Linke Gegner im Visier

Auch rund 20 Neonazis randalierten am Samstag im Hamburger Szeneviertel St. Pauli.

Am Wochenende waren in Hamburg auch Neonazis aktiv. Unter dem Motto „Unsere Heimat wieder unter Kontrolle bringen“ hatten die „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) zu einer gemeinsamen Zugfahrt von Hannover nach Hamburg aufgerufen. Damit reagierten sie auf die Berichte über die G20-Proteste in Hamburg.

Die HoGesa ist für ihre hohe Gewaltbereitschaft bekannt, nachdem es bei einem Aufmarsch in Köln im Oktober 2014 zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen war. Die Polizei kontrollierte in Hannover 25 Personen, die sich am angegebenen Treffpunkt am Raschplatz in der Nähe des Hauptbahnhofs eingefunden hatten. Vier Personen mit Kontakten in die rechte Szene wurden nach Angaben der „Hannoverschen Allgemeinen“ (HAZ) festgenommen. Sie sollen Fahrkarten nach Hamburg und verdächtige Gegenstände bei sich gehabt haben. Keiner der Hooligans konnte die Fahrt von Hannover nach Hamburg antreten. Unter den kontrollierten Personen waren nach Angaben von Beobachtern der rechten Szene des Antifaschistischen Nachrichtenportals Niedersachsen Neonazis aus dem Umfeld des „Nationalen Widerstand Niedersachsen Ost“, der in Salzgitter aktiv ist.

Linke Kneipen und Treffpunkte angegriffen

In anderen Städten wurde der Abfahrtsort von HoGeSa wohl nicht so offen verbreitet. Am späten Samstagabend versammelten sich rund 20 Neonazis im Hamburger Szeneviertel St. Pauli. Sie griffen linke Kneipen und Treffpunkte mit Flaschen an, wurden aber schnell von Passanten verjagt, die sich auf der Straße aufhielten. Die Polizei nahm mehrere Rechte fest, die die Nacht in der Polizeisammelstelle in Hamburg-Harburg verbringen mussten, ehe sie im Laufe des Sonntags wieder freigelassen wurden.

Auch rund 20 Neonazis randalierten am Samstag im Hamburger Szeneviertel St. Pauli.
Während die HoGeSa-Mobilisierung das Ziel hatte, linke G20-Gegner anzugreifen, ist von einer rechten Beteiligung an den G20-Protesten nichts bekannt. Der Hamburger NPD-Landesverband hatte im Vorfeld angekündigt, mit einen eigenen Block mit NPD- und Deutschlandfahnen bei den Protesten „die nötige nationale Grundeinstellung zu vermitteln“. Auch das neonazistische „Antikapitalistische Kollektiv“ hatte im Internet zur Beteiligung an den G20-Protesten aufgerufen, ohne dass sie wahrgenommen wurden.

Die rechtspopulistische Kleinstpartei „pro Deutschland“ hat ihre im Februar 2017 großspurig angekündigte Pro-Trump-Demonstration in Hamburg während des G20-Gipfels offiziell mit der Begründung abgesagt, der US-Präsident habe in rechten Kreisen durch die Bombardierung Syriens an Sympathie verloren. Beobachter hielten die Demoankündigung von Anfang an für eine PR-Aktion der kaum noch relevanten Rechtspartei.

aus Blick nach Rechts: > 10.07.2017

https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/linke-gegner-im-visier
Peter Nowak

Widerstand gegen Zwangsräumungen von Mietern weitet sich aus

Seit Jahren werden in Deutschland tagtäglich Mieter zwangsweise geräumt, weil sie ihre Miete nicht zahlen können. Lange Zeit hat sich dafür kaum jemand interessiert. Dass hatte sich seit Herbst 2012 geändert, als  in Berlin eine Bewegung gegen solche Zwangsräumungen entstanden ist.  Die betroffenen Mieter gingen gemeinsam mit  Mieterinitiativen und solidarischen Nachbarn an die Öffentlichkeit.  Der Tag der Zwangsräumung wurde so zum  Tag des Protests gegen hohe Mieten und Vertreibung von einkommensschwachen Menschen. In den letzten  Wochen gab es erstmals seit Jahren auch in anderen Städten solche Proteste gegen Zwangsräumungen.

