Hartz-IV-Sanktionen: Nahles will das soziale Profil der SPD schärfen

Bei der Rente versucht es Scholz – Kann etwas Sozialpolitik die SPD vor dem Schicksal einer 18-Prozent-Partei bewahren?

In den 1990er Jahren hatte der Politiker Freke Over in Berlin einen gewissen Bekanntheitsgrad. Der ehemalige Hausbesetzer hatte auf dem Ticket der damals noch sehr ostdeutschen PDS kandidiert[1] und viele haben sich gefragt, wie lange die Zusammenarbeit zwischen dem undogmatischen Westlinken und den Ostgenossen gut gehen würde.

Tatsächlich verabschiedete sich Over aus persönlichen Gründen bald aus der Großstadt in die Provinz und um ihn wurde es still. Nun sorgt er wieder für Aufmerksamkeit. Over hat gerade für die Linke einen Kooperationsvertrag seiner Partei mit der CDU und kleineren konservativen Parteien in Ostpriegnitz-Ruppin unterzeichnet[2].

Nun könnten Metropolenfreunde sagen, wen interessiert, was in Ostpriegnitz-Ruppin passiert? Doch das Bündnis hat schon deshalb für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt, weil erst vor einigen Tagen in der Union eine Debatte über Bündnisse mit den Linken geführt worden war. Da argumentierten die Befürworter solcher Kooperationen noch damit, dass sie notwendig sein könnten, um jenseits der AfD überhaupt noch Regierungen bilden zu können.

Doch in Ostpriegnitz-Ruppin hätte die Linke auch die Möglichkeit gehabt, mit der SPD zu koalieren. Ein SPD-Politiker hat sogar bei den Wahlen zum Landratsamt die meisten Stimmen erreicht, doch weil das notwenige Quorum nicht erfüllt worden war, lag die Wahl nun bei den Parteien des Kreistages.

Nicht mal mehr die Linke gibt der SPD automatisch den Vorzug

Da hat die Linke dem CDU-Kandidaten mit der Begründung den Vorzug gegeben, mit ihm sei – anders als mit der SPD – ein fester Koalitionsvertrag möglich gewesen. So ist das Bündnis in Ostpriegnitz auch eine neue Hiobsbotschaft für die SPD. Auch die Linke entscheidet sich nicht mehr automatisch für ein Bündnis mit ihr, selbst wenn das die Mehrheitsverhältnisse hergeben würden.

Wie stark der Einflussverlust der SPD geworden ist, lässt sich durch einen Rückblick um 15 Jahre ermessen. Damals zeigten weite Kreise der Mehrheitssozialdemokratie ihren linken Genossen noch die kalte Schulter und meinten, die Partei sei doch nur die SED unter neuem Namen und werde verschwinden.

Als dann die Linke entstand, war der ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine ein zusätzlicher Grund, ein Bündnis abzulehnen. Und die Grünen galten lange Zeit als natürlicher Bündnispartner der SPD, die Stimmen für eine schwarz-grüne Koalition waren von Anfang an vorhanden, aber konnten sich lange nicht durchsetzen.

Nun wird man bei den Grünen kaum noch Stimmen finden, die für ein Bündnis mit der SPD aus Prinzip antreten. Selbst in Bayern bereiten sie sich auf eine Rolle als Juniorpartner der CSU vor. Dabei ist es gerade mal acht Jahre her, dass die jetzige bayerische grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze[3] mit ihrer Dekonstruktion des deutschen Mythos von den Trümmerfrauen[4] auch weite Teile der CSU-Basis gegen sich aufbrachte.

Heute würde sie mit den Nationalkonservativen eine Koalition eingehen. Schließlich ist die SPD in den Umfragen hinter der CSU, den Grünen und der AfD auf Platz 4 bei den bayerischen Landtagswahlen gelandet. Ihr droht also dort ein Ergebnis, das sie aus vielen ostdeutschen Landtagen schon kennt.

SPD und Union sind austauschbar

Da muss sie Glück haben, wenn sie noch jene 18%-Grenze erreicht, die die früh verstorbenen FDP-Politiker Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann für die Liberalen anstrebten. In Bundesländern wie Sachsen kann sie von einem solchen Ergebnis nur träumen. Mit Verlierern will man sich nicht gemeinsam sehen lassen und so argumentieren mittlerweile auch Teile der Linken wie vor einigen Jahren die Grünen.

