Ausgelöschte linke Erinnerung

Ein kürzlich publiziertes Buch des Historikers und Romanisten Alexandre Froidevaux beschäftigt sich mit der Erinnerungsgeschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur sogenannten „Transición“.

Der 19. Juli 1936 war für viele ZeitgenossInnen in aller Welt ein wichtiges Datum. In Spanien stoppte an diesem Tag ein Aufstand grosser Teile der Bevölkerung einen faschistischen Putsch. „No pasarán!“, sie werden nicht durchkommen, wurde zum geflügelten Wort. In aller Welt entstanden Solidaritätskomitees für die spanische Revolution, an denen sich auch viele KünstlerInnen beteilig ten. Freiwillige aus aller Welt kämpften mit der Waffe in der Hand in den Internationalen Brigaden in Spanien. Viele von ihnen kamen aus Ländern, in denen der Faschismus schon an der Macht war. Sie wollten in Spanien auch dessen mörderische Weltherrschaftspläne stoppen. 80 Jahre später ist das Datum, das weltweit soviele Hoffnungen auslöste, fast vergessen.

Die Gründe dafür werden von Alexandre Froidevaux in „Gegengeschichten oder Versöhnung?“ sehr gut herausgearbeitet. Sehr detailreich gibt der Autor Einblick in die spanische Erinnerungskultur. Dabei liefert er auch einen gut belegten Einblick in die Geschichte der spanischen ArbeiterInnenbewegung zwischen 1936 und 1982. Bevor die Tage der Hoffnung im Juli 1936 in die Zeit des schrankenlosen Terrors gegen alle VerteidigerInnen der Republik mündeten, nahmen die Auseinandersetzungen innerhalb der spanischen Linken immer schärfere Formen an.

Keine gemeinsame Erzählung

Diese führten dazu, dass die VerteidigerInnen der Republik nicht einmal eine gemeinsame Erzählung von der Niederlage pflegten. Froidevaux macht das an der Rezeption des sogenannten Casado-Putschs deutlich, bei dem am 5. März 1939 ein Bündnis aus rechten SozialistInnen und Teilen der AnarchosyndikalistInnen die wesentlich von der Kommunistischen Partei unterstützte Negrin-Regierung stürzte. Für die KommunistInnen war das der Grund, um ihre Tiraden gegen angebliche trotzkistische und anarchistische VerschwörerInnen, die den Francotruppen den Weg geebnet haben sollen, endlos zu wiederholen. Tatsächlich waren die GegnerInnen Negrins überzeugt, dass die Lage für die Republik aussichtslos war und es Verhandlungen mit Franco geben müsse. Die Negrin-Regierung und die Kommunistische Partei hingegen setzten auf das Durchhalten, bis sich die weltpolitische Lage ändern und sie Unterstützung von Staaten wie Grossbritannien und Frankreich bekommen würden. Diese hatten seit 1936 alles getan, um die Unterstützung der spanischen Republik und ihrer bürgerlich-demokratisch gewählten Linksregierung zu sabotieren. Die rechten PutschistInnen konnten hingegen von Anfang an auf die grosszügigste Unterstützung Hitler-Deutschlands und Mussolini-Italiens rechnen. Ohne deren Militärhilfe wäre der Putsch bereits in den ersten Tagen zusammengebrochen. Stille Sympathie hatten die PutschistInnen bei konservativen Kräften in vielen westlichen Staaten, die durchaus das Ziel des europäischen Faschismus teilten, der Sowjetunion und ihren UnterstützerInnen weltweit eine Niederlage zu bereiten. Doch hatte Stalin mittlerweile die Revolution erstickt, führende Köpfe des Roten Oktober waren hingerichtet oder inhaftiert worden. Daher war die spanische Revolution für viele Linken in aller Welt auch die Hoffnung auf eine Erneuerung der revolutionären Bewegung ausserhalb der SU. Die stalinschen Repressionsorgane verfolgten linke KritikerInnen auch auf spanischem Boden und die Kommunistische Partei Spaniens verteidigte diese Massnahmen.
Diese politische Gemengelage, in der sich die Interessen der sowjetischen Aussenpolitik unter Stalin mit dem revolutionären Impetus vieler KommunistInnen in und ausserhalb verschiedener Parteien vermengte, wird im Buch sehr gut beschrieben. So wird die Kluft deutlich, die sich nach der Niederlage unter den spanischen VerteidigerInnen der Republik auftat und zu einem regelrechten Hass zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen führte. Bis Anfang der 1960er Jahre lehnten viele SozialistInnen und AnarchistInnen die Kooperation mit der KP ab, die sie für die Repression gegen ihre GenossInnen verantwortlich machten. Doch auch innerhalb der Gruppierungen ging der Streit nach der Niederlage weiter. Froidevaux schreibt über die Spaltung der anarchosyndikalistischen CNT: „Die andauernden Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fraktionen bleiben der Vergangenheit verhaftet, begründen sich, wie gezeigt, aus unterschiedlichen Lesarten der CNT-Politik im Bürgerkrieg und speisen sich aus persönlichen Animositäten“.

