Silvester vor der JVA

Anarchistische Gruppen rufen zuKundgebungen vor Berliner Gefängnissen aufnter dem Motto „Silvester zum Knast“ ruft ein Bündnis von anarchistischen Gruppen und Einzelpersonen heute zu Kundgebungenvor Berliner Gefängnissen auf. Dieses Jahr soll um 17 Uhr im Carl-von-Ossietzky-Park gegenüber der JVA Moabiteine Demonstration stattfinden. Um 22.30 Uhr treffen sich AktivistInnen dann vor dem S-Bahnhof Frankfurter Allee undziehen demonstrierend zur JVA für Frauen in der Lichtenberger Alfredstraße. In der Justizvollzugsanstalt ist seit mehreren GülafGülaferit  Ünsal inhaftiert, die  wegen Unterstützung einer verbotenen türkischen kommunistischen Gruppe DHKP-C verurteilt wurde. Seit einigen Wochen sitzt eine Frau mit dem Pseudonym Thunfisch in der JVA in Untersuchungshaft. Sie wird beschuldigt, auf der olidaritätSolidaritätsdemonstration mit dem Hausprojekt Rigaer94 Anfang Juli Steine geworfen zu haben.Die Kundgebung soll bis weit nach Mitternacht andauern unddürfte sich – bis auf die politischen Parolen zwischendrin-  wenig von einem gewöhnlichen Silvesterabend unterscheiden. „Natürlich ist an diesem Tagnd zu dieser Uhrzeit nicht der Ort für hochtheoretische Reden“, meint Sandra Schäfer (Name geändert),die innerhalb der Vorbereitungsgruppe der diesjährigen Knastaktionen aktiv ist.Zum Team gehört auch Robert Schulz (Name geändert), der ineiner Antiknastgruppe mitarbeitet. Er begründwarum gerade Silvester die Aktionen vor den Gefängnissen für ihn wichtig sind. „Während draußen die Menschen feiern und das neue Jahrbegrüßen, sitzen die Inhaftierten allein, passiv und isoliertin ihren Zellen.“ Mit den Kundgebungen, die seit mehr als 20 Jahren stattfinden, wolle anden Gefangenen signalisieren, dass sie nicht vergessen sind.Im Aufruf zu den Kundgebungen wird eine generelle Kritik an den Gefängnissen geübt  So wird auf Plakaten darüber informiert, dass in der JVA Plötzensee circa ein Viertel der Gefangenen inhaftiert sind, weil sie beim Fahren ohne Ticket erwischt wurden und die verhängte Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Damit soll dem Bild begegnet werden, dass es bei den aktuell über 4.100 Gefangenen in Berliner JVA um Schwerkriminelle handelt.
aus Taz TAZ vom 31.12. 2016
PETER NOWAK

Knastgewerkschaft ruft zu Solidarität an Silvester auf

Berlin. Unter dem Motto »Silvester gemeinsam zum Knast« ruft die Jenaer Solidaritätsgruppe der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) dazu auf, das neue Jahr vor der JVA Tonna bei Gotha in Thüringen zu feiern. Im Aufruf heißt es, dass man sich an diesen Tag mit den im Gefängnis »inhaftierten Arbeitern« solidarisiere. So nennen sich die Mitglieder der GG/BO, die für einen Mindestlohn und die vollständige Einbeziehung in die Sozialversicherung kämpfen. In den vergangenen Monaten wehrten sich Gefangene der JVA Tonna wiederholt mit Hungerstreiks gegen Missstände und Schikanen in dem Knast. So monierten sie eine schlechte Essensversorgung durch eine Cateringfirma ebenso wie die Beschlagnahmung von Post. Ende August 2016 trat eine Gefangenengruppe in Tonna außerdem in einen einwöchigen Hungerstreik um eine bessere medizinische Versorgung durchzusetzen. Die Anstaltsleitung wies die Kritik regelmäßig zurück und reagierte mit Sanktionen. Die Jenaer GG/BO-Solidaritätsgruppe sieht die Verantwortung bei der Thüringischen Landesregierung. »Vor einigen Wochen hat der Bundesvorstand der Linken die Kernforderungen der GG/B BO unterstützt. Doch der erste Linke als Ministerpräsident Bodo Ramelow scheint davon nichts mitbekommen zu haben«, kritisiert ein Mitglied. Er verweist darauf, dass es sich bei dem Umgang mit den Gefangenen um eine Angelegenheit der Bundesländer handelt. Die Landesregierung von Thüringen könnte mit der Unterstützung der GG/BO politische Akzente setzen.

