„Make Amazon-Pay“ oder den Schnäppchentag zum Zahltag machen

Länderübergreifende Solidarisierung und Protestaktionen gegen den Konzern, der stilprägend für ein neues Produktionsmodell steht

Es gehört zur Regression im weltweit herrschenden Kapitalismus, dass große Teile der Massen nicht mehr auf die eine vernünftige Welt hinarbeiten, sondern sich über die Krümel freuen, die die herrschenden Gewalten ihnen von Zeit zu Zeit zuwerfen. Davon zeugen die überall mit großem Tamtam beworben Schnäppchendays.

Das ist die Weiterentwicklung der Wühltische, an denen sich die Menschen um die Sonderangebote balgten, auf der Höhe der technischen Entwicklung. Wenn wer noch Zweifel hatte, ob in China unter der nominalsozialistischen Nomenklatura etwa nicht längst der Kapitalismus herrsche, wird durch den Schnäppchenday made in China eines Besseren belehrt.

Natürlich sind die kapitalistischen Player wie Amazon die Pioniere bei den Schnäppchendays. Höhepunkt ist der Black Friday, bei dem Amazon weltweilt das Weihnachtsgeschäft einläutet. An einem solchen Tag, wo besonders viele Kunden bedient werden wollen, ist Amazon besonders druckempfindlich.

Das hat ein Protestbündnis gut erkannt, das den Schnäppchenday zum Zahltag machen will: Make Amazon Pay will die Amazon-Beschäftigten bei ihrem Kampf für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen unterstützen.

Es geht um mehr als Lohn

Seit 2013 kommt es in verschiedenen Amazon-Versandzentren wie Graben, Leipzig, Bad Hersfeld, Werne immer wieder zu Arbeitsniederlegungen. Die Beschäftigten forderten die Anwendung des Tarifvertrags des Einzel- und Versandhandels.

Der Amazon-Konzern hat sich bisher geweigert, über diese Forderungen zu verhandeln. In den letzten Jahren war die Vorweihnachtszeit besonders vom Arbeitskampf geprägt, weil eben der Konzern dann besonders druckempfindlich ist. Doch der Konzern ließ es sich viel kosten und verteilte Prämien, wenn vor Weihnachten nicht gestreikt wird. Das macht deutlich, dass es dem Konzern darum geht, die Gewerkschaften aus dem Betrieb rauszuhalten, und nicht um die zusätzlichen Kosten, die für das Management nur Peanuts sind.

Auch die Amazon-Kritiker betonen, dass es ihnen bei der Kampagne um mehr als einen höheren Lohn geht. So gehört zum Bündnis „Make Amazon Pay“ auch das datenkritische Bündnis Capulcu, das kürzlich im Unrast-Verlag ein Buch unter dem programmatischen Titel Widerstand gegen den technologischen Angriff herausgeben hat.

„Amazon ist stilprägend für ein neues Produktionsmodell, in dem intelligente Informationstechnologie zur effektiveren Unterwerfung menschlicher Arbeit genutzt wird“, sagte ein Capulcu-Vertreter auf einem Berliner Vorbereitungstreffen zur Aktionswoche in Berlin. Amazon binde die Nutzer nicht nur beim Online-Shopping in den Prozess permanenter Bemessung und Bewertung ein. Ein Beispiel dafür sei die Auswertung sämtlicher verfügbarer Nutzerdaten.

Die Amazon-Beschäftigten seien bereits vom Einsatz intelligenter Informationstechnologie betroffen. So gebe bei dem Konzern eine lernende Lager-Software das Tempo und die Abfolge der Arbeitsschritte vor. Diesen Aspekt betonten auch Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen deutschen Standorten, aber auch aus dem polnischen Poznań und Frankreich.

Da wird davon gesprochen, dass die Beschäftigten von Vorgesetzten angesprochen werden, wenn der Scanner signalisiert, dass sie mal keine Handgriffe machen. Selbst Zeit für den Toilettengang müsse erkämpft werden. In Polen sollen krankgeschriebene Beschäftigte sogar von Amazon-Mitarbeitern zu Hause aufgesucht werden.

Vornehmlich soll es den Teamgeist stärken, wie es vom Amazon-Management immer wieder beteuert wird. In der Realität aber fühlen sich viele Mitarbeiter nicht nur im Betrieb, sondern auch zu Hause kontrolliert.

Vorbild für grenzübergreifende Arbeitskämpfe

Der Arbeitskampf bei Amazon hat eine besondere Bedeutung über die unmittelbar Beteiligten hinaus. Zumindest in Ansätzen ist dort eine transnationale Organisierung entstanden. So gab es mehrere Treffen von Amazon-Beschäftigten aus Polen und Deutschland.

Besonders die in der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft Arbeiterinitiative organisierten Kollegen in Poznań solidarisierten sich gegen ihre ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und verhinderten durch Dienst nach Vorschrift, dass sie faktisch zu Streikbrechern werden, wenn an Standorten in Deutschland gestreikt wird.

Solche länderübergreifenden Solidarisierungen sind noch Neuland. Verdi kooperiert zudem in Polen mit der eher konservativen Gewerkschaft Solidarność, nicht aber mit der kämpferischen IP. Anfang November traf sich die Transnationale-Strike-Plattform in Berlin.

