Ein langer Weg zum Frauenkampftag

Sibylle Plogstedt legte eine lesenswerte Geschichte der DGB-Frauen vor

Der Weg zur Emanzipation der DGB-Frauen in der eigenen Organisation war ein steiniger. Bürokratische Hindernisse und ideologische Differenzen galt es zu überwinden.

»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, heißt es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB- Bundesvorstand durchsetzen, dass sich gewerkschaftliche Frauen nicht an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war Mitglied der Kommunistischen Partei. Nachdem örtliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der Besucherinnen gewachsen war, beschloss der DGB eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren.

Dabei war man aber bemüht, den Tag von Clara Zetkin zu trennen. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Die heute weitgehenden vergessenen Querelen um den 8. März im DGB verdanken wir dem Buch »Wir haben Geschichte geschrieben«, dass Sibylle Plogstedt herausgegeben hat. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage.

Die hatte anders als die heute bekanntere Emma schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht. Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistete Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt nachweist.

Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen die DGB-Frauen nicht mehr unter der Ägide von CDU-Frauen. Dass mehr als vier Jahrzehnte Mitglied von CDU/CSU für dieses Amt zuständig waren, ist allerdings nicht der Wille der DGB-Frauen gewesen.

Vielmehr zeigt Plogstedt auf, wie die sich sogar dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte in ihren Augen zwei Minderheiten in einen Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. Plogstedt beschreibt die Folgen dieser bürokratischen Eingriffe. Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Christsoziale Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.

Sibylle Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann und sollte. Eine ähnliche Geschichte des FDGB wäre wünschenswert, denn der wird in dem Buch recht undifferenziert abqualifiziert.

Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen 1945- 1990, Psychosozial-Verlag, 519 Seiten, 19,90 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926159.ein-langer-weg-zum-frauenkampftag.html

Peter Nowak

„Über Ausbeutung geredet“

Seit dem 1. Februar streiken in Dresden-Neustadt drei Kellner der Szenekneipe »Trotzdem«. Wolf Meyer ist einer von ihnen und hat mit der Jungle World gesprochen.

Was ist der Grund eures Streiks?

Die Kneipeninhaberin hat drei gewerkschaftlich in der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union organisierten Kellnern zum 28. Februar gekündigt. Die FAU hat die Chefin zur Rücknahme der Kündigung und zum Abschluss eines Haustarifvertrags aufgerufen. Nachdem keine Reaktion kam, haben wir den Streik begonnen.

Weshalb wurde euch gekündigt?

Die Chefin erklärte, es habe Diebstähle im Warenlager gegeben, die an die Substanz gingen. Da mehr Leute als die drei Gekündigten als mögliche Täter in Frage kommen, sehen wir den Vorwurf als Verleumdung. Mittlerweile hat sie klargestellt, dass zu dem Lager sogar ihre Verwandten Zugang haben.

Steht die Kündigung im Zusammenhang mit eurer gewerkschaftlichen Tätigkeit?

Es ist auffallend, dass nur die drei gewerkschaftlich Organisierten gekündigt wurden, obwohl keinem ein Diebstahl nachgewiesen wurde. Wir haben uns vor einem Jahr in der FAU organisiert und im Mai 2013 eine Gehaltserhöhung von 20 Prozent durchgesetzt. Bei der nächsten Lohnverhandlung für den von uns zunächst angepeilten Mindestlohn von 8,50 Euro sind wir der Inhaberin entgegengekommen und haben vorgeschlagen, die Preise auf die Getränke leicht zu erhöhen und darüber zu informieren, dass damit höhere Löhne für die Beschäftigten bezahlt werden sollen. Die Preiserhöhung hat stattgefunden, die Information über die Lohnerhöhung auf 8,50 Euro nicht mehr.

Wie läuft der Streik ab?

Jeden Tag ab 20 Uhr organisieren wir Streikposten vor der Kneipe. Neben den FAU-Mitgliedern beteiligen sich auch viele Unterstützer.

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?

Die ersten zwei Streiktage hatte die Chefin die Kneipe geschlossen. Danach wurde sie mit Hilfe von Streikbrechern wieder geöffnet. Positiv sehen wir, dass im Dresdner Szenebezirk Neustadt wieder über die Ausbeutung am Arbeitsplatz geredet wird. Schließlich sind die Löhne in vielen Kneipen sehr niedrig. Die Rechte von Arbeitnehmer­innen und Arbeitnehmern werden unterlaufen. Das hat unsere Branchensektion Nahrung und Gastronomie mit einem Lohnspiegel, der auf unserer Homepage (www.libertaeres-netzwerk.org/allgemeines-syndikat/bng) zu finden ist, deutlich gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2014/07/49333.html

Small Talk von Peter Nowak

»Nicht der richtige Weg«

Die Arbeitsagentur Ulm hat Ende Januar Marcel Kallwass, einem 22jährigen Studenten der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA), fristlos gekündigt. Dem Rauswurf waren Auseinandersetzungen vorausgegangen. Kallwass hat mit der Jungle World gesprochen.

Was war der Anlass für Ihren Rauswurf?

Ich habe den hochschulinternen Mailverteiler genutzt, um mein zweites Flugblatt zu verschicken und eine Debatte unter den Studierenden anzustoßen. Inhaltlich argumentiere ich im Flugblatt, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass der Job beim Arbeitsamt und Jobcenter sozial ist. Der genaue Inhalt kann auf meinem Blog http://kritischerkommilitone.wordpress.com nachgelesen werden.

Wie wurde Ihre Kündigung begründet?

Wie bei den zwei Abmahnungen Ende vergangenen Jahres wurden mir Beleidigung des Arbeitgebers, Verletzung der Loyalitätspflicht und Verstoß gegen interne Vorschriften vorgeworfen. Die Agentur betrachtet die Nutzung des hochschulinternen Verteilers als rechtswidrig, da eine private Nutzung nicht erlaubt sei.

Warum haben Sie ein Studium an der HdBA begonnen?

Ich wollte Berufsberater werden, weil ich damit die Vorstellung verbunden habe, junge Menschen zu unterstützen. An der HdBA hat mir vor allem die Verbindung zwischen der akademischen Ausbildung und der Praxis gefallen.

Wann haben Sie begonnen, Kritik zu äußern?

Ich habe im Rahmen des Studiums im Jobcenter Ulm hospitiert. Dort habe ich zweimal mitbekommen, wie Erwerbslose sanktioniert wurden. Mir war sofort klar, dass es nicht der richtige Weg ist. Ich habe in der Hochschule Diskussionen über die Sanktionen angeregt. Dabei musste ich feststellen, dass viele Kommilitonen die Sanktionen befürworten.

Haben Sie deshalb die Auseinandersetzung auch außerhalb der Hochschule geführt?

Nachdem ich viele Diskussionen in der Hochschule geführt hatte und dabei an eine Grenze gestoßen war, begann ich, meine Kritik auf meinem Blog zu veröffentlichen. Damit wollte ich auch meine Solidarität mit der Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann ausdrücken, die wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System vom Dienst suspendiert wurde.

Wie reagieren Sie auf die Kündigung?

