AfD-Freunde kandidieren als Betriebsrat

Die kommenden Betriebsratswahlen, die vom 1. März bis 31. Mai 2018 stattfinden, werden bundesweit größere Beachtung finden. Denn erstmals fordern Rechte mit populistischen Parolen die DGB-Betriebsräte heraus. »Patrioten schützen Arbeitsplätze«, lautet einer der Slogans, mit der sie auf Stimmenfang gehen. Auf einer Website wird in ultrarechter Manier über »Gesinnungswächter am Fließband, im Büro und der Werkstatt« schwadroniert, mit denen Schluss gemacht werden müsse.

Dass es sich dabei nicht um leere Worte handelt, zeigt das Zentrum Automobil e.V., das vom Urgestein der rechten Szene Oliver Hilburger aufgebaut wurde. Dessen Zentrumsliste stellt mit zehn Prozent zwei Betriebsräte und gilt als Vorbild für den rechten Kampf im Betrieb. Mittlerweile gibt es bundesweit Nachahmer. Im Leipziger BMW-Werk tritt eine rechte Liste unter dem Namen »Interessengemeinschaft Betrieb und Familie« an. Auch bei Mercedes Benz in Rastatt und bei Opel in Rüsselsheim laufen sich rechte Betriebsräte warm. Unterstützt werden sie vom rechten Flügel der AFD und dem rechtspopulistischen Magazin »Compact«. Auf deren Konferenz im November in Leipzig spielte die Unterstützung der Betriebsratskampagne eine zentrale Rolle. Dabei ist es kein Zufall, dass der Focus auf die Belegschaften der Automobilwirtschaft gelegt wird, die durch die Debatten über Dieselverbote und ein Ende des Automobilzeitalters verunsichert sind.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1073355.afd-freunde-kandidieren-als-betriebsrat.html

Peter Nowak

„Die Anonymität brechen“

Verstorbene ohne Angehörige werden häufig anonym bestattet. Kulturanthropolog*in Francis Seeck fordert in einem Buch auch für diese Menschen ein „Recht auf Trauer“

Francis Seeck ist Kulturanthropolog*in und Antidiskriminierungstrainer*in in Berlin. Das Buch: „Recht auf Trauer – Bestattungen aus machtkritischer Perspektive“, Edition Assemblage, 9,80 Euro.

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Belastende Arbeit, befristete Verträge

Beschäftigte des Bildungswerks des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Doch der Geschäftsführer spricht ihrer Gewerkschaft die Legitimation ab.

»Ich habe noch nie so wenig Wertschätzung erfahren für meine Arbeit wie beim Lesben- und Schwulenverband«, stand auf dem Schild, das sich Katrin Meinert* umgehängt hatte. Ihre Kollegin Sabine Steinert* mahnte auf ihrem Schild den Respekt an, der auch das Ziel ihrer Vereinsarbeit sei. Der Kollege, der neben ihr stand, teilte auf seinem Schild mit: »Ich traue mich nicht wirklich, über die Missstände zu reden.«

Die drei arbeiten beim Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg (BLSB). Seit Monaten setzen sie sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Zunächst hatten sie sich an die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gewandt, wählten dann aber die Basis­gewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) als Interessenvertretung.

Am Donnerstag vergangener Woche haben sie mit einer Kundgebung vor dem Büro des BLSB in Berlin-Schöneberg den Arbeitskonflikt öffentlich gemacht und Flyer mit ihren vier zent­ralen Forderungen an die Passanten verteilt. Sie fordern einen Tarifvertrag, die Anerkennung der FAU-Betriebsgruppe als innerbetriebliches Mitbestimmungsorgan, die Entfristung ihrer Arbeitsverträge und die Einrichtung einer innerbetrieblichen Beschwerdestelle. »Es ist absurd, dass der BLSB, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, für Respekt und gegen Diskriminierung anzutreten, diesen Grundsätzen im eigenen Betrieb keine Beachtung schenkt«, kritisiert Meinert.


Keine Freizeit, Burn-out, Sorgen um die Zukunft

Die Beschäftigten im Bildungswerk haben ein großes Aufgabengebiet. Dazu gehört die Bekämpfung von Homophobie im Fußball ebenso wie die Arbeit an Schulen und in Jugendeinrichtungen. In den vergangenen Jahren ist die Arbeit mit Flüchtlingen in den Mittelpunkt gerückt. Vor allem aus Syrien, aber auch anderen Staaten der Region seien viele queere Menschen nach Deutschland gekommen. »Sie sind vor den repressiven Zuständen in ihren Heimatländern geflohen und dann in den Flüchtlingsunterkünften vielfach erneut Diskriminierung aus­gesetzt. In den vergangenen Monaten haben viele von ihnen bei uns Unterstützung gesucht«, erzählt Steiner. Alle Beschäftigten betonen, wie sehr sie ihre Tätigkeit schätzten, aber auch, wie belastend sie sei. Ein Indiz ist die steigende Zahl der Erkrankungen in den vergangenen Monaten. Was die Beschäftigten des BSLB hier ansprechen, kennzeichnet viele Tätigkeiten im ­sozialen Bereich. Die Beschäftigten haben oft keine Freizeit mehr und kämpfen angesichts der Belastungen mit Burn-out und Überlastung. Da ist es besonders widrig, wenn sich engagierte Beschäftigte Sorgen um ihre Zukunft machen müssen.

»Stellen Sie sich vor: Jedes Jahr zu Weihnachten wissen Sie noch nicht, ob Sie im neuen Jahr Ihren Job noch haben werden.« Sabine Stein*, seit fünf Jahren Beschäftigte des BLBS
»Stellen Sie sich vor: Jedes Jahr zu Weihnachten wissen Sie noch nicht, ob Sie im neuen Jahr Ihren Job noch haben werden«, klagt Stein. Sie arbeitet seit fünf Jahren beim Bildungs- und Sozialwerk des BLSB. Wie bei den meisten Beschäftigten ist ihr Arbeitsvertrag befristet. »Jedes Jahr muss ich mich neu bewerben und immer wieder besteht die Unsicherheit, ob ich weiterbeschäftigt werde«, schildert auch Kerstin Kronert* die prekäre Situation der etwa 20 Beschäftigten des BLSB. »Entfristung jetzt«, lautete eine Parole, die sie bei der Kundgebung vor dem BLSB-Büro riefen.
Doch Geschäftsführer Jörg Steinert argumentiert mit Sachzwängen. Die Befristung sei der alljährlichen Mittelbewilligung für den Verein geschuldet.

»Es bleibt bislang bei einer Projektförderung, die eine Befristung von Arbeitsverträgen für die jeweilige Projektlaufzeit mit sich bringt«, sagte er dem queeren Magazin Blu. Steinert weist darauf hin, dass der Berliner Senat bisher nicht über einen Antrag auf institutionelle Förderung seines Vereins entschieden habe. Mit dieser Förderungsform würde größere Planungssicherheit gewährleistet.

Der FAU-Sekretär Valentin Dormann widerspricht diesen Argumenten. Es sei durchaus möglich und in vielen Vereinen mit Projektförderung übliche Praxis, die Beschäftigten mit unbefristeten Verträgen zu beschäftigen, sagte er der Jungle World. Daher akzeptiert Dormann auch Steinerts Begründung für die jüngsten Kündigungen von 16 ­BLSB-Beschäf­tigten nicht. Für Steinert handelt es sich um turnusmäßige Entlassungen zum Ende der Projektförderung und nicht um ein Druckmittel in den Verhandlungen zwischen der FAU und dem Verein. »Es gibt keine Verhandlungsbasis, wenn die Arbeitgeberseite sich weigert, den Beschäftigten eine Perspektive über das Jahresende hinaus zu gewährleisten«, sagte Tormann. Daher sei die Tarifkommission der FAU gezwungen gewesen, die Gespräche mit dem BLSB abzubrechen. Dormann weist auch darauf hin, dass mehrere Beschäftigte abgemahnt wurden.


