Dann waren es schon 129

Wie mit der Legende von den 3 isolierten NSU-Mitgliedern der skandalöse Umgang mit den Rechtsterroristen fortgesetzt wird

Seit Monaten wird über die „Pannen“ der Behörden im Umgang mit der rechtsterroristischen NSU debattiert. War es nur eine Kette von Fehlern oder hatte das ganze System Methode, lautete die Frage. Während alle so lebhaft diskutierten, wurde uns womöglich schon die Fortsetzung des NSU-Skandals geboten. Es geht um die Legende von der NSU als abgeschottetes Trio, ohne jegliches Umfeld. Daran konnte daran eigentlich niemand so recht glauben. Zumal sich schon längst herausgestellt hat, dass die Rechtsterroristen gar nicht so konspirativ lebten.

Nun werden die Vermutungen auch offiziell bestätigt, die die Bild am Sonntag im Stil einer Enthüllungsstory verbreitete. 129 Namen aus dem NSU-Umfeld stünden auf einer geheimen Liste der Sicherheitsbehörden, die dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags kürzlich zuging, wusste die Bams. Die Meldungen wurden mittlerweile offiziell bestätigt (vgl. „Eine erschreckend hohe Zahl“).

Die Zahl der Unterstützer war in den letzten Wochen immer weiter nach oben gerechnet worden. War zunächst von knapp 30, dann von 100 Personen, die die Rechtsterroristen unterstützten die Rede, sind es nun 129. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, der SPD-Politiker Sebastian Edathy erklärt, die Zahl könne noch steigen.

Auch V-Leute im Unterstützerkreis?

Edathy wie auch der Grünen-Politiker Christian Ströbele wollen noch wissen, ob auch V-Leute zum NSU-Umfeld gehören. Die NSU-Gruppe sei kein Trio einsamer Wölfe gewesen, sondern habe Unterstützer bei der Wohnungs- und Waffensuche gehabt, fasst Ströbele den aktuellen Erkenntnisstand zusammen.

Für ihn wird „das Versagen der Behörden“ immer dramatischer. „Wir konnten uns das kaum vorstellen am Anfang, aber wir fallen da von einem Schrecken in den anderen“, so Ströbele, der sich nicht vorstellen kann oder zumindest nicht auszusprechen wagt, dass es sich gar nicht um eine Kette von Pannen handelt. Dass es vielleicht auch in Deutschland einen tiefen Staat geben könnte, darf hierzulande nicht mal in Frageform formuliert werden, ohne gleich gemaßregelt zu werden.

Diese Erfahrung musste die SPD-Integrationsministerin von Baden Württemberg Bilkay Öney machen, die mit Rücktrittsforderungen der Opposition konfrontiert war, als sie nur die Vermutung aussprach, die NSU-Affäre könnte auch der tiefe Staat in Aktion gewesen sein.

Kein Vergleich mit der Sympathisantenhetze der 70er Jahre

Bemerkenswert ist auch, wie genau konservative Politiker in der Diskussion um das NSU-Umfeld zu differenzieren in der Lage sind. So wurde von verschiedenen Unionspolitikern betont, dass nicht alle aus dem NSU-Umfeld zu den Unterstützern des Terrortrios gehört haben müssen. So viel Differenzierung hätte man sich aus diesen Kreisen auch in den 1970er Jahren gewünscht, als mit der Sympathisantenhetze jeder kapitalismuskritische Gedanke in die Nähe der Rote Armee Fraktion gerückt wurde. Selbst ein Linksliberaler wie der Schriftsteller Heinrich Böll hat das zu spüren bekommen. Sollte man zugunsten der Konservativen annehmen, dass sie sich die Kritik an der unreflektierten Sympathisantenjagd zu Herzen genommen haben? Oder rührt die Differenzierung schlicht daher, dass es sich heute eben um einen rechten Untergrund handelt?

Auch der Umgang der Justiz gegenüber Beate Zschäpe unterscheidet sich vom Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedern linker Untergrundgruppen in den 1970er und 1980er Jahren beträchtlich. Damals wäre es undenkbar gewesen, dass Gudrun Ensslin oder Ulrike Meinhof die Möglichkeit bekommen hätten, ihre kranken Angehörigen für einige Stunden zu besuchen. Beate Zschäpe aber bekam die Gelegenheit, sich von ihrer schwerkranken Großmutter zu verabschieden. Nun sollte man nicht reflexhaft fordern, der Staat sollte gegen Rechts genau so repressiv vorgehen. wie vor 30 Jahren gegen links.

Aber der Erkenntnis sollte man sich nicht verschließen, dass der staatliche Umgang mit der NSU von deren ersten Mord bis heute zeigt, dass sehr unterschiedlich reagiert wird, wenn die Gewalt von rechts und nicht von links kommt und die Opfer Migranten und nicht deutsche Wirtschaftsbosse sind. Dass fing mit der konsequenten Ausblendung jeglicher Ermittlungen ins rechte Milieu an und setze sich mit der Stilisierung der Opfer zu Tätern fort. In den 1970er Jahren reichte es aus, ein Gedicht im Schulunterricht zu behandeln, dass sich kritisch mit dem Wirken des von der RAF erschossenen Bankmanagers Jürgen Ponto beschäftigte , um als Lehrerin entlassen zu werden. Doch gegen keinen der Beamten, die die Familien der NSU-Opfer zu Tätern machten, wurde bisher auch nur ermittelt. Die strukturellen Ursachen für diese offensichtliche Ungleichbehandlung dürfen bei einer für den 13. April geplanten bundesweiten Demonstration zu Beginn des NSU-Prozesses in München im Mittelpunkt stehen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154001
Peter Nowak

Aufstehen gegen Rassismus

Zivilgesellschaftliche Organisationen rufen zur Aktion »5 vor 12« auf
Morgen ist der Internationale Tag gegen Rassismus. Mit dezentralen Aktionen werden unter anderem institutioneller Rassismus, die deutsche Asylpolitik und die NSU-Morde thematisiert.

Der 21. März wurde von den vereinten Nationen zum »Internationalen Tag für die Beseitigung rassistischer Diskriminierungen« erklärt. Wie bereits im letzten Jahr rufen auch 2013 zahlreiche Organisationen unter dem Motto »5 vor 12« zu dezentralen Aktionen auf. Eine davon ist der Türkische Bund Berlin (TBB). Der Aktionstag solle dazu beitragen, dass Rassismus und Rechtspopulismus auch in etablierten Parteien bekämpft wird. Dabei stehen symbolische aber medienwirksame Aktionen im Vordergrund. So wollen Aktivisten am Donnerstag den Rassismus mit Besen aus Behörden und Verwaltungen fegen. »Wir wollen damit darauf hinweisen, welches Ausmaß Rassismus und Diskriminierung in Deutschland auch heute noch in solchen Institutionen haben«, erklärt TBB-Vorstandssprecher Hilmi Kaya Turan gegenüber »nd«. Wie im vergangenen Jahr machen auch 2013 mehrere Berliner Bezirksämter wieder bei der Aktion mit. Das Interesse sei in diesem Jahr sogar noch gewachsen betont Turan.
Neben verschiedenen Institutionen und Parteien wie Grüne und Linkspartei beteiligen sich verschiedene antirassistische Gruppierungen mit eigenen Aktionen an dem Tag. Sie stellen die deutsche Flüchtlingspolitik in den Mittelpunkt ihrer Aktionen.
So will die Antirassistische Initiative Berlin (ARI) am Donnerstag am Hackeschen Markt in Berlin ein Transparent mit den Namen von Flüchtlingen anbringen, die seit 1993 in Deutschland umgekommen sind. Diese Gedenkkundgebung an die Opfer der deutschen Asylpolitik ist der Auftakt der Kampagne »Fight Rassismus Now«. »Damit soll eine Plattform zur Vernetzung antirassistischer Gruppen gegen die rassistische Kontinuität geschafft werden. Es mobilisiert für einen bundesweiten Aktionstag Mitte Mai und den 25. Mai zu einer bundesweiten Demonstration nach Berlin«, erklärt eine Sprecherin der ARI. Die antirassistische Kampagne soll bis zum Bundestagswahlkampf fortgesetzt werden.

