Die Fontanepromenade 15 sollte an jüdische Zwangsarbeiter erinnern. Verhandlungen sind nun gescheitert
Die Fontanepromenade 15 in Kreuzberg wird doch kein dauerhafter Gedenkort. In dem Gebäude war zwischen 1938 und 1945 die „Zen- trale Dienststelle für Juden“ des Berliner Arbeitsamts untergebracht. Von dort aus wurden etwa 26.000 Berliner Jüdinnen und Juden in Zwangsarbeit in unterschiedliche Betrieben genötigt. Die deutsch-israelische Journalistin und Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron gehört zu den Opfern. In einem offenen Brief an den Berliner Kultursenat im Jahr 2016 bezeichnete sie die Fontanepromenade 15 als Ort, der zum „Ausgangspunkt unsäglichen Leidens geworden ist“, und forderte, dass das Gebäude eine Nutzung erfährt, „die seiner historischen Bedeutung gerecht wird“. Diese Hoffnung dürfte sich nicht erfüllen.
Verhandlungen über eine Anmietung von Räumen für einen dauerhaften Gedenkort waren nicht erfolgreich, heißt es in einer Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Kultur von Anfang Mai. Die Flächen seien nicht barrierefrei und es fehle an sanitären Anlagen. Doch auch wirtschaftliche Gründe werden genannt: „Der Eigentümer ist nach seiner Bauinvestition gebunden, die Flächen an einen um- satzsteuerpflichtigen Mieter zu vergeben, damit scheidet die Topographie des Terrors aus.“
Der Bremer Architekt Marc Brune, der das Gebäude 2015 erwarb, hat sich nun bereit erklärt, die Eingangshalle des Hauses an zwei Tagen im Jahr für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das ist nicht einmal genug Zeit, um eine Ausstellung aufzubauen, kritisiert Anne Allex, die im Verein Gedenkort Fontanepromenade 15 aktiv ist. Sie hatte seit Juni 2017 ein Gedenkkonzept entwickelt und stand mit der Senatsverwaltung und dem Hauseigentümer im Kontakt. Der Einrichtung als Gedenkort schien nichts mehr im Wege zu stehen. Im Berliner Doppelhaushalt 2018/19 waren 50.000 Euro für die Entwicklung des Gedenkortes vorgesehen. „Unser Verein kämpft weiter für die Durchführung der Bildungsarbeit am authentischen Ort. Doch von der Senatsverwaltung fühlen wir uns dabei im Stich gelassen“, betont Allex.
Eine Lichtenberger Familie kann vorerst in ihrer Wohnung bleiben. Mietschulden waren längst bezahlt
Solidarische Nachbarn und Aktivist*innen haben am Dienstag eine Zwangsräumung in Lichtenberg verhindert. Bereits eine halbe Stunde vor dem angesetzten Räumungstermin hatten sich vor der Haustür etwa 60 Menschen versammelt, die auf Transparenten ihre Absicht bekundeten, die Räumung zu verhindern. Neben AktivistInnen des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ standen auch solidarische NachbarInnen vor der Tür.
„Die Familie ist 2001 mit ihren beiden Söhnen hier eingezogen. Es kann nicht sein, dass sie wegen der Schlamperei des Jobcenters ihre Wohnung verlieren“, meinte eine Frau aus dem Nachbarhaus. Das Jobcenter hatte die Miete für die Familie direkt an den Eigentümer überwiesen. Der Antrag zur Kostenübernahme musste regelmäßig erneuert werden. Wegen einer schweren Krankheit hatten die Mieter eine Frist verpasst. Es kam zu Mietrückständen, die mittlerweile zwar komplett beglichen wurden. Dennoch führten sie zu einem Räumungstitel, der am Dienstag vollstreckt werden sollte. Über den Termin wurde die betroffene Familie erst vor fünf Tagen durch ein Schreiben der Wohnungshilfe Lichtenberg informiert. „Diese kurze Frist ist eindeutig rechtswidrig“, erklärte Tim Riedel von „Zwangsräumung verhindern“ gegenüber der taz.
„Der Widerstand geht weiter“
Anna Weber vom Bündnis Zwangsräumung schließt aus dem Engagement der NachbarInnen, dass der Widerstand gegen Gentrifizierung auch nach der großen MieterInnendemo im April weitergeht. „Heute nehmen es viele nicht mehr einfach hin, dass Menschen zwangsgeräumt werden.“
Auch Hans Georg Lindemann vom Kreuzberger Laden M99 im Exil war mit seinem Rollstuhl bei der Blockade. „Ich habe selber viel Solidarität erfahren, als mein Laden geräumt werden sollte“, erklärt er. Der Gerichtsvollzieher und die Mitarbeiterin der Hausverwaltung hatten ihr Auto gar nicht erst verlassen, nachdem sie die Menschen vor dem Hauseingang gesehen hatten.
US-Google-Kritikerin berichtet über Widerstand in San Francisco und warnt vor Hoffnung auf Politiker/innen
Der Andrang war groß am Mittwochabend vor dem S0 36. Unter dem Motto „Warum Google kein guter Nachbar ist“ wollten sich 350 Menschen über den Widerstand gegen den Google-Campus in den USA und in Berlin informieren. Eingeladen waren die Google-Kritikerin Erin McElroy vom Anti-Eviction Mapping Project aus San Francisco sowie Conni Pfeiffer und Stefan Klein von der Kreuzberger Stadtteilinitiative GloReiche, die sich gegen den Google-Campus engagiert, der im Juli 2018 im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße eröffnet werden soll. Doch bevor die Diskussion begann, besetzte eine anarchistische Fraktion der Kreuzberger Google-Kritiker/innen mit einem Transparent die Bühne. In einem Redebeitrag wandte sie sich gegen die Vereinnahmung der Proteste durch die Senatspolitik. Schließlich wurde die Veranstaltung vom der Linkspartei nahestehenden Bildungsverein Helle Panke organisiert und die Sprecherin für Stadtentwicklung und Tourismus der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Katalin Gennburg war Teil des Podiums. Allerdings dauerte der Protest nur wenige Minuten und die Rednerin konnte sogar ein Veranstaltungsmikrophon benutzen.
Mapping und Busblockaden
Im Anschluss berichtete Erin McElroy vom Anti-Google-Widerstand in San Francisco. Sie beteiligt sich an einem Mapping-Projekt, das die Gebiete sichtbar macht, in denen die Gentrifizierung besonders weit vorangeschritten ist. Außerdem werden die Akteure der Gentrifizierung auf der Mappe öffentlich gemacht. Es handelt sich um Start Up-Unternehmen aus dem Bereich des Plattformkapitalismus. „Es geht um die Umwandlung ganzer Stadtteile zu Google-Cities“, beschreibt McElroy die Veränderungen in und San Francisco. Das nahe Silicon Valley übt eine Sogwirkung aus. Viele der Beschäftigten wohnen in San Francisco und werden täglich in firmeneigenen Bussen zu ihren Arbeitsplätzen gefahren. An der Route und den Bushaltestellen sei die Gentrifizierung besonders stark angestiegen, berichtet McElroy über ihre Untersuchungen. Google-Kritiker/innen blockierten häufig die Busse, die Beschäftigte von ihren Wohnungen zum Arbeitsplatz bringen sollen. Hier schilderte McElroy ein auch in Berlin wohlbekanntes Phänomen. Die Beschäftigten der IT-Branche wohnen gerne in angesagten Bezirken mit viel Kultur vor der Haustür und treiben dort die Mieten in die Höhe. In Berlin sind die Bezirke Kreuzberg-Friedrichshain oder Nord-Neukölln besonders betroffen. In San Francisco ziehen Google-Mitarbeiter/innen bevorzugt in Bezirke, in denen einkommensschwache Teile der Bevölkerung, oft mit lateinamerikanischem Hintergrund, leben. Ehemalige Arbeiter/innenquartiere werden nicht nur umstrukturiert, auch ihre alten Namen werden getilgt, betont McElroy. Google benennt sie um, damit sie für ihre Klientel interessanter werden. McElroy verwies darauf, dass nur die Selbstorgansierung der von Verdrängung betroffenen Bevölkerung Erfolge bringt und nicht die Hoffnung auf die Politik. So haben Stadtteilinitiativen in San Francisco ein Google-Büro besetzt, um gegen die Kündigung von Mieter/innen zu protestieren. Sie wurden polizeilich geräumt, doch die Kündigung wurde zurückgenommen. Bei der anschließenden Diskussion kam die Frage zu kurz, was die Berliner Initiativen gegen Google von den Erfahrungen aus San Francisco lernen können. Zudem wurde deutlich, dass nicht alle im Publikum der Google-Ansiedlung ablehnend gegenüber stehen. Ein junger Mann erklärte, dass er in dem von Google finanzierten Start-Up-Projekt Mozilla arbeite, das mit der Parole wirbt, „Produkte für Menschen nicht für Profite“. Auch hier wäre eine genauere Debatte nötig gewesen.