70jähriger in Hamburg  zwangsgeräumt
Am 11. Juli beteiligten sich etwa 50 Menschen aus der Nachbarschaft und aus Mieterinitiativen an Protesten gegen die Zwangsräumung des  70jährigen Hans Werner M. durch Polizei und Gerichtsvollzieher.  Die SAGA GWG und das städtische Unternehmen Fördern & Wohnen (f&w) bestanden  trotz der Proteste  auf  der Durchsetzung der Räumung, schoben aber die Verantwortung auf die jeweils andere Partei. Der zwangsgeräumte Mieter bedankte sich bei den Unterstützern für die Solidarität. Er  unterschrieb schließlich einen Mietvertrag für eine ihm unbekannte Wohnung, weil ihm sonst die Obdachlosigkeit und die Einlagerung seines Hausrats auf eigene Kosten gedroht hätten. Der Mieteranwalt Andreas Blechschmidt erklärte, dass  Hans-Werner M. ohne den Protest gegen die auf der Straße gelandet wäre. „Es gibt in Hamburg etwa 1000 Zwangsräumungen pro Jahr Die Hälfte der Betroffenen wird obdachlos, „ erklärte der Jurist.
Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ in NRW gegründet
Auch in Nordrhein-Westfalen hat sich vor einigen Wochen ein Bündnis unter dem Motto „Zwangsräumung verhindern, Menschenrechte schützen, Solidarität zeigen“ (http://zrvnrw.wordpress.com/) gegründet. In Krefeld wurde eine terminierte Zwangsräumung nach Ankündigungen  von Protesten verschoben. Auch in Düsseldorf und Köln haben sich von der Räumung bedrohte Mieter an die Öffentlichkeit gewandt und  bekommen  von dem Bündnis Unterstützung. Am 15. Juli gab es in Bottrop Proteste gegen die Zwangsräumung der Mieterin Ursula K.  Ihr war nach langem Streit mit den Eigentümern  gekündigt worden. Die Kündigung wurde in zwei Instanzen vom Gericht  bestätigt. Die Mieterin wandte sich an das Protestbündnis. Am 15. Juli waren ca.30 Personen vor Ort, die aber die Räumung nicht verhindern konnten. Mehrere  Teilnehmer der Proteste waren nach einem Blockadeversuch kurzzeitig festgenommen worden. Nach der Sommerpause lädt das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ ein NRW-weites Treffen ein  auf dem   es um die bessere e Koordinierung und Effektivierung ihrer Arbeit gehen soll.

aus:   MieterEcho online 26.07.2013

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/zwangsraeumungen-in-anderen-staedten.html

Peter Nowak

Was darf Satire?

UNImedien: Hans Martin Schleyer und ein Studentenkalender

»AStA beleidigt RAF-Opfer in Taschenkalender«. titelte unlängst das »Hamburger Abendblatt«. Der stellvertretende Gruppenvorsitzende des Hamburger RCDS, Ramon Weilinger, sprach im »Deutschlandfunk« von »Menschenverachtung«. In einen Brief an die Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung monierte der Hamburger RCDS über »die latent verfassungsfeindliche Gesinnung einzelner Mitglieder des AStA«. Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Walter Scheuerl stellte bereits eine Anzeige gegen AStA-Mitglieder.

Was sich wie ein Remake auf den deutschen Herbst vor mehr als drei Jahrzehnten anhört, sind Meldungen vom November 2012. Stein des Anstoßes ist ein kurzer Eintrag in dem gerade veröffentlichten »KalendAStA 2013«, wie der alljährlich vom Hamburger AStA herausgegebene Taschenkalender heißt. Unter dem Datum des 18. Oktober ist dort zu lesen: »Mit seinem Tod schafft Hanns Martin Schleyer die Voraussetzung für die nach ihm benannte Mehrzweckhalle in Stuttgart.« Am 18. Oktober 1977 war Schleyer nach sechswöchiger Entführung von der RAF getötet worden. AStA-Vorstandsmitglied Simon Frerk Stülcken erklärt, dass mit dem Eintrag in satirischer Form darauf hingewiesen werden soll, dass in Stuttgart eine Mehrzweckhalle nach einem Mitglied der Waffen-SS benannt wurde. Dieser Teil der Schleyer-Biographie ist historisch unstrittig. Stülcken sagt, er sei sich bewusst, dass die satirische Darstellung nicht den Geschmack aller Leser treffe. Aber erkenne man eine gelungene Satire nicht gerade daran?

Im »Deutschen Herbst« 1977 wurden zahlreiche Asten wegen des sogenannten Mescalero-Aufrufs durchsucht, der sich ebenfalls satirisch mit RAF-Aktionen auseinandersetzte. Dazu ist es jetzt nicht gekommen. Doch der Ruf nach Sanktionierung und Bestrafung ist auch heute schnell zu hören.
http://www.neues-deutschland.de/rubrik/medienkolumne/
Peter Nowak

Moscheen gehören zu Hamburg

Hamburg unterzeichnete ersten Staatsvertrag mit Vertretern von Moslems und Aleviten

„Wir nehmen darin die Anwesenheit des Islam und des Alevitentums als in unserer Gesellschaft gelebte Religionen bewusst wahr. Wir bestätigen die Rechte, die den muslimischen und alevitischen Bürgerinnen und Bürgern zustehen, wozu die Unterhaltung von Kultureinrichtungen der Bau von Moscheen, die Anstaltsseelsorge und auch Bestattungen nach islamischem bzw. alevitischem Ritus gehören“, erklärte der Regierende Bürgermeister von Hamburg Olaf Scholz heute im Rathaus der Hansestadt.

Gerade hatte er einen Vertrag mit islamischen und alevitischen Religionsgemeinschaften unterzeichnet und damit bundesdeutsche Geschichte geschrieben. Hamburg ist das erste Bundesland, das eine solche Vereinbarung unterzeichnet hat. Neben der alevitischen Gemeinde gehört die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, der Schura Hamburg und der Verband der Islamischen Kulturzentren zu den Vertragspartnern.