Proteste gegen den Rausschmiss sind in Mannheim und Ulm geplant. Am 20. Februar wird es in Mannheim eine Diskussionsveranstaltung zum Widerstand gegen Hartz IV geben.

http://jungle-world.com/artikel/2014/06/49292.html

Small Talk von Peter Nowak

Kapital & Scheiterhaufen

Peter Nowak* über Federicis Versuch zur Aktualität der Hexenverfolgung
Die US-Professorin Silvia Federici, in den 1970ern Mitgründerin des International Feminist Collective und eine der InitiatorInnen der Forderung nach einem „Lohn für Hausarbeit“, wurde in Deutschland durch das 2012 erschienene Buch „Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution“ (Edition Assemblage) bekannter. Dort sind mehrere Aufsätze dokumentiert, in denen die kapitalistische Krise von einem feministischen Standpunkt analysiert, dem Zusammenhang von Reproduktions- und Produktionsarbeit nachgeht und Überlegungen zu einer feministischen Ökonomie der Gemeingüter (Commons) anstellt. Fast zeitgleich mit diesem Sammelband hat der Wiener Mandelbaum-Verlag in seiner Reihe „Kritik & Utopie“ einen ursprünglich bereits 2004 erschienenen geschichtswissenschaftlichen Grundlagentext von Federici übersetzt und einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, der als Ergänzung zu den o.g. genannten klassischen Themen der feministischen „Hausarbeitsdebatte“ gelesen werden kann.
„Caliban und die Hexe“ zeichnet die Entrechtung der Frauen am Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus nach und verbindet diese Entwicklung mit der zeitgleichen Trennung der Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land. Übersetzt wurde das Buch von Max Henninger, der auch „Aufstand aus der Küche“ ins Deutsche übertragen hat. Als koordinierender Redakteur der Webseite Sozial.Geschichte.Online ist er auch Experte für soziale Bewegungen und damit als Übersetzer von Federicis Texten insofern besonders geeignet, als Federici mehrfach betont, dass sie mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten aktuellen sozialen Kämpfen ein theoretisches Fundament liefern will.
Die Autorin nennt in der Einleitung zwei Motive, dieses Buch zu schreiben: „Erstens ist es der Wunsch, die Entwicklung des Kapitalismus aus feministischer Perspektive neu zu reflektieren, allerdings unter Vermeidung der Beschränkungen einer Frauengeschichte, die sich von der Geschichte des männlichen Teils der Arbeiterklasse absetzt“ (S. 12). Als zweite Motivation benennt sie „die weltweite, mit der globalen Ausbreitung kapitalistischer Verhältnisse einhergehende Wiederkehr einer Reihe von Erscheinungen, die gemeinhin mit der Genese des Kapitalismus in Verbindung gebracht werden“ (S.12). Denn die blutige Hexenverfolgung gehöre nicht der Vergangenheit an, wie Federici u.a. mit Verweis darauf, dass in Afrika und Asien Hexenverfolgungen zunehmen, zeigen möchte. Sie sieht dabei einen Zusammenhang mit den von Weltbank und IWF forcierten Angriffen auf die Subsistenzwirtschaften auf diesen Kontinenten.
Schon im Titel wird auf William Shakespeares Theaterstück „Der Sturm“ Bezug genommen, das genau in der Übergangszeit vom Feudalismus zum Kapitalismus geschrieben wurde. Federici liefert eine besondere Lesart dieses Textes, zu dessen Schlüsselfiguren Caliban, der Sklave des Zauberers Prospero, gehört: „In meiner Interpretation steht Caliban jedoch nicht für den antikolonialen Rebellen, dessen Kampf in der zeitgenössischen karibischen Literatur nachhallt, sondern er ist Symbol des Weltproletariats, genauer: des proletarischen Körpers als Terrain und Mittel des Widerstands gegen die Logik des Kapitalismus“ (S. 12).
Kapitalismus als Konterrevolution
Wie Federici bedient sich auch das Autorenduo Rediker/Linebaugh operaistischer Parameter bei ihrer Betrachtung der Geschichte. Im Gegensatz zum traditionellen Marxismus lehnen alle drei eine historische Zwangsläufigkeit ab, die vom Feudalismus über den Kapitalismus zum Sozialismus führen soll, und sprechen im Gegensatz zu Marx dem Kapitalismus in keiner Phase emanzipatorische Potentiale zu. „Der Kapitalismus war eine Konterrevolution, die die aus den antifeudalen Kämpfen hervorgegangenen Möglichkeiten zerstörte“ (S. 26), schreibt Federici. Sie bezieht sich dabei auf die europaweiten Kämpfe von Bauern, Landarbeitern und städtischen Armen, die im 15. und 16. Jahrhundert in Europa wirkungsmächtig waren. Für das Territorium des heutigen Deutschlands zählen dazu etwa die Bauernkriege und ihre Nachfolgeaufstände, die bis zu der kurzen Herrschaft der Wiedertäufer in Münster reichen. Federici weist mit Recht auf die europaweite Dimension dieser Kämpfe hin und zeigt auch, dass sich bekannte Intellektuelle und Künstler ihrer Zeit mit den Aufständischen solidarisieren. Wenn sie in diesen Bewegungen, wie auch in den Ketzerbewegungen des europäischen Mittelalters, unbedingt emanzipative Momente entdecken will, wirkt das allerdings manchmal etwas bemüht. Allzu wohlwollende Lesarten versieht sie oft selbst mit Fragezeichen. Schließlich ist die Quellenlage schlecht, und oft sind Berichte über diese Bewegungen nur von ihren Verfolgern überliefert.
Hexenverfolgung als Teil des Kampfes gegen die ArbeiterInnenbewegung
Das bezieht sich auch auf die Hexenverfolgung, die in den letzten beiden Kapiteln ausführlich dargestellt wird. Dabei kritisiert sie die Gleichgültigkeit und Ignoranz dieser „großen Hexenjagd“  (S.201)   gegenüber auch bei marxistischen Historikern und bei Marx selbst: „Marxens Analyse der ursprünglichen Akkumulation erwähnt auch die ‚Große Hexenjagd‘ des 16. und 17. Jahrhunderts nicht, obgleich diese staatlich geförderte Terrorkampagne für die Niederlage der Bauern von zentraler Bedeutung war, da sie die Vertreibung der Bauern von den vormals gemeinschaftlich genutzten Ländereien erleichterte“ (S. 78).
Die Autorin begründet die These hauptsächlich damit, dass die Frauen zu den Hauptträgerinnen des Widerstandes gegen die Einhegungen gehörten. Mit der Hexenverfolgung sei dieser Widerstand wesentlich geschwächt worden.
Für Federici gehören die Hexenverfolgungen zur Geschichte der Verfolgung der Arbeiterbewegung, denn es seien schließlich in der Regel Frauen aus der Unterklasse, die als Hexen verfolgt worden seien. „Die Hexenverfolgungen vertieften die Spaltung zwischen Männern und Frauen. Sie lehrten Männer, die Macht der Frauen zu fürchten, und sie zerstörten ein ganzes Universum von Praktiken, Glaubensvorstellungen und sozialen Subjekten, deren Existenz mit der kapitalistischen Arbeitsdisziplin unvereinbar war“ (S. 203). An anderer Stelle schreibt die Autorin: „Die Hexenverfolgungen dienten auch dem Aufbau einer patriarchalen Ordnung, unter der die Körper der Frauen, ihre Arbeit und ihre reproduktiven Vermögen unter staatliche Kontrolle gestellt und in ökonomische Ressourcen verwandelt wurden“ (S.  209 f).  Hier beschreibt Federici über Folgen der Hexenverfolgung. Bei ihr wird darauf aber eine Intention, als ob es gesellschaftliche Kräfte gegeben habe, die die Hexenverfolgung zielbewusst eingesetzt hätten, um den Widerstand gegen den Kapitalismus zu schwächen. Den Beweis dafür bleibt Federici aber schuldig. Gut heraus gearbeitet hat sie allerdings, wie widerständige Frauen auch dann noch  zu Hexen erklärt wurden, als sie nicht mehr am Scheiterhaufen endeten.
Das Feindbild Hexe habe sich auch nach dem Ende der großen Verfolgungen gehalten. Federici verweist hier auf die hetzerische Darstellung von politisch aktiven Frauen in der Pariser Commune, die an das Bild der Hexe erinnern. „1871 griff das Pariser Bürgertum instinktiv darauf zurück, um die weiblichen Kommunardinnen zu dämonisieren und ihnen vorzuwerfen, sie wollten Paris in Brand stecken“ (S. 251). Man könnte dieses Beispiel durch die Darstellung politisch aktiver Frauen in der bayerischen Räterepublik ergänzen, auf die der Autor Klaus Theweleit in dem Buch „Männerphantasien“ hingewiesen hat.
Angriff auf die Subsistenz
Federici beschäftigt sich in einem Kapitel ausführlich mit der Politik der Einhegung und Einzäunung von Äckern und Weideland. Diese gewaltsame Trennung der Menschen vom Land, wo sie Nahrung anbauen und eine Subsistenzwirtschaft betreiben konnten, war bekanntlich eine Voraussetzung dafür, die Menschen in den Stand der „doppelt freien Lohnarbeit“ (Marx) zu setzen, die in den Manufakturen und Fabriken verrichtet werden musste. Marx fasste diesen Prozess der Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln in den Begriff der ursprünglichen Akkumulation. Doch für Federici geht Marx hier nicht weit genug. “Marx analysierte die ursprüngliche Akkumulation allerdings fast ausschließlich vom Standpunkt des Industrieproletariats aus“ (S. 77). Dagegen würde er die Veränderungen in der Reproduktion der Arbeitskraft und der Stellung der Frau kaum erwähnen. Hier setzt Federici an, wenn sie betont, dass die ursprüngliche Akkumulation „nicht allein in der Konzentration von Kapital und für die Ausbeutung verfügbarer   verfügbaren Arbeitern“ (S. 78) bestehe. Für sie gehört die „Akkumulation von Unterschieden und Spaltungen zwischen der Arbeiterklasse“ (S. 78) dazu. Sie benennt hierbei Hierarchisierungen, die auf Geschlecht, Rasse und Alter beruhen. Die Autorin unterstellt, dass (nur) ein heteronormatives Geschlechterverhältnis und eine entsprechend heterosexuelle familiäre Arbeitsteilung funktional für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Produktion seien. Zudem wirft sie vielen Marxisten vor, „die kapitalistische Akkumulation mit der Befreiung des Arbeiters oder  Einfügung ist richtig [der] Arbeiterin gleichzusetzen“ (S.78) und betont dagegen, dass der Kapitalismus „brutalere und listigere Formen der Versklavung“ (S. 78) habe.  Hier sind kritische Nachfragen angebracht. Wo haben welche Marxisten dem Kapitalismus pauschal das Verdienst der Befreiung der Arbeiter zugerechnet? Bei Marx selbst ist der doppelt freie Arbeiter ausdrücklich kein befreites Subjekt. Es geht bei Marx immer um eine Unterscheidung der Hinsichten: Freiheit von was und Freiheit zu was? Wenn Federici zudem vom Kapitalismus als einer besonderen Form der Versklavung spricht, geht der spezifische Unterschied zwischen einer Sklavenhaltergesellschaft, in der gerade keine Lohnarbeit in großem Maße vorhanden ist, und der kapitalistischen Ausbeutung verloren. Das sind nur zwei von vielen inhaltlichen Fragen, die sich nach der Lektüre von Federicis Versuch über die Entstehung des Kapitalismus stellen. Was bleibt, ist ein brillant geschriebenes, anregendes, mit vielen zeitgenössischen Motiven Bildern, Flugschriften und Karikaturen  versehenes Buch, das zur kritischen Debatte anregt, auch und gerade, wenn man ihre Argumente  nicht teilt .
http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak
Silvia Federici: „Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation“, übersetzt von Max Henninger, herausgegeben von Martin Birkner, 315 Seiten, Mandelbaum Verlag, Wien 2012, 24,90 Euro, ISBN 978-3-85476-615-5