Nachbar/innen positionieren sich gegen Google
Die Aktivist/innen der Stadtteilinitiative „Die GloReichen“ stellten ihr neuestes Mapping-Projekt vor. Aufgeführt werden dort Nachbar/innen, die sich gegen den geplanten Google-Campus in Kreuzberg positionieren. Die Gewerbetreibenden sind namentlich aufgeführt, bei den Mieter/innen werden nur die Adressen genannt. Zudem wurde für den 14. Juni zum Google-Campus eingeladen. Die genaue Uhrzeit und Details zur Aktion werden noch bekannt gegeben.
Der ARD-Beitrag „Ungleichland“ über den Bauunternehmer Christoph Gröner zeigt auch, warum Trump, Berlusconi und Macron von nicht wenigen Subalternen gewählt und bewundert werden
Es gibt wohl kaum was, für das man den Kurzzeit-Gesundheitsminister Jens Spahn loben könnte. Nur, seine Weigerung, der Aufforderung einer Hartz IV-Gegnerin zu folgen und eine Woche nach den finanziellen Sätzen zu leben[1], die der Gesetzgeber für sie vorgesehen hat, sollte nicht Gegenstand der Kritik sein.
Schließlich hätte die „sinnlose Armutsshow“[2] keinen Hartz-IV-Empfänger ein besseres Leben beschert, sie hätte nicht einmal aufklärerische Impulse gesetzt. Sie hätte sich vielmehr eingereiht, in die Banalisierung und Eventisierung der staatlichen Verarmungspolitik.
Promis auf Hartz IV
Schon längst gibt es im Unterhaltungsfernsehen die Sendung Promis auf Hartz IV[3]. Dort können Reiche einen Monat Hartz-IV als spannendes Erlebnis zelebrieren. Die Ankündigung spricht Bände über das Selbstverständnis der Sendemacher.
Heinz und Andrea sind ein Leben im Luxus gewohnt. Angefangen bei der 1.000 Quadratmeter großen Villa Colani über eine Haushälterin bis hin zu den nicht vorhandenen Geldsorgen. Genau diesen Luxus lässt das Fürstenehepaar in den nächsten vier Wochen zurück, um das Leben aus Sicht von Hartz-IV-Empfängern zu erleben. Heinz und Andrea leben während des Experimentes von 736 Euro im Monat. Schon bei der Ankunft sitzt der erste Schock tief – die neue Bleibe ist bis auf einen Herd und zwei Feldbetten komplett unmöbliert. Ihre erste Aufgabe ist somit das Möblieren ihrer kleinen Wohnung. Werden sie das Experiment durchstehen?“
TV-Sendung Promis auf Hartz IV
Die Verachtung der Armen spricht aus jeder Zeile dieses Sozialexperiments für Vermögende. Christoph Gröner würde nur lachen, wenn man ihm vorschlagen würde, einen Monat unter Hartz IV zu leben. Der Gründer und Namensgeber der CG-Gruppe[4] ist schließlich der Prototyp eines Neureichen, der gar kein Hehl daraus macht, dass er mit seinen Vermögen Macht hat und die auch einsetzt.
Gröner hat erst kürzlich eine Debatte über die Macht des Kapitals ausgelöst. Schließlich war er in der letzten Woche Hauptfigur[5] des Films Ungleichland[6]. Der Untertitel „Wie aus Reichtum Macht wird“ ist der rote Faden und der anschließenden Diskussion „Hart aber fair“[7], in der der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert Gröner als „Oligarch“ bezeichnete[8].
Die Reaktionen waren voraussehbar und haben eher Gröner in die Hände gespielt. Denn der ARD-Beitrag war ja keine Untercover-Recherche. Gröner ließ sich bei seiner Arbeit begleiten und konnte so Einfluss nehmen auf das Bild, das von ihm in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Und das ist das eines Neureichen, der Kapital hat und es nutzt, um ganze Stadtteile umzustrukturieren und auch politisch Einfluss zu nehmen.
Politische Ambitionen
Wie sehr bei der anschließenden Diskussion der stellenweise durchaus kritisch fragende Moderator Teil von Gröners Konzept war, zeigte sich dann, wenn es um dessen politische Ambitionen ging. Da reichte die vage Ankündigung, dass er mal eine Partei gründen wollte, um das Thema immer wieder anzusprechen.
Selbstverständlich widersprach Gröner nicht, wenn er mit dem Moderator mit Macron und seiner Bewegung verglichen wurde. Dabei ist einerseits erstaunlich, wie realistisch hier der französische Präsident eingeschätzt wird, der schließlich in Teilen des grünennahen linksliberalen Milieus zum Hoffnungsträger verklärt wurde.
Nun mutiert in einer solchen Talkshow Macron zum Interessenvertreter des Kapitals und zum Rechtspopulisten. Gleichzeitig wird mit einen solchen Vergleich Gröner erst zu einem potentiellen Politiker aufgebaut, obwohl er noch wenige Minuten vorher erklärte, dass käme für ihn erst in einigen Jahren infrage. Vorher wollte er noch kräftig in der Immobilienbranche mitmischen.
Eine solche Talk-Show ist für Gröner und Co. auch ein Stimmungstest dafür, wie eine solche Inszenierung bei der Zielgruppe ankommt. Und der fiel für Gröner nicht so schlecht aus. Schließlich wurden während der Sendung eingehende Mails verlesen, in denen einkommensarme Menschen schrieben, dass sie wissen, dass sie allerhöchstens als Wachmann in einen von Gröners Objekten eine Chance haben, aber trotzdem zufrieden sind, dass sie sehen, wie jemand reich werden kann.
„Wir, die Leute, die Gas geben, (…) wir sind der Staat“
Es ist der Vom Tellerwäscher zum Millionär-Mythos, der auch immer wieder Millionen Menschen Lotto spielen lässt. Dabei ist es weniger der Glaube, bald ebenso reich zu sein, der Menschen wie Gröner auch bei Armen populär macht. Es ist vielmehr deren Attitüde, sein Kapital in Macht und Einfluss umzuwandeln und das auch offen zu propagieren.
„Wir, die Leute, die Gas geben, die Geld haben, müssen uns einbringen, wir sind der Staat“, ist eines der in der Internetgemeinde heftig diskutierten Zitate[9]. Das ist genau die Geisteshaltung eines Macron, eines Berlusconi oder eines Trump, oder wie die populistischen Millionäre mit Regierungsambitionen auch immer heißen.
Wenn dann der Moderator Gröner mit Macron vergleicht und nicht mit den beiden anderen, hat das den einfachen Grund, dass die eben weniger populär in Deutschland sind.
Subtile Vorteilsnahme für Gröner
Eine weitere Vorteilsnahme für Gröner leistete sich der Moderator, als er darüber redete, warum Gröner unbedingt eine eigene Partei gründen will und nicht in eine bestehende eintreten und dort Einfluss nehmen will. Da kamen die Grünen, die FDP, die SPD und sogar die Linke zur Sprache. Nur die AfD wurde ausgeblendet.
Dabei ist die einmal von wirtschaftsfreundlichen Ökonomen gegründet worden, denen die FDP damals an der Regierung nicht wirtschaftsliberal genug war. Und auch wenn mittlerweile viele von diesen neoliberalen Führungsleuten mit Bernd Lucke die Partei verlassen haben, ist der wirtschafts- und sozialpolitische Teil des AfD-Programms noch stark von ihnen geprägt.
Auch viele Wirtschaftsliberale aus der zweiten Reihe sind noch fest in die AfD integriert. Dass Gröner auch ideologische Schnittmengen mit der AfD hat, zeigte sich bei einem seiner kaum skandalisierten Sätze in der Talk-Show. Zumindest Kevin Kühnert fragte da noch mal nach.
Gröner echauffierte sich darüber, dass das Finanzamt Reichen wie ihm das Leben schwer mache und die Steuerhinterziehung im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg nicht mit ebensolcher Verve verfolge. Nun ist der Görlitzer Park der Ort, wo Menschen Drogen verkaufen, die von Staatsseite als illegal erklärt wurden. Dadurch wird überhaupt erst ein Markt geschaffen.
Mittlerweile gibt es immer mehr Juristen und auch Fachleute bei der Polizei, die sich für eine Legalisierung dieses Drogenhandels aus sehr pragmatischen Gründen aussprechen. In den letzten Monaten sind die repressiven Elemente bei der Handhabung des Drogenhandels rund um den Görlitzer Park, wie sie unter der Ägide des Berliner Innensenators Henkel gang und gebe waren, etwas zurückgefahren worden.
Man setzt mehr auf die Regulierung auch mit Nachbarschaftsinitiativen. Dafür bekommt der aktuelle Berliner Senat Lob von Fachleuten unterschiedlicher politischer Couleur. Doch für Gröner wird der Drogenhandel am Görlitzer Park zur Chiffre für einen Machtverlust des Staates, der von Rechten dann noch rassistisch aufgeladen wird.
Es ist kein Zufall, dass zivilgesellschaftliche Organisationen in der Vergangenheit immer wieder gegen Racical Profilierung[10] im Görlitzer Park[11] protestiert haben.