Den Verträgen zufolge sollen die islamischen Feiertage den christlichen gleichgestellt werden. Lohnabhängige dürfen sich an diesen Tagen freinehmen, müssen die Zeit allerdings nacharbeiten. Muslimische Schüler brauchen an ihren Feiertagen nicht in die Schule zu kommen. Auch der Religionsunterricht an staatlichen Schulen wird durch den Vertrag geregelt. Die evangelische Kirche soll sich die Verantwortung für diese Stunden künftig gleichberechtigt mit den muslimischen Gemeinden teilen. Auch Muslime dürfen das Fach dann unterrichten, wenn sie das zweite Staatsexamen besitzen. Die Verbände bekennen sich zur Achtung und Toleranz gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen.

Niederlage für die säkulare Gesellschaft?

An großen Worten fehlte es während der Vertragsunterzeichnung nicht. Scholz würdigte die Unterzeichnung als „Meilenstein“ und als Zeichen des Respekts gegenüber den Muslimen. Der Hamburger DITIB-Vorstandchef Zekeriya Altug sprach von „einem historischen Tag für Hamburg, aber auch für Deutschland“ und drückte die Hoffnung aus, dass auch andere Bundesländer solche Verträge abschließen.

Angesichts der Anschläge gegen Moscheen auch in Hamburg kann man das Pathos verstehen. Allerdings stellt sich auch die Frage, warum wegen dieser Angriffe nicht etwa die Individualrechte, sondern die Religionsgemeinschaften gestärkt werden müssen. Kritik an dem Vertrag kommt denn auch von der Hamburger FDP-Fraktion. Nach Ansicht der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Anna von Treuenfels handelt es sich um einem „unnötigen und unpräzisen Staatsvertrag, inakzeptabel an der Bürgerschaft vorbei ausgehandelt“.

Die Vereinbarungen seien „vielfach so unpräzise, dass sie zu unterschiedlicher Auslegung oder zu juristischen Auseinandersetzungen geradezu einladen“, monierte die liberale Politikerin gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Als Ausweis eines Bekenntnisses zu einer säkularen Gesellschaft kann eine solche Kritik allerdings nur dann gelten, wenn sie auch gegen die bestehenden Privilegien der christlichen Mehrheitsreligionen vorgebracht wird, wie es beispielsweise die strikt einer säkularen Gesellschaft verpflichtete Aktion 3.Welt Saar praktiziert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153182
Peter Nowak
Peter Nowak

Die halbe Miete

In Hamburg, Berlin und auch im beschaulichen Freiburg formiert sich der Protest gegen steigende Mieten und Verdrängung.

Vor 25 Jahren wurde ein kleines Areal am Hamburger Hafengelände zum Schauplatz aufsehenerregender Proteste. Mit Barrikaden wehrten sich damals die Bewohner der Hafenstraße, unterstützt von Tausenden Linken aus ganz Europa, gegen die von Politik und Justiz beschlossene Räumung ihrer Häuser. Mit Erfolg, selbst das Hamburger Bürgertum wollte sich das Weihnachts­geschäft nicht durch Bambule nach einer Häuserräumung verderben lassen.

Am Wochenende werden die Hamburger Barrikadentage von 1987 Anlass für eine Veranstaltungsreihe in den Häusern der Hafenstraße sein. Vor den Filmvorführungen, Lesungen und Diskussionen wollen die Protestveteranen am 10. November an einer Demonstration gegen steigende Mieten und Verdrängung teilnehmen, zu der zahlreiche Mieterinitiativen und das Bündnis »Recht auf Stadt« aufrufen. Auch in Berlin und Freiburg wollen am Samstag Mieter für bezahlbare Wohnungen auf die Straße gehen. In Freiburg wird mit dem Slogan »Bezahlbarer Wohnraum ist die halbe Miete« eine konkrete Forderung gestellt. In Berlin wird hingegen mit der allgemein gehaltenen Parole »Die Stadt von morgen beginnt heute« mobilisiert.

Mit diesem bundesweit koordinierten Aktiontag wollen Mieterinitiativen die Proteste der vergangenen Monate zuspitzen. Die Auswahl der Protest­orte macht deutlich, dass steigende Mieten und die Verdrängung von Menschen mit geringen Einkommen in Freiburg, der Hochburg der grünen Bionadebourgeoisie, ebenso ein Problem darstellen wie im SPD-regierten Hamburg oder dem seit einem Jahr von einer Großen Koalition verwalteten Berlin. Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Abwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Berlin von der mehr als ein Jahrzehnt regierenden rot-roten Koalition eingeleitet wurde. Deshalb betont die sich in Berlin for­mierende Mieterbewegung ihre Distanz zu allen Parteien.

