Beschäftigte von Amazon und Foodora entwickeln transnationale Vernetzung
»Foodora, we have had enough«, skandierten etwa 30 Menschen vor einigen Tagen vor der Zentrale des Lieferdienstes in Berlin. Mit der Kundgebung unterstützten sie Beschäftigte der Firma, die sich in der »Deliverunion« zusammengeschlossen haben, um für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die Verhandlungen über einen Tarifvertrag mit Foodora haben bisher zu keinem Ergebnis geführt. In dem Zusammenschluss, der vor einigen Monaten von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) gegründet wurde, sind Fahrradkuriere aus verschiedenen europäischen Ländern vertreten, darunter Italien und Großbritannien. Der Erfahrungsaustausch läuft größtenteils über Internet. Doch nun trafen sich ca. 80 Basisgewerkschafter aus sieben europäischen Ländern in Berlin. Es war die mittlerweile fünfte Konferenz der Transnational Social Strike Platform. Nach dem ersten Treffen in Poznan gab es weitere in Paris, London und Ljubljana.
Seit Längerem läuft über die Plattform eine kontroverse Debatte über einen europäischen Mindestlohn und ein europaweites Grundeinkommen. So kritisierte ein Arbeiter der besetzten griechischen Fabrik Viome in Berlin ein Grundeinkommen als »neoliberales Instrument zur Stilllegung von Arbeitskämpfen«. Andere Delegierte verteidigten die Forderung bei dem Treffen, weil es dabei um ein Recht auf ein gutes Leben unabhängig von der Erwerbstätigkeit gehe.
Auf dem Treffen wurde auch kritisch gefragt, welche Bedeutung die Streik-Plattform für die gewerkschaftliche Organisierung über Ländergrenzen hinweg hat. Schließlich gab es in den letzten 20 Jahren schon einige vergebliche Ansätze, die Kämpfe von Beschäftigten und Prekären auf europäischer Ebene zu organisieren. Erinnert sei an die Euromärsche gegen Erwerbslosigkeit und Prekarisierung, an die Euromayday-Bewegung, in der sich von Italien ausgehend Prekäre rund um den 1. Mai unabhängig von den großen Gewerkschaften Gehör verschafften und dann wieder von der Bildfläche verschwanden. Auch während der Krisenproteste 2012 und 2013 gab es einen neuen Diskussionszusammenhang, der sich über einen europäischen Generalstreik Gedanken machte, einen Aufruf verfasste und eine Webseite einrichtete. Auch er verschwand wieder in der Versenkung. Wird es mit der Streik-Plattform ähnlich sein? Man werde jedenfalls nur eine Perspektive haben, wenn man aus diesen Erfahrungen lerne und sich auf konkrete Kämpfe beziehe, so die Meinung in Berlin. Kämpfe wie etwa in der Logistikbranche, wo in verschiedenen Ländern Arbeitskämpfe laufen.
Aus Slowenien und Norditalien kamen Unterstützer nach Berlin. Dort stellte sich auch die Kampagne »Make Amazon Pay« vor, die wie die »Deliverunion« ein Beispiel dafür ist, dass eine transnationale Vernetzung in Ansätzen gelingen kann. Wenn die Beschäftigten an deutschen Amazon-Standorten streiken, treten die Kollegen im polnischen Poznan inzwischen in einen Bummelstreik, statt sich zu Streikbrechern machen zu lassen.
Als grüner Sheriff hatte sich der Bezirksbürgermeister von Mitte Stephan von Dassel in den letzten Wochen präsentiert. Vor allem gegen Obdachlose aus Osteuropa hat sich der Politiker in der letzten Zeit nicht nur verbal, sondern auch durch polizeiliche Räumungen positioniert. Dagegen protestieren am 14.11. um 17 Uhr zivilgesellschaftliche Gruppen vor von Dassels Amtssitz, dem Rathaus Mitte, mit einer Kundgebung. Organisiert wird sie vom Verein Berliner Obdachlose e.V., einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich gegen die Verdrängung von armen und wohnungslosen Menschen wendet und kostenloses Essen an öffentlichen Plätzen anbietet. Unter anderem am Hansaplatz in Moabit, was der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Isenberg überhaupt nicht gerne sah. Im Dezember 2016 sorgte ein Bericht auf MieterEcho online über eine von Isenberg moderierte Veranstaltung über „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“, die in zum populistischer Schlagabtausch gegen wohnungslose Menschen und ihre Unterstützer/innen wurde, bei Medien und Politiker/innen für Aufmerksamkeit.
Mehr Notübernachtungsplätze und bezahlbare Wohnungen
„Wir wollen gegen die Hetze gegen Obdachlose protestieren und fordern, dass die Armut und nicht die Armen bekämpft werden“, erklärte Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe gegenüber MieterEcho online. Zu den konkreten Forderungen gehört der Ausbau der Notübernachtungsplätze im Rahmen der Kältehilfe in Berlin. Zudem müssten die Plätze so gestaltet sein, dass sich die Menschen dort wohlfühlen. Bisher haben manche Betroffene selbst im Winter eine Übernachtung im Freien einem Schlafplatz in einem Raum, in denen die Ratten rumlaufen, vorgezogen.
Auch wenn sich die Kundgebung besonders der Verdrängung von Obdachlosen im Bezirk Mitte richtet, wolle man die anderen Bezirke nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte Krauß. Besonders in Neukölln werden immer mehr Menschen vor allem aus Osteuropa in die Obdachlosigkeit gedrängt. Aktuell ist eine Romafamilie von der Zwangsräumung aus einer Unterkunft bedroht, die von dem Verein Phione e.V. betrieben wird. Obwohl die Familie alle Vorgaben der Behörden erfüllt, droht sie die Leidtragende eines Konflikts zwischen dem Verein, der mehr Miete will, dem Jobcenter und der Sozialen Wohnhilfe Tempelhof-Schöneberg zu werden. Das sind keine Einzelfälle. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Berlin machte am 14.11. auf die dramatische Zunahme der Menschen ohne Obdach aufmerksam und benannte die explodierenden Mietpreise in Ballungsräumen als Hauptgrund. Da es in Deutschland keine offiziellen Statistiken über wohnungslose Menschen gibt, ist auch die Wohnungslosenhilfe auf Schätzungen angewiesen. Danach hatten im vergangenen Jahr ca. 86000 Menschen in Deutschland keine eigene Wohnung. Innerhalb von zwei Jahren sei deren Zahl um 150 Prozent gestiegen. Besonders davon betroffen sind Migrant/innen.
Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus
Zu den Unterstützer/innen der Kundgebung gehört auch die Bezirksgruppe Wedding der Berliner MieterGemeinschaft. Sie kämpft dagegen, dass Mieter/innen mit wenig Geld durch Zwangsräumungen in die Obdachlosigkeit gedrängt werden. Eine zentrale Forderung ist daher auch der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus für Menschen mit wenig Geld, unabhängig von ihrer Herkunft. Darum wird es auf einer Veranstaltung unter dem Titel „Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus“ gehen, die die Weddinger Bezirksgruppe der MieterGemeinschaft gemeinsam mit der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) am 15.12. um 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 organisiert. Neben Aktiven aus der Berliner Obdachlosenhilfe wird doch auch der Historiker und Betreiber des Blogs „Berberinfo – Blog für Straße und Leben“ Lucius Teidelbaum über die Geschichte und die Gegenwart des Hasses gegen Obdachlose sprechen.