Berliner Geschichte

»Keine Hundesteuer, keine Mietsabgaben, keine neuen Maschinen und im Tiergarten rauchen« – das waren die Forderungen einer Demonstration im Juli 1830, die als Berliner Schneideraufstand in die Geschichte einging. Mit dieser sozialen Bewegung beginnt der Historiker Axel Weipert seine »Geschichte des Roten Berlin«. Es folgen der Kartoffelaufstand am Mehringplatz 1847 und die Blumenstraßenkrawalle gegen Zwangsräumungen in Kreuzberg 1872, die vom Militär blutig unterdrückt wurden. Auch in der Weimarer Zeit legt Weipert das Augenmerk auf die Geschichte sozialer Bewegungen. Die beginnt mit den Revolutionären Obleuten, den eigentlichen Trägern der Novemberrevolution. Der Autor zeigt, wie die Rätebewegung von den Freikorps blutig unterdrückt wurde, die im Auftrag der SPD die Revolution abwürgten. Wenig bekannt sind die starke Erwerbslosenbewegung in der Frühzeit der Weimarer Republik und eine Schöneberger Siedlung, die noch in der Frühphase des Naziregimes als Rote Insel bekannt war. Weipert konzentriert sich auf den Stadtteil und selbstorgansierte Kämpfe. Diese wurden in der sozialdemokratischen Presse oft mit Krawall in Verbindung gebracht, etwa die Demonstrationen junger Erwerbsloser 1892 oder die Proteste von Obdachlosen einige Jahre später. Es ist verdienstvoll, dass Weipert diese von den Parteien und Gewerkschaften oft ignorierten oder gar diffamierten Kämpfe in seinem gut lesbaren Buch einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht.

http://www.akweb.de//ak_s/ak590/03.htm

Peter Nowak

Axel Weipert: Das Rote Berlin. Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830 – 1934. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2013. 251 Seiten, 29 EUR.

Massenmörder mit Familie

Ein Film stellt sich am Beispiel der deutschen Einsatzgruppen im Zweiten Weltkrieg die Frage, wie normale Männer Massenmörder wurden, blendet aber die deutschen Spezifika aus

Links

[1]

http://www.das-radikal-boese.wfilm.de/Das_Radikal_Bose/Start.html

[2]

http://www.amazon.de/dp/3930786532/ref=nosim?tag=telepolis0b-21

[3]

http://www.deathcamps.org/occupation/1005_de.html

[4]

http://www.amazon.de/dp/3863311388/ref=nosim?tag=telepolis0b-21

[5]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13680669.html

[6]

http://www.amazon.de/dp/3499608006/ref=nosim?tag=telepolis0b-21

[7]

http://www.edition-assemblage.de/generalstreik-und-marzkampfe-in-berlin/

Apologie von links?

Der Finanzanalyst Guenther Sandleben wirft linken Krisentheoretikern vor, nur die Banken zu kritisieren

Guenther Sandleben ist Finanzanalyst und verfasst Bücher zu ökonomischen Themen. Kürzlich hat er im Neuen-ISP-Verlag gemeinsam mit Jakob Schäfer das Buch »Apologie von links« herausgegeben, das sich kritisch mit unterschiedlichen linken Krisentheorien auseinandersetzt. Mit Sandleben sprach Peter Nowak.

nd: In Deutschland boomt die Wirtschaft. Warum reden Sie in Ihrem Buch trotzdem von Krise?
Sandleben: Zunächst würde ich die Erzählung vom deutschen Wirtschaftsboom stark relativieren. Die Industrieproduktion hat noch nicht einmal das Vorkrisenniveau von Anfang 2008 wieder erreicht. Zudem muss man über den deutschen Tellerrand blicken. In vielen Teilen der Welt und nicht zuletzt in der europäischen Peripherie ist kein Ende der Wirtschaftskrise abzusehen. Vieles spricht dafür, dass wir hier in Deutschlands Zukunft blicken.

Worauf stützen Sie diese Prognose?
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Weltmarktkrise auch auf Deutschland durchschlägt. Schließlich ist 2009 die deutsche Wirtschaft um fast fünf Prozent geschrumpft. Der gegenwärtige kleine Aufschwung, der zum Boom hochgelobt wird, basiert auf einer riskanten Geld-, Zins- und Verschuldungspolitik. Sie erleichtert die deutschen Exporte, unterminiert aber das Vertrauen ins Geld und kann nicht endlos verlängert werden.

Sie werfen prominenten linken Ökonomen wie Rudolf Hickel, Lucas Zeise oder Michael Heinrich vor, mit ihren Krisenerklärungen eine »Apologie von links« zu betreiben. Was meinen Sie damit?
Diese Ökonomen sehen die Ursache für die Krise im Banken- und Finanzsektor und nehmen die eigentliche Warenproduktion weitgehend aus. Damit aber vergeben sie eine gute Möglichkeit, die Krise zum Anlass zu nehmen, das kapitalistische Wirtschaftssystem insgesamt zu hinterfragen. Stattdessen wird die Lösung in der Regulierung der Banken und des Finanzsektors gesehen. Damit beschönigen sie die Verhältnisse.