»Die FAU besitzt die Legitimation, einen Tarifvertrag abzuschließen«

»Die FAU hat die Gespräche abgebrochen. Daher sehen wir keine Veranlassung, zu deren Forderungen oder Behauptungen Stellung zu nehmen«, sagte Steinert der Jungle World. Damit umging er die Frage, ob er sich eine Wiederaufnahme der Gespräche mit der Basisgewerkschaft vorstellen könne. In einer Stellungnahme für Blu sprach er der FAU die gewerkschaftliche Legitimation ab. »Gemäß Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Berlin und des Kammergerichts ist die FAU nicht tariffähig. Sie ist damit im Gegensatz zu richtigen Gewerkschaften nicht zum Abschluss von verlässlichen Tarifverträgen berechtigt. Die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen leitet sich nach ständiger Rechtsprechung aus der Tariffähigkeit ab. Daher sind Arbeitskampfmaßnahmen, die durch die FAU initiiert werden, rechtswidrig.«

Für die FAU ist das inakzeptabel. Hier spreche ausgerechnet der Geschäftsführer des BLSB, der sich den Kampf gegen Diskriminierung zur Aufgabe ­gemacht habe, den Beschäftigten das Grundrecht ab, sich in der Gewerkschaft ihrer Wahl zu organisieren, moniert Dormann. »Die FAU Berlin ist im BLSB die Mehrheitsgewerkschaft und besitzt somit die Legitimation, einen Tarifvertrag abzuschließen«, stellt Dormann klar.

In den nächsten Wochen wird sich zeigen, ob sie dafür stark genung ist. Bei der Kundgebung war die Entschlossenheit der Beschäftigten spürbar. Einige wurden nachdenklich, als ein Passant mit Blick auf die Parolen auf den Schildern zu Bedenken gab: »Viele derjenigen, die so viel von Respekt sprechen, haben nichts gegen kapitalistische Ausbeutung.«

https://jungle.world/artikel/2017/49/belastende-arbeit-befristete-vertraege

Peter Nowak

Deutscher Manager in Ketten vor US-Gericht

Mehr noch als das harte Urteil zeigt dieses Bild das Verhältnis zwischen den USA und der „Deutsch-EU“ auf

Roter Knastanzug, Handschellen und Fußfesseln. Nicht einmal Wasser konnte der Angeklagte Oliver Schmidt ohne Hilfe seines Anwalts zu sich nehmen. Diese Bilder werden in Deutschland einen Schock ausgelöst haben und das war auch beabsichtigt.

Denn es war der VW-Manager Oliver Schmidt, der im Sträflingsanzug und in Ketten vor einem Gericht in Detroit anhören musste, dass er wegen seiner Rolle beim Vertuschen des VW-Abgasskandal zu einer Haftstrafe von 7 Jahren verurteilt wurde. Zudem muss er noch eine Geldstrafe von Höhe von 400.000 Euro zahlen.

Das wäre für VW zwar ein Betrag aus der Portokasse, doch das harte Urteil und mehr noch das Bild eines Managers in Ketten sind ein Signal an Deutschland, das sich spätestens seit dem Machtantritt von Trump ganz offen als Gegenspieler zu den USA und dem „Führer der freien Welt“ aufspielt. Dabei ist die Trump-Wahl nicht der Anlass.

Deutschland begann nach der Vereinigung mit der DDR 1989 unverhohlen Kurs auf die Herausbildung eines eigenen Blocks in der kapitalistischen Weltkonkurrenz zu nehmen. Dazu nutze sie die EU, in der Deutschland der Hegemon ist, was oft kritisiert, aber nie ernsthaft in Frage gestellt werden konnte. Auch ein Teil der osteuropäischen Staaten außerhalb der EU ist Teil des deutschen Einflussgebietes.

Natürlich ist dieser Prozess nicht unangefochten und ist auch seit Anbeginn mit viel Widerstand verbunden. So hat die USA schon unter der Administration von Bush-Junior im zweiten Golfkrieg die neue EU ausgerufen, die sich im Zweifel eher an den USA als an Deutschland orientiert.

Aber auch dieser Prozess verläuft keineswegs gradlinig und verändert sich schnell. In Polen beispielsweise ist jetzt die deutschlandkritische Variante der Eliten an der Regierung. Doch die deutschlandfreundliche Fraktion um Tusk könnte sie durchaus wieder ablösen, wenn auch vielleicht noch nicht bei den nächsten Wahlen.
Es geht nicht um Umwelt, sondern um innerkapitalistische Konkurrenz

Nun werden manche argumentieren, beim Prozess gegen dem VW-Manager Oliver Schmidt ging es um Umwelt und nicht um Weltpolitik. Das ist aber naiv. Natürlich wurde Schmidt offiziell wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoß gegen die Umweltgesetzte verurteilt. Tatsächlich hat er selber gestanden, dass er an den Delikten beteiligt war.

Nur erklärt das weder das Strafmaß, noch die öffentliche Zurschaustellung in Ketten. Schließlich sind Verletzungen von Umweltbestimmungen Teil der innerkapitalistischen Konkurrenz. Wer da besonders findig und kreativ ist, spart besonders viele Kosten und das allein zählt im Kapitalismus. Immer wieder mal werden solche Verstöße aufgedeckt und es kommt auch gelegentlich zu Prozessen.

Meistens gehen sie mit einer hohen Geldstrafe, die aus der Portokasse des Konzerns gezahlt wird, und vielleicht einer zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe zu Ende. Zudem werden die Prozesse in der Regel so geführt, dass die Angeklagten nicht gedemütigt werden. Denn die kapitalistischen Player aller Länder wissen, auch sie könnten an der Stelle des gerade Angeklagten stehen.

Sie sind also in der Regel Brothers in Business und Brothers in Crime. Dieses Prinzip wird dann gebrochen, wenn sich die Homebases der jeweiligen Konzerne im weltweiten Konkurrenzkampf besonders feindlich gegenüber stehen. Wer die Bilder von Olaf Schmidt gesehen hat, weiß nun, wie feindlich das Verhältnis zwischen den USA und EU-Deutschland unter Trump ist.

Da wird sicher auch eine Rolle gespielt haben, dass führende Politiker aller Parteien in Deutschland schon mal Trump und sein Umfeld gerne vor Gericht gesehen hätten und mit ihre Bestrafungswünschen auch nicht verheimlicht haben. Das Urteil und das Bild aus Detroit sollte die Botschaft nach Deutschland vermitteln, ihr mögt nun in Bestrafungsphantasien gegen Politiker der USA schwelgen, wir aber haben die Macht und die Mittel, wenn noch nicht eure Politiker, so doch eure führenden Manager tatsächlich in Ketten hinter Gittern zu bringen.


Prozess gegen einen Konzern mit Nazivergangenheit

Dabei dürfte es nicht unwichtig sein, dass der Verurteilte beim VW-Konzern gearbeitet und für dessen Weltmarktinteressen die Umweltgesetze verletzt hat. Das VW-Management mag sich in Deutschland erfolgreich das Image eines „Konzerns mit Nazi-Vergangenheit“ entledigt haben. Im Ausland ist das keineswegs so.

Die Marke Volkswagen wird dort noch immer mit Hitler assoziiert. Daher könnte man die Verurteilung in Detroit auch mit der Nazi-Vergangenheit des Konzerns in Zusammenhang bringen. Schließlich wurde im Ausland sehr wohl registriert, dass VW nicht trotz, sondern auch wegen seiner Nazivergangenheit in Deutschland-West so beliebt war.

