Ultrarechte Bestrebungen in Osteuropa unter Beobachtung

Politische Initiativen sorgen sich um eine Entwicklung in der Ukraine, die ähnlich verlaufen könnte wie in Ungarn

Am 16. März wollen in der lettischen Hauptstadt Riga wieder die Veteranen der ehemaligen Waffen-SS und ihre jüngeren Epigonen durch die Stadt ziehen. Nur kleine Gruppen meist aus der russischsprachigen Bevölkerung protestieren gegen den Tag der Legionäre. Doch in diesem Jahr beteiligt sich erstmals auch eine Delegation von Antifaschisten aus Deutschland an den Protesten.

Die FIR [1] und die VVN-BdA [2] organisieren einen Bus, mit dem die Delegation in die lettische Hauptstadt fährt. Damit wollen sie das Bündnis für ein Lettland ohne Nazis unterstützen [3], das im Wesentlichen die Proteste in Lettland organisiert. Viele von ihnen sind Holocaustopfer oder Kinder ehemaliger Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.

Antifa nach Riga

Der Geschäftsführer der Berliner VVN-BdA Markus Tervooren erklärte gegenüber Telepolis, dass die Delegation nach Riga keine einmalige Aktion bleiben soll: „Wir wollen alte Kontakte erneuern. Daher werden wir auch in den kommenden Jahren sicher öfter nach Riga und auch in andere baltische Staaten fahren. So ist für den Sommer eine Beteiligung an antifaschistischen Protesten gegen einen Aufmarsch der Waffen-SS in Estland geplant.“

Das verstärkte Interesse an einer Koordination des Widerstands gegen Rechts ist auch den aktuellen politischen Entwicklungen in Osteuropa geschuldet. Nachdem bereits in Ungarn eine rechte Ordnungszelle entstanden ist, in der eine mit absoluter Mehrheit regierende rechtskonservative Regierungspartei und eine rechtsextreme Oppositionspartei die politische Agenda bestimmen, könnte sich in der Ukraine eine ähnliche Entwicklung wiederholen.

Im Zuge des Umsturzes haben organisierte Ultrarechte in vielen Regionen an Einfluss gewonnen. Dabei geht es nicht darum zu behaupten, dass alle oder auch nur die Mehrheit der Protestierenden organisierte Rechte sind. Doch sie haben offenbar an vielen Orten eine politische Hegemonie, weil sie gut organisiert sind und es auch verstehen, Kritiker zu bedrohen und einzuschüchtern. Solche Meldungen sind in den letzten Wochen aus verschiedenen Regionen der Ukraine gekommen.

Streit unter Linken und Grünen

Mittlerweile hat die linke Solidaritätsorganisation Rote Hilfe [4] einen Solidaritätsaufruf für verfolgte Antifaschisten in der Ukraine veröffentlicht. Michael Dandl aus dem Bundesvorstand der Roten Hilfe erklärte in einem Interview: „Aktivisten, die versucht haben, im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten linke Positionen zu vertreten, wurden wiederholt angegriffen, so dass viele von ihnen die Stadt verlassen mussten. Ebenso wurde uns von Todesdrohungen und entsprechenden Listen, über die der ‚Rechte Sektor‘ verfügt, berichtet. Das ist äußerst bedrohlich für die Genossen vor Ort – und ein Ende ist nicht abzusehen.“

Nach ihm sollen Ortsgruppen der Roten Hilfe direkte Kontakte in die Ukraine haben und könnten Berichte über rechte Übergriffe in der Ukraine nachprüfen. Eine genaue Überprüfung der Quellen ist natürlich auch in diesen Fällen unbedingt erforderlich. Denn in den letzten Wochen hat sich über das Ausmaß der Beteiligung rechter Gruppen an den Protesten in der Ukraine eine politische Kontroverse entzündet.

Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde ein Aufruf grünennaher Wissenschaftler [5], die erklärten, die Protestbewegung sei nicht extremistisch, sondern freiheitlich. Den Autoren scheint nicht bewusst gewesen zu sein, dass der Begriff „freiheitlich“ in vielen Ländern das Adjektiv von rechten Parteien ist. Als Beispiel seien nur die Freiheitlichen in Österreich genannt. In dem Aufruf wird suggeriert, die extreme ukrainische Rechte sei im wesentlich ein Phantasma Moskaus [6]. Auch in Medien, die unverdächtig sind, Moskauer Interessen zu vertreten, kann man von Aktivitäten der Ultrarechten in der Ukraine lesen. Die Grünen warnen die Medien davor, sich von der russischen Propaganda instrumentalisieren zu lassen.

In der Linkspartei werden die Grünen kritisiert. Sahra Wagenknecht wirft [7] ihnen „Blindheit für die faschistischen Teile“ der Interims-Regierung vor. Die Abgeordnete Sevim Dagdelen twitterte: „sehen noch immer den Wald vor lauter Bäumen nicht.Sehen in Kiew noch immer gar keine Faschisten.Auf dem rechten Auge blind?“ Allerdings gibt es auch in der unabhängigen Linken Kontroversen über den Umgang mit den Rechten.

So erklärten ukrainische Anarchisten [8] Ende Januar, warum sie sich trotz der starken Präsenz der Ultrarechten an den Protesten beteiligen: „Der Faschismus von der Partei der Regionen ist heute viel realistischer als der angebliche Faschismus der Swoboda Partei oder von den Deppen aus dem Rechten Sektor [außerparteiliche Nazis, die bei den Protesten aktiv sind und einen großen Anteil von Riot Porn produzieren, aber keine Massenunterstützung haben].“

Auffällig ist, wie inflationär hier der Faschismusvorwurf gegenüber der prorussischen Seite benutzt wird und wie er bei den Kräften, die sich auf den historischen ukrainischen Nationalismus beziehen, relativiert wird.

