Freiburger Nachtleben: Kein Zutritt für Geflüchtete

Zutrittsverbote für Flüchtlinge in Clubs oder Bars und Schwimmbädern bedienen angesichts der gegenwärtigen Stimmung eine Stigmatisierung. Angebrachter wäre es, Verhaltensregeln besser zu vermitteln

Freiburg hat den Ruf, eine liberale Ökoprovinzstadt zu sein. Ausgerechnet dort haben Geflüchtete in zahlreichen Diskotheken und Clubs keinen Zutritt mehr. Wie die Badische Zeitung berichtete [1], habe es „Zwischenfälle, darunter sexuelle Übergriffe auf Besucherinnen“ gegeben. Angezeigt wurden die Vorfälle größtenteils nicht, so der Bericht. Die Polizei habe keine Zunahme der Straftaten in diesem Bereich festgestellt, heißt es dort.

(Ein Bericht der Freiburger Polizei, der hier zuvor irrtümlich erwähnt wurde, bezog sich auf einen anderen Vorfall [2] der sexxuellen Belästigung, außerhalb von Freiburg, begangen von einem „alkoholisierten Urlaubsgast“ in Feldberg/Schwarzwald).

[Link auf http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110970/3234088] [3]Der Genuss von Alkohol und anderer bei manchen Menschen aggressionshemmende Substanzen sind in allen Clubs und Diskotheken die Regel. Zudem sind die Berichte, über oft vergebliche Versuche, am Türsteher vorbeizukommen, nun wahrlich Legion. Schon immer spielte dabei auch die Hautfarbe und die Nationalität von Menschen inoffiziell eine Rolle.

In den letzten Jahren mussten Clubs öfter Strafe zahlen, wenn sie Menschen auf Grund ihres nichtdeutschen Aussehens den Eintritt in die Räumlichkeiten verwehrten [4]. 2011 hat ein dunkelhäutiger Mann Schadenersatz bekommen, weil er nicht in eine Disko gelassen [5] wurde. Die Richter waren „überzeugt, dass ihm der Eintritt verwehrt wurde, weil männliche Ausländer nicht erwünscht waren“.

Harte Linie gegen Flüchtlinge

Eigentlich könnte man erwarten, dass der grüne Oberbürgermeister von Freiburg, Dieter Salomon, auf das Diskriminierungsverbot verweist und alles unternehmen wird, um es durchzusetzen. Doch längst hat der Rechtspopulismus zu einem Erodieren dieser egalitären Grundsätze beigetragen. So werden in vielen Medien Geflüchtete pauschal zu Vergewaltigern gestempelt. Gewalt gegen Frauen und sexistische Anmache waren in Deutschland wohl nicht unbekannt. Nur will sich jetzt plötzlich niemand mehr erinnern, dass es immer wieder Probleme mit alkoholisierten Männern gab und gibt.

Vielleicht hätte Bürgermeister Salomon Einführungskurse anregen können, in denen Geflüchtete über die Problematik alkoholhaltiger Getränke informiert werden. Denn es mag tatsächlich so sein, das viele junge Menschen aus arabischen Staaten kultur- und religionsbedingt wenig Erfahrung mit dem Konsum von solchen Getränken haben und die Konsequenzen nicht kennen. Dann müssten aber die Rechtspopulisten zugeben, dass der von ihnen für alles Böse verantwortlich gemachte Islam an betrunkenen, aggressiven Männern nicht schuld sein kann.

Im Gegenteil können es die Erfahrungen einer Befreiung aus einer religiös reglementierten Welt sein, die auch Nebenfolgen hat, mit denen die Menschen umgehen lernen, wie es Menschen aus unseren Breiten ja auch müssen. Doch davon fällt bei Salomon kein Wort, denn dann würde er in den Fokus der Populisten geraten. So kündigt [6] der grüne Oberbürgermeister brav eine harte Linie gegen „kriminelle Flüchtlinge“ an. Damit trägt er mit zur Stigmatisierung bei. Schließlich ist die Herkunft und Nationalität von aggressiven Betrunkenen rechtlich völlig gleichgültig.

Bäderverbot nach wenigen Tagen aufgehoben

Schon zuvor hatte ein Bäderverbot für männliche Flüchtlinge im hessischen Bornheim für Diskussionen gesorgt. Nach wenigen Tagen wurde es wieder aufgehoben, wohl auch weil zahlreiche Rechtsaußengruppierungen der Stadt Bornheim ihre Zustimmung zukommen ließen. In der Zwischenzeit wurden Geflüchteten die Regeln in deutschen Bädern vermittelt.

Der Grund für das zeitweise Badeverbot waren Beschwerden von Besucherinnen über Belästigungen der unterschiedlichsten Art. Auch hier soll daran erinnert werden, dass das aggressive Verhalten vor allem männlicher Jugendlicher meist in Freibädern seit Jahren ein großes Thema ist. Auch hier geht es also nicht primär um die Herkunft.

Zudem sollten sich historisch interessierte Menschen sich daran erinnern, dass schon lange vor der NS-Zeiten den berühmten deutschen Nord- und Ostseebädern Juden der Zutritt verboten [7] war. Es gab sogar Postkarten, auf denen sich angesehene Kurbäder schon lange vor 1933 judenfrei erklärten. Das macht deutlich, dass solche Ausgrenzungen am Beginn für weitere Stigmatisierungen stehen können .

In Großbritannien ist die Sensibilisierung wohl größer als in Deutschland. Dort sorgten rote Armbänder, die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften den Bewohnern gaben, angeblich um die Essensausgabe besser zu regeln, für Angriffe von Rassisten, aber auch für Empörung bei der Zivilgesellschaft [8] und einer Debatte im Londoner Unterhaus [9].

http://www.heise.de/tp/news/Freiburger-Nachtleben-Kein-Zutritt-fuer-Gefluechtete-3084059.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.badische-zeitung.de/freiburg/kein-zutritt-mehr-fuer-fluechtlinge-in-freiburgs-clubs-und-diskotheken–116454714.html

[2]

http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110970/3234088

[3]

http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/110970/3234088

[4]

http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/diskriminierung-disco-muss-1000-euro-schmerzensgeld-zahlen-a-916803.html

[5]

http://www.taz.de/!5105520/

[6]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/dieter-salomon-freiburgs-buergermeister-fordert-harte-linie-a-1073645.html

[7]

http://www.his-online.de/fileadmin/verlag/leseproben/0000042001.pdf

[8]

http://www.welshrefugeecouncil.org/news/25012016-1244/statement-on-red-wristbands

Auf in den Kampf mit „Frieda“

In Köln hat sich eine rechte Frauengruppe „gegen die Islamisierung und Entrechtung des Abendlandes“ gegründet.

„Wir sind Frauen jeden Alters, unterschiedlicher politischer Herkunft und Nationalität,“  lautet  der erste Satz im Selbstverständnis der Frauengruppe „Frieda“, die sich in der vergangenen Woche in Köln gegründet hat. Geplant sind Seminare  zum Notwehr- und Nothilferecht und  Selbstverteidigungskurse für Frauen sowie politische Vorträge und Schulungen. Doch dabei dürfte es kaum um feministische Theorie gehen. Schon im Namen, den sich die Gruppe gegeben hat, wird die Zielstellung deutlich. „Frieda“ ist die Abkürzung für „Frauen gegen die Islamisierung und Entrechtung des Abendlandes“. Im Gründungsmanifest wird die Stoßrichtung noch einmal betont: „Wir sind es leid, dass Frauen in Deutschland zunehmend zu Freiwild werden für eingewanderte Männer, die unsere abendländischen Traditionen und über Jahrhunderte erkämpften Freiheitsrechte mit Füßen treten.“

Nach der Gründung ließen  sich sechs Frieda-Initiatorinnen  mit einem Transparent fotografieren, auf dem die Parole steht, die in rechten Kreisen nach der Kölner Silvesternacht zum Renner geworden ist „Rapefugees – not Welcome“. Gegen diesen Spruch, der Geflüchtete pauschal zur Vergewaltigern erklärt, gibt es mittlerweile zahlreiche juristische Klagen. Auch der Ort ist für „Frieda“ Programm. „Unser Fotoshooting fand übrigens vor der Kölner St. Ursula Kirche statt, in der laut der Ursula-Legende die Gebeine der von Hunnen ermordeten christlichen Märtyrinnen begraben liegen. Die 11 Tropfen im Kölner Stadtwappen stehen auch für die Tränen dieser Kölner Jungfrauen“, heißt es auf der Homepage-Seite von Frieda.