Ein Volkswagen für den Volksgenossen – die Naziparole wurde in der Nachkriegs-BRD Wirklichkeit. Insofern saß mit Oliver Schmidt auch dieser VW-Konzern in Detroit vor Gericht. Weil die BRD im antisowjetischen Bündnis nach 1948 gebraucht wurde, gab es nach den Nürnberger Prozessen keine relevanten Verurteilungen von Stützen des NS mehr, was auch VW zugute kam.

So könnte man den Prozess gegen Schmidt weitgefasst in den Rahmen einer späten Aufarbeitung von früher Versäumtem stellen. Das bringt die deutschen Nationalisten in Rage. Deren Kritiker können sich damit trösten, dass zumindest die USA noch den übermütigen Deutschen, die sich schon als westliche Führungsmacht wähnen, im wahrsten Sinne die Fesseln zeigt.

Das ist im Zeitalter des Aufstiegs der AFD nicht zu verachten. Allerdings sollte sich auch niemand Illusionen machen. Es geht bei dem Urteil und den Bildern aus Detroit nicht um Antifaschismus sondern um den Kampf von zwei Mächten im innerkapitalistischen Konkurrenzkampf.

https://www.heise.de/tp/features/Deutscher-Manager-in-Ketten-vor-US-Gericht-3913658.html

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diesel-affaere/vw-manager-muss-sieben-jahre-in-haft-15328533.html
[2] http://www.ndr.de/kultur/geschichte/chronologie/Die-Gruendung-des-Volkswagenwerks-1938,vwwerk2.html

Solidarität statt Boykott

Basisgewerkschaften gegen die BDS-Kampagne – ein Kommentar

Jede Israel-Boykottkampagne kann – nicht nur bei Überlebenden des NS-Terrors – Erinnerungen an die „Kauft nicht beim Juden“-Hetze der Nazis wecken. Die Beteiligung von Deutschen an einer solchen Kampagne ist angesichts der Shoah inakzeptabel. Der folgende Kommentar bietet Einblicke in die gewerkschaftliche Debatte. (GWR-Red.)

„Gewerkschaften stehen heute an vorderster Stelle bei der Verteidigung der Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit“, heißt in einem Aufruf, in dem Gewerkschaften aus aller Welt dazu aufgerufen werden, Israel zu boykottieren. Sieben der 340 im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) zusammengeschlossenen Organisationen haben diesen Aufruf der BDS-Bewegung, wie die Boykottbewegung international abgekürzt wird, unterstützt. „Das sind etwas mehr als zwei Prozent, aber bezogen auf die Mitgliederzahl vertreten diese sieben Verbände 12,5 Millionen der 182 Millionen IGB- Mitglieder“, schreibt der Journalist Martin Hauptmann in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. 2017 haben sich die tunesische UGTT und die norwegische LO der Israel-Boykottkampagne angeschlossen. Der DGB lehnt die Boykottforderung strikt ab und verweist auf die enge Kooperation mit dem israelischen Gewerkschaftsverband Histadrut. Diskutiert wird die Frage des Israelboykotts jedoch von kleinen Gewerkschaften.
Vor kurzem veranstaltete die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) Berlin eine Diskussion zum Thema „Gewerkschaftliche Solidarität statt Boykott“. Die Aktivistin Detlef Georgia Schulze sieht in der Forderung nach einem Boykott Israels keine Perspektive für eine Überwindung von Nationalismus, Klassen- und Geschlechterwidersprüchen. Die BDS-Bewegung positioniere sich im Kampf zweier nationaler Bewegungen auf einer Seite. Das sei nicht die Aufgabe von Gewerkschaften, betonte Schulze mit Verweis auf Grundsatztexte der Boykottkampagne. So sei auffällig, dass es dort keine Kritik an der gewerkschaftsfeindlichen Politik der Hamas gebe. Der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut hingegen werde von der BDS als Teil des israelischen Staates bezeichnet und heftig angegriffen. Marc Richter ist aktiv in der Bremer Sektion der Basisgewerkschaft IWW. Auch er formulierte auf der Veranstaltung eine Kritik an der BDS-Kampagne aus gewerkschaftlicher Perspektive. „Diese Kampagne stärkt auf keinen Fall den solidarischen Kampf der ArbeiterInnenklasse überall auf der Welt, sondern begünstigt eine Entsolidarisierung und unnötige Spaltung in der Arbeiterbewegung“. Über diese Frage habe es innerhalb der IWW heftige Diskussionen gegeben, erklärte Richter. Als Alternative zu einem Boykott solle die Ko operation mit gewerkschaftlichen Organisationen in der Region gesucht werden, die Lohnabhängige unabhängig von der Nationalität organisieren. Bereits vor 20 Jahren organisierte die AK Internationalismus der IG Metall in Berlin Veranstaltungen mit Initiativen, in denen palästinensische und israelische ArbeiterInnen kooperierten. Dass eine solche Kooperation heute schwieriger ist, liegt nicht in erster Line an der Politik Israels. So ist der Druck auf Basisgewerkschaften sowohl im Gaza als auch in der Westbank groß. Ein aktuelles Beispiel für Solidarität statt Boykott kommt vom israelischen Dachverband Histadrut, der in seiner politischen Ausrichtung mit dem DGB verglichen werden kann. Die Histadrut hat ein Abkommen mit dem palästinensischen Gewerkschaftsbund PGFTU geschlossen. Seitdem überweist der is raelische Gewerkschaftsbund 50% der Mitgliedsbeiträge von PalästinenserInnen, die legal in Israel arbeiten, an die PGFTU. „Das geschieht aus Solidarität, um die palästinensischen Gewerkschaften zu stärken und unabhängig zu machen“, erklärte Avital Shapira-Shabirow, die beim Histadrut-Vorstand für internationale Beziehungen zuständig ist, in einem Interview in der Konkret. Maya Peretz von der linken israelischen Gewerkschaft Koach La‘Ovdim, die die Histadrut in vielen Punkten kritisiert, ist sich in dieser Frage mit ihr einig. Die BDS-Kampagne trägt zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse bei. Für BasisgewerkschafterInnen müsste daher klar sein, dass sie nicht Teil der BDS- Kampagne sein sollen. Das gilt auch unabhängig davon, wie man sonst zu dieser Kampagne steht. Ich halte es für falsch, die BDS-Kampagne, an der sich in vielen Ländern der Welt sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Motiven beteiligen, pauschal als antisemitisch zu bezeichnen. Ich will aber klarstellen, dass sie für den gewerkschaftlichen Kampf kontraproduktiv ist. Das Prinzip gewerkschaftlicher Kämpfe soll die transnationale Solidarität aller Lohnabhängigen sein und bleiben.

aus: graswurzelrevolution dezember 2017/424

http://www.graswurzel.net/424/bds.php

Peter Nowak

„Haunted Landlord“: Entmietete plagen Vermieter

Anders als beim Zentrum für Politische Schönheit steht beim Peng! Kollektiv noch die Message im Mittelpunkt. Aber besser wäre die Selbstorganisierung der Betroffenen

„Als ich nach Hause gekommen bin, tropfte das Wasser von der Decke. Die Feuerwehr sagte, das kennen wir schon.“ „Ich habe 15 Jahre in der Berlichingenstraße gewohnt, dann die Entmietung.“ „Ihre Mieterinnen und Mieter haben 7 Wochen im Winter gefroren, weil sie kein Heizöl gekauft haben.“ „Sie zerstören das Haus, in dem wir gerne leben. Für Luxusbauten? Klingt das nicht absurd?“ „Wir hatten keine Kraft mehr zu kämpfen und verließen unsere Wohnung. Jetzt steht sie leer.“

Das sind einige Zitate von Telefonaten, die bei Hauseigentümern aus verschiedenen Städten in Deutschland eingegangen sind und unter dem Titel Haunted Landlord veröffentlicht wurden. Es ist eine Aktion des Peng! Kollektivs, das mit satirischen Mitteln auf politische Missstände aufmerksam macht. „Peng ist ein explosives Gemisch aus Aktivismus, Hacking und Kunst im Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“, heißt es auf der Homepage des Kollektivs.