Was ist das größte Problem bei dieser Krisenanalyse?
Dass diese Theorie nicht sachgemäß ist. Die Kredit- und Bankenkrise ist eine Folge der kapitalistischen Überproduktionskrise und nicht deren Ursache. So war die berühmte Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Folge der Krise im Immobilien- und Industriesektor. Weil Kredite nicht mehr bedient werden konnten, brach die Bank zusammen.

Was ist das Wesen der Überproduktionskrise?
Es wird mehr produziert als nachgefragt wird. Und zwar einerseits, weil die Investitionsgüternachfrage wegen Kapitalverwertungsschwierigkeiten plötzlich wegbricht, und andererseits, weil den Menschen Einkommen fehlt, um das Nötige zu kaufen. Ein gutes Beispiel ist die Überproduktion in der europäischen Auto- und Stahlindustrie, die mehr als 20 Prozent beträgt.

Welche Konsequenzen haben die unterschiedlichen Theorien für eine linke Antwort auf die Krise?
Wenn man die Ursache der Krise im Banken- und Finanzsektor sieht, kommt man zu Vorschlägen der Bankenregulierung, wie sie von Attac und vielen anderen Organisationen vorgetragen werden. Damit bleibt aber die kapitalistische Ökonomie, die doch gerade die katastrophale Krise verursacht hat, ausgeblendet. Teilweise werden sogar betriebliche Bündnisse gegen die Banken vorgeschlagen. Wenn man richtigerweise von der Überproduktionskrise ausgeht, dann gerät die kapitalistische Produktionsweise selbst in den Mittelpunkt der Kritik. Sie ist dafür verantwortlich, dass die Produktion von Waren eingestellt wird, weil sie sich nicht verwerten lassen, obwohl sie von den Menschen gebraucht werden. Dabei könnte die Überproduktion eine Bereicherung der Menschen bedeuten und das allgemeine Lebensniveau anheben. Hier sehe ich Perspektiven für eine überzeugende Kritik am Kapitalismus und der Formulierung von Alternativen, die bei einer Konzentration auf Banken und Finanzmärkte vergeben wird.

Aber der finanzgetriebene Kapitalismus ist doch real.
Der Realitätsgehalt liegt darin, dass in den letzten Jahrzehnten die Finanzmärkte stark angewachsen sind. Dieser Ausgangspunkt der von mir kritisierten Ökonomen ist korrekt. Doch falsch wird es, wenn diese davon ausgehen, dass der Antrieb der Profitvermehrung von dort kommt. Der liegt im Kapitalismus selber. Der Finanzsektor und die Warenproduktion bedingen einander. Es ist falsch, die Verantwortung für die Krise einseitig bei den Banken zu sehen. Das kapitalistische System als Ganzes enthält die zerstörerischen Krisenprozesse, mit all dem Elend, das daraus entsteht.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/920676.apologie-von-links.html

Interview: Peter Nowak

»Wir spüren Gegenwind«

Im Sommer nahm der Landesbezirk Hamburg der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi 300 Flüchtlinge als Mitglieder auf. Ein Gutachten der Verdi-Bundesverwaltung kam kürzlich jedoch zu dem Ergebnis, dass eine Mitgliedschaft von Flüchtlingen ohne Aufenthaltspapiere gegen die Satzung verstoße. Markus Kip vom »Arbeitskreis undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi gehört zu den Initiatoren eines Aufrufs für eine Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Wie hat Ihr Arbeitskreis im Sommer auf die Aufnahme der Flüchtlinge reagiert?

Wir sahen die Aufnahme als einen mutigen Schritt, die Gewerkschaft an ein Thema heranzuführen, dem bislang innerhalb der Organisation zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Welche Reaktionen gab es nun auf den Aufruf, den Ihr Arbeitskreis veröffentlicht hat?

Wir haben eine unerwartet große Resonanz erfahren. Viele Unterstützer drückten in ihren E-Mails ihre Empörung darüber aus, dass es offensichtlich keine Selbstverständlichkeit ist, dass sich Gewerkschaften auf die Seite der Entrechteten und prekär Beschäftigten stellen. Andere drückten Besorgnis aus, dass der in den vergangenen Jahren von Verdi praktizierten Solidarität mit undokumentierten Migranten die Grundlage entzogen werden könnte.

Gab es keine Kritik?

Inzwischen spüren wir auch Gegenwind. Einige können nicht verstehen, dass es reale Zugangsschwierigkeiten für Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus zu gewerkschaftlicher Organisation und Unterstützung gibt. Andere finden unser Vorgehen zu polarisierend

Was sagen Sie zu dem Argument, dass die Satzung der Gewerkschaft die Mitgliedschaft von Geflüchteten nicht vorsieht?

Ob diese Auslegung der Satzung in der Frage der Mitgliedschaft von Flüchtlingen beziehungsweise von Personen ohne Arbeitserlaubnis die richtige oder einzig mögliche ist, muss noch geprüft werden. In jedem Fall zeichnet sie sich durch falsche Annahmen aus.

Fordern Sie eine Satzungsänderung?

Das wird zu überlegen sein. Nun ist uns eine Diskussion zum gewerkschaftlichen Selbstverständnis wichtig angesichts der Tatsache, dass viele Lohnabhängige aus den unterschiedlichsten Gründen und auf den unterschiedlichsten Wegen in dieses Land gekommen sind. Entscheidend für uns als Initiatoren des Aufrufs ist, dass Lohnabhängige sich bei Verdi gewerkschaftlich organisieren können, um ihren Arbeitsrechten unabhängig vom Aufenthaltsstatus Geltung zu verschaffen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/01/49075.html

Interview: Peter Nowak

Gewerkschafter und Nazigegner

Handbuch stellt 95 Biografien von Häftlingen der KZ Sachsenhausen und Oranienburg vor

Ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Geschichte von Widerstand, Verfolgung und Emigration.

Aktive Gewerkschafter gehörten 1933 mit zu den ersten, die von den Faschisten verfolgt wurden. Oft waren sie sogar schon in der Weimarer Zeit Polizei und Unternehmen verdächtig, besonders wenn sie sich für die Rechte ihre Kollegen einsetzten. So konnten die Behörden ab 1933 vielfach auf bereits angelegte Akten zurückgreifen.

Nach 1945 engagierten sich Gewerkschafter, die die Befreiung vom Faschismus erlebt hatten, in Antifaausschüssen und gründeten die Gewerkschaften wieder. Oft starben sie aber viel zu früh infolge der Entbehrungen durch ihre Verfolgung und ihre Haft in Konzentrationslagern. Auch die schlechten Lebensbedingungen in der Arbeiterklasse spielten dabei eine Rolle. Etliche solcher Gewerkschafter sind leider heute vergessen. Daher ist es besonders verdienstvoll, dass seit einigen Jahren an der Freien Universität Berlin das Forschungsprojekt »Gewerkschafter/innen im NS-Staat. Verfolgung – Widerstand – Emigration« den oft namenlosen Verfolgten ein Gesicht gibt. Ein kürzlich im Metropolverlag veröffentlichtes Handbuch stellt die Biografien von 95 Gewerkschaftern vor, die in den KZ Sachsenhausen und Oranienburg inhaftiert waren.

Die Biografien sind sehr interessant und lebendig geschrieben. Dabei war die Quellenlage oft schwierig. Schließlich sind Gewerkschafter in der Regel keine Personen des öffentlichen Interesses gewesen. Daher wurden oft auch die Vernehmungsakten der politischen Polizei und der Gestapo herangezogen. Wenn es möglich war, wurden noch andere Dokumente benutzt. Dazu gehören auch die Berichte, die die Gewerkschafter nach 1945 in Ost- wie Westdeutschland geschrieben haben, um als Verfolgte des Naziregimes anerkannt zu werden. Erfreulich ist, dass die Autoren der Beiträge hier weder eine bloße Heldengeschichte des Widerstands schreiben, noch den Kampf gegen die Nazis im Nachhinein kleinreden wollen.

