Müssen Geflüchtete hilflos und schutzsuchend sein?

„XXXXXX“ sei dein Name

ARBEITSKAMPF Ein Restaurant erwirkt eine einstweilige Verfügung gegen die Freie Arbeiterunion (FAU)
„XXXXXX verweigert weiterhin die Bezahlung eines ehemaligen Mitarbeiters“, heißt es auf der Homepage der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) zum Arbeitskonflikt mit einem deutsch-französischen Restaurant am Hackeschen Markt. Seit Samstag ist der Name
des Restaurants durch das X ersetzt. Der Grund ist eine einstweilige Verfügung, die das Berliner Arbeitsgericht auf Antrag des Restaurants gegen die FAU erließ. Danach ist es ihr untersagt, den Namen der Gaststätte in ihren Publikationen, Flugblättern oder Internetauftritten
zu nennen. Auch Artikel oder Internetbeiträge, in denen das Restaurant mit dem Arbeitskonflikt in Verbindung gebracht wird, muss die Gewerkschaft unterlassen. Sollte sie sich nicht daran halten, muss sie ein Zwangsgeld von 25.000 Euro zahlen. Ersatzweise wird dem zuständigen FAU-Sekretär eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht. „Das ist ein klarer Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit, wie
wir ihn nicht das erste Mal erleben“, erklärte FAU-Sekretär Markus Wiese gegenüber der taz. Man werde allerdings weiterhin die Interessen des betroffenen Kollegen vertreten. Ein ehemaliger Beschäftigter des Restaurants hatte sich 2015 an die FAU gewandt. Ihm seien Urlaubsgeld und ausstehende Löhne in Höhe von etwa 1.000 Euro nicht bezahlt worden. Nachdem Gespräche mit den RestaurantbesitzerInnen zu keiner Einigung führten, begann die FAU mit Protesten. Zudem wurde eine Klage vor dem Arbeitsgericht
eingereicht, um die Auszahlung juristisch durchzusetzen, über die noch nicht entschieden wurde. Die FAU will auch weiterhin nicht nur auf den Rechtsweg setzen. Am vergangenen Samstag mobilisierte sie innerhalb eines Tages etwa 30 TeilnehmerInnen zu einer Kundgebung vor dem Restaurant.

Taz vom 16.2.2016

Peter Nowak

Gewerkschafter raus!

Bei dem Berliner Onlineshop »Konsolenkost« hat der Kampf für einen unabhängigen Betriebsrat offenbar mehrere Angestellte den Job gekostet. Auch anderswo versuchen Unternehmen mit aller Macht, Gewerkschaften aus ihren Betrieben herauszuhalten. Gegen diese Entwicklung regt sich Widerstand.

»Wir wollten schlicht und einfach dazu beitragen, dass die Belegschaft in Fragen der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeit und des Arbeitsschutzes mitbestimmen kann, wie es der Gesetzgeber vorsieht.« Das sagt Patrick Neuhaus im Gespräch mit der Jungle World. Er hat fast zweieinhalb Jahre bei dem Berliner Unternehmen Konsolenkost gearbeitet, das mit Spielkonsolen und dazugehörigen Games handelt. Mittlerweile sind Neuhaus und mehrere seiner ehemaligen Kollegen erwerbslos. Ihnen wurde in den vergangenen Wochen gekündigt. Unter den Entlassenen sind auch sechs von sieben Kollegen, die als Wahlvorstand bei einer Betriebsratswahl fungiert hatten. Der Wahlvorstand wurde am 21. Oktober bei einer Betriebsratsversammlung eingesetzt, in Anwesenheit des zuständigen Verdi-Gewerkschaftssekretärs Sebastian Triebel. Doch ein Betriebsrat wurde bis heute nicht gewählt.Das Spiel ist aus – allerdings nicht für Unternehmer, die mit allen Mitteln die Wahl eines Betriebsrats unterbinden wollen

Das Spiel ist aus – allerdings nicht für Unternehmer, die mit allen Mitteln die Wahl eines Betriebsrats unterbinden wollen (Foto: plainpicture / Janklein)

Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass es in dem Betrieb in absehbarer Zeit eine unabhängige Arbeitnehmervertretung geben wird. Dafür wurde ein »Vertrauensrat« eingerichtet, der für Harmonie im Betrieb sorgen und die Gewerkschaft draußen halten soll. Doch nach Angaben der Mitarbeiter hat die Mitbestimmungsinitiative das Klima im Betrieb extrem verschlechtert. Die Arbeitszeit der in dem Betrieb beschäftigten Werkstudenten sei gesenkt worden. Mündliche Absprachen über die Arbeitszeiten seien widerrufen worden, berichten ehemalige Mitarbeiter von Konsolenkost, die nicht namentlich genannt werden wollen. Eine Woche nach der Betriebsversammlung seien die Arbeitsrechner von zwei Mitgliedern des Wahlvorstands im laufenden Betrieb abgebaut und entfernt worden.