Als Kontaktadresse der sich als parteipolitisch unabhängig gebenden Frauengruppe fungiert  mit  Judith Wolter eine langjährige Mandatsträgerin der rechtspopulistischen Gruppierung „pro Köln“.  Die hat sich seit Jahren den  Kampf gegen Islamisierung auf ihre Fahnen geschrieben

Wenn man die Einträge auf der „Frieda“-Facebook-Seite liest, hat man den Eindruck, Gewalt gegen Frauen würde es ohne Flüchtlinge nicht geben.  So gibt es Meldungen über angebliche oder tatsächliche Probleme mit arabischen Männern in Schwimmbädern. Dass das Festkomitee des Kölner Karnevals in arabisch-sprachigen Broschüren Geflüchtete zum Mitfeiern einlädt wird auf Frieda mit dem Satz kommentiert: „Da werden sich dieses Jahr in Köln viele Mädchen und Frauen dreimal überlegen, wen sie an Karneval noch anlächeln“.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/auf-in-den-kampf-mit-frieda

Peter Nowak

Alles immer selber machen


Broschüre zu Geschichte und Prinzipien der Wobblies

Immer häufiger mischen neben dem DGB auch Basisgewerkschaften bei Arbeitskonflikten mit. Die aus der Tradition des Anarchosyndikalismus kommende Freie Arbeiter Union (FAU) hat in den letzten Jahren mehrere Arbeitskämpfe geführt. In einigen deutschen Städten haben sich mittlerweile Ortsgruppen der Industrial Workers oft the World (IWW) gegründet. In einem Callcenter in Rostock ist die IWW-Gruppe mittlerweile genauso stark wie die ver.di-Gruppe und beteiligt sich an der Gründung eines Betriebsrates. Damit wird auch in Deutschland  an eine sehr traditionsreiche Gewerkschaft angeknüpft. Die IWW war unter den Namen Wobblies vor knapp 100 Jahren eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung in den USA, die mit einer massiven Repressionswelle in die Defensive gedrängt, aber nie ganz zerschlagen werden konnte. In den letzten Jahren haben sich in den USA, Großbritannien und Spanien wieder GewerkschaftlerInnen auf die Organisationsgrundsätze der IWW berufen.

Jetzt hat die IWW unter dem Titel „Direct Unionism“ die deutsche Übersetzung einer 58-seitigen Broschüre vorgelegt, in der sie einige Grundsätze ihrer Gewerkschaftsarbeit zur Diskussion stellt: „Kurz zusammengefasst schlagen wir vor, dass Mitglieder der IWW daran arbeiten sollen, Netzwerke von Aktivisten in den Industrien [gemeint: Branchen; d. Red.] aufzubauen, in denen sie arbeiten, statt auf Tarifverträge, Gewerkschaftswahlen und rechtliche Auseinandersetzungen zu zielen“ (S. 6).So wird das Konzept des Direct Uniosm zusammengefasst. Gewerkschaftsbürokratien werden ebenso abgelehnt wie eine Verrechtlichung von Arbeitskonflikten kritisch gesehen wird. Doch wenn es in der Broschüre auf Seite 13 apodiktisch über den Direct Unionism heißt: „Es werden keine BürokratInnen, keine Offiziellen und keine AnwältInnen gebraucht“ (S. 13), bleiben viele Fragen offen, einschließlich der Frage des Kräfteverhältnisses . In den Text fließen die Erfahrungen aus den Organisierungsprozessen der letzten Jahre ein. So gibt es immer wieder Bezüge zu den Arbeitskämpfen bei Starbucks in den USA, bei McDonalds in Schottland und den Puerto Real Werften in Spanien. Dabei wird deutlich, dass die IWW durchaus pragmatisch an die Gewerkschaftsarbeit herangeht. So widmet sich ein Kapitel der Broschüre der Frage, wie eine der Basisdemokratie verpflichtete Gewerkschaft reagieren soll, wenn die Mehrheit der streikenden KollegInnen einen Tarifvertrag einfordert. „Wenn sie einen Lohn zum Überleben, anständige Vorteile und tolerable Arbeitsbedingungen erreicht haben, sind verständlicherweise viele ArbeiterInnen darum besorgt, dass diese Erfolge auch sicher geschützt sind. Verträge bieten eine Möglichkeit“ (S. 30).

Auch Niederlagen werden dabei benannt und mit Selbstkritik wird nicht gespart. Das ist ein großer Pluspunkt der Broschüre. Sie ist ein Angebot, über ein in Deutschland noch wenig bekanntes Gewerkschaftskonzept zu diskutieren. Es sollte angenommen werden.

Der komplette Text kann online gelesen und heruntergeladen werden:

http://tinyurl.com/direct-unionism

Bestellmöglichkeiten der Printausgabe gibt es über: versand@wobblies.de

aus:

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak

Vom Scheitern einer postideologischen Partei

Während sich fast alle bekannten Piraten in neue politische Zusammenhänge integriert haben, wählen die Restpiraten ihre Kandidaten für die Berliner Abgeordnetenhauswahl

„Die Piratenpartei will vorhandene Telefonzellen in Deutschland grundlegend modernisieren und mit neuen Funktionen ausstatten“, heißt es auf der Homepage der Piratenpartei [1]. Vielleicht ahnen sie, dass sie bald in einer Telefonzelle Platz haben könnte, wenn der Zerfallsprozess sich fortsetzt. Mittlerweile haben sich ehemalige Funktionärsträger der einst zum Hoffnungsträger hochgejazzten Piratenpartei von der AfD über die FDP und den Grünen ein neues politisches Betätigungsfeld gesucht.

Vor wenigen Tagen hat nun auch der heterogene linke Flügel die Piratenpartei für tot und den Aufbruch in die linke Richtung erklärt. Für deutschlandweit 36 Piratenmitglieder heißt das die kritische Unterstützung der Linkspartei. Es handelt sich um Piratenmitglieder, die teilweise noch Mandate haben wie der Berliner Abgeordnete Martin Delius [2], der sich in den letzten Jahren durch seine parlamentarische Oppositionsarbeit einen Namen gemacht hat. In NRW hat der für die Piraten in den Landtag gewählte Daniel Schwerdt [3] ebenfalls den Marsch Richtung Links vollzogen.

Auch wenn alle Mandatsträger betonen, nicht einfach jetzt ihr Amt in der Linkspartei fortzusetzen, sind damit die Ausgangsbedingungen für die Linke in NRW auf jeden Fall besser. Die war in der vorletzten Legislaturperiode in den Landtag gewählt worden und nach vorzeitigen Neuwahlen wieder rausgeflogen, weil viele Protestwähler die Piraten gewählt haben. Mit Julia Schramm [4] und Anne Helms gehören auch zwei ehemalige Piratinnen zu dem Aufbruch-Links-Kreis, die durch feministische und antifaschistische Positionen aufgefallen sowie durch sehr kontroverse Aktionen („Bomber Harris“ [5]) bekannt geworden sind.

Flügelstreit bei der Linkspartei?

Interessant wird sein, wie die Linkspartei auf diese Unterstützung reagiert. Schließlich handelt es sich um Mitglieder, die für ihre Postionen streiten. Anders als bei Neuzugängen aus der SPD, die mit großen Teilen der Linkspartei die Vorstellung teilen, dass ein keynesianistisch regulierter Kapitalismus, wenn nicht die Lösung aller Probleme, so zumindest ein wichtiger Zwischenschritt wäre, sind die meisten Ex-Piraten staatskritisch eingestellt und betonen die Selbstorganisation.

Sie setzen sich für die Rechte der Geflüchteten ein, und werden manchen Linken widersprechen, wenn da wieder mal vom verwirkten Gastrecht gesprochen wird. Auch auf wirtschaftspolitischem Gebiet unterscheiden sich ihre Ansätze von sozialdemokratischen Vorstellungen. So heißt es in der Erklärung:

„Das 21. Jahrhundert zeichnet sich durch eine technologische und gesellschaftliche Entwicklung aus, die Kommunikation global und somit grenzübergreifend ermöglicht. Primat linker Politik muss es jetzt sein, diese globale Bewegungsfreiheit für alle Menschen zu ermöglichen. Nach der industriellen Revolution bietet sich durch die rasante Digitalisierung der globalen Gesellschaft die nächste Chance, grundlegende Prinzipien neu zu bewerten. Immer stärker automatisierte Produktionsprozesse können es ermöglichen, menschliche Arbeit weitgehend überflüssig zu machen. Damals wie heute liegt es in der Verantwortung der menschlichen Gesellschaft selbst, dafür zu sorgen, diese Entwicklungen zu nutzen. Wenn uns Maschinen noch mehr Arbeit abnehmen können, muss das auf eine Art geschehen, dass Arbeiter*innen nicht schlechter dastehen als zuvor, denn die Befreiung von der Arbeit kann auch befreiend für uns alle sein. Es gilt, dem dystopischen, permanent überwachenden und verwertenden Repressionsapparat eine positive, in Freiheit vernetzte Gesellschaftsvision gegenüberzustellen.“

Idealerweise bekäme die Linkspartei durch die neuen Unterstützer Kompetenz auf einem Gebiet, wo die Leerstellen bisher unübersehbar wären. Das dürfte noch manche Auseinandersetzungen mit den alten sozialdemokratischen Funktionären geben, die aus der SED und SPD nicht nur bestimmte Politikkonzepte sondern auch die Arten der Parteikontrolle verinnerlicht haben.