Die Leser lernen Menschen in all ihren Widersprüchen kennen, mit ihrem Mut und politischem Willen, aber auch mit ihren Zweifeln, Ängsten und Fehlern. Gerade das macht die Lektüre so anregend. Gleich bei Paul Albrecht, der ersten vorgestellten Person, werden diese Widersprüche deutlich. Als junger Mann war er in der anarchosyndikalistischen Jugend Thüringens aktiv, wechselte Ende der 1920er zur KPD und engagierte sich in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurde er inhaftiert und misshandelt. Am 1. Juni 1933 wurde er ins Konzentrationslager gebracht. Nach seiner Freilassung leistete er weiter Widerstand. Zwischen 1945 und 1949 war Albrecht als Landrat von Genthin im Zuge der Bodenreform an der Aufteilung von Großgrundbesitz beteiligt. Doch nachdem einige Briefe bekannt wurden, die er 1938 geschrieben hatte, als er mit seiner geschiedenen Ehefrau einen Sorgerechtsstreit um den Sohn führte, verlor Albrecht sein Amt und wurde aus der SED ausgeschlossen. In den Briefen hatte er erklärt, mittlerweile auf den Boden des Dritten Reiches zu stehen. Er warf dort seiner Frau vor, weiter mit Juden zu verkehren. Erst viele Jahre später, nachdem Albrecht Selbstkritik geübt hatte, wurde er wieder in die SED aufgenommen, bekam aber nur noch Verwaltungsposten beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB).

Es ist unverständlich, dass die Forschungsstelle noch immer ohne große finanzielle Mitteln auskommen muss und ohne das ehrenamtlichen Engagement vieler Studenten und Wissenschaftler ihre wichtige Arbeit nicht fortsetzen könnte.

Mielke Siegfried, Stefan Heinz (Hrsg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen, Biografisches Handbuch, Band 4, Metropol, 870 Seiten, 36 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/919656.gewerkschafter-und-nazigegner.html

»Mich hätten sie damals auch mitgenommen«

Mit einem Videoprojekt erinnern junge GewerkschafterInnen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen an die Nazizeit

»Widerstand leisten – zu jeder Zeit und überall!« lautet das Motto einer antifaschistischen Videoreihe der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. Der Bezirksjugendsekretär der Gewerkschaft Christian Schletze-Wischmann hat das Projekt zusammen mit jungen GewerkschafterInnen initiiert. Mit ihm sprach für »nd« Peter Nowak.

nd: Wie ist die Idee zu dem Videoprojekt »Widerstand leisten – zu jeder Zeit und überall!« entstanden?

Schletze-Wischmann: Die IG Metall Jugend Berlin Brandenburg Sachsen hat ihre Tradition im Kampf gegen Nazis. Ob bei Gegendemonstration kleinerer wie größerer Naziaktivitäten, Unterstützung von Bündnissen gegen Nazis und vor allem im Rahmen unserer politischen Bildung stehen wir für eine demokratische Gewerkschaftsbewegung.

Im Kreise unserer aktiven Metaller entstand die Idee,  sich im Rahmen des 80. Jahrestags der Zerschlagung der Gewerkschaften mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Zudem sollte etwas Besonderes dazu entstehen. Es sollte eine Botschaft vor allem für die sozialen Netzwerke sein. Wir wollen einfach unseren Kollegen danken, dass sie trotz Verfolgung und Inhaftierung weiterhin Widerstand geleistet haben. Wir wollen ganz klar zum nachdenken und zum kämpfen animieren.

War es schwer, eine Genehmigung für das Drehen der Videos im ehemaligen KZ zu bekommen?
Dank der Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg konnten wir direkt vor Ort drehen und so dem Projekt eine besondere Stimmung geben.  Als Recherchegrundlage konnten wir das von   war das von Siegfried Mielke und Stefan Heinz  im Metropol.-Verlag herausgegebene Buch: „Funktionäre des Deutschen Metallarbeiterverbandes im NS-Staat. Widerstand und Verfolgung“.
Warum war der Bezug auf die historischen Widerstandskämpfer für den Kampf gegen Neonazis wichtig?
Es geht um die einfache und leicht verständliche Botschaft, dass wir aktive Gewerkschafter heutzutage, würden die Nazis an die Macht kommen, die Ersten wären, die ihrer Freiheit beraubt würden. Genau wie unsere Kollegen vor 80 Jahren. Wir spitzen es in den Videobeiträgen mit der Aussage zu: „Vor 80 Jahren hätten mich die Nazis auch mitgenommen“. Das Unterschätzen der Nazis und die von Teilen der Gewerkschaften vollzogene Anpassungsstrategie kurz vor der Zerschlagung 1933 haben dazu beigetragen, dass es im Endeffekt so leicht für die Nazis gewesen ist. Wir lernen daraus, dass konsequenter Widerstand der bessere Weg ist.
Gab es mehr Interessenten für die Sprecherrollen und nach welchen Kriterien wurden sie ausgewählt?
Wir haben uns in einem Seminar ausführlich mit den Hintergründen der Machtergreifung durch die Nazis beschäftigt und mit den Teilnehmer die Videoidee entwickelt, dass jeder einen Paten des DMV (Deutscher Metallarbeiterverband) vorstellt. Da wir mit unserem IG Metall Bezirk drei Bundesländer abdecken, haben wir geschaut, dass wir aus allen drei Bundesländern auch Kollegen vorstellen. Das haben wir dann auch mit den aktiven Metallern verbinden können, so dass nicht nur ein politischer, sondern auch ein lokaler Bezug entstand. Im Endeffekt sind wir Anfang März mit 15 Kollegen nach Oranienburg und haben 11 Folgen plus ein Hintergründe-making- of an zwei Tagen drehen können.
Welche Reaktionen gab es bisher auf die Videos?
Nur Positive. Wir freuen uns natürlich, dass wir im gesamten Themenjahr zur Zerschlagung einen eigenen besonderen Beitrag leisten konnten.

Sind Sie nur für junge Leute gedacht?
Nein. Der Widerstand gegen Nazis hat keine Altersgrenze!

Wo werden die Videos eingesetzt?
Innerhalb der IG Metall und anderer Gewerkschaften beispielswiese auf den Veranstaltungen zum 1. Mai, auf unserem youtube-Kanal www.youtube/igmbbs und auf unserer Facebook-Seite https://www.facebook.com/IgMetallJugendBerlinBrandenburgSachsen. Nach Rücksprache mit uns, können die Clips auch für Veranstaltungen verwendet werden. Wir würden uns z.B. über interessierte Schulen freuen.

Sind Nachfolgeprojekte geplant?
Die Herausforderung, dass Geschichte einen Bezug zum heutigen Leben junger Menschen hat und daraus gemeinsam eine politische Botschaft zu entwickeln, nehmen wir auch in Zukunft an.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/919135.mich-haetten-sie-damals-auch-mitgenommen.html
Interview: Peter Nowak

Rauswurf aus dem Euro riskieren

Griechisches Linksbündnis Antarsya fordert grundlegend andere Krisenpolitik

Manos Skoufoglou ist Mitglied im Nationalen Komitee des linken griechischen Bündnisses Antarsya. Die »Antikapitalistische linke 
Zusammenarbeit für den Umsturz« wurde 2009 aus zehn Einzelorganisationen gegründet. Bei der letzten Wahl des griechischen Parlaments im Juni 2012 erhielt Antarsya 0,33 Prozent der Stimmen. 
Mit Skoufoglou sprach für »nd« 
Peter Nowak.