Da SPD und Union in den meisten politischen Fragen austauschbar sind, gibt es keinen Grund, wenn man sich schon auf ein Bündnis mit der SPD einlässt, nicht auch mit der Union zu kooperieren. Damit bestätigt sich nur die Logik derer, die wie Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann etc. bei den Grünen generell gegen Regierungsbündnisse argumentierten.

Diese linke Strömung hatte allerdings die Partei schon vor mehr als 2 Jahrzehnten verlassen. Nur der Münsteraner Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler[5] ist noch der letzte Vertreter dieser Strömung bei den Grünen.

Wenn nun auch die Linke offen für SPD und Union ist, bestätigt sich einmal mehr die Analyse einer kapitalistischen Einheitspartei mit unterschiedlichen Namen, die der Politologe Johannes Agnoli[6] in seinem Buch Transformation der Demokratie[7] schon um 1968 diagnostizierte.

Doch für die SPD ist diese Entwicklung besonders desaströs. Unter Druck ist sie von der AfD, von der Linken und auch die Initiative „Aufstehen“ könnte noch die letzten Sozialdemokraten innerhalb der SPD aus der Partei vertreiben.

Sozialpolitik als Strafrecht?

Vor diesem Hintergrund haben in den letzten Wochen gleich zwei SPD-Spitzenpolitiker das soziale Profil ihrer Partei schärfen wollen. Zunächst hat sich die Parteivorsitzende Andrea Nahles dafür ausgesprochen, die Sanktionen bei jüngeren Hartz-IV-Beziehern[8] zu lockern.

Im Grunde waren die Bestimmungen so formuliert, dass es für jüngere Hartz-IV-Bezieher schwer war, nicht sanktioniert zu werden. Es gab genügend Fälle, wo Betroffene zu 100 Prozent sanktioniert wurden, und so gar keine finanziellen Leistungen mehr bekommen und häufig auch noch die Wohnung verlieren[9].

Viele der Betroffenen landen in der Wohnungs- oder Obdachlosigkeit und viele sehen dann auch keinen Grund mehr, überhaupt noch zum Jobcenter zu geben. Hier setzt auch die Argumentation von Nahles ein. „Die melden sich nie wieder im Jobcenter, um einen Ausbildungsplatz zu suchen. Ergebnis sind ungelernte junge Erwachsene, die wir nicht mehr erreichen“, begründet sie ihren Vorstoß zur Lockerung der Sanktionen.

So verlöre ja das Jobcenter seine Funktion im repressiven Staatsapparat. Während die Grünen den Vorstoß der SPD-Politiker als nicht weitgehend genug kritisierten[10], kam gleich die Retourkutsche der Konservativen aller Parteien, die fürchten, Nahles könnte mit ihrem Vorstoß, Hartz-IV etwas von seinem repressiven Charakter nehmen.

So wurde auch wieder deutlich, dass ein großer Teil der Medien und auch der Öffentlichkeit ganz offen Sozialpolitik als Teil des Strafrechts akzeptiert und es als Erfolg ansieht, wenn die Betroffenen gezwungen sind, Lohnarbeit unter den schlechtesten Bedingungen anzunehmen.

So heißt es in der konservativen Welt[11]: „‚Niemand sanktioniert gerne und auch die Jobcenter würden lieber ohne Sanktionen arbeiten‘, sagt Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung[12], das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. ‚Aber Auswertungen zeigen, dass die Sanktionen im gewünschten Sinne wirken, es also vermehrt Arbeitsaufnahmen gibt. Die Sanktionen für jüngere Hartz-IV-Bezieher einfach abzuschaffen, hätte also auch Nachteile.'“

Die Nachteile würden also dann entstehen, wenn Hartz-IV-Bezieher nicht mehr gezwungen wären, sich dem Kapital zu besonders schlechten Bedingungen zu verkaufen. Es wird weder von Nahles noch von den meisten ihrer Kritiker infrage stellt, dass das Sozialrecht als Strafrecht genutzt werden soll.

Nur über den Umfang und die Form der Sanktionen gehen die Meinungen auseinander. Deswegen lehnt auch die Nahles-SPD den Vorschlag der Linkspartei ab, die Sanktionen im Hartz IV-System generell abzuschaffen. Es dürfte der SPD mit dieser Andeutung eines Reförmchen kaum gelingen, sich wieder als soziale Kraft zu etablieren.

