Sie nannten ihn Kazik

Die Erinnerungen des polnisch-jüdischen Ghettokämpfers Rotem Simha

Die polnische Rechtsregierung hat kürzlich ein Gesetz erlassen, das bei der israelischen Regierung auf heftige Kritik stieß. Bestraft werden soll, wer Polen beschuldigt, zwischen 1939 und 1945 mit der deutschen Besatzung zusammengearbeitet und bei der Verfolgung der Juden geholfen zu haben. Da ist es ein Glücksfall, dass jetzt die Erinnerungen eines der letzten Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto neu aufgelegt worden sind.

Am 10. Februar beging der in Israel lebende Simha Rotem seinen 94. Geburtstag. »Als Kazik hatte ihn ein Kamerad aus der Kampfbewegung, gerufen«, schreibt Agnieszka Hreczuk in der Einleitung. Kazik ist ein in Polen gängiger Name, Rotem bekam ihn damals verpasst, damit er nicht als Jude erkannt wird – nicht nur von den Nazis nicht, sondern auch von Polen mit antijüdischen Ressentiments nicht. Im Buch werden viele Beispiele für den Antisemitismus in der polnischen Bevölkerung aufgeführt. Kurios allerdings, was in der Passage über seine Geldbeschaffungsaktionen für den Untergrund mitteilt. Sie mussten oft trickreich sein. Selbst Juden waren eher bereit, Wertsachen oder einen Geldbetrag zu geben, wenn sie einen nichtjüdischen Mann des polnischen Widerstands vor sich glaubten.

Die Verfolgung der polnischen Juden begann unmittelbar nach dem deutschen Überfall in aller Öffentlichkeit: »Einen Tag nach dem Einmarsch der Deutschen wurde ich Zeuge, wie Juden auf der Straße aufgegriffen und zur Zwangsarbeit abgeführt wurden … Die Deutschen verhöhnten die Juden, rissen ihnen ihre Hüte vom Kopf, stießen, schlugen und misshandelten sie«, schreibt Rotem. Auch Reaktionen in der nichtjüdischen polnischen Bevölkerung notiert er. Er vermerkt »Kollaboration« und »Denunziation von Juden und ihre Auslieferung an die Deutschen«

Gespenstisch erscheinen Rotems Schilderungen, wie die letzten Überlebenden des Warschauer Ghettoaufstands von 1943 in unterirdischen Kanälen auf ihre Rettung harrten, während über ihnen das ganze Stadtviertel von den Nazi-Okkupanten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Noch wochenlang qualmten die Ruinen mitten in der Warschauer Innenstadt, während das Alltagsleben weiterging als sei nichts geschehen. Rotem beteiligte sich mit den wenigen Überlebenden des Ghettoaufstandes im Jahr darauf auch am Warschauer Aufstand polnischer Patrioten. Im Vorfeld hatte seine Gruppe Kontakte zur nationalkonservativen Opposition aufgenommen, sich dann aber entschieden, sich der kleineren sozialistischen Widerstandsbewegung Armia Ludowa anzuschließen, die jüdische Kämpfer in ihre Reihen aufnahm. Abenteuerlich mutet die Rettung wichtiger Dokumente des Widerstands an, geborgen aus einem brennenden Gebäude und buchstäblich in letzter Minute vor dem Zugriff der Deutschen beiseite geschafft. Über zwei Wochen musste sich Rotem mit seinen Kampfgefährten in einem Keller verstecken. Sie drohten zu verdursten. Mit den Händen und primitivsten Werkzeugen buddelten sie einen tiefen Schacht, um an Trinkwasser zu gelangen.

Nach dem Ende des Krieges musste Rotem wie die meisten seiner Kampfgenossen feststellen, dass fast alle Freunde und Verwandten ermordet waren. Im Nachwort schreibt Jörg Paulsen: »Wenn wir das Zeugnis eines der wenigen Geretteten hier veröffentlichen, so mit der dringenden Bitte, ihm mit der Achtung zu begegnen, die ihm seitens der deutschen Leserschaft gebührt … Es bewahrt das Gedächtnis der Ermordeten«.

• Simha Rotem: Kazik. Erinnerungen eines Ghettokämpfers.
Verlag Assoziation A, 202 S., br., 18 €.

