Gemeinsam handlungsfähig sein gegen Rechts

Was können die emanzipatorischen sozialen Bewegungen der rechten Mobilisierung entgegensetzen?

Pegida-Demonstrationen, Gewalt gegen Flüchtlinge, Anschläge auf ihre Unterkünfte – die rechte Bedrohung wird stärker. Was tun?

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (HDM) in Prenzlauer Berg zum sozialpolitischen und antifaschistischen Ratschlag versammelt. Eingeladen hatten Trägerkreis Vorstand der Stiftung des HDM Ende letzten Jahres.

Angesichts der massiven Mobilisierung von Rechts in unserem Land rufen wir alle emanzipatorischen Gruppen, Initiativen, Organisationen – allgemein Bewegte – auf, gemeinsam die sozialen Fragen der Zeit zu debattieren und unsere Kräfte zu bündeln«, wurde das zentrale Anliegen zusammengefasst. Die Vorstellung einer weltoffenen, sozialen und toleranten Gesellschaft müsse offensiv gegen Rechts vertreten werden.

Schon bei der Vorstellungsrunde bekundeten viele Teilnehmer das Erschrecken über eine wachsende rechte Tendenz in der Gesellschaft. Antifaschistische Gruppen waren ebenso beteiligt wie Erwerbslosengruppen, das »Bündnis gegen Zwangsräumungen«, die »Mobile Beratung gegen Rechtextremismus« und die Junge Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Ein älteres Ehepaar begründete ihr Engagement mit ihren Erlebnissen bei einem Dresden-Besuch, wo sie beobachten konnten, wie aus einer Pegida-Demonstration eine Gruppe ausländische Schüler beschimpft und bedroht wurden. Nachdem die unterschiedlichen Bündnisse und Gruppen ihre für die nächsten Monate geplanten Kongresse, Demonstrationen und Veranstaltungsreihen vorstellten, wuchs bei einigen Teilnehmern die Ungeduld. »Die Vorhaben der einzelnen Gruppen kann ich auch im Internet erfahren. Wir müssen hier darüber reden, warum die Linke in der Defensive ist und wie wir das ändern können«, meinte Michal Prütz von der Neuen Antikapitalistischen Organisation (NAO).

Doch in der Kleingruppenphase im zweiten Teil des Treffens konnte man sich auf einige gemeinsame Vorhaben für die nächsten Monate verständigen.

Die Interventionistische Linke (IL), zu der sich im letzten Jahr mehrere Gruppen der außerparlamentarischen Bewegung zusammengeschlossen hatten, stellte ihr Konzept einer sozialen Allianz unter dem Arbeitstitel »Berlin für Alle« vor. »Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei den Verteilungskämpfen nicht den Rechten die Deutungshoheit überlassen«, begründeten die IL-Vertreter ihren Vorschlag So sei die Forderung nach ausreichendem bezahlbaren Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge sondern generell für Menschen mit geringen Einkommen notwendig, um zu verhindern, dass sozial und gesellschaftlich Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von 32 obdachlosen Männern gegen ihre Kündigung in einen Moabiter Wohnheim angeführt, das zu einer Flüchtlingsunterkunft umgewandelt werden soll. Die Betroffenen wehren sich gegen ihren drohenden Rausschmiss, sind aber mit den Geflüchteten solidarisch und fordern Wohnraum für Alle unabhängig von ihrer Herkunft. Zudem soll noch in der ersten Jahreshälfte 2016 ein »Tag der sozialen Bewegungen« veranstaltet werden, zu dem noch weitere Gruppen aus dem gewerkschaftlichen, feministischen und Flüchtlingsspektrum eingeladen werden sollen.

Neben diesen Aktionen war bei vielen Teilnehmern der Wunsch nach stärkerer Kooperation im Alltag deutlich. Dabei wurde auch über eine Reaktivierung der Sozialforen gesprochen, die zwischen 2005 und 2010 in zahlreichen Städten Deutschlands, darunter auch in Berlin, aktiv waren. Eine Wiederbelebung der Sozialforen wäre auch ein internationalistisches Signal. Schließlich existierten in Teilen Afrikas und Lateinamerikas weiterhin aktive Sozialforen. Beim nächsten berlinweiten Treffen am 14. Februar soll über die Wiedereinrichtung diskutiert werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998414.gemeinsam-handlungsfaehig-sein-gegen-rechts.html

Peter Nowak

Soziale Frage neu gestellt

„Links“ „Ratschlag“ im Haus der Demokratie

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Haus der Demokratie und Menschenrechte an einem „sozialpolitischen und
antifaschistischen Ratschlag“ beteiligt. Das Bündnis gegen Zwangsräumungen und die Erwerbslosengruppe Basta waren ebenso vertreten wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, die Junge GEW und die Interventionistische Linke (IL). Ein 88-jähriger Teilnehmer
erklärte, er wolle sich noch einmal engagieren, nachdem er in Dresden gesehen habe, wie aus einer Pegida-Demonstration heraus
ausländische SchülerInnen bedroht wurden. Angesichts der erstarkenden rechten und rassistischen Propaganda müsse die Linke wieder in der Öffentlichkeit wahrnehmbar werden, so der Konsens unter den Ratschlag-TeilnehmerInnen.  „Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei Verteilungskämpfen den Rechten nicht die Deutungshoheit überlassen“, begründeten die IL-VertreterInnen
ihren Vorschlag einer sozialen Allianz unter dem Motto „Berlin für Alle“. Zentraldabei ist die Forderung nach ausreichendem bezahlbarem Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge, sondern für alle Menschen mit geringen Einkommen. S  könne verhindert
werden, dass Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von Obdachlosen gegen ihre Kündigung durch den Betreiber des „Gästehaus Moabit“ angeführt, das zur Flüchtlingsunterkunft werden  soll. Die von der Kündigung Betroffenen zeigten sich mit den Geflüchteten solidarisch. Verabredet wurde die Vorbereitung eines „Tages der sozialen Bewegungen“ in den kommenden Monaten. Dazu sollen auch Flüchtlingsinitiativen sowie gewerkschaftliche und feministische Gruppen eingeladen werden. Am 14. 2. wird die Diskussion im Haus der Demokratie fortgesetzt.
aus Taz 18.01.2016
Peter Nowak

Druck auf Merkel in der Flüchtlingsfrage wächst

In der EU ist Merkel isoliert, in Österreich wird eine Großoffensive gegen Migranten geplant, die Linke steckt im Moralisieren fest

Vor einigen Wochen noch wurde Angela Merkel wieder einmal als große Siegerin in den Medien gefeiert. Schließlich wurde sie am CDU-Parteitag mit viel Applaus bedacht und ihre Kritiker in der Flüchtlingsfrage gaben sich mit Formelkompromissen zufrieden. Vor allem Grüne und Zivilgesellschafter, ja sogar Campino von den Toten Hosen[1] sehen in Merkel die große Flüchtlingsfreundin.