Demonstration gegen die Politik von Stephan von Dassel: Die Kritik entzündet sich am Umgang des Bezirksbürgermeisters von Mitte mit Obdachlosen
Als grüner Sheriff hat sich der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel, in den letzten Wochen präsentiert. Vor allem gegen Obdachlose aus Osteuropa positionierte sich der Politiker nicht nur verbal, sondern auch durch polizeiliche Räumungen. Dagegen wollen am heutigen Dienstag um 17 Uhr zivilgesellschaftliche Gruppen vor von Dassels Amtssitz, dem Rathaus Mitte, mit einer Kundgebung protestieren. Organisiert wird sie vom Verein Berliner Obdachlose e. V., einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich gegen die Verdrängung von armen und wohnungslosen Menschen wendet und auf öffentlichen Plätzen kostenloses Essen anbietet.
„Wir wollen gegen die Hetze gegen Obdachlose protestieren und fordern, dass die Armut bekämpft wird und nicht die Armen“, erklärte Frieder Krauß von der Berliner Obdachlosenhilfe gegenüber der taz. Zu den konkreten Forderungen gehört der Ausbau der Notübernachtungsplätze in Berlin. Zudem müssten diese Plätze so gestal- tet sein, dass sich die Menschen dort wohlfühlen. Bisher ziehen manche Betroffene selbst im Winter eine Übernachtung im Freien einem Raum voller Ungeziefer vor.
Auch wenn sich die Kundgebung besonders der Verdrängung von Obdachlosen im Bezirk Mitte richtet, wolle man die anderen Bezirke nicht aus der Verantwortung entlassen, betonte Krauß. Besonders in Neukölln würden immer wieder Fälle bekannt, wo Menschen aus Osteuropa in die Obdachlosigkeit gedrängt werden.
Zu den Unterstützern der Kundgebung gehört auch die Bezirksgruppe Wedding der Berliner Mietergemeinschaft. Die Organisation kämpft da-gegen, dass MieterInnen mit wenig Geld durch Zwangsräumungen in die Obdachlosig-keit gedrängt werden. Eine zentrale Forderung ist daher auch der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus für Menschen mit wenig Geld, unabhängig von ihrer Herkunft.
In Erfurt dominieren Neonazis ganze Stadtteile. Ein Sozialarbeiter, der das nicht hinnahm, wurde schikaniert, bis er psychisch erkrankte, und schließlich entlassen
Schulsozialarbeiter und dem freien Träger der Jugendhilfe »Perspektiv e. V.«. Der Sozialarbeiter, dessen Name der Redaktion bekannt ist, war nach einer längeren Krankschreibung entlassen worden. Zuvor hatte er sich dezidiert für Jugendliche eingesetzt, die von Rechtsextremen gemobbt wurden. Ihn selbst haben Neonazis mit einem Gasspray angegriffen. Kunstinstallationen, die er gemeinsam mit Jugendlichen erstellt hatte, haben die Rechtsextremen zerstört.
Über diese Vorfälle informierte der Sozialarbeiter regelmäßig seinen Arbeitgeber, den Verein »Perspektiv«. Doch von dem fühlte er sich nicht unterstützt. Ihm sei zu verstehen gegeben worden, dass er selbst schuld sei, wenn er von Nazis angegriffen werde. Nun will er gemeinsam mit der Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion« (FAU) erreichen, dass seine längere Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt wird. Er reichte Klage gegen seine Krankenkasse ein, nachdem diese seine Forderung abgelehnt hatte. Für Konstantin Behrens von der FAU in Jena ist der Ausgang der Klage nicht nur für den Einzelfall von Bedeutung. »In sozialen Berufen ist die Belastung zumeist nicht körperlicher, sondern psychischer und emotionaler Natur. Diese Belastung führt zu psychischen Krankheiten, die als solche aber oft nicht anerkannt, sondern belächelt werden«, sagte Behrens der Jungle World. Mit den Folgen würden die Sozialarbeiter allein gelassen. »Perspektiv e. V.« äußerte sich trotz mehrmaliger Nachfrage bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu den Vorwürfen nicht.
Die zivilgesellschaftlichen Initiativen »Mobile Beratung in Thüringen« (Mobit) und »Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt« (Ezra) haben sich mit den zahlreichen rechtsextremen Angriffen an der Erfurter »Gemeinschaftsschule am Großen Herrenberg« (GEM4) auseinandergesetzt, an der der gekündigte Sozialarbeiter tätig war. »Die Betroffenen beschreiben den Alltag an der GEM4 als einen rassistischen ›Normalzustand‹: Beschimpfungen, neonazistische Parolen und Schmierereien oder tätliche Angriffe (zum Beispiel Herunterreißen des Kopftuchs oder Tritte und Schläge)«, heißt es in einem von Ezra und Mobit verfassten Dossier, das der Jungle World vorliegt. Darin wird die neonazistische »Volksgemeinschaft Erfurt e. V.«, die im Stadtteil Herrenberg ansässig ist, als ein Urheber der Angriffe benannt. Ihre Gründer stammen aus Kameradschaften und hatten teilweise Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte« inne.
Auf der Website des im August 2015 gegründeten Vereins werden »Freizeitaktivitäten für Jung und Alt« angeboten. Das Angebot reicht vom Dartautomaten über den Fitnessraum bis zum Paketshop. »Sollte Ihr GLS-Bote Sie nicht zu Hause antreffen, können Sie Ihr Paket in unserem Objekt der Volksgemeinschaft abholen«, heißt es auf der Website. Das erklärte Ziel, eine rechte Dominanz im Stadtteil durchzusetzen, scheint erreicht. Jugendliche werden in ihrer rassistischen Einstellung bestätigt und mit Aufklebern versorgt, die sie an Schulen und in Jugendeinrichtungen anbringen. Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, werden gemobbt, gedemütigt und körperlich angegriffen. »Einige der Rädelsführer der rechten Gewalt haben bestätigt, dass sie regelmäßig zu den Treffen der ›Volksgemeinschaft‹ gehen«, berichtete der gekündigte Sozialarbeiter gegenüber der Jungle World. Zudem hat die »Volksgemeinschaft« ihn in einem Brief heftig angegriffen. Er sieht in der mangelnden Unterstützung durch seinen ehemaligen Arbeitgeber ein Signal gegen Beschäftigte, die sich in ihrer Arbeit entschieden gegen Rechtsextremismus wenden. Nach dem Ende seines arbeitsrechtlichen Konflikts will er sich in der FAU engagieren. Demnächst ist dort ein Vernetzungstreffen kritischer Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter geplant. »Wenn sich mehr Kollegen ähnlich äußern, könnte das zu einer Änderung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsinhalte der sozialen Arbeit führen«, hofft der FAU-Sprecher Behrens.
Mitarbeiter des SO36 haben sich der autonomen Gewerkschaft FAU angeschlossen und liegen seither mit der Geschäftsführung im Clinch. Ein Mitarbeiter klagt jetzt vor dem Arbeitsgericht
Ob es um Punkkonzerte, KiezBingos oder politische Veranstaltung geht: Das S036 in der Oranienstraße ist seit Jahren eine gute Adresse für Aktivitäten dieser Art. Doch in letz- ter Zeit haben sich einige linke Gruppen mit kritischen Fragen an die Geschäftsleitung gewandt. Grund ist ein Konflikt zwischen der Geschäftsführung und einigen MitarbeiterInnen, die sich im August 2016 zu einer Betriebsgruppe der Freien ArbeiterInnenunion (FAU) zusammengeschlossen haben. Den Beschäftigten ging es dabei vor allem um die interne Demokratie und Autonomie. Bisher hätten die einzelnen Arbeitsbereiche, Gewerke genannt, ihre Arbeit weitgehend autonom regeln können, erklärte ein ehemaliger Mitarbeiter des Clubs, der sich in der FAU-Betriebsgruppe engagierte, der taz. Doch zunehmend habe sich die Geschäftsleitung eingemischt. Besonders das für die Tresenschichten zuständige Gewerk habe protestiert. Die AktvistInnen in der FAU-Betriebsgruppe, darunter lang- jährige Club-MitarbeiterInnen, hatten bei der Gründung eigentlich auf Kooperation mit der linken Clubleitung gehofft und waren von der ablehnenden Reaktion überrascht, erklärten sie der taz. In einer von der FAU Berlin herausgegebenen Protestchronik wird sogar von Stimmungsmache der Geschäftsleitung gegen die Gewerkschafter geschrieben. Die Situation schien sich im Oktober 2016 zu entspannen, nachdem mithilfe einer Mediation ein Kompromiss zwischen der Geschäftsleitung und dem Tresengewerk erreicht wurde. Doch auf einer Vollversammlung des S036 wenige Wochen später eskalierte der Konflikt erneut. Laut der FAU-Konfliktchronik haben in den letzten Monaten mehrere unzufriedene Beschäftigte gekündigt. Ein FAU-Mitglied, das durch die Geschäftsführung seit dem 12. Mai 2017 bei Lohnfortzahlung von der Arbeit freigesetzt wurde, hat das S036 verklagt. Es wollte seine Tresenschichten im Club wiederaufnehmen. Das lehnte das S036 ab. Der Rechtsanwalt des Clubs kündigte vor dem Arbeitsgericht vorige Woche einen Vergleich an. Der Kläger soll nicht mehr im Club arbeiten und eine Entschädigung von 800 Euro bekommen. Der Gegenseite ist das zu wenig, man werde ein Gegenangebot schicken, so ein FAU-Sekretär. Vom S036 wollte sich gegenüber der taz niemand zu dem Konflikt äußern.