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Peter Nowak

Spontis, Maoisten, Feministen


Gerhard Hanloser und Ulrike Heider erinnern an den 68er-Aufbruch

»Alle diese Texte wirken völlig tot und uninteressant. Da finden sie nicht einen einzigen Artikel, den sie heute noch mit Gewinn lesen können.« So urteilte vor zehn Jahren der weit nach rechts gerückte ehemalige Aktivist der Außerparlamentarischen Opposition (Apo) Götz Aly im »Börsenblatt« über die theoretischen Texte der Neuen Linken. Der Publizist Gerhard Hanloser nahm dieses Statement zum Anlass, um an die linke Fundamentalopposition in der Bundesrepublik vor 50 Jahren und deren keinesfalls belanglos gewordene Texte und Ideen zu erinnern

In 25 Kapiteln stellt Hanloser vor, was und wer damals diskutiert wurde, darunter Mao, Marx, Lenin, Che Guevara. Die linke Literaturliste war damals jedenfalls viel umfangreicher als sie heute ist. Ernst Bloch stand ebenso darauf wie der linke Psychoanalytiker Wilhelm Reich und der Kolonialismuskritiker Franz Fanon. Einen wichtigen Stellenwert nahmen natürlich die Theoretiker der Frankfurter Schule ein, durch deren Brille junge Linke Mitte der 1960er-Jahre Marx entdeckten und studierten. Hanloser lässt nicht unerwähnt, wie enttäuscht viele waren, als sich Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gegen die Revolte wandten. Herbert Marcuse hingegen, der innerhalb der Frankfurter Schule eine Sonderstellung einnahm, unterstützte die Neue Linke vorbehaltslos. Erfreulich ist, dass Hanloser auch auf heute weniger bekannte Theoretiker wie Karl Korsch und Johannes Agnoli eingeht, die zeitweise ebenfalls viel gelesen wurden.

Der Feminismus wurde damals geboren, Simone de Beauvoir und Alexandra Kollontai standen hoch im Kurs, allerdings auch die politisch fragwürdige Valerie Solanas, die in einem Manifest zur Vernichtung aller Männer aufrief und diesen Vorsatz mit einem Attentat auf Andy Warhol gar in die Tat umsetzen wollte. Die spätere Wende des Feminismus zur Genderkritik bewertet Hanloser kritisch: »Dieser Feminismus scheint triebbiologie- und naturvergessen zu sein und trachtet, alles in Diskurse aufzulösen.«

Ein Kapitel widmet sich der Rezeption des Maoismus in der Neuen Linken. Heute werden zumeist die damals entstandenen kommunistischen Kleingruppen als abschreckende Beispiele angeführt. Der von Hanloser beleuchtete Anarchomaoismus ist hingegen kaum mehr bekannt. Er bezog sich auf das herrschaftskritische Potenzial, das in den kulturrevolutionären Elementen des Maoismus und der Parole »Bombardiert das Hauptquartier« enthalten war. Der Autor ist ein scharfer Kritiker der autoritären Linken, zu der sich einige der 68er-Aktivisten entwickelt haben. Genau so scharf kritisiert er die Spontibewegung mit ihrem Unmittelbarkeitskult und ihrem Antiintellektualismus. Viele von ihnen gehörten später zu den führenden Realos bei den Grünen.

In ihrer Kritik an Stalinisten und Spontis sind sich Hanloser und Ulrike Heider einig. Letztere war Hausbesetzerin in Frankfurt am Main, wo sie 1968 ihr Germanistikstudium begonnen hat. In einem kurzen Interview mit Hanloser betont sie die wichtige Rolle, die Lesen und die Beschäftigung mit Theorie in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis spielte. Raubdrucke waren damals eine beliebte Möglichkeit, kostengünstig an gefragte Autoren zu gelangen. Erst viel später wurden linke Autoren auch in großen Verlagen aufgelegt.

Ulrike Heider hat selbst einen Erlebnisbericht vorgelegt, in dem sie ihre Politisierung in der APO beschreibt, die für sie Aufbruch und Befreiung bedeutete. Sie lehnt es vehement ab, die damaligen Kämpfe als eine Kette von Fehlern, Irrtümern, Illusionen zu charakterisieren. Dabei verklärt die Autorin jene Zeit keineswegs. Sie selbst saß oft zwischen allen Stühlen, kritisierte den Konformismus der einen und den Gruppenzwang der anderen. Auch die Gurus der selbst ernannten Antiautoritären, deren Toleranz auf Grenzen stieß, wenn es um die Verteidigung der eigenen Machtpositionen ging, werden von Ulrike Heider witzig und treffend demaskiert. Einer von ihnen wurde später Außenminister und war für den NATO-Krieg gegen Jugoslawien mitverantwortlich: Joseph »Joschka« Fischer.