nd: Die griechische Regierung steht dieser Tage wieder unter besonderer Beobachtung der internationalen Kreditgeber. Der Protest gegen weitere Kürzungen und Sparmaßnahmen hat deutlich abgenommen. Hat sich die außerparlamentarische Bewegung kleinkriegen lassen?
Tatsächlich gab es nach den außerparlamentarischen Massenbewegungen von 2011 eine Ernüchterung und die Bewegung ging zurück. Doch in den letzten Wochen hat eine neue Welle begonnen. Teilweise sind Menschen wieder dabei, die schon 2011 auf der Straße waren. Aber auch neue Kräfte sind dazu gekommen. Viele der Menschen haben versucht, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Aber sie haben erfahren müssen, dass ihnen immer neue Zumutungen abverlangt werden und sagen sich, dass es ihnen reicht.
nd: Welche Rolle spielen die Gewerkschaften heute in der Protestbewegung?
M.S.: Sie haben allein in diesem Herbst zwei Generalstreiks organisiert. Dass Problem ist aber, dass es nicht gelingt, längere Streiks zu organisieren, der  konkrete  Maßnahmen der Troika und der Regierung verhindern könnte. Ein Grund dafür ist, dass verschiedene  Gewerkschaften getrennt agieren und nicht zusammen arbeiten.
nd: Antarsya ist nicht im griechischen Parlament vertreten. Welche Rolle messen Sie sich selbst in der Opposition zur Krisenpolitik bei?
Bei Wahlen ist unser Einfluss begrenzt. Wir haben  keinen Abgeordneten im griechischen  Parlament, nur in einigen Bezirken und Städten haben wir einige wenige Sitze errungen. Doch unser Einfluss in der außerparlamentarischen Bewegung ist größer.  Schließlich arbeiten in dem in unserem Bündnis organisierten Gruppen  ca. 3000 Menschen kontinuierlich zusammen. Viele von ihnen sind in den sozialen Bewegungen  aktiv.
nd: Was ist das Ziel dieser Arbeit, wenn doch eine Regierungsbeteiligung zur Zeit ausgeschlossen ist?
Bei Antarsya  handelt sich nicht um  kein temporäres Bündnis, das nur  für eine Aktion oder Kampagne ausgerichtet ist. Wir sind aber auch keine Partei. Wir legen großen Wert auf dezentrale Strukturen.  Die Mitglieder von  Antarsya kommen  aus unterschiedlichen linken Traditionen und Hintergründen. Unser Ziel ist eine pluralistische, nichtreformistische Linke.
nd: Wie ist Ihr Verhältnis zu dem linken Bündnis Syriza?
Da wir bei den Wahlen eigenständig kandieren, sind wir hier Konkurrenten. Grundsätzlich würden  wir es natürlich begrüßen, wenn eine progressive Kraft die Regierung übernimmt und einem grundsätzlichen Bruch mit der bisherigen Politik einleitet. Das Problem ist nur, dass Syriza  ihre Versprechen nicht einhalten können wird, weil die Partei nicht zu einem grundsätzlichen Bruch mit dem Kapitalismus bereit ist.
nd.: Können Sie dafür Beispiele nennen?
Vor einigen Monaten unterstützte Syriza noch die antifaschistischen Proteste auf der Straße. Als nach dem Mord an dem linken Rapper Pavlos Fyssas zehntausende zur Zentrale der Neonazipartei Goldene Morgendämmerung zogen, haben sich sämtliche Parteien auch Syriza ferngehalten. Sie haben die Demonstration sogar im Vorfeld denunziert. Stattdessen schlug Syriza ein Treffen aller verfassungsmäßigen Parteien, einschließlich der Regierungsparteien gegen den Faschismus vor. Kürzlich stimmte Syriza einem Gesetz der Regierung zu, dass die Finanzierung von Parteien verbietet, denen Terrorismus vorgeworfen wird, obwohl hier eine Handhabe geschaffen wird, auch gegen linke Gruppierungen vorzugehen.
nd: Haben Sie auch Kritik daran, dass Syriza Griechenland in der Eurozone halten  will?
Ja, vor allem,  weil sich auch in dieser Frage die Rhetorik von Syriza gewandelt hat. Vor den letzten Wahlen wurde noch betont, dass die bisherigen  Troika-Verträge neu verhandelt werden müssen. Nun erklären führende Syriza-Politiker, sie werden alles tun, damit Griechenland den Euro behalten kann. Damit wird aber auch hier eine grundsätzliche Änderung der Politik ausgeschlossen.
nd: Fordert Antarsya einen Austritt aus der Eurozone?
M.S.:  In dieser Frage gibt es bei uns unterschiedliche Positionen. Es gibt eine Strömung bei uns,  die einen Austritt aus dem Euro fordert. Doch einig sind wir uns darin, dass wir eine Wirtschafts- und Sozialpolitik machen sollen, die mit einem Verblieb in der Eurozone nicht vereinbar ist. Wir würden es also darauf ankommen lassen, dass wir von den EU-Gremien aus der Eurozone geworfen werden. Im Rahmen eines solchen Konfliktes rechnen wir auch mit einer Solidarisierung von sozialen Bewegungen in anderen europäischen Ländern.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/917792.rauswurf-aus-dem-euro-riskieren.html
Interview: Peter Nowak

„Anlass für Verfolgung“

Antiziganistisches Ressentiment und das Stereotyp der Kindesentführung. Interview mit Markus End

KONKRET: Ende Oktober führte die (falsche) Behauptung griechische Roma hätten ein blondes Mädchen entführt, in verschiedenen europäischen Ländern zu Polizeimaßnahmen. Auch in Irland wurde einer Familie von Roma ein blondes Mädchen weggenommen. Erst nach mehreren Tagen wurde das Kind wieder zu seinen Eltern gelassen. Erleben wir gegenwärtig die Renaissance eines klassisch gewordenen rassistischen Motivs?

Markus End: Das antiziganistische Motiv des Kindesraubs ist jahrhundertealt. Es geht ursprünglich auf eine Novelle des spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes zurück. Spätere literarische Werke, aber auch »wissenschaftliche« Publikationen, die »Zigeunern« Kindesentführungen zuschreiben, lassen sich auf diese Quelle zurückführen.

Zum Volksmythos wurde die Mär vom »zigeunerischen« Kindesraub wohl erst im 18. und 19. Jahrhundert. Seither diente sie immer wieder zum Anlaß für Verfolgungen. Als beispielsweise 1872 die Tochter eines Domänenpächters in Stettin verschwunden war, wurden polizeiliche Kontrollen von Sinti und Roma in ganz Preußen durchgeführt.

Warum tauchen diese Mythen im 21. Jahrhundert erneut auf ?

Es muß eher festgehalten werden, daß das Stereotyp vom Kindesraub nie verschwunden, sondern latent immer vorhanden war. So behauptete 2008 eine italienische Nicht-Romni in Neapel, eine Romni habe versucht, ihr Kind zu stehlen. Dies nahm die Nachbarschaft zum Anlaß, ein anliegendes campo nomadi mit Molotowcocktails und Eisenstangen anzugreifen.

Seit mehreren Monaten hält sich in verschiedenen deutschen Städten und auf Facebook die Legende, Roma würden bei H & M oder Primark kleine Kinder in die Umkleidekabinen ziehen, sie dort umkleiden, ihnen die Haare färben und sie dann entführen.

Zeigen die Nachrichten der letzten Wochen also eine europäische Normalität?

Was die Virulenz des Stereotyps vom Kindesraub betrifft, würde ich die Frage bejahen. Aber daß Medien und Öffentlichkeit weltweit unkritisch auf diesen Vorwurf Bezug nehmen, immer explizit mit Bezug auf das »Roma-sein« der Tatverdächtigen, das ist schon ein Novum.

Auf einer Pressekonferenz in Berlin beklagte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, das Schweigen der Politiker in dieser Angelegenheit. Gibt es keine Unterstützung für die diskriminierte Minderheit von offizieller Seite?

Rose hat recht. Mir ist in diesem konkreten Fall keine Äußerung von Personen des öffentlichen Lebens bekannt, die die mediale Behandlung dieses Vorgangs, während sie geschah, kritisiert hätten. Gleichzeitig wäre eine solche Behandlung heute gegenüber keiner anderen Minderheit in Europa denkbar.

Die Haar- und Augenfarbe spieltem in der Berichterstattung eine große Rolle. Wie erklärt sich dieser Rückfall in den Old-School-Rassismus, wo doch seit Jahren selbst in rechten Kreisen der kulturelle Rassismus dominiert?