Nazis machen krank. Für Sebastian Steinert, dessen richtiger Name zur Sicherheit nicht genannt werden soll, handelt es sich dabei nicht um einen Demo-Spruch, sondern um bitteren Ernst. Als Schulsozialarbeiter in der Erfurter Gemeinschaftsschule am großen Herrenberg war er wiederholt Attacken einer Gruppe rechter Jugendlicher ausgesetzt. Nach einem Angriff mit einem Gasspray musste er sich in ärztliche Behandlung begeben.
Steinert geriet ins Visier der Rechten, weil er sich hinter Schüler stellte, die von den Rechten bedroht worden waren. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen MOBIT und Ezra sprechen in einem dem »nd« vorliegenden Dossier von einem »rassistischen Normalzustand« an der Schule und ziehen einen Zusammenhang zur neonazistischen Gruppe Volksgemeinschaft, die in dem Stadtteil einen Treffpunkt unterhält. Ihre Gründer stammen aus der rechten Kameradschaftsszene und hatten Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte«. Die Gruppe wird vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet.
Die Stadtverwaltung Erfurt bestätigte die rechten Vorfälle, an denen vor allem zwei Schüler mit Neonazikontakten beteiligt waren. »Zudem gab es Angriffe und Bedrohungen der beiden Schüler gegen den Sozialarbeiter«, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des SPD-Stadtverordneten Denny Möller. Doch statt Unterstützung habe er von seinem Arbeitgeber, dem in der Jugendsozialarbeit aktiven Verein Perspektiv, zu hören bekommen, er sei selber Schuld, wenn er zum Angriffsobjekt der Rechten werde, beklagt Steinert gegenüber »nd«.
Nach einer halbjährigen Krankheit wurde er entlassen. Der folgende Rechtsstreit ist inzwischen beendet. Der Verein zahlte eine Abfindung und stellte ein wohlwollendes Arbeitszeugnis aus. Zu den Vorwürfen wollte man sich gegenüber »nd« nicht äußern. Steinert kämpft nun darum, dass seine psychischen Probleme nach den Bedrohungen durch die Rechten als Berufskrankheit anerkannt werden. In diesem Fall wären anschließend Arbeitsschutzmaßnahmen und Unterstützungsangebote für die Betroffenen möglich.
Die Krankenkasse hat seinen Antrag zunächst abgelehnt. Dagegen klagt der Sozialarbeiter mit Unterstützung der Basisgewerkschaft FAU. Aus ihrer Sicht geht es dabei nicht nur um den Einzelfall. »In sozialen Berufen ist die Belastung zumeist nicht körperlicher, sondern psychischer und emotionaler Natur. Diese Belastung führt zu psychischen Krankheiten, die oft nicht anerkannt, sondern belächelt werden«, moniert Konstantin Berends von der FAU Jena. Die Gruppe will zu einem Treffen linker Sozialarbeiter einladen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1069617.fertig-gemacht.html
Peter Nowak
Informationstreffen zwischen Senat, Bezirk und Initiativen verläuft turbulent – massive Kritik an Plänen
Unter dem Motto »Die Utopie planen« trafen sich am vergangenen Montagabend Vertreter von stadtpolitischen Initiativen sowie Politiker im Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg. Ziel des Treffens war es, sich über den aktuellen Stand zum Dragoner-Areal zu verständigen – jenes 47 000 Quadratmeter große Grundstück in Kreuzberg, das derzeit noch dem Bund gehört und von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) verwaltet wird. Wie im Rahmen des Hauptstadtfinanzierungsvertrages vereinbart, soll das Grundstück aber vom Bund an Berlin übertragen werden, damit dort unter anderem Sozialwohnungen gebaut werden können. Wenn es dagegen nach der BImA gegangen wäre, würden dort Eigentumswohnungen entstehen.
In den vergangenen Monaten schienen Initiativen und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sowie der Senat bei der Perspektive des Dragoner-Areals an einem Strang zu ziehen. Doch kurz bevor das Grundstück an das Land Berlin übereignet wird, brechen die Konflikte zwischen Initiativen und Politik neu auf. Das wurde auf der Informationsveranstaltung deutlich. Dort begründete Wohnen-Staatssekretär Sebastian Scheel (LINKE), warum seine Behörde das Grundstück an die städtische Wohnungsbaugesellschaft degewo übertragen will. Würde das Land die Grundstücke in Eigenregie übernehmen, würde die Steuerbelastung steigen, hieß es. Scheel betonte, dass die Offenheit für unterschiedliche Nutzer- und Betreibermodelle weiterhin gewährleistet bleibe. Als weiteren Sachzwang führte Scheel an, dass die Rückübertragung bis zum 30. Juni 2018 abgeschlossen sein müsse. Bis dahin sei es nicht möglich, eine neue Trägergesellschaft zu gründen.
Diesen Argumenten schloss sich der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt (Grüne), an. Obwohl er kritisch anmerkte, dass der Bezirk in die Entscheidung nicht genügend einbezogen worden sei, riet er den stadtpolitischen Gruppen, sich auf eine Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft einzulassen.
Doch die zahlreich erschienenen Initiativenvertreter wollten sich dem nicht beugen. »In der Entwicklung des Modells für das Dragoner-Areal gibt es keine übereilte Festlegung«, zitierte Enrico Schönberg von der Initiative »Stadt von Unten« einen Grundsatz. Und: Die Entwicklung und die künftige Nutzung des Areals werden gemeinsam bestimmt. Die Initiative »Wem gehört Kreuzberg« stellte den Wohnungsbau generell infrage. Als Zeichen des Protestes verließen Vertreter der Gruppe im Anschluss sogar das Treffen. Trotz der neuen Konflikte verständigten sich die verbliebenen Aktivisten darauf, mit der Politik im Gespräch zu bleiben.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1069424.neuer-zoff-um-das-dragoner-areal.html
Peter Nowak
Aktionstage sollen auf die Belange von Straffälligen aufmerksam machen
Schon 1977 hatte der Bundestag beschlossen, Strafgefangene für ihre Arbeit im Gefängnis in die Rentenversicherung einzubeziehen. Bis heute wurde das Vorhaben nicht umgesetzt, weil sich Bund und Länder nicht über die Kosten einigen können. »Damit werden nicht nur die Gefangenen, sondern auch ihre Angehörigen bestraft«, erklärt Anais Denigot gegenüber »nd«. Für die Referentin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe ist der Ausschluss von Strafgefangenen aus der Rentenversicherung, der massenhaft Altersarmut produziert, ein Ausdruck dafür, wie stark das Thema Gefängnisse noch immer mit gesellschaftlichen Vorurteilen und Ressentiments belastet ist. In Teilen der Bevölkerung hält sich hartnäckig die grundrechtswidrige Vorstellung, Gefängnisinsassen sollten neben ihrer Haftstrafe auch noch besondere Erschwernisse erleiden. Das Bündnis »Aktionstage Gefängnis« will eine gesellschaftliche Diskussion über die Realitäten in den Gefängnissen anstoßen.
