In Berlin mobilisiert seit Monaten ein Bündnis, das sich Berliner Kran- kenhausbewegung nennt, für mehr Personal und bessere Bezahlung der Beschäftigten im Krankenhaus- und Pflegebereich. In dem von der Dienst- leistungsgewerkschaft Verdi initiierten Bündnis arbeiten auch …
„Solidarisches Klima“ weiterlesenSchlagwort: Care Revolution
Streik in Sicht

„Lange Zeit waren wir der Meinung, ein Streik in einem Krankenhaus ist unmöglich. Jetzt sind wir überzeugt, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen“: Entschlossen klang die Frau, die am Montagabend in einer Online-Veranstaltung über die Krankenhausbewegung berichtete. Dort haben sich Beschäftigte von …
„Streik in Sicht“ weiterlesenSolidarität im Carebereich

Der Gesundheitsratschlag der Linksfraktion im Bundestag und die Rosa-Luxemburg-Stiftung haben sich vergangenen Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion mit Union-Busting, also Gewerkschaftszerstörung, in Krankenhäusern und Pflegeheimen beschäftigt. Einen sehr kämpferischen Beitrag lieferte die Hamburger Verdi-Betriebsrätin Romana Knezvic, die in der Asklepios-Klinik St. Georg als Pflegekraft arbeitet. Sie sollte entlassen werden, weil sie ….
„Solidarität im Carebereich“ weiterlesenSolidarität ist mehr als Händewaschen und Klatschen

„Tatort – nicht betreten“, stand auf den Flatterbändern, mit denen die Polizei am Donnerstagnachmittag vergangener Woche ein kleines Areal des Weddinger Leopoldplatz absperrte. Dort hatte die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ unter dem Motto „Die Reichen sollen zahlen“ eine knapp 90-minütige Kundgebung organisiert. Es war der Ersatz für die …
„Solidarität ist mehr als Händewaschen und Klatschen“ weiterlesen»Wir sind auch nur Menschen«
In Berlin demonstrierten Hunderte für bessere Bedingungen in der Pflege
Rund 800 Menschen zogen am Samstagnachmittag von Berlin-Mitte nach Kreuzberg, um gegen die schlechte Arbeitssituation im Pflegebereich zu protestieren. Es war eine Mischung aus Feier, guter Laune und Protest. Auf einem weißen Transparent waren zehn ausdrucksstarke Gesichter zu sehen – mehr als zwei Drittel davon Frauen. Es sind die Konterfeis von Beschäftigten aus dem Pflegebereich. Auf jedem Gesicht war ein Buchstabe gemalt. »Walk of Care« war dort zu lesen. Der Berliner Pflegestammtisch nutzte den Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai, um die Forderungen nach einer gesetzlichen Personalbemessung, mehr Raum für Praxisanleitung und guter Ausbildung auf die Straße zu tragen.
Viele Teilnehmer trugen ihre Anliegen auf selbstgemalten Schildern mit sich. »Mehr Zeit für Pflege«, »Wir sind auch nur Menschen«, »Keine Profite mit der Pflege« lauteten drei von vielen Parolen. Auch die Redner an den verschiedenen Kundgebungsorten gaben sich kämpferisch. Der »Walk of Care« startete in unmittelbarer Nähe der Charité, wo es in den letzten Monaten vielbeachtete Arbeitskämpfe im Pflegebereich gab, auf die sich mehrere Rednerinnen bezogen. Ein Vertreter der studentischen Organisation »Kritische Medizinerinnen« überbrachte Solidaritätsgrüße und erklärte, dass für sie als zukünftige Ärzte Gesundheit keine Waren sondern ein Recht sei, dass allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft zustehe.
Markus Mai von der Pflegekammer Rheinland-Pfalz berichtete, dass in Berlin der größte, aber nicht der einzige »Walk of Care« stattgefunden habe. Kleinere Aktionen gab es auch in Stuttgart und Dresden. In anderen europäischen Ländern hat es schon in den vergangenen Jahren ähnliche Pflegemärsche gegeben. In Berlin waren im vergangenen Jahr erstmals knapp 200 Menschen zu einem deutschen »Walk of Care« auf die Straße gegangen. Dass sich die Zahl jetzt vervierfacht hat, ist für Tim von der Berliner Vorbereitungsgruppe ein klares Indiz, dass sich die unterschiedlichen Pflegebeschäftigten gegen ihre schlechten Arbeitsbedingungen zu wehren begonnen haben. »Die Pflege steht auf«, lautete denn auch eine häufig skandierte Parole.
Auf die Unterstützung auch außerhalb der Pflegeberufe wies Dietmar Lange hin. Er trug auf der Demonstration ein Transparent der Initiative für den »Volksentscheid für gesunde Krankenhäuser«, der mehr Personal und höhere Investitionen in Berliner Krankenhäusern fordert. »Wir haben das nötige Quorum der Unterschriften bereits erreicht, sammeln aber noch bis zum 11. Juni weiter«, betonte Lange.
Valentin Herfurth vom Berliner Stammtisch erklärt gegenüber »nd«, dass vor allem die jungen Pflegekräfte bereit seien, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. »Ältere Kollegen haben oft noch die Vorstellungen von Pflege als Ehrenamt im Kopf, die Kämpfe erschweren.«
Solidarität bekamen die Pflegekräften von Berliner Feuerwehrleuten, die kürzlich eine fünfmonatige Mahnwache gegen schlechte Bezahlung, zu wenig Personal und veraltete Ausrüstung vor dem Roten Rathaus beendet hatten. Dort ist auch »Berlin brennt« entstanden, der Protest-Rap des Feuerwehrmanns Christian Köller, den er am Samstag auf der Care-Demonstration unter großen Applaus aufführte.