aus Neues Deutschland: 30.12.2017

Peter Nowak

Zellenarrest, Fernsehverbot und Durchsuchung

Gefangengewerkschaft fordert, betroffene Häftlinge zu verlegen / Justizsenator soll Mindestlohn durchsetzen

Die Sanktionen gegen die Gefangenen, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vor einigen Wochen die Schmuggelpraktiken von Bediensteten bekannt gemacht haben, gehen weiter. Das zumindest sagt Dieter Wurm, der erst vor kurzen nach langer Haftstrafe freikam. Von seinen Erfahrungen in verschiedenen Gefängnissen erzählte er am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke. So dürfe Timo F., einer der Hinweisgeber, einen Monat lang die Zelle nicht verlassen, auch das Fernsehgerät sei ihm entzogen worden. Ihm werde vorgeworfen, das Gerät, das ihm von der Gefängnisverwaltung ausgehändigt worden war, manipuliert zu haben. Am Mittwoch sei zudem die Zelle von Benny L., einem weiteren Tippgeber, vom Sicherheitspersonal durchsucht worden.

»Fresse halten ist die Devise, wer sich nicht daran hält, wird bestraft«, sagt Wurm. Hinter Gittern habe er den Glauben an den Rechtsstaat schnell verloren, deshalb fürchte er um die Gesundheit der Hinweisgeber. Schließlich gäbe es auch Häftlinge, die solche Gefangene körperlich attackieren.

Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO), die sich 2014 in der JVA Tegel gründete, fordert den neuen Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) auf, die Hinweisgeber sofort in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Der Druck auf die Männer sei extrem hoch. Zu den Sanktionen der Gefängnisverwaltung komme der Druck der Mitinsassen, die die Männer als Verräter brandmarkten. Spätestens nach seiner Einarbeitungszeit – nach 100 Tagen im Amt – müsse der neue Senator Weichen stellen. Diese sind laut Rast »die Bezahlung des Mindestlohns und die Einbeziehung in die komplette Sozialversicherung für inhaftierte Beschäftigte von deren Qualitätsarbeit sich Berliner Parlamentarier schließlich schon überzeugen konnten«. Bisher wird die Bestuhlung des Abgeordnetenhauses in der Polsterei der JVA Tegel zu einem Billiglohn und ohne Rentenversicherung produziert.

Die Erwartungen sind auch deshalb so hoch, weil Behrendt in der vergangenen Legislaturperiode wesentliche Eckpunkte für eine Reform mit formuliert hat, die im »Aufruf für ein progressives und liberales Strafvollzugsgesetz« festgehalten sind. Da auch der Vorstand der Linkspartei die zentralen Forderungen der GG/BO unterstütze, sei die Chance für Reformen gegeben, sagt Rast. Darauf werde man sich jedoch nicht verlassen.

In Thüringen ruft die GG/BO für die Silvesternacht vor der JVA Tonna bei Gera zu einer Kundgebung auf, weil in dem von der Linkspartei regierten Bundesland Gewerkschaftsmitglieder schikaniert worden seien. Auch in Berlin wird es vor der JVA für Frauen in der Alfredstraße am 21. Dezember ein Konzert geben. »Der Aufbau von Solidaritätsstrukturen drinnen und draußen ist ein wichtiges Ziel der GG/BO, egal, wer an der Regierung ist«, sagt Rast.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035731.zellenarrest-fernsehverbot-und-durchsuchung.html

Peter Nowak

SPD-Politiker will Wohnungslose vom Hansaplatz verdrängen

Wenn man durch die Straßen Berlins geht, sieht man selbst im Winter immer mehr Menschen, die draußen übernachten müssen, weil sie keine Wohnung haben. Seit September 2013 versucht der Verein Berliner Obdachlosenhilfe e.V. diesen Menschen das Leben auf der Straße etwas erträglicher zu machen. An verschiedenen Plätzen in Berlin, an denen sich Obdachlose aufhalten, bieten ihnen die ehrenamtlich arbeitenden HelferInnen ein gesundes Essen, einen warmen Tee und saubere Kleidung an. Seit einigen Monaten gehört auch der Hansaplatz in Moabit zu diesen Orten. „Es kommen immer viele Menschen, die froh sind, sich zumindest einmal die Woche einmal satt zu Essen“, erzählt Falko Stein einer der Helfer gegenüber MieterEcho Online.