Auch die Umgangsformen im Betrieb seien restriktiver geworden. Vor der Einsetzung des Wahlvorstands habe ein lockerer Umgangston in dem Unternehmen geherrscht. Privatgespräche seien kein Problem gewesen. Doch nach der Betriebsversammlung habe sich das geändert. Zunächst seien die Mitarbeiter von der Geschäftsführung aufgefordert worden, die Privatgespräche zu minimieren. Mittlerweile seien sie während der Arbeitszeit untersagt. Es habe gegen Mitarbeiter Abmahnungen gegeben, weil sie gegen die Anweisung verstoßen haben sollen. Neuhaus’ Kündigung wurde nach dessen Angaben auch mit Verweis auf seine mehr als zehn Jahre zurückliegenden politischen Aktivitäten in der außerparlamentarischen und ökologischen Bewegung begründet. Schon zuvor seien bei Konsolenkost Gerüchte über einen der Initiatoren der Betriebsratsinitiative gestreut worden. Verdi-Sekretär Triebel bestätigte der Jungle World die Versuche engagierter Mitarbeiter, in dem Unternehmen einen Betriebsrat zu gründen. Wegen laufender Verfahren will er sich zu den weiteren Vorwürfen gegen das Unternehmen derzeit nicht äußern.

Die Auseinandersetzungen bei Konsolenkost sind charakteristisch für eine relativ neue Entwicklung. Jahrelang wurden die DGB-Gewerkschaften, jenseits des Geplänkels im Tarifkampf, von den Unternehmen durchaus geschätzt – als Garanten des Betriebsfriedens. Schließlich galt nach dem Abschluss eines Tarifvertrags die Friedenspflicht. Mittlerweile müssen viele DGB-Gewerkschaften die für sie ungewohnte Erfahrung machen, dass sie als Tarifpartner kaum noch gefragt sind. Selbst Betriebsräte, die von Anfang an betonen, dass sie konstruktiv mitgestalten wollen, werden als Gegner gesehen, die es zu bekämpfen gilt.

»Auch in Deutschland gibt es mehr und mehr Fälle, in denen Gewerkschaften und Betriebsräte offensiv bekämpft werden«, erklärte Nils Böhlke, Landessprecher der »AG Betrieb und Gewerkschaft« der Linkspartei, anlässlich einer Tagung, die die Partei am 30. Januar im nordrhein-westfälischen Hamm veranstaltete. Häufig würden dabei einzelne Meinungsführer immer wieder attackiert, um sie zu isolieren und zu demoralisieren und schließlich zum Aufgeben oder zur Kündigung bringen. »So sollen sie unschädlich gemacht und gleichzeitig andere eingeschüchtert werden, damit sie nicht ebenfalls aktiv werden«, so Böhlke.

Auch engagierte Gewerkschaften können gegen die betriebsratsfeindliche Politik mancher Unternehmer wenig ausrichten. So konnte bei dem mittelständischen Verpackungshersteller Neupack in Norddeutschland auch nach acht Monaten Streik die Geschäftsführung nicht zum Abschluss eines Tarifvertrags bewegt werden. Die Eigentümerfamilie Krüger hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass sie Betriebsräte und Gewerkschaften nicht akzeptieren will. Neupack-Geschäftsführer Lars Krüger begründete gegenüber dem NDR die harte Haltung so: »Ich glaube, da können Sie jeden Unternehmer fragen: Es ist sicherlich so, dass das Leben für einen Unternehmer relativ einfacher ist, wenn es keinen Betriebsrat gibt.«

Aktive Gewerkschaften haben es in einer solchen Umgebung schwer. Die Neupack-Geschäftsführung will den Betriebsratsvorsitzenden Murat G. auch nach dem Streikende loswerden. Die juristischen Auseinandersetzungen um die Kündigung sind noch nicht abgeschlossen. Weitere Betriebsratsmitglieder erhielten Abmahnungen. Auch das Berliner Kino Babylon ist wieder gewerkschaftsfreie Zone. 2009 kämpfte dort die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) für bessere Arbeitsbedingungen. Trotzdem haben fast alle Gewerkschaftsmitglieder das Kino verlassen. Im vergangenen Jahr hatte sich in dem Kino eine Verdi-Gruppe gebildet, die mehrere Monate für einen Tarifvertrag in den Ausstand getreten war. Ende Dezember wurde der Arbeitskampf mit der Annahme eines Sozialvertrags beendet. Alle Verdi-Mitglieder und Streikteilnehmer erklärten, dass sie kein Interesse mehr an einer Weiterbeschäftigung im Kino hätten. Die fortgesetzten antigewerkschaftlichen Aktionen des Geschäftsführers hätten eine weitere Tätigkeit in dem Kino unmöglich gemacht. Unter anderem befürchteten sie, schrittweise aus dem Betrieb gemobbt zu werden, hieß es in einer Erklärung des Berliner Verdi-Landesverbandes.

Mittlerweile hat neben den Gewerkschaften auch die außerparlamentarische Linke das Thema »Union Busting« entdeckt. So nennt sich die Methode, engagierte Gewerkschafter im Betrieb zum Gegner zu erklären und zu bekämpfen. In Köln hat die vergangenes Jahr gegründete »Aktion Arbeitsunrecht« ihren Sitz. Auch die von Günter Wallraff ins Leben gerufene »Initiative Workwatch« hat dort ihr Büro. In Berlin hat sich die Initiative »Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht« gegründet. Neben den Betrieben sind auch Anwälte, die Kündigungen juristisch vorbereiten, Ziel von Aktionen. Am Dienstag vergangener Woche protestierten 60 Gewerkschafter in Hannover gegen ein Seminar der Anwaltskanzlei Schreiner und Partner, die Unternehmen über »effektive Strategien im Umgang mit schwierigen Betriebsräten« berät. In mehreren Städten waren wegen angekündigter Kundgebungen solche Seminare abgesagt worden.