Im März 2014 trafen sich in Berlin über 500 Menschen zur Konferenz Care-Revolution. Er war der Beginn eines bundesweiten Netzwerkes, das die Bedürfnisse der Menschen statt die Profite in den Mittelpunkt stellen will.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1088018.wir-sind-auch-nur-menschen.html
Peter Nowak
Care Revolution – oder Wege in eine solidarische Welt
aus: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit,
8/2015
Soziale Reproduktion in der Krise
Interview mit Gabriele Winker von Peter Nowak
Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker lehrt und forscht an der Technischen Universität Hamburg-Harburg und ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts sowie des bundesweiten „Netzwerks Care Revolution“. Diesen März ist im Transcript-Verlag ihr Buch „Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ erschienen. Peter Nowak sprach für den Vorwärts mit Winker über die Krise sozialer Reproduktion und die entstehende Care-Bewegung.
vorwärts: Im März 2014 fand in Berlin eine Aktionskonferenz zur „Care Revolution“ statt. Was ist seither geschehen?
Gabriele Winker: Die „Care Revolution“ nimmt einen grundlegenden Perspektivwechsel vor. Das ökonomische und politische Handeln darf nicht weiter an Profitmaximierung, sondern an menschlichen Bedürfnissen, primär der Sorge umeinander ausgerichtet sein. Eine Gesellschaft muss sich also daran messen lassen, inwieweit sie grundlegende Bedürfnisse gut und für alle Menschen realisieren kann. Nach der Aktionskonferenz, an der sich etwa 500 im Care-Bereich tätige Menschen in vielfältigen Workshops beteiligten, haben wir im Mai 2014 das „Netzwerk Care Revolution“ gegründet. Das ist eine Art Plattform, über die sich die verschiedensten Care-Initiativen vernetzen, austauschen und gegenseitig unterstützen können. Wir haben uns ferner darauf geeinigt, uns in diesem Jahr als Netzwerk an Aktionen zum Internationalen Frauenkampftag am 8. März, zu Blockupy und zum 1. Mai zu beteiligen. An diesen drei Tagen war das „Netzwerk Care Revolution“ durch kleine Demonstrationsblöcke oder Infotische in mehreren Städten deutlich sichtbar. Auch gibt es inzwischen regionale Netzwerke in Berlin, Brandenburg, Hannover, Hamburg, Frankfurt und Freiburg. Andere befinden sich im Aufbau. Für April 2016 planen wir die zweite bundesweite Aktionskonferenz Care Revolution, wieder in Berlin.
vorwärts: Warum kommt die Debatte um die Care Revolution gerade in dieser Zeit auf?
Gabriele Winker: Der Wandel vom Ernährermodell zu verschiedenen neoliberalen Reproduktionsmodellen, die alle kein gutes Leben ermöglichen, ist in der BRD sehr langsam erfolgt, nicht zuletzt wegen der jahrzehntelangen Konkurrenz mit der DDR. Die neoliberale Familienpolitik, die mit dem Ziel der Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit und der Geburtenrate Wirtschaftspolitik betreibt und sehr stark zwischen Leistungsträgerinnen und -trägernund Ausgegrenzten unterscheidet, beispielsweise durch grosse Unterschiede in der Höhe des Elterngelds, nahm erst nach der Jahrtausendwende Fahrt auf. So wird erst derzeit deutlich spürbar, dass Menschen damit überfordert sind, sich – unabhängig von Geschlecht, Familienstatus, Umfang der Sorgeaufgaben – je einzeln durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft existenziell abzusichern und gleichzeitig die wegen der staatlichen Kostensenkungspolitik zunehmende Reproduktionsarbeit in Familien zu leisten. Arbeit ohne Ende wird für immer mehr Menschen zur Realität. Die Selbstsorge kommt zu kurz. Musse ist zum Fremdwort geworden. Und auch diejenigen, die auf die Unterstützung anderer angewiesen sind, wie Kinder oder pflegebedürftige Erwachsene, können ihre Bedürfnisse nicht realisieren. Es nimmt nicht nur der Stress zu, sondern auch die Erschöpfung, da Erholungsphasen fehlen. Dies führt nicht zuletzt zu mehr Fällen psychischer Erkrankungen.
vorwärts: Sie haben den Begriff der „Care Revolution“ wesentlich geprägt. Auf welche theoretischen und praktischen Vorarbeiten haben Sie sich gestützt?
Gabriele Winker: Einerseits bin ich beeinflusst von der Zweiten Frauenbewegung. Bereits in den 70er Jahren wurde in diesem Rahmen auch in der BRD dafür gekämpft, die nichtentlohnte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit anzuerkennen. Dies führen beispielsweise Gisela Bock und Barbara Duden in ihrem Beitrag zur Berliner Sommeruniversität für Frauen 1977 aus. In den 90er Jahren begannen dann in den USA Debatten um die Care-Arbeit. Mit diesem Begriff wies beispielsweise Joan Tronto sehr früh darauf hin, dass Menschen ihr ganzes Leben lang Sorge von anderen benötigen und somit nicht völlig autonom leben können, sondern ihr Leben vielmehr in interdependenten Beziehungen gestalten. Meine Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft, die ich als Ziel einer Care-Revolution entwickelte, baut deswegen auf menschliche Solidarität und Zusammenarbeit.
vorwärts: Worauf stützt sich die neue Care-Revolution-Bewegung?
Gabriele Winker: Auffallend ist, dass es im entlohnten Care-Bereich, in Bildung und Erziehung sowie Gesundheit und Pflege, aber auch im unentlohnten Bereich, ausgehend von der Sorgearbeit in Familien, viele kleine Initiativen gibt, zum Beispiel Elterninitiativen, Organisationen von pflegenden Angehörigen, Gruppen von Menschen mit und ohne Behinderungen, Initiativen von und für Flüchtlinge, aber auch Verdi-Gruppen sowie queerfeministische und linksradikale Gruppen, die das Thema Care aufnehmen. Viele engagieren sich für bessere politisch-ökonomische Rahmenbedingungen, damit sie für sich und andere besser sorgen können. Alleine und vereinzelt sind sie allerdings bisher zu schwach, um politisch wahrgenommen zu werden und eine grundlegende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen. Hinter der Care Revolution steht die Idee, diese Gruppen nicht nur über diesen Begriff zu verbinden, sondern damit auch aufeinander zu verweisen und eine sichtbare Care-Bewegung zu entwickeln. Wichtig ist dafür allerdings auch eine klare Analyse, die deutlich macht, dass der gesamte Care-Bereich unter den Folgen staatlicher Kostensenkungspolitik leidet, die mit der politisch-ökonomischen Krise sozialer Reproduktion verbunden ist. Davon ausgehend können wir mit der Care-Revolution als Transformationsstrategie gemeinsam erste Reformschritte in Richtung bedingungslose existenzielle Grundsicherung, deutliche Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit sowie Ausbau der sozialen Infrastruktur gehen.
vorwärts: Sie fassen in Ihrem Buch Aktivitäten der „Interventionistischen Linken“ über Verdi-Gruppen bis zu Pflegeinitiativen unter den Begriff „Care Revolution“. Wird da nicht über ganz unterschiedliche Aktivitäten ein Label gestülpt?