Ein erster Höhepunkt des Protests war eine Demonstration mit etwa 6 000 Teilnehmern im September 2011, bei der die Teilnahme von Politikern ausdrücklich nicht erwünscht war. Die Mieterdemonstrationen, die in den folgenden Monaten stattfanden, erreichten nicht mehr diese Größe. Dennoch haben die Mieterproteste einen politischen häufig erhobenen Anspruch tatsächlich erfüllt: In den vergangenen Monaten gab es einen alltäglichen Widerstand von Menschen, die man nicht unbedingt auf linken Demonstrationen antrifft. Dazu gehören die Senioren, die im Frühsommer eine von der Schließung bedrohte Seniorenbegegnungsstätte in der Stillen Straße im Berliner Stadtteil Pankow besetzten. Sie hatten Erfolg, ihre Einrichtung soll nun unter dem Dach des Wohlfahrtsverbands Volkssolidarität weitergeführt werden. Im Bezirk Friedrichshain konstituierten sich vor einigen Monaten die Palisadenpanther, die sich nach der Straße benannten, in der sich ihre Seniorenwohnanlage befindet. Nach der Ankündigung einer drastischen Mieterhöhung probten die Senioren den Widerstand.

Wie die Rentner aus Pankow sehen sich auch die Palisadenpanther als Teil einer berlinweiten Mieterbewegung. Zum Bezugspunkt dieses neuen Mieteraktivismus wurde ein seit Ende Mai von Kreuzberger Mietern getragenes Protestcamp am Kottbuser Tor (Jungle World 24/2012). Daran beteiligen sich neben jungen Linken aus dem autonomen Spektrum vor allem Menschen, die vor mehreren Jahrzehnten aus der Türkei nach Berlin gekommen sind. Eine wesentliche Forderung, die auch bei einer am 13. November im Berliner Abgeordnetenhaus stattfindenden Konferenz zum sozialen Wohnungsbau thematisiert werden soll, ist das Absenken der Kaltmieten auf vier Euro pro Quadratmeter.

Damit soll verhindert werden, dass Menschen, die ALG II beziehen, aus den Innenstadtquartieren vertrieben werden. Dass deren Zahl steigt, belegt eine Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage der beiden Linksparteiabgeordneten Elke Breitenbach und Katrin Lompscher im Februar dieses Jahres. Demnach wurden in Berlin im vorigen Jahr 65 511 ALG-II-Bezieher vom Jobcenter zur Senkung der Kosten für Unterkunft und Heizung aufgefordert. Die Zahl der daraus resultierenden Umzüge sei von 428 im Jahr 2009 auf 1 313 im vergangenen Jahr gestiegen.

»Der Druck auf die Mieter nimmt zu«, sagt Petra Wojciechowski vom Stadtteilladen Lausitzer Straße, in dem sich Mieter juristisch beraten lassen können. Dieses Angebot wird vor allem von ALG-II-Empfängern genutzt, deren Jobcenter nach einer Mieterhöhung einen Teil der Kosten nicht mehr übernehmen. »Doch politischer Widerstand gegen Räumungen ist selten, weil die die Menschen sich schämen und die Schuld bei sich suchen«, sagt Wojciechowski. Ähnliche Erfahrungen hat man auch bei der Berliner »Kampagne gegen Zwangsumzüge« gemacht, die sich nach der Einführung von Hartz IV gegründet hat. Doch etwas scheint sich langsam zu ändern, seit einigen Wochen kann man an Laternen oder Hauswänden in Kreuzberg Aufkleber mit dem Slogan »Zwangsräumungen stoppen« entdecken.

Gegen die drohende Zwangsräumung ihrer Wohnung wehren sich im Bezirk gleich zwei Mieter unabhängig voneinander. So machte die verrentete Gewerkschafterin Nuriye Cengiz mit Plakaten in den Fenstern ihrer Parterrewohnung auf ihre Wohnungskündigung aufmerksam (Jungle World 32/2012). Mieteraktivisten nahmen Kontakt auf und organisierten Kundgebungen vor dem Büro der Eigentümer. Und Ende Oktober musste eine Gerichtsvollzieherin eine Zwangsräumung bei einer Familie in Kreuzberg abbrechen, etwa 150 Unterstützer versperrten ihr den Einlass (Jungle World 43/2012). In beiden Fällen sind die Kündigungen allerdings noch nicht vom Tisch. Ob sich dieser Alltagswiderstand nach dem spanischen Vorbild auf ganz Berlin und womöglich andere Städte ausweitet, ist offen. Denn er ist von einer solidarischen Infrastruktur abhängig. Dazu zählt das Kotti-Camp ebenso wie Stadtteil- und Mieterläden in einigen Stadtteilen Berlins und in anderen Städten.

Doch noch ist eine solche Infrastruktur für sozialen Widerstand die Ausnahme in Deutschland. In diese Lücke stößt derzeit eine Initiative unter dem Namen »Wir gehen mit«, die die Begleitung beim Jobcenterbesuch als unpolitische Serviceleistung anbietet und die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Erwerbslosen und Jobcenter zu ihrem Ziel erklärt. Einer solchen Entpolitisierung könnte durch eine Verbindung von Kämpfen von Mietern, Lohnabhängigen und Erwerbslosen entgegengewirkt werden.