Dazu haben sich unterschiedliche soziale und zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen. Das Spektrum reicht vom Deutschen Caritasverband, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe bis zur Gefangenengewerkschaft (GG/BO). Mitte November 2016 war dieses Bündnis anlässlich der damals in Berlin tagenden Konferenz der Justizminister der Länder erstmals an die Öffentlichkeit getreten und setzt sich für den Rentenanspruch und den Mindestlohn für Gefangene ein. Ein Jahr später hat sich das Bündnis nun verbreitert und orientiert sich mit den »Aktionstagen Gefängnis« an Vorbildern aus Frankreich und Belgien.
In Frankreich organisieren Sozialverbände bereits seit 40 Jahren jährlich eine ganze Aktionswoche, bei der dezentral in verschiedenen Städten die Bevölkerung für Probleme in den Gefängnissen sensibilisiert werden sollen. Die Palette der Aktionen reicht von Filmveranstaltungen und Ausstellungen bis zum Nachbau einer Gefängniszelle auf einem Platz in der Innenstadt. »Viele Passanten sind überrascht, wie eng die Zelle ist«, beschreibt Anais Denigot, die zu dem Thema geforscht hat, die Reaktionen. Sie gehört zu den VorbereiterInnen des ersten »Aktionstages Gefängnis« in Deutschland. Am 7. November sollen auf einer mehrstündigen Veranstaltung im Büro des Deutschen Caritasverbandes in der Reinhardtstraße 13 in Berlin neben verschiedenen Sozialverbänden und der Gefangenengewerkschaft auch die Leiterin der JVA Moabit, Anke Stein, zu Wort kommen.
Das Bündnis will sich auf die Forderung nach einer Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung konzentrieren. Diese geht an die künftige Bundesregierung, aber auch an die Landesregierungen. Bisher habe sie den Eindruck, dass das Thema zwischen den Ressorts der Justiz- und Finanzminister hin- und her geschoben wird und die Gefangenen und ihre Familien darunter leiden müssen, kritisiert Denigot die bisherige Debatte. Mit den Aktionstagen soll gesellschaftlicher Druck auf die Politik erzeugt werden.
Wichtig ist den OrganisatorInnen auch die Einbeziehung der Betroffenen. Schließlich lautet das Motto der Diskussionsveranstaltung »Selbstorganisation, Mindestlohn und Sozialversicherung«. Dabei spielt die GG/BO eine wichtige Rolle. Ihr ist es seit der Gründung im Mai 2014 gelungen, in allen Bundesländern Gefangene mit der Forderung nach Mindestlohn und Einbeziehung in die Rentenversicherung zu organisieren. In Köln, Berlin, Leipzig und Jena existieren Solidaritätsgruppen, die diese Forderungen von Außerhalb unterstützt. »Dass überschreitet oft unsere Kapazitäten, wir werden schon lange nicht mehr allen Anfragen gerecht«, umreist Martina Franke von der Berliner Solidaritätsgruppe die Probleme einer kontinuierlichen Unterstützungsarbeit zwischen Drinnen und Draußen. Das Bündnis Aktionstage Gefängnis könnte für die Verbreiterung der gesellschaftlichen Basis sorgen und deutlich machen, dass die Betroffenen bei der Durchsetzung von Menschenrechten nicht allein gelassen werden dürfen.
Demonstration zur Erhaltung von Freiräumen: Vorbereitungstreffen in der Schöneberger Potse
Punkerfreizeit-Einrichtung oder Hostel – was wird aus der Potsdamer Straße 180? Diese Frage interessiert vor allem die BetreiberInnen der Potse und vom Drugstore. Die beiden ältes- ten selbstverwalteten Jugendzentren Berlins haben seit über 40 Jahren in der Potsdamer Straße ihr Domizil.
Noch immer fürchten sie, zum 31. Dezember dieses Jahres die Räume in Schöneberg verlassen zu müssen. Die Signale aus der Politik sind uneinheitlich. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat im Haushaltsplan 2018/2019 Mittel bereitgestellt, um auch eine erhöhte Miete für die Jugendeinrichtungen finanzieren zu können. Doch die Vertragsverhandlungen mit den EigentümerInnen der Potsdamer Straße 180–182 haben bisher kein Ergebnis gebracht.
In der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat sich besonders die AfD gegen die Jugendzentren positioniert, denen sie „extremistische Tendenzen“ vorwirft. Eine Vertreterin der Linken setzte sich in der BVV dagegen für den Erhalt von Potse und Drugstore in den bisherigen Räumen wegen deren antifaschisti- scher und antirassistischer Arbeit ein.
Konzerte und Demonstrationen
Seit fast einem Jahr machen die UnterstützerInnen der Jugendzentren außerparlamentarischen Druck für einen Verbleib in den Räumen. Dazu gehören eine Onlinepetition sowie Konzerte und Demonstrationen. Für den 18. November ist eine berlinweite Demonstration geplant, in der es neben den beiden Jugendzentren auch um den Erhalt weiterer von Verdrängung bedrohter Projekte geht. Darunter ist das Hausprojekt Liebigstraße 34, dessen Vertrag im nächsten Jahr ausläuft. Der Neuköllner Gemeinschaftsgarten Prachttomate soll bereits Mitte November einen Teil seiner Fläche verlieren (taz berichtete). Die so unterschiedlichen Projekte treffen sich am 1. November um 18 Uhr in den Räumen der Potse zu einem Vorbereitungstreffen.
Schäuble als „Reserve-Kanzler“? Die Lobeshymen auf Schäuble bis ins linksliberale Milieu zeigen, dass erfolgreiche rechte Politik ohne die AfD gemacht wird
Die vergangene Woche gab es eine „Premiere“, zumindest wenn man den Medien Glauben schenkt. Der Bundestag hat sich konstituiert, in dem bekanntlich mit der AfD eine Fraktion rechts von der CDU/CSU eingezogen ist. Nun machten sich alle Gedanken darüber, wie man jetzt mit den rechten Neuzugängen im Parlament umgehen soll. Eigentlich eine absurde Frage.
Schließlich wurde rechte Politik seit Gründung der BRD im Bundestag immer gemacht und dazu brauchte man in der Tat in den seltensten Fällen eine Fraktion rechts von der Union. Denn in der Regel hatten das Monopol für rechte Politik die Unionsparteien, die FDP und auch der Mehrheitsflügel der SPD. Das hatte sich auch bei der Konstituierung des neuen Bundestages gezeigt.
Am gleichen Tag wurden 14 Afghanen mit einem Sonderflug nach Kabul geflogen. Es ist die siebte Sammelabschiebung nach Afghanistan seit Dezember 2016 und dass sich das Datum dieses Mal mit der Bundestagseröffnung kreuzt, war sicher keine Verbeugung vor der AfD, wie die Innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, polemisch schrieb[1].