Gabriele Winker: Wichtig ist zunächst festzustellen, dass die im Buch genannten Gruppen und viele mehr, die zur Aktionskonferenz Care Revolution im März 2014 aufgerufen haben, sich selbst diesem Begriff und der Vorstellung zuordnen, dass die Bedingungen für Sorgearbeit in unserer Gesellschaft grundlegend revolutioniert werden müssen. Dabei sind das keine grossen Verbände, sondern Gruppen vor Ort, wie die IL Tübingen, die Verdi-Betriebsgruppe Charité, die Elterninitiative „Nicos Farm“ für behinderte Kinder in Hamburg oder kleinere Organisationen wie die Initiative „Armut durch Pflege“, die bereits viele Erfahrungen in sozialen Auseinandersetzungen im Care-Bereich haben. Die Zusammenarbeit dieser Gruppen wird eben nicht durch eine Organisation gestaltet, die über ein Label Bedeutung erringen will. Vielmehr sehe ich die besondere Stärke der im Werden begriffenen Care-Bewegung darin, dass sich Menschen in unterschiedlichen Positionen innerhalb der Care-Verhältnisse austauschen und ihre Kämpfe aufeinander beziehen.
vorwärts: Können Sie Beispiele nennen?
Gabriele Winker: Bei Treffen und Aktionen kommen beispielsweise Beschäftigte in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen mit pflegenden Angehörigen und Menschen zusammen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten zeitlich aufwändig für sich sorgen müssen. Wir alle können morgen von Krankheit betroffen sein und sind dann auf gute Pflege angewiesen. Und die staatliche Kostensenkungspolitik trifft nicht nur die Beschäftigten in allen Care-Bereichen gleichermassen, sondern in der Folge auch Familien, Wohngemeinschaften und andere Lebensformen, wenn Patienten „blutig“ entlassen werden oder notwendige Gesundheitsleistungen für Kassenpatientinnen gestrichen werden. Diese Verbindungen sind noch viel zu wenig präsent, auch in linken politischen Zusammenhängen. Nur wenn sich etwa Erzieherinnen und Eltern oder beruflich und familiär Pflegende als gesellschaftlich Arbeitende begreifen, können sie sich auf Augenhöhe in ihren Kämpfen um ausreichende Ressourcen und gute Arbeitsbedingungen unterstützen. Dies gilt unter dem Aspekt der Selbstsorge auch für Assistenzgebende und Assistenznehmende.
vorwärts: Warum kann im Kapitalismus das Problem der Sorgearbeit nicht gelöst werden?
Gabriele Winker: Das Ziel kapitalistischen Wirtschaftens ist Profitmaximierung. Die ist nur durch den Einsatz von Arbeitskraft zu erreichen, die allerdings tagtäglich und auch über Generationen hinweg immer wieder neu reproduziert werden muss. Der sich daraus ergebende Widerspruch, dass einerseits die Reproduktionskosten der Arbeitskraft möglichst gering gehalten werden sollen, um die Rendite nicht allzu sehr einzuschränken, gleichzeitig aber diese Arbeitskraft benötigt wird, ist dem Kapitalismus immanent. Grundvoraussetzung für die Aufrechterhaltung dieses widersprüchlichen Systems ist, dass ein grosser Teil der Reproduktion unentlohnt abgewickelt wird. Mit der technologischen Entwicklung lassen sich nun zwar Güter und produktionsnahe Dienstleistungen schneller herstellen, nicht aber Care-Arbeit beschleunigen, zumindest nicht, ohne dass es zu einer massiven Verschlechterung der Qualität kommt. Denn Care-Arbeit ist kommunikationsorientiert und auf konkrete einzelne Menschen bezogen und damit sehr zeitintensiv. Die Folge ist, dass Produktivitätssteigerungen in diesem Bereich nur begrenzt möglich sind. Es kommt zu einer Krise sozialer Reproduktion, die ich als Teil der Überakkumulationskrise sehe.
Für mehr Infos siehe:
www.care-revolution.org
VORWÄRTS/1120: Interview mit Gabriele Winker – Soziale Reproduktion in der Krise
Streiks im Erziehungs- und Pflegebereich
Aus der Perspektive der Krise der sozialen Reproduktion betrachten!
Interview mit Gabriele Winker*
Die jahrelange Vernachlässigung von Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge zugunsten der Profitsteigerung mündet in einen nicht mehr tragbaren Raubbau an den Kräften der dort Beschäftigten. Die meisten Streiks drehen sich derzeit um Probleme der Arbeitsüberlastung und die auch finanziell zu geringe Anerkennung der Berufe im «Dienst am Menschen». Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker sieht darin eine Krise der sozialen Reproduktion überhaupt und ordnet sie ein in die umfassende, aktuelle Krise des Kapitalismus.
Was verstehen Sie unter Care Revolution?
Das Konzept Care Revolution nimmt einen grundlegenden Perspektivwechsel vor. Das ökonomische und politische Handeln darf nicht weiter an Profitmaximierung, sondern es muss an menschlichen Bedürfnissen, primär der Sorge umeinander, ausgerichtet sein. Eine Gesellschaft muss sich also daran messen lassen, inwieweit sie grundlegende Bedürfnisse gut und für alle Menschen realisieren kann. Dazu gehört eine hervorragende soziale Infrastruktur. Nicht zuletzt um dieses hohe Gut für alle streiken die Erzieherinnen und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter derzeit.