http://jungle-world.com/artikel/2016/05/53426.html

Peter Nowak

Für einen Tarifvertrag, Nachtzuschläge und mehr Urlaub

SOZIALES Vor der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales protestieren Behindertenassistenten Wer für einen Tarifvertrag für persönliche AssistentInnen ist, hebt jetzt die Hand“, erklärt der Moderator. „Bei einer Enthaltung einstimmig angenommen“, lautet das nicht verwunderliche Ergebnis. Die Abstimmung fand vor der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales statt. Dort hatten sich am Dienstagvormittag rund 150 BehindertenassistentInnen zu einer Protestkundgebung eingefunden. Sie forderten einen Tarifvertrag, Nachtzuschläge und mehr Urlaub. Zu der Kundgebung vor der Verwaltung hatten Betriebsräte von Ambulante Dienste e. V., der Lebenswege gGmbH und Beschäftigte aus der Persönlichen Behindertenassistenz aufgerufen. Die Arbeitsbedingungen und Einkommen der Beschäftigten werden im sogenannten Vergütungsvertrag zwischen KostenträgerInnen und Anbietern von persönlicher  Behindertenassistenz geregelt – der wird aber seit Herbst 2015 in Berlin neu verhandelt. „Wir Beschäftigte werden dabei weder über
den Stand der Verhandlungen noch über den Termin informiert“, moniert eine Frau, die ein Schild mit der Forderung Behindertenassistenz aufwerten“ trägt. „In Berlin arbeiten über 1.000 Beschäftigte in der persönlichen Assistenz und ermöglichen so behinderten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben“, erklärt der Betriebsrat der ambulanten Dienste, Carsten Does. Der Begriff „Assistenz“ soll ihre Arbeit von der fremdbestimmten Behindertenhilfe abgrenzen. Anders als in Frankfurt/Main gibt es in Berlin noch immer keinen Tarifvertrag für diese Beschäftigen.


Keine Bittsteller

Unterstützung bekamen sie am Dienstag von einer Gruppe von AssistenznehmerInnen und von zwei Gewerkschaften. Die  Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi waren mit Fahnen und Transparenten
vertreten. „Wir treten hier nicht als BittstellerInnen, sondern als aktiv Handelnde auf und wir kommen wieder“, erklärte die
Verdi-Sekretärin Heidemarie Gerstle in ihrer kurzen Grußadresse.

taz-Berlin 3.2.2016

Peter Nowak

Politisches Kino

FILM Die diesjährige Globale beschäftigt sich mit Arbeitskämpfen und Bewegungsthemen

Am heutigen Donnerstag beginnt im Moviemento-Kino in Kreuzberg die Globale. Bis zum 31. Januar werden 43 Filme aus 27 Ländern präsentiert. Gegenwehr und Widerstand gegen soziale und politische Unterdrückung, aber auch Handlungsmodelle für eine solidarische
Welt stehen im Fokus. Seit dem Start 2003 ist diese Themenpalette der rote Faden des Festivals. Das wird auch anhand des umfangreichen Programms der diesjährigen Globale deutlich. So werden gleich am ersten Tag Filme über die Bodenseeaktionstage gezeigt.  riedensgruppen und Flüchtlingsinitiativen hatten dort Ende August 2015 unter den Motto „Waffenexporte stoppen! Fluchtursachen
bekämpfen!“ gegen die deutsche Waffenindustrie protestiert,  die am Bodensee besonders reichlich vertreten ist.
„Rebellisches Schlesien“
Mehrere Filme befassen sich mit weltweiten Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen. So wie der Film  Rebellisches Schlesien“, der Berlin-Premiere feiert. Er zeigt die bewegte Geschichte der sozialen Kämpfe in der polnischen Provinz. Um  einen aktuellen Arbeitskampf
geht es auch im Globale-Workshop, den Bärbel Schönafinger von der Onlineplattform Labournet.TV am Freitag ab 18 Uhr in der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Mehringplatz 1 organisiert hat. Beschäftigte aus polnischen und deutschen Amazon-Werken sowie AktivistInnen der Streiksolidarität sollen hier über die Perspektiven des langwierigen Arbeitskampfes und der länderübergreifenden
Solidarität berichten. Und auch das Lokale kommt nicht zu kurz. Auf der Globale hat ein Videoclip Premiere, der sich gegen die drohende
Zwangsräumung des Gemischtladens mit Revolutionsbedarf M99 in Kreuzberg wendet und im Anschluss in möglichst vielen
Kinos zu sehen sein soll.
aus taz  28.1.2016
PETER NOWAK

Staatsräson vor gewerkschaftlicher Solidarität?

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Nur die zuständige DGB-Gewerkschaft ver.di hatte sich bisher dazu nicht geäußert. Das hat sich jetzt geändert. In einer Sendung des Deutschlandfunks vom 4. Januar, in der über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen berichtet wurde, erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als Gewerkschaft ver.di nicht leisten können, einfach aus dem Grunde, wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen, und als Gewerkschaft sind wir eine Organisation, wo Solidarität groß geschrieben wird, wie wollen wir da Gefangene vertreten?« In einer Replik attestiert der Pressesprecher der GG/BO Oliver Rast dem ver.di-Mann »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« . Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandard auch für Kolleg_innen im Knast, sehe Schürholz seine Rolle darin, den Staat als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen. Diese Kritik dürften auch viele ver.di-Mitglieder teilen. Zahlreiche Untergliederungen der Gewerkschaft unterstützen die Forderungen der GG/BO.

aus ak 612, Januar 2016

https://www.akweb.de/ak_s/ak612/14.htm

Peter Nowak

Hungern für Gewerkschaftsrechte

Gefangene in der JVA Butzbach führen zehntägigen Hunger- und Bummelstreik

Knapp zehn Tage haben mehrere Insassen der hessischen Justizvollzugsanstalt Butzbach die   Nahrung verweigert. Sie traten in den Hungerstreik, um für ihre Knastarbeit den Mindestlohn sowie Zugang zur Rentenversicherung zu bekommen. Zudem fordern sie, auch im Knast ihre Rechte als Gewerkschaftsmitglieder wahrzunehmen zu können. Die Gefangenen und ihre Gewerkschaft GG/BO hatten wochenlang vergeblich versucht, mit der zuständigen hessischen Justizministerin Kühne-Hörmann in Verhandlungen zu treten. Weil die CDU-Politikerin die GG/BO ignorierte, begannen die Kollegen den Hungerstreik, den sie am 10. Dezember beendeten.