Ulrike Heider erlaubte sich, auch mal Urlaub vom linken Frankfurter Milieu zu machen und unternahm längere Reisen in die USA. Auch die dortige anarchistische Linke wird von ihr der Kritik unterzogen. Der Schluss ist märchenhaft. Ulrike Heider versteckt einen Laptop in ihrer Wohnung vor möglichen Einbrechern, als es diese Geräte noch nicht gegeben hat. Egal, die Bücher von Hanloser und Heider ergänzen sich famos.

• Gerhard Hanloser: Lektüre und Revolte. Eine Textsammlung der 68er Fundamentalopposition.
Unrast, 165 S., br., 9,80 €
• Ulrike Heider: Keine Ruhe nach dem Sturm.
Bertz + Fischer, 305 S., geb., 18 €

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Peter Nowak

Paarweise undogmatisch

Neuerscheinungen von Emmy und Roman Rosdolsky

„Mit permanenten Grüssen“ ist eine merkwürdige Form, sich in einen Brief zu verabschieden. „Paarweise undogmatisch“ weiterlesen

„Wissenschaftsethisch halte ich diesen ganzen Verharmlosungsdiskurs für eine Katastrophe“

Das "Diesel-Urteil" des Bundesverwaltungsgerichts und die Wissenschaft. Interview mit Wolfgang Hien vom Bremer Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie

Telepolis sprach mit Wolfgang Hien[1] vom Bremer Forschungsbüro für Arbeit, Gesundheit und Biographie. Hien beschäftigt sich mit Gesundheitsbelastungen innerhalb der Wohn- und Arbeitswelt. Im VSA-Verlag ist sein Buch „Kranke Arbeitswelt“[2] erschienen.

Hat nicht auch die Umweltwissenschaft versagt,…

„„Wissenschaftsethisch halte ich diesen ganzen Verharmlosungsdiskurs für eine Katastrophe““ weiterlesen

Arbeiten ohne Chef

Ein Interview mit Hansi Oostinga von der Föderation „union coop“

„Ohne Chef arbeiten? Basisdemokratisch und selbstorganisiert? Wir wagen den Versuch, weil das für uns die einzig menschliche Art des Wirtschaftens ist.“ So heißt es in der Selbstdarstellung der „union coop“, einer Föderation, in der sich Betriebe zusammengeschlossen haben, die diesen Weg gehen. Seit Kurzem können über die Homepage https://www.union-coop.org Produkte aus Kollektivbetrieben gekauft werden. Peter Nowak sprach in Berlin für die Graswurzelrevolution mit Hansi Oostinga von der Union Coop über das Konzept.

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Dresden hat das Betteln mit und von Kindern unter Strafe gestellt

In Dresden hatten verschiedene politische Initiativen gegen ein Bettelverbot in der Stadt protestiert. Peter Nowak sprach mit zwei Mitgliedern der Bettellobby

In der vorletzten Woche hat der Dresdner Stadtrat das Bettelverbot beschlossen. Welche Konsequenzen hat diese Maßnahme?

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Klassenbrüder in Spitzbergen

Syndikalisten gibt es in den entlegensten Teilen der Welt, ein Buch widmet sich ihrer Geschichte

»Die Syndikalistische Föderation Spitzbergens sendet von den arktischen Regionen den Klassenbrüdern in allen Ländern ihre brüderlichen Grüße und hofft auf den Durchbruch des Syndikalismus unter dem Proletariat in aller Welt.« Die 1925 von Kohlearbeitern im hohen Norden geäußerten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Aber das Beispiel macht deutlich, dass die syndikalistische Strömung der Gewerkschaftsbewegung selbst in den entlegensten Teilen der Welt bei den Arbeiter_innen auf Zustimmung gestoßen ist. Daran erinnert der Bremer Historiker Helge Döhring in seiner Einführung in den »Anarcho-Syndikalismus«. 