Doch ein Teil der BewohnerInnen rund um den Hansaplatz ist über dieses ehrenamtliche Engagement gar nicht erfreut. Sie werfen dem Verein vor, Wohnungslose anzulocken und damit den Kiez abzuwerten. Zum Sprachroher der KritikerInnen der Obdachlosenhilfe machte sich der SPD-Politiker Thomas Isenberg, der seinen Wahlkreis im Hansaviertel hat. Auf einer von ihm moderierten Veranstaltung „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“ am Dienstagabend machte Isenberg im Gymnasium Tiergarten mehrmals klar, dass der Hansaplatz in einem Jahr sauber sein soll und dazu sei er auch bereit, die Wohnungslosen von dort zu verdrängen.

Notfalls Anzeigen machen

Isenberg hatte Vertreter/innen der Polizei und des Ordnungsamtes sowie den Vorsitzenden des Bürgervereins Hansaviertel Matthias Rudolph  auf das Podium  eingeladen. Gleich am Beginn regte sich eine besorgte Bürgerin über „Osteuropäer“  auf, die bestimmt keine „syrische Flüchtlinge“ seien und vor dem  Eingang zu ihrem Abstellplatz für ihr Fahrrad sitzen würden. Andere störten sich daran, dass Obdachlose vor den Einkaufsmärkten stehen und auf Bänken rund um den Hansaplatz sitzen würden. Es war der anwesende Polizeikommissar Mario Kanisch, der entgegen den subjektiven Bedrohungsgefühlen einiger Anwesender klarstellte, dass die Kriminalität rund um den Hansaplatz zurückgegangen ist. Daher hätte das Verwaltungsgericht  entschieden, dass kein Kriminalitätsbelasteter Ort (KBO) ist, was die Rechte aller NutzerInnen am Platz stärkt und die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten reduziert. Das störte neben manchen Anwesenden auch Thomas Isenberg, der dazu aufrief, alles was stört zur Anzeige zu bringen, beispielsweise, wenn jemand auf einer Bank schläft oder in eine Hecke pinkelt. Doch die Hoffnung von Isenberg und einigen der Anwesenden mit vielen Anzeigen den Hansaplatz wieder zum kriminalitätsbelastenden Ort zu machen, dämpfte Polizeikommissar Kanisch, Das sei ein langes Prozedere und werde durch Gerichte entschieden. Isenberg ließ sich in einen seien Aktivismus allerdings nicht bremsen. So wolle er die Läden rund um den Hansaplatz anschreiben, damit sie den Wohnungslosen möglichst nichts verkaufen und ihnen keine Pfandflaschen mehr abnehmen. Lobend erwähnte er einen Dönerladen, der die Wohnungsläden nicht bediene. Heftig kritisiert wurde ein Spätkauf, der keinen Unterschied zwischen seinen Kund/innen macht und sich eigentlich nach den Maßstäben des Rechtsstaates vorbildlich verhält. Schließlich dürfte sich eine gezielte Nichtbedienung von Wohnungslosen wohl kaum mit den Antidiskriminierungsgrundsätze vereinbaren lassen. Doch davon ließen Isenberg und sein junger Mitarbeiter Marlon Bünck nicht beirren. Auf Einwände, dass eine Verdrängung der Obdachlosen das Problem nicht löst, entgegnete Bünck, dass sei Sozialromantik.  Wenn er redete, konnte man verstehen, warum ein Thilo Sarrazin die SPD noch als seine politische Heimat begreift. Isenberg und Bünk, der als Leiter der Projektgruppe Hansaviertel die Politik der Sauberkeit und Sicherheit umsetze sollen, haben mehrmals angekündigt, dass sie alle Schritte prüfen wollen, um der Berliner Obdachlosenhilfe die Ausgabe von Essen und Kleidung im Hansaviertel zu verbieten.