SPD – Die Rentnerpartei?

Auch der aktuelle Bundesminister Scholz[13] bürgt schon mit seiner politischen Vita[14] nach dem Ende seiner Juso-Zeit dafür, nie gegen Kapitalinteressen agiert zu haben. Wenn er jetzt für ein Rentenkonzept eintritt, dass stabile Renten auch noch in 20 oder 30 Jahren garantiert, will er seine Partei für die ältere Generation wieder wählbar zu machen.

Die Reaktionen auf seinen Vorstoß zeigen, dass er damit ins Schwarze getroffen hat. Ihm wird tatsächlich angekreidet, diese Frage nicht auf eine „überparteiliche Kommission“ vertagt zu haben, die sich der Frage widmen soll.

Hartz-IV lässt grüßen, auch diese Verarmungspolitik wurde von einer überparteilichen Kommission kreiert. Damit soll suggeriert werden, dass es hier nicht um unsere politische Konzepte mit den dahinter stehenden Interessen geht, sondern um scheinbar naturgegebene Sachzwänge, die nicht veränderbar sind und nicht hinterfragt werden sollen.

Konkret heißt das, ein Großteil der Bevölkerung soll Altersarmut als naturgegeben hinnehmen und sich mit Selbstvorsorge und Niedriglohnjobs bis ins hohe Alter behelfen. Das Kapital kalkuliert bereits damit. Eine Rente für Alle, von denen Menschen leben können, wäre für diese Interessen dysfunktional. Entsprechend harsch reagieren die Medien, die im Zweifel immer die Kapitalinteressen im Blick haben:

So benennt die Süddeutsche Zeitung[15] die Konsequenzen der Umsetzung der Scholz-Pläne:

Die Menschen müssten entweder sehr viel später in Rente gehen als jetzt; oder die Rentenbeiträge müssten drastisch angehoben werden, heißt, die Arbeit würde deutlich teurer; oder der Staat müsste seinen Zuschuss für die Rentenkassen massiv ausweiten, was bedeutet, die Steuern würden steigen. Da gerade die Sozialdemokraten sich gegen ein späteres Renteneintrittsalter wehren, kann Scholz eigentlich nur erheblich höhere Beiträge oder / und Steuern im Sinn haben. Darüber, wie der Minister und Spitzengenosse sein Vorhaben bezahlen möchte, lässt sich nur spekulieren. Mitten im Sommerloch via Wochenend-Interview mal eben so eine Forderung mit außerordentlich weitreichenden Folgen zu stellen, dafür hat es bei Scholz gereicht. Für Überlegungen dazu, wie seine Pläne finanziert werden könnten, offenbar nicht.

Damit macht der Sozialdemokrat es all jenen leicht, die die ebenso schwierige wie dringend notwendige Debatte über die Zukunft der Rente, über mehr Gerechtigkeit in der Rente und über den Kampf gegen Altersarmut nicht so recht führen möchten.

Süddeutsche Zeitung

Im Anschluss regt sich das liberale Blatt auch darüber auf, dass Scholz das Thema nicht der dafür vorgesehenen Kommission überlässt, also Altersarmut als kapitalistischen Sachzwang akzeptiert. Noch deutlicher wird die wirtschaftsfreundliche FAZ in einem Kommentar zum Scholz-Vorstoß:

Als Bundesfinanzminister muss er das Wohl des ganzen Landes m Blickhaben, nicht nur das der Rentnergeneration – auch wenn sie bald 25 Millionen Wähler stellen wird. Kein Politiker darf den Spielraum seiner Nachfolger so dramatisch einengen.

Kerstin Schwenn, Faz

Wenn es eine Rangliste über menschenfeindliche Kommentare gäbe, dann stünde Schwenns Text ganz oben. Hier wird ganz deutlich gesagt, anders als die Kapitalisten sind auch 25 Millionen Rentner nicht systemrelevant. Die sollen im Zweifel für sich selber sorgen. Wenn nicht, dann haben sie Pech gehabt.

Dass die wirtschaftsliberale Presse, die in letzter Zeit auch gerne mit emphatischen Floskeln aufwartete, so offen menschenfeindlich formuliert, ist ein Verdienst des Scholz-Vorstoßes. Dabei hat er sicher im Sinn, der SPD mit sozialen Themen wieder einige Wählerstimmen zu verschaffen.