Wie im letzten Jahr spielt auch 2013 die Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds eine zentrale Rolle. Hilmi Kaya Turan erklärt, dass der Schock und die Wut über die »Kette von sogenannten Pannen« in diesem Jahr sogar bei vielen der an dem Aktionstag beteiligten Gruppen noch gewachsen sei. »Es geht doch nicht, dass Menschen auf offener Straße erschossen werden«, sagte der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde Riza Baran. Wenn der pensionierte Lehrer, der seit fast 50 Jahren in Deutschland lebt, sagt, »wir sind doch längst zu einer Gesellschaft zusammengewachsen«, dann klingt es so, als müsse er sich nach den Ereignissen der letzten Monate im Zusammenhang mit der NSU selber Mut zu sprechen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/816380.aufstehen-gegen-rassismus.html
Peter Nowak

NPD-Verbot wird Wahlkampfthema


Die Begründungen für die Nichtbeteiligung der Bundesregierung am NPD-Verbot können als Verharmlosung der Rechten gewertet werden

Eigentlich war die neonazistische NPD auf den besten Weg sich selber abzuschaffen. Sie taumelte von einer Wahlniederlage in die nächste, aus der vollmundig gepriesenen Fusion mit der Deutschen Volksunion ist nur neuer Streit entstanden. Mit der Bewegung Pro Deutschland und der Kleinstpartei „Die Rechte“ ist ihr zudem weitere Konkurrenz im eigenen Milieu entstanden. Innerparteilich wartet der Freundeskreis des Ex-Vorsitzenden Voigt schon auf die Gelegenheit, um gegen die aktuelle Führung um den NPD-Politiker Holger Apfel zu putschen. Die Partei bräuchte nur bei der nächsten Landtagswahl in Sachsen aus dem Parlament zu fliegen und wäre wohl endgültig irrelevant.

Doch ausgerechnet die endlosen Diskussionen um das NPD-Verbotsverfahren könnte sie noch vor dem Untergang bewahren. Höhepunkt ist der Streit zwischen den verschiedenen Staatsapparaten, der nun durch das Veto der FDP gegen eine Beteiligung der Bundesregierung deutlich wird. Auch der Bundestag wird nun keinen Verbotsantrag stellen. Plötzlich wird der Kampf gegen Rechts zum innenpolitischen Thema.

SPD und Grüne werden sich die Chance nicht entgehen lassen, sich als die besseren Kämpfer gegen die rechte Gefahr zu inszenieren. Denn die FDP konnte sich in der Frage nur deshalb durchsetzen, weil die Union hoffnungslos zerstritten ist. Das zeigte sich schon wenige Stunden, nachdem die neue Marschrichtung der Bundesregierung bekannt wurde. Der CSU-Innenpolitiker Uhl konnte sich mit seiner skeptischen Haltung gegen ein NPD-Verbot, die er schon immer äußerte, auch gegenüber dem CSU-Vorsitzenden Seehofer bestätigt sehen, der vor allem aus realpolitischen Gründen die Beteiligung der Bundesregierung an einem NPD-Verbot befürwortete.

Bundesinnenminister Friedrich und Bundeskanzlerin Merkel, die sich zu dieser Frage immer bedeckt gehalten haben, müssen die neue Linie jetzt politisch vertreten. Der Kreis der Kritiker wächst. Dazu gehören zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen. Auch der Vorsitzende der Zentralrat der Juden, Dieter Graumann, der sich seit Langem für ein energisches Vorgehen gegen die NPD einsetzt, kritisiert den Rückzieher der Bundesregierung.

Ist Faschismus nur eine Dummheit, die man nicht verbieten kann?

Sollte der Verdacht entstehen, dass der Rückzieher der Bundesregierung eben nicht nur die vorgegebenen verfassungsrechtlichen Gründe hat, sondern eine Verharmlosung rechter Strömungen dahinter steckt und vielleicht sogar ein Liebäugeln mit rechten Wählern. hätte sie wirklich ein Problem. Tatsächlich gibt es diskussionswürdige verfassungsrechtliche Argumente gegen ein NPD-Verbot, wie sie teilweise im Umfeld von Politikern der Grünen geäußert wurden. Doch die Statements von den Gegnern des NPD-Verbots in der Bundesregierung gehen in eine ganz andere Richtung.

Wenn der FDP-Vorsitzende Rösler das NPD-Verbot mit dem Spruch begründet, dass man Dummheit nicht verbieten kann, dann wird eine offen rechte Partei tatsächlich verharmlost. Noch wesentlich fataler ist die Erklärung des CSU-Rechtsaußen Uhl, der sich gegen ein NPD-Verbot mit der Begründung ausspricht, „dass es unverhältnismäßig ist, eine Partei zu verbieten, die 99 Prozent der Wähler verachten und von der keine Gefahr für die Demokratie ausgeht“.

Damit maßt er sich genau das Urteil an, das das Gericht eigentlich prüfen sollte. Die NPD kann sich zudem freuen, dass ihr nun von einem führenden Politiker einer Regierungspartei bescheinigt wird, was ihr das Bundesverfassungsgericht verweigert hat. Zudem ist die Erklärung auch eine Provokation für viele zivilgesellschaftlichen Gruppen, die in Initiativen gegen Rechts arbeiten und dort durchaus unterschiedliche Meinungen zu einem staatlichen NPD-Verbot haben.

Denn damit wird unterschlagen, was genügend Studien nachweisen: Dass ein relevanter Teil der Bevölkerung rechte Ideologie vertritt und dass die momentane Erfolglosigkeit der NPD eher mit deren Erscheinungsbild und deren scheinbarem Loserimage, nicht aber mit einer grundsätzlichen Ablehnung von deren Ideologie zu tun hat.

Erklärungen von Uhl und Rössler, die der NPD eine Unbedenklichkeit ausstellen, sind auch eine Provokation für viele migrantische Organisationen, die im Zuge der Aufdeckung der NSU daran erinnern, dass sie jahrelang als Täter stigmatisiert wurden. Wenn man sich das mehr als ein Jahrzehnt dauernde Gezerre um das NPD-Verbot anguckt, könnte man sich fragen, ob es im Staatsapparat nicht Kräfte gibt, die eine legale NPD an der langen Leine, der aber immer wieder auch ihre Grenzen gezeigt werden, durchaus erhalten wollen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153953
Peter Nowak

„Würde der ungarischen Nation“ oder „europäische Werte“

Straft die EU die ungarische Regierung ab?

Der Ton zwischen der EU und der rechtskonservativen ungarischen Regierung verschärft sich. Die EU-Kommissarin für Justiz, Viviane Reding, hat dem Land jetzt sogar mit dem partiellen Entzug des Stimmrechts und Kürzungen bei EU-Hilfen gedroht. Anlass sind dieses Mal die Verfassungsänderungen, die das von der rechtskonservativen Fidesz dominierte Parlament beschlossen hat und der ungarische Präsident unterschreiben will.

Es geht um verschiedene Paragraphen, die in das gesellschaftliche Gefüge eingreifen. So dürfen die Verfassungsrichter beschlossene Gesetze künftig nur noch auf formelle Fehler überprüfen, deren konkreten Inhalt aber nicht mehr bewerten. Überdies soll die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts nur noch auf Grundlage der 2011 von Fidesz verabschiedeten neuen Verfassung erfolgen, die Berufung auf frühere Urteile des Verfassungsgerichts soll so ausgeschlossen sein. Schließlich soll ein von der Regierung ernannter „Präsident der Nationalen Gerichtskammer“ das Recht erhalten, bestimmte Streitfälle an ausgewählte Gerichte zu überweisen.

Würde der ungarischen Nation steht über Meinungsfreiheit

Zu weiteren Kernpunkten der Verfassungsänderung gehört das Verbot von Wahlwerbung in privaten Medien, Obdachlose soll untersagt werden, sich auf „öffentlichen Flächen“ aufzuhalten dürfen. Zudem soll die Meinungsfreiheit künftig da ihre Grenzen haben, wo die „Würde der ungarischen Nation“ verletzt wird. Mit diesem Gummibegriff kann jede den Rechten missliebige Meinung verfolgt werden.

Verständlich also, dass sich in den letzten Wochen liberale und linke Gruppen gegen die Verfassungsänderungen mit Demonstrationen und Blockaden vor Parteibüros der Fidesz wehrten. Dass der Generalsekretär der Partei danach die Bildung einer eigenen Parteimiliz in die Diskussion brachte, macht noch einmal deutlich, was die Regierungspartei von Demokratie hält. Daher ist eine Kritik an dem Rechtskurs in Ungarn auch über Landesgrenzen hinweg erfreulich.

