Pappschachteln voller linker Geschichte

Papiertiger, Umbruch, Spinnboden, Conne Island – viele Archive der sozialen Bewegungen kämpfen ums Überleben

Ende Mai trafen sich in Berlin über 50 ArchivarInnen aus Deutschland. Im Mittelpunkt stand der Weiterbetrieb der »Freien Archive«, die meist mit wenig Personal und geringem Budget arbeiten.

Ende Mai trafen sich in Berlin über 50 ArchivarInnen aus Deutschland. Im Mittelpunkt stand der Weiterbetrieb der »Freien Archive«, die meist mit wenig Personal und geringem Budget arbeiten.
Cornelia Wenzel ist beim »Archiv der Deutschen Frauenbewegung« in Kassel tätig. Zusammen haben sie 2013 das Buch »Bewegung bewahren – Freie Archive und die Geschichte von unten« herausgegeben. Mit ihnen sprach Peter Nowak.
Foto: Regine Vogl

Was ist das Besondere eines Freien Archivs?
Jürgen Bacia: Es ist für uns ein kurzer und prägnanter Arbeitsbegriff für die Archive der sozialen und politischen Bewegungen. Das sind die Sammelstellen für die papiergewordenen Relikte der autonomen, antifaschistischen, feministischen und anderen außerparlamentarischen Bewegungen. Wir orientieren uns hier im Sprachgebrauch an Begriffen wie Freie Kulturszene oder auch Freie Journalisten. Damit wollen wir aber keineswegs sagen, dass die etablierten Archive unfrei wären.

Werden diese Archive nicht überflüssig, wenn die sozialen Bewegungen an Bedeutung verlieren?
Cornelia Wenzel: Die sozialen Bewegungen gibt es noch, sie verändern sich aber ständig. Die Vorstellung, dass es irgendwann nichts mehr zu archivieren gibt, hat sich längst als falsch erwiesen. Gerade aus den sozialen Bewegungen der 1970er Jahre bekommen wir aktuell viel Material.

Wie verändert die Digitalisierung Ihre Arbeit?
C.W.: Sicher werden wir um die Digitalisierung eines Teils unserer Dokumente in vielen Fällen nicht herumkommen. Allerdings werden wir auch in Zukunft mit papiernen Dokumenten arbeiten. Wir machen in unserer täglichen Arbeit immer wieder die Erfahrung, dass selbst bei jungen Menschen, die mit dem Computer aufgewachsen sind, das Interesse an gedruckten Dokumenten wie beispielsweise Fanzines weiterhin besteht.

Wie ist die finanzielle Situation der Freien Archive?
J.B. Einerseits arbeiten die Freien Archive möglichst hierarchiefrei, zumeist kollektiv und erliegen weniger den Zwängen großer Institutionen. Andererseits sind die Menschen, die dort arbeiten, häufig frei von regelmäßigen Einkünften und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Gewerkschaft akzeptieren würde. Wir regeln das mit viel Selbstausbeutung. Dabei gibt es allerdings große Unterschiede. Viele Freien Archive werden ohne staatliche Förderung auf Dauer ihre Arbeit nicht mehr leisten können. Daneben gibt es Archive, die aus ihrem politischen Selbstverständnis von Autonomie heraus bewusst auf jegliche Staatsknete verzichten.

Ist es nicht problematisch, wenn im Umfeld der sozialen Bewegungen entstandene Archive jetzt nach Unterstützung des Staates rufen, den sie kritisiert haben?
J.B.: Während die Archive der DDR-Oppositionsbewegung mittlerweile großzügig gefördert werden, fühlt sich für die Zeugnisse der westdeutschen Alternativ- und Protestbewegung bisher niemand zuständig. Dabei gehört sie zur Geschichte der BRD. Daher erheben wir die Forderung nach einer staatlichen Förderung bei vollständiger Wahrung unserer Unabhängigkeit.

Warum haben viele Archive der Frauenbewegung mehr Erfolg bei der Förderung?
C.W.: Ein Grund waren sicher die Netzwerke, die es seit Jahrzehnten gibt. Zudem sind viele heute aktive Politikerinnen, mal mit der Frauenbewegung in Kontakt gekommen. An den Erfolgen der ostdeutschen Oppositionsarchive und der Archive der Frauenbewegung können wir mit unseren Forderungen anknüpfen.

Gibt es Kontakte zu den offiziellen Archiven?
J.B. Ja. Im Verein deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) wurde 2009 der »Arbeitskreis Überlieferungen der Neuen Sozialen Bewegungen« gegründet, der die Freien Archive durch Lobbyarbeit unterstützt. Vor Kurzem veröffentlichte der VdA ein Positionspapier, in dem er die Bedeutung der Sammlungen in Freien Archiven betont und hervorhebt, dass die traditionellen Archive genau die Überlieferung dieses Teils der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht gewährleisten können. Er fordert deshalb die Förderung dieser Archive durch Bund, Länder und Kommunen. Das ist eine ernstzunehmende fachpolitische Aussage.

tps://www.neues-deutschland.de/artikel/1014520.pappschachteln-voller-linker-geschichte.html

Peter Nowak