Man bekämpft die Armen nicht die Armut

Nur wenige BesucherInnen machten darauf aufmerksam, dass Obdachlose nicht verschwinden, wenn sie am Hansaplatz kein Essen mehr bekommen. Sie forderten sozialarbeiterische und gesundheitspolitische Maßnahmen, um die Obdachlosigkeit und nicht die Obdachlosen zu bekämpfen. Vage kündigte Isenberg an, damit werde sich eine weitere Veranstaltung im nächsten Jahr beschäftigen. Doch er ließ keinen Zweifel daran, dass zum 60ten Jubiläum des Weltkulturerbes Hansaviertel Arme dort keinen Platz haben.

MieterEcho online 16.12.3016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html

Peter Nowak

Der Artikel ist im Tagesspiegel hier verlinkt:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/hansaviertel-in-berlin-tiergarten-streit-um-essensausgabe-fuer-obdachlose/19240888.html

Grüne nehmen Artikel als Grundlage für große Anfrage:

http://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=7682

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
1. Große Anfrage Grüne vom 10.01.2017

Wir fragen das Bezirksamt:

Bezugnehmend auf http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html frage ich das Bezirksamt:

1. Haben Mitarbeiter des BA  an der im Artikel genannten Veranstaltung teilgenommen und welche Position des Bezirksamtes wurde dabei vertreten und gibt es hierzu eine Protokollnotiz oder einen Vermerk des betreffenden Mitarbeiters, die einsehbar ist?

2. Welche Position vertritt das Bezirksamt zu Bestrebungen, Obdachlose am Hansaplatz mit bedenklichen Methoden gezielt zu vertreiben?

3. Teilt das Bezirksamt das Ansinnen, Gewerbetreibende zur systematische n Nichtbedienung von Obdachlosen aufzufordern? Wenn nein, inwiefern gedenkt das Bezirksamt auf die Gewerbetreibenden zuzugehen mit dem Ziel, entsprechenden Aufforderungen Einzelner nicht nachzukommen?

4. Wie unterstützt das Bezirksamt die Arbeit der Berliner Obdachlosenhilfe?

5. Welche eigenen Anstrengungen unternimmt das Bezirksamt im Rahmen des Runden Tisches Hansaplatz, um Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum vor Ort diskriminierungsfrei zu regeln?


Artikel in Berliner Woche, der darauf Bezug nimmt:
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Nina Apin in der Taz vom 28.1.2017, S. 10:

Hier den Abschnitt in dem längeren text, der sich um Isenberg und den Hansaplatz dreht:
„Weil wir noch Joghurt brauchen, stieg ich erst mal am Hansaplatz aus. In dem modernistischen Hochhausquartier hat zwischen Läden und Imbissen der SPD-Abgeordnete Thomas Isenberg sein Wahlkreisbüro. Über Berlin-Mitte hinaus bekannt geworden ist der Gesundheitspolitiker dadurch, dass er Mitarbeitern einer Hilfsorganisation verbot, einmal die Woche auf dem Supermarktparkplatz warmes Essen an Obdachlose auszuteilen. Isenbergs Begründung: Die vielen Menschen, in der Mehrzahl aus Osteuropa stammende, die im angrenzen Tiergarten campieren, seien eine Belastung für Gewerbetreibende und AnwohnerInnen. Schon zuvor hatte der Sozialdemokrat unter dem Motto „Sicherheit und Sauberkeit am Hansaplatz“ zu einer AnwohnerInnenversammlung eingeladen. Der Tenor: Die Obdachlosen sollen da weg. Isenberg wollte Gewerbetreibende anschreiben und auffordern, den Obdachlosen keine Pfandflaschen mehr abzunehmen. Selbst die Polizei, die keinen Anlass sah, den Hanaplatz zum „gefährlichen Ort“ zu erklären, war da gelassener. Isenberg aber ist das anstehende 60. Jubiläum der Weltkultur erbe-Siedlung offenbar so wichtig, dass er eine Verdrängungspolitik befürwortet, die weder Anzahl noch Probleme der Obdachlosen vom Tiergarten vermindert. Zu Recht kriegt er dafür jetzt massiven Gegenwind.“

