Die Polizei geht mittlerweile von einer Vortäuschung einer Straftat durch Kinzel aus
Am 4. Januar soll das Kreisvorstandsmitglied der Schweriner Linkspartei, Julian Kinzel, in Wismar Opfer einer Messerattacke geworden sein. Nach seinem Bericht und dem des Kreisverbands sollen ihn drei Täter vermutlich aus „rechtsextremistischen“ Kreisen niedergeschlagen und mit einem Messer 17 Mal auf ihn eingestochen haben. Nur seine dicke Winterjacke habe schwere Verletzungen verhindert, hieß es (Messerattacken auf Linksparteiaktivist [1]).
U.a. hatte auch der Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch, den Vorfall zum Anlass [2] genommen zu fordern, dass es „gegenüber rechtsradikalem Gedankengut und Gewalt in unserer Gesellschaft keine Toleranz geben“ dürfe.Er schrieb weiter: „Wer nimmt den Tod eines 20-Jährigen in Kauf, dessen pol. Gesinnung ihm nicht gelegen ist? Rasche Genesung, Julian“
Mittlerweile wird von unterschiedlicher Seite Kinzels Version des Tathergangs bezweifelt. Dabei scheint allerdings die Tatsache, dass sich der Linksparteiaktivist zunächst in medizinische Behandlung begab und anschließend mit Vertrauten redete, bevor er über das Internetportal der Polizei Strafanzeige stellte, kein Hinwies auf fehlende Glaubwürdigkeit. Auch dass er danach nicht der Presse zur Verfügung steht, wäre für einen Menschen verständlich, der einen solchen Überfall erlebt hat. Gravierender ist jedoch das Verschwinden des Wintermantels, den Kinzel angeblich getragen hat und der ihm bei der Messerattacke vor schwereren Verletzungen verschont haben soll.
Nachdem ein medizinisches Gutachten zu dem Ergebnis kommt, dass die Art der Verletzungen an Kinzels Arm nicht mit dem ihm geschilderten Tathergang übereinstimmt, erklärte die Schweriner Polizei in einer Pressemitteilung [3], Kinzel habe den Überfall erfunden; und kündigte ein Ermittlungsverfahren wegen Vortäuschung einer Straftat gegen ihn an.
Die Reaktion der Medien ist sehr unterschiedlich. Während im Hamburger Abendblatt ein Fragezeichen hinter den Vorwurf; Kinzel habe den Überfall nur vorgetäuscht, gesetzt [4] wurde, nahm Zeit-Online das Ergebnis des Ermittlungsverfahren vorweg und titelte „Kinzel täuschte Messerattacke vor“ [5].
Eine Erklärung von Kinzel oder seinen Anwalt zu den Widersprüchen zum Tathergang und des Ergebnisses des Gutachtens wäreallerdings jetzt dringend notwendig. Auch der Kreisverband der Linken [6] hat sich seit der Verurteilung des angeblichen Angriffs nicht mehr geäußert.
Der Schweriner Linksparteiaktivist Julian Kinzel verdankt einzig seiner dicken Winterjacke, dass er bei einer Messerattacke in Wismar[1] keine schwereren körperlichen Verletzungen davon trug.
„Die drei Täter schlugen ihn nieder und stachen, nach Aussage der behandelnden Ärzte, mit einem Messer etwa 17-mal auf ihr Opfer ein. Dabei wurde er als ’schwule Kommunistensau‘ beschimpft. Dies und die Bekleidung eines der Täter mit szenetypischer Bekleidung (Thor Steinar) nähren den Verdacht, dass es sich um eine rechtsextremistisch motivierte Straftat handelt“, heißt es auf der Homepage der Schweriner Linkspartei.
Wismar hat in den vergangenen Jahren schon öfter durch rechte Gewalt für Aufsehen gesorgt. So wurde dort 2007 eine Demonstration gegen rechte Gewalt von einem von Neonazis bewohnten Haus aus angegriffen[2]. Zwei Jahre später gingen Neonazis vor einem rechten Szeneladen erneut auf demonstrierende Antifaschisten mit Gewalt vor. Auf einen Video[3] ist zu sehen, wie Polizisten nur mit gezogener Waffe die Rechten vor weiteren Angriffen auf die Demonstranten abhalten konnten. Doch die rechte Gewalt ist längst ein bundesweites Problem.