Doch das wird kaum gelingen, denn weder die SPD im Allgemeinen noch Scholz im Konkreten wollen sich mit den gesellschaftlichen Kräften anlegen, die wie Kerstin Schwenn denken und handeln. Das will in der SPD niemand.

Sozialpolitik statt Minderheitenschelte

Ein weiterer positiver Nebeneffekt der zaghaften sozialen Profilierung der SPD besteht in der Diskursverschiebung. So wird deutlich, dass nicht das Eintreten für Minderheitenrechte die SPD zur 18%-Prozentpartei machen, sondern die Unterordnung unter die Standortinteressen des deutschen Kapitals. Der Publizist Johannes Simon hat diesen Zusammenhang in der Printausgabe des Freitag klar benannt:

Für die bessergestellten Milieus, die in der SPD und den liberalen Medien den Ton angeben, ist der Vorwurf an sich selbst natürlich viel angenehmer, sich zu sehr um Minderheitenrechte gekümmert zu haben, anstatt einzugestehen, dass man ohne mit der Wimper zu zucken das brutale Hartz IV-System, Leiharbeit, wachsende Kinderarmut und dergleichen unterstützt hat, nur weil man Angst um den Standort Deutschland und den eigenen Wohlstand hatte.

Johannes Simon, Wochenzeitung Freitag
Wenn die SPD tatsächlich wieder Sozialpolitik machen würde, müsste sie das anerkennen. Aber wer wird das ausgerechnet von der SPD erwarten?

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4144691
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Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] https://jungle.world/artikel/2010/45/die-aufarbeitung-beginnt-gerade-erst
[2] https://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/1676012
[3] https://katharina-schulze.de/
[4] https://katharina-schulze.de/schriftliche-anfrage-zum-truemmerfrauen-denkmal-in-muenchen
[5] https://www.gruene-linke.de/tag/wilhelm-achelpohler/
[6] https://www.ca-ira.net/verlag/johannes-agnoli-gesammelte-werke
[7] http://copyriot.com/sinistra/reading/agnado/agnoli06.html
[8] https://www.sozialberatung-essen.de/sanktionen/sanktionen-f%C3%BCr-unter-25-j%C3%A4hrige-im-sgb-ii/
[9] https://www.gegen-hartz.de/100-prozent-hartz-iv-total-sanktion-nach-4-jahren-aufgehoben
[10] https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2018-08/44606878-gruene-kritisieren-nahles-hartz-iv-vorstoss-003.htm
[11] https://www.welt.de/wirtschaft/article181245032/Keine-Sanktionen-fuer-Juengere-Kritik-an-Nahles-Hartz-IV-Idee.html
[12] https://www.iab.de/123/section.aspx/Mitarbeiter/56703
[13] https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Bundeskabinett/OlafScholz/_node.html
[14] https://www.olafscholz.de/main/pages/index/p/61
[15] https://www.sueddeutsche.de/politik/rentenplaene-von-olaf-scholz-ein-baerendienst-fuer-die-spd-1.4097666

»Uns wurde mit Erschießen gedroht«

Die Kritik an deutschen Geschichtsmythen provoziert in Deutschland oftmals noch immer einen rechten Shitstorm. Wie derzeit Anne Helm, Politikerin der Piratenpartei, wegen ihrer Bomber-Harris-Aktion standen vor einigen Wochen die beiden bayerischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Sepp Duerr und Katharina Schulze, im Mittelpunkt rechter Angriffe. Sie hatten ein braunes Tuch mit der Aufschrift »Den Richtigen ein Denkmal, nicht den Altnazis! Gegen Spaenles Geschichtsklitterung« (Ludwig Spaenle ist der bayerische Kultusminister, Anm. d. Red.) über das sogenannte Denkmal für die Trümmerfrauen in München gelegt. Die Jungle World sprach mit Katharina Schulze über bayerische Geschichtspolitik und die Folgen ihrer Kritik daran.

Wieso haben Sie und Ihr Landtagskollege Sepp Dürr das Denkmal für die Trümmerfrauen verdeckt?