Der Zusammenhang zwischen schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen und der drohenden Vertreibung von Mietern mit geringem Einkommen wird bei der Hamburger Bewegung »Recht auf Stadt« diskutiert. Wie schwierig die Verbindung von sozialem Aktivismus und radikaler Gesellschaftskritik ist, wird auch deutlich, wenn auf der Homepage von »Kotti und Co.« von »nachhaltigen Lösungen für den sozialen Wohnungsbau« und dem Ringen »um ein soziales Berlin von morgen« die Rede ist, ohne die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft zu erwähnen, die solchen Forderungen entgegensteht.

http://jungle-world.com/artikel/2012/45/46550.html
Peter Nowak

Berliner Gericht erklärte Überwachung von radikalen Linken für unzulässig, die Folgen dürften gering sein

Geklagt hatte einer von sechs Aktivisten der Berliner außerparlamentarischen Linken, die zwischen 1998 und 2006 vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht worden waren.
Sie wurden von den Behörden zum Umfeld der Militanten Gruppe gerechnet, die mit mehreren Anschlägen damals für Aufsehen sorgte. Für den Verfassungsschutz hatte der Rechtsprofessor Heinrich Wolff die Überwachung noch einmal vor Gericht verteidigt. Es sei Pflicht der Staatsschützer gewesen, alle Spuren zu verfolgen. Zudem seien die Beschatteten langjährige Aktivisten der linken Szene gewesen und hätten in von ihnen verfassten politischen Erklärungen Textbausteine benutzt, die auch in Erklärungen der militanten Gruppe auftauchten. Mit einer solchen Begründung wurde schon in den vergangenen Jahren unter anderem gegen den Stadtsoziologen Andrej Holm ermittelt.

Die erste Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts war von den Ausführungen des Verfassungsschutzvertreters nicht überzeugt. Sie schlossen sich in ihrem Urteil eher dem Anwalt des Klägers Volker Gerloff an, der von „abenteuerlichen Konstruktionen“ der Überwachungsbehörden sprach.

Nichttelefonieren kein Verdachtsmoment

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen seien von Anfang an nicht gegeben gewesen, meinten die 5 Richter der Kammer. Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit seien nur als letztes Mittel der Aufklärung zulässig, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben oder von vornherein aussichtslos seien.

Bereits im Antrag auf Anordnung der beabsichtigten Überwachungsmaßnahmen beim hierfür zuständigen Bundesministerium des Inneren hätte das Bundesamt diese Voraussetzungen bezogen auf den konkreten Sachverhalt darlegen müssen. In seinen Anträgen habe es aber nicht hinreichend konkret begründet, dass die mit den Maßnahmen beabsichtigte Erforschung des Sachverhalts nicht auf andere Weise hätte erfolgen können.

Auch hätten keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den vom Bundesamt geäußerten Verdacht vorgelegen, die Kläger gehörten der „militanten Gruppe“ an. Vielmehr sei aus der Analyse von Verlautbarungen verschiedener Gruppen auf die Identität der Gruppenmitglieder geschlossen worden, ohne dass ein hinreichender Bezug zu den einzelnen Klägern hergestellt worden sei. Auch andere Verhaltensweisen der Betroffenen, wie zeitweises Nichttelefonieren, habe das Bundesamt ohne weitere konkrete Anhaltspunkte in unzutreffender Weise als tatsächliche Anhaltspunkte für den angenommenen Verdacht angesehen, rügte die Kammer.

Hamburgs SPD-Senat plant Einschränkung der Grundrechte

Doch auch die juristische Niederlage des VS ändert nichts daran, dass die Ausforschung der linken Szene über Jahre stattgefunden hat. Darin liegt aber der Hauptzweck der Maßnahme. So dürften die Folgen der juristischen Schlappe für die Behörden auch minimal sein. Zumal der Gesetzgeber parteiübergreifend die Weichen eher in Richtung auf mehr Überwachung stellt.

So plant der Hamburger SPD-Senat eine Novellierung des Polizeirechts, mit der die Polizei schon zum Eingreifen befugt wäre, wenn lediglich ein Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Der Experte für öffentliches Recht Hartmut Aden rügte in einer Expertenanhörung zu der Novellierung, dass damit Maßnahmen wie Observation, Telefon- und Onlineüberwachungsmaßnahmen aus dem Bereich des Straf- ins Polizeirecht verlagert werden sollen. Also genau die vom Berliner Verfassungsgericht monierte Regelung würde dann Gesetzeskraft erhalten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151544
Peter Nowak

Niederlage für eine solidarische Gesellschaft

Das Hamburger Ergebnis der Volksabstimmung zur Schulreform liegt ganz im Trend der Bildungspolitik
Das Ergebnis des Hamburger Volksentscheids zur Schulreform wird in der Regel vor dem Hintergrund der politischen Parteienkonstellation in Hamburg interpretiert (Schulreform gescheitert, Regierungschef zurückgetreten). Dabei wird vor allem die Frage gestellt, ob das schwarz-grüne Bündnis nach dem Rücktritt des Regierenden Bürgermeisters noch eine Zukunft hat. Die ersten Neuwahlforderungen von SPD, FDP, aber auch der Linken bleiben in diesem Schema befangen. Auch den Hamburger Grünen hingegen fällt nichts Besseres ein, als von der CDU zu fordern, sie soll zum Koalitionsvertrag stehen.
   