Vor allem ist auch die innerparteiliche Flügelbalance betroffen. Da gab es einen sogenannten linken Flügel, der die Regierungsbeteiligung durchaus kritisch betrachtete, immer auf antimilitaristischen Grundsätzen beharrte, aber in vielen aktuellen Fragen von direkter Demokratie, Selbstorganisation, Ablehnung von Kategorien wie „Nation“ gelinde gesagt, große Probleme hatte.

Daneben gab es eine oft von jüngeren Linksparteimitgliedern getragene Strömung, die weniger Probleme mit einer Regierungsbeteiligung hat, die aber gleichzeitig durch ihre poltische Sozialisation in außerparlamentarischen Bewegungen zu vielen Fragen der Demokratie, der klaren Abgrenzung von auch strukturell antisemitischen und nationalistischen Parolen viel klarere Positionen hatte. Es ist eher wahrscheinlich, dass diese Strömung durch die neue Unterstützung gestärkt wird. Sie sind teilweise in der Strömung Emanzipatorische Linke [6] auch organisatorisch in der Linkspartei verankert.

Die Politwissenschaftlerin und Bloggerin Detlef Georgia Schulze [7] hatte in einem Debattenbeitrag diese innerlinke Positionierung so formuliert [8]:

„Mir scheint eines der grundlegende Probleme der Linken im allgemeinen ist bereits jetzt, dass ausgerechnet die, die in Sachen Geschlechterverhältnis, Nationalismus, Ökologie und vermutlich noch einigen anderen Themen die deutlich avanciertere und auch kritischere Position vertreten, gleichzeitig diejenigen sind, die sich in Sachen Klassenkampf, Zerschlagung des bestehenden Staatsapparates und Organisierung der revolutionären Avantgarde von den m.E. weiterhin richtigen Einsichten von Marx und – ich hatte mich ja bereits im ersten Teil als LeninistIn geoutet – Lenin entfernen, während die anderen, die an diesen Einsichten mehr oder minder festhalten, in Sachen Ökologie, Rassismus, Geschlechterverhältnis so ziemlich alles verschlafen haben.“

Die Punkte Computersozialismus und Chancen und Gefahren der Digitalisierung müsste noch dazu gesetzt werden.

Es wird sich zeigen, ob sich mit der kritischen Unterstützung der Ex-Piraten der Flügelstreit in der Linken verschärft oder ob es sogar gelingt, Brücken zu bauen. Warum sollte nicht eine klar feministische und antinationale Position mit der Ablehnung von Regierungsbeteiligungen kompatibel sein?

Viel Andrang beim Auslaufmodell Restpiraten

Derweil gibt es auch noch die Restpiraten, die an diesem Wochenende ausgerechnet im Gebäude der linksparteinahen Tageszeitung Neues Deutschland die Räumlichkeiten für ihre Versammlung zur Aufstellung der Kandidaten für die Abgeordnetenhauswahl gemietet haben. Der Kandidatenandrang ist sehr groß. Das ist aber gerade kein Widerspruch dazu, dass die Partei ein Auslaufmodell ist.

Gerade weil die bekannten und aktiven Mitglieder und Funktionsträger die Partei in die eine oder andere Richtung verlassen oder sich ins Privatleben zurückgezogen haben, ist jetzt Raum und Platz für alle die Selbstdarsteller, die bisher nur schwer zum Zuge kamen. Daher wollen besonders viele auf der Liste kandidieren, obwohl sie wissen, dass niemand von ihnen ins Abgeordnetenhaus kommt.

Die Nummer eins der Liste wurde mit Bruno Kramm [9] besetzt, dem derzeitigen Vorsitzenden der Berliner Piratenpartei, der politisch als diffus liberal beschrieben werden kann und für die Rechte von Musikproduzenten streitet.

Interessant aus politikwissenschaftlicher Sicht ist die Frage, warum in angeblich so postideologischen Zeiten eine Partei wie die Piraten, deren Markenzeichen genau diese Postideologie war, nicht reüssieren konnte? Die Austritte führender ehemaliger Piraten-Aktivisten und ihre Sortierung in die jeweiligen politischen Lager zeigt auch das Scheitern einer betont postideologischen Partei, die links und rechts einmal mehr für überwunden erklärt hat.

http://www.heise.de/tp/news/Vom-Scheitern-einer-postideologischen-Partei-3082791.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://www.piratenpartei.de/

[2]

http://martindelius.de/2016/01/aufbruch-in-fahrtrichtung-links/

[3]

http://www.daniel-schwerd.de/

[4]

http://juliaschramm.de/

[5]

https://vorstand.piratenpartei.de/2014/02/19/zum-aktuellen-stand-der-debatte-um-thanks-bomber-harris/

[6]

https://emanzipatorischelinke.wordpress.com/

[7]

http://theoriealspraxis.blogsport.de

[8]

http://www.neues-deutschland.de/artikel/984001.ist-die-revolution-doch-nur-ein-bildermalen.html

[9]

https://brunokramm.wordpress.com/

Mutige Sieben

Seit Jahr und Tag  kämpft die  stadtpolitische Gruppe „Dragopolis“ gegen  den Bau  teurer Eigentumswohnungen auf  dem Dragonergelände in Berlin-Kreuzberg.  Jüngst aber widmete sie sich  einem geschichtspolitischem Thema. Gemeinsam mit der “Initiative Gedenkort Januaraufstand“  erinnerten sie an einen ungesühnten  Mord  vor 97 Jahren. Am 11. Januar 1919 sind  sieben unbewaffnete Besetzer der SPD-Zeitung Vorwärts feige ermordert worden . Sie waren von den Verteidigern des Domizils der SPD-Zeitung „Vorwärts“ auf jenem Areal während der Januarkämpfe ausgesandt,  um die Kapitulation mit den Regierungssoldaten auszuhandeln.   Die Opfer waren der Journalist Wolfgang Fernbach, der  Mechaniker Karl Grubusch, der  Schmied Walter Heise, der  Kutscher Erich Kluge, der Klempner Werner  Möller, der  Werkzeugmacher Arthur   Schöttler und  der  Schlosser Paul Wackermann.  Auf der Gedenkveranstaltung wurde aus zeitgenössischen Dokumenten zitiert, darunter den aus  Erinnerungen  der persönlichen Vertrauten und  Nachlassverwalterin   Rosa Luxemburgs, Mathilde Jakob, wie auch aus der dreibändigen „Geschichte  der Novemberrevolution“, die der Vorsitzende  der betrieblichen Räteorganisation „Revolutionäre Obleute“ Richard Müller   Mitte der 20er Jahre  veröffentlichte (  2011 im Verlag „Die Buchmacherei“ wieder aufgelegt).  Müller  beschrieb detailliert, wie  die sieben Parlamentäre gezwungen wurden, sich vor ihrer er Ermordung  zu entkleiden; die Soldaten nahmen ihnen zudem alle  Wertsachen ab.   Als anschließend  die Verteidiger des „Vorwärts“ mit erhobenen Händen aus dem Gebäude kamen,  wurden sie „unter scheußlichen Misshandlungen“ in die  Dragonerkaserne getrieben und dort zunächst in einem Stall interniert…..

Auf  enigen zeitgenössischen Fotos,   die  auf der  Gedenkveranstaltung präsentiert wurden, waren bereits auf Fahrzeugen der Freikorps gemalte Hakenkreuze zu sehen.  Der Journaliist und Historikers Sebastian Haffner l sah in der brutalen Gewalt gegen die  Arbeiter, die im Januar 1919 ihre Revolution – auch wieder die  SPD-Führung – retten und fortführen wollten,   den Auftakt  ür die vielen Morde n in den folgenden Jahren sowie ein Menetel für den Staatsterror in der NS-Zeit.  Dies läßt sich gut am Schicksal on Mathilde Jakob  ablesen. Mehrfach bereits in der Weimarer Republik verhaftet, wurde sie von den Nazis als Jüdin nach Theresienstadt deportiert, wo sie mit 70 Jahren starb.    Mittlerweile trägt ihren Namen ein Platz in Moabit, wo sie  lange wohnte-  An die  ermordeten  Vorwärts-Parlamentäre erinnert bis nur  eine Tafel  am  Eingang des  auf dem Dragonergelände befindlichen Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg.  Das soll sich ändern. „Dragopolis“ will sich dafür einsetzen, dass bis  zum 100ten  Jahrestag des feigen Mordes vom 11. Januar Wege auf dem weiträumigen Dragoner-Gelände nach den Opfern benannt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/999043.mutige-sieben.html

Peter Nowak

Sexismus nur, wenn Ausländer dabei sind?