Gröner setzt hier nur den eigenen populistischen Akzent, dass er millionenschwere Steuerverweigerer gegen Menschen ausspielt, die sich mit Drogenhandel über Wasser halten.
„Fragen Sie mal meinen Wachmann“
Was einkommensschwache Menschen von einer Gröner-Partei zu erwarten hätten, erfahren sie auch en passant, wenn er berichtet, dass er immer im Dienst ist.
Ich bin seit 30 Jahren drei Tage nicht zur Arbeit erschienen wegen Krankheit, fragen Sie mal meinen Wachmann, wie oft der wegen Krankheit nicht da war. Wenn meine Frau mit mir Krach macht und mich die Nacht nicht schlafen lässt, bin ich bei der Arbeit. Fragen Sie mal meinen Wachmann.
Christoph Gröner, Hart aber fair
Hier steckt eine doppelte Drohung für alle Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Es ist die Botschaft, dass man sich notfalls auch krank zur Arbeit schleppen sollte und möglich Tag und Nacht Leistung zeigen sollte. Der bei Gröner mehrmals zitierte Wachmann wäre im Falle der Lohnabhängigen das Wachpersonal, der Aufseher oder auch die Überwachungs-App, die auf die Sekunde genau die Leistung misst.
Amazon-Beschäftigte sprechen davon, dass sie schon angesprochen werden, wenn sie mal zwei Minuten nicht arbeiten. So ist Gröner hier durchaus nicht der besonders egozentrische Neureiche, der nicht nur seine Macht und seinen Einfluss ausübt, sondern das auch propagiert.
Er ist gleichzeitig der prototypische Vertreter eines Kapitalismus, der möglichst rund um die Uhr die Menschen auspressen will, der es zur Tugend erklärt, in dreißig Jahren nur 3 Tage krank geschrieben gewesen zu sein und auch nachts am Arbeitsplatz erscheint.
Die Gefahr, die von Mächtigen wie Gröner ausgeht, liegt vor allem darin, dass solche Bekenntnisse auch bei Menschen auf Zustimmung stoßen, die von ihrer sozialen Lage eigentlich vehement dagegen protestieren müssten. Denn sie haben die Hoffnung, dass die Knute nicht sie, sondern die Menschen trifft, denen es vielleicht noch schlechter als ihnen geht und die das angeblich verdient haben.
Wie eine solche sozialchauvinistische Ideologie funktioniert, haben Julia Frank und Sebastian Dörfler in ihren hörenswerten Radio Feature „Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“[12] thematisiert.
Hier liegt auch ein Grund dafür, weshalb rechter Millionärspopulismus von Trump, Berlusconi und Macron Erfolg hat. Ob man Gröner in diese Reihe stellen kann, ist noch nicht ausgemacht. Denn einstweilen kann der seine Investorenwünsche auch noch ganz gut mit dem aktuellen politischen Personal durchsetzen.
Roter Teppich für Investor Gröner
Das zeigte sich bei dem Projekt der CG-Gruppe[13] im Friedrichshainer Nordkiez. Da wurde schnell mal der Denkmalschutz[14] Makulatur[15], damit der millionenschwere Investor nicht ungnädig wird.
Eine der Linkspartei angehörende Senatorin hatte dann angeblich auch keine Möglichkeit, Gröner die Baugenehmigung zu verweigern. Da hatte es Gröner nicht schwer, gegen das CG-Projekt[16] protestierenden Nachbarn[17] zuzurufen: „Glaubt Ihr ich baue nicht, wenn Ihr hier schreit?“ „Seit ihr wirklich so blöd?“
Schon vor 2 Jahren erklärte Gröner im Tagesspiegel-Interview[18]: „Wir Unternehmer wissen uns selbst zu helfen.“ Daher wäre es wirklich eine Bedrohung für große Teile der Bevölkerung, wenn er nicht nur die Politik für sich arbeiten lässt, sondern selber in die Politik geht.
So könnte der ARD-Beitrag auch der Anlass für eine Diskussion über den Klassenkampf von Oben sein. Und es könnte darüber diskutiert werden, warum Teile der Subalternen ideologisch so zugerichtet werden, dass sie mächtigen Männern, die die Knute zeigen, applaudieren.
Mit einer Diskussion allein über Ungleichheit kommt man dem Phänomen der Millionen schweren Populisten nicht bei. Das zeigte sich bei Berlusconi und Trump und das wird sich auch bei Gröner zeigen.
Er ist kein Beweis für einen funktionierenden Milieuschutz, sondern Ergebnis von langanhaltendem Widerstand gegen die Deutsche Wohnen.
Seit September 2016 kämpft die Mieter/inneninitiative „Otto Suhr Siedlung & Umgebung“ (BOSS&U) gegen die drohende Verdrängung von ca. 5000 Mieter/innen in Berlin-Kreuzberg. Die Deutsche Wohnen will die ca. 3000 Wohnungen der Otto-Suhr-Siedlung und der angrenzenden Spring-Siedlung energetisch sanieren. Nun hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit der Deutsche Wohnen einen Vertrag geschlossen, der in Teilbereichen den Forderungen der Mieter/innen entgegenkommt.
Nach den Vereinbarungen wird die Modernisierungsumlage auf maximal 1,79 Euro pro Quadratmeter begrenzt. Die Mieter/innen haben nach Eingang der Modernisierungsankündigung zwei Monate Zeit, um einen finanziellen Härtefalleinwand geltend zu machen. Ein Härtefall ist dann gegeben, wenn die Bruttowarmmiete nach der Modernisierung 30 Prozent des Haushalts-Nettoeinkommens überschreitet. Die Vereinbarung sieht auch vor, dass bei Empfänger/innen von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe die Miete nach der Modernisierung die nach der Wohnkostenrichtlinie zuständige Höhe nicht überschreiten darf. Bei Härtefällen aus gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder baubedingten Gründen hat sich die Deutsche Wohnungen verpflichtet, adäquate Hilfsmaßnahmen anzubieten.
Erfolg des Milieuschutzes?
Der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt erklärt, dass es mit der Vereinbarung gelungen sei, die einkommensschwachen Mieter/innen vor der Verdrängung zu schützen. Für Schmidt ist die Vereinbarung der Beweis, „dass der Milieuschutz in Friedrichshain-Kreuzberg kein stumpfes Schwert ist. Er zählt im Gegenteil zu den wichtigsten Instrumenten der Mietenpolitik in Berlin“.
Dabei hat sich der Milieuschutz in ganz vielen Fällen eben doch als stumpfes Schwert erwiesen. Warum das im Fall der Otto-Suhr-Siedlung anders ist, hat die Mieter/inneninitiative gut benannt: „Unser entschlossener Widerstand gegen das unsoziale Modernisierungsvorhaben der Deutsche Wohnen hat das Unternehmen an den Verhandlungstisch gezwungen. Trotz schwieriger rechtlicher Rahmenbedingungen, haben wir einen Achtungserfolg erzielt.“ Sie zeigt auch die kritischen Punkte der Vereinbarung auf: So konnte für Bezieher/innen von ALG II und Sozialhilfe die von der Mieter/inneninitiative geforderte 5jährige Karenzzeit für Mieterhöhungen nicht durchgesetzt werden. Das hat zur Folge, dass die Mieten dieser Mieter/innen bei der nächsten regulären Mieterhöhung über den gesetzlich zulässigen Beträgen liegen und somit die Gefahr besteht, dass sie ihre Wohnung verlieren.
Für die Mieter/inneninitiative ist die Teilvereinbarung daher kein Grund, ihre Arbeit einzustellen. „Als Bündnis Otto-Suhr-Siedlung & Umgebung werden wir wachsam bleiben und die Umsetzung der Sanierungsvereinbarung überwachen“, erklärte Hannes Strobel vom Mieter/innenbündnis. Diese hätte „Vorbildcharakter“: Mittlerweile gibt es in fast allen Berliner Stadtteilen Bündnisse von Mieter/innen der Deutsche Wohnen.
Dieses berlinweite Bündnis überlegt, anlässlich der Jahreshauptversammlung des Unternehmens Mitte Juni erneut Proteste zu organisieren.
Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg schließt Vertrag mit Deutsche Wohnen
Im Streit um Mieterhöhungen der Deutsche Wohnen haben die Bewohner der Otto-Suhr-Siedlung und der angrenzenden Spring-Siedlung einen Erfolg erzielt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat mit dem Wohnungskonzern einen Vertrag geschlossen, der den Forderungen der Mieter_innen an mehreren Punkten entgegenkommt.
Seit September 2016 wehrt sich das Mieter_innenbündnis »Otto Suhr Siedlung & Umgebung« gegen die drohende Verdrängung von rund 5000 Mieter_innen in Kreuzberg. Die Deutsche Wohnen will rund 3000 Wohnungen in der Otto-Suhr- und der Spring-Siedlung energetisch sanieren.