Was hat der aktuelle Kita-Streik mit Care Revolution zu tun?
Die Streikenden in Kitas und weiteren sozialen Einrichtungen haben nicht nur unsere grundlegende Solidarität verdient, sondern wir sollten sie auch in unserem ureigensten Interesse tatkräftig unterstützen. Erzieherinnen gehören zu den Care-Beschäftigten: Sie kümmern sich um unsere Kinder. Dies beinhaltet vielfältige anspruchsvolle Tätigkeiten, die stereotyp Frauen zugeordnet werden. Da in Familien vor allem Frauen unentlohnt für die Kindererziehung zuständig sind, wird in der Konsequenz auch der Beruf der Erzieherin schlecht entlohnt. Dies ändert sich auch derzeit nicht, obwohl es einen zunehmenden Fachkräftemangel gibt.
Nach wie vor ist der Umgang mit Technik, der männlich konnotiert ist, deutlich höher entlohnt als der mit Menschen. Das hat auch viel damit zu tun, dass Technik in der Güterproduktion und der produktionsnahen Dienstleistung profitabel eingesetzt werden kann, während aus kapitalistischer Perspektive Erziehungsarbeit nur mit Kosten verbunden ist. Dabei sind die Löhne der Beschäftigten ein wichtiger Kostenfaktor ebenso wie die Personalausstattung, die es deswegen zu reduzieren gilt.
Auf welche theoretischen Prämissen stützen Sie sich beim Konzept «Care Revolution»?
Einerseits bin ich beeinflusst von der zweiten Frauenbewegung [die der 70er und 80er Jahre]. Bereits in den 70er Jahren wurde in diesem Rahmen auch in der BRD dafür gekämpft, die nicht entlohnte Hausarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit anzuerkennen. Dies führten bspw. Gisela Bock und Barbara Duden in ihrem Beitrag zur Berliner Sommeruniversität für Frauen 1977 aus. In den 90er Jahren begannen dann im US-amerikanischen Kontext Debatten um die Care-Arbeit.
Mit diesem Begriff verweist bspw. Joan Tronto sehr früh darauf, dass Menschen in ihrem ganzen Leben immer Sorge von anderen benötigen und somit nicht völlig autonom leben können, sondern ihr Leben vielmehr in interdependenten Beziehungen gestalten. Davon habe ich gelernt, dass Menschen als grundlegend aufeinander Angewiesene zu begreifen sind. Meine Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft, die ich als Ziel einer Care Revolution entwickele, baut deswegen auf menschliche Solidarität und Zusammenarbeit.
Wer ist Träger der neuen Care-Revolution-Bewegung?
Auffallend ist, dass es im entlohnten Care-Bereich in Bildung und Erziehung sowie Gesundheit und Pflege, aber auch im unentlohnten Care-Bereich ausgehend von Sorgearbeit in Familien viele kleine Initiativen gibt, bspw. Elterninitiativen, Organisationen von pflegenden Angehörigen, Gruppen von Menschen mit und ohne Behinderungen, Initiativen von und für Flüchtlinge, aber auch aktive Ver.di- und GEW-Gruppen sowie queer-feministische und linksradikale Gruppen, die das Thema Care aufnehmen.
Viele engagieren sich für bessere politisch-ökonomische Rahmenbedingungen, damit sie für sich und andere besser sorgen können. Alleine und vereinzelt sind sie allerdings bisher zu schwach, um im politischen Raum wahrgenommen zu werden und eine grundlegende Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu erreichen. Deswegen steht hinter dem Begriff Care Revolution die Idee, diese Gruppen nicht nur über den Begriff zu verbinden, sondern darüberhinaus auch gegenseitig aufeinander zu verweisen und darüber eine sichtbare Care-Bewegung zu entwickeln.
Können Sie Beispiele nennen?
In Treffen und Aktionen kommen bspw. Care-Beschäftigte in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen mit pflegenden Angehörigen und Menschen zusammen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen oder Krankheiten zeitlich aufwändig für sich sorgen müssen. Wir alle können morgen von Krankheit betroffen sein und sind dann auf gute Pflege angewiesen. Und die staatliche Kostensenkungspolitik trifft nicht nur die Care-Beschäftigten in allen Bereichen gleichermaßen, sondern in der Folge auch Familien, Wohngemeinschaften und andere Lebensformen – etwa wenn Patienten «blutig» entlassen werden oder notwendige Gesundheitsleistungen für Kassenpatienten gestrichen werden.
Diese Zusammenhänge sind auch in linken politischen Zusammenhängen noch viel zu wenig präsent. Nur wenn sich etwa Erzieherinnen und Eltern oder beruflich und familiär Pflegende als gesellschaftlich Arbeitende begreifen, können sie sich auf Augenhöhe in ihren Kämpfen um ausreichende Ressourcen und gute Arbeitsbedingungen unterstützen. Dies gilt unter dem Aspekt der Selbstsorge auch für Assistenzgebende und Assistenznehmende.
Warum sind Sie der Meinung, dass das Problem der Sorgearbeit im Kapitalismus nicht gelöst werden kann?
Das Ziel kapitalistischen Wirtschaftens ist Profitmaximierung. Dies ist nur durch den Einsatz von Arbeitskraft zu erreichen, die allerdings tagtäglich und auch über Generationen hinweg immer wieder neu reproduziert werden muss. Der sich daraus ergebende Widerspruch, dass einerseits die Reproduktionskosten der Arbeitskraft möglichst gering gehalten werden sollen, um die Rendite nicht allzu sehr einzuschränken, gleichzeitig aber diese Arbeitskraft benötigt wird, ist dem Kapitalismus immanent. Grundvoraussetzung für die Aufrechterhaltung dieses widerspruchsvollen Systems ist, dass ein großer Teil der Reproduktion unentlohnt abgewickelt wird.