Einen großen Erfolg hat der Streik bereits gebracht. In zahlreichen Zeitungen wurde über den ungewöhnlichen Kampf für Gewerkschaftsrechte berichtet und auch die Gefangenengewerkschaft  bekam dadurch weitere Publicity. In den knapp eineinhalb Jahren seit ihrer Gründung haben sich ihr mehr als 800 Mitglieder angeschlossen und auch das Medienecho war in den letzten Monaten enorm. Oliver Rast, der Sprecher der GG/BO, wird immer wieder um Interviews und Stellungnahmen gebeten. Das große mediale Interesse hat ihn selber überrascht.

Durch die zahlreichen Presseberichte ist auch in größeren Teilen der Öffentlichkeit bekannt geworden, dass die bundesdeutschen Gefängnisse eine staatlich geschützte Niedriglohnzone sind. So erhalten Gefangene hinter Gittern maximal einen Stundenlohn von 1,87 Euro, trotz des 2015 eingeführten Mindestlohns von 8,50 Euro. Die Gefangenen müssen es als besonderen Hohn empfunden haben, dass die Parole „Mindestlohn für Alle“ für sie nicht galt. Dieser Diskurs hat sicher mit dazu beigetragen, dass sich die GG/BO so schnell ausbreitete.

In zwölf der 16 Bundesländer gilt im Gefängnis noch die Arbeitspflicht. PolitikerInnen aller Parteien argumentieren daher, dass im Knast kein normales Arbeitsverhältnis bestehe und es deshalb auch keine Gewerkschaftsrechte geben müsse. Diese Position wird allerdings nicht nur von der GG/BO sondern auch von UnterstützerInnengruppen heftig kritisiert. So hat sich das „Netzwerk für die Rechte inhaftierter ArbeiterInnen“ gegründet, das die Butzbacher Gefangenen während ihres Hungerstreiks unterstützte. Es hat zahlreiche Kundgebungen und Informationsveranstaltungen initiiert. Eine Unterstützungserklärung des Netzwerks wurde von über 150 WissenschaftlerInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, GewerkschafterInnen und AktivistInnen aus unterschiedlichen sozialen Bewegungen unterzeichnet.

„Nach dem Ende des Hunger- und Bummelstreiks wird die Auseinandersetzung um die Erfüllung der sozial- und vollzugspolitischen Zielsetzungen der inhaftierten Gewerkschafter und engagierten Inhaftierten auf anderen Ebenen weitergeführt werden“, erklärte Rast gegenüber der DA. Er hofft, dass sich die Solidaritätsstrukturen außerhalb des Knastes festigen. Tatsächlich bestünde eine wichtige Aufgabe darin, genauer zu erkunden, welche Firmen in der Niedriglohnzone Knast arbeiten lassen und wie viel sie dabei verdienen. Hier könnten Ansätze für weitere Aktionen der KollegInnen drinnen und draußen entstehen.

aus Direkte Aktion: Januar/Februar 2016

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Peter Nowak

Alles immer selber machen


Broschüre zu Geschichte und Prinzipien der Wobblies

Immer häufiger mischen neben dem DGB auch Basisgewerkschaften bei Arbeitskonflikten mit. Die aus der Tradition des Anarchosyndikalismus kommende Freie Arbeiter Union (FAU) hat in den letzten Jahren mehrere Arbeitskämpfe geführt. In einigen deutschen Städten haben sich mittlerweile Ortsgruppen der Industrial Workers oft the World (IWW) gegründet. In einem Callcenter in Rostock ist die IWW-Gruppe mittlerweile genauso stark wie die ver.di-Gruppe und beteiligt sich an der Gründung eines Betriebsrates. Damit wird auch in Deutschland  an eine sehr traditionsreiche Gewerkschaft angeknüpft. Die IWW war unter den Namen Wobblies vor knapp 100 Jahren eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung in den USA, die mit einer massiven Repressionswelle in die Defensive gedrängt, aber nie ganz zerschlagen werden konnte. In den letzten Jahren haben sich in den USA, Großbritannien und Spanien wieder GewerkschaftlerInnen auf die Organisationsgrundsätze der IWW berufen.