Konservative feiern Franco

Froidevaux macht aber auch das Ausmass des Terrors deutlich, mit dem der spanische Faschismus sein proklamiertes Ziel, Spanien von allen Linken, Gottlosen und Freimaurern zu säubern, vor allen in den ersten Jahren gnadenlos umsetzte. Froidevaux geht von mindestens 150.000 Ermordeten aus. Wesentlich höher war

die Zahl der Gefolterten und der ZwangsarbeiterInnen, die etwa die Monumentaldenkmäler des Regimes errichten mussten. Auch die Erinnerung an das republikanische Spanien wurde mit massivem Terror rigoros unterbunden. Froidevaux spricht von einem Memorizid. „Auf diese Weise ging linke Identität verloren, begleitet und verstärkt durch den Verlust kollektiver Erinnerung“. Der Memorizid führte dazu, dass auch nach der sogenannten „Transición“, bei der aus Franco-FaschistInnen wieder Konservative wurden, die Geschichte der spanischen Revolution nicht erzählt wurde. Es gab auch keine Gerechtigkeit für die Opfer der faschistischen Gewaltpolitik. Erst mit grosser Verspätung gab es in den 1990er Jahren die ersten Versuche, von den faschistischen Schergen Ermordete umzubetten und Gedenkorte einzurichten. „Das Vergessen setzt sich durch“, das gilt auch für die Nachfranco-Ära. Froidevaux kommt bei aller Kritik im Detail zu dem Fazit, dass es angesichts der Kräfteverhältnisse keine Alternative zur Politik der „Transición“ gegeben habe. Doch angesichts der portugiesischen Revolution und dem weltweiten revolutionären Aufbruch, der Mitte der 1970er Jahren noch im Gang war, sollte man dahinter ein grosses Fragezeichen setzen. Und man sollte nie vergessen, es waren deutsche ChristdemokratInnen und die konservative FAZ, die bis zum Schluss Franco als Bollwerk des christlichen Abendlands gegen den Kommunismus feierten. So schrieb ein Robert Held 1961 zum 25. Jahrestag des Putsches in der FAZ, die Obristen hätten das Schlimmste gerade noch verhindert – womit die spanische Revolution gemeint war.

Alexandre Froidevaux: „Gegengeschichten oder Versöhnung? Erinnerungskulturen und Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur ‚Transición‘ (1936-1982)“ Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2015,   600 Seiten, ca. 30 Franken

Peter Nowak

vorwärts – die sozialistische zeitung, Nr. 27/28 vom 15. Juli 2016,

Dokumentiert auf Schattenblick:

http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/vorw1207.html

Nr. 27/28 – 72. Jahrgang – 15. Juli 2016, S. 8

Ein kürzlich publiziertes Buch des Historikers und Romanisten Alexandre Froidevaux beschäftigt sich mit der Erinnerungsgeschichte der spanischen Arbeiterbewegung vom Bürgerkrieg bis zur sogenannten „Transición“.

Der 19. Juli 1936 war für viele ZeitgenossInnen in aller Welt ein wichtiges Datum. In Spanien stoppte an diesem Tag ein Aufstand grosser Teile der Bevölkerung einen faschistischen Putsch. „No pasarán!“, sie werden nicht durchkommen, wurde zum geflügelten Wort. In aller Welt entstanden Solidaritätskomitees für die spanische Revolution, an denen sich auch viele KünstlerInnen beteilig-

Nach vorne erinnern

Peter Nowak über ein Buch zur Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung

Große Teile der spanischen Rechten, der konservativen Presse, aber auch die Leitung der Madrider Universität liefen Anfang 2016 Sturm gegen Pläne der auf einer linken Bürgerliste gewählten Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena, in der spanischen Hauptstadt Straßen umzubenennen, die noch immer die Namen von Generälen und Politikern des Franco-Regimes tragen. Der Sieg, den der spanische Faschismus mit tatkräftiger Unterstützung seiner Verbündeten aus Nazi-Deutschland und Mussolini-Italien 1939 errang, hat Auswirkungen bis heute. Das ist das Fazit des Historikers und Romanisten Alexandre Froidevaux, dessen Buch „Gegengeschichten oder Versöhnung?“ einen guten Einblick in die spanische Erinnerungskultur gibt. Im Fokus steht die spanische Arbeiterbewegung zwischen 1936 und 1982. Am 19. Juli 1936 wehrten sich große Teile der Bevölkerung zunächst erfolgreich gegen einen Putsch rechter Militärs. „¡No pasaran!“ (sie werden nicht durchkommen) wurde für kurze Zeit zur einigenden Parole der zerstrittenen spanischen Arbeiterbewegung. Froidevaux zeichnet die Debatten im sozialistischen, kommunistischen und anarchistischen Lager nach und benennt auch die gravierenden politischen Fehler aller Strömungen. Nach der Niederlage des republikanischen Spaniens bewerteten die unterschiedlichen linken Fraktionen die historischen Ereignisse gegensätzlich, wie der Autor am Beispiel des sogenannten Casado-Putsches vom 6. März 1939 zeigt. Teile der Anarchisten und Sozialisten rechtfertigten ihn als Widerstand gegen stalinistische Durchhalteparolen. Die Kommunisten und eine sozialistische Minderheit sahen in ihm die Ursache dafür, dass die Faschisten die spanische Hauptstadt kampflos einnehmen konnten. Froidevaux beschreibt, wie die Faschisten das von ihnen proklamierte Ziel, Spanien von allen Linken, Gottlosen und Freimaurern zu säubern, vor allem im ersten Jahrzehnt ihrer Herrschaft umsetzten. Er geht von mindestens 150.000 Ermordeten aus. Wesentlich höher war die Zahl der Gefolterten und der Zwangsarbeiter, die auch die Monumentaldenkmäler des Regimes errichten mussten. Die Erinnerung an das republikanische Spanien wurde mit Terror rigoros unterbunden. Froidevaux spricht hier von einem Memorizid. Das Buch macht zudem deutlich, dass auf diesem Terror die Politik der „Transicion“ aufbaute, die das Franco-Regime schließlich in die westliche Wertegemeinschaft führte.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-72016/articles/in-konkret-1794.html

in: Konkret, 7/2016

Peter Nowak