Die Aktivisten haben sich teils private, teils geschäftliche Telefonnummern von Vermietern organisiert und eine Software programmiert, die automatisch immer wieder dort anruft und Tonaufnahmen der Geschichten abspielt, die Mieter mit ihnen erlebt haben. „Die Entmieteten kehren zurück, um diejenigen zu plagen, die sie auf die Straße gesetzt haben“, heißt es in einem Schreiben von Peng!, das dazu veröffentlicht werden soll. Eine Woche lang soll die Aktion laufen.

Skandalisierung, aber keine gesellschaftliche Einordnung

Schon in der Vergangenheit hat das Künstlerkollektive mit Aktionen wie „Fluchthelfer“ Diskussionen angestoßen und auch einige immer wieder verärgert. Aber das ist ganz im Sinne des Kollektivs, das sich gegen Rassismus, rechte Hetze und verschiedene soziale Missstände engagiert.

Dabei verzichtet es allerdings auf eine Einordnung der angeprangerten Widerwärtigkeiten in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Das schafft den Politkünstlern immer wieder viel Aufmerksamkeit und ärgert nicht die Falschen. Doch damit bleibt die Kritik auch an der Oberfläche, wie auch die jüngste Aktion „Haunted Landlords“ zeigt.

Sie lebt von einer Personalisierung. Es wird der Eindruck erzeugt, wenn man den Verantwortlichen jetzt mal ganz persönlich sagt, welche Folgen ihre Entmietungspolitik hat, werden sie ihr Verhalten ändern. Das mag in Einzelfällen auch funktionieren und die angesprochenen Vermieter agieren vorsichtiger, sei es, weil sie ein schlechtes Gewissen haben oder weil es für das Geschäft auch nicht besonders vorteilhaft ist, von Peng! namentlich genannt zu werden.

Das mag bei Wohnungs- und Hauseigentümern, die namentlich bekannt sind, einfacher funktionieren als bei Briefkastenfirmen. Denn dann erreichen die Anrufe einfach einen vielleicht prekär Beschäftigten, der für die Briefkastenfirma das Telefon bewacht. Denn Kapitalismus funktioniert nicht so, dass man den Verantwortlichen einfach ins Gewissen redet und alles wird gut … Das zentrale Motiv für die geschilderten Entmietungspraktiken ist nicht die persönliche Gier oder ein moralisch böse handelnder Unternehmer. Es ist die Profitlogik einer kapitalistischen Gesellschaft, die den Rahmen schafft, in denen dann die unterschiedlichen Player agieren.

Es ist zweifellos richtig, dass die Verantwortlichen da nicht nur kapitalistische Sachzwänge exekutieren, sondern für ihr Handeln auch Verantwortung tragen. Ein gutes Beispiel sind die Wohnungseigentümer der Rentnerin Rosemarie F., die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung im April 2013 gestorben ist. Die Vermieter waren trotz einer Zusage, dass die Miete pünktlich überwiesen ist, nicht bereit, die Kündigung zurückzunehmen. Im Gegenteil, haben sie die Rentnerin noch in den Medien beleidigt.

Das sind keine Einzelfälle, wie die vom Peng! Kollektiv aufgelisteten Entmietungsfälle zeigen. Wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass das sich durch die Anrufe tatsächlich einige verändern, so hat die Aktion durchaus einen Sinn, weil sie eine gesellschaftliche Diskussion über Mieterwillkür auslösen. Hier liegt das positive Moment der Aktion. Sie öffnet bei schwachen oppositionellen Kräften Räume, um Unmut und Protest auszurücken.


Peng ist näher am Alltagswiderstand als das Zentrum für politische Schönheit

Wenn sich die Betroffenen gegen die Entmietung wehren, indem sie juristische Klagen führen oder politisch aktiv werden, beispielsweise in Bündnissen wie „Zwangsräumung verhindern“, dann verlassen sie den Opferstatus und lernen auch viel über die Verfasstheit unserer Gesellschaft. Sie nehmen damit auch eine kritische Haltung zu Gesellschaft ein. Sie brauchen dann auch keine Zwischeninstanzen wie das Peng!, das ihnen die Stimme leiht.

Doch in einer Situation, in der diese oppositionellen Gruppen schwach sind, kann das Kunstkollektiv dazu beitragen, dass die Politik der Entmietung als der gesellschaftspolitische Skandal wahrgenommen wird, der er ist. Im Gegensatz zum Zentrum für Politische Schönheit, mit dem das Peng! Kollektiv den Glauben an den liberalen Rechtsstaat und die Macht der Skandalisierung teilt, widmet es sich dem Alltagswiderstand.

Dadurch werden die Anliegen auch nicht durch die Macht der Künstler erdrückt. Das Zentrum organisiert mit immer mehr finanziellen Mitteln und viel logistischem Aufwand seine Aktionen, so dass die politischen Anliegen dahinter verschwinden. Wenn dann Tiger in einem Käfig in Berlins Mitte zu sehen sind, sind die Menschen dadurch mehr beeindruckt als von der Message, dass es um die Rechte von Migranten geht, was dann noch am Rande erwähnt wird.

Bei der aktuellen Aktion des Zentrums, dem Nachbau des Mahnmals der Ermordeten Juden vor dem Haus des AFD-Rechtsaußen Björn Höcke ist der Inszenierungs- und Kunstcharakter noch größer. Viel mehr wird darüber diskutiert, ob das Privatleben der Höcke-Familie beeinträchtigt oder die Shoah-Opfer instrumentalisiert werden, als über die rechten Thesen von Höcke bzw. Landolf Ladig.

Das macht die Gefahr deutlich, dass die politisch motivierten Kunstaktionen die Message erdrücken und ein Eigenleben entwickeln. Was vom künstlerischen Standpunkt aus zu begrüßen ist, kann politisch fatal sein. Das Peng!Kollektiv sollte sich dieser Gefahr bewusst sein.

https://www.heise.de/tp/features/Haunted-Landlord-Entmietete-plagen-Vermieter-3907276.html

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-3907276

Links in diesem Artikel:
[1] https://hauntedlandlord.de
[2] https://de-de.facebook.com/pengcollective/
[3] https://pen.gg/de/
[4] http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/mit-fluechtlingen-auf-der-balkanroute-die-fluchthelfer/12645368.html
[5] https://philosophia-perennis.com/2017/09/08/votebuddy-kriminell
[6] https://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/
[7] http://berlin.zwangsraeumungverhindern.org/
[8] https://www.politicalbeauty.de/
[9] https://www.thueringen24.de/erfurt/article210243713/Petry-Bjoern-Hoecke-schrieb-als-Landolf-Ladig-fuer-die-NPD.html

Teesolidarität

Reaktion auf Schwachpunkt: Selbstverwaltete Betriebe helfen sich gegenseitig beim Vertrieb

»It‘s Teatime! Scop Ti jetzt auch in Deutschland« – so bewirbt Union Coop, ein Zusammenschluss von basisgewerkschaftlichen Kollektivbetrieben in Deutschland, ganz besondere Teesorten. Sie werden in einer selbstverwalteten Teefabrik in Marseille produziert. Mehr als drei Jahre hatten die Beschäftigten dort gegen den Unilever Konzern gekämpft und die Produktion schließlich selbst übernommen. Die neu gegründete Kooperative Scop Ti produziert verschiedene biologisch und regional angebaute Teesorten unter dem Markennamen 1336. Das soll an die Fabrikbesetzung erinnern, die 1336 Tage dauerte. Nun will die Kooperative ein Vertriebssystem mit anderen Ländern aufbauen. 