Russland – antifaschistisches Bollwerk?

Andere Kräfte wiederum imaginieren im Putin-Russland die Wiedergänger der autoritären nominalsozialistischen Sowjetunion und wollen noch einmal frühere Schlachten reinszenieren.

Tatsächlich bemüht sich die offizielle russische Seite sehr um eine antifaschistische Rhetorik. In den letzten Wochen ist in vielen Erklärungen darauf hingewiesen worden, dass Ultrarechte und Antisemiten in der ukrainischen Regierung sitzen. Auf der Krim wurden die Swoboda-Bewegung und der Rechte Sektor mittlerweile verboten.

Doch das macht aus der russischen Seite natürlich keinesfalls Antifaschisten. So etwa wird in einem demnächst im Kino anlaufenden Film „Die Moskauer Prozesse“ [9] des Schweizer Regisseurs Milo Rau deutlich, dass auch in Russland Neonazis und Ultrarechte im Herrschaftssystem aktiv gegen kritische Künstler, Juden, Linke und Unangepasste agieren.

Deswegen ist aber die russische Kritik der Beteiligung der ukrainischen Ultrarechten keinesfalls falsch. Zumal sie längst nicht nur von der Regierung und der ihnen nahestehenden Presse kommt. So haben auf einem Treffen am 25. Februar in Moskau auch libertäre und rätekommunistische Gruppen eine Erklärung verfasst, in der zum Aufbau eines „antifaschistischen Stabs Ukraine“ aufgerufen wird. Dort wird die Situation der letzten Monate in der Ukraine recht gut beschrieben:

„Die langjährige Politik der bürgerlichen Machthaber der Ukraine sowie die weltweite Wirtschaftskrise haben zu unerträglichen Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung geführt. Das Janukowitsch-Regime hatte während des letzten halben Jahres versprochen, einen bedeutenden Teil der wirtschaftlichen Probleme durch die europäische Integration zu lösen. Der plötzliche Verzicht auf die angekündigten Pläne provozierte eine weit verbreitete Unzufriedenheit und deren Ausbruch. Der Prozess war klassenübergreifend und weitgehend spontan. Am Besten darauf vorbereitet war die nationalistische Bewegung, die von der liberalen Opposition als Stoßtrupp des Straßenkampfes verwendet wurde, wodurch der Protest anti-kommunistische oder sogar faschistische Züge bekam.“

http://www.heise.de/tp/news/Ultrarechte-Bestrebungen-in-Osteuropa-unter-Beobachtung-2141120.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.fir.at/

[2]

http://www.vvn-bda.de/

[3]

http://worldwithoutnazism.org/deutsch/

[4]

http://www.rote-hilfe.de

[5]

https://www.boell.de/de/2014/02/20/euromaidan-freiheitliche-massenbewegung-zivilen-ungehorsams

[6]

http://anton-shekhovtsov.blogspot.de/2014/02/pro-russian-network-behind-anti.html

[7]

http://www.tagesspiegel.de/politik/krim-krise-sahra-wagenknecht-warnt-vor-dem-dritten-weltkrieg/9605202.html

[8]

http://syndikalismus.wordpress.com/2014/01/23/aufruf-zur-solidaritat-mit-den-ukrainischen-anarchisten/

[9]

http://www.filmstarts.de/kritiken/225160.html
Eine spannende Debatte

Ist eine Demokratisierung der Wirtschaft überhaupt möglich?

»Demokratisches Wirtschaften von unten ist, örtlich oder regional vernetzt oder auch als Einzelprojekt, möglich. Dafür sprechen Tatsachen, auch in Deutschland«. Diese optimistische Aussage stammt von Ulla Plener.

Die renommierte DDR-Historikerin beschäftigt sich seit Jahren in ihren Forschungen und Schriften mit Theorie und Praxis der Wirtschaftsdemokratie. Daher war es nur konsequent, dass der von ihr mitbegründete Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung zu ihrem 80. Geburtstag eine Tagung unter das Thema »Demokratische Transformation als Strategie der Linken« stellte. Daran beteiligten sich ausgewiesene Experten aus der alten Bundesrepublik und der DDR sowie viele junge Nachwuchswissenschaftler.

Der Tagung entsprang der hier anzuzeigende Band. Er enthält wichtige Anregungen für eine konstruktive linke Strategiedebatte in- und außerhalb der Parlamente sowie in den Gewerkschaften und sollte deshalb einen breiten Leserkreis, nicht nur unter Genossen und Genossinnen der Linkspartei und der SPD, sondern auch deren Spitzenfunktionären und Wirtschaftsexperten finden.

Ralf Hoffrogge stellt die Debatten über die Demokratisierung der Wirtschaft in der Zeit der Weimarer Republik vor. Nachdem die in der Novemberrevolution aufblühenden rätedemokratischen Modelle im Bündnis von Freikorps und SPD-Führung blutig zerschlagen waren, begann Mitte der 1920er Jahre in der Sozialdemokratie eine neue Debatte über wirtschaftsdemokratische Konzepte, die im Heidelberger Programm von 1925 ihren Niederschlag fand. Ziel war, den Kapitalismus zu bändigen, nicht abzuschaffen.

Doch in Deutschland hatten selbst solche reformkapitalistischen Konzepte nie die Chance einer praktischen Umsetzung. Von jenen ließ sich aber die arbeiterzionistische Aufbaugeneration im späteren Israel inspirieren. Einer der wichtigen sozialdemokratischen Theoretiker der Wirtschaftsdemokratiekonzepte in Weimarer Zeit war Fritz Perez Naphtali, der vor den Nazis nach Palästina floh.