Nach der Vereinbarung zwischen Unternehmen und Bezirk wird die Modernisierungsumlage auf maximal 1,79 Euro pro Quadratmeter begrenzt. Die Mieter_innen haben nach Eingang der Modernisierungsankündigung zwei Monate Zeit, um einen finanziellen Härtefalleinwand geltend zu machen. Ein Härtefall ist dann gegeben, wenn die Bruttowarmmiete nach der Modernisierung 30 Prozent des Haushalts-Nettoeinkommens überschreitet. Die Vereinbarung sieht auch vor, dass bei Empfänger_innen von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe die Miete nach der Modernisierung die nach der Wohnkostenrichtlinie zuständige Miethöhe nicht überschritten werden darf. Bei Härtefällen aus gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder baubedingten Gründen hat sich die Deutsche Wohnen verpflichtet, adäquate Hilfsmaßnahmen anzubieten.
Der Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Florian Schmidt (Grüne) erklärt, dass es mit der Vereinbarung gelungen sei, die einkommensschwachen Mieter_innen vor der Verdrängung zu schützen. »Damit wird klar, dass der Milieuschutz in Friedrichshain-Kreuzberg kein stumpfes Schwert ist. Er zählt im Gegenteil zu den wichtigsten Instrumenten der Mietenpolitik in Berlin.« Auch Hannes Strobel vom Mieter_innenbündnis bewertet die Vereinbarung als Erfolg für die Mieter_innen. Vor allem gegen die neue Frist für die Härtefallregelungen habe sich die Deutsche Wohnen lange Zeit gewehrt. »Die Vereinbarung hat gezeigt, dass der Milieuschutz auch bei energetischer Sanierung angewandt werden kann. Das wurde von Baustadträten in anderen Bezirken immer bestritten«, sagt Strobel dem »nd«. Für Strobel ist der Milieuschutz daher nur dann eine scharfe Waffe, wenn sich die Mieter_innen wehren.
Die Bewohner_innen der Otto-Suhr-Siedlung haben hier berlinweit einen Vorbildcharakter. Mittlerweile gibt es in fast allen Stadtteilen Bündnisse von Mieter_innen der Deutsche Wohnen. Auf der Webseite deutsche-wohnen-protest.de informieren sie über ihre Aktionen. »Es ist offensichtlich, dass die Zugeständnisse der Deutsche Wohnen gegenüber den Mieter_innen nicht vom Himmel gefallen sind, sondern eine Folge der Proteste ist. Daher werden wir weiter auf die Straße gehen«, sagt Strobel. Das berlinweite Bündnis wolle zudem anlässlich der Jahreshauptversammlung des Unternehmens Mitte Juni Proteste organisieren.
Es geht um Einfluss-Interessen in Syrien. Die menschenrechtliche Ummantelung solcher Interessen, man wolle weitere Giftgaseinsätze verhindern, ist in vielerlei Hinsicht verlogen
Als notwendigen Angriff, der hoffentlich seine Botschaft nicht verfehle, dass man geächtete Chemiewaffeneinsätze nicht dulden werde, bezeichnete der Unionspolitiker Ruprecht Polenz den wenigen Stunden zuvor erfolgten Angriff der USA, Großbritanniens und Frankreichs auf Ziele in Syrien.
Nun ist Polenz auch nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag ein noch immer gut vernetzter Außenpolitiker. Er vertritt also keine Minderheitsmeinung. Schließlich hat ja auch Bundeskanzlerin Merkel schon wenige Stunden nach dem Angriff von angemessenen und erforderlichen Maßnahmen gesprochen. Man begrüße, dass die Verbündeten gehandelt hätten.
Ähnlich äußerten sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Jürgen Hardt und Bundesaußenminister Heiko Maas. So beeilte sich das gesamte bundesdeutsche Politestablishement, sich auf die Seite der Angreifer zu stellen. Vergessen schien, dass noch zwei Tage vorher Merkel erklärte, dass sich Deutschland nicht direkt an dem Angriff beteiligte und dafür vom FDP-Außenpolitiker Lambsdorff kritisiert wurde.
Dabei sind die unterschiedlichen Erklärungen von Merkel nicht so inkonsistent, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Schließlich hat Merkel auch in der ersten Erklärung betont, dass, auch wenn sich Deutschland nicht direkt beteiligt, die Chemiewaffen aber verschwinden müssen. So konnte sie sich nun hinter den Angriff stellen, der ja vorgibt, genau dieses Ziel zu verfolgen. Auch in der grünennahen Taz waren in den letzten Tagen bellizistische Töne zu lesen. So schrieb Alexander Bühler:
Assad wird nicht aufhören, Giftgas gegen die Bevölkerung einzusetzen. Deshalb sind gezielte US-Luftschläge die einzig richtige Antwort.
Alexander Bühler, Taz
Spiel mit der Apokalypse
Er hat in dem Kommentar schon richtig erkannt, dass der momentane Konflikt, nicht zu der Apokalypse eines Konflikts zwischen Russland und den USA führen wird, was in einen globalen Krieg führen könnte. Bestimmte Tweets von Trump haben für kurze Zeit solche Befürchtungen aufkommen lassen, die noch immer die deutsche Friedensbewegung wieder belebt. Ihr geht es dabei auch nicht abstrakt um den Weltfrieden, sondern um die Furcht, dass durch einen unkontrollierten Konflikt deutsche Interessen in Gefahr gerieten.
Das war schon vor dem zweiten Golfkrieg so, als die apokalyptischen Szenarien Massen auf die Straße trieben, aber kaum jemand über die Scout-Raketen redete, die vom Saddam-Regime auf israelisches Gebiet geschossen wurden. Kaum jemand bemühte sich um eine Analyse der Interessen der unterschiedlichen Akteure und vor allem nicht über die Interessen der damals sich entfaltenden kapitalistischen Mittelmacht Deutschlands.
Später ließ sich dieses Deutschlands als Friedensmacht feiern, als es sich am Krieg, der zum Sturz Saddam Husseins führte, offiziell ebenso wenig beteiligte wie beim Sturz von Gaddafi in Libyen. Dass es dabei nicht um Frieden, sondern um eigene imperialistische Interessen Deutschlands ging, zeigte sich bei der Rolle des Landes bei der Zerschlagung von Jugoslawien. Gegen Serbien zog man schon aus historischen Gründen gerne wieder in Krieg. Damit sah man deutsche Interessen gewahrt.
Dass sich das Land bei den Angriffen auf den Irak und Libyen nicht direkt beteiligte, hieß nun nicht, dass man nicht logistische Unterstützung bei den Angriffen leistete, worauf Teile der deutschen Friedensbewegung mit Recht immer wieder hinwiesen. Trotzdem störte der Tenor ihrer Erklärungen, die sich meistens dahingehend erschöpften, dass Deutschland noch immer in der Außenpolitik von den USA oder der Nato abhängig wäre.
Dabei wird unterschätzt, dass Deutschland sehr genau die Interessen eines eigenständigen Nationalstaats verfolgt, der die USA längst als Konkurrent im innerkapitalistischen Kampf sieht, aber natürlich den Kontakt mit seinen ehemaligen Verbündeten nicht ganz abreißen lassen will. Ebenso will man die Beziehungen mit Russland auf eine neue Grundlage stellen.
Gute Kontakte, wo es angeblichen deutschen Interessen nützt, kombiniert mit Druck, wo das nicht der Fall sein sollte – für diese unterschiedlichen Interessen stehen verschiedene Kapitalfraktionen, die sich auch in unterschiedlichen politischen Formationen ausdrücken. Wobei auch da immer die Widersprüche, die nun mal im Spätkapitalismus immanent sind, auftauchen.
Die Grünen stehen eher für einen scharf antirussischen Kurs. Dort diskutiert man schon mal, ob die Bundeswehr Riga gegen die russische Armee verteidigen kann. Trotzdem hat der auch heute noch einflussreiche Politiker Jürgen Trittin den jüngsten Angriff in Syrien moderat kritisiert.
In der FDP, die sich so gedrängt sah, von Anfang an mit in der Koalition gegen das syrische Regime mitzumachen, hat zumindest der nach Lindner wichtigste Politiker Kubicki schon mal für eine Annäherung an Russland plädiert. In diesen scheinbaren Zickzackkurs kommt eher die Tatsache zum Ausdruck, dass Deutschland als „selbstbewusste Nation“ ihren Platz zwischen den innerkapitalistischen Konkurrenten Russland und USA immer neu austarieren muss.
Welche Rolle kann die Antikriegsbewegung spielen?
In dieser Gemengelage muss sich eine Antikriegsbewegung auch immer wieder neu finden. Sie ist eben nicht identisch mit der deutschen Friedensbewegung, die es überwiegend nicht schafft, die deutschnationalen Untertöne abzustreifen. Hier wird immer noch suggeriert, dass Deutschland von den USA abhängig ist.
Also kommen manche zu dem Schluss, die deutschen Interessen am besten in enger Kooperation mit Russland durchsetzen zu können und feiern Putin als Friedensfürst. Das ist nun genau so fatal wie die antirussischen Töne, die vor allem aus dem grünen Spektrum zu hören sind. Da hat man manchmal den Eindruck, hier werden noch immer die antislawischen Ressentiments bedient, die schon vor mehr als 100 Jahren die damalige Sozialdemokratie ins Lager des Burgfriedens mit den Herrschenden getrieben hat.