Dass damals schon Tausende Menschen aus den Balkanländern, darunter Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden, in ihre sogenannten sicheren Herkunftsländer abgeschoben wurden, ging dabei weitgehend unter. Die Willkommenskultur galt wohl nicht für Roma aus Kosovo. Doch der innerparteiliche Burgfrieden währte nur kurz. Schon wieder melden sich Unionspolitiker zu Wort, die gegen die Merkelsche Flüchtlingspolitik opponieren. Dieses Mal geht es nicht um die Obergrenze, sondern um die Durchsetzung des Dublin-Systems. Einer der Initiatoren dieser Bewegung, der Unionsabgeordnete Christian von Stetten[2], wird in der Zeit zitiert[3]: „Bei einer solch entscheidenden Frage muss sich die Fraktion eine Meinung bilden.“

Zeit Online zitiert aus dem Antrag, dass dort eine „verlässliche Sicherung der deutschen Staatsgrenzen“ gefordert werde, solange internationale Maßnahmen wie die Sicherung der EU-Außengrenze noch keine Wirkung zeigten: „Notwendig sei eine ‚vollständige grenzpolizeiliche Kontrolle und Registrierung aller nach Deutschland Einreisender‘. Diese Maßnahmen müssten auch auf die Grüne Grenze übertragen werden. „Zurückweisungen (…) sind zumindest bei denjenigen vorzunehmen, bei denen keine offenkundigen, zwingenden humanitären Gründe für eine Einreise sprechen“, heißt es weiter.

Dies treffe vor allem auf allein reisende junge Männer zu. Aber auch Menschen, denen eine Wiedereinreisesperre auferlegt wurde, bereits einen Folgeantrag gestellt haben oder bei der Feststellung ihrer Identität nicht mitwirken, soll die Einreise verweigert werden. Nun sind diese Forderungen nicht besonders spektakulär. Ein Großteil ist bereits heute Gesetz. Allerdings können oder wollen die Initiatoren die Frage nicht beantworten, woher beispielsweise das Personal kommen soll, dass nicht nur die offizielle, sondern auch die Grüne Grenze vollständig überwachen soll.

So scheint hinter den Antrag eher die Panik von Unionspolitikern zu liegen, die bei den nächsten Landtagswahlen eine empfindliche Schlappe der Union und den Aufstieg der AfD befürchten. Es sind nicht nur Unionspolitiker, die sich Sorgen machen. Wenn vor einigen Wochen SPD-Politiker Merkel gerügt haben, sie lasse es mit ihrer Politik zu, dass die Konservativen in der Union heimatlos werden, dann kommt dort natürlich die Angst zum Ausdruck, dass die Union der SPD die Wähler wegnimmt.

Wenn man wahrnimmt, wer sich in den letzten Wochen mehr oder weniger verschämt alles als Merkel-Fan geoutet hat, dann ist diese Befürchtung sicher nicht unberechtigt. Wenn dann in der Folge die Union allerdings noch mehr Wähler an die AFD verliert, stehen die sogenannten Parteien der Mitte vor einem Dilemma. Es könnte die Zeit kommen, wo sie selber zusammen in einem Landtag keine absolute Mehrheit mehr haben.

Machtmenschen wie der Merkel-Vorgänger Schröder nutzen nun gleich die Gelegenheit, um Merkel noch zu bescheinigen[4], in der Flüchtlingspolitik keinen Plan gehabt zu haben. Seine Kritik ist teilweise verständlich, wenn er die Weigerung der Union, ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden, kritisiert, was dazu führt, dass Migranten, die in Deutschland bessere Lebensbedingungen suchen, aber nicht politisch verfolgt werden, unter die Asylgesetzgebung gepresst werden, die für diese Menschen gar nicht passt. Wenn Schröder konsequente Abschiebung von straffälligen Migranten fordert, ohne auch nur mal die rechtliche Grundlage zu erörtern, betreibt er natürlich gnadenlosen Populismus.

Es ist aber weniger Merkel als vielmehr Sigmar Gabriel, der durch die Schröder-Attacken aufgeschreckt werden müsste. Vielleicht plant er doch noch mal eine Rückkehr in die Politik? Schließlich darf der Begriff vom Altkanzler nicht täuschen. Es gab Kanzler, die waren schon beim Amtsantritt älter als Schröder heute. Wenn sich der Abwärtstrend der SPD bei den nächsten Wahlen nicht aufhalten lässt, könnte es gut sein, dass Schröder als Retter in der Not gerufen wird. Er kann sogar glaubwürdig Merkel in der Flüchtlingsfrage von rechts kritisieren.

Landrat schickt Geflüchtete vor das Bundeskanzleramt

Wie groß die Ablehnung der Merkelschen Flüchtlingspolitik schon ist, zeigte auch die Aktion[5] eines bayerischen Landrats, der 31 syrische Geflüchtete mit dem Bus nach Berlin schickte, um gegen die Flüchtlingspolitik zu protestieren. Da der Landrat zu den Freien Wählern gehört, fanden vor allem die CSU und auch viele Medien keine guten Worte für die Aktion.

Tatsächlich macht der Landrat deutlich, dass er für eine Flüchtlingsbegrenzung eintritt, also die Aktion zur Umsetzung einer politischen Agenda nutzt. Allerdings könnte sie gegen seinen Willen auch den Geflüchteten entgegen gekommen sein. Vielleicht sehen sie in der Großstadt Berlin mehr Chancen für sich als in der bayerischen Provinz. Wenn sie schlau sind, haben sie Vorkehrungen getroffen und nutzen die Aktion des Landrats, um in Berlin zu bleiben. Dann stünde der Politiker blamiert da und einige Menschen wären zufriedener.

In der EU ist Merkel völlig isoliert

Doch nicht nur in Deutschland mehr noch in der EU wächst der Druck auf Merkel. Das wurde beim gestrigen Besuch von EU-Kommissionspräsident Juncker in Berlin deutlich. Der favorisierte EU-Verteilungsplan geht nicht auf. Ob Dänemark, Schweden, Tschechien. Polen oder die Slowakei, von Ungarn gar nicht zu reden, alle Länder mit ihren unterschiedlichen Regierungen fordern eine Verminderung von Migranten in ihren Ländern oder zumindest ein geordnetes Prozedere.

In einem Interview[6] des Deutschlandfunks mit dem Direktor des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung Joachim Fritz-Vonnahme[7] wird auch deutlich, wie gespalten die EU in der Flüchtlingsfrage ist. Auf die Frage, ob es noch eine europäische Lösung geben wird, antwortet Fritz-Vonnahme:

Ich glaube nicht mehr, dass es in absehbarer Zeit eine europäische Lösung geben wird, und zwar, weil die Probleme inzwischen zu einem wahren Gestrüpp von nationalen Egoismen herangewachsen sind. Ich will mal nur ein oder zwei Beispiele nennen. Da wird beschlossen, dass man die Grenzschutztruppe Frontex auf 1.500 Mann bis Mitte dieses Jahres aufstocken soll. Die aktuelle Ratspräsidentschaft der Niederländer sagt, das kann aber noch ein bisschen warten. Die Slowaken, die anschließend übernehmen, sagen, nein, nein, wir können überhaupt nicht bis Mitte des Jahres warten, das muss sofort geschehen.