Der Titel des Buches ist etwas missverständlich, denn Döhring schildert darin auch die tiefen Konflikte der Syndikalist_innen mit Teilen der anarchistischen Strömungen. Die Grundsätze des Syndikalismus fasst Döhring so zusammen: »Syndikalismus beginnt dort, wo sich auf ökonomischer Ebene Menschen zusammenschließen, um sich im Alltag gegenseitig zu helfen, mit dem Ziel, der Ausbeutung der Menschen ein Ende zu bereiten.« Damit teilen sie auch die Ziele der marxistischen Arbeiter_innenbewegung. Doch im Gegensatz zu ihnen lehnen die Syndikalist_innen zentralistische Strukturen ab und favorisieren Streiks und Klassenkämpfe statt Kungelrunden mit den Bossen. 

Doch Döhring zeigt auch an zahlreichen Beispielen auf, dass Syndikalist_innen häufig Kompromisse machten, wenn sie einflussreicher wurden. Besonders in Schweden ist die mächtige syndikalistische Gewerkschaft in den Staatsapparat integriert. Das führte immer wieder zu Spaltungen und Streit zwischen den Anhänger_innen der reinen Lehre und angeblichen Revisionist_innen. Darin sind sich die marxistische und die syndikalistische Bewegung ähnlich. Als syndikalistischen Revisionismus bezeichnet Döhring die Ansätze des späten Rudolf Rocker. Der wichtigste Kopf des deutschsprachigen Syndikalismus näherte sich nach 1945 der Sozialdemokratie an. Anders als in den spanischsprachigen Ländern und Teilen Skandinaviens blieb der Syndikalismus in Deutschland minoritär. 

Das letzte »Perspektiven« überschriebene Kapitel des Buches ist leider etwas kurz geraten. Dort prognostiziert Döhring, dass die Syndikalist_innen von dem Rückgang der fordistischen Großindustrie und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust der DGB-Gewerkschaften profitieren könnten. Dabei beruft er sich auf historische Erfahrungen, nach denen syndikalistische Gewerkschaften in den Bereichen an Einfluss gewonnen haben, in denen Zentralgewerkschaften entweder gar nicht oder nur schwach präsent waren. So haben sich etwa Arbeitsmigrant_innen in den USA und anderen Ländern verstärkt in syndikalistischen Gewerkschaften organisiert. Ein Grund dafür liegt in den Hürden, die ihnen die meisten etablierten Gewerkschaften stellten. 

Auch die Arbeitskämpfe, die in Deutschland in den letzten Jahren von der syndikalistischen Freien Arbeiter Union (FAU) geführt wurden, fanden in Branchen statt, in denen die DGB-Gewerkschaften kaum vertreten sind. Das trifft für die Kinos ebenso zu wie für die Fahrradkurier_innen. Leider ist Döhring auf diese aktuellen Kämpfe nicht detaillierter eingegangen und hat in der Literaturliste die Bücher, die über diese neuen Arbeitskämpfe erschienen sind, nicht aufgeführt. Trotzdem ist seine gut verständliche Einführung in die syndikalistische Arbeiter_innenbewegung zu empfehlen. 

Helge Döhring: Anarcho-Syndikalismus. Einführung in die Theorie und Geschichte einer internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung, 228 S., 16 €.

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Peter Nowak

»Oftmals heuchlerisch«

Der Bremer Medizinsoziologe Wolfgang Hien warnt seit langem davor, die gesundheitliche Belastung durch Schadstoffemissionen der Industrie zu unterschätzen. Die Aufregung über die Abgastests der deutschen Autobauer verkenne die eigentliche Dimension der Probleme.

Wolfgang Hien ist Arbeitswissenschaftler und Medizinsoziologe. Er leitet die Forschungsstelle Arbeit, Gesundheit und Biographie in Bremen und beschäftigt sich mit Gesundheitsbelastungen innerhalb der Wohn- und Arbeitswelt. Im VSA-Verlag ist sein Buch »Kranke Arbeitswelt« erschienen.
Am 9. Februar hält er im FAU-Lokal in Berlin einen Vortrag zum selben Thema.