Eine Antikriegsbewegung, die ihren Namen verdient, müsste an der linken Minderheit anknüpfen, die sich vor 100 Jahren gegen den Kurs der Verteidigung irgendeines Vaterlandes positionierte und dafür den Kapitalismus in den Fokus des Kampfes nahm, der die eigentliche Ursache für immer neue Konflikte ist, die auch immer wieder zu Kriegen treibt.
Diese Strömung war in Teilen der Sozialdemokratie, des Anarchismus und Syndikalismus vertreten und es gab auch in kleinen Teilen des Bürgertums solche Ansätze. Viele dieser Kriegsgegner trafen sich in der „neutralen“ Schweiz, wo sie sich mit der Zimmerwalder Konferenz[5] international vernetzten.
Wo sind die Opfer des „humanitären“ Angriffs?
Eine Antikriegsbewegung, die sich heute in diese Tradition stellt, müsste vor allem aufhören, sich mit einer Seite in den Konflikt zu identifizieren. Auf den Angriff auf Syrien bezogen heißt dass, sich weder auf der Seite der Verbündeten Syriens noch auf der ihrer Gegner zu positionieren. In Syrien gilt es vielmehr die Kräfte zu unterstützen, die sich gegen das Regime und den Islamismus engagieren.
Zudem gilt es, aber auch die Propaganda der sogenannten westlichen Kriegsallianz zu hinterfragen. Schon die Konzentration auf den Einsatz von Chemiewaffen als angebliche „rote Linie“ ist nur ein Hebel, um deutlich zu machen, dass auch im Syrienkonflikt nichts ohne die Interessen des „Westens“ laufen wird.
Schließlich hatte das Assad-Regime mit Unterstützung Russlands, des Irans und der Hisbollah seine Macht wieder gefestigt. Dabei wurden diverse Islamisten geschlagen, die auch vom Westen unterstützt, aber nicht erfunden wurden. Aber das hat eben letztlich auch das autoritäre Assad-Regime wieder gestärkt. Mit dem Angriff hat der „Westen“ deutlich gemacht, dass es in dem Konflikt mitreden will.
Man will nicht zulassen, dass dort eine Regelung unter Federführung Russlands und unter Ausschluss der USA und ihren Verbündeten zustande kommt. Dass ist der eigentliche Grund für den jetzigen Angriff. Die menschenrechtliche Ummantelung solcher Interessen, man wolle weitere Giftgaseinsätze verhindern, ist in vielerlei Hinsicht verlogen.
Warum ist es für die Opfer des Krieges besser von den zahlreichen anderen Waffen ermordet oder verstümmelt werden? Und warum soll ausgerechnet eine USA-Regierung berufen sein, gegen Chemiewaffen Krieg zu führen, die noch immer den Einsatz von Napalm im Vietnamkrieg verteidigt? Und warum sollte eine französische Regierung nicht die vielen Massenmorde aufarbeiten, die sie als Kolonialmacht in Afrika verübte, bevor sie sich als Kämpfer gegen Chemiewaffen aufspielt?
Zudem sollte nun unabhängig untersucht werden, wie viel Opfer denn die nächtlichen Angriffe auf syrische Ziele gekostet haben. Denn auch in diesem Konflikt, hört man von den Opfern der anderen Seite wenig. Das war beim Krieg gegen Jugoslawien genauso wie bei den Angriffen gegen den Irak und Lybien.
Das wiederholt sich nun, wo es angeblich in Syrien nur Verletzte aber keine Toten gibt. Da verbinden sich die Angreifenden, die ja angeblich einen humanitären Krieg führen mit den syrischen Machthabern und deren Verbündeten, für die es natürlich ein Prestigeverlust wäre, wenn der Angriff noch viele Opfer gefordert hätte. Eine von allen Seiten unabhängige Antikriegsbewegung müsste sich hingegen auf die Opfer an Menschen, die Verletzten, die Toten und die Schäden hinweisen, die der Angriff erforderte.
Peter Nowak
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[1] https://www.ruprecht-polenz.de
[2] http://atlantische-initiative.org/ueber-uns/verein/
[3] https://www.tagesschau.de/inland/syrien-diskussion-101.html
[4] http://www.taz.de/!5495419/
[5] http://www.zimmerwald1915.ch/
Über 180 Initiativen beteiligen sich an Aktionstagen gegen Verdrängung und an Mieter/innendemo am Samstag in Berlin
Für einige Minuten war die vielbefahrene Kreuzung Mehringdamm/Ecke Wilhelmstraße am 4. April ab 19 Uhr dicht. Ca. 30 Aktivist/innen besetzten die Fahrbahn und entfalteten Plakate mit der Aufschrift „Baustopp – Luxusbau CG-Gruppe – Menschen vor Profite“.Der Flashmob richtete sich gegen die CG-Gruppe. Bei der Aktion stand erstmals nicht nur das CG-Projekt im Friedrichshainer Nordkiez in der Rigaer Straße 71-73 in der Kritik, sondern auch der X-Berg-Tower, der ehemalige Postturm in unmittelbarer Nähe zum U-Bahnhof Möckernbrücke. Auch dort plant die CG-Gruppe Lofts für Gutverdienende. Die Fahrbahnblockade war Teil der berlinweiten Aktionstage gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. Seit dem 4. April organisieren in fast jeden Berliner Stadtteil MieterInnen Aktionen der unterschiedlichen Art. Dazu zählen Straßenblockaden ebenso wie Kiezspaziergänge oder Go-Ins zu berüchtigten Immobilienfirmen. So organisierte das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ am 5. April eine kurzzeitige Blockade vor dem Sitz der Martina Schade Hausverwaltung in der Kantstraße 99 in Berlin-Charlottenburg. Sie ist verantwortlich für einen über zweijährigen Kampf gegen eine Wohngemeinschaft in der Dubliner Straße 8 in Berlin-Wedding. Der mehrjährige Prozess der Verdrängung von Mieter/innen und die Rolle der Justiz sind in der Doku-Soap „Verdrängt in Berlin“ dokumentiert. Für den 25. April hat sich der Gerichtvollzieher angekündigt und will die Zwangsräumung vollziehen. Die betroffenen Mieter/innen wollen nicht freiwillig gehen. Die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ unterstützt sie dabei und ruft zur Kundgebung vor der Dubliner Straße 8 auf.
Die Mieter/innen im Stadtteil unterstützen
Viele Initiativen nutzten die Aktionstage, um Mieter/innen über ihre Rechte zu informieren. Dazu gehört die vor einigen Monaten gegründete „Solidarische Aktion Neukölln“. Sie will Mieter/innen beim Kampf gegen Verdrängung unterstützen. Begleitaktionen zu Vermieter/innen gehören ebenso zu den Aktionsformen wie Widerstand gegen Entmietung von Häusern. Über 180 Initiativen unterstützen die Aktionstage. Dazu gehört auch die Berliner MieterGemeinschaft. Sie organisiert am 10. April zwischen 15 und 18 Uhr unter dem Motto „Spiel, Spannung, Mietenpolitik!!!“ an der Kottbusser Brücke in Kreuzberg eine Informationsaktion zur Mietendemonstration, die am kommenden Samstag den 14. April um 14 Uhr am Potsdamer Platz startet. Die Abschlusskundgebung findet in der Goebenstraße/Ecke Potsdamer Straße statt. Die Route hat Symbolwert: “Wir beginnen da, wo die Stadt vollständig kapitalisiert ist und gehen zum Sozialen Wohnungsbau“, heißt es im Aufruf. Auf der Route wird auch auf verschiedene Hausverwaltungen hingewiesen, die sich an Verdrängung und Entmietung beteiligen.
Landespolitik bleibt von Kritik weitgehend verschont
Auch die Bundeszentrale der SPD liegt auf der Route, dort soll die Rolle dieser Partei bei der Zerschlagung des sozialen Wohnungsbaus thematisiert werden. Der Schwerpunkt der Kritik liegt allerdings bei der Bundespolitik. Der im Demoaufruf geforderte „radikale Kurswechsel in der Wohnungs- und Mietenpolitik“ richtet sich ebenfalls auf der Bundesebene. Dabei sollte aber die Verantwortung sämtlicher in Berlin verantwortlichen Senate und die sie tragenden Parteien nicht unter den Tisch fallen. So ist beispielsweise für die Baugenehmigung der CG-Gruppe in Friedrichshain sowohl der Bezirk, als auch der Berliner Senat verantwortlich. Bei einem Go-In am 28. Februar im Rathaus Friedrichshain/Kreuzberg haben Mieter/innenaktivist/innen für ca. 20 Minuten die BVV-Sitzung unterbrochen, um auf den fortdauernden Ausverkauf des Stadtteils und die Verantwortung auch der BVV zu erinnern. Es wäre zu wünschen, dass auch auf der Demonstration am Samstag diese Verantwortung der Berliner Politik thematisiert wird.