Wer sich über die sozialen und ökonomischen Hintergründe der autoritären Entwicklung in Ungarn informieren will, kann seit einigen Wochen auf ein informatives Buch mit dem Titel Mit Pfeil, Kreuz und Krone zurückgreifen, das von dem Soziologen Holger Marcks, dem Journalisten Andreas Koob und der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky vor wenigen Wochen herausgegeben wurde. Bei einem europäischen Widerstand gegen das autoritäre Regime in Budapest könnte an der Mobilisierung gegen die Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ vor mehr als 10 Jahren in Österreich angeknüpft werden.

EU als autoritäre Bürokratie

Doch ein solcher länderübergreifender zivilgesellschaftlicher Widerstand wird konterkariert durch Versuche der EU-Gremien, sich als letzte Instanz in Sachen europäische Werte aufzuspielen. Wenn die Justizkommissarin Reding darauf verweist, dass die EU als Hüterin der Verträge nicht zulassen wird, dass diese mit Füßen getreten werden, agiert sie selber wie eine autoritäre Behörde, die sich in Belange einer Regierung einmischt, die von einer großen Mehrheit der Bevölkerung gewählt worden ist – anders als die Justizkomissarin Reding, die bekanntlich wie das gesamte EU-Spitzenpersonal ein Produkt der Bürokratenschicht ist und zudem kaum bekannt.

Und sind die europäischen Werte, die jetzt von Reding gegen die ungarische Regierung herangezogen werden, nicht ein genau solcher Gummibegriff, wie die Würde der ungarischen Nation, mit der Fidesz ihre Politik flankiert? Schließlich haben diese EU-Werte nicht im Wege gestanden, als die EU-Gremien in Griechenland und Italien demokratische Grundsätze ignorierten, um ein ihnen gemäßes Wirtschaftsmodell durchzusetzen.

Man braucht nur an die Stunden und Tage zurückzudenken, als der damalige sozialdemokratische griechische Ministerpräsident Papandreous das von der EU diktierte Sparprogramm der Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen wollte, um erkennen, dass die europäischen Werte auch nur eine Variante autoritärer Politik sind. Sie haben die Herausbildung eines Machtblocks EU zum Ziel, der neben den USA und asiatischen Blöcken ökonomisch und irgendwann auch militärisch agieren kann. Der ungarische Rechtsblock hingegen will mit seiner autoritären Politik einen eigenen kleinen Machtblock herausbilden und beruft sich dabei wie alle Nationalismen auf eigene Geschichtsmythen.

Damit geriet die ungarische Regierung nicht zum ersten Mal in Konflikt mit den EU-Institutionen. Die kleine zivilgesellschaftliche Bewegung in Ungarn steht sicher in Versuchung, angesichts ihrer Marginalität im Inland die Berufung auf die europäischen Werte als zumindest kleineres Übel hinzunehmen. Doch im Grunde ist es ein Fehler, ein autoritäres Konzept gegen das andere zu stellen.

Wenn nun auch noch im deutschen Bundestag in einer aktuellen Stunde Politiker der verschiedenen Parteien ihre Besorgnis über die Entwicklung in Ungarn ausdrücken und die Oppositionsparteien die Regierung mahnen, die „europäischen Werte“ in Budapest deutlicher zum Ausdruck zu bringen, wird die Heuchelei nur fortgesetzt. Die Romafamilien aus Ungarn, die in Deutschland leben wollen, werden deshalb von Politik und Gesellschaft kein Deut besser behandelt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153937
Peter Nowak

Eine halbe Million


Belzec – das vergessene Vernichtungslager

Auschwitz, Treblinka, Sobibor, die Namen dieser deutschen Vernichtungslager im von der Wehrmacht besetzten Polen sind in einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Das 40 Kilometer südlich von Zamoscz errichtete Vernichtungslager Belzec hingegen war lange Zeit weitgehend vergessen. Dabei sind dort zwischen Februar und Dezember bis zu einer halben Million Juden sowie Sinti undm Roma ermordet worden. Danach wurde das Lager aufgelöst und die Täter pflanzten Pflanzen und Gras über der Todesstätte. Jetzt hat Berliner Metropol-Verlag die erste deutschsprachige Untersuchung zu Belzec herausgegeben. Autor ist der polnische Historiker Robert Kuwalek, der Mitarbeiter des Staatlichen Museums Majdanek in Lublin ist und von 2004 bis 2009 die Gedenkstätte Belzec leitete.
Kuwalek versteht es in seinem Buch detaillierte Informationen so darzustellen, dass sie auch für historische Laien gut nachvollziehbar sind. In den ersten beiden Kapiteln fasst der aktuellen Forschungsstand zu den Entscheidungsprozessen unter den NS-Eliten zusammen, die zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung führte. Dabei weist er nach, dass die als T4-Aktion bekannten Morde an als Geisteskrank erklärten Menschen der Probelauf für die Shoah war.
Anders als die anderen Vernichtungslager lag Belzec nicht abseits im Wald sondern an einer zentralen Bahnlinie. Daher widmete sich Kuwalek ausführlich der Frage, was darüber bekannt war. Die Bewohner der Umgebung waren über die Massenmorde informiert. Dafür sorgte schon der süßliche Geruch über dem Areal. Kuwalek zitiert auch aus Berichten von Zugpassagieren, die damals aufgefordert wurden, die Fenster in ihren Abteilen zu schließen. Es gab allerdings vor allem unter den NS-Chargen auch einen Holocaust-Tourismus. Sie berichten darüber auch ihren Familien. Nach 1945 wollten natürlich alle nichts gewusst haben. Auch bei den aus ganz Polen und der heutigen Ukraine nach Belzec deportierten Juden sprach sich bald rum, dass es sich dabei nicht um eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Osten handelte, wie die NS-Propaganda den Opfern anfangs vorgaukelte. Später verzichteten sie auf diese Camouflage. In mehreren dokumentierten Berichten wird die Brutalität deutlich, mit denen die deutschen Täter und ihre ukrainischen Helfer schon beim Transport mit den Juden umgingen. Ein großer Teil war schon tot, als sie in Belzec ankamen.
Sehr kritisch geht Kuwalek auch mit polnischen Geschichtsmythen in Polen um. So widerlegt er Berichte über Tausende in Belzec umgekommenen Polen. Zudem hätten Bewohner der umliegenden Dörfer noch bis Ende der 40 Jahre auf der Suche nach Wertgegenständen die Leichen ausgegraben. Mit Chaim Hirszman ist einer der wenigen Überlebenden von Belzec am 19. März 1946 von rechten Untergrundgruppen, die gegen die entstehende Volksrepublik Polen kämpften, in seiner Wohnung ermordet wurden. Wenige Stunden zuvor hatte er vor einer historischen Kommission über seine Erlebnisse in Belzec berichtet. Hirszman war schon in den 30er Jahren in der sozialistischen Jugendbewegung aktiv. Ein eigenes Kapitel widmet Kuwalek dem christlichen SS-Mann Kurt Gerstein, der nach einen Besuch in Belzec über die Zustände so erschüttert war, dass er Diplomaten informierte, um die Weltöffentlichkeit wachzurütteln. Vergeblich, Gerstein starb in französischer Haft, wo er mit NS-Tätern in eine Zelle gesperrt war. Die für die Morde in Belzec Verantwortlichen hingegen wurden bis auf ganz wenige Ausnahmen nie bestraft.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/815526.eine-halbe-million.html

Peter Nowak
Robert Kuwalek, Das Vernichtungslager Belzec, Aus dem Polnischen übersetzt von Steffen Hänschen, Metropol Verlag, Berlin, 2012, SBN: 978-3-86331-089-0, 392 Seiten, 24,– Euro

Antifaschistisches Manifest

Ein Aufruf warnt Europa vor dem Aufstieg der extremen Rechten in der Krise
Ein griechischer Wirtschaftswissenschaftler hat einen Aufruf gegen das Erstarken der Neonazis initiiert. Er zieht darin Parallelen zum Aufstieg der Nazis in den 1930er Jahren.

