Beschäftigte von Amazon kämpfen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen
Der Weltkonzern Amazon weigert sich, seine Angestellten dem Tarif für den Einzel- und Versandhandel entsprechend zu entlohnen. Dagegen regt sich Widerstand.
Ende September sollte das neue Computerspiel »Fifa 18« erscheinen und viele Gamer sorgten sich, ob Amazon es ihnen pünktlich liefern werde. »So wie viele Spielerinnen und Spieler auf die Auslieferung des neuen Fifa-Spiels warten, warten die Beschäftigten auf faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen«, sagte Silke Zimmer von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aus diesem Anlass. Pünktlich zum Erscheinen des Spiels waren Beschäftigte bei dem Versandhändler in Streik getreten. Sie forderten die Anwendung des Tarifvertrags des Einzel- und Versandhandels. Nach Angaben von Verdi kam es in den Versandzentren Graben, Leipzig, Bad Hersfeld, Werne und Koblenz zu Arbeitsniederlegungen. In dem Tarifkonflikt ist es bereits seit dem Frühjahr 2013 immer wieder zu Streiks gekommen, doch der Konzern weigert sich weiterhin, über die Gewerkschaftsforderungen zu verhandeln.
Der Arbeitskampf bei Amazon hat eine besondere Bedeutung über die unmittelbar Beteiligten hinaus. Zumindest in Ansätzen ist eine transnationale Organisierung entstanden. So gab es mehrere Treffen von Amazon-Beschäftigten aus Polen und Deutschland. Besonders die in der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft »Arbeiterinitiative« (IP) organisierten Kollegen in Poznań solidarisierten sich mit dem Arbeitskampf in Deutschland. Solche länderübergreifenden Solidarisierungen sind eher selten. Verdi kooperiert zudem in Polen mit der eher konservativen Gewerkschaft Solidarność, nicht aber mit der kämpferischen IP. Dass es trotzdem zu einer Kooperation der Beschäftigten kam, ist auch der Arbeit eines außergewerkschaftlichen Solidaritätsbündnisses zu verdanken. Besonders in Leipzig hat es engen Kontakt mit dem Teil der Belegschaft entwickelt, der sich regelmäßig an Streiks beteiligt. Es gab mittlerweile drei bundesweite Treffen.
Höhepunkt der Solidaritätswoche soll die Blockade des Amazon-Verteilzentrums in Berlin werden.
Für Ende November plant ein außerbetriebliches Bündnis eine Solidaritätswoche unter dem Motto »Make Amazon Pay«. Höhepunkt soll die Blockade des Amazon-Verteilzentrums in Berlin am 24. November werden. Der Termin ist mit Bedacht gewählt. Seit Wochen bewirbt das Versandunternehmen den 24. November als »Black Friday«. An diesem Tag will Amazon mit besonders günstigen Angeboten locken, so dass das Bestellaufkommen entsprechend hoch sein dürfte. Das Bündnis rechnet sich deshalb besonders gute Chancen aus, dem Konzern Einnahmeausfälle zu bescheren. Ein solcher Erfolg im Sinne der Initiatoren wird aber nur eintreten, wenn die Aktion nicht auf einen Standort beschränkt bleibt. Jonathan Schneider vom Vorbereitungskreis äußerte sich im Gespräch mit der Jungle World optimistisch. Er geht davon aus, dass das Vorhaben in mehreren europäischen Ländern unterstützt wird.
Aktionstag zum »Black Friday« Ende November
Auf einem bundesweiten Vorbereitungstreffen Mitte September in Berlin waren auch eine Gruppe von Beschäftigten aus Poznań und ein Betriebsratsmitglied vom Standort Brieselang anwesend. Für kritische Nachfragen sorgte allerdings die Abwesenheit von Beschäftigten aus streikerfahrenen Unternehmensstandorten wie Bad Hersfeld und Leipzig. Das Bündnis wolle in den kommenden Wochen diesen Kontakt verstärken, sagten die Organisatoren, bei denen das kommunistische Bündnis »Ums Ganze« federführend ist. Vertreten sind auch Mitglieder des Redaktionskollektivs Capulcu. Sie verstehen sich als »technologiekritische Aktivisten und Hacktivisten« und bringen dieser Tage unter dem Titel »Disrupt! Widerstand gegen den technologischen Angriff« ein Buch heraus, in dem sie den Angriff »auf die Lenkungslogik einer Big-Data-animierten Selbstoptimierung« propagieren.
Der Amazon-Konzern ist für Capulcu die Speerspitze einer solchen Entwicklung. Daher betont der Vorbereitungskreis für den Aktionstag zum »Black Friday«, dass es ihm nicht nur um die Forderungen der Beschäftigten nach einem besseren Tarifvertrag und mehr Lohn gehe. »Amazon ist stilprägend für ein neues Produktionsmodell, in dem intelligente Informationstechnologie zur effektiveren Unterwerfung menschlicher Arbeit genutzt wird«, sagte ein Capulcu-Vertreter auf dem Berliner Treffen. Amazon binde die Nutzer nicht nur beim Online-Shopping in den Prozess permanenter Bemessung und Bewertung ein. Ein Beispiel dafür sei die Auswertung sämtlicher verfügbarer Nutzerdaten. Die Amazon-Beschäftigten seien bereits vom Einsatz intelligenter Informationstechnologie betroffen. So gebe bei dem Konzern eine lernende Lagersoftware das Tempo und die Abfolge der Arbeitsschritte vor.
Ob die jüngsten Streiks tatsächlich die Auslieferung von »Fifa 18« verzögert haben, ist umstritten. »Das Unternehmen musste Kunden Briefe schicken, dass das Fifa-Spiel nicht rechtzeitig geliefert werden kann und stattdessen ein Fünf-Euro-Gutschein zur Verfügung gestellt wird«, sagte Verdi-Sprecherin Zimmer. Ein Amazon-Sprecher ehauptete hingegen, das Lieferversprechen des Unternehmens sei eingehalten worden.
https://jungle.world/artikel/2017/41/versand-im-getriebe
Peter Nowak