Es könnte sein, daß es sich hier um die Folge eines antirassistischen Impetus handelt. Daß aus der »Rasse« auf das Verhalten geschlossen wird, ist – mit Recht – in die Kritik geraten und verpönt. Dies hat dazu geführt, daß Darstellungen, die Andersheit rein »phänotypisch«, aber ohne Rückschluß auf Verhalten inszenieren, heute harmloser erscheinen. Wenn in staatlichen Publikationen Roma dargestellt werden sollen, werden sie gegenwärtig verstärkt wieder mit ethnischen Zuschreibungen identifiziert. In eine solche Publikation hätte ein Foto der vermeintlich entführten Maria auch keinen Eingang gefunden.

So ist also ein fehlgeleiteter Antirassismus dafür verantwortlich, daß Eltern ihre Kinder weggenommen werden?

In dieser Form würde ich den Satz nicht unterschreiben. Ich will das mal an dem Beispiel aus Irland verdeutlichen. Dort riefen Nachbarn und Nachbarinnen die Polizei, weil sie sich nicht vorstellen konnten, daß eine Roma-Familie ein blondes Kind haben kann. Auch für die Polizei paßte das nicht. Hier stand die vermeintliche ethnische Differenz im Vordergrund, das Stereotyp lieferte lediglich eine unterstützende Erklärung. Wäre das Kind nicht blond gewesen, hätte die Polizei ja nicht auf Basis des Stereotyps einfach DNA-Tests aller Kinder der Familie durchgeführt. Darin liegt die Differenz zwischen der konkreten Praxis und der medialen Debatte. In dieser Debatte stand der Vorwurf des »Kindesraubs« im Vordergrund. Die blonden Haare fungierten lediglich als Bestätigung.

Hat der Rassismus gegen Sinti und Roma in der letzten Zeit insgesamt zugenommen, oder ist lediglich die mediale Aufmerksamkeit gewachsen?

Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten kam es zu einer Renationalisierung und -ethnisierung des Politischen. Gleichzeitig verschlechterte sich die ökonomische und soziale Situation sehr vieler Roma in diesen Staaten dramatisch, weil sie aufgrund bestehender Diskriminierung tendenziell stärker vom Zusammenbruch ganzer Industriezweige betroffen waren. In dieser Zeit haben Angriffe auf Roma und antiziganistische Diskurse in fast allen Ländern Europas stark zugenommen. Diese massive Ausprägung hat der Antiziganismus in Europa bis heute mehr oder weniger beibehalten. Daß darüber in der letzten Zeit verstärkt berichtet wird, ist einer gewachsenen medialen Aufmerksamkeit in Deutschland geschuldet.

Womit ist diese gewachsene Medienaufmerksamkeit zu erklären?

Vor allem in Deutschland ist sie die Folge einer Wahrnehmung von politischen Entwicklungen in verschiedenen EU-Ländern. Hinzu kommt, daß sich auch im Wissenschaftsbereich das Thema »Antiziganismus« als Forschungsgegenstand zu etablieren beginnt. Seit dem letzten Jahr hat die Beschäftigung mit Antiziganismus vor dem Hintergrund der sogenannten Armutsflüchtlinge noch einmal zugenommen.

Während verschiedene EU-Länder in der deutschen Medienberichterstattung im Fokus stehen, scheint der deutsche Antiziganismus für die Medien kaum eine Rolle zu spielen.

Dieser Eindruck ist richtig. In den deutschen Medien wird vor allem über Antiziganismus in anderen Ländern berichtet. Daß auch in Deutschland Menschen bei antiziganistischen Angriffen verletzt werden, daß Wohnhäuser von Sinti oder Roma angezündet wurden, daß auch in Deutschland eine weitverbreitete Alltagsdiskriminierung mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen besteht, sorgt in den Medien hingegen selten für Schlagzeilen. Romani Rose sagte in der Pressekonferenz am 5. November, daß Roma und Sinti sich in Deutschland tagtäglich verstecken müssen – dies sei »der schlimmste Vorwurf, den man nach Auschwitz an diese Gesellschaft richten kann«.

Halten Sie die Vergleiche mit dem Antisemitismus für berechtigt?

Es bleibt wichtig, Gemeinsamkeiten wie Unterschiede herauszuarbeiten. Bezüglich des Kinderraubmotivs sehe ich zentrale Unterschiede zum Ritualmordmotiv im Antisemitismus, insbesondere in der religiösen Komponente. Eine wichtige Gemeinsamkeit besteht allerdings darin, daß, so wie der Antisemitismus nichts über Jüdinnen und Juden aber viel über die Antisemiten aussagt, auch der Antiziganismus nichts mit dem Verhalten der als »Zigeuner« klassifizierten Menschen zu tun hat.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/aktuelles-heft/articles/anlass-fuer-verfolgung.html

aus:  Konkret 12/2013

Interview: Peter Nowak –

„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“

Die Geschichte von Hilde und Rose Berger
Kürzlich hat der Gießener Psychosozial-Verlag einen Interviewband mit der Lebensgeschichte der mittlerweile verstorbenen Hilde und Rose Berger  veröffentlicht und damit  das Schicksal der   jüdischen  Familie Berger in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Band enthält mehrere Interviews, die die  Geschwister zwischen 1978 und 1997 in den USA gaben,  sowie  einen von Hilde Berger 1980 verfassten Bericht über ihr Leben  und ihre politisches Engagement  in Berlin. Schon früh  befanden   sie sich  in Opposition zum streng  religiösen Vater und dem deutschnationalen Klima an ihrer Schule. Zunächst engagierten  sie sich  in einer zionistischen Jugendorganisation, wo sie die Schriften von Marx und Engels kennenlernten.  Rose, Hilde und Hans Berger wurden  Mitglieder  der Kommunistischen Jugendorganisation, gerieten aber  bald in Opposition zu den autoritären Organisationsstrukturen, die Kritik verunmöglichten.
Nach ihren Ausschluss aus der KP-Jugend engagierten  sich die drei Geschwister mit FreundInnen in einer trotzkistischen Organisation und bauten  nach 1933 deren illegalen  Organisationsstrukturen in Berlin auf. Hier böte sich sicherlich Material zum Weiterforschen an. Denn noch immer ist die trotzkistische Widerstandsbewegung gegen den NS wenig bekannt. Hilde Berger liefert auch einige Beispiele vom unverantwortlichen Handeln der KPD, die noch im Frühjahr 1933 die Namen oppositioneller KommunistInnen, die als Konterrevolutionäre bezeichnet werden, in ihren Publikationen veröffentlichte.  Natürlich kamen auf diese Weise auch die Nazis und die Polizei an die Daten.“Mein Bruder und ich hatten Angst, dass die Kommunisten unsere Namen veröffentlichten. Also beschlossen wir, woanders hinzuziehen“, erinnerte sich Hilde Berger.
Dass  Hans Berger 1936 verhaftet  und nach der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe in Auschwitz ermordet wurde, war allerdings nicht auf diese Denunziation der Stalinisten sondern auf das Einschleusen eines Spitzels in die Organisation zurückzuführen. Regina Berger konnte nach Frankreich fliehen und überlebte die deutsche Besatzung in der Illegalität. Ihre Schwester  entkam  nach mehreren Gefängnisaufenthalten in Deutschland nach Polen, wo sie bald von den deutschen Häschern eingeholt wurde. Im KZ Plaszow musste sie als Schreibkraft Oskar Schindlers berühmt gewordene Liste abtippen und konnte sich und einigen FreundInnen das Leben retten. Dort traf sie auch auf den späteren Krupp-Manager Berthold Beitz als Teil der deutschen Administration. Als die Rote Armee näherrückte,  bekam sie eine Unterhaltung von SS-Männern mit, nach der die dort aufgelisteten Gefangenen in den tschechoslowakischen Ort Brünnltiz gebracht werden sollen. „Mir wurde klar, dass  dieser  Brünnlitz-Transport bessere Überlebenschancen hatte als die anderen Transporte. Deshalb trug ich mich, Kuba und einige andere enge Freunde ebenfalls auf diese Transportliste ein“, erinnert sich Hilde Berger.
Ein Kritikpunkt soll  bei dem ansonsten verdienstvollen Buch  angebracht werden.  Der Herausgeber  Reinhard Hesse kritisiert Hilde Berger als rigoros, weil sie sich nach 1945 geweigert hatte, Berthold Beitz einen Persilschein auszustellen. Sie erkannte an, dass er Leben von Juden gerettet hat, erinnerte sich aber auch seine  antisemitische Gespräche  und seiner Bereitschaft, von den Geretteten, Geschenke anzunehmen. Im Dokumententeil des Buches ist der Briefwechsel zwischen Berger und Beitz  von 1948  abgedruckt. Nachdem sich Berger geweigert hat, ihn  zu entlasten, drohte Beitz, „mit ihnen müsste jemand mal richtig „deutsch“ reden“. Diese Unverschämtheit gegenüber einer Frau, die knapp  den deutschen Vernichtungswahn überlebt und einen großen Teil ihrer Angehörigen und Freunde verloren hat, wird von Hesse nicht etwa zurückgewiesen sondern verteidigt. Dafür darf sich Beitz in der Einleitung gespreizt darüber auslassen, dass Hilde Berger sich nicht in seine  „komplexe und dilemmatische Lage“ hineinversetzen konnte. Sich in die Lage von Hilde Berger hineinzuversetzen,  kam  den Elitemenschen Beitz der schon 1948 von seinen neuen Karrierechancen in der Nachkriegsrepublik schwärmte,  natürlich nicht in den Sinn.  Dafür bekam Beitz kürzlich auf einem Staatsbegräbnis Lob von Politik und Wirtschaft.  Die Bergers waren bis zum Erscheinen dieses Buches vergessen.