Einiges spricht dafür, dass es mit der Sensibilisierung gegen Sexismus nicht so weit her ist

Nach den sexistischen Angriffen in der Kölner Silvesternacht scheint endlich der Damm gebrochen. Was Feministinnen schon länger gefordert haben, wird Realität: Sexistische Angriffe werden nicht mehr als Bagatelle wahrgenommen oder die Opfer gar zu den Schuldigen erklärt. Doch stimmt diese Wahrnehmung?

Dagegen sprechen viele Details, die aber eben kaum wahrgenommen wurden. So wurde dem Asta der Frankfurter Goethe-Universität vom OLG-Frankfurt per Einstweilige Verfügung untersagt [1], weiter über eine besondere Form sexualisierter Gewalt am Campus zu berichten. Es geht um die sogenannten Pick-Up-Artists, über die es in der FAZ heißt [2]:

„Sie nennen sich ‚Pick-Up Artists‘ und machen Jagd auf Frauen. Um diese ins Bett zu kriegen, setzen die Männer auf emotionale Manipulation. Um Gefühle geht es selten.“

Sexismus kein hochschulpolitisches Thema?

Die Zeitung der Frankfurter Studierendenschaft hatte diese sexualisierten Attacken auf dem Campus zum Thema gemacht und Frauen zu Wort kommen lassen, die angegriffen wurden. Weil dabei auch der Name eines der Protagonisten des Pick-Up-Gewerbes genannt wurde, sah das OLG Frankfurt [3] dessen Persönlichkeitsrecht verletzt und untersagte dem Asta die weitere Berichterstattung. In dem Urteil wird zudem erklärt, dass der Asta gar nicht berechtigt ist, solche Praktiken zu kritisieren. In der Urteilsbegründung heißt es:

„Bei der Pick-Up-Artists-Szene handelt es sich erkennbar um ein Phänomen von allgemeiner sozialer Bedeutung, das die Öffentlichkeit, insbesondere Frauen jüngeren Alters gleichermaßen angeht und Fragen der Hochschulpolitik oder sonstige studentische Angelegenheiten nicht in besonderer hochschulspezifischer Weise betrifft. Allein der Umstand, dass einerseits auch Studenten an der Universität Frankfurt am Main […] der Pick-Up-Szene angehören und andererseits Studentinnen zu deren Zielgruppe gehören, vermögen den von § 96 Abs. 2 HHG geforderten Hochschulbezug nicht zu begründen.“

Nicht nur beim Asta sorgte diese Entscheidung für viel Kritik. Warum soll das Persönlichkeitsrecht eines Mannes, der mit als sexistischen empfundenen Methoden zum Geschäftsmodell macht, nicht auch Gegenstand von Diskussionen und Kritik sein? Der Asta lässt es trotz der hohen finanziellen Strafandrohungen auf eine Klage ankommen und weigert sich, den Auflagen der Einstweiligen Verfügung Folge zu leisten.

Nun ist die OLG-Entscheidung nicht das einzige Indiz dafür, dass es mit der Sensibilisierung gegen Sexismus nicht so weit her ist, wenn die Täter nicht als Migranten dingfest gemacht werden können.

Geldstrafe wegen Anzeige sexistischer Gewalt

So soll die ehemalige Teilnehmerin der Casting-Show „Germanys next Topmodel“, Gina-Lisa Lohfink, eine hohe Geldstrafe zahlen, weil sie zwei Männer der Vergewaltigung bezichtigt und angezeigt [4] hatte. Laut Gericht zu Unrecht. Laut Lohfink sei der in einem Video gezeigt Sexakt aber nicht einvernehmlich gewesen. Man habe ihr K.o.-Tropfen verabreicht. Die Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt [5] wehrt sich gegen die Opfer-Täter-Umkehr. Dort heißt [6] es dort zum Fall:

„Das Vergewaltigungsrecht, ungestraft vergewaltigen zu dürfen (nur 8,4% aller Anzeigen wegen Vergewaltigung führen zu einer Verurteilung), wird inzwischen von der Justiz noch eine Stufe weiter getrieben: Betroffene, die anzeigen, müssen nun sogar mit einer Strafe rechnen. So soll Gina-Lisa Lohfink eine Strafzahlung von 24.000 € an die Männer zahlen, die gegen ihren Willen ein Video von ihr aufnahmen und veröffentlichten, auf dem deutlich ihr „Hör auf“ während der Tat zu vernehmen ist.“

Die IfGsG erinnert daran, dass der Fall Kachelmann der Türöffner für eine Berichterstattung war, der Frauen, die sexuelle Gewalt anklagen, unter Verdacht stellt. Tatsächlich wird Kachelmann heute auch in Talk-Shows nur noch als Opfer einer lügnerischen Frau gesehen. Das er aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde, bleibt unerwähnt. Allerdings wurde die Frau, die Kachelmann beschuldigte, nicht strafrechtlich belangt.

Im Fall Lohfink nun wurde eine Frau, die sexuelle Gewalt anklagt auch noch zu einer Geldstrafe verurteilt. Dabei wird unterschlagen, dass auch Praktiken, die nicht justitiabel sind, für die betroffene Frau als klarer Übergriff und Gewalt erfahren werden kann. Wenn das nun bestraft wird, ist es ein besonderer Angriff auf das Recht der Frau, selber zu entscheiden, wo ihre Grenzen sind.

Ein Gericht muss sich diese Grenzen nicht zu eigen machen. Wenn das aber das Benennen und versuchte Einklagen der Einhaltung dieser Grenzen zu einer Verurteilung führt, ist das eindeutig ein Rollback zu Lasten der Frauen.

Bei Lohfink kommt wahrscheinlich noch das Ressentiment gegen ein Model hinzu, dem nicht das Recht zugestanden wird, zu entscheiden, wann sie nein sagen will und wann nicht. „Das Problem heißt Gewalt gegen Frauen. Sexuelle Übergriffe sind zu verurteilen – egal, wo sie stattfinden und wer sie verübt“, heißt es in einer Stellungnahme des Bündnisses Frauen gegen Gewalt [7] in einer Stellungnahme zu den Angriffen in der Kölner Silvesternacht.

Sind die vielen Anzeigen nach Köln Zeichen für größere Sensibilisierung?

Das Bündnis begrüßt [8], dass viele Frauen Anzeigen erstattet haben. Schließlich gab es erst vor 4 Jahren eine Befragung [9] von Frauen, die sexistische Gewalt nicht angezeigt haben. In diesem Zusammenhang ist es tatsächlich ein Fortschritt, dass Frauen selbst vermeintlich leichtere Übergriffe („Klaps auf den Po“) zur Anzeige bringen. Doch wären die Anzeigen auch erfolgt und auch angenommen wurden, wenn die vermeintlichen Täter Biodeutsche gewesen wären? Wie hätten dann die Medien reagiert? Hätten die anzeigenden Frauen die Justiz auch eingeschaltet, wenn es nicht um „deutsche Männer“ gehandelt hätte?

Diese Fragen sind wichtig, um einzuschätzen, ob die vielen Anzeigen nach Köln tatsächlich als Indiz für eine stärkere Sensibilisierung von sexueller Gewalt zu bewerten sind. Oder handelt es sich eher um eine Kampagne zum Schutz der deutschen Frau vor Ausländern, die gerade im Rheinland eine lange Tradition hat.

Bereits im 1. Weltkrieg und bei der kurzzeitigen Besetzung von Teilen des Ruhrgebiets von französischen Truppen zur Durchsetzung der Bestimmungen des Versailler Abkommens in der Frühphase der Weimarer Republik machte in rechten Kreisen das Wort von der Schwarzen Schmach [10] die Runde. Die in der französischen Armee eingesetzten afrikanischen Soldaten wurden als besondere Gefahr für die deutschen Frauen [11] angesehen.

In dieser Tradition stehen die nach der Kölner Silvesternacht verstärkten Versuche rechter Kreise, Schutzbünde für deutsche Frauen aufzubauen. In der letzten Woche wurde in Köln die Gruppe Frieda [12] „Frauen gegen die Islamisierung und Entrechtung des Abendlandes“ gegründet. Als Ansprechperson der sich überparteilich gebenden Initiative fungiert die Ratsfrau der rechtspopulistischen Bewegung pro Köln Judith Wolter [13].

