraktion zuweilen „Vati“ gerufen, der „Mutti“ jederzeit ablösen könne – vor allem wenn die Jamaika-Regierung platzen würde. Schon jetzt raunen CDU-Abgeordnete: Sollte in dieser Legislatur ein Krisenkanzler gebraucht werden, sollte die politische Architektur der Republik auf dem Spiel stehen, dann wäre er der natürliche Achsen-Schmied der Stabilität. „Wenn Jamaika platzt, dann kann Schäuble mit der SPD eine neue Regierung formieren. Ihn würden sie als Übergangskanzler akzeptieren“, heißt es aus der Fraktion.

The European[7]

Doch einen wahren Kern könnten diese Spekulationen haben. Bei einem Abgang Merkels könnte Schäuble für den Übergang die Union wieder ohne Schnörkel nach rechts führen. Dass es dann nicht unbedingt um eine Koalition mit der SPD gehen muss, ist auch klar. Denn spätestens wenn die AfD auch im nächsten Bundestag wieder vertreten sein wird, beginnt in der Union die Debatte um ihre Einbindung.

Schon deshalb, weil es ja um Machtoptionen geht. Eine wie auch immer geartete Kooperation mit der Linken war bei der SPD nicht undenkbar, bei der Union schon. Bei der AfD ist es für die Union leichter, sie in irgendeiner Weise und sei es auch in einem Bundesland wie Sachsen mit einzubeziehen. Schäuble wäre ein Mann, der einen solchen Kurs durchsetzen könnte.

Schäuble eine Art „moderner Hindenburg“?

Dann würde auch ein etwas unvermittelter und historisch fragwürdiger Hindenburg-Vergleich in der Taz noch Sinn machen. Jenseits der historischen Realität schrieb Ambros Waibel[8]:

Wie eine Art wiederauferstandener Paul von Hindenburg, als Sieger in zahlreichen -Schlachten gegen die nach deutschen Steuergeldern gierenden Südeuropäer, würde Schäuble auch die Rüpel von der Alternative für Deutschland im Zaum halten.

Taz[9]

Nun hatte Hindenburg die Nazis nie im Zaum gehalten. Im Gegenteil stand er für eine Faschisierung der Weimarer Republik, schon bevor die Nazis zum Faktor wurden. Er wurde als Kandidat der republikfeindlichen Rechten 1925 gewählt. 1932 unterstützte ihn dann die SPD und wollte ihn als Bollwerk gegen die Nazis anpreisen. Die KPD plakatierte damals „Wer Hindenburg wählt Hitler – wer Hitler wählt, wählt den Krieg“.

Dass es dabei nicht um Prophetie, sondern um die exakte Analyse der Hindenburg-Politik handelt, zeigte sich auch daran, dass zahlreiche parteiunabhängige Linksintellektuelle wie Carl von Ossietzky zu einer ähnlichen Einschätzung kamen. Trotzdem hält sich bis in die Taz-Kommentarseite der Mythos vom Hindenburg, der die Nazis im Zaum halten wollte.

Was bei aller Vorsicht – wir leben nicht in einem 1933-Revival -, interessant an dem Vergleich Schäuble-Hindenburg sein könnte, erwähnt Ambos nicht.

Schäuble war in seiner langen politischen Karriere immer ein Mann der Rechten, aber im Rahmen der etablierten Parteien. Deshalb hat er auch seine Vorbehalte gegen die neuen rechten Emporkömmlinge von der AfD geäußert, denen er mangelnde Professionalität vorwirft.

Da trifft er sich durchaus mit Hindenburg und seiner Umgebung, denen an den Nazis vor allem störte, dass sie nicht die aristokratische Etikette hatten. Das hinderte Hindenburg nicht, Hitler zum Kanzler zu ernennen.

So könnte auch Schäuble der Mann sein, der die Brücken zwischen Union und AfD baut, wenn sich zeigt, dass die Partei keine politische Eintagsfliege im Parlament bleibt. Zurzeit wird rechte Politik aber noch ohne die AfD gemacht und die Lobeshymen auf Schäuble bis ins linksliberale Milieu zeigen, dass es die erfolgreichere Variante ist.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Rechte-Politik-macht-immer-noch-die-Mitte-3875540.html

URL dieses Artikels:

http://www.heise.de/-3875540

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ulla-jelpke.de/2017/10/flugshow-fuer-wutbuerger/
[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/proteste-in-leipzig-14-afghanische-fluechtlinge-abgeschoben/20499096.html
[3] http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/bild-petition-merkel-sollabschiebung-zur-chefsache-machen-53581188.bild.html
[4] http://www.focus.de/politik/deutschland/finanzminister-spricht-in-ard-es-gibt-keine-spender-ein-satz-mit-dem-schaeubles-trauma-wieder-aufbricht_id_4898881.html
[5] http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13005-deutschlands-beliebtester-politiker
[6] http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13005-deutschlands-beliebtester-politiker
[7] http://www.theeuropean.de/wolfram-weimer/13005-deutschlands-beliebtester-politiker
[8] http://www.taz.de/!5455962/
[9] http://www.taz.de/!5455962