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Alexander Berkman

Im Januar 1920 wurde der Anarchist Alexander Berkman zusammen mit seiner Genossin Emma Goldman aus den USA in die Sowjetunion abgeschoben. Auch als beiden zwei Jahre später enttäuscht über die autoritäre Entwicklung und die Niederschlagung des Aufstands von Kronstadt das Land wieder verließen, änderte Berkman nichts an den Sätzen, mit denen er die Gefühle beim Eintreffen in der Sowjetunion beschrieb: »Mir war danach, die ganze Menschheit zu umarmen, ihr mein Herz zu Füßen zu legen, mein Leben tausendfach im Dienste der sozialen Revolution hinzugeben. Der schönste Tag meines Lebens«. Diese Notizen nimmt Bini Adamczak zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen über mögliche alternative Pfade der Revolution. Dabei geht sie auch auf historisch wenig bekannte Ereignisse ein. So kam in Finnland ganz ohne Gewalt eine linke Regierung an die Macht, die ihre Gegner zu überzeugen versuchte. Die aber entfachten den Weißen Terror, dem in wenigen Monaten 8.500 Menschen zum Opfer fielen; noch mehr starben in den von den Rechten eingerichteten Konzentrationslagern. Im Juni 1918 übernahm für kurze Zeit ein von den Menschewiki und Rechten Sozialrevolutionär_innen dominierter Block die Macht in der Wolgaregion. Doch bald gingen reaktionäre Kräfte mit Terror gegen die Linke vor. Diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur an den Bolschewiki lag, dass die Revolution abgewürgt wurde. Bini Adamczak widerlegt alle, die mit der Oktoberrevolution schon den Weg in den Stalinismus vorgezeichnet finden.

Peter Nowak

Bini Adamczak: Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman. Vom möglichen Gelingen der russischen Revolution. Edition Assemblage, Münster 2017, 150 Seiten, 12,80 EUR.

https://www.akweb.de/ak_s/ak634/11.htm
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 634 / 23.1.2018

»Campact ist so lebendig wie zuvor«

Felix Kolb über die Ermittlungen nach dem Brand im Materiallager des Netzwerks

In der Nacht zum 9. Januar brannte das Lager des Aktivistennetzwerks Campact in Verden komplett ab. Der Staatsschutz geht von Brandstiftung aus. Peter Nowak sprach über die Folgen und den Stand der Ermittlungen mit dem Campact-Vorstandsmitglied und Politikwissenschaftler Felix Kolb.

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Die Möglichkeit des radikal Anderen

100 Jahre nach der brutalen Niederschlagung: Autor Simon Schaupp über die Bedeutung und Erforschung der Bayerischen Räterepublik

Zur Person

Simon Schaupp ist Soziologe und in der Technischen Universität München als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Er hat kürzlich im Unrast-Verlag »Der kurze Frühling der Räterepublik – ein Tagebuch der bayerischen Revolution« herausgeben. Am 26.1. stellt Schaupp das Buch im Berliner FAU-Lokal in der Grüntaler Straße 24 vor.

Mit dem Wissenschaftler sprach Peter Nowak.

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Schweigen und Verschleppung

Ein neues Buch über das Leben von Roman Rosdolsky und dessen Frau Emmy, die Trotzki nahestanden, gibt die Möglichkeit, das Werk eines wenig bekannten marxistischen Ökonomen kennenzulernen.

«Mit permanenten Grüssen» ist eine merkwürdige Form, sich zu verabschieden. Manche dürften sich dabei…

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»Hetze gegen die Antifa«

Nach über drei Jahren endete der Rechtsstreit zwischen der FPÖ und dem Erfurter Videokollektiv ­»Filmpiratinnen und Filmpiraten« mit einem Vergleich. Die FPÖ muss dem Thüringer Verein etwa 6 100 Euro überweisen und sich schriftlich verpflichten, dessen Videomaterial künftig nicht mehr zu verwenden. Der Filmpirat Jan Smendek im Gespräch.

Was war der Hintergrund des Rechtsstreits mit der FPÖ?

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„Er teilt das Schicksal vieler linker Querdenker“

Willy Huhn war zu links für die SPD und vergessener Pionier der Westberliner Anti-AKW- Bewegung. Der Politikwissenschaftler Jochen Gester hat ein Buch über ihn veröffentlicht 

Der Autor und das Buch
Jochen Gester, Politikwissenschaftler, 1951 geboren, Ende der Sechziger durch die Außerparlamentarische Bewegung politisiert. In den Siebzigern am Versuch kommunistischer Gruppen beteiligt, die Betriebe zu politisieren. Seit Jahren ehrenamtlich in der IG Metall aktiv.
In seinem Verlag „Die Buchmacherei“ veröffentlichte Gester Ende 2017 die Biographie „Auf der Suche nach Rosas Erbe“ über den weitgehend vergessenen Berliner Linkssozialisten Willy Huhn.