Die Feminismusforscherin Gisela Notz untersucht wirtschaftsdemokratische Elemente in der Geschichte der Genossenschaftsbewegung. Einbezogen sind in diesem Band auch internationale Erfahrungen. Sarah Graber und Kamil Majchrzak zeichnen die Diskussionen über Arbeiterselbstverwaltung in der Frühphase der polnischen Solidarnosc-Bewegung nach. Offen bleibt hier allerdings, wie stark diese Tendenzen wirklich waren. Schließlich konstatieren die Autoren, dass auch die erklärten Marktwirtschaftler, die eine starke Konkurrenz zwischen den Betrieben propagierten, von Anfang an in der Solidarnosc-Bewegung vertreten waren. Von besonderem Interesse dürften die Erfahrungen sein, die mit selbstverwalteten Betrieben in Argentinien gemacht wurden. Jörg Roesler hat sich damit intensiv befasst.

Auch kritische Stimmen zur Wirtschaftsdemokratie sind in diesem Band vertreten. So spricht der Politologe Michael Hewener von einer doppelten Illusion: »die eines möglichen demokratischen Kapitalismus und die eines möglichen Übergangs zum demokratischen Sozialismus«. Er vertritt den Standpunkt, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft dienen stets nur der Verbesserung der Kapitalakkumulation und nicht der Demokratisierung.

Gerade solche kontroversen Einschätzungen und Urteile weisen dieses Buch als eine exzellente Diskussionsgrundlage über das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft aus, um das es in der heutigen Bundesrepublik arg bestellt ist – was wohl keiner ernsthaft negieren kann.

Axel Weipert (Hg): Demokratisierung von Wirtschaft und Staat. Nora Verlag. 230 S., br., 19 €.

Peter Nowak

Wenn Bürger sich zu wehren beginnen …

Andrej Holm und Autoren berichten über soziale Kämpfe in einer neoliberalen Stadt – das Beispiel Berlin

Seit knapp zwei Jahren gibt es in der deutschen Hauptstadt eine Mieterbewegung, die über Berliner Blätter hinaus für Schlagzeilen sorgt. Die Analysen des Stadtsoziologen Andrej Holm haben vielleicht mit dazu beigetragen, dass sich Mieterprotest artikulierte. In seinem neuen Buch gibt der engagierte Wissenschaftler einen Überblick und zieht Bilanz.

Im ersten Teil werden die Bedingungen untersucht, die Mieter zu Protesten treibt. Dass das Schlagwort der Gentrifizierung den Sachverhalt oft nicht trifft, machen die Stadtplanerin Kerima Bouali und der Stadtsoziologe Sigmar Gude am Beispiel der Entwicklung des Stadtteils Neukölln deutlich. Es sei nicht wahr, dass dort Besserverdienende einkommensschwache Bewohner verdrängen. Vielmehr sei ein Kampf um Wohnungen unter Geringverdienern entbrannt. Die Autoren betonen, dass dieser politisch gewollt und vorangetrieben wurde und wird.

Mehrere Beiträge nehmen die Politik der vormaligen rot-roten Landesregierung kritisch unter die Lupe. Von einem »Masterplan der Neoliberalisierung« spricht Holm und verweist auf die massive Privatisierung landeseigener Wohnungen und die Liberalisierung des Baurechts. Bei seiner Analyse des Berliner Bankenskandals spart auch der Publizist Benedict Ugarte Charon nicht mit Kritik an der PDS bzw. der LINKEN.

Mit der Situation von Sexarbeiterinnen in Berlin-Schöneberg befasst sich die Stadtforscherin Jenny Künkel. Sie analysiert sehr gründlich die Debatte, die vor allem von Gewerbetreibenden gegen den »Straßenstrich an der Kurfürstenstraße« initiiert wurde. Am Ende ihres informativen Beitrags geht sie auf die Probleme der außerparlamentarischen Linken ein, sich mit den stigmatisierten Frauen zu solidarisieren Es ist erfreulich, dass auch solche Aspekte hier beleuchtet werden, die in der Debatte über Mieterproteste und das Recht der Bürger auf ihre Stadt kaum vorkommen.

Jutta Blume zeigt auf, wie sich Künstler mit prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen über Wasser halten – was Imagekampagnen für Berlin als »Hauptstadt der Kreativen« natürlich nicht thematisieren. Berichtet wird auch darüber, wie sich die instrumentalisierten Künstler zu wehren beginnen. Eine ernüchternde Bilanz der Kampagne »Mediaspree versenken«, die sich gegen die Baupläne am Berliner Spree-Ufer wandte, zieht Jan Dohnke. Der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke wiederum weiß, wie mit Bürgerbeteiligungskonzepten im Stadtteil Akzeptanz für ungeliebte Projekte gewonnen werden soll. Die von ihm offerierte Alternative einer transformatorischen Stadtteilorganisierung führt er leider nicht weiter aus.

Über Initiativen wie Konti & Co, die in Kreuzberg mit einer Protesthütte und Lärmdemonstrationen gegen Mieterhöhungen aktiv sind, wird im letzten Kapitel informiert. Das Buch dürfte nicht nur für Hauptstädter interessant sein.