Der Fall Rosenberg

»Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen.« So beginnt Silvia Plaths Roman »Die Glasglocke«. Sie erinnert an die jüdischen Kommunist_innen Ethel und Julius Rosenberg, die wegen Atomspionage für die Sowjetunion am 19. Juli 1953 in New York hingerichtet wurden. »Der Antisemitismus war in dem Verfahren gegen die Rosenberg untrennbar mit dem Antikommunismus verbunden«, schreiben die Antisemitismusforscherin Sina Arnold und der Historiker Olaf Kistenmacher in ihrem Buch über den »Fall Rosenberg«. Sie weisen nach, wie sich das Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus« in den USA verbreitete, während zeitgleich die stalinistischen kommunistischen Parteien in Osteuropa gegen den jüdischen »Kosmopolitismus« mobil machten. In einem eigenen Kapitel widmen sich die Autor_innen der Hetze gegen Ethel Rosenberg. Ihr nahm der Großteil der Medien übel, dass sie als Mutter zweier Kinder nicht das Leben einer Hausfrau führte. »Im Tierreich spricht man davon, dass Weibchen die tödlicheren Spezies seien. Man kann das auf den Fall Ethel und Julius Rosenberg übertragen«, schrieb die Boulevardzeitung New York World Telegram. Arnold und Kistenmacher haben mit dem Buch einen neuen Zugang zum Fall Rosenberg gefunden. Die Literaturliste und das Verzeichnis der Theaterstücke und Filme zum Fall Rosenberg bieten denen Anregungen, die sich weiter informieren wollen.

Peter Nowak

https://www.akweb.de/ak_s/ak622/09.htm

Sina Arnold und Olaf Kistenmacher: Der Fall Ethel und Julius Rosenberg, Antikommunismus, Antisemitismus und Sexismus in den USA zu Beginn des Kalten Krieges. Edition Assemblage, 96 Seiten, 12,80 EUR.

»Der Prozess ist eine Farce«

Aktivisten des Hamburger KoZe stehen vor Gericht

»Hiermit schließen wir das kollektive Zentrum in der Norderstraße 65 im Hamburger Münzviertel. Nicht weil wir nicht mehr wollen, sondern weil die hamburgweite Unterstützung nicht ausreicht.« Mit dieser Erklärung endete vor einigen Wochen der Versuch einiger außerparlamentarischer Linker, im Hamburger Münzviertel in der Nähe des Hauptbahnhofes einen selbstverwalteten Treffpunkt für und mit der Nachbarschaft zu etablieren. Das Kollektiv verließ das teilbesetzte Zentrum, nachdem der Räumungstitel vom Gericht bestätigt wurde.

Unterstützt wurde das Kollektive Zentrum »KoZe« von dem Quartiersmanagement und vielen Anwohnern. Aber auch die Liste der Gruppen aus der linken Szene in Hamburg ist lang. Nach dem Vorbild der erfolgreichen Initiative im Hamburger Gängeviertel, die sich im Zentrum selbstverwaltete Räume erkämpfte, nahmen auch die Aktivisten des »KoZe« schnell Kontakt mit der Politik auf und versuchten, die Räume zu legalisieren. Doch im Münzviertel setzte die Politik auf Härte, weil die Landesbetriebs Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) auf dem Gelände Studierendenwohnungen im höheren Preisniveau errichten will.

Am 27. Juli 2015 begann ein Polizeieinsatz auf dem Hof des »KoZe«, der in eine mehrwöchige Belagerung des Geländes mündete. Fünf der anwesenden Aktivisten erhielten Strafbefehle wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Sie werden beschuldigt, sich Polizeimaßnahmen widersetzt und die Vertreter der LIG am Betreten des Grundstücks gehindert zu haben. Alle Beschuldigten haben Widerspruch eingelegt. An diesem Mittwoch beginnt der erste Prozess vor dem Amtsgericht Sankt Georg. Das Verfahren wollen die Beschuldigten nutzen, um auf den ihrer Ansicht nach rechtswidrigen Polizeieinsatz hinzuweisen.