Nach der Gründung ließen sich sechs Frieda-Initiatorinnen mit einem Transparent fotografieren, auf dem die Parole steht, die in rechten Kreisen nach der Kölner Silvesternacht zum Renner geworden ist: „Rapefugees – not Welcome“. Gegen diesen Spruch, der Geflüchtete pauschal zu Vergewaltigern erklärt, gibt es mittlerweile zahlreiche juristische Klagen. Die vor einer Gruppe von wütenden Frauen flüchtende Person auf dem Transparent ist übrigens auch als Frau gezeichnet, Auch der Gründungsort ist für Frieda Programm: „Unser Fotoshooting fand übrigens vor der Kölner St. Ursula Kirche statt, in der laut der Ursula-Legende die Gebeine der von Hunnen ermordeten christlichen Märtyrinnen begraben liegen.“

http://www.heise.de/tp/news/Sexismus-nur-wenn-Auslaender-dabei-sind-3082615.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://asta-frankfurt.de/aktuelles/olg-zensiert-studentische-berichterstattung-stellt-demokratische-selbstverwaltung-frage

[2]

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/pick-up-artists-du-bist-ja-ein-ganz-kleines-maedchen-11908961.html

[3]

https://olg-frankfurt-justiz.hessen.de

[4]

http://www.stern.de/lifestyle/leute/gina-lisa-lohfink–geldstrafe-wegenfalschverdaechtigung—sie-soll-vergewaltigung-erfunden-haben-6628320.html

[5]

http://ifgbsg.org/

[6]

http://ifgbsg.org/gegen-taeter-opfer-umkehr-fuer-solidaritaet-mit-allen-betroffenen-von-sexueller-gewalt/

[7]

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/

[8]

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/nachricht/stellungnahme-zu-den-uebergriffen-in-der-silvesternacht-309.html

[9]

https://ichhabnichtangezeigt.wordpress.com/auswertung/

[10]

https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schwarze_Schmach

[11]

https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schwarze_Schmach

[12]

https://www.facebook.com/frieda2016/

Unter dem antisexistischen Deckmantel

Rechte Frauengruppe will Ängste nach den Silvesterübergriffen für sich nutzen

Auf den ersten Blick wirkt »Frieda« wie eine Hilfegruppe für Frauen. Doch hinter dem Projekt stehen rassistische Aktivisten, die mit ihrem Angebot verunsicherte Frauen in ihre Falle locken wollen.

»Wir sind Frauen jeden Alters, unterschiedlicher politischer Herkunft und Nationalität.« So lautet der erste Satz im Selbstverständnis der Frauengruppe »Frieda«, die sich vergangene Woche in Köln gegründet hat. Geplant sind Seminare zum Notwehr- und Nothilferecht, Selbstverteidigungskurse für Frauen sowie politische Vorträge und Schulungen. Dabei dürfte es jedoch kaum um feministische Theorie gehen. Die Gründung ist nämlich ein Versuch der extrem rechten Szene, nach den sexistischen Angriffen in der Kölner Silvesternacht die berechtigten Ängste von Frauen auszunutzen.

Der Name der Gruppe macht die politische Stoßrichtung deutlich. »Frieda« ist die Abkürzung für »Frauen gegen die Islamisierung und Entrechtung des Abendlandes«. Im Gründungsmanifest wird klar benannt, gegen wen sich ihre Aktivitäten richten: »Wir sind es leid, dass Frauen in Deutschland zunehmend zu Freiwild werden für eingewanderte Männer, die unsere abendländischen Traditionen und über Jahrhunderte erkämpften Freiheitsrechte mit Füßen treten.« Nach der Gründung ließen sich sechs »Frieda«-Initiatorinnen mit einem Transparent fotografieren, auf dem eine Parole steht, die in rechten Kreisen nach der Kölner Silvesternacht zum Renner geworden ist: »Rapefugees – not Welcome«. Gegen diesen Spruch, der Geflüchtete pauschal zu Vergewaltigern erklärt, liegen juristische Klagen vor.

Auch der Gründungsort ist für »Frieda« Programm. »Unser Fotoshooting fand vor der Kölner St. Ursula Kirche statt, in der laut der Ursula-Legende die Gebeine der von Hunnen ermordeten christlichen Märtyrinnen begraben liegen. Die elf Tropfen im Kölner Stadtwappen stehen auch für die Tränen dieser Kölner Jungfrauen«, heißt es auf der Homepage von »Frieda«. Als Kontaktadresse der rechten Frauengruppe fungiert Judith Wolter. Sie ist eine Mandatsträgerin der rechtspopulistischen Bewegung Pro Köln. Deren »Anti-Islamisierungskongresse« hatten zu massiven antifaschistischen Protesten geführt.

Wenn man die Einträge auf der »Frieda«-Facebookseite liest, wird einem suggeriert, Gewalt gegen Frauen würde es hierzulande ohne Geflüchtete nicht geben. Dort werden Meldungen über angebliche oder tatsächliche Probleme mit arabischen Männern in Schwimmbädern verbreitet. Dass das Festkomitee des Kölner Karnevals in arabisch-sprachigen Broschüren Geflüchtete zum Mitfeiern einlädt, wird mit dem Satz kommentiert: »Da werden sich dieses Jahr in Köln viele Mädchen und Frauen dreimal überlegen, wen sie an Karneval noch anlächeln.«

Inzwischen haben die »Frieda«-Gründerinnen Alice Schwarzer ein Gesprächsangebot gemacht. Die Feministin warnt schon lange vor frauenfeindlichen Tendenzen im Islam. Dass sie sich vor den Karren der Rechten spannen lässt, ist aber unwahrscheinlich. Schließlich setzen sie sich für ein schärferes Abtreibungsrecht ein und agieren gegen einen angeblichen Genderwahn.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/999130.unter-dem-antisexistischen-deckmantel.html

Peter Nowak

„Abendspaziergänger“ ohne Erfolg

Am gestrigen Mittwoch scheiterte der zweite Versuch der Pegida-Bewegung, in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam Fuß zu fassen.

Mehr als 200 Pogida-Anhänger hatten sich am Mittwochabend am Potsdamer Bassinplatz eingefunden. Sie skandierten „Merkel muss weg!“ und „Wir sind das Volk!“ So lautete auch das Motto des „zweiten Potsdamer Abendspaziergangs gegen die Islamisierung des Abendlandes“.  Gefordert wurde dabei die „Sicherheit unserer Familien/ entgegen den sexuellen Übergriffen“ sowie eine „angemessene Asylpolitik“. Weiter wandte man sich gegen „Gewalt gegen Polizeikräfte“ und wolle keinen „Einsatz der Bundeswehr für fremde Interessen“. Die Forderungen waren so allgemein gehalten, das sowohl AfD-Anhänger als auch Mitglieder von neonazistischen Kameradschaften sich davon angesprochen fühlen konnten. Tatsächlich war dieses Spektrum auch auf der Kundgebung am Bassinplatz vertreten.

Doch der „Abendspaziergang“ konnte nicht beginnen, weil sich rund 1000 Anhänger zivilgesellschaftlicher Gruppen  versammeln hatten, um gegen Pogida zu protestieren.  Nach rund eineinhalb Stunden löst die Polizei die Pogida-Kundgebung mit der Begründung auf, dass die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleistet sei. Bereits am 11. Januar war der erste Pogida-Spaziergang von der Polizei aufgelöst worden, weil die Gegenproteste zu groß waren. (bnr.de berichtete)

Beim ihrem Versuch am gestrigen Mittwoch bekamen  die Pogida-Anhänger Unterstützung aus anderen Städten. In den letzten Tagen war  auf zahlreichen rechten Facebook-Seiten zur Unterstützung  von Pogida aufgerufen worden. Aus Dresden, Leipzig und Berlin waren kleine  Abordnungen von Pegida-Anhängern am 20. Januar nach Potsdam gereist. In diesen Kreisen  würde es als großer symbolischer Erfolg gesehen, wenn sie auch Potsdam ihren Abendspaziergang etablieren könnten.  Der  dritte Versuch wurde schon angekündigt. Nach der Auflösung der Veranstaltung durch die Polizei am Mittwoch schallte aus der Menge der Ruf: „Wir kommen wieder“.

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/abendspazierg-nger-ohne-erfolg

Peter  Nowak

Unterschiediche Methoden der Flüchtlingsbegrenzung

Soziales Zentrum in Halle

Halle. Das Anfang Januar von 20 Menschen besetzte Haus in der Hallenser Hafenstraße wird ein soziales Zentrum. Das Haus hatte mehrere Jahre lang leer gestanden und sollte abgerissen werden. Die Besetzer konnten mit der Eigentümerin, der Wohnungsbaugesellschaft HWG, eine Nutzung für 18 Monate ohne Miete und Nebenkosten vereinbaren. Strom- Gas- und Wasserleitungen werden von der HWG erneuert. Neben Infrastruktur für Geflüchtete sollen in dem ersten sozialen Zentrum von Halle Arbeits­ und Seminarräume für nichtkommerzielle Initiativen und ein Lesecafé entstehen. Derzeit planen die Aktivisten politische Vorträge, Workshops sowie Kunst- und Musikveranstaltungen für die nächsten Monate.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998636.erfolgreiche-besetzung-erstes-soziales-zentrum-in-halle.html

Peter Nowak

Ferienwohnung von Mieterinitiative beschlagnahmt

„Wie verhindere ich Zwangsräumungen?“  lautet die Überschrift auf  einigen   Informationsblättern, die auf einen Tisch im Wohnzimmer ausliegen. Im Flur und im Schlafzimmer finden sich Plakate zum Thema Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung. An Tischen sitzen kleine Gruppen und lassen sich über Probleme am Jobcenter beraten. In dem zweiten Raum  sind einige Ausschnitte aus den Ergebnissen einer Umfrage  aufgelistet, die die Berliner  Mietergemeinschaft 2011 zum Komplex   Ferienwohnungen geführt hat.
Für drei Tage wurde aus einer Dachgeschosswohnung in  der Soldiner Straße 26  im Wedding ein soziales Zentrum. Allerdings wurde die Wohnung nicht besetzt sondern aus politischen Gründen zweckentfremdet.  Über 200 Euro hat die Erwerbsloseninitiative Basta  für die 3 Tage bezahlt. Sie will damit auf einen Tatbestand hinweisen, der  in den letzten  Monaten von vielen Medien und Parteien verbal  beklagt wird, ohne dass sich was ändert.