Es ist ein Versuch, Arbeitskämpfe länderübergreifend zu führen. Bei dem Treffen merkte man, dass es noch ein Suchprozess ist. Es kommt immer darauf an, was in den jeweiligen Branchen an Vorarbeit geleistet wurde. In diesem Sinne sind die Amazon-Solibündnisse Vorreiter eines solchen transnationalen Bündnisses. Dass es zu einer Kooperation der Beschäftigten kam, ist auch der Arbeit eines außergewerkschaftlichen Solidaritätsbündnisses zu verdanken.

Besonders in Leipzig hat sich seit 3 Jahren enger Kontakt mit dem Teil der Belegschaft entwickelt, der sich regelmäßig an Streiks beteiligt. Es gab mittlerweile drei bundesweite Treffen des außerbetrieblichen Amazon-Solidaritätsbündnisses. Das schuf die Grundlage für das Bündnis „Make Amazon Pay“.

Es kann auf ähnliche Unterstützungsaktionen im Einzelhandelskampf vor fast 10 Jahren zurückgreifen. 2009 blockierten außerbetriebliche Unterstützer während dieses Arbeitskampfes Filialen von Discountern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter applaudierten. Aus arbeitsrechtlichen Gründen konnten sie selbst nicht zur Blockade aufrufen.

Ob am kommenden Freitag auch vor dem Amazon-Verteilzentrum in Berlin solche Bilder zu sehen sein werden, das als Höhepunkt der Aktion „Make Amazon Pay“ ab 10 Uhr blockiert werden soll, wird sich zeigen. Die streikbereiten kampferfahrenen Teile der Belegschaft sind auf jeden Fall auf der Seite der Aktivisten.

Streiken im digitalen Konzern

Aber es gibt bei Amazon auch einen nicht geringen Teil der Belegschaft, der sich als Teil des Teams Amazon begreift und von Gewerkschaften und betrieblicher Interessenvertretung nichts wissen will. Die werden auch über die außerbetrieblichen Aktionsformen nicht begeistert sind.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in einer Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Amazon-Beschäftigten gesprochen, die die Arbeitskämpfe ablehnen. Sie sehen sich als Teil des weltweit erfolgreichen Teams Amazon und wer sich da für bessere Arbeitsbedingungen und weniger Überwachung einsetzt, gilt dann schnell als Nestbeschmutzer, der einen erfolgreichen Weltkonzern ans Bein pinkeln will.

Eine solche Ideologie ist mit dem digitalen Kapitalismus kompatibel, wo neue Managermethoden propagiert werden, um den deutschen Standort im internationalen Konkurrenzkapitalismus voranzubringen. Der FDP-Politiker und langjährige Konzernchef Thomas Sattelberger gehört zu den Exponenten einer solchen neuen Managementstrategie. Sein Hauptziel ist es, die Gewerkschaften möglichst aus den Betrieb zu halten und den Beschäftigten das Gefühl zu geben, sie sind ein Team und können stolz sein, in einem Weltklasseteam mitzuarbeiten.

Wer wird dann da von Löhnen reden. In dieser Situation müssen auch Gewerkschaften und Unterstützer von Arbeitskämpfen neue Wege gehen und experimentieren. Die Kampagne „Make Amazon Pay“ kann dazu einen Beitrag leisten. Die zahlreichen Veranstaltungen während der Aktionstage unter Anderem vom Cinema Klassenkampf gehören genauso dazu wie die Blockade des Verteilzentrums am 24.11. in Berlin.

Kurz vor dem Beginn der Aktionstage wurde die Kampagnenseite von „Make Amazon Pay“ gehackt. Das zeigt auch, dass der Klassenkampf im Internet angekommen ist. Der wird ja bekanntlich auch in der Realwelt immer von zwei Seiten geführt und oft war der Klassenkampf von oben viel stärker als der der Lohnabhängigen.

https://www.heise.de/tp/features/Make-Amazon-Pay-oder-den-Schnaeppchentag-zum-Zahltag-machen-3894364.html

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/!5459289/
[2] https://www.amazon.de/Prime-Day/b?ie=UTF8&node=10157707031
[3] https://www.amazon.de/Black-Friday/b/ref=s9_acss_bw_cg_PD17LO03_md3_w?ie=UTF8&node=7361369031&pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=merchandised-search-3&pf_rd_r=TSQ2AJ2BEH1HX1K96SQF&pf_rd_t=101&pf_rd_p=16a5659e-97b3-4098-87f9-ab149cfe1c62&pf_rd_i=10157707031
[4] https://makeamazonpay.org
[5] https://capulcu.blackblogs.org
[6] https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/disrupt-detail
[7] http://www.labournet.de/category/internationales/polen/arbeitsbedingungen-polen/
[8] https://amworkers.wordpress.com
[9] https://www.transnational-strike.info
[10] http://streiksoli.blogsport.de
[11] https://dichtmachen.wordpress.com
[12] https://www.rosalux.de/profil/es_detail/AR61ZOKNY2/sabrina-apicella/
[13] https://www.rosalux.de/publikation/id/8801/
[14] http://politik.thomas-sattelberger.de
[15] http://de.labournet.tv/cinema-klassenkampf
[16] http://www.labournet.de/politik/gw/zielgruppen/prekaere/kampagne-make-amazon-pay-block-blackfriday-24-11-17-aktionswoche-zur-unterstuetzung-der-streikenden-bei-amazon/