Jetzt hat die IWW unter dem Titel „Direct Unionism“ die deutsche Übersetzung einer 58-seitigen Broschüre vorgelegt, in der sie einige Grundsätze ihrer Gewerkschaftsarbeit zur Diskussion stellt: „Kurz zusammengefasst schlagen wir vor, dass Mitglieder der IWW daran arbeiten sollen, Netzwerke von Aktivisten in den Industrien [gemeint: Branchen; d. Red.] aufzubauen, in denen sie arbeiten, statt auf Tarifverträge, Gewerkschaftswahlen und rechtliche Auseinandersetzungen zu zielen“ (S. 6).So wird das Konzept des Direct Uniosm zusammengefasst. Gewerkschaftsbürokratien werden ebenso abgelehnt wie eine Verrechtlichung von Arbeitskonflikten kritisch gesehen wird. Doch wenn es in der Broschüre auf Seite 13 apodiktisch über den Direct Unionism heißt: „Es werden keine BürokratInnen, keine Offiziellen und keine AnwältInnen gebraucht“ (S. 13), bleiben viele Fragen offen, einschließlich der Frage des Kräfteverhältnisses . In den Text fließen die Erfahrungen aus den Organisierungsprozessen der letzten Jahre ein. So gibt es immer wieder Bezüge zu den Arbeitskämpfen bei Starbucks in den USA, bei McDonalds in Schottland und den Puerto Real Werften in Spanien. Dabei wird deutlich, dass die IWW durchaus pragmatisch an die Gewerkschaftsarbeit herangeht. So widmet sich ein Kapitel der Broschüre der Frage, wie eine der Basisdemokratie verpflichtete Gewerkschaft reagieren soll, wenn die Mehrheit der streikenden KollegInnen einen Tarifvertrag einfordert. „Wenn sie einen Lohn zum Überleben, anständige Vorteile und tolerable Arbeitsbedingungen erreicht haben, sind verständlicherweise viele ArbeiterInnen darum besorgt, dass diese Erfolge auch sicher geschützt sind. Verträge bieten eine Möglichkeit“ (S. 30).

Auch Niederlagen werden dabei benannt und mit Selbstkritik wird nicht gespart. Das ist ein großer Pluspunkt der Broschüre. Sie ist ein Angebot, über ein in Deutschland noch wenig bekanntes Gewerkschaftskonzept zu diskutieren. Es sollte angenommen werden.

Der komplette Text kann online gelesen und heruntergeladen werden:

http://tinyurl.com/direct-unionism

Bestellmöglichkeiten der Printausgabe gibt es über: versand@wobblies.de

aus:

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak

Gemeinsam handlungsfähig sein gegen Rechts

Was können die emanzipatorischen sozialen Bewegungen der rechten Mobilisierung entgegensetzen?

Pegida-Demonstrationen, Gewalt gegen Flüchtlinge, Anschläge auf ihre Unterkünfte – die rechte Bedrohung wird stärker. Was tun?

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (HDM) in Prenzlauer Berg zum sozialpolitischen und antifaschistischen Ratschlag versammelt. Eingeladen hatten Trägerkreis Vorstand der Stiftung des HDM Ende letzten Jahres.

Angesichts der massiven Mobilisierung von Rechts in unserem Land rufen wir alle emanzipatorischen Gruppen, Initiativen, Organisationen – allgemein Bewegte – auf, gemeinsam die sozialen Fragen der Zeit zu debattieren und unsere Kräfte zu bündeln«, wurde das zentrale Anliegen zusammengefasst. Die Vorstellung einer weltoffenen, sozialen und toleranten Gesellschaft müsse offensiv gegen Rechts vertreten werden.

Schon bei der Vorstellungsrunde bekundeten viele Teilnehmer das Erschrecken über eine wachsende rechte Tendenz in der Gesellschaft. Antifaschistische Gruppen waren ebenso beteiligt wie Erwerbslosengruppen, das »Bündnis gegen Zwangsräumungen«, die »Mobile Beratung gegen Rechtextremismus« und die Junge Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Ein älteres Ehepaar begründete ihr Engagement mit ihren Erlebnissen bei einem Dresden-Besuch, wo sie beobachten konnten, wie aus einer Pegida-Demonstration eine Gruppe ausländische Schüler beschimpft und bedroht wurden. Nachdem die unterschiedlichen Bündnisse und Gruppen ihre für die nächsten Monate geplanten Kongresse, Demonstrationen und Veranstaltungsreihen vorstellten, wuchs bei einigen Teilnehmern die Ungeduld. »Die Vorhaben der einzelnen Gruppen kann ich auch im Internet erfahren. Wir müssen hier darüber reden, warum die Linke in der Defensive ist und wie wir das ändern können«, meinte Michal Prütz von der Neuen Antikapitalistischen Organisation (NAO).

Doch in der Kleingruppenphase im zweiten Teil des Treffens konnte man sich auf einige gemeinsame Vorhaben für die nächsten Monate verständigen.

Die Interventionistische Linke (IL), zu der sich im letzten Jahr mehrere Gruppen der außerparlamentarischen Bewegung zusammengeschlossen hatten, stellte ihr Konzept einer sozialen Allianz unter dem Arbeitstitel »Berlin für Alle« vor. »Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei den Verteilungskämpfen nicht den Rechten die Deutungshoheit überlassen«, begründeten die IL-Vertreter ihren Vorschlag So sei die Forderung nach ausreichendem bezahlbaren Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge sondern generell für Menschen mit geringen Einkommen notwendig, um zu verhindern, dass sozial und gesellschaftlich Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von 32 obdachlosen Männern gegen ihre Kündigung in einen Moabiter Wohnheim angeführt, das zu einer Flüchtlingsunterkunft umgewandelt werden soll. Die Betroffenen wehren sich gegen ihren drohenden Rausschmiss, sind aber mit den Geflüchteten solidarisch und fordern Wohnraum für Alle unabhängig von ihrer Herkunft. Zudem soll noch in der ersten Jahreshälfte 2016 ein »Tag der sozialen Bewegungen« veranstaltet werden, zu dem noch weitere Gruppen aus dem gewerkschaftlichen, feministischen und Flüchtlingsspektrum eingeladen werden sollen.