Kooperationspartner in Deutschland ist die Union Coop, zu deren Grundsätzen gehört, dass alle Beschäftigten die gleichen Rechte bei Entscheidungen und einen Einheitslohn haben. Hansi Oostinga von der Union Coop betont, dass es sich nicht um eine Nische für Aussteiger handelt. »Im Verbund mit anderen Kollektivbetrieben und der Basisgewerkschaft FAU suchen wir Antworten auf die Frage, wie eine solidarische Wirtschaft aussehen kann«, betont er gegenüber »nd«.

Der Vertrieb des Tees aus der selbstverwalteten Fabrik ist für ihn mehr als Solidarität. »Es ist ein praktischer Ansatzpunkt für eine wirtschaftliche Gegenmacht.« Die Belegschaft habe sich während ihres langjährigen Kampfs als Teil einer breiteren sozialen Bewegung positioniert. Die Vereinbarung zur Kooperation ist auf einem Treffen von selbstverwalteten Betrieben im Mittelmeerraum entstanden, das vor einem Jahr in Griechenland auf dem besetzten Gelände von Vio.Me stattfand. »Ein Ergebnis dieser Konferenz war die Erkenntnis, dass ein Schwachpunkt aller selbstverwalteten Fabriken der Vertrieb ist«, sagt Oostinga. Die Union coop will deshalb in der nächsten Zeit ihr Sortiment erweitern. Neben den Seifen von Vio.Me sollen auch Liköre aus der besetzten Fabrik Rimaflow in Mailand und Öl aus einer von der Landarbeitergewerkschaft SAT besetzten Finca in Andalusien angeboten werden. 

Oostinga hofft, dass der Verkauf der Produkte in Deutschland auch das Thema Betriebsbesetzung und Selbstverwaltung wieder mehr in den Fokus rückt. Er erinnert an die selbstverwaltete Fahrradfabrik in Nordhausen, wo vor zehn Jahren einige Wochen lang das Strikebike produziert wurde. Das Projekt scheiterte. Aber es steht bis heute für den Versuch, wie Arbeiter auch in Deutschland eine andere Form des Wirtschaftens und Produzierens durchsetzen wollten. www.union-coop.org/shop

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071837.teesolidaritaet.html

Peter Nowak

Schöner Leben ohne CG im Friedrichshainer Nordkiez

Beforschung durch Sozialpädagogisches Institut stößt auf Widerstand

„Miteinander leben im Samariterkiez“ heißt es auf einem gelben Plakat, das in der letzten Woche im Friedrichshainer Nordkiez geklebt wurde. Dort erfahren die Anwohner/innen, dass noch bis zum 2. Dezember täglich von 10 – 20 Uhr in einem Ladenlokal in der Rathaus-Passage in der Frankfurter Allee 35 – 37 ein Team des Sozialpädagogischen Instituts Berlin (SPI) darauf wartet, dass Anwohner/innen ihnen ihre Wünsche über die Gestaltung des Stadtteils übermitteln. Das SPI hat vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg den Auftrag bekommen, Anwohner/innen, Gewerbetreibende, Bildungseinrichtungen und die Polizei über die Probleme im Stadtteil zu befragen. „Gestalten Sie Ihr Viertel mit! Nutzen Sie die Chance, Ihren Traditionskiez neu zu definieren“, werden die Bewohner/innen animiert, dem SPI-Team einen Besuch abzustatten.

Eher eine Provokation als ein Angebot

Doch für Erika Schmidt (Name geändert) ist diese Einladung eher eine Provokation als ein Angebot. Sie engagiert sich in der Aktionsgruppe Rigaer Straße 71-73 gegen den Bau eines Nobelprojekts der CG- Gruppe. Trotz zahlreicher Kundgebungen, Kiezspaziergänge und anderer Proteste hat der Bauprozess inzwischen begonnen. Auch auf dem gegenüberliegenden Grundstück ist der Bau von Eigentumswohnungen schon weit fortgeschritten. Dort baut die W Development. „Seit Monaten haben wir mit unterschiedlichen Aktionen deutlich gemacht, dass die CG Gruppe und die KW Development und ihre Projekte im Kiez keine Akzeptanz haben“, erklärt Erika Schmidt. Sie hält es eine Frechheit, nun vom SPI zum Mitgestalten des Kiezes aufgefordert zu werden. „Sie sprechen vom Traditionskiez und haben im letzten Jahr grünes Licht für den Abriss denkmalgeschützter Häuser auf dem Gelände der Rigaer Straße 71-73 gegeben“, ärgert sich auch Michael Benkert (Name geändert), der ebenfalls in der Aktionsgruppe aktiv ist. Für ihn ist die Befragung durch das SPI Teil der von der Politik geförderten Aufwertung des Stadtteils. Immobilienfirmen wie die CG-Gruppe haben schließlich den Anspruch formuliert, ganze Stadtviertel zu verändern. Die wohlhabende, neu in den Stadtteil ziehende Klientel soll durch solche Mitmachprojekte angesprochen werden und kann dann über den Standort von Bänken und Baumscheiben entscheiden.


Mieter/innen und Gewerbetreibende bekommen die Aufwertung schon zu spüren

Gewerbetreibende und Mieter/innen mit geringen Einkommen haben andere Probleme. Sie bekommen schon heute die Folgen der von der Politik gewollten Aufwertung des Stadtteils zu spüren. So sind die Mieten im Friedrichshainer Nordkiez seit 2009 um 62 % gestiegen. Seit 1. August 2017 ist die Rigaer Straße an den beiden Baustellen der CG-Gruppe und des die KW Development gesperrt. Die Gewerbetreibenden in der Umgebung klagen über massive Umsatzeinbußen. Einige Betriebe haben schon MitarbeiterInnen entlassen. Solche Probleme aber interessiert aber weder die Bezirkspolitik noch das in ihren Auftrag forschende SPI. Das sind aber die Themen, über die die Anwohner/innen auf einer Kundgebung sprechen wollen, die am 2. Dezember 2017 ab 15 Uhr vor dem Eingang der Rathaus -Passage in der Frankfurter Allee 35/37 beginnt. „Schöner leben ohne CG und Politik“ lautet das Motto.

aus: MieterEcho 30.11.2017
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/cg-im-friedrichshainer-nordkiez.html

Peter Nowak

Glyphosat-Streit: Profit gegen Gesundheit

vom 23 Oktober 2024

In einer Gesellschaft, in der der Profit das Maß aller Dinge ist, stehen eben nicht Gesundheitsfragen an erster Stelle

Ein CSU-Minister macht in Brüssel einen Alleingang und sorgt so dafür, dass Unkrautmittel Glyphosat erst einmal weiter verwendet werden kann. Nun blicken alle politischen Beobachter auf die Folgen für die neuen Sondierungsgespräche zwischen der SPD und der Union. „Glyphosat-Streit: Profit gegen Gesundheit“ weiterlesen

Erwerbslose können kämpfen

Autor Harald Rein sieht entgegen verbreiteter Vorurteile bei Armen Selbstbewusstsein

Wenn von »armen Leuten« die Rede ist, schwingt schnell ein Klang von Bedauern und Mitleid in den Worten mit. Doch wenn der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein seinem neuesten Buch den Titel »Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen« gibt, knüpft er damit an die Debatte über eine selbstbewusste politische Bewegung an. Er meint Aktivisten, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen.