„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“. Die Geschichte von Hilde und Rose Berger, (Hrg. Reinhold Hesse), Gießen, Psychosozial Verlag, 2013, 223 Seiten, 19,90 Euro
aus:
Sozialistische Zeitung/ SoZ, November 2013,
http://www.sozonline.de/2013/11/inhalt-soz-112013/#more-8816
Peter Nowak

Kranenkampf

Dokumentarfilm über INNSE-Besetzung

„Es ist nicht so, dass du die Probleme löst, indem du auf einen Kran steigst. Du musst wissen, worauf du hinaus willst…“ (Massimo, Arbeiter bei INNSE Mailand)
„Hände weg von der INNSE“, diese Parole findet sich noch an vielen Hauswänden in norditalienischen Städten. Sie zeugt von einem der wenigen erfolgreichen Arbeitskämpfe gegen die Schließung einer Fabrik in den letzten Jahren. Dabei sah es auch in der Mailänder Metallfabrik INNSE lange Zeit so aus, als hätten die Beschäftigten keine Chance: Ende Mai 2008 erhalten sie die Nachricht, dass der neue Besitzer die Fabrik schließen wolle. Noch am gleichen Tag beschließen sie, die Fabrik zu besetzen. In Eigenregie versuchen sie, während der nächsten Monate weiterzuproduzieren. Nach mehrmaligen Räumungen gehen sie schließlich zu einem „Streik“ vor den Werkstoren über. Es nützt alles nichts. Am Sonntag, den 2. August 2009, beginnen unter Polizeischutz die Demontagearbeiten in der INNSE. Mehrere hundert Ordnungskräfte umzingeln die Fabrik und sollen für den sicheren Abtransport des Materials sorgen. Doch zwei Tage später gelingt es vier Arbeitern, die Polizeisperren zu überlisten und in der Werkshalle auf einen Kran zu klettern. Damit wendet sich das Blatt, und der Arbeitskampf tritt in eine neue, spektakuläre Phase mit hoher Medienresonanz.
Die Demontagearbeiten werden gestoppt, und es beginnen lange, zähe Verhandlungen zwischen den Arbeitern und der Gewerkschaft FIOM auf der einen Seite, dem Fabrikbesitzer Genta, der Immobilienfirma, der das Gelände gehört, dem Kaufinteressenten Camozzi, der den Betrieb samt Grundstück übernehmen will, sowie dem Präfekten von Mailand auf der andern Seite. Nach acht Tagen und sieben Nächten steigen Enzo, Fabio, Luigi und Massimo unter dem Beifall der Beschäftigten vom Kran herunter. Am Ende des Sommers werden die Werktore wieder geöffnet, und alle Arbeiter kehren in die Fabrik zurück.
In dem Dokumentarfilm „Dell‘ Arte della Guerra“ (Von der Kunst des Krieges), der nun auch deutsch untertitelt zu sehen ist, stellen die vier Arbeiter ihre nüchterne und höchst aktuelle Analyse dieser neuen Form von Arbeitskampf vor, die der „Politik des kleineren Übels“ eine Absage erteilt und sich mit aller Kraft und Entschlossenheit den Angriffen der herrschenden Klasse entgegenstellt.
Der Film hat die Form eines Essays über Politik und Guerillakrieg. In vier Akten und fast wie in einem Handbuch werden genaue und für jede Kampfform gültige Regeln entwickelt.
Dabei werden auch einige Grundsätze formuliert, die bei Vorführungen in Deutschland sicher für heftige Diskussionen sorgen werden. So erklären die Arbeiter offen, dass sie die gegenwärtigen  sozialen Bewegungen für erfolglos halten. Dagegen setzen sie auf klare Strukturen und strategische Orientierungen. Bevor man einen solchen Kampf beginne, müsse man ein „Heer mit einem Mindestmaß an Disziplin aufbauen“, so einer der Kranbesetzer. Die militärischen Metaphern sind bewusst gewählt und wiederholen sich häufiger. Für die Arbeiter ist klar, dass sie sich in einem Klassenkrieg mit den Kapitalisten befinden und die Besetzung der Kräne als eine Etappe in diesem Kampf begreifen. Für die Gewerkschaft FIOM , die sie während der Auseinandersetzung unterstützt hat, haben sie nur Spott übrig. „Wenn es nach ihnen ginge, wäre die Fabrik längst geschlossen, denn die wollen immer nur verhandeln“, meint einer der Aktivisten und stellt die berechtigte Frage: „Wenn die eine Seite die Fabrik schließen will, die andere Seite das aber ablehnt, was gibt es dann zu verhandeln?“ Die Arbeiter stellen auch klar, dass es ihnen mit ihrer Aktion nicht darum gegangen sei, um Arbeitsplätze zu kämpfen, sondern der Macht des Kapitals Grenzen aufzuzeigen. Das zumindest ist ihnen gelungen. Nach der Besetzung fand sich ein neuer Investor, und die Verhandlungen über den Weiterbetrieb begannen. Man sieht in dem Film mehrere Kundgebungen, bei denen die Parole ausgegeben wurde, dem neuen Investor keine zu hohen Forderungen zu stellen, damit er nicht wieder abspringt. Am Ende kommt es zu einer Einigung, nach der die Beschäftigten unter den gleichen Arbeitsbedingungen wie vorher weiterarbeiten können.
Der Film endet mit dem Satz, dass INNSE heute wieder ein rentabler Betrieb ist.  Dieses Ende enttäuscht etwas. Denn das war sicher nicht das primäre Ziel des Kampfes der vier Kranbesetzer und ihrer Unterstützer, zumindest wenn man deren radikale Klassenkampfrhetorik zum Maßstab nimmt. Da wäre es doch interessant gewesen zu erfahren, wie die Arbeitsbedingungen unter dem neuen Investor sind und ob durch den Kampf ein Organisierungsprozess unter den Beschäftigten eingesetzt hat, der auch dem neuen Investor Grenzen setzt.
Dennoch ist es erfreulich, dass mit dem Film nun einer der erfolgreichsten Arbeitskämpfe der letzten Jahre dokumentiert ist und dass man etwas mehr über die Bedingungen dieses Erfolgs erfährt. Bisher gibt es keinen Verleih in Deutschland für den Film. Eindrücke vermitteln jedoch Ausschnitte, die unter Labour-TV zu sehen:

aus:  express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

11/2013

http://www.labournet.de/express/

Von der Kunst des Krieges, italienisch mit dts. Untertiteln, Regie: Luca Bellini / Silvia Luzi, 85 min.

Peter Nowak