Neben diesen Aktionen war bei vielen Teilnehmern der Wunsch nach stärkerer Kooperation im Alltag deutlich. Dabei wurde auch über eine Reaktivierung der Sozialforen gesprochen, die zwischen 2005 und 2010 in zahlreichen Städten Deutschlands, darunter auch in Berlin, aktiv waren. Eine Wiederbelebung der Sozialforen wäre auch ein internationalistisches Signal. Schließlich existierten in Teilen Afrikas und Lateinamerikas weiterhin aktive Sozialforen. Beim nächsten berlinweiten Treffen am 14. Februar soll über die Wiedereinrichtung diskutiert werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998414.gemeinsam-handlungsfaehig-sein-gegen-rechts.html

Peter Nowak

Soziale Frage neu gestellt

„Links“ „Ratschlag“ im Haus der Demokratie

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Haus der Demokratie und Menschenrechte an einem „sozialpolitischen und
antifaschistischen Ratschlag“ beteiligt. Das Bündnis gegen Zwangsräumungen und die Erwerbslosengruppe Basta waren ebenso vertreten wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, die Junge GEW und die Interventionistische Linke (IL). Ein 88-jähriger Teilnehmer
erklärte, er wolle sich noch einmal engagieren, nachdem er in Dresden gesehen habe, wie aus einer Pegida-Demonstration heraus
ausländische SchülerInnen bedroht wurden. Angesichts der erstarkenden rechten und rassistischen Propaganda müsse die Linke wieder in der Öffentlichkeit wahrnehmbar werden, so der Konsens unter den Ratschlag-TeilnehmerInnen.  „Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei Verteilungskämpfen den Rechten nicht die Deutungshoheit überlassen“, begründeten die IL-VertreterInnen
ihren Vorschlag einer sozialen Allianz unter dem Motto „Berlin für Alle“. Zentraldabei ist die Forderung nach ausreichendem bezahlbarem Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge, sondern für alle Menschen mit geringen Einkommen. S  könne verhindert
werden, dass Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von Obdachlosen gegen ihre Kündigung durch den Betreiber des „Gästehaus Moabit“ angeführt, das zur Flüchtlingsunterkunft werden  soll. Die von der Kündigung Betroffenen zeigten sich mit den Geflüchteten solidarisch. Verabredet wurde die Vorbereitung eines „Tages der sozialen Bewegungen“ in den kommenden Monaten. Dazu sollen auch Flüchtlingsinitiativen sowie gewerkschaftliche und feministische Gruppen eingeladen werden. Am 14. 2. wird die Diskussion im Haus der Demokratie fortgesetzt.
aus Taz 18.01.2016
Peter Nowak

Rosa, Karl & die Räte

Axel Weipert
erinnert an die Zweite Revolution

Sie erhielten kein Rederecht auf dem Reichsrätekongress vom 16. bis zum 20. Dezember 1918 in Berlin: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und so entschied sich die Mehrheit der Delegierten wider das Rätesystem für Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung, also die parlamentarische Demokratie. „Rosa, Karl & die Räte“ weiterlesen

Staatsräson oder Solidarität?

Ver.di: Justizbeamte und Gefangene nicht der gleichen Gewerkschaft

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen, hat auch in Österreich Mitglieder gewonnen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat allerdings Probleme mit den KollegInnen hinter Gittern. In einer Radiosendung über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als ver.di nicht leisten können. Wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen.«

In einer Replik warf der Pressesprecher der GG/BO, Oliver Rast, Schürholz »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« vor. Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandards auch für Gefangene einzufordern, sehe der ver.di-Mann seine Rolle darin, »den Staat in der Gestalt als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten, sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen«.

Auf Nachfrage wollte Barbara Wederhake von der Fachgruppe Justiz in der ver.di-Bundesverwaltung Schürholz’ Äußerungen nicht kommentieren. Es gebe allerdings keinen Beschluss von ver.di zur GG/BO. Die zuständigen Gremien hätten sich mit der Frage nicht beschäftigt. Dass Schürholz erklärt hatte, dass Justizangestellte und Gefangene nicht in einer Gewerkschaft organisiert sein können, findet Wederhake allerdings verständlich. Es könne zu dieser Frage allerdings in ihrer Gewerkschaft unterschiedliche Meinungen geben. Tatsächlich haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche ver.di-Gliederungen und soziale Verbände mit der GG/BO solidarisch erklärt. Dazu gehört der ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin und die verr.di-Jugend, aber auch der Rat der Paritätischen Verbände.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998085.staatsraeson-oder-solidaritaet.html

Peter Nowak

Bewusst entscheiden: Vernunft vs. Diktat

Wenn Journalist_innen bei Berichten über Straftaten auf die Nennung von Nationalität, Religion und Hautfarbe von Tätern verzichten, handeln sie im Einklang mit der Selbstverpflichtung des Deutschen Presserats. Nach den sexistischen Angriffen in der Kölner Silvesternacht geraten Medienvertreter_innen auch aus diesem Grund in die Kritik.