Zweites Beispiel ist die Quote von 160.000 Flüchtlingen, die verteilt werden sollen. Da sind einige wenige Hundert nach Monaten inzwischen verteilt. Oder ein weiteres Beispiel die Überlegung der niederländischen Ratspräsidentschaft, ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sie Vorsitz haben, ein Mini-Schengen zwischen vier, fünf, sechs Mitgliedsstaaten aus der Taufe zu heben. Das ist die Spaltung der EU von unten her, von innen her. Das ist wie gesagt alles nur Gestrüpp, in dem keiner so richtig weiß, welchen Weg er eigentlich einschlagen will.Joachim Fritz-Vonnahme

Joachim Fritz-Vonnahme

Großoffensive gegen Migranten in Österreich

Derweil meldet[8] die österreichische Kronenzeitung, sie haben einen eigentlich noch geheimen Plan enthüllt, nach dem das österreichische Bundesheer schon in den nächsten Tagen gegen Migranten an der Grenze vorgehen will und dabei mit der deutschen und slowenischen Regierung in Gesprächen sei. Hier würde nur nachvollzogen, was bereits an vielen anderen Grenzen Praxis ist.

Man vertraut also nicht mehr darauf, dass die türkische Regierung die potentiellen europäischen Einwanderer schon zurückhält und sie teilweise sogar gleich nach Syrien zurückschickt. Denn auch das gehörte zur Flüchtlingspolitik à la Merkel. Doch vor allem ihre neuen Freunde, die wie die Taz gleich einen neuen deutschen Willkommenspatriotismus ausgerufen hatten, ignorierten solche unschönen Details ebenso wie die seit Wochen laufenden Massenabschiebungen in den Kosovo und andere Balkanländer.

Moral statt Analyse in der linken Flüchtlingsdebatte

Gerade die letzten Monate der Flüchtlingspolitik haben die völlige Konzeptlosigkeit einer Linken entlarvt, die in der Flüchtlingsfrage nicht über moralische Bekenntnisse hinauskam. Dabei stand weniger das Interesse der Migranten, sondern das Bedürfnis, sich mit einem angeblich so humanen Deutschland zu solidarisieren, im Mittelpunkt.

Das merkt man allein schon daran, dass in den meisten Publikationen ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mirganten n Deutschland für immer leben wollen. Dabei haben viele Flüchtlingsorganisationen immer wieder betont, dass sie gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen, wenn sich die Bedingungen in ihren Ländern verbessert haben. So betonen in einer Publikation[9] der zivilgesellschaftlichen Organisation Adopt the Revolution[10], die für eine demokratische Entwicklung ohne die Islamisten und das Assad-Regime in Syrien eintritt, mehrere Interviewpartner, dass sie keinesfalls dauerhaft in Europa bleiben wollen.

Die Initiative Afrique-europe-Interact[11] redet in ihrer jüngsten Publikation vom Recht zu gehen und vom Recht zu bleiben. Dort werden anders als in der moralischen deutschen Flüchtlingsdebatte auch die Folgen für die Länder beschrieben, aus denen viele meist junge Menschen migrieren.

Es wäre zu wünschen, wenn mehr solche Initiativen, in denen Geflüchtete selber zu Wort kommen, gehört werden. Der Mainstream der deutschen Willkommenskultur macht das genau nicht. Ihnen geht es vor allem um die großen Chancen für eine alternde Gesellschaft in Deutschland, die Zuwanderung mit sich bringen sollen. Dabei sind sie sich auch mit führenden Wirtschaftsverbänden einig. Das war auch der Motor der Willkommenskultur im Spätsommer 2015. Die Linke spielte dabei in der Regel die Rolle des humanitären Feigenblattes.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47130/1.html

Peter Nowak 15.01.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.express.de/duesseldorf/lob-fuer-die-kanzlerin-campino—merkel–ich-koennte-sie-umarmen—23106736

[2]

http://www.christian-von-stetten.de/

[3]

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-01/angela-merke-cdu-fluechtlinge-streit

[4]

http://www.focus.de/politik/deutschland/altkanzler-zur-fluechtlingskrise-da-wurde-schlicht-die-realitaet-ignoriert-schroeder-kritisiert-merkel_id_5212643.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/landrat-peter-dreier-schickt-fluechtlinge-per-bus-zu-angela-merkel-a-1072011.html

[6]

http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-keine-europaeische-loesung-in.694.de.html?dram:article_id=342465

[7]

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ueber-uns/wer-wir-sind/ansprechpartner/mitarbeiter/cid/joachim-fritz-vannahme/

[8]

http://www.krone.at/Oesterreich/Grossoffensive_gegen_illegale_Einwanderer-Heeres-Geheimplan-Story-491105

[9]

http://www.adoptrevolution.org/ich-will-syrerin-bleiben/).

[10]

http://www.adoptrevolution.org/

[11]

http://afrique-europe-interact.net/

In die Ferne fuchteln

Eine fortschrittliche Linke muss sich jeder Nation verweigern und jedem Krieg eine Absage erteilen.

Anfang der neunziger Jahren wurde in antideutschen Kreisen für Linke, die ohne jeglichen gesellschaftlichen Einfluss immer ein Repertoire an Vorschlägen für die Lösung der Konflikte in aller Welt parat hatten, der schöne Begriff des Fernfuchtlers geprägt. Nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 wurden einige vormalige Antideutsche selbst Fernfuchtler. Spätestens als die Zeitschrift Bahamas im April 2003 den US-Präsidenten zum »Man of Peace« kürte und die schnelle Niederlage des Ba’ath-Regimes nicht nur feierte, sondern damit die Hoffnung auf ein Ende der antisemitischen Internationale verband, war klar, dass ein Teil dieser Strömung es nicht mehr bei Ideologiekritik belassen wollte. Nach den Anschlägen von Paris schwingt sich die Fernfuchtler-Fraktion zu neuen Höhenflügen auf. Bereits im Dossier der Jungle World 48/2015 blies Matthias Küntzel zum großen Krieg und unterschied sich in seinen Argumentationen kaum vom rechten Flügel der US-Republikaner. So warf er US-Präsident Obama eine Politik der »Selbstentmachtung« und der »Selbstdemütigung« vor. Ausgeblendet hat er dabei, dass Obama mit seiner Politik auf das völlige Scheitern der Außenpolitik seines Vorgängers reagierte und nachvollzog, was große Teile der US-Bevölkerung nach der Ende der Bush-Ära einforderten. Bushs außenpolitische Bilanz war geprägt von einer wachsenden Zahl toter US-Soldatinnen und -Soldaten. Die toten Zivilisten vor Ort spielten für den Kurswechsel eine geringere Rolle. Die größte Selbstdemütigung der USA, zumindest für die Menschen, für die ihre Gründungsdokumente noch eine Bedeutung hat, waren sicherlich die Foltermethoden von Guantánamo bis Abu ­Ghraib. Hier wurde übrigens auch auf vielfältige Art und Weise gesät, was die unterschiedliche ­Islamistenfraktionen später ernten konnten. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist nur die zurzeit bekannteste dieser islamfaschistischen Bewegungen.