In einem zentralen Kapitel setzt sich Rein kritisch mit der – auch von manchen von linken – Wissenschaftlern vertretenen Meinung auseinander, dass arme Leute nicht in der Lage wären, sich politisch zu artikulieren. Der Autor beschäftigt sich speziell mit der »Marienthal-Studie« von Anfang der 1930er Jahre, auf die sich viele dieser Intellektuellen in ihrer Argumentation berufen.

Marienthal war ein österreichisches Dorf, in dem nach der Schließung einer großen Textilfabrik ein Großteil der Bewohner erwerbslos wurde. Der Jobverlust führte laut der Studie bei einem Großteil der Bewohner zu Resignation und Apathie. Ein Ergebnis, das Rein auch nicht bestreitet. Er kritisiert allerdings, dass die Befunde unzulässig verallgemeinert worden seien.

Vor allen in Großstädten und bei jüngeren Menschen hätte Erwerbslosigkeit laut dem Sozialwissenschaftler auch zu Lebensperspektiven jenseits der Lohnarbeit geführt. Kenntnisreich beschreibt Rein etwa, wie sich Erwerbslose nach der Novemberrevolution von 1918 in eigenen Räten organisiert und von den Gewerkschaften selbstbewusst Unterstützung eingefordert hatten. Rein zeigt zeitgleich aber auch auf, wie die Spitzen der Gewerkschaften und SPD schon früh auf Distanz zu Erwerbslosenorganisationen gegangen sind, weil diese ihre Autonomie nicht aufgeben wollten.

Der Aktivist geht ebenfalls auf die Erwerbslosenpolitik der KPD und ihr nahestehender Organisationen in der Weimarer Republik ein. Er lehnt die häufig von Historikern bemühte These ab, dass die KPD die Erwerbslosen nur für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert habe. Rein zeigt an Hand von Dokumenten viel mehr auf, dass kommunistische Kommunalpolitiker sehr konkrete Maßnahmen für Erwerbslose erkämpft hatten.

Der Sozialwissenschaftler widmet sich in seinem Buch detailliert der libertären Strömung der Erwerbslosenbewegung, auf die sich die autonome Erwerbslosenbewegung der 1980er Jahre berief. Im Unterschied zu den gewerkschaftsnahen Strömungen sehen diese nicht die fehlende Erwerbsarbeit, sondern das fehlende finanzielle Einkommen als Hauptproblem.

In einem Überblick listet Rein auch die unterschiedlichen Themenfelder der jüngeren Erwerbslosenbewegung auf, die 2004 im Kampf gegen die Agenda 2010 für einige Wochen sogar noch einmal zu einer Massenbewegung angeschwollen war.

Letztlich richtet der Autor den Blick auf den aktuellen Alltagswiderstand von Erwerbslosen, der sich rund um die Jobcenter abspielt. Dieser könne kurzeitige »Hausbesuche« wie auch die Begleitung von Betroffenen umfassen. Es wäre zu hoffen, dass sich manche durch die Lektüre des Buches ermutigt fühlen, solche Schritte der Selbstermächtigung zu unterstützen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071608.erwerbslose-koennen-kaempfen.html

Peter Nowak

Harald Rein:
Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen…!
Bemerkungen über den Zusammenhang von Alltag und Protest

http://www.agspak-buecher.de/Harald-Rein-Wenn-arme-Leute-sich-nicht-mehr-fuegen
ISBN 978-3-945959-25-1 / 2017 / 184 Seiten / 14,80 Euro

Gesicht zeigen für das Recht auf Abtreibung

Befürworter eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs melden sich wieder zu Wort. Es sollte aber auch über eine Gesellschaft diskutiert werden, in der Schwangerschaftsabbrüche überflüssig werden

„Wir machen Schwangerschaftsabbrüche“, lautete in der letzten Woche die Schlagzeile auf der Titelseite der linksliberalen Taz[1]. Daneben standen die Fotos von 27 Ärztinnen und Ärzten, die sich mit ihrer Kollegin Kristina Hänel solidarisierten, die in der letzten Woche zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

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Europäisch streiken?

FahrradkurierInnen beginnen sich international gewerkschaftlich zu organisieren. Auch mit der Transnationalen Strike Plattform wird versucht, in verschiedenen europäischen Ländern die Arbeitskämpfe zu verbinden.

«Wir haben genug!», skandierten etwa 30 Menschen am 10. November vor der Berliner Zentrale des Lieferdienstes Foodora. Dort haben sich Beschäftigte in der Gewerkschaft Deliverunion zusammengeschlossen und kämpfen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Die Parole der Beschäftigten lautet «Riders united». In der vor einigen Monaten gegründeten Deliverunion sind auch FahrradkurierInnen aus verschiedenen anderen europäischen Ländern vertreten, darunter aus Italien und Grossbritannien.

Der transnationale Erfahrungsaustausch läuft grösstenteils über das Internet. Doch vom 10. bis 12. November trafen sich BasisgewerkschafterInnen aus 12 europäischen Ländern in Berlin. Die kleine Kundgebung war ein guter Auftakt. Es war die mittlerweile fünfte Konferenz der Transnationalen Strike Plattform (TNS). Nach dem ersten Treffen in Poznan gab es weitere Meetings in Paris, London und der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Zu den Grundforderungen der TNS-Plattform gehören das Recht auf Migration, der Kampf gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und der Kampf um ein europäisches Grundeinkommen und einen europäischen Mindestlohn. Ein Arbeiter der besetzten griechischen Fabrik Viome kritisierte die Forderung nach einem Grundeinkommen als neoliberales Instrument zur Stilllegung der Arbeitskämpfe. Allerdings wurden diese wie auch andere Kontroversen auf dem Treffen nicht ausdiskutiert. So gab es auch den Einwand, warum die migrantische Arbeit auf dem Treffen so in den Vordergrund gerückt wird. Es wurde betont, dass das Proletariat schon immer transnational organisiert gewesen sei. In Deutschland waren bereits vor mehr als 100 Jahren viele polnische Arbeitskräfte in der damaligen industriellen Herzkammer, dem Ruhrgebiet, beschäftigt.

Amazon und Deliverunion
Doch jenseits der inhaltlichen Debatten geht es natürlich um die Frage, welche Relevanz die Plattform in den realen Arbeitskämpfen hat. Schliesslich gab es in den letzten 20 Jahren schon einige Ansätze einer transnationalen Organisierung von Beschäftigten und Prekären. Erinnert sei an die Euromärsche gegen Erwerbslosigkeit und Prekarisierung, an die Euromayday-Bewegung, in der sich von Italien ausgehend Prekäre kurzzeitig rund um den 1. Mai unabhängig von den grossen Gewerkschaften Gehör verschafften und dann wieder von der Bildfläche verschwanden. Während der Krisenproteste der Jahre 2012 und 2013 gab es einen Diskussionszusammenhang, der sich über die Unterstützung eines europäischen Generalstreiks Gedanken machte, einen Aufruf und eine Webseite verfasste und wieder verschwand. Das TNS wird nur länger bestehen, wenn es aus den Erfahrungen dieser Kämpfe und ihrem Scheitern lernt.

Blockade geplant
In mehreren Referaten wurde auf die Kämpfe in der europäischen Logistikbranche eingegangen. Auf diesem Sektor gab es in verschiedenen europäischen Ländern Arbeitskämpfe, beispielsweise im slowenischen Koper und in Norditalien. Auch die immer wieder aufflammenden Streiks beim Internetkonzern Amazon fallen in den Bereich. Im Rahmen des TNS-Meetings stellte sich die Kampagne «Make Amazon Pay» (Lässt Amazon zahlen) vor. Ausserbetriebliche linke Gruppen wollen rund um den «Black Friday», am 24. November, die Beschäftigten im Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen unterstützen. Denn der «Black Friday» ist bei Amazon ein Schnäppchentag, an dem das Weihnachtsgeschäft eingeläutet wird. Für die Beschäftigten sind solche Termine gut geeignet, um Druck für ihre Forderungen zu machen. Die ausserbetrieblichen UnterstützerInnen wollen am 24. November ein Verteilzentrum in Berlin blockieren. Auch in Frankreich und Polen sollen an dem Tag Unterstützungsaktionen laufen.
Auf der Veranstaltung berichteten Beschäftigte aus Frankreich, Polen und Deutschland, dass sie nicht nur für mehr Lohn, sondern gegen ein System der Überwachung kämpfen. Der Arbeitskampf in der digitalen Fabrik Amazon und die Auseinandersetzungen der Deliverunion haben viele Unterschiede. Aber in beiden Fällen ist eine transnationale Vernetzung zumindest in Ansätzen gelungen.

aus: Vorwärts 24.11.2017

Europäisch streiken?