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Die Scham eines Berliner Rätemanns

Mit Willy Huhn verlieren seine persönlichen und politischen Freunde einen guten Genossen, der als sozialistischer Theoretiker, Pädagoge und Publizist eine wertvolle politische Arbeit geleistet hat … Am meisten erstaunte sein enzyklopädisches Wissen, das er sich autodidaktisch angeeignet hat.« Mit diesen Worten würdigten Westberliner Jungsozialisten am 24. Februar 1970 Willy Huhn an dessen Grab. Verabschiedet wurde ein Mann, der in seinen letzten Jahren eng mit der jungen Generation der sich gerade entwickelnden außerparlamentarischen Bewegung verbunden war und ihr die Ideen des Rätekommunismus zu vermitteln suchte. Huhn gehörte zudem zu den frühen Kritiker der Atomkraft, nicht nur für militärische Zwecke, sondern auch zur sogenannten friedlichen Nutzung. Bereits Ende der 1950er Jahre hatte er in Westberlin eine Anti-AKW-Initiative ins Leben rufen wollen.

Es ist Jochen Gester, Gründer des Verlags Die Buchmacherei zudanken, dass nach Jahrzehnten des Vergessens an Willy Huhn erinnert wird. Das vorzüglich lektorierte Buch gibt einen Überblick über dessen Leben und Kampf links von SPD und KPD, gegen stalinistische und sozialdemokratische Konterrevolution, was ihn nicht vor fatalen politischen Fehlschlüssen bewahrte.

In seiner Kindheit und Jugend litt Huhn unter einem tyrannischen Vater, der ihn mehrmals krankenhausreif schlug. »Ich habe Prügel bekommen … viel Prügel, Prügel über Prügel und noch mal Prügel«, schrieb er, als er die sozialistische Jugendbewegung entdeckte und entschied: »Der Sozialismus – ich gehöre ihm.« Er wurde dann jedoch Mitglied der »Roten Kämpfer«, einer rätekommunistischen Gruppierung, die sich dem Erbe von Rosa Luxemburg verpflichtet fühlte. Nach Hitlers Machtantritt 1933 gingen einige seiner Freunde in den Widerstand, andere versuchten im NS-Staat zu überwintern. Huhn selbst wurde 1941 zum Protagonisten des deutschen »Endsiegs«. Diese erschreckende Äußerung fand Gester in Huhns Nachlass.

Es ist gut, dass der Biograf diese Epoche in Huhns Leben nicht unterschlug. Der Leser lernt keinen Helden kennen, sondern eine widersprüchliche Person, die neben scharfsinniger Kritik am Nominalsozialismus und sozialdemokratischen Etatismus in einer Zeit, da das NS-Regime Europa mit Terror überzog, Sätze wie diese notierte: »Wir können uns jedenfalls keine Parlamentarisierung Deutschlands noch die Balkanisierung Mitteleuropas wünschen, solange die übrige Welt imperialistisch ist. Deshalb muss Deutschland siegen.«

Nach 1945 äußerte Huhn Scham über seine NS-Apologie und erklärte sie mit Vereinsamung und mangelndem Kontakt zu Genossen. Nach einem kurzen Intermezzo in der Sowjetischen Besatzungszone, wo er der KPD und später der SED beitrat, allerdings alsbald in Konflikt mit der autoritären Partei geriet, übersiedelte er nach Westberlin und gehörte der SPD an, die ihn ausschloss, als er deren Rolle in der Novemberrevolution kritisierte.

Huhn hinterließ zahlreiche Texte, die in dem Buch teils erstmalig veröffentlicht sind, allerdings nur in einer Auswahl.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1076130.die-scham-eines-berliner-raetemanns.html

Jochen Gester: Auf der Suche nach Rosas Erbe. Der deutsche Marxist Willy Huhn (1909 – 1970). Die Buchmacherei, 627 S., br., 22 €.