Der Online-Terminkalender für linke Subkultur wird nach 20 Jahren eingestellt
Wir müssen euch leider mitteilen, dass wir unser Projekt Online-Stressfaktor beenden werden“, heißt es neuerdings auf der Startseite des Berliner „Terminkalenders für linke Subkultur und Politik“. Seit Juli 1998 konnte man sich dort über linke Veranstaltungen, Demonstrationen, Filme und Konzerte informieren. In der linken Szene herrscht Betroffenheit über das Ende des viel genutzten Online-Kalenders nach fast 20 Jahren. In der Erklärung der unbekannten Online-Redaktion wird das linke Konsumverhalten als Hauptgrund für die Aufgabe genannt. „Es fiel uns schon in den letzten Jahren immer schwerer, die Masse an Terminen verarbeiten zu können. Die Erwartungshaltung und die Ungeduld vieler NutzerInnen hat uns zusätzlich unter Druck gesetzt und viel Zeit, Arbeit und Energie gekostet“, geißeln sie Nutzer, die in dem Kalender eine Dienstleistung sahen, ohne zu registrieren, dass dahinter viel Arbeit steckt. Schließlich mussten die gemailten Terminankündigungen oft redigiert und korrigiert werden. Trotzdem hagelte es schnell Kritik, wenn die Termine nicht sofort online standen. Als Ersatz empfiehlt die Redaktion nun ihrer Zielgruppe, Termine künftig auf die europäische Onlineplattform Radar (https://radar.squat. net/de/stressfaktor-update) einzustellen. Im Unterschied zum Stressfaktor müssen sich politische Initiativen dort anmelden und können dann ihre Texte selber eintragen. Die Stressfaktor-Redaktion sieht das Konzept skeptisch und befürchtet eine Unübersichtlichkeit und politische Beliebigkeit. In der außerparlamentarischen Linken Berlins hoffen manche, dass sich doch noch eine neue Gruppe findet, die das alte Konzept weiterführt. Allerdings wären da auch technische Probleme zu lösen. Wahrscheinlich werden auch viele wieder auf die Printausgabe des Stressfaktor zurückgreifen, die von einer separaten Redaktion weiter herausgegeben wird. Da- mit hätte sich gegen den Trend die Printausgabe gegen die Onlineausgabe durchgesetzt.
Die sogenannte Erklärung 2018 sorgt für heftige Debatten
Der Text hat nur zwei Zeilen und sorgt trotzdem für viel Aufsehen. Das ist ganz im Sinne der Initiatorin Vera Lengsfeld. Die einstige DDR-Oppositionelle, die vor zwei Jahrzehnten von den Grünen zur CDU wechselte und schließlich AfD-Sympathisantin wurde, zeigt sich erfreut über die Resonanz auf die Erklärung 2018. Diese wendet sich gegen eine angebliche illegale Masseneinwanderung nach Deutschland und solidarisiert sich mit allen, die dagegen »friedlich auf die Straße« gehen.
Nach einer Woche haben mehr als 1000 Menschen die Erklärung unterzeichnet. Die bescheidene Zahl begründet Lengsfeld mit einer Begrenzung der Adressaten. »Es sind die Leistungsträger in unserem Land, die dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft trotz chaotischer Einwanderung immer noch funktioniert, die sich hier artikulieren«, so Lengsfeld. Deswegen sollten Wissenschaftler, Dozenten, Professoren, Mediziner und Schriftsteller als Unterzeichner gewonnen werden. Prominente wie der Publizist Henryk M. Broder und der Schriftsteller Uwe Tellkamp sorgten für die nötige Publicity.
Dabei geriet in den Hintergrund, dass ein Teil der Erstunterzeichner der Erklärung 2018 zu den langjährigen Autoren der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« gehören. Neben dem Historiker Herbert Ammon sind es die Publizisten Heimo Schwilk und Ulrich Schacht. Sie haben 1994 den Sammelband »Die selbstbewusste Nation« herausgegeben, in dem sie ein Ende der Scham über die NS-Verbrechen in Deutschland propagierten. Schacht und Schwilk sorgten bereits 1995 mit einem Aufruf für Schlagzeilen, in dem sie erklärten, dass der 8. Mai 1945 kein Tag der Befreiung für Deutschland gewesen sei. Damals war der Kreis der Unterstützer noch recht bescheiden. Doch wichtiger war die Diskussion, die der Aufruf auslöste. Daran knüpfen sie mit der Erklärung 2018 wieder an.
Anders als Mitte der 1990er Jahre gibt es mit der AfD in den Parlamenten und mit vielen flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen heute einen viel größeren Resonanzboden für solche Aufrufe. Vor diesem Hintergrund kann die Erklärung 2018 die rassistische Stimmung verschärfen, warnen Kritiker. Vor allem der Begriff »illegale Masseneinwanderung« suggeriere einen Zustand der Rechtlosigkeit, der juristisch nicht gedeckt sei, warnte die Publizistin Liane Bednarz im NDR. Auch der Deutsche Schriftstellerverband hat mit Unverständnis darauf reagiert, dass die Schuld für Verunsicherung und Ängste in der Gesellschaft Migranten in die Schuhe geschoben wird. Derweil spricht Lengsfeld von Einschüchterungen durch die »die staatlich finanzierten Netz-Denunzianten«, denen sie ein »Gebt es auf! Ihr schüchtert uns nicht ein«, entgegenhält. Es ist eine lange bekannte Methode, dass sich Rechte als Opfer einer linken Zensur sehen, sobald sie kritisiert werden.
Während Mieter/innen der Karl-Marx-Straße 179 seit 3 Wochen in ihren Wohnungen frieren, stellt die CDU in der BVV einen Antrag auf Abriss des Hauses.
Jan K. trägt eine dicke Jacke und einen Schal. Eine solche Kleidung ist bei den winterlichen Temperaturen der letzten Tage nicht ungewöhnlich. Doch K. trägt seine Wintersachen seit dem 28. Februar auch in seiner Wohnung. Seit diesem Tag gibt es in der Karl-Marx-Straße 179 weder Gas, noch Wasser. Deshalb ist es in der Hinterhauswohnung von K. so kalt wie draußen. Wenn er Wasser braucht, nimmt K. eine Gießkanne und geht zur Pizzeria im Vorderhaus. Auch das Lokal hat seit fast 3 Wochen kein Gas mehr. Warm ist es in dem Lokal allerdings durch die Heizstrahler. Der Pizzeria wurde der Gewerbemietvertrag bereits gekündigt. Auch mehreren Mieter/innen hat die Hausverwaltung Rexmann schon den Auszug empfohlen und Abfindungen angeboten. Ein Großteil des Hauses steht bereits leer. Circa 12 Mietparteien wohnen noch in dem großen Haus. Lange Zeit war die Miete relativ günstig, in einer Gegend, in der viele Menschen mit niedrigen Einkommen gelebt haben. Auch die Läden und Restaurants in der Umgebung waren darauf ausgerichtet. Doch das beginnt sich zu ändern.
Aufwertung im Rixdorfer Kiez
Das Grundstück Karl-Marx-Straße 179, das an den Comeniusgarten grenzt, wurde vor einigen Jahren an einen Luxemburger Immobilienfonds verkauft, der durch die Strategis AG vertreten wird. Diese plante, die Gewerbebauten im hinteren Teil abzureißen, um dort drei Häuser mit Eigentumswohnungen und einer Tiefgarage zu errichten. Nach Genehmigung des Bauantrages wurde das Grundstück gewinnbringend an den Hamburger Unternehmer Wolfgang Koehnk, den Mitbegründer der Pickens Selfstorage Lagerboxen, weiterverkauft. Er wird durch die Hausverwaltung Rexmann vertreten. Keine/r der Mieter/innen bekam bisher eine Modernisierungsankündigung oder irgendwelche Informationen zu den Baumaßnahmen. Am 26. Februar tauchten plötzlich Bauarbeiter der Firma ICAN auf, die bei Außentemperaturen von Minus 10 Grad Türen und Fenster aus den leerstehenden Gebäudeteilen herausrissen. Nachdem sie verschwunden waren, nahm ein Mieter starken Gasgeruch war. Die Gasag wurde informiert und sperrte sofort das Gas; für das Hinterhaus wurde auch das Wasser gesperrt. Die Baugewerbeaufsicht hat Anzeige gegen unbekannt gestellt. Derweil frieren die Mieter/innen weiter in ihren Wohnungen. „Auf eigene Rechnung die Handwerker beauftragen und dann den Vermieter zahlen lassen, kommt für uns nicht in Frage, weil niemand der Mieter/innen in Vorkasse gehen kann“, erklärt Jan K. Da die von der Bauaufsicht benannte Frist zur Wiederherstellung von Gas und Wasser schon eine Woche verstrichen ist, kündigte der Neuköllner Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann, eine Ersatzvornahme an. Das Bauamt könnte dann eine Firma mit der Reparatur der Gas- und Wasserleitungen beauftragen und die Kosten beim Vermieter eintreiben. Bisher ist es aber bei Ankündigungen geblieben.