Normalzustand rechter Politik
Es war vielmehr der Normalzustand rechter Politik, den der sächsische Innenminister und Vorsitzende der Bundesinnenministerkonferenz Markus Ulbig so auf den Punkt brachte[2]: „Wer nach einem abgeschlossenen Asylverfahren und Inanspruchnahme aller rechtsstaatlichen Mittel bei uns kein Bleiberecht hat, muss unser Land verlassen.“
Konsequente Rückführungen seien notwendig „für die Akzeptanz unserer Asylpolitik bei den Bürgern“. Damit unterschlägt der konservative Politiker, dass es eine ganze Reihe von Migranten gibt, die trotz eines abgelehnten Asylverfahrens nicht abgeschoben werden können, beispielsweise weil ihre Herkunft unklar ist oder das Herkunftsland die Rücknahme verweigert. Nur unter Außerachtlassung dieser Fakten kann sich Ulbig als Vollstrecker des „Volkswillens“ inszenieren, der hier mit „möglichst viele Ausländer raus“ interpretiert wird.
Wechselwirkung des AfD-Wahlerfolgs mit dem Rechtskurs der etablierten Parteien
Hier zeigt sich die Wechselwirkung des AfD-Wahlerfolgs mit dem Rechtskurs in den etablierten Parteien. Profitieren können davon beide Seiten. Der rechte Flügel der etablierten Parteien kann sich nun mehr in der Mitte präsentieren und immer davor warnen, dass die AfD profitiert, wenn nun nicht schneller abgeschoben wird.
Die AfD hingegen kann darauf verweisen, dass knapp 12% Wahlstimmen schon Wirkung zeigen und dass die etablierten Politiker jetzt von ihr abschreiben. Dabei muss sie keine Angst davor haben, dass ihr die Themen ausgehen. Sie wird immer noch mehr Einschnitte bei den Flüchtlingsrechten fordern und kann die Etablierten so vor sich hertreiben.
Abschiebung zur „Chefsache machen“
Auch die Bild-Zeitung beteiligt sich wie üblich an dem Spiel, wer der Populistischere im ganzen Land ist, und startet eine Unterschriftenaktion mit dem Motto Abschiebung zur Chefsache machen[3]. Deutlich wird, wie gering die Trennschärfe zwischen den Etablierten und der AfD inhaltlich ist. Dabei zielt die Bildkampagne schon auf die mögliche Koalition von Union, FDP und Grünen.
Auf letztere soll damit Druck ausgeübt werden, bloß nicht etwa auf einer humanen Flüchtlingspolitik zu beharren. „Tausende Leser unterstützen den Bild-Appell“, lobt sich das Boulevardblatt selber und zitiert Politiker von SPD und Union, die nun ebenfalls auf Bild-Linie sind. In den Leser-Statements ist es noch fast eine gemäßigte Position, dass alle vom Gastrecht ausgehen, das verwirkt, wer sich hier nicht anpasst.
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wurde heftig kritisiert, weil sie nach der Silvesternacht von 2015 ebenfalls vom verwirkten Gastrecht redete. Allerdings wurde wohl auch von ihren Kritikern davon ausgegangen, dass sich alle, die sich in Köln danebenbenommen haben, Flüchtlinge waren. Doch das ist ja schon mal eine Zuschreibung. Warum geht man nicht erst einmal davon aus, dass es sich um Besucher handelt, die auch Gäste genannt werde?
Dann kann man durchaus darüber diskutieren, ob bei erwiesenen sexistischen Handlungen ein temporäres Einreiseverbot eine Sanktionsmaßnahme sein kann. Menschen, die aus asylrechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, wären davon ausgenommen.
Bei der Diskussion um das Wagenknecht-Zitat ließen auch ihre Kritiker diese Differenzierung vermissen und setzten die Köln-Besucher der Silvesternacht mit Flüchtlingen gleich, was ja schon eine Projektion ist. In den Statements der Bild-Leser gibt es größtenteils diese Differenzierung ebenfalls nicht.
Da gibt es nur ein Gastrecht und das hat schon verwirkt, wer sich nicht benimmt, wie eine Leserin erklärte. Das heißt, es braucht nicht einmal mehr ein justitiables Delikt für eine Abschiebung. Und wenn von manchen argumentiert wird, durch die Abschiebungen bekomme man Platz für die, die wirklich Asyl brauchen, wird unterstellt, dass wer in Deutschland kriminell wird, nicht in einem anderen Land verfolgt wurde und wird.
Klassiker des Rechtspopulismus
Daneben finden sich in den Statements sämtliche Klassiker des Rechtspopulismus, von der elitären Politikerkaste, die nicht auf das „Volk“ hört bis zur Behauptung, dass sich in Deutschland die Menschen nachts nicht mehr auf die Straße trauen. Die Bild-Kampagne sorgt dafür, dass die Themen, die die AfD groß gemacht hat, auch nach der Wahl kampagnenfähig bleiben.
Schon im Wahlkampf hatte man bei manchen Talk-Shows den Eindruck, als gelte die Devise, die AfD fragt und die Politiker antworten. Aber die Bild-Kampagne zeigt auch, dass die AfD nicht der einzige und nicht mal der entscheidende Akteur für die rechte Politik in Deutschland ist. Bild hat da ja schon lange Erfahrung, Manche werden sich noch an die Kampagne gegen die „Pleitegriechen“ erinnern. Auch damals ließen sich Leser mit dem Statement fotografieren, wonach der deutsche Steuerzahler keinen Pfennig an Griechenland geben soll.
AfD und Schäuble – einig in harter Haltung gegenüber Griechenland
Damit bediente Bild ein Thema, das bei der Gründung der AfD eine zentrale Rolle spielte. Die wirtschaftsliberale Professorenriege, die die Wahlalternative initiierte, störte sich in erster Linie daran, dass deutsche Steuerzahler für griechische Schulden aufkommen könnten. Das war von Anfang an falsch, aber wirkungsmächtig.
Denn um der griechischen Bevölkerung klare Kante zu zeigen, brauchte es keine neue Rechtspartei. Wolfgang Schäuble hatte als Bundesfinanzminister die nötigen Instrumente, um in Griechenland eine wirtschaftliche Entwicklung, die den deutschen Eliten nicht passt, zu verhindern. Das zeigte sich nach dem Wahlsieg von Syriza und dem kurzen griechischen Frühling, wo scheinbar tatsächlich ein anderes Europa möglich schien.
Es war vor allem Schäuble, der durchsetzte, dass es nur das deutsche Modell geben könne. Ein Bündnis aus Mob und Elite bescherte Schäuble dafür kontinuierlich hohe Zustimmungswerte und das hat sich auch nach seinem Wechsel zum Am des Bundestagspräsidenten nicht geändert.
Der Reservekanzler
Was sich geändert hat, dass es scheinbar kaum noch linke Kritik an ihm gibt. Selbst Medien wie die Taz schweigen zu seiner zentralen Rolle bei dem Abwürgen des griechischen Frühlings. Von seiner politischen Geschichte als Mann der Schwarzen Kassen in der Kohl-Ära[4] will schon gar niemand mehr was wissen.
Als Mann der Schwarzen Null wurde er zum beliebtesten Politiker. Manche sehen ihn noch immer als „Reservekanzler“, wenn Merkel scheitert wie z.B. der Cicero-Gründer Weimer. Diese konservative Stimme beschreibt[5] sehr gut den Hype um Schäuble:
Als neuer Bundestagspräsident erfährt der ehemalige Finanzminister schon jetzt ungewöhnlich viel Zuspruch. Aus dem Bundestag erreichen „den großen Demokraten“ Huldigungen aus mehreren Fraktionen, im Ausland wird er als „Gigant“ (so die IWF-Chefin Christine Lagarde) gewürdigt, Leitartikel loben ihn als lebende Legende der deutschen Politik, als graue Eminenz, zu Fleisch gewordene Bundesrepublik und der ARD-Deutschlandtrend zeigt ihn als beliebtesten Politiker Deutschlands. Schäuble ist eine Art Jupp Heynckes der deutschen Politik. Je älter desto besser.