In München wurden – anders als in anderen großen deutschen Städten – zum weitaus überwiegenden Teil Altnazis von den US-Amerikanern zu den Aufräumarbeiten zwangsverpflichtet. Nach Informationen des Münchner Stadtarchivs waren an der Trümmerbeseitigung in der Stadt insgesamt 1 500 Personen beteiligt, davon 1 300 Männer. Sie waren zu 90 Prozent ehemalige aktive Mitglieder in NS-Organisationen. Dieser historisch unbestrittenen und von Seiten der Staatsregierung bestätigten Tatsache wurde im Zusammenhang mit der Aufstellung des Gedenksteins in keiner Weise Rechnung getragen. Das von dem Gedenkstein ausgehende Signal ist unseres Erachtens ein pauschales Dankeschön an alle Beteiligten an den Aufräumaktionen, die bei genauerem Hinsehen größtenteils mitverantwortlich waren für die Gräueltaten des »Dritten Reichs«. Damit werden die Fakten verdreht und historische Tatsachen relativiert.

Gab es denn vor der Errichtung des Denkmals eine Diskussion darüber, dass die Trümmerfrauen in München vor allem Nazimänner waren?

Die Debatte wird in München bereits seit mehr als zehn Jahren geführt. Auch im Münchner Stadtrat wurde das Thema schon mehrfach diskutiert. Vier Mal hat der Stadtrat sich gegen eine Aufstellung eines Denkmals für Trümmerfrauen auf städtischem Grund ausgesprochen. Und auch die letzte CSU-Initiative wurde 2008 abgelehnt, der Stadtrat schloss sich erneut der Feststellung der Historiker an, dass das Phänomen Trümmerfrauen in München eine untergeordnete Rolle gespielt hat und eine pauschale Ehrung deswegen höchst problematisch ist.

Wieso wurde das Denkmal dennoch errichtet?

Nachdem der Münchner Stadtrat die Aufstellung auf städtischem Grund mehrmals abgelehnt hatte, wandte sich der Verein »Dank und Gedenken der Aufbaugeneration, insbesondere der Trümmerfrauen e. V.« an die bayerische Landesregierung. Der Freistaat stellte auf der Grundlage eines Gestattungsvertrags ein Grundstück am Münchner Marstallplatz für die Errichtung des Gedenksteins zur Verfügung. Der Stein wurde im Mai 2013 aufgestellt und im September 2013 unter anderem im Beisein von Kultusminister Ludwig Spaenle eingeweiht.

Wie erklären Sie sich, dass das bayerische Kultusministerium nach diesen langen Diskussionen die Errichtung des »Denkmals« auf staatlichem Boden ermöglicht hat?

Daran wird wieder einmal deutlich, dass die CSU keine progressive Kraft ist. Der zuständige Minister Ludwig Spaenle ist selbst Historiker und müsste um die fatale Wirkung einer falschen Erinnerungskultur eigentlich wissen. Er hat auf die Anfrage meines Kollegen Sepp Dürr im bayerischen Landtag bestätigt, dass die Situation in München nach dem Krieg unbestritten eine andere war als in anderen deutschen Städten. Ebenso betonte er in seiner Antwort, dass die Ergebnisse der lokalen Forschung in München – nämlich, dass überwiegend Akteure, die dem NS-Regime zu Dienste gewesen waren, bei der Aktion zur Trümmerbeseitigung eine Rolle gespielt haben – bei der Gesamtwürdigung des Denkmals unstrittig einen sehr wichtigen Gesichtspunkt darstellen. Trotzdem hat er der Aufstellung des Denkmals in München zugestimmt und diese Entscheidung immer wieder gegen Kritik verteidigt.

Waren Sie von den wütenden Reaktionen auf Ihre Aktion überrascht?

Die Heftigkeit der Angriffe hat mich schon überrascht. Wir hatten unsere Aktion lediglich in einen lokalen Rahmen in München geplant, denn, wie ich schon angeführt habe, gibt es diese Diskussion dort schon länger. Als dann unsere Aktion bekannt wurde, ging in den rechten Medien und Internetforen ein regelrechter Shitstorm gegen uns los. In kurzer Zeit gingen auf den Facebookseiten unzählige Kommentare ein, darunter waren offene Holocaust-Leugner und NS-Nostalgiker, die ihre Hetze und Drohungen teilweise mit Klarnamen posteten. Uns wurde mit Vergasen und Erschießen gedroht. Ich habe die Kommentare mittlerweile gelöscht, denn ich möchte den Rechten keine Plattform auf meiner Seite bieten. Davor haben wir natürlich alles gesichert und alles strafrechtlich Relevante zur Anzeige gebracht. Die Diskussion in den Medien blieb meistens weiter sachlich. Es wurden Zeitzeugen und Historiker befragt, die ebenfalls die Forschungen des Münchner Stadtarchivs bestätigten, dass die Situation in München anders war als in anderen Städten. Bei den extremen Rechten ging die Hetze jedoch weiter. Es hat mich erschüttert, dass es auch zu Aktionen gegen Einrichtungen der Grünen kam. So wurde über dem Parteibüro in Berlin-Hellersdorf ein Transparent mit der Aufschrift »Grüne Denkmalschänder« angebracht.