CDU fordert Abriss des Hauses
Die Karl-Marx-Straße 179 wird am 21. März auch die BVV Neukölln befassen. Allerdings nicht, weil dort drei Woche Gas und Wasser abgestellt sind. Die CDU hat einen Antrag mit dem Titel „Wohnungsbau blockiert“ gestellt. Darin fordert sie das Bezirksamt auf sich dafür einsetzen, dass das Grundstück Karl-Marx-Straße 179 mit 40 neuen Wohnungen bebaut werden kann; außerdem „die notwendigen Abrissgenehmigungen für diese Fläche zu erteilen und die Blockade der Erschließungsmöglichkeiten für diese Baustelle aufzugeben.“ Dass in dem Haus noch Mieter/innen wohnen, wird in dem Antrag mit keinem Wort erwähnt. Während sie seit 3 Wochen in ihre Wohnungen frieren, geriert sich die CDU als Sprachrohr der Eigentümer.
aus: MieterEcho online 21.03.2018
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/entmietung-neukoelln.html
Peter Nowak
„Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Google enteignen sowieso“, diese Parole wurde am Samstag in Kreuzberg häufig skandiert. Um 15 Uhr startete bei kaltem Winterwetter der erste Kiezspaziergang gegen den im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße geplanten Google-Campus am Schlesischen Tor. Anfangs war es nur eine kleine Gruppe, die sich dort versammelt hatte. Doch beim Zug durch Kreuzberg schlossen sich weitere AnwohnerInnen dem Spaziergang an, der schließlich auf ca. 150 Menschen angewachsen ist. Darunter waren auch Menschen aus Spanien und der USA, die erst kürzlich nach Berlin gezogen waren und aus ihren Heimatstädten bereits Erfahrungen mit der Gentrifizierung von Stadtteilen durch Technologieunternehmen machten.
RednerInnen verschiedener linker Gruppen machten deutlich, dass es ihnen um mehr als um Google geht, was sich im Motto „Kiezspaziergang gegen Google und Co. ausdrückte. An der ehemaligen Cuvrybrache gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Dort will im nächsten Jahr der boomende Online-Versandhandel Zalando eine neue Zentrale eröffnen. Bereits vor einigen Wochen wurde der Rohbau gefeiert. Beim ehemaligen Postgebäude zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof wurde in einen Redebeitrag verdeutlicht, dass nicht nur MieterInnen mit geringen Einkommen durch Google und Co. verdrängt werden. So soll der Privatclub schließen, weil sich MitarbeiterInnen der in den Gebäude befindlichen Start-Up-Unternehmen über den Lärm beschwert haben, der mit Konzerten und Partys verbunden ist. Gekauft wurde das ehemalige Postgebäude von den Internet-Unternehmern Marc und Oliver Samwer. Sie gründeten 2007 das Unternehmen Rocket Internet, das sich als weltweit agierende Start Up-Fabrik versteht. „Die Samwers sind binnen kurzer Zeit Globalplayer geworden, ihre Start Ups erobern alle Kontinente. In vielen Teilen der Welt ist Rocket das neue Synonym für Internet made in Germany“, schreibt das Handelsblatt bereits vor 5 Jahren. In Kreuzberg sind die Samwer-Brüder zum Synonym für Verdrängung und Vertreibung geworden.
Solidarisch mit dem Kampf der Beschäftigten von Amazon
Die Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP) stellte in einen Redebeitrag klar, dass ihr Protest sich nicht die Digitalisierung richtet, sondern dagegen, dass davon im Kapitalismus nur wenige profitieren. TOP ist auch Teil eines linken Bündnisses, das die Forderungen der Amazon-Beschäftigten nach mehr Lohn und einen Tarifvertrag unterstützt. Ein Transparent mit der Parole „Make Amazon pay“ wurde in der Demonstration getragen. Der Spaziergang endete vor dem ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße, wo voraussichtlich im August 2018 der Google-Campus eröffnet werden soll. „Es war der erste Kiezspaziergang gegen Google und Co. und da waren wir mit der Resonanz zufrieden“, zog eine Mitorganisatorin gegenüber MieterEcho Online ein positives Fazit. Doch sie stelle auch klar, dass in den nächsten Wochen die Proteste größer werden, müssen, wenn das Ziel erreicht werden soll. Der Kiezspaziergang zog auch durch die Wrangelstraße, wo im Sommer 2015 AnwohnerInnen monatelang einmal in der Woche auf die Straße gegangen sind, um die Schließung eines Gemüseladens zu verhindern. Viele der PassantInnen, die am Samstag am Rande standen, als der Kiezspaziergang vorbeizog, hatten sich vor drei Jahren an den Protesten der Initiative Bizim-Kiez beteiligt. Es wird sich zeigen, ob sie für den Protest gegen Google zu gewinnen sind. Eine Mitorganisatorin des Kiezspaziergangs betont aber auch, dass es der Kampagne „Google Campus verhindern“ nicht darum geht, allein Kreuzberg gegen den Angriff der Internetkonzerne zu schützen. Ihnen gehe es um eine grundsätzliche Kritik an diesen Konzernen. „Daher sagen wir nicht, Google solle doch nach Adlershof und nicht Kreuzberg hinziehen. Nein wir sagen, Google und Co. soll nirgend willkommen sein.“
Erster Kiezspaziergang gegen den geplanten Google-Campus am Samstag in Kreuzberg
„Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Google enteignen so- wieso“, diese Parole wurde am Samstag in Kreuzberg skandiert. Um 15 Uhr startete bei kaltem Winterwetter der erste Kiezspaziergang gegen den im ehemaligen Umspannwerk in der Ohlauer Straße geplanten Google-Campus. RednerInnen verschiedener linker Gruppen machten deutlich, dass es ihnen um mehr als um Google geht. An der ehemaligen Cuvrybrache gab es eine kurze Zwischenkundgebung. Dort will im nächsten Jahr der Online-Versandhandel Zalando eine Zentrale eröffnen. Bereits vor einigen Wochen wurde der Rohbau gefeiert. Beim ehemaligen Postgebäude zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof wurde in einen Redebeitrag moniert, dass die angesagte Location Privatclub schließen soll. MitarbeiterInnen der in dem Gebäude befindlichen Start- up-Unternehmen hatten sich über den Lärm beschwert, der mit Konzerten und Partys ver- bunden ist. Die Gruppe Theorie Organisation Praxis (TOP) betontein ihrem Redebeitrag, dass ihr Protest sich nicht gegen die Digitalisierung richtet, sondern dagegen, dass davon im Kapitalismus nur wenige profitieren. TOP war auch Teil eines linken Bündnisses, das die Forderungen der Amazon-Beschäftigten nach mehr Lohn und einem Tarifvertrag unterstützt. Ein Transparent mit der Parole „Make Amazon pay“ wurde getragen. Anfangs war die TeilnehmerInnenzahl des Spaziergangs recht bescheiden. Doch auf der Strecke schlossen sich weitere AnwohnerInnen an, die Zahl der Personen wuchs schließlich auf knapp 150. Cornelia Möller, die den Protest mit vorbereitet hat, zeigte sich mit der Resonanz zufrieden: „Doch in den nächsten Wochen müssen die Proteste bei hoffentlich besserem Wetter weitergehen und wachsen“, betonte Möller gegenüber der taz. Dass da noch Potenzial nach oben ist, zeigte sich beim Gang durch die Wrangelstraße. Viele der PassantInnen, die am Samstag am Rande standen, hat- ten im Sommer 2015 als Teil der Bizim-Initiative wochenlang gegen die Kündigung eines Gemüseladens in der Nachbarschaft protestiert.
Seit Monaten wird auf Transparenten und Plakaten gegen die Ansiedlung eines Google-Campus protestiert. Jetzt gingen die Gegner des Internetkonzerns in Kreuzberg wieder auf die Straße. Bereits am Freitag machten Anwohner zwischen 18 und 19 Uhr in der Nachbarschaft im Reichenberger-Kiez ihren Unmut über den geplanten Zuzug Luft. Beim Kiezspaziergang am Samstag stellten verschiedene Redner die Google-Pläne in einen größeren Zusammenhang. Einen Stopp machte der Kiezspaziergang an der ehemaligen Cuvrybrache. Dort steht hinter Zäunen der Rohbau für die Zentrale Zalandos. Auch an einer ehemaligen Poststation zwischen Görlitzer Park und Schlesischer Bahnhof gab es Redebeiträge. Dort soll der Privatclub verschwinden. Auf dem Spaziergang hieß es, man wolle dagegen kämpfen, dass in Kreuzberg Startups der rote Teppich ausgelegt werde, während Clubs, kleine Läden und Mieter, die nicht genug Geld haben, verschwinden müssen. Die Google-Gegner haben für die nächsten Wochen weitere Proteste in Kreuzberg angekündigt.
Sinnvoll wäre nicht eine moralische Kritik, sondern eine Bewegung für die sozialen Rechte aller Menschen wie in Spanien
„Herzlich Willkommen“, steht auf der Homepage von Pirmasens in der Pfalz. Doch der Gruß gilt nicht für alle. Denn nun macht die Stadt bundesweit Schlagzeilen, weil sie den Zuzug von anerkannten Migranten ohne Arbeit und Ausbildung stoppen will. Solche Maßnahmen wurden in den letzen Wochen in Cottbus und Freiberg ebenfalls verhängt.