The European[6]
Doch eher in den Bereich der Schäuble-Astrologie gehören wohl diese Hoffnungen des konservativen Blattes:
Denn Schäuble verkörpert auch als Bundestagspräsident eine sichere Alternative in unruhigen Zeiten, ein immer denkbarer Ersatz für Merkel, darum wird er in der Unionsfraktion zuweilen „Vati“ gerufen, der „Mutti“ jederzeit ablösen könne – vor allem wenn die Jamaika-Regierung platzen würde. Schon jetzt raunen CDU-Abgeordnete: Sollte in dieser Legislatur ein Krisenkanzler gebraucht werden, sollte die politische Architektur der Republik auf dem Spiel stehen, dann wäre er der natürliche Achsen-Schmied der Stabilität. „Wenn Jamaika platzt, dann kann Schäuble mit der SPD eine neue Regierung formieren. Ihn würden sie als Übergangskanzler akzeptieren“, heißt es aus der Fraktion.
The European[7]
Doch einen wahren Kern könnten diese Spekulationen haben. Bei einem Abgang Merkels könnte Schäuble für den Übergang die Union wieder ohne Schnörkel nach rechts führen. Dass es dann nicht unbedingt um eine Koalition mit der SPD gehen muss, ist auch klar. Denn spätestens wenn die AfD auch im nächsten Bundestag wieder vertreten sein wird, beginnt in der Union die Debatte um ihre Einbindung.
Schon deshalb, weil es ja um Machtoptionen geht. Eine wie auch immer geartete Kooperation mit der Linken war bei der SPD nicht undenkbar, bei der Union schon. Bei der AfD ist es für die Union leichter, sie in irgendeiner Weise und sei es auch in einem Bundesland wie Sachsen mit einzubeziehen. Schäuble wäre ein Mann, der einen solchen Kurs durchsetzen könnte.
Schäuble eine Art „moderner Hindenburg“?
Dann würde auch ein etwas unvermittelter und historisch fragwürdiger Hindenburg-Vergleich in der Taz noch Sinn machen. Jenseits der historischen Realität schrieb Ambros Waibel[8]:
Wie eine Art wiederauferstandener Paul von Hindenburg, als Sieger in zahlreichen -Schlachten gegen die nach deutschen Steuergeldern gierenden Südeuropäer, würde Schäuble auch die Rüpel von der Alternative für Deutschland im Zaum halten.
Taz[9]
Nun hatte Hindenburg die Nazis nie im Zaum gehalten. Im Gegenteil stand er für eine Faschisierung der Weimarer Republik, schon bevor die Nazis zum Faktor wurden. Er wurde als Kandidat der republikfeindlichen Rechten 1925 gewählt. 1932 unterstützte ihn dann die SPD und wollte ihn als Bollwerk gegen die Nazis anpreisen. Die KPD plakatierte damals „Wer Hindenburg wählt Hitler – wer Hitler wählt, wählt den Krieg“.
Dass es dabei nicht um Prophetie, sondern um die exakte Analyse der Hindenburg-Politik handelt, zeigte sich auch daran, dass zahlreiche parteiunabhängige Linksintellektuelle wie Carl von Ossietzky zu einer ähnlichen Einschätzung kamen. Trotzdem hält sich bis in die Taz-Kommentarseite der Mythos vom Hindenburg, der die Nazis im Zaum halten wollte.
Was bei aller Vorsicht – wir leben nicht in einem 1933-Revival -, interessant an dem Vergleich Schäuble-Hindenburg sein könnte, erwähnt Ambos nicht.
Schäuble war in seiner langen politischen Karriere immer ein Mann der Rechten, aber im Rahmen der etablierten Parteien. Deshalb hat er auch seine Vorbehalte gegen die neuen rechten Emporkömmlinge von der AfD geäußert, denen er mangelnde Professionalität vorwirft.
Da trifft er sich durchaus mit Hindenburg und seiner Umgebung, denen an den Nazis vor allem störte, dass sie nicht die aristokratische Etikette hatten. Das hinderte Hindenburg nicht, Hitler zum Kanzler zu ernennen.
So könnte auch Schäuble der Mann sein, der die Brücken zwischen Union und AfD baut, wenn sich zeigt, dass die Partei keine politische Eintagsfliege im Parlament bleibt. Zurzeit wird rechte Politik aber noch ohne die AfD gemacht und die Lobeshymen auf Schäuble bis ins linksliberale Milieu zeigen, dass es die erfolgreichere Variante ist.
Bei einer Kundgebung fordern 150 AnwohnerInnen die Aufhebung der Vollsperrung und mehr Beteiligung
„Zutritt verboten“ steht auf dem Holzzaun, der seit dem 1. August die Rigaer Straße im Friedrichshainer Nordkiez teilt. Damit soll die Baustelle der CG-Gruppe und der KW-Development geschützt werden, die zwischen Samariter- und Vogtstraße Wohnungen und Gewerbeflächen neu entstehen lassen wollen (taz berichtete). Doch die Pro- teste halten an: Vor der Absperrung hatten sich am Samstagnachmittag rund 150 Menschen zu einer mehrstündigen Kundgebung versammelt.
Die Pläne zur Neubebauung, vor allem auch der Abriss historischer Gewerbegebäude, sorgen schon seit geraumer Zeit für Unmut in der Straße, die für ihre Wehrhaftigkeit in Sachen Gentrifizie- rung bekannt geworden ist. Die für anderthalb Jahre geplante Vollsperrung der Straße goss zu- sätzlich Öl ins Feuer. In der Vergangenheit wa- ren bereits Baustellen in der Straße angegriffen, vor Jahren auch ein Rohbau in Brand gesetzt wor- den. Vor einem Monat kündigte der Bezirk nun an, die Absperrung wegen geringer Bautätigkeiten zu-mindest für FußgängerInnen wieder aufheben zu wollen. Dazu kam es bislang nicht.
Ilona Weber von der Aktionsgruppe Rigaer Straße 71, die den Protest organisierte, benannte in ihrem Redebeitrag neben der Straßensperrung gleich mehrere „Aufreger“, die die AnwohnerInnen umtreiben: die mangelnde BürgerInnenbeteiligung bei der Planung der Neubauten, die Angst vor steigenden Mieten und Vertreibung ein- kommensarmer MieterInnen. Aber auch die fortdauernden Polizeikontrollen vor allem rund um das linke Hausprojekt Rigaer Straße 94 wurden in einem Redebeitrag kritisiert. Es habe sich durch den Wechsel von Innensenator Henkel (CDU) zu Geisel (SPD) nur wenig verändert. In den letzten Wochen würde die Polizei vor allem bei Veranstaltungen und Konzerten in der Rigaer Straße 94 BesucherInnen massiv kontrollieren.
In Sachen Straßensperrung beklagten meh- rere Gewerbetreibende in den letzten Wochen Einkommensverluste. Eine Nachbarin hat eine Unterschriftenliste an die kürzlich in den Bundestag gewählte Direktkandidatin von Friedrichshain-Kreuzberg Canan Bayram (Grüne) verfasst, in der sie sie aufforderte, sich für einen Fußgän- gerdurchgang einzusetzen. Andere RednerInnen forderten einen sofortigen Baustopp und Beteiligung der AnwohnerInnen an den Planungen.
Beendet wurde die Kundgebung um 19 Uhr mit einer 10-minütigen Schepperaktion. „Wir scheppern seit Mitte Januar fast täglich, aber so viele wie heute waren wir selten“, erklärte Anwohnerin Ilona Weber am Ende zufrieden.
Bundesvorstand verhinderte Veröffentlichung eines Papiers der eigenen Rechtsabteilung, das die Sanktionspraxis deutlich kritisiert
„Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist daher der Auffassung, dass das Sanktionsregime nicht nur das Grundgesetz verletzt, sondern auch aus sozialpolitischen Gründen verfehlt ist.« So deutlich wurde selten von Seiten des DGB die Sanktionspraxis gegen Hartz-IV-Empfänger_innen verurteilt. Doch obwohl die Stellungnahme der Rechtsabteilung des DGB bereits mehrere Monate alt ist, ist sie kaum bekannt. Schließlich hat der DGB-Bundesvorstand eine Veröffentlichung verhindert. Auch der Sozialhilfeverein Tacheles e.V. wurde gebeten, die Stellungnahme nicht zu veröffentlichen, wie deren Geschäftsführer Harald Thome gegenüber »nd« bestätigte. Mittlerweile ist die 23-seitige Stellungnahme allerdings auf der Onlineplattform LabourNet Germany zu finden.