Dass führende Unionspolitiker, darunter Bundesbildungsministerin Schavan, das Ergebnis des Volksentscheids ausdrücklich „als Signal für die Bildungspolitik“ begrüßen und sich damit von ihrem Hamburger Koalitionspartner distanzieren, wird von den Grünen ignoriert. Wenn nun Schavan, die bisher als entschiedene Anhängerin eines Bildungsföderalismus aufgetreten ist, vor einem bildungspolitischen Flickenteppich warnt, dann kann dies nur als Signal verstanden werden, dass die Union als Lehre aus dem Volksbegehren die Verteidigung des Bildungsprivileg der Besserverdienenden wieder zu ihrer Angelegenheit machen will.

Doppelcharakter der sozialliberalen Bildungsreform

Darum ging es der Initiative Wir wollen lernen primär. Das Lamento, dass sogenannte schwache gegenüber sogenannten starken Schülern benachteiligt werden, ist allgegenwärtig. Dass es bei den Adjektiven stark und schwach nicht um Naturgesetze, sondern um gesellschaftlich bestimmte Trennungen gibt, wird dabei gerne unterschlagen. Starke Schüler sind in der Regel die, die in einer Umgebung aufwachsen, in der sie zum Lernen motiviert werden, schwache Schüler hingegen haben diese Chance nicht.

 

Diese Unterschiede gab es in der bürgerlichen Gesellschaft seit jeher und das Ziel einer solidarischen Bildungspolitik bestand darin, die gesellschaftliche Spaltung in den Schulen, wenn nicht aufzuheben, so zumindest zu verringern. Um eine solche Schulpolitik, die in der Frage der Einführung der Gesamtschule kulminierte, entspann sich in den frühen 70er Jahren ein heftiger Schulkampf in Hessen, der mit der Politik des kürzlich gestorbenen Bildungsreformers Ludwig von Friedeburg verbunden wird. Den Bildungsreformern der frühen 70er Jahre ging es um einen leichteren Zugang von Kindern aus Arbeiterfamilien zum Abitur. Dagegen mobilisierte eine Front von CDU, konservativen Lehrer- und Elternverbänden bis hin zu großen Teilen der Medien.

Obwohl von Friedeburg schon 1974 zurücktrat und auch in seiner eigenen Partei, der SPD, als Polarisierer umstritten war, konnten sich auch seine Gegner nicht durchsetzen. Denn die Bildungsreformen waren nicht nur das Produkt einer egalitäreren Bildungspolitik, sondern knüpften auch an die Bedürfnisse einer postfordistischen Wirtschaft an. Das herkömmliche Schulsystem war nicht in der Lage, für die Erfordernisse der modernen Wirtschafts- und Arbeitswelt auszubilden. Das Schlagwort vom deutschen Bildungsnotstand machte schon Mitte der 60er Jahre die Runde und wurde dann von der APO politisiert.

Die sozialliberale Bildungsreform war stark von dem Doppelcharakter der Bildungsdebatte geprägt. Die Teile, die für eine moderne Ausbildung kompatibel waren, haben sich durchgesetzt und dabei wurden viele egalitären Vorstellungen einer grundsätzlichen Bildungsgerechtigkeit abgeschliffen. Diese Forderungen eines sozialen Lernens wurden allerdings außerhalb des parlamentarischen Raums von Gewerkschaften, Schüler- und Studierendengruppen und sozialen Bewegungen gegen die konservativen Gegner, aber auch gegen eine Sozialdemokratie vertreten, die die Bildungsreform bald gezähmt hatte.

„Die Schwachen sollen sehen, wo sie bleiben“

Der Hamburger Schulkampf hat bei allen Unterschieden im Detail mit der Debatte der 70er Jahre das Grundsätzliche gemeinsam. Es geht um die Frage, ob die Kinder der einkommensschwachen Familien, dazu gehören in erster Linie Hartz IV-Empfänger oder Menschen mit Migrationshintergrund, überhaupt Chancen für eine solidarische Bildung haben oder ob sie abgehängt werden sollen.

Führende Exponenten der Initiative „Wir wollen lernen“ haben immer wieder moniert, es werde zu viel für die „schwachen“ und zu wenig für die „starken“ Schüler getan. Es wurde auch darüber geklagt, dass die nicht darunter leiden sollen, dass es Schüler gibt, die nicht mittels Nachhilfe. ihr Schulwissen aufbessern können. Das ist eine Absage an eine Schulpolitik, die davon ausgeht, dass die „stärkeren“ Schüler die „schwächeren“ beim Lernen unterstützen können und alle davon profitieren. Zur Bildung gehört nach dieser Lesart auch das Ausbilden von sozialen Kompetenzen, wie Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Zu Zeiten der Bildungskämpfe der siebziger Jahre waren solche Werte in großen Teilen der Gesellschaft verbreitet. Das ist aktuell nicht mehr der Fall. So liegt das Hamburger Ergebnis ganz im Trend einer Gesellschaft, in der das Prinzip „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Der Schwache ist selber schuld und soll den anderen nicht zur Last fallen“ zum Dogma erhoben wurde . Im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten drückt sich diese Politik ebenso aus, wie in den Maßnahmen gegen Hartz IV-Empfänger und eben jetzt auch in der Bildungspolitik.