Mit der technologischen Entwicklung lassen sich nun zwar Güter und produktionsnahe Dienstleistungen schneller herstellen, nicht aber Care-Arbeit, zumindest nicht, ohne dass es zu einer massiven Verschlechterung der Qualität kommt. Denn Care-Arbeit ist kommunikationsorientiert und auf konkrete, einzelne Menschen bezogen und damit sehr zeitintensiv. Dies hat die Auswirkung, dass in diesem Bereich Produktivitätssteigerungen, die nicht gleichzeitig die Qualität der Care-Arbeit verschlechtern, nur begrenzt möglich sind. Es kommt zu einer Krise der sozialen Reproduktion, die ich als Teil der Überakkumulationskrise sehe.
Wie kann verhindert werden, dass viele sich doch wieder nur mit kleinen Verbesserungen begnügen?
Die sozialen Auseinandersetzungen um all die kleinen Reformschritte gilt es permanent zu verbinden mit dem Eintreten für eine Gesellschaft, in der alle – solidarisch und gemeinschaftlich organisiert – die jeweils eigenen Fähigkeiten entwickeln können.
Dies bedeutet bspw., dass bei Auseinandersetzungen um verbesserte Bildungsfinanzierung gleichzeitig die kollektive Selbstorganisation des Bildungssystems ohne Zugangsbeschränkungen eingefordert wird. Bei Aktionen von streikenden Ärzten und Pflegekräften muss darauf hingewiesen werden, dass es auch bei einer besseren Personalausstattung noch viele Menschen gibt, die grundsätzlich von der Krankenversorgung ausgeschlossen sind. Auch lassen sich all diesen politischen Auseinandersetzungen im Care-Bereich mit Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe verbinden.
Wird diese Verknüpfung bei allen politischen Aktionen konsequent durchgeführt, ist Care Revolution eine Strategie, die Reformen nutzt, damit möglichst viele Menschen bereits heute sinnvoller arbeiten und besser leben können, gleichzeitig aber in diesen Auseinandersetzungen erkennen, dass letztlich darüber hinausgehende, gesellschaftliche Veränderungen erforderlich sind.
Wichtig ist also, in sozialen Auseinandersetzungen um Reformen die Perspektive anderer in den Blick zu nehmen, für die Inklusion aller Menschen einzutreten sowie eine grundlegende gesellschaftliche Teilhabe durch demokratische Strukturen einzufordern.
Diese Ziele sind ohne Rücksicht auf die Frage zu verfolgen, ob sie im Rahmen des derzeitigen politisch-ökonomischen Systems realisierbar sind. Eine solche Strategie nannte Rosa Luxemburg 1903 «revolutionäre Realpolitik».
* Gabriele Winker lehrt und forscht an der TU Hamburg-Harburg und ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg sowie des bundesweiten «Netzwerks Care Revolution». Im vergangenen Jahr war sie Mitorganisatorin der Aktionskonferenz «Care Revolution» in Berlin, bei der verschiedene im Bereich sozialer Reproduktion tätige Gruppen und Personen zusammenkamen (siehe SoZ 5/2014). Im März 2015 erschien im Transcript-Verlag ihr Buch Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft.
http://www.sozonline.de/2015/07/streiks-im-erziehungs-und-pflegebereich/
Interview: Peter Nowak
Wenn der 3 D-Drucker zur Verheißung für das Ende der Lohnarbeit wird
Während das Unsichtbare Komitee kommende Aufstände erst einmal absagt, gibt es in verschiedenen Bereichen der linken Bewegung neue Perspektivdiskussionen
Die Blockupy-Proteste sind vorbei und die außerparlamentarische Bewegung, die sie monatelang vorbereitete, gönnt sich mehrheitlich eine Pause. Andere organisieren die kalendarisch anfallenden Protesttage wie die Demonstrationen zum 1. Mai. Bei beiden Großveranstaltungen geht es um den Widerstand gegen die Symbole herrschender Politik wie die EZB, bzw. um die Sichtbarmachung von politischem und sozialem Protest an einem historisch aufgeladenen Datum beim 1. Mai [1].
Dabei wurde auch in Berlin ein Dilemma der außerparlamentarischen Linken deutlich. Die Teilnehmerzahl ist weiterhin hoch; die Organisatoren sprechen sogar von der größten Demonstration der letzten Jahre. Doch da nur zwei Lautsprecherwagen mitfuhren, war der Großteil der Demonstration eher ein Spaziergang ohne Parolen. Hier wird deutlich, wie wenig organisierte Gruppen es in der außerparlamentarischen Linken noch gibt.
Ein anderes Problem für die Demo-Organisatoren ist die Eventgesellschaft. Das einst als Gegengewicht zu den oft militanten Maidemonstrationen etablierte Myfest [2] sorgt mittlerweile in einer Weise für eine Beeinträchtigung der Demonstration, die sich vor fast 10 Jahren selbst die Erfinder des Events nicht hätten träumen lassen. Potentielle Demonstrationsteilnehmer konnten nicht an dem Aufzug teilnehmen, weil sie wegen der Menschenmassen nicht zum Zielort kamen.
Was wie eine besonders dreiste Ausrede von Demoorganisatoren klingt, haben unabhängig voneinander mehrere Personen bestätigt [3]. Zudem brauchten die Demovorbereiter solche Storys wahrlich nicht zu erfinden, war doch die Teilnehmerzahl trotzdem sehr hoch. Viele der Teilnehmer haben das Myfest bewusst umgangen.
Das Problem könnte sich in den nächsten Jahren lösen. Die Kreuzberger Bürgermeisterin stellt das Myfest in Zukunft in Frage, offiziell wegen Sicherheitsbedenken [4]. Doch es wird schon mehrere Jahre gefragt, warum für das Myfest noch Geld ausgeben werden soll, wo es doch sein Ziel erreicht hat. Die Demonstrationen sind immer weniger mit Randale verbunden.
Manche meinen schon, dass Kreuzberg einen Imageschaden erleiden könnte, wenn in dem Stadtteil der 1. Mai nur noch ein großer Event sein sollte. Schließlich gehört zumindest für die Kreativwirtschaft ein wenig Widerstand durchaus zu den positiven Stadtortfaktoren [5].