Sie hätten nicht gemeldet, dass viele der Verdächtigen keine deutschen Staatsbürger sind, lautet der Vorwurf. Doch das ist keine Zensur. Eine diskriminierungsfreie Berichterstattung ist das Ziel der Richtlinie 12.1. des Pressekodex des Deutschen Presserates. Dort heißt es: „In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Damit soll das Schüren von Vorurteilen gegenüber Minderheiten verhindert werden. Die Begründung orientiert sich am Grundgesetz, nach dem niemand wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. Nicht erst seit den Ereignissen von Köln bekämpfen rechte Kreise diese gesetzlich nicht bindende Selbstverpflichtung als Diktat der Political Correctness. Dabei sind in diese Überlegungen einer möglichst diskriminierungsfreien Berichterstattung nicht nur die historischen Erfahrungen eingeflossen, die vor allem in Deutschland zeigen, welche Folgen Hetze gegen Minderheiten haben kann. Besonders nach den rassistischen Anschlägen in den 90er Jahren machten sich Journalist_innen verstärkt Gedanken über eine diskriminierungsfreie Berichterstattung. Vielerorts gab es intensive Diskussionen von Vertreter_innen lokaler Antidiskriminierungsbüros, Menschenrechtsgruppen und Journalist_innen. Die Zahl der Medien wuchs, deren Berichterstattung im Sinne der Richtlinie 12.1 steht. „tageszeitung“ und „Frankfurter Rundschau“ waren dabei Vorreiter.
In Zeiten von Pegida und der verstärkten Hetze in diversen Internetforen hat das Anliegen nichts von seiner Dringlichkeit verloren. Für strafrechtliche Ermittlungen mögen Angaben über die Hautfarbe und Nationalität von möglichen Tätern von Interesse sein. Journalist_innen sollten sich aber weiterhin von den Prinzipien des Pressekodex leiten lassen, auf das Schüren von Vorurteilen verzichten und Menschen nach ihrem Tun, nicht nach ihrer Nationalität, Hautfarbe und Religion beurteilen.

aus:

M-Logo Menschen Machen Medien Schriftzug

Bewusst entscheiden: Vernunft vs. Diktat

11. Januar 2016 von Peter Nowak

»Retouren aus dem ­Weihnachtsgeschäft«

Die Beschäftigten von Amazon erhalten Unterstützung im Arbeitskampf. David Johns ist Mitglied des »Streik-Solibündnisses Leipzig«, das zum Konsumentenstreik bei dem Versandhandel aufruft, um die Forderung nach einem Einzelhandelstarifvertrag zu unterstützen.

Wie können Kunden die Beschäftigten bei Amazon unterstützen?

Der Konsumentenstreik funktioniert ganz einfach: Man bestellt bei Amazon Waren und schickt diese – am besten mit einer Solidaritätsnachricht an die Streikenden – nach Erhalt umgehend zurück. Die Aktion kostet Amazon unmittelbar Geld, da unprofitable Mehrarbeit entsteht und der Händler sich vertraglich verpflichtet, bei einem Warenwert von über 40 Euro die Portokosten für die Hin- und Rücksendung zu übernehmen.

Wie haben die Kollegen und Verdi auf das Vorhaben reagiert?

Einige Gewerkschaftsfunktionäre haben sich klar abgegrenzt und hervorgehoben, dass Verdi nichts mit der Kampagne zu tun hat. Andere haben unseren Aufruf übernommen und die Aktion unterstützt. Bei vielen Streikenden ist die Kampagne sehr gut angekommen. Der Aufruf wurde erst veröffentlicht, nachdem wir die Einzelheiten mit Beschäftigten aus mehreren Standorten abgestimmt hatten. Wir haben von vielen ein sehr positives Feedback erhalten.

Wissen Sie, wie viele Kunden sich bisher beteiligt haben?

In unserem Aufruf bitten wir darum, uns Fotos von den Solidaritätsbotschaften zu schicken. Wir haben schon viele Fotos erhalten und können die Solidarität nun auch für Beschäftigte außerhalb der Retourenannahme sichtbar machen. Wir haben viele Anfragen für Flyer und Poster bekommen und Material in viele Städte geschickt. Trotzdem ist das Ausmaß der Beteiligung schwer abzuschätzen.

Wann endet die Kampagne?

Sie soll noch bis Ende Januar dauern, dann kommen die ganzen Retouren aus dem Weihnachtsgeschäft. Bis dahin brauchen wir noch viel Unterstützung!

Sie arbeiten nicht bei Amazon. Warum solidarisieren Sie sich dennoch mit den Beschäftigten?

Der Kampf bei Amazon hat eine hohe Signalwirkung auf die Branche, da sich viele andere Unternehmen an dem Flaggschiff orientieren. Erkämpfte Erfolge können andere Belegschaften motivieren, sich gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen zu wehren. Die lange Dauer des Kampfes hat es möglich gemacht, gute Kontakte zu den Streikenden aufzubauen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/01/53275.html