1997 gab es in München eine rechte Mobilisierung gegen die dort gezeigte Wehrmachtsausstellung. Daran waren CSU-Politiker ebenso beteiligt wie offene Neonazis. Ist München für solche rechten Proteste besonders geeignet?

Die öffentliche Diskussion nach unserer Aktion hat gezeigt, dass sich insbesondere rechte Kreise durch die – von ihnen selbst befeuerte – Kritik an der Denkmalsverhüllung bestätigt sehen und eine Verbindung zu einem extrem rechten Geschichts- und Gegenwartsverständnis herstellen. Gerade München als ehemalige Hauptstadt der NS-Bewegung hat eine besondere Verpflichtung, sich der eigenen geschichtlichen Verantwortung zu stellen. Im Moment befindet sich gerade das NS-Dokumentationszentrum in Bau, wofür wir Grüne mit zahlreichen Initiativen jahrelang ge­arbeitet haben. Außerdem gibt es viele Bündnisse und Initiativen, die immer zur Stelle sind, wenn in München Rechte auf die Straße gehen.

In der auf Ihrer Homepage veröffentlichten Erklärung zur Verhüllungsaktion heißt es: »Die Aufräumarbeiten in München sind nicht vergleichbar mit dem bewundernswerten Einsatz der Trümmerfrauen in anderen deutschen Städten.« Müsste nicht auch in den Städten, in denen tatsächlich Frauen den Schutt wegräumten, die Frage gestellt werden: Was haben diese im NS gemacht?

Es gibt keine Kollektivschuld, aber es darf eben genauso weder kollektiven Freispruch noch generationenübergreifende Ehrung geben. So wenig die »Achtundsechziger« pauschal ihre Väter beschuldigen durften, dürfen die Enkel heute ihre Großmütter generell freisprechen. Wer an das Nachkriegsleid und die Aufbauleistungen erinnert, ohne einen Zusammenhang zur Vorgeschichte herzustellen und zum unsäglichen Leid, das Nazi-Deutschland über Millionen anderer ­gebracht hat, verzerrt die Verhältnisse. Pauschale Ehrungen sind deswegen problematisch und die historischen Fakten müssen immer vorher genau geprüft werden. Ich halte es deswegen für geeigneter und angemessener, in anderer Form, etwa durch Ehrungen von Einzelpersönlichkeiten, der Leistungen einzelner Menschen zu gedenken.

Also müsste Ihre Aktion doch eher ein Anlass sein, den deutschen Trümmerfrauen-Mythos nicht nur in München, sondern generell in Frage zu stellen?

Wir haben uns auf die konkreten Umstände in München bezogen. Wenn sich in anderen Städten Initiativen bilden, die auf erinnerungspolitischem Feld arbeiten und sich mit dem Thema Trümmerfrauen auseinandersetzen wollen, freue ich mich über den Austausch.

http://jungle-world.com/artikel/2014/10/49463.html

Interview: Peter Nowak

Waren die Trümmerfrauen Nazi-Männer?

Links

[1]

http://www.merkur-online.de/lokales/muenchen/zentrum/kritik-denkmal-truemmerfrauen-2912110.html

[2]

http://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Direktorium/Stadtarchiv.html

[3]

http://katharina-schulze.de/

[4]

http://www.sepp-duerr.de

[5]

http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/bdm

[6]

http://www.dhm.de/ausstellungen/legalisierter-raub/

[7]

http://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2013/gruene-protestieren-gegen-denkmal-fuer-truemmerfrauen/

[8]

https://www.facebook.com/Truemmerfrauen

[9]

http://www.gruenemarzahnhellersdorf.de/

[10]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154803

[11]

http://www.heise.de/tp/artikel/1/1127/1.html

[12]

http://www.sueddeutsche.de/politik/politiker-als-demonstranten-zeichen-setzen-auf-der-strasse-1.939643-7