Es sind ganz konkrete Maßnahmen, wie die Auflösung der irakischen Armee nach dem Sturz des Ba’ath-Regimes, die erklärbar machen, wie eine Gruppierung wie der IS so stark werden konnte. Und die Bilder von Abu Ghraib und Guantánamo haben dazu beigetragen, dass in vielen arabischen Ländern und längst nicht nur in islamistischen Kreisen jegliches Vertrauen in die US-Politik verloren ging. Ist schon vergessen, dass nach 2001 nicht wenige tatsächliche oder vermeintliche Islamisten für die Schmutzarbeit an die Häscher des syrischen Regimes übergeben wurden? So bediente sich der Westen genau der Terrormethoden des syrischen Regimes, die heute so wortreich beklagt werden. Von alldem lesen wir bei Küntzel nichts, der den Westen zum ganz großen Kampf gegen die von ihm so bezeichnete »Koalition der Wahnsinnigen« aufruft. Diese umfasst die Hamas, die Hizbollah, al-Qaida, den IS und den Iran. All diesen Akteuren wird niemand eine Träne nachweinen.

Die Leidtragenden einer Intervention in Syrien wären neben den vielen Zivilisten auch die Israelis. Es ist ein Glück für Israel, dass die islamistischen Kräfte untereinander zerstritten sind. Eine vereinigte islamistische Front würde erst geschmiedet, wenn jemand mit Macht, vielleicht ein US-Präsident Donald Trump, Küntzels Vorschlag umsetzen wollte. Für Israel wäre das eine große Gefahr. Es ist auffallend, dass in Küntzels Aufzählung der Wahnsinnigen Saudi-Arabien nicht auftaucht. Dabei hat das Regime bei der Praktizierung von Terror nach innen und Islamismusexport nach außen den Iran längst eingeholt. Gehört das Land jetzt nach Küntzels Meinung zu den wesentlichen Verbündeten des Westens?

Auch Gerhard Scheit erweist sich in seinem Beitrag in der Jungle World 49/2015 als Fernfuchtler mit globalem Anspruch. Allein der Vorwurf des Appeasements gegen Politiker, die nicht überall Bomber hinschicken wollen, macht deutlich, wie sehr er in militärstrategischen Kategorien denkt. Da ist für zivilgesellschaftliche, geschweige denn herrschaftskritische Gedanken kein Platz mehr. Das wird deutlich, wenn Scheit es begrüßt, dass »der NSA-Skandal« nach den Anschlägen von Paris »von deutschen Moralaposteln und grünen Politikern natürlich abgesehen, kaum noch jemanden interessiert«. Nun kann man mit Recht an dem Mainstream der deutschen NSA-Debatte kritisieren, dass sie die Überwachungsmethoden deutscher Dienste bagatellisierte, von Antiame­rikanismus geprägt war und die angeblich nicht vorhandene deutsche Souveränität beklagte. Wenn aber der Protest gegen die NSA-Überwachung für nebensächlich gehalten wird, zeigt dies doch vor allem, dass die individuellen Grundrechte – und dazu gehört das Recht, nicht abgehört zu werden – auf der Strecke bleiben, wenn das Fernfuchteln beginnt.

Und nicht nur das. Nach den Anschlägen von Paris wollten plötzlich von einer Kritik an der omnipräsenten französischen Fahne auch solche Menschen nichts mehr hören, die eigentlich immer eine klare Kritik an Staat und Nation geübt haben. Dabei entscheidet sich gerade dann, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird, was diese Kritik wert ist. Denn dann werden von der Herrschaft die Toleranzgrenzen eng gezogen, und es kann sogar strafrechtlich sanktioniert werden, wenn man an der alten Staatskritik festhält. Da wird historisch argumentiert, dass es die Fahne der französischen Revolution ist. Doch die französische Fahne bedeutet einen nationalen Schulterschluss, bei dem dann zumindest kurzfristig die innergesellschaftlichen Widersprüche, wie den Kampf gegen die Rechte in Gestalt des Front National (FN), aber auch Arbeitskämpfe an Bedeutung verlieren.

Die französische Fahne zu zeigen, bedeutet auch zu schweigen über ein anderes Pariser Massaker, bei den am 17. Oktober 1962 Hunderte Teilnehmer einer von der französischen Regierung verbotenen Demonstration für die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN ermordet und wurden. An solche und andere Verbrechen der Nation gerade in Zeiten zu erinnern, in denen zum na­tionalen Schulterschluss aufgerufen wird, gehört zu der wichtigsten Aufgabe einer Linken, die ihre Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus ernst nimmt. Sie erkennt als erstes ihre völlige Machtlosigkeit und unterlässt jedes Fernfuchteln.

Nur eine Linke, die sich in Zeiten des Notstands und des Ausnahmezustands verweigert, wenn zur Vereinigung unter den unterschiedlichen Nationalfahnen aufgerufen wird, wird in der Lage sein, einen widerständigen Block zu bilden, der die Barbarisierungspotentiale im Zerfallsprozess des Kapitalismus analysiert und bekämpft. Dazu gehört der Klerikalfaschismus, wovon die unterschiedlichen islamistischen Gruppen nur die Speerspitze bilden. Dazu gehören aber auch die unterschiedlichen faschistischen oder nationalistischen Gruppierungen, die in ganz Europa anwachsen.

Eine Linke, für die die Kritik an Staat, Kapital und Nation kein Schönwettergeschwätz ist, sollte dazu beitragen, dass diese Zusammenhänge erkannt und der Widerstand gegen die beiden Formen der extremen Krisenreaktionen des Kapitalismus in den Stadtteilen organisiert wird, in denen die Menschen leben, die heute oft nicht einmal mehr vom Kapitalismus ausgebeutet werden. Es sind die Stadtteile, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wählerpotential rechter Bewegungen wurde. Es sind auch Quartiere, in denen die überwiegende Mehrheit der islamfaschistischen Attentäter leben. Man braucht also nicht Bomber in den Nahen Osten zu schicken, wenn man die unterschiedlichen Spielarten des Faschismus bekämpfen will. Diese Klärungs- und Organisationsprozesse sollten in den europäischen Kernländern geführt werden. Doch dazu braucht es eine antagonistische Linke, die nicht durch die Zusammenarbeit mit der Macht diskreditiert ist. Historische Reminiszenzen sollten sicher nicht überstrapaziert werden. Doch diese antagonistische Fraktion der Linken kann sich ein historisches Vorbild an der Zimmerwalder Linken nehmen, sich mitten im Ersten Weltkrieg in einem Meer von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsbegeisterung die entschiedenen Kriegsgegner sammelten. Bei allen zeitbedingten Unterschieden sind zwei Grundsätze der Zimmerwalder heute aktueller denn je: die Absage an die Kriege der Herrschenden nach außen und an die Politik des Burgfriedens nach innen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53320.html

Peter Nowak

Rosa, Karl & die Räte

Axel Weipert
erinnert an die Zweite Revolution

Sie erhielten kein Rederecht auf dem Reichsrätekongress vom 16. bis zum 20. Dezember 1918 in Berlin: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und so entschied sich die Mehrheit der Delegierten wider das Rätesystem für Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung, also die parlamentarische Demokratie. „Rosa, Karl & die Räte“ weiterlesen

Staatsräson oder Solidarität?