Interview: Peter Nowak

Eigenständig solidarisch


Peter Nowak über ein Treffen der Amazon-Solidaritätsgruppen
Das osthessische Städtchen Bad Hersfeld nicht nur für FreundInnen der Theaterfestspiele an der Stiftsruine  eine Reise Wert.  Auch politische AktivistInnen steigen dort schon einmal ab.   Dafür sorgt das  Amazon-Werk am Rande der Stadt, dessen Ansiedlung  von der örtlichen Politik wegen der Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region  vehement begrüßt worden war. Wenn in der letzten Zeit bei Amazon für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt wurde, waren die KollegInnen vom Standort   Bad Hersfeld immer mit dabei.
Am letzten  November-Wochenende war nun Bad Hersfeld der Ort,  in dem sich die Amazon-Streiksolidaritätsgruppen zu einem bundesweiten Seminar im Tagungshaus der Falken gleich neben der Stiftsruine trafen. Ca. 20  solidarische UnterstützerInnen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, Leipzig und  Kassel waren anwesend.  AktivistInnen es Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main berichteten über Erfahrungen in den betrieblichen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen des Caresektors.
Amazon-Beschäftige  kamen aus den Werken Brieselang, Leipzig und Bad Hersfeld. Durch die Wahl des Ortes war so gewährleistet, dass die KollegInnen  besser einbezogen wurden als bei den vorherigen Treffen in Leipzig und Frankfurt/Main.
Solidaritätsstrukturen sind keine Ersatzgewerkschaft
Ausführlich wurde über das Verhältnis der Solidaritätsstrukturen  zu den Gewerkschaften diskutiert. Dabei gab es auch von einigen aktiven KollegInnen viel Kritik an ver.di, wenn es um konkretes Agieren während des Arbeitskampfes geht. Konsens war aber auch, dass die Solidaritätsstrukturen weder  alternative Gewerkschaften  noch als „unbezahlte OrganizerInnen für ver.di tätig sein sollen, wie es ein Seminarteilnehmer     ausdrückte. Als gute Beispiele für eine eigenständige Rolle der Solidaritätsstrukturen wurden die Kontakte zu der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas oder der polnischen Inicjatywa Pracownicza (IP)  genannt. Beide Gewerkschaften gehören nicht zu den gesellschaftlichen BündnispartnerInnen von  Ver.di,  sind aber in ihren Ländern sehr Logistiksektor aktiv. Die IP hat in den letzten Monaten bei Amazon-Poznań KollegInnen organisiert und auch schon Solidaritätsaktionen mit den   Streik in den   bei deutschen  Amazon-Werken durchgeführt. Aus den  heraus entstanden Kontakte zu Bündnissen der außerparlamentarischen Linken, die z.Beispie im Rahmen der Blockupy-Aktionstage zu gemeinsamen Aktivitäten führten.
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Geflüchtete als KollegInnen?
Ein weiterer  Diskussionspunkt in Bad Hersfeld war der Umgang mit migrantischen Beschäftigten. Das Thema war kurzfristig aufgenommen wurden, nachdem bekannt wurde, dass zum 1. Dezember bei Amazon Bad Hersfeld und Leipzig  Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft eingesetzt wurden. In Bad Hersfeld werden jeden Tag 40  Geflüchtete mit Bussen zum Werk gefahren.  Mehrere Beschäftigte berichteten, dass in der letzten Zeit in der Umgebung des Werks vermehrt Hakenkreuzschmierereien aufgetaucht seien.  Die Diskussionen unter den KollegInnen bewegen  sich „auf schlimmsten Pegida-Niveau“ , erklärte ein Beschäftigter        aus Bad Hersfeld. Auch KollegInnen, die sich aktiv an den letzten Streiks beteiligt hätten, würden teilweise die MigrantInnen nicht als gleichwertige  KollegInnen betrachten.  Ver.di würde sich überhaupt nicht dazu äußern, so die Kritik. Die anwesenden KollegInnen erklärten allerdings auch, es sei schwierig, mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten, weil sie mit Bussen zum Werk gebracht und wieder abgeholt werden. Sie berichteten allerdings über vereinzelte Kontaktmöglichkeiten. So hätten    zwei der neuen KollegInnen den Bus  verpasst und wussten nicht, wie sie zu ihrer Unterkunft kommen sollen. Dabei sei ein Kollege eingesprungen. Auch bei der Arbeit gäbe es Kontaktmöglichkeiten, die aber bisher nur wenig genutzt würden.  Über die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von alten und neuen KollegInnen gab es unter den  anwesenden KollegInnen Differenzen. Manche hielten das für ausgeschlossen und sprachen von „einen Kampf gegen Windmühlen“. Andere sahen eine solche Kooperation nicht so pessimistisch.
KonsumentInnen solidarisieren sich
Auf dem Sonntag wurde    ein Aufruf zum KonsumentInnenstreik verabschiedet. In  einen Flugblatt werden vier Schritte aufgelistet, die dabei beachtet werden müssen. Zunächst muss bei Amazon eine Ware für mindestens 40 Euro bestellt  werden. Anschließend sollen die kritischen KundInnen von der großzügigen Umtauschregelung Gebrauch machen, die für diese Einkäufe  gelten.   Innerhalb von zeri Wochen nach Empfang  können die Waren zurück geschickt werden: ab 40 Euro fallen dafür keine Versandkosten an.    Auf dem  Retourpaket können z.B.  Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden,  die sich mit den streikenden Beschäftigten  solidarisch erklären und die Forderungen nach Kunden einem Tarifvertrag unterstützen. Das  Streiksolibündnis ruft auch dazu auf, dass Fotos davon zu senden, die dann auf Facebook veröffentlicht werden sollen.  Die InitiatorInnen  betonen, dass es dabei nicht um einen Boykottaufruf gegen Amazon handelt. „Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Amazon-Management einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen“,  begründete ein Mitarbeiter der Leipziger Solidaritätsgruppe den ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zum Boykott aufrufen.
Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag gesellschaftliche Unterstützung findet. Bereits bei den beiden letzen beiden  Arbeitskämpfen im Einzelhandel haben sich kritische KundInnen mit den Streikenden solidarisiert. Dabei wurde im Juni  2008 für mehrere Stunden ein  Discounter in Berlin blockiert.        Als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim  Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort die Retoursendungen ebenfalls in die Höhe. In machen Paketen lagen Grüße an die Beschäftigten.  Zalando ist direkter Nachbar von Amazon und Brieslang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in beiden Unternehmen        Mitglieder zu gewinnen.

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

Ausgabe: Heft 12/2015

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Peter Nowak