„Allein  im Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten.  Für BezieherInnen von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind  in dem Stadtteil  dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben“, erklärt Basta-Aktivist Paul. Seine Mitstreiterin  Gitta betonte, dass es mit der Aktion nicht darum geht, BesitzerInnen von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. „Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen ein politisches Problem.“  Damit sind die MitstreiterInnen von Basta regelmäßig konfrontiert. Schließlich organisieren sie  wöchentlich eine Beratung für Hartz IV-BezieherInnen. „Immer wieder kommen  Menschen zu uns, die keine  bezahlbare Wohnung finden “, erklärt Paul.  Zwei wohnungslose Frauen haben sich der Aktion beteiligt.
Im Flur der beschlagnahmten Ferienwohnung ist eine Box eingerichtet, in die sich Wohnungssuchende eintragen können, die gerne in das Apartment einziehen würden. Allerdings geht es der Initiative nicht nur um die  eine Wohnung.

Viel Unterstützung von NachbarInnen

Daher begann die Aktion am Dienstagmittag mit einem Stadtteilspaziergang  durch die unmittelbare Umgebung der Soldiner Straße.  Dort finden sich mittlerweile zahlreiche Ferienwohnungen. Die Vermieter/innen setzen dabei auf Berlinbesucher/innen, die nicht nur  das historische  Stadtzentrum kennen lernen wollen.  „In der  Soldiner Straße  und der Umgebung wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen.  Wenn ausgerechnet in einer solchen Gegend immer mehr Ferienwohnungen entstehen, wird der günstige Wohnraum noch mehr verknappt“,  begründet  ein älterer  Anwohner, der bereits in den 80er Jahren im Wedding in einer Stadtteilgruppe aktiv war, seine Teilnahme an der Aktion.   Er hofft, dass die Beschlagnahme keine   einmalige Aktion ist und sich auch im Wedding wieder eine  MieterInnenbewegung etabliert.  Die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“, die die Beschlagnahme unterstützt, weist in ihrer Erklärung  auf die politische Dimension des Ferienwohnungsmarktes hin:
„Völlig unklar ist es, wie viele Wohnungen Geflüchteten, Wohnungslosen oder Prekarisierten entzogen sowie privat oder über Online-Portale wie Airbnb vermarktet werden. Stadtentwicklungs-Senator Andreas Geisel (SPD) kündigte im Dezember vollmundig an, fast alle Ferienwohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zurückführen zu wollen. An dem Prinzip der Wohnung als Ware, wird selbstverständlich nicht gerüttelt. Darum liegt es an solidarischen Menschen in dieser Stadt, Leerstand und Ferienwohnungen zu kollektivieren.“  Paul von Basta betont allerdings, dass die Ferienwohnungen nur ein  Teil des Problems sind.  „Es fehlen bezahlbare Wohnungen, weil der soziale Wohnungsbau abgewickelt wurde.  Das wird sich nur ändern, wenn  neben der Abschaffung des  Ferienwohnungsunwesen  neue Wohnungen gebaut werden.“
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/ferienwohnung-soldiner.html

aus: MieterEcho online 20.01.2015

Update: Zur vorzeitigen Beendigung der Aktion siehe hier:

http://basta.blogsport.eu/

Peter Nowak

Ohne Kriege kein Pop

Die Konferenz „Krieg singen“ am Haus der Kulturen der Welt machte deutlich, dass alle Arten von Musik töten können. Aber auch die totale Stille kann eine Waffe sein

Schon die Posaunen von Jericho machten deutlich, dass Musik seit Menschengedenken für Kriegszwecke eingesetzt wurde. Der Medientheoretiker Friedrich Kittler wurde mit der These bekannt, dass die Erzeugnisse von Musik und Popkultur ein Missbrauch der Produkte der Militär- und Heeresindustrie waren.

Andreas Ammer: Deutsche Krieger. Bild: © Stephan Sahm / Haus der Kulturen der Welt

Ein weites Feld hat also die Berliner Konferenz beackert und ein Blick in das viertägige Programm[1] macht deutlich, dass kaum ein Thema ausgelassen wurde. Da werden die Märtyrersongs erwähnt, mit denen der IS deutsche Mütter von bei Selbstmordattentaten umgekommenen Konvertiten ermahnt, nicht traurig zu sein, weil ihre Söhne den Heldentod gestorben seien und sie so einen Platz im Jenseits hätten. Wer nun in solchen Liedern eine besondere Perfide sieht, konnte in anderen Veranstaltungen erfahren, dass die Islamisten hier nur genau jene Methoden kopieren, mit denen eine mit den herrschenden Kreisen verbandelte Kulturindustrie schon immer Kanonenfutter in den Tod schickte und ihre Angehörigen dann damit ruhigstellte, dass es jetzt ihre patriotische Aufgabe sei, um ihre toten Helden zu betrauern.

Deutsche Krieger hieß das Live-Hörspiel[2], das FM Einheit und Andras Ammer aus zeitgenössischen Tondokumenten von Wilhelm II bis Adolf Hitler konzipiert haben. Doch nicht nur die Stimmen der Herrschenden wurden auf der Konferenz hörbar. Barbara Morgenstern, Ari Benjamin Meyers und Hauschka ließen auf einem Konzert die Stimmen von deutschen Kriegsgefangenen aus ganz Europa, Nordafrika, dem Kongo und Asien hörbar werden. Sie sind auf ca. 7500 Schellackplatten festgehalten, die in Kriegsgefangenenlagern während des 1. Weltkriegs aufgenommen wurden und im Lautarchiv der Berliner Humboldtuniversität[3] konserviert sind. Vor einigen Jahren hat Philip Scheffner dieses Thema in dem Film The Halfmoon Files[4] einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Soundcheck zum Massenmord war keine „böse Musik“

Im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt, in dem das Festival stattfand, war ein sehr modernes Radiostudio aufgebaut. Es war der Nachbau jener berüchtigten Radiostation RTLM, die der Schweizer Theatermacher Milo Rau[5] mit seinen Film und Theaterstück Hate-Radio[6] bekannt gemacht hat.

Der Film wurde gezeigt und in der Diskussionsrunde betonte Rau, dass die Radiostation RTLM im Wortsinne populäre Musik gemacht hat. Bekannte Songs aus den USA, Großbritannien und Frankreich wurden dort gespielt. Dazwischen wurde mit Hassreden auf die Tutsi der Genozid vorbereitet und begleitet. Sogar die Menschen, die im Sender zur Vernichtung freigegeben wurden, hörten den Sender wegen der guten Musik. Damit widerlegte Rau auch die viel strapazierten Reden von der bösen Musik, die von den Erziehern aller Länder und Zeiten mal in Blackmetal oder Hardcore, im Punk oder Hip Hop verortet wird.

Hate Radio (Aufführung von 2012) Bild: © Daniel Seiffert / International Institute of Political Murder

Es wurde in der Konferenz schnell klar, dass jede Musik, wenn sie nur oft genug und mit voller Lautstärke gespielt wird, zu körperlichen Schäden bis zum Tod führen kann. So wurden auch die Gefangenen in Guantanamo mit keiner bösen, sondern mit sehr populärer Musik beschallt. Rau machte am Beispiel Ruanda auch noch mal deutlich, wie nationalistische Erzählungen funktionieren und wirkungsmächtig werden. Nur haben sie nicht immer eine solch tödliche Wirkung wie in Zentralafrika. Die Erzählung von der Hutu-Power imaginierte alte Hutu-Königreiche, die real nie existiert haben. Doch sie wurden geglaubt und so wurde das Konstrukt wirkungsmächtig und entfaltete unter spezifischen Bedingungen seine mörderische Wirkung.

Nur ist die Imagination eben kein ruandisches Spezifikum. Alle ethnischen und nationalen Erzählungen basieren auf solchen Imaginationen und Konstruktionen. Aus dem Publikum wurde als Beispiel die Mär von dem tausendjährigen deutschen Reich als Beispiel genannt, die aktuell wieder ein AFD-Provinzpolitiker weiterspinnt[7].