Die massenhafte Verarmung von Menschen in Griechenland, die die Spardiktate der EU verursacht, hat einer faschistischen Partei zum Durchbruch verholfen. War die »Goldene Morgenröte« lange Zeit eine Kleinstgruppe, begann mit der Durchsetzung der Krisenprogramme der rasante Aufstieg dieser Nazipartei. Bei den letzten griechischen Parlamentswahlen zog sie mit sieben Prozent ins Parlament ein. Mittlerweile wird sie in Umfragen als drittstärkste Partei gehandelt. Als Reaktion auf das Erstarken einer Partei, die ihre Sympathie mit Hitler und dem Nationalsozialismus offen zur Schau stellt, hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias nun ein »Antifaschistisches Europäisches Manifest« formuliert, das vor Kurzem von der linken Syriza-Bewegung übernommen wurde. Mitralias will damit das Wiederaufkeimen einer neofaschistischen Extremen Rechten stoppen – in Griechenland wie auch in anderen Ländern Europas. Auf dem Internetportal antifascismeuropa.org werden in ganz Europa Unterstützungsunterschriften gesammelt.

In dem Manifest zieht Mitralias eine Linie von der EU-Krisenpolitik zum Aufstieg der extremen Rechten und erinnert an den historischen Nationalsozialismus: »Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen«, heißt es dort. Wie in den 30er Jahren drohten auch jetzt die durch die Austeritätspolitik verarmten Mittelklassen zum Schwungrad für rechte Bewegungen zu werden, warnen die Initiatoren des Aufrufs. In Zeiten der Krise würden neue Sündenböcke gefunden, gegen die sich der Zorn der Deklassierten richte. Dazu gehörten Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte, aber auch soziale Bewegungen, linke Organisationen und kämpferische Arbeitergewerkschaften seien systematischer Hetze dieser rechten Organisationen ausgesetzt. Die Aufrufer betonen, dass das rasante Anwachsen einer extrem rechten Bewegung wie in Griechenland zwar nicht europäischer Standard, aber auch keine Ausnahme sei.

Der Aufruf ist nicht die erste länderübergreifende Initiative, die sich gegen den Aufstieg der extremen Rechten in Griechenland richtet. Unter dem Motto »Nichts Goldenes an dieser Morgenröte« haben in Deutschland lebende Griechinnen und Griechen vor einigen Monaten Stellung gegen die Faschisten genommen. »Wir werden nie die Bilder von den Angriffen der Neonazis auf Migranten und Flüchtlinge 1992 in Rostock vergessen, bei denen Schaulustige Beifall klatschten und die Polizei tatenlos zuschaute, während all das live im Fernsehen übertragen wurde«, heißt es in der von Künstlern, Wissenschaftlern und Journalisten unterzeichneten Erklärung. Umso wütender sind die Unterzeichner angesichts der Erfolge der militanten Faschisten in Griechenland.

Die europäische antifaschistische Solidarität könnte bald auf die Probe gestellt werden. Mittlerweile hat sich nach Angaben des Nürnberger Bündnisses »Nazistopp« die erste deutsche Sektion der Goldenen Morgenröte gegründet. »Die Auslandsgriechen antworten auf die dreckigen Hippies und das Regime der demokratischen Diktatur in unserer Heimat«, heißt es in der Gründungserklärung in griechischer Sprache, die von den Nürnberger Antifaschisten zitiert wird. Die Zusammenarbeit mit deutschen Neonazis ist wahrscheinlich. Auf mehreren rechten Internetportalen wird der Aufstieg der Goldenen Morgenröte als »Inspiration für Europa« bezeichnet.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/814185.antifaschistisches-manifest.htm
Peter Nowak

Fördert europäische Krisenpolitik faschistische Bewegungen?

Der rasante Erfolg der griechischen Nazipartei Goldene Morgenröte beflügelt auch extreme Rechte in anderen Ländern

Auf zahlreichen Homepages von Freien Kameradschaften wird der Wahlerfolg einer Partei, die jahrelang im Promillebereich lag, bei den letzten griechischen Parlamentswahlen 7 Prozent bekam und mittlerweile in Umfragen zur drittstärksten Partei in Griechenland aufgestiegen ist, als Inspiration bezeichnet.

Schließlich versucht die Goldene Morgenröte ihren Rassismus und Antisemitismus gar nicht zu verbergen. Anders als viele andere Parteien der europäischen Rechten, die für ihren Aufstieg einen zumindest taktischen Schwenk zur Mitte hin vollziehen und möglichst nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun haben wollen, hat die Goldenene Morgenröte Erfolge, obwohl sie wie eine schlechte Kopie der NS-Bewegung daherkommt und aus ihrer Bewunderung für Hitler kein Geheimnis macht.

„Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“

Was Neonazigruppen inspiriert, jagt Antifaschisten Schrecken ein und motiviert sie zu Aktivitäten. So hat eine Gruppe um den griechischen Wirtschaftswissenschaftler Yorgos Mitralias ein Antifaschistisches Europäisches Manifest initiiert, das mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.

Das Manifest ist eine radikale Absage an die wesentlich von Deutschland initiierte europäische Krisenpolitik, die für das Anwachsen rechter Bewegungen verantwortlich gemacht wird. In dem Manifest heißt es:

„Nicht anders als in den 20er und 30er Jahren rührt diese neofaschistische und rechtsextreme Bedrohung von der tiefen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und auch moralischen und ökologischen Krise des Kapitalismus her, der die Schuldenkrise als Vorwand vorschiebt, um nun eine beispiellose Offensive gegen den Lebensstandard, gegen die Freiheiten und Rechte der Arbeiter, gegen die alle da unten zu führen! Unter Ausnutzung der Angst der Besitzenden vor den Risiken sozialer Explosion, der Radikalisierung der durch die Krise und die drakonischen Austerity-Maßnahmen ausgezehrten Mittelklassen sowie der Hoffnungslosigkeit ausgegrenzter und verarmter Arbeitsloser breiten sich rechtsextreme, neonazistische und neofaschistische Kräfte in ganz Europa aus; sie erringen einen massiven Einfluss bei den benachteiligten Schichten, die sie gegen traditionelle und neue Sündenböcke (Migranten, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte usw.) sowie gegen soziale Bewegungen, linke Organisationen und Arbeitergewerkschaften systematisch aufhetzen.“

Wie in den 1930er Jahren wird auch eine verarmende Mittelklasse als Massenbasis für die aktuellen faschistischen Bewegungen gesehen. Judith Carreras vom Organisationsbüro des Manifestes erklärt gegenüber Telepolis, das primäre Ziel sei es, deutlich zu machen, dass der Faschismus kein schlechter Geist aus der Vergangenheit, sondern ein aktuelles Problem für die Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa ist.

Die vorrangige Aufgabe der europäischen antifaschistischen Bewegung soll die Unterstützung von Menschen und Organisationen sein, die sich in Ungarn und Griechenland den neuen faschistischen Bewegungen entgegenstellen. Wie in Griechenland hat mit der Jobbik-Bewegung auch in Ungarn eine Bewegung Zulauf, die, wie die Goldenen Morgenröte, kein Hehl aus ihrer Nazibewunderung macht.

Wie in Ungarn beeinflussen auch in Griechenland die Neonazigruppen das politische Klima in diesem Land direkt. Sowohl in Griechenland als auch in Ungarn richtet sich auch die Regierungspolitik gegen Linke, Flüchtlinge und andere Minderheiten, die auch von den Nazis zu Feinden erklärt werden.

Rechte Achse Nürnberg-Athen

Womöglich gibt es aber noch mehr Betätigungsfelder für eine europäische antifaschistische Bewegung. Mittlerweile hat sich in Nürnberg eine erste Zelle der Goldenen Morgenröte in Deutschland gegründet. Auch Kontakte zu fränkischen Neonazis hat es gegeben, die sogar ihre griechischen Kameraden im griechischen Parlament besucht haben.

Ob die griechischen Neonazis sich auch in Deutschland ausbreiten könnten und eine Rolle wie vor Jahren die türkischen ultrarechten Grauen Wölfe spielen könnten, die eine reale Gefahr für türkische und kurdische Linke waren, ist noch offen. Viele Deutschgriechen wollen es soweit gar nicht kommen lassen. Mit einer Erklärung unter dem Titel „Nichts ist Golden an diesen Morgenröten“ wollen sie zur Demaskierung dieser Bewegung beitragen. Dafür wird allerdings entscheidend sein, ob es gelingt, auch unter den von der Krisenpolitik betroffenen Menschen Unterstützung zu finden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153812
Peter Nowak

Ist nach NPD-Leaks zweiter Anlauf für Verbotsverfahren beendet?