Peter Nowak

Befristete Projektarbeit


Beschäftigte des Lesben- und Schwulenverbands fordern bessere Verträge

„Stellen Sie sich vor: Jedes Jahr zu Weihnachten wissen Sie noch nicht, ob Sie im neuen Jahr Ihren Job noch haben werden“, klagt Mika Peters*. Seit fünf Jahren arbeitet sie beim Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin- Brandenburg (LSVD) – immer mit einem auf ein Jahr befriste- ten Vertrag.
„Jedes Jahr muss ich mich neu bewerben und immer wie- der entsteht die Unsicherheit, ob ich weiterbeschäftigt werde“, erklärt auch ihre Kollegin Kerstin Kronert*. Deshalb haben die etwa 20 Beschäftigten des Bildungswerks vor mehreren Monaten eine Betriebsgruppe der Basisgewerkschaft Freie ArbeiterInnenunion (FAU) gegründet. Zentrale Forderung ist die Entfristung der Arbeitsverträge. Daneben fordern sie die Anerkennung der FAU-Betriebsgruppe als Mitbestimmungsorgan und die Einrichtung einer betriebsinternen Beschwerdestelle. Für FAU-Pressesekretär Daniel Pfeiffer moderate Forderungen – trotzdem sind die Verhandlungen zwischen FAU und Bildungswerk vergangene Woche gescheitert. Selbst über die Gründe dafür ist man sich nicht einig. Mitte November habe der LSVD die zweite Runde der Tarifverhandlungen platzen lassen, indem er sich weigerte, einem Kündigungsmoratorium für die MitarbeiterInnen zuzustimmen, so Pfeiffers Version. „Die FAU hat die Gespräche abgebrochen. Daher sehen wir keinen Anlass, zu deren Forderungen oder Behauptungen Stellung zu nehmen“, erklärt hingegen LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert. Er begründet die befristeten Tarifverträge mit den Geldflüssen der Projektförderung. *Namen geändert

aus Taz-Berlin, 27.11.2017
Peter Nowak

„Make Amazon-Pay“ oder den Schnäppchentag zum Zahltag machen

Länderübergreifende Solidarisierung und Protestaktionen gegen den Konzern, der stilprägend für ein neues Produktionsmodell steht

Es gehört zur Regression im weltweit herrschenden Kapitalismus, dass große Teile der Massen nicht mehr auf die eine vernünftige Welt hinarbeiten, sondern sich über die Krümel freuen, die die herrschenden Gewalten ihnen von Zeit zu Zeit zuwerfen. Davon zeugen die überall mit großem Tamtam beworben Schnäppchendays.

Das ist die Weiterentwicklung der Wühltische, an denen sich die Menschen um die Sonderangebote balgten, auf der Höhe der technischen Entwicklung. Wenn wer noch Zweifel hatte, ob in China unter der nominalsozialistischen Nomenklatura etwa nicht längst der Kapitalismus herrsche, wird durch den Schnäppchenday made in China eines Besseren belehrt.

Natürlich sind die kapitalistischen Player wie Amazon die Pioniere bei den Schnäppchendays. Höhepunkt ist der Black Friday, bei dem Amazon weltweilt das Weihnachtsgeschäft einläutet. An einem solchen Tag, wo besonders viele Kunden bedient werden wollen, ist Amazon besonders druckempfindlich.

Das hat ein Protestbündnis gut erkannt, das den Schnäppchenday zum Zahltag machen will: Make Amazon Pay will die Amazon-Beschäftigten bei ihrem Kampf für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen unterstützen.

Es geht um mehr als Lohn

Seit 2013 kommt es in verschiedenen Amazon-Versandzentren wie Graben, Leipzig, Bad Hersfeld, Werne immer wieder zu Arbeitsniederlegungen. Die Beschäftigten forderten die Anwendung des Tarifvertrags des Einzel- und Versandhandels.

Der Amazon-Konzern hat sich bisher geweigert, über diese Forderungen zu verhandeln. In den letzten Jahren war die Vorweihnachtszeit besonders vom Arbeitskampf geprägt, weil eben der Konzern dann besonders druckempfindlich ist. Doch der Konzern ließ es sich viel kosten und verteilte Prämien, wenn vor Weihnachten nicht gestreikt wird. Das macht deutlich, dass es dem Konzern darum geht, die Gewerkschaften aus dem Betrieb rauszuhalten, und nicht um die zusätzlichen Kosten, die für das Management nur Peanuts sind.

Auch die Amazon-Kritiker betonen, dass es ihnen bei der Kampagne um mehr als einen höheren Lohn geht. So gehört zum Bündnis „Make Amazon Pay“ auch das datenkritische Bündnis Capulcu, das kürzlich im Unrast-Verlag ein Buch unter dem programmatischen Titel Widerstand gegen den technologischen Angriff herausgeben hat.

„Amazon ist stilprägend für ein neues Produktionsmodell, in dem intelligente Informationstechnologie zur effektiveren Unterwerfung menschlicher Arbeit genutzt wird“, sagte ein Capulcu-Vertreter auf einem Berliner Vorbereitungstreffen zur Aktionswoche in Berlin. Amazon binde die Nutzer nicht nur beim Online-Shopping in den Prozess permanenter Bemessung und Bewertung ein. Ein Beispiel dafür sei die Auswertung sämtlicher verfügbarer Nutzerdaten.

Die Amazon-Beschäftigten seien bereits vom Einsatz intelligenter Informationstechnologie betroffen. So gebe bei dem Konzern eine lernende Lager-Software das Tempo und die Abfolge der Arbeitsschritte vor. Diesen Aspekt betonten auch Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen deutschen Standorten, aber auch aus dem polnischen Poznań und Frankreich.

Da wird davon gesprochen, dass die Beschäftigten von Vorgesetzten angesprochen werden, wenn der Scanner signalisiert, dass sie mal keine Handgriffe machen. Selbst Zeit für den Toilettengang müsse erkämpft werden. In Polen sollen krankgeschriebene Beschäftigte sogar von Amazon-Mitarbeitern zu Hause aufgesucht werden.

Vornehmlich soll es den Teamgeist stärken, wie es vom Amazon-Management immer wieder beteuert wird. In der Realität aber fühlen sich viele Mitarbeiter nicht nur im Betrieb, sondern auch zu Hause kontrolliert.

Vorbild für grenzübergreifende Arbeitskämpfe

Der Arbeitskampf bei Amazon hat eine besondere Bedeutung über die unmittelbar Beteiligten hinaus. Zumindest in Ansätzen ist dort eine transnationale Organisierung entstanden. So gab es mehrere Treffen von Amazon-Beschäftigten aus Polen und Deutschland.

Besonders die in der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft Arbeiterinitiative organisierten Kollegen in Poznań solidarisierten sich gegen ihre ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und verhinderten durch Dienst nach Vorschrift, dass sie faktisch zu Streikbrechern werden, wenn an Standorten in Deutschland gestreikt wird.