Ver.di: Justizbeamte und Gefangene nicht der gleichen Gewerkschaft

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen, hat auch in Österreich Mitglieder gewonnen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat allerdings Probleme mit den KollegInnen hinter Gittern. In einer Radiosendung über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als ver.di nicht leisten können. Wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen.«

In einer Replik warf der Pressesprecher der GG/BO, Oliver Rast, Schürholz »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« vor. Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandards auch für Gefangene einzufordern, sehe der ver.di-Mann seine Rolle darin, »den Staat in der Gestalt als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten, sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen«.

Auf Nachfrage wollte Barbara Wederhake von der Fachgruppe Justiz in der ver.di-Bundesverwaltung Schürholz’ Äußerungen nicht kommentieren. Es gebe allerdings keinen Beschluss von ver.di zur GG/BO. Die zuständigen Gremien hätten sich mit der Frage nicht beschäftigt. Dass Schürholz erklärt hatte, dass Justizangestellte und Gefangene nicht in einer Gewerkschaft organisiert sein können, findet Wederhake allerdings verständlich. Es könne zu dieser Frage allerdings in ihrer Gewerkschaft unterschiedliche Meinungen geben. Tatsächlich haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche ver.di-Gliederungen und soziale Verbände mit der GG/BO solidarisch erklärt. Dazu gehört der ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin und die verr.di-Jugend, aber auch der Rat der Paritätischen Verbände.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998085.staatsraeson-oder-solidaritaet.html

Peter Nowak

Überfall auf Linksparteiaktivist erfunden?

Von Brüsewitz bis Lanzmann

Die neue Ausgabe des »Telegraph« überzeugt mit Tiefgang und Witz

Kurz vor Jahresende ist die neue Ausgabe der Zeitschrift »telegraph« erschienen, gegründet als Sprachrohr der linken DDR-Opposition, die 1989 nicht auf die Straße gegangen ist, um in der BRD anzukommen. Auch in der aktuellen Doppelnummer werden den Lesern auf 184 Seiten viele Argumente gegen die herrschenden Verhältnisse geboten. Statt einer Einleitung wird ein Ausschnitt aus dem Kommunistischen Manifest abgedruckt, in dem beschrieben wird, wie die zur Macht gelangte Bourgeoisie sämtliche feudalen, patriarchalen Verhältnisse zerstört. Thomas Konicz ist mit einem Vorabdruck seines in den nächsten Monaten erscheinenden Buches »Kapitalkollaps« vertreten. Dort klassifiziert er den Islamismus und die nationalistischen Bewegungen in vielen europäischen Ländern als »zwei gleichermaßen irre Ideologien, die auf den unverstandenen Krisenprozess mit verstärkter Identitätsproduktion, mit einer erzreaktionären Sehnsucht nach der herbei halluzinierten heilen Vergangenheit und dem eliminatorischem Hass auf alles Andersartige reagieren«.

Obwohl die »telegraph«-Herausgeber mittlerweile auf den Zusatz »ostdeutsche Zeitschrift« verzichten, behandeln viele Beiträge Themen aus Ostdeutschland und Osteuropa. So gibt es ein Interview mit Aktivisten der Interventionistischen Linken (IL), die ihre Kindheit und Jugend in der späten DDR verbrachten. Der Mitgründer der Ostberliner Antifa, Dietmar Wolf, geht auf die Räumung der besetzten Mainzer Straße vor 25 Jahren ein und beschreibt die Konflikte in der linken DDR-Opposition, die sich am Umgang mit militantem Widerstand entzündeten. Der auch als nd-Autor bekannte Karsten Krampitz widmet sich Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Zeitz, dessen Selbstverbrennung sich am 18. August 2016 zum 40. Mal jährt. Dabei legt Krampitz bisher wenig bekannte Quellen offen, die Brüsewitz als christlichen Fundamentalisten und Antisemiten zeigen, der die NS-Judenvernichtung als Gottes Wille begrüßte. Krampitz zeigt, wie ein anonymer ND-Kommentar, in dem Brüsewitz als Pfarrer bezeichnet wurde, »der nicht alle fünf Sinne beisammen hatte« nicht nur wütende Leserbriefe, sondern auch Redaktionsbesuche und eine Anzeige empörter Christen in der DDR zur Folge hatte.

Weitere Artikel widmen sich dem Balkan und Transnistrien. Unter den zahlreichen Kulturbeiträgen verdient die Würdigung des jüdischen Regisseurs Claude Lanzmann zu seinem 90. Geburtstag durch die Filmemacherin Angelika Nguyen besondere Erwähnung. Die Taxigeschichten von Yok und die Fußballgeschichte von Florian Ludwig sind Beispiele für gut geschriebene Unterhaltung mit Witz und Tiefgang.

telegraph 131/132, 184 Seiten, 9 Euro, beziehbar über

http://telegraph.cc/telegraph-131132-erschienen/

https://www.neues-deutschland.de/artikel/997817.von-bruesewitz-bis-lanzmann.html

Von Peter Nowak

„Pogida“ mit Startschwierigkeiten

Am gestrigen Monat sind Pegida-Anhänger in Berlin und Potsdam – mit wenig Erfolg – auf die Straße gegangen.

Noch bevor der Bärgida-Aufmarsch vor dem Berliner Hauptbahnhof am Montag begonnen hatte, schallten  die  Parolen der Gegendemonstraten  von „NoBärgida  über den Platz. Bald stellte sich heraus, dass die Gegner mit über 200 Demonstrierenden gegenüber den knapp 120 „Bärgida“-Teilnehmern in der Mehrheit waren.

Einziger „Bärgida“-Redner war  der „pro Deutschland“-Funktionär Karl Schmitt, der seit Monaten die Aufmärsche anmeldet und eröffnet. Im Mittelpunkt seiner Rede standen die Kölner Ereignisse in der Silvesternacht. Dabei  erging sich  Schmitt in verschwörungstheoretischen  Vermutungen, dass die „Globalisten“  solche Ereignisse gezielt planten, um eine „braune Menschenrasse“ zu erzeugen, über die angeblich schon vor Jahrzehnten in den USA geschrieben worden sei. Zudem würden, so Schmitt, die Globalisten  gezielt die „Abschaffung der Völker“ betreiben, um ihren sozialistischen Zielen näher zu kommen. Das Interesse der Zuhörer hielt sich in bei solchen Ausführungen allerdings in Grenzen. Größeren Applaus erhielt Schmitt nur, als  er das  Hochziehung der Grenzen und die schnelle Abschiebung von Flüchtlingen forderte und  seine Rede mit dem Bekenntnis beendete, solange wieder auf die Straße zu  gehen, bis Deutschland wieder den Deutschen gehöre.