Wie die Materialsammlung zum Parteiverbotsverfahren in die Hände der NPD geriet, ist noch nicht bekannt

Soviele Zugriffe dürfte die Homepage der NPD schon lange nicht gehabt haben. Die Partei hat Auszüge der von einer Bund-Länderkommission herausgegebenen Materialsammlung zum Parteiverbotsverfahren veröffentlicht.

Dort sollen auf über 1000 Seite Beweise aufgelistet sein, die für ein Verbot der Partei sprechen. Die NPD will damit ihre vorgebliche Harmlosigkeit beweisen. In Wirklichkeit dürfte es der auch innerparteilich unter Druck geratenen Parteiführung um Holger Apfel vor allem um öffentliche Aufmerksamkeit sowie darum gehen, die eigenen Reihen zu schließen. Die rechten Kritiker der gegenwärtigen Parteiführung organisieren einen Freundeskreis Udo Voigt, benannt nach Apfels Vorgänger und Konkurrenten.

Apfel ist es weder gelungen, die Partei bei Wahlen über der Promillegrenze zu halten , noch erfolgreiche Demonstrationen zu organisieren. Daher muss die Parteiführung auf einen Mediencoup zurückgreifen, um sich in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Nun stößt es aus bürgerrechtlicher Perspektive in der Regel auf Zustimmung, wenn als Geheim- oder Verschlusssache deklarierte Papiere öffentlich werden. Das ist auch bei dem von der NPD ins Netz gestellten Schriften nicht anders. Es gibt keinen Grund, der Öffentlichkeit Dokumente vorzuenthalten, die ein Parteienverbot vorbereiten helfen sollen.

Fakten aus öffentlichen Quellen zusammengetragen?

Die Behörden haben immer betont, dass die Belege von Polizei und Verfassungsschutzbehörden aus öffentlichen Quellen zusammen getragen worden seien. Die Diskussion der nächsten Tage wird zeigen, ob dies der Realität entspricht.

Sollte nachgewiesen werden können, dass in die Sammlung auch Erkenntnisse aus geheimdienstlichen Quellen eingeflossen sind, könnte der zweite Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren beendet sein, bevor er richtig begonnen hat. Die Zahl der Kritiker ist groß und sie gehören nicht nur zu den Kreisen, die die NPD unbedingt erhalten wollen. So gehörte der sächsische Landtagsabgeordnete der Grünen Johannes Lichdi einerseits zu den erklärten NPD-Gegnern und andererseits zu den Kritikern des Verbotsverfahrens, dem er aus rechtlicher Sicht keine Chancen einräumt. Wie er haben sich weitere Politiker der Grünen für Protest gegen Neonazis und gleichzeitig gegen ein staatliches NPD-Verbot ausgesprochen. Auch sie dürften begrüßen, dass die Materialsammlung, die das Verbot vorbereiten soll, nun öffentlich ist.

Dass sich dabei ausgerechnet die NPD profilieren kann, ist eher den Politikern zuzuschreiben, die mit Verboten hantieren und denen das zivilgesellschaftliches Agieren gegen Rechts auch meist ein Dorn im Auge ist. Wenn, wie bereits angekündigt, nun Ermittlungen gegen die NPD wegen Veröffentlichung der Papiere eingeleitet werden sollten, verschaffen sie der Partei den Nimbus verfolgter Bürgerrechtler, den sie braucht.

Hintergründe für Veröffentlichung noch ungeklärt

Zudem sind die Behörden blamiert, weil es offensichtlich im Apparat Menschen gibt, die solche Papiere auch an die NPD lancieren. Ob dabei Sympathien mit der rechten Partei oder bürgerrechtliche Erwägungen eine Rolle spielten, ist einstweilen nicht zu klären.

Auffällig ist allerdings schon, dass das Papier der NPD und nicht einem Nachrichtenmagazin oder einer Internetplattform zugespielt wurde, die solche Dokumente veröffentlicht. Da sich zur Zeit auch die unterschiedliche Staatsorgane über ein zweites Verbotsverfahren uneinig sind – während der Bundesrat dafür war, hielt sich die Bundesregierung bedeckt -, ist nicht auszuschließen, dass die Veröffentlichung im Kontext dieses Streits unter den Staatsapparaten steht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153782
Peter Nowak

Wer über Arbeitshäuser redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen


Der Arbeitskreis „Marginalisierte gestern und heute“ erinnerte an die Geschichte der als asozial Stigmatisierten vom Mittelalter bis in die Gegenwart

Am 26.1.1938 gab der SS-Funktionär Heinrich Himmler mit dem Erlass „Arbeitsscheu Reich“ den Startschuss für die Inhaftierung und Ermordung von Tausenden Menschen, die schon lange vorher als Asoziale stigmatisiert worden waren. 70 Jahre später organisiert der Arbeitskreis „Marginalisierte – gestern und heute“ in Berlin eine Veranstaltungsreihe, die sich mit der Geschichte der Asozialenverfolgung vom Mittelalter bis in die Gegenwart befasst. Schon am Mittwoch wurde im Berliner Haus der Demokratie die Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“ eröffnet. Sie zeigt auf, wie die Entrechtung der sogenannten Asozialen schon in der Weimarer Zeit begonnen hat. Die Grundalgen haben Kommunalbehörden, sowie Arbeits- und Wohnungsämter gelegt, die in Schreiben die Einweisen von Menschen unter dem Stigma „arbeitsscheu“ in KZ und Arbeitshäuser forderten. Dazu finden sich in der Ausstellung einige Beispiele.

Schöner wohnen im ehemaligen Arbeitshaus

80 Jahre später, am 26.1.08 wurde mit einem historischen Spaziergang an die Opfer von Berlins erstem Arbeitshaus im Stadtteil Rummelsburg erinnert, das 1877 errichtet wurde.
Heute werben dort Schilder mit der Parole „„Arbeiten und Leben in der Rummelsburger Bucht“ für schicke Eigentumswohnungen. Eine Gedenktafel sucht man vergeblich.
Der Kampf um eine Erinnerungsstätte in Rummelsburg wird an Bedeutung zunehmen. . Die Neubauten reichen schon an das ehemalige Arbeitshaus heran. Daher stellt sich die Frage, wie mit diesen historischen Stätten umgegangen wird. Wenn da nicht Druck gemacht wird, droht eine Entsorgung von der Art, wie man sie jetzt auf den Hinweisschildern lesen kann, die schon vor 2000 rund um da Expo-Projekt Rummelsburg aufgestellt wurden. Dort heißt es: Das Arbeitshaus und das ….Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden“. Die NS-Zeit wird dort gar nicht erwähnt. Ansonsten wird der Eindruck erweckt, als wäre das Arbeitshaus ein Naturgesetz gewesen. Opfer und Täter kommen nicht vor. Bei aller Geschichtsrelativierung wird hier tatsächlich ein Zusammenhang offen, der den Verfassern der Tafel wahrscheinlich nicht auffiel. Die Arbeitshäuser entstanden sind mit dem aufkommenden Kapitalismus. In Großbritannien, wo sich der Kapitalismus früher als in Deutschland entwickelt hatte, gab es auch schon Jahrzehnte früher als in Deutschland Arbeitshäuser. Karl Marx hat über sie und ihre Funktion im Kapitalismus geschrieben. Wer sich mit der Geschichte der Arbeitshäuser befasst, kann zum Kapitalismus und seinen historisch unterschiedlichen Formen des Arbeitszwanges nicht schweigen. Das wird auch klar, wenn man ließt, was Wilhelm Polligkeit, der bis heute als Nestor der Jugendhilfe gefeiert wird, am 31.5.1933 geschrieben hat. Der NS-Symphatisant schlug vor: „Rechtsbestimmungen festzulegen, die ein autoritäres, festes Vorgehen gegen alle asozialen Elemente (Arbeitslose, Trunksüchtige usw.) in größerem Umfang als seither ermöglichen“. Damit stieß er bei den Nazis auf offene Ohren.