Andrej Holm (Hg.): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. Assoziation A. 368 S., geb., 18 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926424.wenn-buerger-sich-zu-wehren-beginnen.html

Peter Nowak

Berlins Verfassung soll keine Rasse mehr kennen

Rote Hilfe sammelt für ukrainische Antifa

Linke Aktivisten berichten von einem »Klima permanenter Bedrohung« und Angriffen von Milizen des »Rechten Sektors«

Michael Dandl ist Mitglied im Bundesvorstand der Antirepressionsorganisation Rote Hilfe e.V.. Dort hat man einen Solidaritätsfonds für ukrainische AntifaschistInnen eingerichtet. Mit Dandl sprach für »neues deutschland« Peter Nowak

nd: Sie sammeln für ukrainische Antifaschisten. Wie kam es dazu?
Dandl: Parallel zur nahezu gleichgeschalteten Berichterstattung in bürgerlichen Medien erreichten uns düstere Situationsbeschreibungen und Hilferufe von Genossen aus der Ukraine. Sie berichten von Angriffen und einem Klima permanenter Bedrohung durch die Milizen des »Rechten Sektors«. Da die ukrainische Linke, zu der wir alle von staatlicher Repression betroffenen emanzipatorischen Gruppierungen und Organisationen zählen wollen, derzeit über keine starke Massenbasis verfügt, haben wir uns kurzfristig zu einer Solidaritätskampagne entschlossen. Denn die Faschisten haben weiterhin großen Zulauf und werden wohl auch im neuen Staatsapparat vertreten sein. Die Spenden werden für Gefangenenhilfe, Unterbringung, Rechtsbeistand, medizinische Versorgung und Aktionen gegen die staatliche Repression gesammelt.

Sie sprechen von faschistischen Angriffen. Haben Sie Beispiele?
Auch wenn es durchaus unterschiedliche antikapitalistische Gesellschaftsentwürfe bei linken Aktivisten gibt, ist offensichtlich, dass die flächendeckenden Zerstörungen von Lenin-Denkmälern und antifaschistischen Gedenksteinen in der gesamten Ukraine rechtsgerichtete Attacken darstellen. Auch die Angriffe auf Einrichtungen der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU), deren Büros verwüstet und zerstört oder besetzt werden, sind deutlichen Indizien für reaktionäre Umtriebe während des Machtwechsels und danach – unabhängig davon, wie man politisch zur KPU stehen mag.

Gab es auch Angriffe gegen außerparlamentarische Linke?
Aktivisten, die versucht haben, im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten linke Positionen zu vertreten, wurden wiederholt angegriffen. Viele von ihnen mussten die Stadt verlassen. Uns wurde auch von Todesdrohungen und entsprechenden Listen berichtet, über die der »Rechte Sektor« verfügt. Das ist äußerst bedrohlich für die Genossen – ein Ende ist nicht abzusehen.

Haben Sie direkten Kontakt?
Es besteht seit Jahren ein reger Austausch und eine enge Zusammenarbeit unserer Rote-Hilfe-Ortsgruppe in Salzwedel mit Genossen aus der Ukraine, die in Gruppen unterschiedlicher politischer Ausrichtung aktiv sind und auch vor den aktuellen Entwicklungen zusammengearbeitet haben. Es ist jetzt ein antifaschistisches Netzwerk entstanden, das sich gegen den faschistischen Terror und die staatliche Repression wehren wird. Aufgrund der Situation tritt dieses Netzwerk aber noch nicht an die Öffentlichkeit.

Wie überprüfen Sie die Quellen?
Durch den direkten Kontakt können wir Informationen und Quellen meist gut überprüfen. Auch die Anwesenheit linker Medien, von denen wir Informationen erhalten, ist hilfreich.

Wie soll das gesammelte Geld übergeben werden?
Das lässt sich noch schwer sagen, da die linke Infrastruktur in der Ukraine erst wieder aufgebaut werden muss. Derzeit ist auch unklar, wann linke Gruppen wieder öffentlich werden arbeiten können. Ob wir die Spenden an eine Solidaritätsorganisation in der Ukraine überweisen oder ob es in einiger Zeit Delegationen dorthin geben wird, ist noch nicht abzusehen. Aber wir werden einen Weg finden, um konkrete materielle Hilfe zu leisten.

Rote Hilfe Sparkasse Göttingen, Konto: 560 362 39, BLZ: 260 500 01 Stichwort: »Antifa Ukraine«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926369.rote-hilfe-sammelt-fuer-ukrainische-antifa.html

Interview: Peter Nowak


»Uns wurde mit Erschießen gedroht«

Die Kritik an deutschen Geschichtsmythen provoziert in Deutschland oftmals noch immer einen rechten Shitstorm. Wie derzeit Anne Helm, Politikerin der Piratenpartei, wegen ihrer Bomber-Harris-Aktion standen vor einigen Wochen die beiden bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Sepp Duerr und Katharina Schulze, im Mittelpunkt rechter Angriffe. Sie hatten ein braunes Tuch mit der Aufschrift »Den Richtigen ein Denkmal, nicht den Altnazis! Gegen Spaenles Geschichtsklitterung« (Ludwig Spaenle ist der bayerische Kultusminister, Anm. d. Red.) über das sogenannte Denkmal für die Trümmerfrauen in München gelegt. Die Jungle World sprach mit Katharina Schulze über bayerische Geschichtspolitik und die Folgen ihrer Kritik daran.

Wieso haben Sie und Ihr Landtagskollege Sepp Dürr das Denkmal für die Trümmerfrauen verdeckt?

In München wurden – anders als in anderen großen deutschen Städten – zum weitaus überwiegenden Teil Altnazis von den US-Amerikanern zu den Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet. Nach Informationen des Münchner Stadtarchivs waren an der Trümmerbeseitigung in der Stadt insgesamt 1 500 Personen beteiligt, davon 1 300 Männer. Sie waren zu 90 Prozent ehemalige aktive Mitglieder in NS-Organisationen. Dieser historisch unbestrittenen und von Seiten der Staatsregierung bestätigten Tatsache wurde im Zusammenhang mit der Aufstellung des Gedenksteins in keiner Weise Rechnung getragen. Das von dem Gedenkstein ausgehende Signal ist unseres Erachtens ein pauschales Dankeschön an alle Beteiligten an den Aufräumaktionen, die bei genauerem Hinsehen größtenteils mitverantwortlich waren für die Gräueltaten des »Dritten Reichs«. Damit werden die Fakten verdreht und historische Tatsachen relativiert.