Nach knapp 30 Minuten war die Kundgebung beendet und ein Großteil der Teilnehmer stieg in zwei Busse nach Potsdam. Damit sollte der erste „Spaziergang gegen die Islamisierung des Abendlandes“ von Pogida am 11. Januar in der Brandenburger Landeshauptstadt unterstützt werden. Doch der erste öffentliche Auftritt des neuen Pegida-Ablegers hatte große Startschwierigkeiten. Zunächst wurden die Busse aus Berlin  durch Blockaden eines Gegenbündnisses behindert. Danach wurde auch  die geplante Demonstrationsroute blockiert. So beschränkte sich die erste  Pogida-Aktion auf langes Stehen auf dem Potsdamer Bassinplatz. Gegen 22.15 Uhr drängte die Polizei  auf die Auflösung der Kundgebung und geleitete die Teilnehmer zum Hauptbahnhof.  Nach Angaben der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) wurde erstmals bei einem NPD-gesteuerten Protest gegen eine  Flüchtlingsunterkunft  in der vergangenen Woche öffentlich zu Pogida aufgerufen. Der Anmelder Christian M. aus Potsdam  habe auf seiner Facebook-Seite offen mit der NPD sympathisiert.

aus:

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/pogida-mit-startschwierigkeiten

Peter Nowak

Jugendzentrum »Zelle 79« in Schwierigkeiten

Finanzielle Förderung durch einen konstruierten Extremismusverdacht in Frage gestellt

Ausgerechnet ein früherer LINKE-Politiker wärmt einen Extremismusverdacht der Bundesfamilienministeriums auf und bringt ein linksalternatives Jugendzentrum in Cottbus damit in Bedrängnis.

Der Name »Zelle 79« klingt für manche Ohren vielleicht nach Gefängnis. Für die linksalternative Szene in der Lausitz ist es aber ein wichtiger Freiraum für ihre Subkultur. Das Jugendkulturzentrum hat sich nach seinem Standort in der Cottbuser Parzellenstraße 79 benannt. Die Themenpalette der in dem Haus stattfindenden Aktivitäten ist groß, wie ein Blick auf den aktuellen Veranstaltungskalender zeigt. Für die nächsten Wochen sind Solidaritätspartys für Flüchtlinge sowie Diskussionen zu sozialen und antifaschistischen Themen geplant.

Seit einigen Wochen plagen die Mitarbeiter und Nutzer des Kulturzentrums Zukunftssorgen. Auf der letzten Stadtverordnetenversammlung Mitte Dezember stellte der fraktionslose Stadtverordnete Jürgen Maresch, von Beruf Bundespolizist, die finanzielle Förderung des Projektes zur Diskussion. Er habe über die »Zelle 79« recherchiert und dabei auf deren Webseite einen Link zur Wochenzeitung »Jungle World« entdeckt, ließ er wissen. Die Verfassungstreue der Zeitung stellte er infrage. Dabei berief er sich auf eine Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine parlamentarische Anfrage aus dem Jahre 2012. Damals war das Ministeramt von der konservativen CDU-Politikerin Kristina Schröder besetzt, die sich den Kampf gegen angeblichen linken Extremismus auf die Fahnen geschrieben hatte.

In der »Jungle World« sind Mareschs Quelle zufolge »Hinweise auf Veranstaltungen aus dem linksextremistischen Spektrum« zu finden. Zudem greife die Wochenzeitung »regelmäßig Themen aus dem linksextremen Spektrum« auf.

Maresch, der ab 2009 mehrere Jahre der Linksfraktion im Landtag angehörte, stieß mit seinen unabgesprochenen Initiativen die damaligen Fraktionskollegen immer wieder vor den Kopf. Er handelte oft aus dem Bauch heraus. Manche seiner Vorstöße kollidierten mit der Linie der Partei. So machte er zum Beispiel Front gegen die Rote Hilfe und lehnte eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten strikt ab.

Bei der Kommunalwahl 2014 wurde Maresch noch für die LINKE ins Cottbuser Stadtparlament gewählt, doch die dortige Linksfraktion weigerte sich, mit ihm zusammenzugehen. Mittlerweile ist Maresch aus der Partei ausgetreten und dem Landtag gehört er auch nicht mehr an.

Seine Anfrage zur »Zelle 79« habe nichts mit links oder rechts zu tun, beteuerte er. »Nach den Ereignissen in Leipzig, wo zahlreiche Kollegen von mir verletzt worden sind, sehe ich mich sehr wohl im Recht, diesbezüglich da nachzufragen, ohne dass man hier gleich irgendwelche Unterstellungen erfährt«, begründete Maresch sein Nachfragen. In Leipzig war es im Dezember bei Protesten gegen einen Neonaziaufmarsch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.

»Wo der Zusammenhang zum Engagement des ›Vereins für ein multikulturelles Europa‹ besteht, bleibt offen«, erklärte Erika Schmidt von diesem Trägerverein der »Zelle 79«. Bei Mitarbeitern und Unterstützern des Zentrums stößt Maresch Vorstoß auf völliges Unverständnis.

Da auch Stadtverordnete der CDU Bedenken gegen die weitere Förderung der Zelle 79 äußerten, wurde die Entscheidung vertagt. Auf der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 4. Januar haben sich Vertreter verschiedener Parteien für eine weitere Förderung des Projekts ausgesprochen. Entschieden wird allerdings erst bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 27. Januar. Bis dahin wollen die Mitarbeiter weiter für ihre Sache mobilisieren. Es dürfe nicht sein, dass durch unbegründete Unterstellungen ein wichtiges Projekt im schlimmsten Fall nicht mehr unterstützt wird, betonte Erika Schmidt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/997645.jugendzentrum-zelle-in-schwierigkeiten.html

Peter Nowak

Zurück Diktatur der Gutmenschen oder diskriminierungsfreie Berichterstattung?

Die Debatte über den Pressekodex zur Nennung der Zugehörigkeit zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten: Eine differenzierte Sichtweise ist nicht das Anliegen der rechten Gegner des Kodex

Bewusst entscheiden: Vernunft vs. Diktat

Wenn Journalist_innen bei Berichten über Straftaten auf die Nennung von Nationalität, Religion und Hautfarbe von Tätern verzichten, handeln sie im Einklang mit der Selbstverpflichtung des Deutschen Presserats. Nach den sexistischen Angriffen in der Kölner Silvesternacht geraten Medienvertreter_innen auch aus diesem Grund in die Kritik.