Die Verfolgung der sogenannten Asozialen endete nicht mit dem Ende des NS-Regimes. Die Stigmatisierung geht bis heute weiter. Selbst viele politische Verfolgte wehrten sich vehement dagegen, mit sogenannten Asozialen in eine Zelle gesperrt zu werden. Es wurde also so getan, als hätte die Einlieferung dieser Menschen nur dazu gedient, die politischen Gefangnen zu demütigen und zu diffamieren. Die Schicksale der als asozial abgestempelten Menschen fielen dabei unter dem Tisch. Dabei kann eine Arbeitsmythologie beigetragen haben, wie sie auch in der ArbeiterInnenbewegung dominant wurde. Je mehr das Ziel, der Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft und damit der Abschaffung sämtlicher Klassen, auch der ArbeiterInnenklasse aufgegeben wurde, desto größer wurde ein Kult der Arbeitenden, der schnell zu einer Abwertung der nicht so Produktiven führen konnte. Statt mit der Klassenherrschaft jede Ausbeutung abzuschaffen, wurde die Tatsache des Ausgebeutet sein praktisch mystifiziert. Daher richtet sich ein solcher Kult auch gegen die ArbeiterInnen selber. Schließlich war nicht ihre Befreiung von der Ausbeutung sondern die Verherrlichung der Ausbeutung das Ziel.

Eine kürzlich von dem Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer veröffentlichte Langzeitstudie ‚Deutsche Zustände 6’ zeigt, dass auch 207 jeder Dritte der Ansicht ist, die Gesellschaft könne sich Menschen, die wenig nützlich sind‘, nicht länger leisten. Man muss an den vom heutigen Konzernlobbyisten und damaligen SPD-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clemens erstellten Report erinnern, in dem unter dem Titel „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat“ gegen einen angeblichen Sozialmissbrauch gewettert wurde. Für die Betroffenen können solche Töne schwerwiegende Folgen haben. Die Gewalt gegen als arm qualifizierte Menschen hat in den letzten Jahren zugenommen.

Arbeitshaus und Irrenhaus hingen eng zusammen

Die Stigmatisierung von Menschen als asozial oder als Irre hing historisch eng zusammen und reicht bis in die Gegenwart. Darauf macht Rene Talbot vom BAG Psychiatrieerfahrener e.V. (http://www.psychiatrie-erfahrene.de/) aufmerksam, der ebenfalls im Arbeitskreis „Marginalisierte…“ mitarbeitet. Er begründet sein Engagement so: “Die Überschneidungen der psychiatrischen Massenmorde und der Massenmorde an Menschen, die von den Nazis zu „Asozialen“ erklärt wurden, sind offenkundig. Unerwünschtes Verhalten wurde medizinalisiert bzw. biologisiert und in einer weiteren Radikalisierung zur „Erbkrankheit“ erklärt. „Arbeitsscheu“ war dabei im Grunde genommen nur die erweiterte Kategorie anderer abweichender, dissidenter Verhaltensformen, die direkt zu den psychiatrischen Todesurteilen geführt haben.

Auch für Talbot handelt es sich dabei keineswegs um in historisches Thema.

„Wir meinen, dass sehr wohl noch die gleiche Grundstruktur den Maßstab für die Ausgrenzung setzt: Das Menschenrecht, dass auch derjenige, der nicht arbeiten will, essen dürfen muss, dieses Recht auf Faulheit muss erst noch durchgesetzt werden. So sind die Sanktionen gegen die, die nicht arbeiten wollen, ihrer sogenannten „Mitwirkungspflicht“ nicht nachkommen, nur die allgemeinere Form der speziellen und besonders brachialen Entwürdigung, den die Zwangspsychiatrie mit Zwangsbehandlung, Einsperrung und Entmündigung vollzieht. Wir hoffen, dass diese Veranstaltungsreihe dazu beiträgt, dass mehr Menschen diesen inneren Zusammenhang verstehen und die zentrale Rolle, den die psychiatrische Ideologie dabei spielt.
Weiteres siehe
www.marginalisierte.de

aus: Redaktion EXIT!
c/o Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften

http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=20&posnr=345
Peter Nowak

Antifa goes Crowdfounding

Zivilgesellschaftliche Initiative sammelt Geld für Internetportal über rechte und rassistische Gewalt

Kann man im Netz Geld verdienen? Diese Frage stellen sich viele Medienarbeiter. Crowdfounding heißt seit einigen Jahren das Zauberwort. Kann das Netz auch zur Finanzierung zivilgesellschaftlicher Projekte beitragen, fragt sich das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum . In den 80er Jahren als Rechercheinitiative von Antifaschisten für Antifaschisten gegründet, ist es mittlerweile eine wichtige Informationsquelle für alle, die sich mit der rechten Entwicklung in Deutschland befassen. Auch viele Journalisten nutzen die Rechercheergebnisse.

Längst sind die Zeiten vorbei, wo die Gründergeneration des Apabiz ihre Archivarbeit in Ordnern zusammenfasste. Die Möglichkeiten, die das Internet für Recherchearbeit bietet, zeigen sich an dem vom Apabiz erstellten NSU-Watchblog, der auf eine übersichtliche, schnelle Einarbeitung in die Thematik auch für Menschen ermöglicht, die nicht ständig die aktuellen Entwicklungen verfolgt haben. In dem Portal Berlin Rechtsaußen kann man sich schnell und präzise über rechte Begebenheiten rund um Berlin informieren.

Nach dem Vorbild von NSU-Watch und Berlin Rechtsaußen plant das Apabiz jetzt ein noch ambitionierteres Projekt, ein interaktives Informationsportal über die extreme Rechte in Deutschland. Die Startversion, die es im Netz zu sehen gibt, macht schon deutlich, welche Vorteile ein solches Mapping des Rechten Deutschland haben kann. Wo bisher in diversen Zeitungen wie wöchentlich in der Jungle World über aktuelle Vorkommnisse rassistischer und antisemitischer Gewalt berichtet wird, können in Zukunft Orte angeklickt werden. Treffpunkte der extremen Rechten sollen dort ebenfalls dokumentiert werden, wie die aktuell recherchierten rechten Vorhaben und Projekte. Auch die rechte Vergangenheit soll interaktiv abgerufen werden können.

Rechter Hotspot Nordrhein-Westfalen

Dass eine solche kartographische Darstellung einen genaueren Einblick in das rechte Treiben gibt, macht Apabiz-Mitarbeiter Felix Hansen an einen Beispiel deutlich. „Mit einer Karte, wie wir sie planen, kann man sich relativ einfach durch bestimmte Kategorien durchklicken und Schwerpunkte in bestimmten Regionen erkennen, in denen rechte Entwicklungen stattfinden.“

So kann man bei der Dokumentation rechter Morde feststellen, dass einer der Schwerpunkte das Bundesland Nordrhein-Westfalen ist. Ein solcher Schwerpunkt sei im öffentlichen Bewusstsein oft nicht vorhanden, denn dort werde meist nur Ostdeutschland als Zentrum rechter Gewalt wahrgenommen, so Hansen. Das liegt sicher auch an der medialen Berichterstattung, wo rechte Vorkommnisse in Ostdeutschland besonders in Mecklenburg-Vorpommern eher mit ausführlichen Reportagen und Fernsehbeiträgen bedacht werden, als wenn sie in einen alten Bundesland geschehen. Es ist natürlich auch bequemer, weil man dann die Verantwortung noch auf die Politik der ehemaligen DDR verlagern kann.

So war es auch bei den letztjährigen Gedenkveranstaltungen zum 20. Jahrestag der rassistischen Kundgebungen in Rostock-Lichtenhagen und [Hoyerswerda http://rassismus-toetet.de/?p=1497] schwieriger, auch Mannheim-Schönau mit in die Gedenkkultur aufzunehmen. Auch dort fanden vor 20 Jahren massive rassistische Ausschreitungen statt.

Im Internetportal kann die Geschichte und Gegenwart von Rassismus und extrem rechter Gewalt hingegen viel realistischer dargestellt werden, weil es eben um die Dokumentierung der Fakten und nicht um die mediale Aufarbeitung geht. Eine solche Dokumentation setzt aber eine besonders gründliche und arbeitsintensive Vorarbeit voraus. Schließlich müssen alle Meldungen aufwendig gegenrecherchiert werden.

Dafür aber wird Geld gebraucht. Deshalb hat das Apabiz unter dem Motto „Antifa goes Crowdfounding“ im Internet Geld für das neue Portal gesammelt. Die Zielmarke war klar: „Wenn bis zum 31. Januar nicht 5000 Euro zusammenkommen, wird es das Projekt nicht geben und die Spender bekommen ihr Geld zurück erstattet.“ Mittlerweile wurden allerdings schon mehr als 5500 Euro gesammelt. Doch das Apabiz will bis zum 31. Januar weiter um Gelder werben. „Wenn mehr Geld zusammenkommt, könnte man auch mehr Arbeit in das Projekt stecken“, so Hansen. Sollten sogar mehr als 8000 Euro zusammenkommen, würde ein Teil des Geldes in einem Fond zur Beobachtung des NSU-Prozesses fließen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153628
Peter Nowak

Bekennender Deutschnationaler


Rechtslastiger Wissenschaftler bewirbt sich um Professur an der Technischen Universität Berlin.