Gab es denn vor der Errichtung des Denkmals eine Diskussion darüber, dass die Trümmerfrauen in München vor allem Nazimänner waren?

Die Debatte wird in München bereits seit mehr als zehn Jahren geführt. Auch im Münchner Stadtrat wurde das Thema schon mehrfach diskutiert. Vier Mal hat der Stadtrat sich gegen eine Aufstellung eines Denkmals für Trümmerfrauen auf städtischem Grund ausgesprochen. Und auch die letzte CSU-Initiative wurde 2008 abgelehnt, der Stadtrat schloss sich erneut der Feststellung der Historiker an, dass das Phänomen Trümmerfrauen in München eine untergeordnete Rolle gespielt hat und eine pauschale Ehrung deswegen höchst problematisch ist.

Wieso wurde das Denkmal dennoch errichtet?

Nachdem der Münchner Stadtrat die Aufstellung auf städtischem Grund mehrmals abgelehnt hatte, wandte sich der Verein »Dank und Gedenken der Aufbaugeneration, insbesondere der Trümmerfrauen e. V.« an die bayerische Landesregierung. Der Freistaat stellte auf der Grundlage eines Gestattungsvertrags ein Grundstück am Münchner Marstallplatz für die Errichtung des Gedenksteins zur Verfügung. Der Stein wurde im Mai 2013 aufgestellt und im September 2013 unter anderem im Beisein von Kultusminister Ludwig Spaenle eingeweiht.

Wie erklären Sie sich, dass das bayerische Kultusministerium nach diesen langen Diskussionen die Errichtung des »Denkmals« auf staatlichem Boden ermöglicht hat?

Daran wird wieder einmal deutlich, dass die CSU keine progressive Kraft ist. Der zuständige Minister Ludwig Spaenle ist selbst Historiker und müsste um die fatale Wirkung einer falschen Erinnerungskultur eigentlich wissen. Er hat auf die Anfrage meines Kollegen Sepp Dürr im bayerischen Landtag bestätigt, dass die Situation in München nach dem Krieg unbestritten eine andere war als in anderen deutschen Städten. Ebenso betonte er in seiner Antwort, dass die Ergebnisse der lokalen Forschung in München – nämlich, dass überwiegend Akteure, die dem NS-Regime zu Dienste gewesen waren, bei der Aktion zur Trümmerbeseitigung eine Rolle gespielt haben – bei der Gesamtwürdigung des Denkmals unstrittig einen sehr wichtigen Gesichtspunkt darstellen. Trotzdem hat er der Aufstellung des Denkmals in München zugestimmt und diese Entscheidung immer wieder gegen Kritik verteidigt.

Waren Sie von den wütenden Reaktionen auf Ihre Aktion überrascht?

Die Heftigkeit der Angriffe hat mich schon überrascht. Wir hatten unsere Aktion lediglich in einen lokalen Rahmen in München geplant, denn, wie ich schon angeführt habe, gibt es diese Diskussion dort schon länger. Als dann unsere Aktion bekannt wurde, ging in den rechten Medien und Internetforen ein regelrechter Shitstorm gegen uns los. In kurzer Zeit gingen auf den Facebookseiten unzählige Kommentare ein, darunter waren offene Holocaust-Leugner und NS-Nostalgiker, die ihre Hetze und Drohungen teilweise mit Klarnamen posteten. Uns wurde mit Vergasen und Erschießen gedroht. Ich habe die Kommentare mittlerweile gelöscht, denn ich möchte den Rechten keine Plattform auf meiner Seite bieten. Davor haben wir natürlich alles gesichert und alles strafrechtlich Relevante zur Anzeige gebracht. Die Diskussion in den Medien blieb meistens weiter sachlich. Es wurden Zeitzeugen und Historiker befragt, die ebenfalls die Forschungen des Münchner Stadtarchivs bestätigten, dass die Situation in München anders war als in anderen Städten. Bei den extremen Rechten ging die Hetze jedoch weiter. Es hat mich erschüttert, dass es auch zu Aktionen gegen Einrichtungen der Grünen kam. So wurde über dem Parteibüro in Berlin-Hellersdorf ein Transparent mit der Aufschrift »Grüne Denkmalschänder« angebracht.

1997 gab es in München eine rechte Mobilisierung gegen die dort gezeigte Wehrmachtsausstellung. Daran waren CSU-Politiker ebenso beteiligt wie offene Neonazis. Ist München für solche rechten Proteste besonders geeignet?

Die öffentliche Diskussion nach unserer Aktion hat gezeigt, dass sich insbesondere rechte Kreise durch die – von ihnen selbst befeuerte – Kritik an der Denkmalsverhüllung bestätigt sehen und eine Verbindung zu einem extrem rechten Geschichts- und Gegenwartsverständnis herstellen. Gerade München als ehemalige Hauptstadt der NS-Bewegung hat eine besondere Verpflichtung, sich der eigenen geschichtlichen Verantwortung zu stellen. Im Moment befindet sich gerade das NS-Dokumentationszentrum in Bau, wofür wir Grüne mit zahlreichen Initiativen jahrelang ge­arbeitet haben. Außerdem gibt es viele Bündnisse und Initiativen, die immer zur Stelle sind, wenn in München Rechte auf die Straße gehen.

In der auf Ihrer Homepage veröffentlichten Erklärung zur Verhüllungsaktion heißt es: »Die Aufräumarbeiten in München sind nicht vergleichbar mit dem bewundernswerten Einsatz der Trümmerfrauen in anderen deutschen Städten.« Müsste nicht auch in den Städten, in denen tatsächlich Frauen den Schutt wegräumten, die Frage gestellt werden: Was haben diese im NS gemacht?