Patrick Wagner vom Unterstützerkreis nennt gegenüber »nd« gleich mehrere Punkte. So sei der Polizeieinsatz damit begründet worden, dass der Schulhof besetzt worden sei. Doch die eingeleiteten Verfahren wegen Hausfriedensbuch seien eingestellt worden. Es habe sich herausgestellt, dass der Hof mit Zustimmung der Eigentümer genutzt wurde. »Der ganze Prozess ist eine Farce«, so Wagner. Auch die angekündigten Arbeiten zur Asbestbeseitigung mit denen der Polizeieinsatz gerechtfertigt wurde, hätten nie stattgefunden. Wagner erhofft sich Unterstützung auch über die linke Szene hinaus. Einige Aktivisten sind nach dem Ende des Projekts auf einen Berg von Schulden sitzen geblieben.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035283.der-prozess-ist-eine-farce.html

Peter Nowak

Merkel fällt mit Asylpolitik durch

Magazin kritisiert Gesetzesverschärfungen

Deutschland gilt unter Bundeskanzlerin Merkel als Land der Willkommenskultur für Geflüchtete. Dieser Überzeugung sind auch Rechte aller Couleur, die gegen diese Politik Sturm laufen und die Kanzlerin zum Feindbild erklären. Ein ganz anderes Bild zeichnet die aktuelle Ausgabe der Publikation »Cilip – Bürgerrechte und Polizei«, die jetzt in Berlin vorgestellt wurde. Das Magazin, herausgegeben vom Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit, setzt sich »kritisch mit der Polizei und Politik der Inneren Sicherheit auseinander«, lautet die eigene Beschreibung. In zehn Kapiteln widmet sich die aktuelle Ausgabe den massiven Verschärfungen des Asylrechts, das die Regierungskoalition seit Herbst 2015 im Windschatten der Debatten über die Willkommenskultur durchgesetzt hat.

Mitherausgeber Heiner Busch sieht in den Bedrohungsszenarien, die nicht nur von ultrarechten Kreisen verbreitet wurden, einen wichtigen Grund, weshalb diese Gesetzesverschärfungen ohne nennenswerten Widerstand möglich wurden. Busch zitierte den Staatsrechtler Udo Di Fabio, der im Januar in seinem Gutachten für die bayerische Landesregierung schrieb: »Kann ein Staat die massenhafte Einreise von Menschen in sein Territorium nicht mehr kontrollieren, ist ebenfalls seine Staatlichkeit in Gefahr.« Solche Sätze liefern neben den passenden Stichworten für Flüchtlingsgegner auch die Rechtfertigung für die verschärfte staatliche Gewalt gegen Geflüchtete und Migranten.

»Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen mag verfassungswidrig sein, aber eine Obergrenze für symbolische Gesetzgebung mit habhaften, gar gewaltsamen Folgen für die Betroffenen ist vorerst nicht in Sicht«, lautet das ernüchternde Fazit von Heiner Busch über die von vielen hochgelobte Flüchtlingspolitik Merkels.

Im aktuellen »Cilip«-Heft gibt es für diesen Befund zahlreiche Beispiele: So beschreibt darin das Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Christoph Schröder, wie seit Sommer 2015 die Polizei zahlreiche Aufgaben der Asyl- und Sozialbehörden übernommen hat. Was zunächst als Ausnahmesituation angesichts des großen Andrangs Geflüchteter gerechtfertigt wurde, war längst Normalzustand, als die Zahl der Migranten durch die Schließung vieler Grenzen in Osteuropa wieder abgenommen hatte. »Die zahlreichen PolizistInnen übertrugen die Arbeitsstrukturen und Organisationsformen aus dem Polizeialltag auf das Flüchtlingsmanagement«, so Schröder.

Stefan Dünnwald, ein Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats, bezeichnet die bayerischen Ankunfts- und Rückführungszentren für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten als »Orte der Ausgrenzung und der Rechtlosigkeit«. Der innenpolitische Referent der Linksfraktion im Bundestag, Dirk Burczyk, zeigte am Beispiel zwei neuer Gesetze, wie Geflüchtete zu einem riesigen Datenpool für die Behörden werden. Sein Kollege Matthias Monroy beschreibt, wie mit Verweis auf angebliche Schleusertätigkeiten die Befugnisse von Polizei und V-Leuten in den letzten Monaten massiv ausgeweitet wurden. Dabei werde auf die Ermittlungen im Ausland besonderer Wert gelegt.