In einer Gesellschaft, in der es als normal gilt, wenn jeder mit jedem in Konkurrenz liegt, sorgen die Eltern dafür, dass damit schon im Schulalter angefangen wird. Ein solidarisches Lernen wird als Konkurrenznachteil für die eigenen Kinder empfunden, in die nicht wenige Eltern mittels teurer Nachhilfeprogramme einiges investieren. Dass auch Eltern, die in den 70er Jahren selber durch die Bildungsreformen aus dem Arbeitermilieu in das Bildungsbürgertum aufgestiegen sind, zu den Gegnern der Primarschule gehörten, verwundert nicht. Gerade dort ist die Furcht vor dem sozialen Abstieg besonders groß.

Keine soziale Bewegung

Dass „Volkes Stimme“ wie in Hamburg gegen eine ganz große Parteienkoalition von Union, SPD, Grünen und Linkspartei, die sich für die Primärschule aussprachen, stimmte, kann nur verwundern, wer noch immer noch meint, dass „die da unten“ oder auch „der kleine Mann“ sozialer abstimmen als die politischen Parteien. Eine solche Vorstellung verkennt, wie stark die Idee der Ungleichheit und des Konkurrenzgedanken in großen Teilen der Bevölkerung Konsens sind.

So verwundert es nicht, dass neben der in Hamburg außerparlamentarischen FDP vor allem diverse rechte Gruppen und die NPD gegen die Schulreform waren. Schließlich propagieren sie seit jeher die Ungleichheit der Menschen. Sie konnten sich in Hamburg profilieren, weil die CDU aus Koalitionsraison, und weil die Schulreform auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus vernünftig war, für die Primärschule eintrat. Führende Unionspolitiker aus Sachsen und NRW haben nach dem Hamburger Ergebnis deutlich gemacht, dass sie das Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen wollen.

Die Befürworter eines solidarischen Lernens außerhalb des Parlaments werden künftig die Möglichkeiten haben, jenseits der parteipolitischen Querelen das Konzept einer solidarischen Schule zu propagieren. Bisher waren sie in Hamburg in zwei Bündnisse gespalten. Eine größere Gruppe unterstützte den Mehrparteienkompromiss des Hamburger Senats. Ein kleines linkes Bündnis warb dafür, zweimal mit Nein zu stimmen, weil es auch den Senatskompromiss nicht akzeptabel fand. Das Ergebnis von Hamburg hat gezeigt, dass soziale Reformen trotz Unterstützung von großen Organisationen und Parteien verloren gehen, wenn es nicht gelingt, das gesellschaftliche Klima zu verändern.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32987/1.html

Peter Nowak

Pfändung bei Gegnern der Unimaut

Stell Dir vor, Du willst Geld abheben und Dein Konto ist gesperrt. Diese unangenehme Erfahrung mussten in den letzten Tagen Studierende der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg machen. Veranlasst wurde die Maßnahme von den Hamburger Landeskassen, die mit Pfändungen und Kontosperrungen an das Geld von 50 Kommilitonen gelangen will, die seit 2007 die Zahlung der Studiengebühren boykottieren. Zu den wenigen Bildungseinrichtungen, in denen die Mehrheit der Studierenden für den Boykott stimmte, gehört die HfbK.

Auch in Süddeutschland beschlossen Studenten an einigen Hochschulen mehrheitlich den Gebührenboykott. Während dort mit Exmatrikulationsdrohungen gegen die renitenten Kommilitonen vorgegangen wurde, drohen die Hamburger Behörden mit dem Pfändungstiteln. Viele Betroffene wurden bereits mehrmals von Inkassobeamten zu Hause aufgesucht, auch außerhalb von Hamburg. So beklagt Maximilian Wondrak, der seit seinem HfbK-Abschluss in Berlin nach einem Job sucht und zurzeit auf Hartz-IV-Unterstützung angewiesen ist, ihm sei das Konto gesperrt worden und zudem versuche die Berliner Finanzverwaltung, im Auftrag der Hamburger Kollegen das Geld einzutreiben. Dabei können Hartz-IV-Bezieher gar nicht gepfändet werden.

Generell ist zu fragen, warum in einer Zeit, in der die Unimaut zunehmend in der Kritik steht, mit allen Mitteln gegen ihre Gegner vorgegangen wird. In Hessen wurden die Studiengebühren abgeschafft und selbst von dem konservativen Hardliner Roland Koch nicht wieder eingeführt. Auch NRW könnte bald diesem Beispiel folgen. In beiden Ländern haben sich die Grünen gegen die Studiengebühren ausgesprochen. Warum schweigen deren Hamburger Parteifreunde, wenn in dem Stadtstaat mit Kontosperrungen gegen die Gebührenboykotteure vorgegangen wird? Schließlich sind die dort Regierungspartei.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Berlin.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/174830.pfaendung-bei-gegnern-der-unimaut.html

Peter Nowak

Neuer Nahostkonflikt in Hamburg

Um den Film „Warum Israel“ von Claude Lanzmann gibt es seit Monaten eine mittlerweile auch im Ausland beobachtete Auseinandersetzung
Hamburg ist eine der Metropolen, in denen politische Demonstrationen eigentlich zum Alltag gehören. Doch die für den 13. Dezember anberaumte Protestaktion unter dem Motto „Es darf keine antisemitische Filmzensur in Hamburg geben“ fällt aus dem Rahmen. Das zeigt schon der Aufrufer- und Unterstützerkreis, zu dem neben Politikern auch viele Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle aus dem In- und Ausland gehören. An erster Stelle steht der französische Filmemacher Claude Lanzmann auf der Unterstützerliste. Sein Film „Warum Israel“ (1973, unlängst als DVD erschienen) ist der Auslöser für die Demonstration. Sie ist der Höhepunkt einer Auseinandersetzung, die als Hamburger Kiezposse begonnen hat und mittlerweile nicht nur in vielen deutschen Medien, sondern auch in Israel und Frankreich diskutiert wird.
   