Natürlich kommt eine Konferenz, die sich um Musik dreht, nicht ohne Konzerte aus. Laibach war natürlich für viele das absolute Highlight. Schließlich haben sie durch ihren Auftritt in Nordkorea[8] ihren Ruf des Extravaganten wieder aufpoliert. Auch hier wirken mediale Konstruktionen. Wie immer man die Regierung in Nordkorea beurteilen mag, warum gönnen denn viele Medien der dortigen Bevölkerung nicht, mal etwas anderes als die Parteihymen zu hören?

Wenn Laibach auch für einen vollen Saal sorgte, so waren doch auch die kleineren Konzerte sehr interessant. Konnte man doch ganz direkt erfahren, wie die Präsentation einer bestimmten Musik wirkt, welche Stimmung sie erzeugt. Da gab die Formation Zeitkratzer eine Darbietung historischer serbischer Trauerlieder, die jeden Ethnopluralisten erfreute. Von der Tracht, den Instrumenten bis auf die strenge Darbietung wurde hier ein nationales Kollektiv nachgestellt. Kein schräger Ton war zugelassen. Danach präsentierte das Trio Tri Minh, Gregor Sield, Lan Cao ihre Songs of Heroes. Dort wurden vietnamesische Revolutionsgesänge sowie Lieder gegen die US-Krieger verarbeitet und immer wieder ironisch gebrochen. Oft wurde der historische Song nur angespielt und mündete in moderne Avantgarde. Hier wurden Maßstäbe gesetzt, wie auch historische Kriegslieder heute noch hörbar sind.

Die beiden so unterschiedlichen Darbietungen machen auch deutlich, dass es keine bösen oder guten Lieder, sehr wohl aber eine regressive und reaktionäre oder eine fortschrittliche Darstellungsweise gibt. Dieser Aspekt hätte auf der Konferenz durchaus mehr theoretische Auseinandersetzungen verdient.

Wie klingt der Frieden?

Dafür kam aus dem Publikum bei den Diskussionsveranstaltungen öfter die Frage auf, warum nicht mehr Raum für Friedenslieder gegeben wurde. „Wie der Krieg klingt wissen wir. Doch wie klingt der Frieden?“, fragte eine Besucherin. Doch einige Friedenslieder waren auf der Konferenz durchaus sogar prominent vertreten.

Während der Festivaltage erklangen auf allen Toiletten im Haus der Kulturen der Welt Songs von Country Joe McDonald[9]. Damit wollten die Konferenzkuratoren verdeutlichen, dass vieles, was unter das Genre Friedensmusik fällt, allenfalls noch als Toilettenmusik taugt. Tatsächlich bekundete Kurator Holger Schulze, dass die meiste Friedensmusik schlicht Kitsch sei.

Allerdings wäre zu fragen, ob dieses Diktum historisch zutrifft. Schließlich haben viele Lieder der historischen Arbeiterbewegung, die bereits mit den Liedern der Pariser Kommune begannen, gegen den Krieg agiert, ohne eine Welt zu malen, in der Wolf und Schaf friedlich auf einer Wiese grasen. Schulze gab sich aber auch überzeugt, dass in einer Welt, in der der Krieg wieder zum Mittel der Politik wurde, auch neue Antikriegslieder entstehen werden. Das wäre sicher ein Thema für eine weitere Konferenz.

Dabei wurde auf der Konferenz durchaus Antikriegsmusik vorgestellt, die aber kaum etwas mit dem zu tun hat, dass wir uns oft darunter vorstellen. Da gab es Ausschnitte aus dem Film „Syrian Metal is War“[10] zu sehen. Dort berichten junge syrische Zivilisten, wie sie jeden Tag von einer Bombe der der Islamisten oder des Assad-Regimes sterben können und sie die Zeit, die ihnen auf Erden bleibt, in und für ihre Musik leben.

Zudem gab die Band Songhoy Blues[11] ein Gastspiel. Die malischen Musiker fanden sich auf der Flucht vor den Islamisten im Exil zusammen und zeigten damit, dass nicht nur in Paris, London oder New York die Klerikalfaschisten kulturaffinen Mensche, ihre Art zu leben mit Terror austreiben wollen. Sind das nicht gute Beispiele für eine zeitgemäße Antikriegsmusik ohne Kitsch?

Ganz am Rande kam auf der Konferenz auch zur Sprache, dass man auch mit totaler Stille Menschen verletzten und sogar töten kann. In einer Sendung mit dem Titel für den Bayerischen Rundfunk mit dem Titel „Krach Krieg Kunst“[12] erwähnte der Journalist Andreas Ammer, dass es bereits seit Jahrzehnten eine Forschung über die totale Isolation und Stille als Waffe gibt und diese auch an RAF-Gefangenen in der JVA Köln-Ossendorf ausprobiert[13] wurde.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47155/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://hkw.de/de/programm/projekte/2016/krieg_singen/krieg_singen_start.php

[2]

http://www.hkw.de/de/programm/projekte/veranstaltung/p_122739.php

[3]

http://www.lautarchiv.hu-berlin.de/

[4]

http://www.filmzentrale.com/rezis/halfmoonfileshf.htm

[5]

http://www.althussers-haende.org/

[6]

http://international-institute.de/wp-content/uploads/2012/07/Milo%20Rau_HATE%20RADIO.pdf

[7]

http://www.taz.de/!5242157/

[8]

http://www.rollingstone.com/culture/news/cannabis-and-the-sound-of-music-what-laibach-learned-in-north-korea-20150825

[9]

http://www.countryjoe.com/

[10]

https://www.facebook.com/SyrianMetalIsWar/photos/a.201629700032854.1073741827.201506403378517/202345003294657/?type=3&theater

[11]

http://songhoy-blues.com/

[12]

http://www.br.de/radio/bayern2/kultur/nachtstudio/ammer-krach-krieg-kunst-100.html

[13]

http://www.unrast-verlag.de/news/1342-isolationshaft-in-der-brd-entstehung-entwicklung-export

Diese Ferienwohnung ist besetzt

Gegen Zweckentfremdung: Initiative macht Touristenappartement zu sozialem Zentrum

Die Erwerbsloseninitiative Basta hat eine Ferienwohnung in der Weddinger Soldiner Straße zweckentfremdet, um gegen fehlende bezahlbare Wohnungen zu protestieren.
Am Dienstagmorgen zogen sie ein und luden Nachbarn ein, die Wohnung zu besuchen: Drei Tage lang sollen Wohnungssuchende die Möglichkeit haben, sich auf eine ausliegende Interessentenliste einzutragen, die Liste soll schließlich an den Vermieter übergeben werden. Mit dem (vorübergehenden) Einzug in eine Ferienwohnung in Wedding will die Initiative »Basta« am Dienstag auf die Problematik der Zweckentfremdung von Wohnraum aufmerksam machen und vor allem Nachbarn ansprechen.

»Wie verhindere ich Zwangsräumungen?« und »Wie ziehe ich Hartz IV-kompatibel um?« lauten die Überschriften einiger Informationsblätter, die auf einen Tisch im Wohnzimmerauslagen. Im Flur und im Schlafzimmer hängten Aktivisten Plakate zu den Themen Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung auf. An Tischen saßen kleine Gruppen und lassen sich über Probleme am Jobcenter beraten. Drei Tage soll die Dachgeschosswohnung in der Soldiner Straße 26 in Wedding ein soziales Zentrum sein. Über 200 Euro hat die Erwerbsloseninitiative dafür ausgegeben. Doch »Basta« verfolgt damit ein politisches Anliegen.

»Allein in Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten. Für Bezieher von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind in dem Stadtteil dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben«, erklärt Basta-Aktivist Paul. Mit der Beschlagnahme wolle man auf dieses »Missverhältnis« aufmerksam machen. Paul betonte auch, dass es mit der Aktion nicht darum gehe, Besitzer von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. »Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen das Problem.« Damit sind die Mitarbeiter von »Basta« regelmäßig konfrontiert. Schließlich organisieren sie jede Woche eine Beratung für Menschen, die Probleme mit dem Jobcenter haben. »Immer wieder kommen Menschen zu uns, die keine bezahlbare Wohnung finden«, erklärt Paul.

Zwei wohnungslose Frauen haben sich an der Aktion beteiligt. Am Donnerstag will Basta mit den Eigentümern über eine Vermietung verhandeln. Allerdings geht es der Initiative nicht nur um die eine Wohnung. Daher begann die Aktion am Dienstagmittag mit einem Stadtteilspaziergang durch die unmittelbare Umgebung der Soldiner Straße. Dort finden sich mittlerweile zahlreiche Ferienwohnungen. »Oft sind Ferienwohnungen von außen kaum zu erkennen. Nur die AnwohnerInnen selbst kennen die Wohnungen in ihren Häusern. Falsche Namen an Klingelschildern sollen den Schein einer ›normalen‹ Mietwohnung aufrecht erhalten«, erklärt Lisa von »Basta«.