Es gibt keine Kollektivschuld, aber es darf eben genauso weder kollektiven Freispruch noch generationenübergreifende Ehrung geben. So wenig die »Achtundsechziger« pauschal ihre Väter beschuldigen durften, dürfen die Enkel heute ihre Großmütter generell freisprechen. Wer an das Nachkriegsleid und die Aufbauleistungen erinnert, ohne einen Zusammenhang zur Vorgeschichte herzustellen und zum unsäglichen Leid, das Nazi-Deutschland über Millionen anderer ­gebracht hat, verzerrt die Verhältnisse. Pauschale Ehrungen sind deswegen problematisch und die historischen Fakten müssen immer vorher genau geprüft werden. Ich halte es deswegen für geeigneter und angemessener, in anderer Form, etwa durch Ehrungen von Einzelpersönlichkeiten, der Leistungen einzelner Menschen zu gedenken.

Also müsste Ihre Aktion doch eher ein Anlass sein, den deutschen Trümmerfrauen-Mythos nicht nur in München, sondern generell in Frage zu stellen?

Wir haben uns auf die konkreten Umstände in München bezogen. Wenn sich in anderen Städten Initiativen bilden, die auf erinnerungspolitischem Feld arbeiten und sich mit dem Thema Trümmerfrauen auseinandersetzen wollen, freue ich mich über den Austausch.

http://jungle-world.com/artikel/2014/10/49463.html

Interview: Peter Nowak

Ein langer Weg zum Frauenkampftag

Sibylle Plogstedt legte eine lesenswerte Geschichte der DGB-Frauen vor

Der Weg zur Emanzipation der DGB-Frauen in der eigenen Organisation war ein steiniger. Bürokratische Hindernisse und ideologische Differenzen galt es zu überwinden.

»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, heißt es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB- Bundesvorstand durchsetzen, dass sich gewerkschaftliche Frauen nicht an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war Mitglied der Kommunistischen Partei. Nachdem örtliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der Besucherinnen gewachsen war, beschloss der DGB eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren.

Dabei war man aber bemüht, den Tag von Clara Zetkin zu trennen. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Die heute weitgehenden vergessenen Querelen um den 8. März im DGB verdanken wir dem Buch »Wir haben Geschichte geschrieben«, dass Sibylle Plogstedt herausgegeben hat. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage.

Die hatte anders als die heute bekanntere Emma schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht. Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistete Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt nachweist.

Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen die DGB-Frauen nicht mehr unter der Ägide von CDU-Frauen. Dass mehr als vier Jahrzehnte Mitglied von CDU/CSU für dieses Amt zuständig waren, ist allerdings nicht der Wille der DGB-Frauen gewesen.

Vielmehr zeigt Plogstedt auf, wie die sich sogar dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte in ihren Augen zwei Minderheiten in einen Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. Plogstedt beschreibt die Folgen dieser bürokratischen Eingriffe. Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Christsoziale Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.

Sibylle Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann und sollte. Eine ähnliche Geschichte des FDGB wäre wünschenswert, denn der wird in dem Buch recht undifferenziert abqualifiziert.

Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen 1945- 1990, Psychosozial-Verlag, 519 Seiten, 19,90 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926159.ein-langer-weg-zum-frauenkampftag.html

Peter Nowak

Doppelpass und Mindestlohn

Ein CDU-Bildungspolitiker am rechten Rand

HESSEN Der Abgeordnete Hans-Jürgen Irmer bringt die Gewerkschaft GEW und Schüler gegen sich auf

BERLIN taz | Der CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Irmer verbreitet rechtsextremes Gedankengut. Das zumindest wirft ihm Jochen Nagel vor, Vorsitzender des hessischen Landesverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Irmer wurde vor wenigen Wochen erneut zum bildungspolitischen Sprecher seiner Fraktion gewählt. Die GEW will Irmer aber nicht mehr als Gesprächspartner akzeptieren. Auch die hessische Landesschülervertretung (LSV) will nicht mehr mit Irmer kommunizieren. Der LSV forderte bereits seit Mitte Februar von der hessischen CDU-Fraktion einen neuen Gesprächspartner.

Der Grund des aktuellen Zorns: Irmer hatte sich über einen angeblichen Asylmissbrauch geäußert. Doch rechte Äußerungen verbreitet er seit Jahren. „Der Bezirksverband Frankfurt/Main der GEW hat bereits vor mehr als 15 Jahren eine Broschüre herausgegeben, in der 12 Beispiele für den rechten, antidemokratischen Kurs von Irmer in den Jahren 1998 und 1999 dokumentiert sind“, sagt Nagel. Irmer ist Herausgeber des Wetzlar Kurier. Und dort tauchten Äußerungen wie diese auf: „Es reicht – gegen Zwangsarbeiterentschädigung“ oder auch, gemünzt auf Abschiebungen, „Wer nicht pariert, der gehört gegebenenfalls gefesselt und geknebelt, bis der Zielort erreicht ist“. 2010 erklärte Irmer in einem Interview: „Der Islam ist auf die Eroberung der Weltherrschaft fixiert.“ Nach heftiger Kritik im Landtag und juristischen Ermittlungen zog Irmer diese Aussage zurück und entschuldigte sich.

Viel Applaus bekommt der CDU-Politiker von der rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit. Irmer trage auch die Verantwortung dafür, dass eine Beilage der Jungen Freiheit im Wetzlar Kurier, einem Anzeigenblatt, erschienen ist, sagt die Grüne Landtagsabgeordnete Mürvet Öztürk. „Damit multipliziert er rechtspopulistische und diskriminierende Aussagen an 112.000 Haushalte im Lahn Dill Kreis“, sagt die Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion für Migration, Integration und Petitionen.