Doch das Besondere im Fall Pirmasens ist, dass die Zuzugssperre mit dem Integrationsministerium in Rheinland Pfalz abgesprochen ist, das von der Grünen-Politikerin Anne Spiegel geleitet wird.
Ausnahmesituation in Pirmasens?
Eine Amtsträgerin mit Grünen-Parteibuch wird wissen, dass Zuzugssperren für Migranten bei Teilen der eigenen Basis äußerst kritisch beurteilt werden. Sicherlich gäbe da auch Proteste, wenn ein CDU-Politiker einen Zuzugstopp zu verantworten hätte. Daher hat Spiegel die Maßnahme auch mit einer Ausnahmesituation begründet:
„Wir sind bereit, Pirmasens kurzfristig zu helfen, da es dort eine besondere Situation gibt“, erklärte Integrationsministerin Anne Spiegel nach einem Gespräch mit den kommunalen Spitzenverbänden auf Arbeitsebene in Mainz. Pirmasens vermelde nicht nur einen besonders hohen Zuzug von Flüchtlingen, sondern befinde sich auch in einer wirtschaftlich schwierigen Lage, was den Integrationsprozess nachweislich erschwere.
„Wir sind grundsätzlich offen dafür, in diesem speziellen Fall eine Zuzugssperre für anerkannte Asylbewerberinnen und Asylbewerber und subsidiär geschützte Flüchtlinge zu ermöglichen“, erläuterte die Ministerin. Auf Arbeitsebene sollen nun rasch alle notwendigen Aspekte geklärt werden, um eine solche Zuzugssperre zügig umsetzen zu können.
Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz, Rheinland-Pfalz
Nun ist Pirmasens unbestritten eine schrumpfende Stadt. Die Einwohnerzahl verringerte sich von über 60.000 im Jahr 1960 auf mittlerweile knapp 40.000. Die Ursache liegt in der Deindustralisierung der Region. Die Räumung des US-Stützpunktes im Jahr 1997 wurde in der Region als weiterer Ausdruck der Krise wahrgenommen.
Eine ähnliche Situation gibt es auch in Kaiserslautern, das knapp 35 Kilometer von Pirmasens entfernt liegt. Der Journalist Christian Baron hat in seinen Buch Proleten, Pöbel, Parasiten die Stimmung bei den Zurückgebliebenen gut beschrieben. Danach käme man nicht auf die Idee, diese Gegend für Migranten zu empfehlen.
Nun gibt es ja gelegentlich Überlegungen, dass solchen Krisenregionen in Ost- und Westdeutschland besonders für die Ansiedelung von Migranten geeignet wären. Begründet wird das mit vielen leeren Wohnungen. Anders als in Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München könnten sicherlich in Pirmasens Menschen schnell eine Bleibe finden. Gerade wegen der niedrigen Mieten ziehen viele Migranten nach Pirmasens, und nicht weil sie die Stadt so attraktiv finden.
Gelegentlich wird auch die Ansicht geäußert, dass der Zuzug von Menschen in solchen wirtschaftlich abgehängten Gebieten auch ökonomisch von Vorteil sei. Nur zeigt auch das Beispiel Pirmasens, dass die Voraussetzung Wirtschaftsprogramme mit finanzieller Förderung wären. Es wäre eben äußerst naiv zu glauben, in schrumpfenden Städten und Regionen wäre Migration eine Konjunkturspritze.
Denn der Rückgang von Industrie und Einwohnern ist mit großen finanziellen Belastungen, einem Ausfall von Steuern und Abgaben und dem Wegfall von sozialen Einrichtungen, Bibliotheken und anderem verbunden. In den meisten Fällen ziehen aus solchen Regionen vor allem jüngere Menschen weg.
Diejenigen, die nicht weg können und wollen, sehen in den Migranten dann oft Konkurrenten und seien es nur bei den Essenstafeln. Das ist dann eine Gemengelage, in der die AfD und ähnliche Gruppierungen auf Zustimmung stoßen. Es wäre aber kurzschlüssig, dann nur den Rassismus zu kritisieren und nicht die soziale Situation.
Kaum Kritik an Zuzugssperre in Pirmasens
Wenn es in solchen abgehängten Regionen noch funktionierende linke Gruppen gibt, müssten sie soziale Rechte für alle unabhängig von der Herkunft fordern. Wenn linke Gruppen solche Regionen erst entdecken, wenn sie Meldungen über Zuzugssperren hören und dann vor allem den Rassismus kritisieren – und ansonsten in den Wohlfühlzonen der großen Städte leben -, werden sie wenig erreichen können. Veränderungen müssten vor allen von regionalen Initiativen kommen.
Sowohl in Freiberg als auch in Cottbus wurde die Zuzugssperre von Initiativen kritisiert, die vor Ort mit Migranten arbeiten. Interessant ist, dass die Kritik nach der Zuzugssperre in Freiburg bundesweit vernehmbar war. Im Fall von Pirmasens spricht selbst die Taz von einer Notbremse.
Nun ist jede Zuzugssperre, wenn man vom Recht auf Mobilität für alle ausgeht, eine Einschränkung dieses Rechts. Nur wäre es auch traumtänzerisch, die soziale Situation in den Regionen einfach auszublenden. Hier müsste auch die Kritik ansetzen. Es gibt weltweit Modelle, wo Gelder aus ökonomisch starken in ökonomisch abgehängte Regionen geflossen sind, um dort die soziale Infrastruktur und die Lebenssituation der dort lebenden Menschen zu verbessern.
Eine solche Politik wurde in der Sowjetunion und in Jugoslawien in der Gründungsphase praktiziert, aber in den 1960er und 1970e Jahren auch in Italien. Der Transfer von Geldern in das verarmte Süditalien war dann wieder der Grund für einen Wohlstandschauvinismus der „reichen Provinzen“ aus dem Norden. Die rechte Lega Nord hetzte anfangs besonders gegen die Bewohner aus dem Süden des Landes, bevor sie den Kampf gegen die Migranten auf ihre Fahnen geschrieben hat.
Nun müssen sich separatistische Bewegungen aus reichen Regionen generell die Frage stellen, ob nicht ein Grund für die Loslösungsbewegung auch die Weigerung ist, für die Schwestern und Brüder in den ärmeren Regionen zu bezahlen. Selbst die sich links gebende katalonische Unabhängigkeitsbewegung ist vor diesen Fragen nicht gefeit.
Grenzenlose Solidarität ist mehr als Antirassismus
Da war es schon eine erfreuliche Überraschung, dass am 28.2. von Initiativen aus dem spanischen Staat wieder mal eine länderübergreifende Solidaritätsaktion initiiert wurde, in der es nicht um das Recht auf Lostrennung und um einen eigenen Staat ging.
Mieterbündnisse riefen zu einer Kundgebung vor der spanischen Botschaft auf, um sich mit den Forderungen der Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH) zu solidarisieren. Die Plattform hatte zu diesem transnationalen Aktionstag aufgerufen, um Druck auf die rechte spanische Regierung auszuüben.
Diese blockiert einen vom PAH eingebrachten Gesetzentwurf, der Zehntausenden von Mietern in Spanien mehr Rechtssicherheit geben würde. Unter anderem soll folgendes festgeschrieben werden:
Banken dürfen keine Kredite mehr vorgezogen kündigen
Es soll eine Regulierung und Mieterschutz eingeführt werden, kommunale Wohnungen und Sozialwohnungen für arme Familien
Alle Zwangsräumungen werden ausgesetzt
Das Verbot von Leerstand und die Zuweisung leerstehenden Wohnraums durch die Kommunen an Familien ohne Wohnung
Die Sicherstellung der Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gas auch für arme Familien, die Zahlungsrückstände haben.
Die spanische Initiative sollte aber Linke in Deutschland nicht nur zu Solidaritätskundgebungen anregen. Enthält der Maßnahmenkatalog nicht einige Punkte, die auch in vielen Städten in Deutschland sehr aktuell wären?
Ein Zwangsräumungsmoratorium wird nicht mal in Berlin von der außerparlamentarischen Linken diskutiert, obwohl dort aktuell eine Senatorin der Linkspartei regiert: Auch die Sicherstellung der Grundversorgung für alle, unabhängig, ob sie Zahlungsrückstände haben oder nicht, wäre in Pirmasens genau so aktuell wie in Berlin und anderen Städten.
Gäbe es Bündnisse, die solche Forderungen aufstellen und auch bereit wären, dafür Druck zu machen, stünde die Linke auch in Deutschland besser da. Dann könnte sie auch mehr Zugang zu einkommensarmen Menschen bekommen und dann wäre es auch möglich, mit ihnen darüber zu diskutieren, dass ein Kampf um soziale Rechte nicht auf Nation und Herkunft begrenzt ist.
Doch bisher ist eine solche Bewegung höchstens in manchen Großstädten in Ansätzen vorhanden, in ökonomisch abgehängten Städten wie Pirmasens ist sie nahezu unbekannt.