Zahlreiche Studierende besuchten am vergangenen Donnerstag den Vorstellungsvortag von Reinhard Kienberger an der Technischen Universität Berlin (TU), wo er sich um eine Physik-Professur beworben hat. Die meisten Anwesenden interessierte allerdings mehr die politische Vita Kienbergers, der seit 1990 Mitglied der „Akademischen Burschenschaft Österreichischer Germanen Wien“ ist und zeitweise deren Sprecher war. Die „Germanen Wien“ gehören innerhalb der Deutschen Burschenschaft der ultrarechten Burschenschaftlichen Gemeinschaft an.

Während der Antrittsvorlesung berief sich Kienberger auf die Trennung von Wissenschaft und Politik, bekräftigte aber sein Bekenntnis zum Deutschnationalismus. In einem Interview mit dem Salzburger Magazin „Echo“ wurde Kienberger 2009 deutlicher. „Ich möchte als erstes feststellen, dass ich deutschnational bin … aber eben alles andere als rechtsradikal oder rechtsextrem“, betonte er. Seine Ablehnung des Nationalsozialismus begründet er so: „Ich als nationaler Mensch lehne ihn aber auch deswegen ab, weil der Nationalsozialismus eben nicht national war.“

„Von Linksextremisten gegründete Privat-Stasi“

In dem „Echo“-Interview verteidigt Kienberger auch seinen Burschenschaftsbruder Gerhard Pendl, der wegen einer Rede am Grab des bekennenden Nationalsozialisten Walter Nowotny sogar von der ÖVP-FPÖ-Regierung aus dem Universitätsrat entlassen worden war, was Kienberger „eine vollkommen falsche Entscheidung“ nennt. Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) in Wien, das sich das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes widmet, bezeichnet Kienberger als „eine von Linksextremisten gegründete Privat-Stasi“.

Der Allgemeine Studentenausschuss der Technischen Universität Berlin ruft die Hochschulgremien auf, sich gegen eine Berufung von Reinhard Kienberger zu entscheiden.
Blick nach Rechts
http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/bekennender-deutschnationaler

Peter Nowak

NS-Geschichte in Dokumenten

Eine Trilogie erinnert an die braune Zeit in Berlin – ein Beitrag zum Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ mit dem 2013 an mehrere Jahrestage des Nazi-Terrors erinnert wird.

„Wer die Vergangenheit verstehen will, muss die zeitgenössischen Quellen im Original lesen. Nur so lässt sich direkt nachvollziehen, wie die Situation im jeweiligen Moment einer Entscheidung wahrnehmbar war, wie die Beteiligten die Situation subjektiv verstanden und mitgestalteten.“ Diese Sätze schrieb der Historiker Sven Felix Kellerhoff in der Einleitung des im Berlin Story Verlag erschienen Dokumentenbands „Das braune Berlin“.

„NS-Geschichte in Dokumenten“ weiterlesen

Kein Ende der Recherche

ENGAGEMENT Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin kann doch weiterarbeiten: Ihr Hilferuf nach Unterstützung wurde gehört

Die Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) kann ihre Arbeit fortsetzen. Seit 20 Jahren gibt der Verein die Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ heraus. Noch vor wenigen Wochen schien das Projekt in Gefahr, weil ehrenamtliche Mitwirkende fehlten.

„Wir sind jetzt wirklich sehr auf Unterstützung dieser wichtigen Arbeit angewiesen, sonst müssten wir aufhören“, hatte die ARI in einem offenen Brief formuliert. „In der letzten Zeit haben wir die Dokumentation ehrenamtlich zu zweit erstellt. Diese Arbeit können wir auf keinen Fall mehr mit so wenig Personal leisten“, erklärt Elke Schmidt von der ARI den Grund für den Hilferuf – der gehört wurde: Es habe viel Zuspruch gegeben und einige Menschen haben ihre Mitarbeit angeboten, sagte Schmidt gegenüber der taz.

Zurzeit berate man mit den InteressentInnen über die konkrete Ausgestaltung der Kooperation. Begonnen hat Schmidt mit einer Mitstreiterin das Dokumentationsprojekt im Jahr 1994, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt hatte. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass der Mann mit acht weiteren Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Zusammen mit einem Filmteam machte die ARI den Fall öffentlich.

Seitdem sammelt das kleine Dokuteam Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik. Über 370 tote Flüchtlinge allein durch staatliche Maßnahmen hat die ARI bisher gezählt. Zurzeit werden die aktuellen Fälle von Gewalt für die demnächst erscheinende Dokumentation recherchiert. Dass sich der Kreis verbreitert, beruhigt nicht nur Elke Schmidt. Die deutschlandweit einzigartige Arbeit erfährt seit Jahren Lob und Anerkennung von AntirassistInnen, Medien und Flüchtlingsorganisationen.
Wer die Arbeit unterstützen will, kann sich bei ari-berlin-dok@gmx.de melden.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F01%2F25%2Fa0153&cHash=2c0dc081945dabe0e2d3b02f6cd1c731
Peter Nowak

Die vergessenen Toten

In Berlin soll ein Gedenk- und Informa­tionsort für die Opfer der »Aktion T4« eingerichtet werden. Es ist nicht der erste Versuch, sich der Thematik erinnerungspolitisch zu nähern, und wie schon in der Vergangenheit gibt es auch diesmal Anlass zu Kritik.

»Ich vergehe vor Not, muss ich Euch schreiben. Jetzt, wo meine Männer fort sind, muss ich hier sitzen und kann nichts tun«, schrieb ein Schuhmachermeister, der von den nationalsozialistischen Behörden als angeblich Geisteskranker verhaftet worden war, am 3. September 1939 aus der Psychiatrieanstalt Grafeneck an seine Angehörigen. Wie er sind nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 1940 und 1941 mehr als 70 000 Psychiatriepatienten und Menschen mit Behinderungen durch Ärzte und Pflegekräfte ermordet worden. Für sie soll nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 ein Gedenk- und Erinnerungsort geschaffen werden. Um zu entscheiden, in welcher Form dies geschehen soll, wurde wenig später vom Land Berlin und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ein Wettbewerb für die Gestaltung ausgerichtet. Im Dezember vorigen Jahres schließlich, rund ein Jahr nach dem Beschluss des Bundestages, konnten die eingegangen Entwürfe für den geplanten »Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4« in einer Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors begutachtet werden.
Leicht zu übersehen. Ein neuer Gedenk- und Erinnerungsort soll die unscheinbare Gedenkplatte vor der Berliner Philharmonie ergänzen
Leicht zu übersehen. Ein neuer Gedenk- und Erinnerungsort soll die unscheinbare Gedenkplatte vor der Berliner Philharmonie ergänzen (Foto: PA/akg-images/Henning Langenheim)

Ein großer Teil der Entwürfe befasst sich mit der im Krieg zerstörten Villa in der Tiergartenstraße 4, in der die Mordaktion, die heute in Anspielung auf die Adresse des Hauses auch »Aktion T4« genannt wird, geplant wurde. Dass sich diese Bezeichnung langsam durchsetzt, ist auch ein Erfolg von Betroffenengruppen, die sich seit langem gegen den verharmlosenden Begriff »Euthanasiemorde« wehrten. Euthanasie heißt wörtlich übersetzt »schöner Tod«. Dagegen wurden die als geisteskrank stigmatisierten Menschen grausam ermordet, vergast, vergiftet oder erhängt. Dennoch findet der euphemistische, aus der Terminologie der Eugenik stammende Begriff bis heute Verwendung.