Israelischer Checkpoint in Hamburg?

Begonnen hatte alles am 25. Oktober im Hamburger Schanzenviertel. An diesem Tag wollte die israelsolidarische Hamburger Gruppe Kritikmaximierung „Warum Israel“ in einem Hamburger Szenekino zeigen. In dem Film werden jüdische Bürger Israels interviewt, die sich aus verschiedenen Ländern kommend eine neue Heimat aufgebaut haben. Gegen die Vorführung wandte sich das israelkritische Internationale Zentrum B5, das sich in der direkten Nachbarschaft des Kinos befindet. Zunächst versuchten sie erfolglos eine Absetzung des Filmes zu erreichen. Dann verhinderten sie mit einer Art Agitprop-Aktion die Aufführung. Vor dem Kino wurde eine Nachbildung eines israelischen Checkpoints aufgebaut und den Kinobesuchern wurde der Einlass verweigert. Es kam zu erregten Debatten und auch zu Handgreiflichen.

Bis zu diesem Punkt schien die Aktion sich einreihen, in den Jahre langen, längst nicht mehr nur verbal ausgetragenen Streit zwischen israelsolidarischen und israelkritischen Linken, der in verschiedenen Städten schwelt. Das hatte bisher meistens zur Folge, dass sich sogenannte linke Zusammenhänge, Wohngemeinschaften und Volksküchen zerstreiten und oft über Jahre kein Wort mehr miteinander reden. Viele linke Flyer und seit einiger Zeit auch Blogs beschäftigen sich sehr akribisch mit allen Details der Auseinandersetzung. Doch darüber hinaus nimmt in der Regel niemand davon Notiz.

Wandel der Linken

Doch die Aktion vom 25. Oktober wurde zum Politikum, weil auch Mitglieder der Jüdischen Gemeinde an der Filmvorführung gehindert wurden und weil Claude Lanzmann den Vorfall sofort öffentlich machte und sein Unverständnis über die geringe Sensibilität in den deutschen Medien mit der Filmverhinderung zum Ausdruck brachte.

„Weltweit ist es nicht ein einziges Mal passiert, und in Deutschland schon gar nicht“, betont der Regisseur, der als Kämpfer in der französischen Resistance und als Freund von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir zu den führenden französischen Intellektuellen gehört. Mit dem Film Shoah über die Massenvernichtung der europäischen Juden wurde er weltbekannt.

Dass ausgerechnet ein Film von Lanzmann von der Aktion betroffen wurde, erklärt sicher die große Publicity. Darüberhinaus macht die Auseinandersetzung auch deutlich, wie stark sich ein Großteil der Linken zumindest in der Nahostfrage in den letzten 25 Jahren gewandelt hat. Heute will sich kaum jemand mit der Position der B5 gemein machen. Nur in einem Text wird die Kritik an der Filmverhinderung als „antideutsche Schmierenkomödie“ bezeichnet. Die B5-Aktivisten rudern selber zurück und betonen in einer Erklärung, ihre Aktion hätte nicht die Verhinderung des Films, sondern die einer „antideutschen Veranstaltung“ zum Ziel gehabt. Eine der beteiligten Gruppen hat mittlerweile den Film in der B5 gezeigt, der in einem Flyer bei der Verhinderungsaktion noch als „zionistischer Propagandafilm“ klassifiziert wurde.

Ende der 80er Jahre wäre die Position der B5 durchaus noch mehrheitsfähig gewesen. Damals prangten an der Hamburger Hafenstraße in einem besetzten Gebäudekomplex, der einer großen Solidaritätsbewegung ihre Legalisierung verdankt, Parolen, die zum Boykott israelischer Waren aufriefen. Das war der Anlass einer ersten innerlinken Nahost-Debatte, die manchmal zur Geburtsstunde der israelsolidarischen Linken in Deutschland erklärt wird. Die Kritiker der Parolen waren damals allerdings noch eine absolute Minderheit in der Linken und nahmen keine Stellung zur israelischen Politik. Sie wandten sich vielmehr dagegen, dass angesichts der NS-Vergangenheit mit Israelboykottparolen in Deutschland Politik gemacht wird. Einige der heutigen B5-Kritiker waren damals noch Teil des antizionistischen Milieus, wie sie jetzt bekennen. Die Politveteranen von der Hamburger Hafenstraße reden heute auf ihren Versammlungen aber lieber über den Putzplan als über den Nahostkonflikt.
 
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Peter Nowak