Solche länderübergreifenden Solidarisierungen sind noch Neuland. Verdi kooperiert zudem in Polen mit der eher konservativen Gewerkschaft Solidarność, nicht aber mit der kämpferischen IP. Anfang November traf sich die Transnationale-Strike-Plattform in Berlin.

Es ist ein Versuch, Arbeitskämpfe länderübergreifend zu führen. Bei dem Treffen merkte man, dass es noch ein Suchprozess ist. Es kommt immer darauf an, was in den jeweiligen Branchen an Vorarbeit geleistet wurde. In diesem Sinne sind die Amazon-Solibündnisse Vorreiter eines solchen transnationalen Bündnisses. Dass es zu einer Kooperation der Beschäftigten kam, ist auch der Arbeit eines außergewerkschaftlichen Solidaritätsbündnisses zu verdanken.

Besonders in Leipzig hat sich seit 3 Jahren enger Kontakt mit dem Teil der Belegschaft entwickelt, der sich regelmäßig an Streiks beteiligt. Es gab mittlerweile drei bundesweite Treffen des außerbetrieblichen Amazon-Solidaritätsbündnisses. Das schuf die Grundlage für das Bündnis „Make Amazon Pay“.

Es kann auf ähnliche Unterstützungsaktionen im Einzelhandelskampf vor fast 10 Jahren zurückgreifen. 2009 blockierten außerbetriebliche Unterstützer während dieses Arbeitskampfes Filialen von Discountern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter applaudierten. Aus arbeitsrechtlichen Gründen konnten sie selbst nicht zur Blockade aufrufen.

Ob am kommenden Freitag auch vor dem Amazon-Verteilzentrum in Berlin solche Bilder zu sehen sein werden, das als Höhepunkt der Aktion „Make Amazon Pay“ ab 10 Uhr blockiert werden soll, wird sich zeigen. Die streikbereiten kampferfahrenen Teile der Belegschaft sind auf jeden Fall auf der Seite der Aktivisten.

Streiken im digitalen Konzern

Aber es gibt bei Amazon auch einen nicht geringen Teil der Belegschaft, der sich als Teil des Teams Amazon begreift und von Gewerkschaften und betrieblicher Interessenvertretung nichts wissen will. Die werden auch über die außerbetrieblichen Aktionsformen nicht begeistert sind.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in einer Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Amazon-Beschäftigten gesprochen, die die Arbeitskämpfe ablehnen. Sie sehen sich als Teil des weltweit erfolgreichen Teams Amazon und wer sich da für bessere Arbeitsbedingungen und weniger Überwachung einsetzt, gilt dann schnell als Nestbeschmutzer, der einen erfolgreichen Weltkonzern ans Bein pinkeln will.

Eine solche Ideologie ist mit dem digitalen Kapitalismus kompatibel, wo neue Managermethoden propagiert werden, um den deutschen Standort im internationalen Konkurrenzkapitalismus voranzubringen. Der FDP-Politiker und langjährige Konzernchef Thomas Sattelberger gehört zu den Exponenten einer solchen neuen Managementstrategie. Sein Hauptziel ist es, die Gewerkschaften möglichst aus den Betrieb zu halten und den Beschäftigten das Gefühl zu geben, sie sind ein Team und können stolz sein, in einem Weltklasseteam mitzuarbeiten.

Wer wird dann da von Löhnen reden. In dieser Situation müssen auch Gewerkschaften und Unterstützer von Arbeitskämpfen neue Wege gehen und experimentieren. Die Kampagne „Make Amazon Pay“ kann dazu einen Beitrag leisten. Die zahlreichen Veranstaltungen während der Aktionstage unter Anderem vom Cinema Klassenkampf gehören genauso dazu wie die Blockade des Verteilzentrums am 24.11. in Berlin.

Kurz vor dem Beginn der Aktionstage wurde die Kampagnenseite von „Make Amazon Pay“ gehackt. Das zeigt auch, dass der Klassenkampf im Internet angekommen ist. Der wird ja bekanntlich auch in der Realwelt immer von zwei Seiten geführt und oft war der Klassenkampf von oben viel stärker als der der Lohnabhängigen.

https://www.heise.de/tp/features/Make-Amazon-Pay-oder-den-Schnaeppchentag-zum-Zahltag-machen-3894364.html

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/!5459289/
[2] https://www.amazon.de/Prime-Day/b?ie=UTF8&node=10157707031
[3] https://www.amazon.de/Black-Friday/b/ref=s9_acss_bw_cg_PD17LO03_md3_w?ie=UTF8&node=7361369031&pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=merchandised-search-3&pf_rd_r=TSQ2AJ2BEH1HX1K96SQF&pf_rd_t=101&pf_rd_p=16a5659e-97b3-4098-87f9-ab149cfe1c62&pf_rd_i=10157707031
[4] https://makeamazonpay.org
[5] https://capulcu.blackblogs.org
[6] https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/disrupt-detail
[7] http://www.labournet.de/category/internationales/polen/arbeitsbedingungen-polen/
[8] https://amworkers.wordpress.com
[9] https://www.transnational-strike.info
[10] http://streiksoli.blogsport.de
[11] https://dichtmachen.wordpress.com
[12] https://www.rosalux.de/profil/es_detail/AR61ZOKNY2/sabrina-apicella/
[13] https://www.rosalux.de/publikation/id/8801/
[14] http://politik.thomas-sattelberger.de
[15] http://de.labournet.tv/cinema-klassenkampf
[16] http://www.labournet.de/politik/gw/zielgruppen/prekaere/kampagne-make-amazon-pay-block-blackfriday-24-11-17-aktionswoche-zur-unterstuetzung-der-streikenden-bei-amazon/

Neue Mietenproteste

Gegen Mieterhöhungen und die Verdrängung von zwei Jugendzentren

Am kommenden Samstag gibt es in Berlin gleich mehrere Proteste gegen Verdrängung. Unter dem Motto „Mietobergrenze ausgetrickst?! – Neue Sozialmietenbombe tickt“ laden MieterInnen vom Maybachufer 40– 42 und der Manitiusstraße 17– 19 in Neukölln zu einem Umzug der Verdrängten ein. Er beginnt vor den betroffenen Häusern am Maybachufer. Die BewohnerInnen der knapp 100 Sozialwohnungen sollen ab dem 1. Dezember bis zu 30 Prozent mehr Miete zah- len und sprechen von Entmietung. „Unsere unsanierten und asbestbelasteten Wohnungen gehören zum Bestand des Sozialen Wohnungsbaus“, sagt eine betroffene Mieterin. „Berlin hat unseren Eigentümern jede er denkliche Förderung gewährt. Jetzt werden unsere Wohnungen in den freien Wohnungsmarkt entlassen.“ Unterstützt wird die Protestaktion vom Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen, das bereits in den Achtzigerjahren mit satirischen Aktionen MieterInnen unterstützt hat. Darüber wird der Mitbegründer des Büros, Kurt Jotter, am Samstagabend im K.O.B. in der Potsdamer Straße unter dem Motto „Kann denn Lachen Sünde sein?“ berichten. Dabei wird er auch Videos mit den Theatereinlagen, Performance und Happening zeigen, die damals Teil der Protestkultur waren. Nach der Veranstaltung wollen sich die TeilnehmerInnen der „Frei(T)räume-Demonstration“ anschließen, die an den Standorten der selbstverwalteten Jugendzentren Drugstore und Potse an der Potsdamer Straße endet. Sie sollen zum Jahresende ihre Räume verlieren. Die Demo beginnt um 18 Uhr am ehemaligen Post- Tower an der Möckernbrücke. Dort will die CG-Gruppe Lofts für Wohlhabende bauen, was Stadtteilinitiativen kritisieren.

aus Taz vom 17.11.2017
Peter Nowak