Dass es zu der Stellungnahme kam, ist einem Arbeitsrichter des Sozialgerichts Gera zu verdanken, der die Sanktionen für verfassungswidrig hält und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingeschaltet hatte. Wie üblich hat diese Instanz Stellungnahmen von sachkundigen Organisationen eingeholt, darunter der DGB. In der Stellungnahme der Rechtsabteilung finden sich sämtliche Argumente der Hartz-IV-Kritiker_innen. Sehr detailliert stellten die Verfasser_innen der Erklärung klar, wie mit den Hartz-IV-Gesetzen ein politisch gewollter Niedriglohnsektor in Deutschland etabliert wurde, der die Rechte von Lohnabhängigen einschränkt.
Es ist nicht verwunderlich, dass dem DGB-Bundesvorstand die Hartz-kritische Stellungnahme nicht gefällt. Schließlich saßen in der Kommission, die die Agenda 2010 einst vorbereitete, auch Vertreter von DGB-Gewerkschaften. Noch 2015 hatte der DGB-Vorstand die Sanktionen verteidigt. Dass er nun sogar eine juristisch fundierte Stellungnahme aus dem eigenen Haus verschweigen will, hat vor allem bei den gewerkschaftlichen Erwerbslosenausschüssen Protest ausgelöst. Der ver.di-Erwerbslosenausschuss hatte bereits 2015 vom DGB-Vorstand eine Erklärung verlangt, warum dieser immer noch die Agenda 2010 unterstützt. Darauf gab es die vage Antwort, man handele im »höheren Interesse«.
Viele Kritiker_innen des DGB-Vorstandes sahen einen Zusammenhang zwischen der Zurückhaltung des Papiers der Rechtsabteilung und den Bundestagswahlen. Der Vorstand wolle, so der Verdacht, das Verhältnis des DGB zur SPD nicht stören und halte sich daher mit Kritik an der Agenda 2010 zurück. Vor allem die als SPD-Linke firmierende Andrea Nahles war in ihrer Position als Arbeitsministerin von führenden DGB-Gewerkschafter_innen oft gelobt worden, besonders nachdem sie den Mindestlohn mit auf den Weg gebracht hatte. Doch auch nach den Bundestagswahlen gab der DGB-Vorstand die Stellungnahme der Rechtsabteilung nicht frei.
Es gibt also offenbar auch innergewerkschaftliche Gründe. Die Mitwirkung der Gewerkschaften bei der Agenda 2010 wurde nie kritisch aufgearbeitet. Tatsächlich dürften die gewerkschaftlichen Interessenvertreter_innen der Beschäftigten in den Jobcentern einen großen Druck ausüben. Immer wenn in der Mitgliederzeitschrift der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ein kritischer Artikel oder eine Reportage zu dem Hartz-Sanktionsregime veröffentlicht wurde, meldeten sich Mitarbeiter_innen der Jobcenter zu Wort, die sich gegen Hetze gegen ihren Berufsstand wandten und ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft zur Disposition stellten.
Die Kritik an der Verschweigepraxis des sanktionskritischen Gutachtens sollte nicht nur den Erwerbslosenausschüssen überlassen werden. Schon vor einigen Jahren gehörten Gewerkschafter_innen wie der ver.di-Chef Frank Bsirske zu den Unterzeichner_innen eines Aufrufs für ein Sanktionsmoratorium. Es wäre doch eigentlich zu erwarten, dass von ihnen nun Widerspruch kommt, wenn eine sanktionskritische Expertise aus dem eigenen Haus unterdrückt wird,
Im Friedrichshainer wollen sich Anwohner/innen nicht vom Bezirk eingeleiteten Dialog-Prozess beteiligen, sondern setzen weiter auf Widerstand gegen Nobelprojekte.
„Zutritt verboten“ heißt es auf dem Holzzaun. Das wäre nichts Ungewöhnliches, wenn damit nur eine Baustelle abgesperrt würde. Doch der Bauzaun trennt die gesamte Rigaer Straße. Seit 1.August 2017 müssen Anwohner/innen einen Umweg nehmen, wenn sie zum Bäcker oder zum Späti gehen. Seit mehr als zwei Monaten ist die 1 Kilometer lange Straße in der Höhe der Rigaer Straße 71 – 73 durch die Bauzäune getrennt (MieterEcho-Online berichtete). Damit sollen zwei Nobelbauten geschützt werden, die von der CG-Gruppe und der KW-Development auf beiden Seiten der Rigaer Straße errichten wollen. Doch auf dem Gelände, auf dem die CG-Gruppe das sogenannte Carree Sama-Riga errichten will, ruhen die Bauarbeiten seit Monaten. Über die Gründe hüllen sich alle Beteiligten in Schweigen.
CG-Gruppe will an die Börse gehen
Sind es finanzielle Probleme der CG-Gruppe, die gemeinsam mit der Gewerbe-AG Consul Commercial mit Sitz in Leipzig an die Börse gehen will? „Man wolle einen integrierten Immobilienkonzern schaffen, der sich über den Kapitalmarkt zusätzliche Finanzierungsquellen für neue Projekte erschließt. Es wäre der erste gewerbliche Projektentwickler mit Börsenpräsenz in Deutschland“, schreibt die Immobilienzeitung. Den Verantwortlichen passen kritische Presseartikel gar nicht, weil die Börse darauf sehr sensibel reagiert. Doch kritische Berichte über das Agieren der CG-Gruppe gab es in den letzten Monaten viele. Dazu trug auch der Arbeitskreis Rigaer Straße 71-73 bei, in dem sich Anwohner/innen des Friedrichshainer Nordkiezes gegen den Nobelbau wehren. Am kommenden Samstag wollen die Mieter/innen ihre Forderung nach einem Baustopp mit der Kundgebung und einem Konzert bekräftigen. Los geht es am 21.10. um 16 Uhr am Bauzaun der Rigaer Straße 71 – 73 mit Beiträgen von Mieter/innen und Gewerbetreibenden, die über höhere Mieten und Kundenrückgänge durch die Baustelle und die Straßensperrung berichten werden. Eingeladen sind auch Mieter/inneninitiativen aus anderen Stadtteilen. Schließlich lautet das Motto der Kundgebung „Gegen die Verdrängung im Friedrichshainer Nordkiez und Anderswo“. Die Kundgebung wird auch von dem linken Hausprojekt Rigaer Straße 94 unterstützt. Dort wird bereits am 20. Oktober um 19 Uhr darüber diskutiert, wie sich die AnwohnerInnen über die Fortdauer der Polizeikontrollen und – schikanen in der Rigaer Straße wehren sollen. Die gehen auch nach dem Wechsel des Berliner Innensenats von Henkel (CDU) zu Geisel (SPD) weiter. Teilweise stehen abends bis zu 10 Polizeiwannen in der unmittelbaren Nähe der linken Hausprojekte. Passant/innen werden willkürlich kontrolliert. Wenn es in der Rigaer Straße 94 Veranstaltungen gibt, baut die Polizei regelrechte Kontrollstellen auf. Davon waren auch die Aktivist/innen der Anwohner/inneninitiative Rigaer Straße 71-73 betroffen, deren Treffen von der Polizei mehrmals durch Kontrollen und Einkesselung massiv behindert wurden. Anfang November verletzte sich eine Aktivistin, als ihr die Polizei bei einer Kontrolle in den Fahrradlenker griff, dass sie stürzte und zwei Wochen stationär im Krankenhaus behandelt werden musste. „Sowohl die Polizeikontrollen als auch die Straßensperre sollen den Friedrichshainer Nordkiez fit für die Gentrifizierung machen“, erklärt Ilona Weber von der Aktionsgruppe Rigaer Straße 71-73 gegenüber MieterEcho online.