In den ausgestellten Entwürfen für den Gedenk­ort sollen neben dem Ort, an dem die Taten geplant wurden, auch die Opfer ein Gesicht bekommen. Bei dem als Siegerentwurf prämierten Modell, das von der Berliner Architektin Ursula Wilms gemeinsam mit dem Stuttgarter Konzeptkünstler Nikolaus Koliusis und dem Aachener Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann eingereicht worden war, bildet eine blaue, halbdurchsichtige Spiegelwand den Mittelpunkt. Damit greifen die Preisträger Elemente des »Andernacher Spiegelcontainers« auf, der von dem Künstler Paul Patze gemeinsam mit Schülern 1996 entworfen wurde, um an die Opfer der Morde in der Villa zu erinnern, die nach einem Zwischenaufenthalt in Andernach im hessischen Hadamar vergast worden waren. Ferner soll eine 40 Meter lange Sitzbank die Tiergartenstraße mit dem Denkmal verbinden. Die nach Westen ausgerichtete, schräg gestellte Betonwand dient dabei auch als Grundkonstruktion für ein durchlaufendes, aus 13 Elementen bestehendes Informationspult, auf dem Biographien einzelner Opfer der »Aktion T4« präsentiert werden sollen. Eine Gedenkplatte, die bereits 1989 am Ort eingelassen worden ist, soll ebenfalls in das mit dem ersten Preis prämierte Modell integriert werden. Die Inschrift derselben ist schlicht aber präzise: »Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter«.

Tatsächlich sind in beiden Teilen Deutschlands die meisten an den Morden beteiligten Ärzte sowie das Klinikpersonal nicht nur nicht bestraft worden, viele Täter haben ihre Karriere oft bruchlos fortsetzen können. Entwürfe, die solche Zusammenhänge deutlicher thematisierten und an die Diskriminierung von Psychiatriepatienten bis in die Gegenwart erinnerten, kamen bei dem Wettbewerb nicht in die engere Auswahl. So sollten etwa in einem der abgelehnten Entwürfe sechs Stelen aus dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas die sechs Orte symbolisieren, an denen die Morde in Deutschland verübt wurden, und damit gleichzeitig auch der von Historikern nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Vernichtung der zu geisteskrank erklärten Menschen und der Shoa symbolisch zum Ausdruck gebracht werden.

Doch nicht nur die fehlende Kontextualisierung innerhalb der Gesamtheit der nationalsozialistischen Verbrechen sorgt für Unmut. So kritisieren etwa Verbände von Psychiatrieerfahrenen die aktuelle Denkmalauslobung als »Pro-forma-Gedenken zum Billigtarif« und beziehen sich damit auf die lediglich 500 000 Euro, die der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für den Gedenkort zur Verfügung gestellt hat. Auch einige der in der Topgraphie des Terrors gezeigten Denkmalentwürfe äußerten in ihren Begleittexten eine ähnliche Kritik.

Nicht vertreten unter den präsentierten Entwürfen war ein Vorschlag für einen Gedenkort, den mehrere Betroffenenverbände bereits vor 15 Jahren gemacht hatten. Am 26. Januar 1998 hatte sich in Berlin ein »Freundeskreis des Museums ›Haus des Eigensinns‹« konstituiert, dessen Ziel es war, an der Gründung einer Stiftung sowie eines Museums mitzuwirken, das an der historischen Stätte Tiergartenstraße 4 in Berlin hätte errichtet werden sollen (Jungle World 2/1999). Die Diskussion um ein würdiges Erinnern an die Opfer der »Aktion-T4« ist also alles andere als neu.

Obwohl damals zum Freundeskreis des Haus des Eigensinns mit Dorothea Buck eine Überlebende der »Aktion-T4« zählte und mit dem Auschwitz-Überlebenden Henry Friedlander auch ein Histo­riker vertreten war, der in seinen Forschungen den Zusammenhang zwischen den Morden und der Shoa nachgezeichnet hat, wurde das Projekt von Politik und Öffentlichkeit von Anfang an ignoriert. An den möglichen Kosten kann es nicht gelegen haben. Ein privater Stifter, der unbekannt bleiben wollte, hätte für die Errichtung einen Beitrag von 1,75 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Damit wäre das Projekt auch ohne öffent­liche Mittel finanziell wesentlich großzügiger ausgestattet gewesen als der jetzt ausgelobte Gedenkort.

Problematisch an der Idee war dagegen der Plan, im »Haus des Eigensinns« auch die sogenannte Prinzhornsammlung, eine Sammlung von Kunst sogenannter Geisteskranker, zu präsentieren. Der Arzt Hans Prinzhorn, dem die Sammlung ihren Namen verdankt, bewegte sich seinerzeit im völkischen Milieu der Weimarer Republik und unterstützte in den letzten Jahren vor seinem Tod im Jahre 1933 die Nationalsozialisten. Für ihn waren die Kunstwerke der Psychiatrie­patienten Teil der Krankenakte. Lange Zeit waren die Artefakte in Kellern der Heidelberger Universitätsklinik gelagert. Erst 2001 wurde auf dem Gelände der Klinik ein Museum eröffnet, in dem seither in regelmäßigen Abständen Teile der Prinzhornsammlung gezeigt werden. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrene sprach in diesem Kontext von einer zweifachen Enteignung der Patienten. Sie sind als Künstler in der Regel namentlich nicht genannt und auch nicht gefragt worden, ob sie ihre Arbeiten weggeben wollten. Zumindest mit dieser Debatte wird sich der nun prämierte Entwurf nicht auseinandersetzen.
http://jungle-world.com/artikel/2013/02/46913.html
Peter Nowak

Das Gedenken hat ein Nachspiel

Nach ihrer Protestaktion bei der Erinnerungsfeier am Montag verteidigt sich die Oury-Jalloh-Initiative gegen Vorwürfe
Die Proteste bei der Gedenkveranstaltung für den verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh sorgen weiter für Diskussionen.
Der Eklat bei der Gedenkveranstaltung zum achten Todestag des afrikanischen Flüchtlings Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 unter ungeklärten Umständen in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, beschäftigt weiter die Medien. Eine Gruppe von Flüchtlingen hatte am Montag lautstark ihren Unmut über die Veranstaltung deutlich gemacht und von Heuchelei gesprochen (ND berichtete). Einige Medien sprachen darauf von Störer, die von Außerhalb“ gekommen sind und monierten sich über einen „gewaltbereiten afrikanischen Asylbewerber“.
„Mit uns hat niemand geredet gesprochen“ meinte Komi Edzro von der „Initiative In Gedenken an Oury Jalloh e.V. gegenüber ND. Zu den konkreten Vorfällen auf der Kundgebung wolle die Initiative erst Stellung nehmen, wenn man sich genau über die Vorfälle erkundigt hat. Man werde aber auch die eigenen Freunde gegen mögliche strafrechtlichen Konsequenzen aber auch zunehmende öffentliche Angriffe verteidigen, betonte er. Dabei geht es vor allem Abraham H., der sich am Montag gegen die Kundgebung protestierte. „Der Mann ist durch die Ereignisse rund um Oury Jallohs Tod traumatisiert“, betont Edzro. Er erinnerte an die Demonstration zum siebten Todestag von Yalloh im letzten Jahr, als die Polizei brutal gegen die Aktivisten vorging. Zu den verletzten Demonstranten gehörte auch H. Auch bei den Gerichtsverfahren, die die Todesumstände von Jalloh klären sollten, sei H. immer wieder gemaßregelt worden, wenn er seine Empörung über den Umgang mit dem Fall äußerte. Schließlich habe er sogar ein Hausverbot für das Gerichtsgebäude bekommen. „Die Menschen, die dafür sorgten, dass sich die Justiz mit den Todesumständen befassen muss, werden so davon ausgeschlossen. Das schafft Empörung und Wut“, beschreibt Edzro die Gefühle vieler der in der Gedenkinitiative aktiven Flüchtlinge. Der Tod der Mutter von Oury Jalloh, die sich bis zum Schluss für die Aufklärung des Todes ihres Sohnes einsetzte habe die Verbitterung ebenso erhöht, wie die Meldung, dass in Polizeikreisen einen Spendenaufruf kursiert, mit dem die Geldstrafe beglichen werden soll, zu der der Dessauer Polizeibeamte Andreas S. verurteilt wurde. Er war der nach zwei langwierigen Gerichtsverfahren der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen worden. Dass aber die Frage, wie es zu dem Tod von Jalloh kam, unbeantwortet blieb, sorgt bei der Initiative für besonders große Wut. Schließlich hatten sie über Jahre für die Gerichtsverfahren gekämpft, weil sie dort Aufklärung erhoffen haben. „Jetzt wird uns gesagt, wir müssen das Urteil akzeptieren. Doch wir verlangen weiter Aufklärung“, betont Edzro.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/809512.das-gedenken-hat-ein-nachspiel.html

Peter Nowak