Der kommende Aufstand – erst einmal vertagt
In diesen Kreisen wurde deshalb auch ein schmales Bändchen sehr gelobt, das von dem anonymen Autorenkollektiv Unsichtbares Komitee unter dem Titel „Der kommende Aufstand“ verfasst worden war. Es wurde sogar zum Theoriebuch der aktuellen Linksradikalen hochgeschrieben [6], obwohl dort außer der intellektuell geschraubten Sprache wenig Theorie zu finden war.
Nun hat das Autorenkollektiv ein zweites Buch mit dem Titel „An unsere Freunde“ [7] nachgelegt und mit Ernüchterung festgestellt: Die Aufstände sind gekommen, geändert hat sich nichts:
„Dezentrale und zeitlich begrenzte Aufstände führen eben noch keinen Systembruch herbei. Trotz zunehmender, auch militanter Proteste in den vergangenen Jahren ist der Kapitalismus schließlich in bester Verfassung“, fasst [8] der Rezensent Florian Schmid im Freitag die Botschaft des zweiten Buches zusammen.
Es ist tatsächlich auch eine Niederlage für alle, die Bewegungen fetischieren, Theorie eher als Beiwert und alle Formen von festen Organisationen zum Übel erklären. Das Unsichtbare Komitee musste hier nur die Erfahrung persönlich machen, die radikale Linke zu allen Zeiten machen mussten. Für eine grundlegende Änderung der Verhältnisse reicht nicht eine gehörige Portion Utopie und Voluntarismus.
Carerevolution – oder Wege in eine solidarische Welt
Wesentlich weniger Aufmerksamkeit als „Der kommende Aufstand“ hat bisher ein Buch bekommen, das wahrscheinlich mehr zu einer Transformation der Verhältnisse beitragen kann, als noch so viele Unsichtbare Komitees. In „Care Revolution- Schritte in eine solidarische Gesellschaft“ [9] zeigt die feministische Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker [10] auf, dass die kapitalistische Gesellschaft nicht in der Lage ist, eine Sorgearbeit für alle Menschen zu garantieren.
Dazu gehört die Kindererziehung, die Bildung, aber auch die immer wichtiger werdende Pflegearbeit für ältere Menschen. Winker legt dar, dass diese Vernachlässigung nicht an bösen Menschen und Organisationen, sondern im Verwertungsinteresse des Kapitals begründet liegt. Sie bleibt aber nicht bei dem Lamento über die schlechten Zustände stehen.
In mehreren Kapiteln zeigt sie die unterschiedlicher Facetten einer Carebewegung, die sich eben nicht mit den Sachzwängen zufrieden geben will. Dabei gehören auch immer wieder gewerkschaftliche Kämpfe. So kämpfen Mitarbeiter an der Berliner Charité für einen Personalschlüssel, der eine gute Pflege für alle überhaupt noch möglich macht.
Ähnliche Bewegungen gibt es im Kitabereich, wo die Streiks der nächsten Tage durchaus auch als Teil dieser Carebewegung betrachtet werden können. Besonders überzeugend ist Winkers Plädoyer, weil sie auch deutlich macht, dass hier und heute der Kampf um Veränderungen beginnen muss, die Kämpfe aber über die kapitalistische Gesellschaft hinausweisen müssen. Sie lässt da keinen Raum für Illusionen von Reformen im System.
Im Gegensatz zum „Kommenden Aufstand“ zeigt Care Revolution die Möglichkeiten auf, Veränderungen im Alltag zu beginnen, ohne sich in der Realpolitik zu verfangen. Deswegen ist es vielleicht nicht der große Renner der Feuilletonisten, wird aber in verschiedenen Kreisen der außerparlamentarischen Linken nicht nur gelesen, sondern durchaus auch als undogmatische Handelsanleitung verstanden.
Im letzten Jahr gab es den großen bundesweiten Kongress zur Care Revolution [11]. Seitdem finden nicht nur regelmäßige Treffen statt. Auf großen Demonstrationen gibt es eigene Blöcke, die die Carerevolution thematisieren, beispielsweise bei den Blockupy-Protesten [12] am18. März 2015 oder beim 1. Mai in Berlin.
Dort hatte das Netzwerk unter dem Motto „Tag der unsichtbaren Arbeit [13]“ aufgerufen. Erstaunlicherweise blieben diese Aktivitäten auch in einem großen Teil der Medien, die über den 1. Mai berichteten, unsichtbar. Es scheint eben immer noch angesagter, über unverbindliche kommende oder kleine Kreuzberger Aufstände beziehungsweise ihr Ausbleiben zu schreiben, als über Transformationsprozesse, die sich an den aktuellen Verhältnissen orientieren.
Linke Woche der Zukunft
Diesen Anspruch hat auch die parteiförmig organisierte Linke. Ende August lud sie zu einer linken Woche der Zukunft [14]nach Berlin ein. Unter den mehreren Hundert Veranstaltungen fanden sich tatsächlich einige, die zumindest die Fragen aufwerfen, die in den nächsten Jahrzehnten aktuell sind. Dass man dabei bei Abwehrkämpfen, wie „Hartz IV muss weg“ oder „Kein Krieg mit Russland“ nicht stehen bleiben kann, ist eigentlich allen klar.
Es müssen Politikfelder gesucht werden, die Menschen Lust machen, sich in einer linken Bewegung oder Partei zu engagieren. Dafür sind Abwehrkämpfe nur bedingt geeignet. So diskutierten auf einer Podiumsveranstaltung unter dem Titel „Digitale Revolution?“ die ehemalige Piratenpolitikerin Anke Domscheit-Berg, der marxistische Soziologe Christian Fuchs und die Linkspartei-Abgeordnete Halina Wawzyniak über die Frage, ob die Digitalisierung der Produktionsverhältnisse nicht auch emanzipatorische Momente habe.
Dabei blieb man aber oft noch zu sehr bei der Frage stecken, ob denn die 3-D-Drucker in der nächsten Generation tatsächlich so viele Lohnarbeitsverhältnisse überflüssig machen würden. Erst, wenn sich eine Linke die Frage stellt, warum ist es denn ein Fluch ist, dass Lohnarbeitsverhältnisse durch Maschinen überflüssig werden und welche Verhältnisse hergestellt werden müssen, dass man darüber froh sein kann, wenn Maschinen stupide, oft krankmachende Lohnarbeit übernehmen, ist sie aber auf der Höhe der Zeit.