Ansonsten halten sich die Grünen, aktueller Regierungspartner der CDU, in der Causa Irmer bedeckt. In der Opposition hatten sie Irmers Rechtskurs noch heftig kritisiert. Die hessische CDU wiederum will aber an Irmer festhalten. „Wir schreiben der GEW nicht vor, wer ihr Vorsitzender ist“, erklärte Christoph Weirich, Pressesprecher der CDU-Fraktion, „und es wäre noch schöner, wenn wir uns gerade von der GEW vorschreiben lassen würden, wer unser bildungspolitischer Sprecher ist.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2014%2F03%2F05%2Fa0059&cHash=df27a610c540e826768a6579d21113b5

Peter Nowak

Rechte Massenbewegung, Putsch oder Bewegung von unten

Kampf gegen die Armen statt gegen die Armut

Ein Kurier von ganz weit rechts

Der hessische CDU-Politiker Hans-Jürgen Irmer ist bekannt für seine rechtsextremen Ansichten. Dennoch wurde er erneut zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag ernannt. Dagegen protestieren nun Gewerkschaften und Schüler.

„Ein Mensch kann dauerhaft in zwei Welten leben. (…) Entweder man ist Deutscher oder Türke.« »Es reicht – gegen Zwangsarbeiterentschädigung.« »Es wird Zeit, dass wir das Büßergewand, in das wir 50 Jahre gezwängt waren, ausziehen.« »Herr Bubis sollte sich (…) einmal sachkundig machen, wie in Israel die Frage der Staatsbürgerschaft geregelt ist.«

Ihrer Diktion nach könnten diese Zitate in der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit oder auch in der neonazistischen Deutschen Nationalzeitung veröffentlicht worden sein. Doch es handelt sich um eine kleine Auswahl einschlägiger Zitate aus dem Wetzlar Kurier, einem regionalen Anzeigenblatt aus Hessen. Sie erschienen im Zeitraum zwischen 1998 und 1999. Man ist sich treu geblieben: In der aktuellen Ausgabe befürworten Schreiber und Herausgeber des Blatts ein »Europa der Vaterländer« und sorgen sich wegen des vermeintlichen »Asylmissbrauchs und der Einwanderung in die Sozialsysteme«.

Der Wetzlar Kurier wird von dem langjährigen hessischen CDU-Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer herausgegeben. Die rechtskonserva­tiven bis extrem rechten Ansichten, die in seinem Blatt vertreten werden und mit denen er sich auch gern selbst darin zitieren lässt, sind in der hessischen Union keinesfalls eine Gefahr für die Karriere. Erst vor wenigen Wochen wurde Irmer wieder zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion gewählt. Den Posten hatte er bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode inne. Nach scharfer Kritik an seinen politischen Ansichten war er jedoch zurückgetreten.

Obwohl der CDU-Politiker sich von keiner seiner Äußerungen distanziert hat, wurde er nun wieder auf den Posten gewählt. Der grüne Koalitionspartner der CDU schweigt zu der Personalie. Dabei war Irmer in den vorigen Legislaturperioden noch von SPD, Linkspartei und Grünen kritisiert worden. So sorgte Irmer 2004 für einen bundesweiten Skandal, als er den damaligen Fraktionsvorsitzenden der hessischen Grünen, Tarek al-Wazir, im Landtag mit seinem vollen Namen Tarek Mohamed al-Wazir nannte, wie es damals auch im Wetzlar Kurier üblich war, um nahezulegen, dass al-Wazir Muslim sei und in Deutschland eigentlich nichts verloren habe.

Mittlerweile ist al-Wazir Minister einer schwarz-grünen Koalition in Hessen und schweigt zur Irmers Äußerungen. Die Grüne Jugend Hessens bleibt hingegen bei ihrer Kritik. »Irmer fällt seit Jahren durch rechtspopulistische Aussagen negativ auf und betreibt mit dem Wetzlar Kurier eine populistische Zeitung. Zuletzt hatte die rechte Junge Freiheit im Wetzlar Kurier inseriert. Eine solche Person hat nichts mit der von Schwarz-Grün angekündigten ›Willkommenskultur‹ zu tun; sie darf keine so relevanten Ämter innehaben«, schreibt sie in einer Pressemitteilung. Ob sie allerdings aus ihrer Kritik die Konsequenzen zieht und Irmer zukünftig als Gesprächspartner ablehnen wird, erschließt sich aus der Erklärung nicht.

Da war der hessische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) konsequenter. Er lehnt Irmer als Gesprächspartner ab und fordert die Union auf, eine andere Person für das Amt zu benennen. »Abgeordneter Irmer vertritt seit Jahren immer wieder rechtsextremes Gedankengut. Die GEW hat deshalb bereits im Jahr 2010 die CDU-Fraktion des Hessischen Landtags aufgefordert, ihr einen anderen Gesprächspartner für den Bildungsbereich zu benennen. Als dies nicht geschah, haben wir damals die Gespräche mit ihm eingestellt«, äußerte kürzlich der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel.

Damit unterstützt die GEW auch eine Initiative der Interessenvertretung der hessischen Schüler. »Der Landesschülerrat verurteilt die rechtspopulistischen Aussagen des Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer und stellt jegliche Korrespondenz mit dem aktuellen bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag ein. Weiterhin fordern wir die CDU-Fraktion des hessischen Landtages auf, uns einen neuen Gesprächspartner zu benennen«, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung der Schülervertretung. »Der Landesschülerrat will mit dem einstimmigen Beschluss dieses Antrages ein klares Zeichen gegen die Wahl von Herrn Irmer zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Frak­tion setzen. Es geht nicht darum, bestimmte Themen in der gesellschaftlichen Debatte zu verbieten. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob man Ängste der Bevölkerung aufgreift und diskutiert, oder ob man sie missbraucht«, sagt der hessische Landesschulsprecher, Armin Alizadeh. Er weist darauf hin, dass Irmer auch auf bildungspolitischem Gebiet mit diskriminierenden Äußerungen aufgefallen sei. So habe der Politiker noch 2010 im Wetzlar Kurier die Prügelstrafe an Schulen verharmlost. 2012 musste er als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion zurücktreten, weil er die Einführung des Islamunterrichts an hessischen Schulen ablehnte. Damit hatte er sich auch gegen die offiziellen Beschlüsse seiner eigenen Partei gewandt.