Die Vermieter setzen dabei auf Berlinbesucher, die nicht nur das historische Stadtzentrum kennen lernen wollen. In den drei Tagen will die Initiative ein Verzeichnis von Ferienwohnungen zusammentragen und im Anschluss an die Aktion dem Bezirk zur Prüfung einer möglichen Zweckentfremdung vorgelegen.

»In der Soldiner Straße und der Umgebung wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen. Wenn ausgerechnet in einer solchen Gegend immer mehr Ferienwohnungen entstehen, wird der günstige Wohnraum noch mehr verknappt«, begründet ein älterer Anwohner, der bereits in den 80er Jahren im Wedding in einer Stadtteilgruppe aktiv war, seine Teilnahme an der Aktion. Er hofft, dass die Beschlagnahme keine einmalige Aktion ist und sich auch im Wedding wieder eine Mieterbewegung etabliert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/998733.diese-ferienwohnung-ist-besetzt.html

Peter Nowak

Urlaub vom Wohnungsmarkt


AKTION Initiative nutzt Ferienwohnung als soziales Zentrum und protestiert gegen Wohnungsnot
Für drei Tage ist aus einer Dachgeschosswohnung in der Soldiner Straße 26 im Wedding ein soziales Zentrum geworden: Im Wohnzimmer liegen Flyer, die über den Umgang mit drohender Zwangsräumung informieren; im Flur und Schlafzimmer finden sich Plakate zum Thema
Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung. In einer kleinen Box  können Mieter ihr Interesse für die Wohnung bekunden. Denn eigentlich ist die Wohnung eine Ferienwohnung. Aktivisten der Erwerbslosen-Initiative Basta haben sie bezogen; sie wollen mit der Aktion auf den Mangel an bezahlbaren Wohnungen aufmerksam machen. Am Donnerstag will Basta mit den Eigentümer darüber verhandeln, dass die Wohnung dem Wohnungsmarkt wieder zu bezahlbaren Preisen zur Vergütung gestellt wird. Der Erfolg ist ungewiss, schließlich wird die Wohnung zurzeit für 63 Euro Miete pro Tag im Internet angeboten. Sie ist mittlerweile auch auf einer Internetseite aufgeführt, die illegale Ferienwohnungen auflistet. In Berlin soll es Schätzungen zufolge mittlerweile zwischen 12.000 und 17.000 solcher Wohnungen
geben. „Allein im Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten. Für BezieherInnen von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind in dem Stadtteil dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben“, begründet Basta-Aktivist Paul die Aktion.

Ein politisches Problem

Dabei sei es nicht das Ziel, die EigentümerInnen von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. „Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen ein politisches Problem“, betont Basta-Aktivisti Gitta. Die MitarbeiterInnen von Basta sind mit diesem Problem regelmäßig konfrontiert: Sie organisieren wöchentlich eine Beratung für Menschen, die Probleme mit dem Jobcenter haben.
aus Taz vom 20.01.2016
Peter Nowak

Abschiebung in die Fremde

Nachdem die Balkan-Länder zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt worden sind, werden nun massenhaft Roma dorthin abgeschoben. Viele Jüngere kennen die Länder nicht einmal, weil sie in Deutschland geboren wurden. Auf dem Balkan droht ihnen Diskriminierung.

Bis Mitte Dezember führten Gzim und Ramiz Berisha das Leben ganz normaler Teenager in Hannover. Sie gingen zur Schule und engagierten sich in der Freizeit in der Roma-Selbstorganisation »Amaro Drom«. Doch der 16. Dezember sollte ihr Leben grundlegend ändern. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die allein an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden. Sie haben von Anfang an die deutsche Sprache gelernt und erfüllten damit die Voraussetzung, die hierzulande von Politik und Öffentlichkeit an eine gelungene Integration gestellt wird. Wobei diese Forderung bei in Deutschland Geborenen wie Gzim und Ramiz Berisha ohnehin fragwürdig ist, die ja auf die dummdeutsche Frage, woher sie kommen, wahrheitsgemäß nur angeben können: Aus Deutschland.

Dass die Berishas jetzt in ein ihnen völlig fremdes Land deportiert wurden, ist die Folge einer Regelung, die vor einigen Monaten für eine kurze Zeit für Debatten sorgte. Damals wurden die Balkan-Länder Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien und Mazedonien zu »sicheren Herkunftsländern« erklärt. Bei den Grünen gab es deswegen einige innerparteiliche Auseinandersetzungen. Die Parteibasis war wohl mehrheitlich dagegen, weil bekannt ist, dass in diesen Ländern Roma noch immer auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden. Doch im Bundesrat stimmte der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, für diese Regelung. Bei ihrer Klausur im neuen Jahr haben sich die Grünen dafür nachträglich selbst gerühmt. Damit habe man in der Öffentlichkeit das Signal ausgesendet, dass man auch zu Abschiebungen bereit sei, lobte die FAZ.

Nachdem die Regelung den Bundesrat passiert hatte, konnte in allen Bundesländern die Abschiebemaschinerie anrollen. Allein in drei fränkischen Regierungsbezirken Bayerns erhielten nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrates Ende November 800 Geflüchtete vom Balkan die Aufforderung, sich in einer Kaserne in Bamberg einzufinden, von wo sie abgeschoben wurden. Auch ein junger Mann, der als Epileptiker auf ärztliche Versorgung angewiesen ist, war davon betroffen. In Nordrhein-Westfalen sitzt der Rapper Hikmet Prizreni alias Prince-H seit Oktober in Abschiebehaft. In den vergangenen Monaten hat er sich künstlerisch für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt. Während des Roma-Tages am 8. April 2015 trat er vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf. Weil er wegen eines Drogendelikts zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, soll der Künstler das Land verlassen, in dem er seit 27 Jahren lebt.

Die Öffentlichkeit reagiert auf die Massenabschiebungen kaum. Schließlich liegt der Fokus seit einigen Monaten auf der angeblich einmaligen deutschen Willkommenskultur. Während damit von Grünen ein neuer Patriotismus ausgerufen wurde, werden Menschen, die oder deren Eltern vor zwei Jahrzehnten aus den Balkanländern geflohen waren, weggeschoben wie ein lästiges Möbelstück. Hier wird eine klare Hierarchie unter Geflüchteten aufgebaut. Die Pressesprecherin von »Amaro Drom«, Anita Burchardt, bringt den Zynismus der deutschen Flüchtlingspolitik auf den Punkt: »Sie sind abgeschoben worden mit der Begründung, dass Deutschland Platz schaffen muss. Deutschland muss Platz schaffen, indem Menschen, die geduldet sind, abgeschoben werden in die Länder, welche von der Bundesregierung als ›sichere Herkunftsländer‹ eingestuft worden sind.«

Das Schicksal von Gzim und Ramiz Berisha wurde im Gegensatz zu vielen faktisch Namenlosen bekannt, weil die beiden Teenager sich in der Roma-Selbstorganisation engagiert hatten. Die versucht nun, die Teenager und ihre Eltern zurückzuholen, und hat eine Online-Petition gestartet. »Gzim und Ramiz Berisha wurden in ein Land abgeschoben, das sie noch nie zuvor gesehen haben – den Kosovo«, heißt es in der Begründung. Man wolle es nicht akzeptieren, dass in Deutschland aufgewachsene Jugendliche einfach aus ihrem Zuhause weggerissen und irgendwohin geschickt werden.

Lediglich glücklichen Zufällen ist es geschuldet, dass die im Kosovo geborene Nizaqete Bislimi nicht abgeschoben wurde. Wegen eines Formfehlers der zuständigen Ausländerbehörde konnte sie mit ihren Eltern und Geschwistern in Deutschland bleiben. Heute ist sie Anwältin und engagiert sich für die Rechte von Geflüchteten. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland beklagte sie die Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge: »Eine Mandantin vom Balkan berichtet, sie bekomme keine Beratung in der Gemeinschaftsunterkunft, weil man dort annehme, sie müsse ohnehin in Kürze ausreisen. Lieber wolle man den syrischen Flüchtlingen helfen.« Bislimi hält es nicht für unwahrscheinlich, dass diese Politik dazu führen könne, dass syrische Geflüchtete Roma aus den Balkan-Staaten vorwerfen, dass sie ihnen den Platz in Deutschland wegnähmen, wenn sie nicht freiwillig ausreisten.

Die Abschiebung von in Deutschland geborenen Menschen in »sichere Herkunftsländer«, aus denen sie gar nicht kommen, ist natürlich auch eine Drohung an Neuankömmlinge. Ihnen wird so mitgeteilt, dass der Staat sie ein- und aussortiert und nicht nur darüber entscheidet, wann sie zu verschwinden haben. Staatliche Instanzen entscheiden auch über das Leben von in Deutschland geborenen Kindern

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53306.html

Peter Nowak