Denn dann käme wieder die Schranke der kapitalistischen Verwertungslogik auf die Tagesordnung. Zudem könnte endlich die Diskussion darüber beginnen, ob viele Menschen nicht tatsächlich viel Schöneres als Lohnarbeit machen könnten und dass für viele nicht das Problem der Verlust der Lohnarbeit, sondern das Fallen ins das Hartz IV-System ist.
Genau da müsste eine linke Praxis ansetzen, die genau das verhindert. Wenn die Leute mehr freie Zeit haben, könnten sie Sorgearbeit für sich und ihre Freunde in einem viel größeren Umfang selber leisten. Darauf weist Gabriele Winker in Care Revolution hin und zeigt damit auf, dass es durchaus heute schon Skizzen für ein linkes Projekt gibt, für das sich zu kämpfen lohnt. Dafür braucht es allerdings einen langen Atem.
Wer innerhalb weniger Jahre kommende Aufstände an- und absagt, hat die zumindest nicht. Der richtet sich eher nach dem Rhythmus der Kulturindustrie.
http://www.heise.de/tp/news/Wenn-der-3-D-Drucker-zur-Verheissung-fuer-das-Ende-der-Lohnarbeit-wird-2636333.html
Peter Nowak
Links:
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Die neue Speerspitze der ArbeiterInnenbewegung
Über die Notwenigkeit gewerkschaftlicher Organisierung im Care-Bereich
„Die verstaubten Verhältnisse wegcaren.“ Aufkleber mit dieser Parole finden sich noch zahlreich im Berliner Stadtbild. Es sind Erinnerungen an die Aktionskonferenz Care-Revolution, die dort Mitte März stattgefunden hatbenutzen. Nicht nur die große Resonanz, auf die der Kongress stieß, macht deutlich, dass es sich hier nicht um eine der vielen Konferenzen handelt, die schnell wieder vergessen sind. Es war bei vielen der meist jungen TeilnehmerInnen fast eine Aufbruchstimmung zu spüren. Ein neues Thema und moderne Slogans, die auch gesellschaftlich im Trend sind – wann kann eine linke Bewegung das schon einmal von einer Debatte behaupten? Doch genau hier liegt eine Gefahr. Denn der ganze Hype um das Neue und Moderne, das die Thematik der Care-Revolution ausstrahlt, lässt schnell in Vergessenheit geraten, dass es sich eigentlich um ein sehr altes Thema handelt. Nur lange Zeit wurde es unter dem Begriff Reproduktionsarbeit gefasst. Das klingt manchen dann doch zu altmodisch. Seither gibt es gleich eine ganze Reihe neuerer Begriffe. Care-Revolution steht dabei eindeutig auf dem ersten Platz. Doch auch von Sorgearbeit wird häufig gesprochen.
Daher hat die Berliner Politikwissenschaftlerin Pia Garske in einem Beitrag in der Zeitschrift analyse und kritik den Care-Begriff als beliebig kritisiert: „Seine Offenheit und auch die unscharfen Bestimmungen von AkteurInnen und möglichen Interessengegensätzen macht ihn zu einem Containerbegriff, der gbenutzenanz unterschiedlich, auch neoliberal gefüllt werden kann.“ Ein Beispiel dafür ist die Auslagerung von Care-Arbeit auf Frauen, in seltenen Fällen auch Männern, aus den Krisenländern der europäischen Peripherie aber auch aus Asien sowie Zentral- und Lateinamerika. Deutsche Frauen aus der Mittelschicht erlangen so mehr persönliche Autonomie für ihre berufliche Karriere. Für die CarearbeiterInnen, die oft sogar mit im Haushalt leben, gilt das allerdings nicht.
Es wäre naiv zu glauben, dass der Kapitalismus nicht auch Teile der Care-Revolution-Debatte für seine Modernisierung vereinnahmen kann, so wie es die Umweltbewegung und viele andere neue soziale Bewegungen erleben mussten. Gerade aus einem syndikalistischen Verständnis heraus wäre es wichtig, die Veränderungen in der Arbeitswelt in den letzten Jahren in den Blick zu nehmen, die mit dazu beigetragen haben, dass die Care-Revolution-Debatte nicht nur in Deutschland an Bedeutung gewonnen hat. Diese Veränderungen brachten Jörn Boewe und Johannes Schulten in einem Beitrag in der Wochenzeitung Der Freitag etwas zugespitzt so auf den Punkt: „Vor 30 Jahren schrieben Männer im Blaumann Tarifgeschichte: Stahlkocher, Automobilbauer und Drucker erkämpften 1984 in wochenlangen Streiks den Einstieg in die 35-Stunden-Woche. Heute, 30 Jahre später, ist die Speerspitze der Arbeiterbewegung überwiegend weiblich und trägt blaue, grüne und weiße Kittel“.
Man kann den Kampf um die Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in der Berliner Charité als aktuelles Beispiel heranziehen. Die Beschäftigten waren auf der Care-Revolution-Konferenz vertreten. Zeitgleich fand ebenfalls in Berlin ein Treffen des Netzwerks europäischer BasisgewerkschafterInnen statt. Leider gab es keine Bezugnahme aufeinander, was nicht nur im Bereich Gesundheit möglich und wünschenswert gewesen wäre. Das soll keine Kritik, sondern eine Aufforderung sein, die Care-Arbeit in gewerkschaftlichen Zusammenhängen zu organisieren und nicht erst, wenn der nächste Kongress ansteht.
aus: Direkte Aktion, Mai/Juni 2014
Peter Nowak
Care statt Cash
Das Bundesverfassungsgericht hält an der Diskriminierung häuslicher Care-Arbeit fest. Die Care-Revolution-Bewegung macht dagegen mobil
„Die geringeren Geldleistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege durch Familienangehörige gegenüber den Geldleistungen beim Einsatz bezahlter Pflegekräfte verstoßen nicht gegen das Grundgesetz.“ Das ist der Kernsatz eines am Donnerstag veröffentlichten Beschlusses [1]
des Bundesverfassungsgerichts.