Sie hätten nicht gemeldet, dass viele der Verdächtigen keine deutschen Staatsbürger sind, lautet der Vorwurf. Doch das ist keine Zensur. Eine diskriminierungsfreie Berichterstattung ist das Ziel der Richtlinie 12.1. des Pressekodex des Deutschen Presserates. Dort heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Damit soll das Schüren von Vorurteilen gegenüber Minderheiten verhindert werden. Die Begründung orientiert sich am Grundgesetz, nach dem niemand wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. Nicht erst seit den Ereignissen von Köln bekämpfen rechte Kreise diese gesetzlich nicht bindende Selbstverpflichtung als Diktat der Political Correctness. Dabei sind in diese Überlegungen einer möglichst diskriminierungsfreien Berichterstattung nicht nur die historischen Erfahrungen eingeflossen, die vor allem in Deutschland zeigen, welche Folgen Hetze gegen Minderheiten haben kann. Besonders nach den rassistischen Anschlägen in den 90er Jahren machten sich Journalist_innen verstärkt Gedanken über eine diskriminierungsfreie Berichterstattung. Vielerorts gab es intensive Diskussionen von Vertreter_innen lokaler Antidiskriminierungsbüros, Menschenrechtsgruppen und Journalist_innen. Die Zahl der Medien wuchs, deren Berichterstattung im Sinne der Richtlinie 12.1 steht. „tageszeitung“ und „Frankfurter Rundschau“ waren dabei Vorreiter.
In Zeiten von Pegida und der verstärkten Hetze in diversen Internetforen hat das Anliegen nichts von seiner Dringlichkeit verloren. Für strafrechtliche Ermittlungen mögen Angaben über die Hautfarbe und Nationalität von möglichen Tätern von Interesse sein. Journalist_innen sollten sich aber weiterhin von den Prinzipien des Pressekodex leiten lassen, auf das Schüren von Vorurteilen verzichten und Menschen nach ihrem Tun, nicht nach ihrer Nationalität, Hautfarbe und Religion beurteilen.

aus:

M-Logo Menschen Machen Medien Schriftzug

Bewusst entscheiden: Vernunft vs. Diktat

11. Januar 2016 von Peter Nowak

Messerattacken auf Linksparteiaktivist und Schüsse auf Geflüchtete

Die rechte Gewalt ist seit Jahresbeginn eskaliert

Der Schweriner Linksparteiaktivist Julian Kinzel verdankt einzig seiner dicken Winterjacke, dass er bei einer Messerattacke in Wismar[1] keine schwereren körperlichen Verletzungen davon trug.

„Die drei Täter schlugen ihn nieder und stachen, nach Aussage der behandelnden Ärzte, mit einem Messer etwa 17-mal auf ihr Opfer ein. Dabei wurde er als ’schwule Kommunistensau‘ beschimpft. Dies und die Bekleidung eines der Täter mit szenetypischer Bekleidung (Thor Steinar) nähren den Verdacht, dass es sich um eine rechtsextremistisch motivierte Straftat handelt“, heißt es auf der Homepage der Schweriner Linkspartei.

Wismar hat in den vergangenen Jahren schon öfter durch rechte Gewalt für Aufsehen gesorgt. So wurde dort 2007 eine Demonstration gegen rechte Gewalt von einem von Neonazis bewohnten Haus aus angegriffen[2]. Zwei Jahre später gingen Neonazis vor einem rechten Szeneladen erneut auf demonstrierende Antifaschisten mit Gewalt vor. Auf einen Video[3] ist zu sehen, wie Polizisten nur mit gezogener Waffe die Rechten vor weiteren Angriffen auf die Demonstranten abhalten konnten. Doch die rechte Gewalt ist längst ein bundesweites Problem.

Der Bundesvorstand der Linken stellt den Angriff gegen Kinzel in den Rahmen der wachsenden rechten Radikalisierung, die in den letzten Monaten in Deutschland zu verzeichnen war. „Seit Monaten erleben wir einen zunehmenden Extremismus von rechts, eine zunehmende Radikalisierung, die bis in die Mitte der Gesellschaft reicht: Angriffe auf Flüchtlinge, Flüchtlingsunterkünfte, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, auf Politikerinnen und Politiker und deren Büros. Demgegenüber steht eine unzureichende Anzahl an Täterermittlungen und eine unterirdische Aufklärungsquote“, schreibt[4] der Bundesgeschäftsführer der Linken Matthias Höhn.

In den letzten Monaten sind die Angriffe auf Parteibüros der Linken stark angewachsen[5]. Dabei wurden Mitarbeiter als „Volksverräter“ beschimpft und verbal mit dem Tode bedroht. Neben Aktivisten der Linken waren auch Grüne[6] und Sozialdemokraten betroffen, die sich für die Rechte der Geflüchteten eingesetzt haben. Es ist eindeutig, dass die Hetze gegen Geflüchtete ein Katalysator der rechten Angriffe ist. Dabei geraten auch Unterstützer aus Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen ins Visier der Rechten.

Schüsse auf Geflüchtete

Am 4. Januar 2016 haben sich auch die monatelangen Angriffe auf Geflüchtete noch einmal verschärft. Im hessischen Dreieich wurde erstmals in eine bewohnte Unterkunft geschossen[7]. Ein junger Syrer wurde getroffen und musste im Krankenhaus behandelt werden. „Kurz vor 02.30 Uhr wurden auf ein Fenster des Gebäudes mehrere Schüsse abgegeben, von denen einer den dort Schlafenden leicht verletzte. Der Mann wurde in ein Krankenhaus gebracht und konnte dies nach kurzer ärztlicher Behandlung wieder verlassen“, heißt es in einer Pressemeldung[8] des Polizeipräsidiums Südhessen.

Neben diesen spektakulären Angriffen wächst auch der Alltagsrassismus rund um Flüchtlingsunterkünfte in bestimmten Regionen. Dazu gehört Marzahn-Hellersdorf, das sich Neonazis und Rechtspopulisten schon 2013 als den Stadtteil ausgesucht haben, in denen sie sich als Nachbarn und besorgte Bürger für die Errichtung einer national befreiten Zone organisierten (Willkommensgruß für Flüchtlinge und Polizeischutz[9]). Nachdem sie ihr Ziel nicht erreichen konnten, hat der Alltagsrassismus in der Region zugenommen.

Erst vergangenen Monat fand der letzte registrierte rassistische Angriff in dem Stadtteil satt. „Tatort war die bereits in 2014 und 2015 extrem belastete Gegend um die Kreuzung Blumberger Damm/Landsberger Allee“, erklärt[10] eine Mitarbeiterin der Antirassistischen Registrierstelle an der Alice Salomon Hochschule.

Ihrer kontinuierlichen Recherche[11] ist es zu verdanken, dass die rechte Alltagsgewalt registriert wird. Vor allem vor und nach dem Einzug der Geflüchteten in die ehemalige Schule in dem Stadtteil wurde die Situation von einem großen Teil der Medien sehr genau beobachtet. Doch das hat sich mittlerweile geändert. Wenn nicht besonders spektakuläre Angriffe wie in Dreieich passieren, sind die Medienreaktionen mittlerweile gering. Der Alltagsrassismus, mit dem die Geflüchteten, aber auch die Bewohnerinnen und Bewohner, die sich mit ihnen solidarisieren, konfrontiert sind, wird so normalisiert.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47074/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.die-linke-schwerin.de/politik/meldungen/detail/zurueck/aktuelles-19/artikel/messerattacke-auf-politiker-verurteilt-2/

[2]

http://www.lobbi-mv.de/nachrichten/rechte-angriffe-auf-antifaschistische-demonstration-in-wismar/

[3]

http://www.youtube.com/watch?v=mmn0OzQHDo4

[4]

http://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/artikel/zum-anschlag-auf-das-schweriner-linke-mitglied-julian-kinzel/

[5]

https://www.tagesschau.de/inland/angriffe-parteibueros-101.html

[6]

http://www.taz.de/!5200412/

[7]

http://www.derwesten.de/politik/nach-schuessen-auf-fluechtlinge-in-hessen-ich-habe-angst-id11430950.html

[8]

http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/43561/3215999

[9]

http://www.heise.de/tp/news/Willkommensgruss-fuer-Fluechtlinge-und-Polizeischutz-2017516.html

[10]

https://www.ash-berlin.eu/profil/ag-s/ak-rechte-gewalt/aktuelles

[11]

http://berliner-register.de/chronik/marzahn-hellersdorf

»Retouren aus dem ­Weihnachtsgeschäft«

Die Beschäftigten von Amazon erhalten Unterstützung im Arbeitskampf. David Johns ist Mitglied des »Streik-Solibündnisses Leipzig«, das zum Konsumentenstreik bei dem Versandhandel aufruft, um die Forderung nach einem Einzelhandelstarifvertrag zu unterstützen.