Der Bundesvorstand der Linken stellt den Angriff gegen Kinzel in den Rahmen der wachsenden rechten Radikalisierung, die in den letzten Monaten in Deutschland zu verzeichnen war. „Seit Monaten erleben wir einen zunehmenden Extremismus von rechts, eine zunehmende Radikalisierung, die bis in die Mitte der Gesellschaft reicht: Angriffe auf Flüchtlinge, Flüchtlingsunterkünfte, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, auf Politikerinnen und Politiker und deren Büros. Demgegenüber steht eine unzureichende Anzahl an Täterermittlungen und eine unterirdische Aufklärungsquote“, schreibt[4] der Bundesgeschäftsführer der Linken Matthias Höhn.
In den letzten Monaten sind die Angriffe auf Parteibüros der Linken stark angewachsen[5]. Dabei wurden Mitarbeiter als „Volksverräter“ beschimpft und verbal mit dem Tode bedroht. Neben Aktivisten der Linken waren auch Grüne[6] und Sozialdemokraten betroffen, die sich für die Rechte der Geflüchteten eingesetzt haben. Es ist eindeutig, dass die Hetze gegen Geflüchtete ein Katalysator der rechten Angriffe ist. Dabei geraten auch Unterstützer aus Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen ins Visier der Rechten.
Schüsse auf Geflüchtete
Am 4. Januar 2016 haben sich auch die monatelangen Angriffe auf Geflüchtete noch einmal verschärft. Im hessischen Dreieich wurde erstmals in eine bewohnte Unterkunft geschossen[7]. Ein junger Syrer wurde getroffen und musste im Krankenhaus behandelt werden. „Kurz vor 02.30 Uhr wurden auf ein Fenster des Gebäudes mehrere Schüsse abgegeben, von denen einer den dort Schlafenden leicht verletzte. Der Mann wurde in ein Krankenhaus gebracht und konnte dies nach kurzer ärztlicher Behandlung wieder verlassen“, heißt es in einer Pressemeldung[8] des Polizeipräsidiums Südhessen.
Neben diesen spektakulären Angriffen wächst auch der Alltagsrassismus rund um Flüchtlingsunterkünfte in bestimmten Regionen. Dazu gehört Marzahn-Hellersdorf, das sich Neonazis und Rechtspopulisten schon 2013 als den Stadtteil ausgesucht haben, in denen sie sich als Nachbarn und besorgte Bürger für die Errichtung einer national befreiten Zone organisierten (Willkommensgruß für Flüchtlinge und Polizeischutz[9]). Nachdem sie ihr Ziel nicht erreichen konnten, hat der Alltagsrassismus in der Region zugenommen.
Erst vergangenen Monat fand der letzte registrierte rassistische Angriff in dem Stadtteil satt. „Tatort war die bereits in 2014 und 2015 extrem belastete Gegend um die Kreuzung Blumberger Damm/Landsberger Allee“, erklärt[10] eine Mitarbeiterin der Antirassistischen Registrierstelle an der Alice Salomon Hochschule.
Ihrer kontinuierlichen Recherche[11] ist es zu verdanken, dass die rechte Alltagsgewalt registriert wird. Vor allem vor und nach dem Einzug der Geflüchteten in die ehemalige Schule in dem Stadtteil wurde die Situation von einem großen Teil der Medien sehr genau beobachtet. Doch das hat sich mittlerweile geändert. Wenn nicht besonders spektakuläre Angriffe wie in Dreieich passieren, sind die Medienreaktionen mittlerweile gering. Der Alltagsrassismus, mit dem die Geflüchteten, aber auch die Bewohnerinnen und Bewohner, die sich mit ihnen solidarisieren, konfrontiert sind, wird so normalisiert.