Geklagt hatten die Ehefrau und die Tochter eines Mannes, der während seiner schweren Krankheit von den beiden Familienangehörigen bis zu dessen Tod zu Hause gepflegt wurde. Sie mussten sich mit einem Pflegegeld der Stufe III in Höhe von 665 Euro begnügen. Bezahlte Pflegekräfte hätten mit 1.432 Euro mehr als doppelt so viel Geld bekommen.Durch mehrere gerichtliche Instanzen versuchten die beiden Frauen unter Hinweis auf den grundgesetzlichen Gleichheitssatz erfolglos den Differenzbetrag zwischen dem Pflegegeld und der höheren Pflegesachleistung einzuklagen. Nun sind sie auch beim Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Berufung auf familiäre Beistandspflicht
Das Gericht argumentiert dabei mit Familienwerten sowie dem Ehrenamt, die eine geringere Vergütung der häuslichen Pflege möglich machen. „Während der Zweck der sachgerechten Pflege im Fall der Pflegesachleistung nur bei ausreichender Vergütung der Pflegekräfte durch die Pflegekasse
sichergestellt ist, liegt der Konzeption des Pflegegeldes der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird. Der Gesetzgeber darf davon ausgehen, dass die Entscheidung zur familiären Pflege nicht abhängig ist von der Höhe der Vergütung, die eine professionelle Pflegekraft für diese Leistung erhält. Die gegenseitige Beistandspflicht von Familienangehörigen rechtfertigt es, das Pflegegeld in vergleichsweise niedrigerer Höhe zu gewähren.“
Mit dem Urteil werden Kritikerinnen wie Claudia Pinl bestätigt [2], die seit Jahren konstatieren, dass die Propagierung von Familienwerten und demunentgeltlichen Ehrenamt zur Begleitmusik zur Schleifung des Sozialstaates im Wirtschaftsliberalismus gehört. Besonders in den Ländern der europäischen Peripherie wie Spanien und Griechenland kollabierten öffentliche Sozialsysteme wie Bildungs- und Gesundheitswesen. Die sozialen Arbeiten wurden weitgehend in die Familien zurückverlagert, wo traditionell Frauen besonders betroffen sind. Aber auch in Deutschland propagieren Gesundheitsforscher [3] wie Fritz Beske [4] ein extrem verschlanktes Gesundheitssystem [5], das sich einkommensschwache Menschen nicht mehr leisten können.
Neben drastischen Leistungseinschränkungen für die große Mehrheit der Bevölkerung propagieren Konservative wie Beske den Vorrang der ambulanten vor der stationären medizinischen Versorgung. Da kommt der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gerade recht, der die finanzielle Abwertung der häuslichen Care-Arbeit noch einmal bestätigt. Mit dem Verweis auf die familiären Beistandspflichten wird verdeutlicht, dass es sich hier durchaus um ein Zwangsverhältnis handelt.
Auftrieb für Care-Revolution-Debatte?
Der Beschluss dürfte einer Debatte über die Krise der sozialen Reproduktion Auftrieb geben, wie sie seit einigen Jahren in feministischen Kreisen (http://www.feministisches-institut.de/aktionskonferenz/), aber auch in zunehmend größeren Teilen sozialer Initiativen geführt wird. Mitte März hat in Berlin ein gutbesuchter Kongress [6] stattgefunden, der der neuen Bewegung großen Auftrieb gegeben hat.
„In einem kapitalistischen System spielen menschliche Bedürfnisse jedoch nur insofern eine Rolle, als sie für die Herstellung einer flexiblen, kompetenten, leistungsstarken, gut einsetzbaren Arbeitskraft von Bedeutung sind. Sorgearbeit wird gering geschätzt und finanziell kaum unterstützt. Dies gilt insbesondere in der derzeitigen Krise sozialer Reproduktion, die wir als einen zugespitzten Widerspruch zwischen Profitmaximierung und Reproduktion der Arbeitskraft verstehen“, lautete eine der Thesen im Einladungspapier. In einer auf der Konferenz verabschiedeten Resolution [7] wurde die Sorgearbeit als „unsichtbare Seite der kapitalistischen Ökonomie“ bezeichnet.
„Der größte Teil der Sorgearbeit wird weiterhin unbezahlt geleistet – bleibt gesellschaftlich unsichtbar. Wegen der mangelhaften öffentlichen Versorgung wird Sorgearbeit wieder in die Haushalte verschoben. Ihre zwischenmenschliche Qualität muss sich aber auch hier gegen zeitlichen und finanziellen Druck sowie Überforderung behaupten. Damit wird sie zur Doppelt‐ und Dreifachbelastung.
Wer für wen sorgt, wie gut jemand für sich und andere sorgen kann, und wer wie viel Lohn und Anerkennung für geleistete Sorgearbeit erhält – all das ist entlang von Herrschaftsverhältnissen organisiert: Beispielsweise wird auf Grund patriarchaler Verhältnisse bezahlte wie unbezahlte Sorgearbeit noch immer eher Frauen zugewiesen, geht ihnen angeblich quasi ’natürlich‘ von der Hand. Dadurch werden Fachkompetenzen abgewertet, das Geleistete als Selbstverständlichkeit missachtet.“
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat diese Einschätzung einmal mehr bestätigt. In Zukunft wird sich zeigen, ob es gelingt, die Care-Revolution-Bewegung mit gewerkschaftlichen Kämpfen zusammenzubringen. Dass es zumindest auf theoretischer Ebene gelingen kann, zeigt ein von dem Schweizer Denknetz [8] herausgegebener Band unter dem Titel „Care statt Cash“ [9]. Dort werden sowohl die wichtigsten Positionen [10] der Care-Revolution-Debatte und Schweizer Gewerkschaften vorgestellt und diskutiert.
http://www.heise.de/tp/news/Care-statt-Cash-2173608.html
Peter Nowak
Links:
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