Wie können Kunden die Beschäftigten bei Amazon unterstützen?

Der Konsumentenstreik funktioniert ganz einfach: Man bestellt bei Amazon Waren und schickt diese – am besten mit einer Solidaritätsnachricht an die Streikenden – nach Erhalt umgehend zurück. Die Aktion kostet Amazon unmittelbar Geld, da unprofitable Mehrarbeit entsteht und der Händler sich vertraglich verpflichtet, bei einem Warenwert von über 40 Euro die Portokosten für die Hin- und Rücksendung zu übernehmen.

Wie haben die Kollegen und Verdi auf das Vorhaben reagiert?

Einige Gewerkschaftsfunktionäre haben sich klar abgegrenzt und hervorgehoben, dass Verdi nichts mit der Kampagne zu tun hat. Andere haben unseren Aufruf übernommen und die Aktion unterstützt. Bei vielen Streikenden ist die Kampagne sehr gut angekommen. Der Aufruf wurde erst veröffentlicht, nachdem wir die Einzelheiten mit Beschäftigten aus mehreren Standorten abgestimmt hatten. Wir haben von vielen ein sehr positives Feedback erhalten.

Wissen Sie, wie viele Kunden sich bisher beteiligt haben?

In unserem Aufruf bitten wir darum, uns Fotos von den Solidaritätsbotschaften zu schicken. Wir haben schon viele Fotos erhalten und können die Solidarität nun auch für Beschäftigte außerhalb der Retourenannahme sichtbar machen. Wir haben viele Anfragen für Flyer und Poster bekommen und Material in viele Städte geschickt. Trotzdem ist das Ausmaß der Beteiligung schwer abzuschätzen.

Wann endet die Kampagne?

Sie soll noch bis Ende Januar dauern, dann kommen die ganzen Retouren aus dem Weihnachtsgeschäft. Bis dahin brauchen wir noch viel Unterstützung!

Sie arbeiten nicht bei Amazon. Warum solidarisieren Sie sich dennoch mit den Beschäftigten?

Der Kampf bei Amazon hat eine hohe Signalwirkung auf die Branche, da sich viele andere Unternehmen an dem Flaggschiff orientieren. Erkämpfte Erfolge können andere Belegschaften motivieren, sich gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen zu wehren. Die lange Dauer des Kampfes hat es möglich gemacht, gute Kontakte zu den Streikenden aufzubauen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/01/53275.html

Interview: Peter Nowak

JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung

An einen trüben Januartag 1933 wurde die russische Kommunistin Sinaida Wolkowa in Berlin beerdigt. Sie hatte im Alter von 31 Jahren Selbstmord verübt. Ihr Vater konnte nicht an ihrer Beerdigung teilnehmen, weil er im türkischen Exil lebend von den meisten europäischen Staaten kein Visum bekommen hatte. «Sämtliche Formalitäten rund um die Beerdigung erledigte daher Alexandra Pfemfert. Sie hatte sich um Sinaida gekümmert, seitdem die Trotzki-Tochter im Herbst 1931 nach Berlin gekommen war», schreibt der Historiker Marcel Bois in der aktuellen Ausgabe des JahrBuchs für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de).
Bois zeigt in seinem Beitrag, welch große Rolle Alexandra Ramm-Pfemfert und Franz Pfemfert in Deutschland nicht nur für die Betreuung von Trotzkis Tochter spielten. Das Ehepaar hatte auch einen großen Anteil daran, dass Trotzkis Schriften im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht und gedruckt wurden. Dabei hatte der Rätekommunist Franz Pfemfert durchaus ideologische Konflikte mit Trotzki. Doch die Pfemferts wollten den im innerparteilichen Machtkampf mit Stalin Unterlegenen unterstützen, schreibt Bois. Fragt sich nur, warum sein sehr informativer Aufsatz mit der politisch fragwürdigen Überschrift «Eine transnationale Freundschaft im Zeitalter der Extreme: Leo Trotzki und die Pfemferts» versehen wurde.
Der britische Historiker Gleb Albert beschäftigt sich in diesem Jahrbuch mit der Haltung des Anarchisten Erich Mühsam zur Sowjetunion und kommt zu dem Schluss, dass er noch Ende der 20er Jahre eine Grundsympathie mit dem Land der Oktoberrevolution hegte. Eine von der Roten Hilfe geplante Rundreise Mühsams durch die Sowjetunion wurde allerdings von KPD-Funktionären wie Wilhelm Pieck verhindert, die fürchteten, Mühsam könnte auch politische Gefangene in der UdSSR ansprechen. Gleb weist allerdings nach, dass die Vorgespräche für die Rundreise schon recht weit gediehen ware und daran auch führende anarchistische Aktivisten beteiligt waren.
Der Historiker Gerhard Engel widmet sich dem Sozialdemokraten Alfred Henke, der in der Zeit der Novemberrevolution in Bremen auf dem linken Flügel der USPD stand und heftig die SPD bekämpfte, nur um zwei Jahre später wieder in den Schoß der Sozialdemokratie zurückzukehren. Mit der Geschichte der Mietenkämpfe am Ende der Weimarer Republik greift der junge Historiker Simon Lengemann ein sehr aktuelles Thema auf. Angesichts von Mietrebellen, die sich in verschiedenen Städten gegen die Verdrängung wehren, wächst das Interesse an der Geschichte. Lengemann zeigt viele Parallelen zu einer Bewegung auf, die vor über 80 Jahren die Parole «Erst das Essen – dann Miete» ausgab.
Mit seiner breiten Themenwahl wendet sich das JahrBuch nicht nur an Historiker und Sozialwissenschafter, sondern auch an politisch Interessierte. Die Texte sind überwiegend auch für Nichtstudierte verständlich geschrieben. Seit 2012 wurde das JahrBuch dreimal jährlich vom Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung herausgegeben. Ab 2016 wird das Heft im Metropol-Verlag unter dem Titel Arbeit – Bewegung – Geschichte. Zeitschrift für historische Studien erscheinen.
JahrBuch zur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung,

Nr. III/2015. NDZ GmbH, 230 S., 11 Euro

aus: SoZ/ Januar 2016

http://www.sozonline.de/2016/01/jahrbuch-fuer-forschungen-zur-geschichte-der-arbeiterbewegung/


von Peter Nowak