Allerdings will die Schülervertretung trotz der Kritik an Irmer weiterhin mit der CDU-Fraktion im Gespräch bleiben und fordert deshalb einen anderen Gesprächspartner. Die Partei hat bislang nicht darauf reagiert. Auf die Forderung der GEW, Irmer durch einen anderen CDU-Politiker zu ersetzen, reagierten führende hessische CDU-Politiker mit Ablehnung. Man lasse sich keine Vorschriften bei der Personalpolitik machen, sagte der Sprecher der hessischen CDU-Fraktion, Christoph Weirich.

Dass die CDU-Fraktion Irmer in Kenntnis seiner politischen Ansichten wieder zum bildungspolitischen Sprecher gewählt hat, macht deutlich, dass der in der hessischen CDU seit den Zeiten des Landesvorsitzenden Alfred Dregger starke rechtskonservative Stahlhelmflügel zwar an Einfluss verloren hat, aber immer noch Macht besitzt. Die hessische CDU ist beispielsweise weiterhin die politische Heimat der Vertriebenenpolitikerin Erika Steinbach, während der Publizist und ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, dem hessischen Landesverband der CDU bereits 2008 den Rücken gekehrt hat und in den saarländischen Landesverband eingetreten ist. So wird verständlich, wie ein Politiker wie Irmer in dieser Partei weiter Karriere machen kann.

Bereits 2004 bezeichnete Spiegel Online ihn als »Roland Kochs zweiten Fall Hohmann«. Damals war Irmer mit der Äußerung aufgefallen, den damaligen EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) müsse man wegen Hochverrats an Deutschland anzeigen. Auch für den wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossenen Fuldaer Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann hatte Irmer Partei ergriffen. Gemeinsam mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Clemens Reif kritisierte Irmer die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel, weil sie Hohmanns Parteiausschluss vorangetrieben hatte. Es sei Zeit, dass die Deutschen unverkrampft an ihre eigene Geschichte herangingen, befanden beide Abgeordnete. Die Unterstützung beruhte auf Gegenseitigkeit. Man wolle Irmer »mit Hilfe der Faschismuskeule und unterstellter Ausländerfeindlichkeit fertigmachen«. Dabei habe er nur »dem Volk aufs Maul geschaut«, sagte Hohmann 2004 Spiegel Online

http://jungle-world.com/artikel/2014/09/49404.html

Peter Nowak

Zerrüttetes Verhältnis zum Jobcenter

Erwerbsloser wegen Beleidigung in versehentlich versandter satirischer Mail verklagt – Freispruch

Einem schwerbehinderten Mann wird vom Jobcenter wiederholt die Umschulung verweigert. Auf eine E-Mail von ihm reagiert es mit einer Anzeige.

»Ich bin doch schon Stammkunde beim Jobcenter. Dafür gibt es woanders Rabatt. Doch ich werde kriminalisiert.« Mit diesen traurigen Resümee beendete Paul Baumert (Name geändert) am Freitagvormittag vor dem Berliner Landgericht eine Erklärung über sein seit Jahren zerrüttetes Verhältnis mit dem Jobcenter Neukölln. Die Behörde hatte ihn wegen Beleidigung verklagt. Stein des Anstoßes ist eine Mail, die Baumert nach seinen Einlassungen versehentlich an das Jobcenter verschickt hat. Dort rückt er die Leitung in die Nähe von Kleinkriminellen. In der fast dreistündigen Beweisaufnahme schilderte Baumert seine jahrelangen vergeblichen Bemühungen, wieder in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Der nach einem Autounfall und zwei Schlaganfällen schwerbehinderte Mann beantragte wiederholt Umschulungen zum Veranstaltungsfachwirt. Dabei sah er sich von vielen Jobcenter-Mitarbeitern nicht ernstgenommen. Er sei wie ein lästiger Bittsteller behandelt worden, beklagte er. Eine Jobcenter-Mitarbeiterin, die als Zeugin geladen worden war, erklärte, dass man Baumert wegen seines gesundheitlichen Zustands keine Jobangebote geschickt habe. Lästig geworden seien ihnen die häufigen Mails von Baumert, in denen er eine Diskriminierung beklagte. Die Jobcenter-Leitung habe entschieden, dass es reicht, und Anzeige erstattet. Seitdem würde Baumert nur noch sachliche Anfragen schicken, so die Mitarbeiterin. In einer als Beweismittel verlesenen älteren Mail finden sich allerdings keine beleidigenden Äußerungen, dafür konkrete Kritik an den Abläufen im Jobcenter. Baumert glaubte nicht mehr an einen Freispruch. »Ich bin nicht eloquent genug. Mir wird nicht geglaubt«, erklärte er im Schlusswort. Doch er wurde positiv überrascht. Das Gericht sprach Baumert frei, weil nicht mit Sicherheit widerlegt werden könnte, dass er die Mail versehentlich versandt hatte. Die Kosten trägt die Gerichtskasse. Baumert atmete hörbar auf, als er das Urteil vernahm. Der Konflikt um eine Arbeitsvermittlung aber wird wohl weitergehen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/925661.zerruettetes-verhaeltnis-zum-jobcenter.html

Peter Nowak