Sozialpädagogische Beforschung wird abgelehnt
Die Kundgebung ist auch eine indirekte Antwort auf dem von dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg angekündigten Dialogprozess im Nordkiez. Das Sozialpädagogische Institut (SPI) wurde beauftragt, die Probleme im Kiez und die Wünsche der Anwohner/innen zu eruieren. Für die Aktivist/innen, die seit Monaten ihre Forderungen auf die Straße tragen, ist es ein schlechter Witz, dass sie jetzt vom Bezirksamt sozialpädagogisch beforscht werden sollen. „Hier soll der Eindruck erweckt werden, dass Bezirksamt hat etwas zu sagen“, erklärte Ilona Weber. Dabei zeigt sich deren Machtlosigkeit, wenn es um Kapitalinteressen geht, an der fortdauernden Sperrung der Rigaer Straße. Anfang September hatte der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt noch erklärt, die Sperrung sei gegen den Willen seiner Behörde erfolgt und werde aufgehoben. Doch sowohl die Polizei als auch die Investoren waren damit nicht einverstanden und so bleibt die Straße weiter gesperrt.
Die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) hat weiterhin viel zu tun. Über den Zustand der Gewerkschaft hat die Jungle World mit Martina Franke gesprochen. Sie ist Mitglied der Berliner Solidaritätsgruppe der GG/BO.
Wie ist der Stand der Organisierung bei der GG/BO?
Als die Gewerkschaft im Mai 2014 in der JVA Tegel gegründet wurde, konnte niemand ahnen, dass…
Beschäftigte von Amazon kämpfen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen
Der Weltkonzern Amazon weigert sich, seine Angestellten dem Tarif für den Einzel- und Versandhandel entsprechend zu entlohnen. Dagegen regt sich Widerstand.
Ende September sollte das neue Computerspiel »Fifa 18« erscheinen und viele Gamer sorgten sich, ob Amazon es ihnen pünktlich liefern werde. »So wie viele Spielerinnen und Spieler auf die Auslieferung des neuen Fifa-Spiels warten, warten die Beschäftigten auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen«, sagte Silke Zimmer von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aus diesem Anlass. Pünktlich zum Erscheinen des Spiels waren Beschäftigte bei dem Versandhändler in Streik getreten. Sie forderten die Anwendung des Tarifvertrags des Einzel- und Versandhandels. Nach Angaben von Verdi kam es in den Versandzentren Graben, Leipzig, Bad Hersfeld, Werne und Koblenz zu Arbeitsniederlegungen. In dem Tarifkonflikt ist es bereits seit dem Frühjahr 2013 immer wieder zu Streiks gekommen, doch der Konzern weigert sich weiterhin, über die Gewerkschaftsforderungen zu verhandeln.
Der Arbeitskampf bei Amazon hat eine besondere Bedeutung über die unmittelbar Beteiligten hinaus. Zumindest in Ansätzen ist eine transnationale Organisierung entstanden. So gab es mehrere Treffen von Amazon-Beschäftigten aus Polen und Deutschland. Besonders die in der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft »Arbeiterinitiative« (IP) organisierten Kollegen in Poznań solidarisierten sich mit dem Arbeitskampf in Deutschland. Solche länderübergreifenden Solidarisierungen sind eher selten. Verdi kooperiert zudem in Polen mit der eher konservativen Gewerkschaft Solidarność, nicht aber mit der kämpferischen IP. Dass es trotzdem zu einer Kooperation der Beschäftigten kam, ist auch der Arbeit eines außergewerkschaftlichen Solidaritätsbündnisses zu verdanken. Besonders in Leipzig hat es engen Kontakt mit dem Teil der Belegschaft entwickelt, der sich regelmäßig an Streiks beteiligt. Es gab mittlerweile drei bundesweite Treffen.
Höhepunkt der Solidaritätswoche soll die Blockade des Amazon-Verteilzentrums in Berlin werden.
Für Ende November plant ein außerbetriebliches Bündnis eine Solidaritätswoche unter dem Motto »Make Amazon Pay«. Höhepunkt soll die Blockade des Amazon-Verteilzentrums in Berlin am 24. November werden. Der Termin ist mit Bedacht gewählt. Seit Wochen bewirbt das Versandunternehmen den 24. November als »Black Friday«. An diesem Tag will Amazon mit besonders günstigen Angeboten locken, so dass das Bestellaufkommen entsprechend hoch sein dürfte. Das Bündnis rechnet sich deshalb besonders gute Chancen aus, dem Konzern Einnahmeausfälle zu bescheren. Ein solcher Erfolg im Sinne der Initiatoren wird aber nur eintreten, wenn die Aktion nicht auf einen Standort beschränkt bleibt. Jonathan Schneider vom Vorbereitungskreis äußerte sich im Gespräch mit der Jungle World optimistisch. Er geht davon aus, dass das Vorhaben in mehreren europäischen Ländern unterstützt wird.
Aktionstag zum »Black Friday« Ende November
Auf einem bundesweiten Vorbereitungstreffen Mitte September in Berlin waren auch eine Gruppe von Beschäftigten aus Poznań und ein Betriebsratsmitglied vom Standort Brieselang anwesend. Für kritische Nachfragen sorgte allerdings die Abwesenheit von Beschäftigten aus streikerfahrenen Unternehmensstandorten wie Bad Hersfeld und Leipzig. Das Bündnis wolle in den kommenden Wochen diesen Kontakt verstärken, sagten die Organisatoren, bei denen das kommunistische Bündnis »Ums Ganze« federführend ist. Vertreten sind auch Mitglieder des Redaktionskollektivs Capulcu. Sie verstehen sich als »technologiekritische Aktivisten und Hacktivisten« und bringen dieser Tage unter dem Titel »Disrupt! Widerstand gegen den technologischen Angriff« ein Buch heraus, in dem sie den Angriff »auf die Lenkungslogik einer Big-Data-animierten Selbstoptimierung« propagieren.
Der Amazon-Konzern ist für Capulcu die Speerspitze einer solchen Entwicklung. Daher betont der Vorbereitungskreis für den Aktionstag zum »Black Friday«, dass es ihm nicht nur um die Forderungen der Beschäftigten nach einem besseren Tarifvertrag und mehr Lohn gehe. »Amazon ist stilprägend für ein neues Produktionsmodell, in dem intelligente Informationstechnologie zur effektiveren Unterwerfung menschlicher Arbeit genutzt wird«, sagte ein Capulcu-Vertreter auf dem Berliner Treffen. Amazon binde die Nutzer nicht nur beim Online-Shopping in den Prozess permanenter Bemessung und Bewertung ein. Ein Beispiel dafür sei die Auswertung sämtlicher verfügbarer Nutzerdaten. Die Amazon-Beschäftigten seien bereits vom Einsatz intelligenter Informationstechnologie betroffen. So gebe bei dem Konzern eine lernende Lagersoftware das Tempo und die Abfolge der Arbeitsschritte vor.
Ob die jüngsten Streiks tatsächlich die Auslieferung von »Fifa 18« verzögert haben, ist umstritten. »Das Unternehmen musste Kunden Briefe schicken, dass das Fifa-Spiel nicht rechtzeitig geliefert werden kann und stattdessen ein Fünf-Euro-Gutschein zur Verfügung gestellt wird«, sagte Verdi-Sprecherin Zimmer. Ein Amazon-Sprecher ehauptete hingegen, das Lieferversprechen des Unternehmens sei eingehalten worden.