Die Berliner Rechtsanwältin Anja Lederer ging in ihrem Beitrag bei »Cilip« auf die 2016 beschlossenen Verschärfungen im Ausweisungsrecht ein. »Es dient der Disziplinierung der Menschen ohne deutschen Pass und sanktioniert Handlungen, die nach dem Strafrecht nicht verfolgt werden«, so das Fazit der Juristin.

Peter Nowak

Gerechtigkeit auch für Whistleblower in Deutschland

Die Verantwortlichen für die Wikileaks-Veröffentlichungen aus dem NSA-Ausschuss dürfen auf wenig Verständnis stoßen

Dass Wikileaks an Bedeutung verloren hat und mit seinen Veröffentlichungen kaum noch jemanden erschreckt, zeigen die Reaktionen auf die Veröffentlichung[1] von als geheim deklarierten Material aus den NSA-Untersuchungsausschüssen.

Eine Diskussion über die Inhalte der geleakten Informationen hat gar nicht erst begonnen. Stattdessen wird darüber gestritten, wie die Informationen überhaupt an Wikileaks gelangen konnten. Die Jagd nach den Verantwortlichen hat längst begonnen. Die Justiz hat die Ermittlungen aufgenommen.

Spiegel-Online berichtet[2] zumindest mit Hintergrundinformationen, dass Wikileaks selbst mit dafür gesorgt habe, dass der Kreis der Verdächtigten überschaubar geblieben ist. Schon die Zahl der Personen, die im NSA-Untersuchungsausschuss Zugang zu den Daten ist überschaubar.

Ein inzwischen bei Wikileaks gelöschtes Dokument[3] sei nur Mitgliedern des Auswärtigen Ausschüssen und des Ausschusses für Europaangelegenheiten zugänglich gewesen. Damit wäre der Kreis der möglichen Stichwortgeber noch einmal eingeschränkter.

Eine Veröffentlichungspraxis, die die Sicherheit der Whistleblower gefährdet, ist natürlich enorm ruinös für eine Enthüllungsplattform, die gegründet wurde, um geheime Dokumente öffentlich zu machen. Nun gerät Wikileaks nicht das erste Mal dafür in die Kritik, dass es bei Veröffentlichungen Sicherheitsstandards nicht einhält.

So wurden Dokumente aus Krisengebieten mit Klarnamen von Akteuren online gestellt, die die Genannten massiv gefährden können. Das Veröffentlichen eines Dokuments, das Hinweise auf die Informanten gibt, würde das Vertrauen in Wikileaks noch weiter unterminieren. In letzter Zeit war auch die politische Kritik vor allem an Wikileaks-Gründer Assange lauter geworden.

Dazu zählte seine Inszenierung als politsicher Verfolgter, weil er sich weigert, von der schwedischen Justiz zu Vorwürfen der sexuellen Belästigungen befragen zu lassen, ebenso wie zahlreiche irritierende politische Äußerungen und Verbindungen von Assange.

Doch auch Spiegel-Online verdient kritische Nachfragen nach seinen Quellen. Schließlich wäre es nicht unwahrscheinlich, dass es sich damit auch um Versuche handelt, das Misstrauen gegenüber Wikileaks zu verstärken. Daher wäre es schon wichtig, woher Spiegel-Online die doch sehr speziellen Informationen hat, die auch nur einen kleinen Kreis zugänglich sind.

Dass nun mehr über vermeintliche oder tatsächliche Pannen der Veröffentlichungsplattform als über die Inhalte der geleakten Daten gesprochen wird, hat sich Wikileaks zum größten Teil selber zuzuschreiben. Ein weiterer Grund ist aber die Heuchelei, mit denen auch Politiker der Oppositionsparteien in der NSA-Angelegenheit vorgegangen sind.

Sicher konnte man in den Wochen, in denen der NSA hierzulande Schlagzeilen machte, immer Politiker von Grünen und Linken finden, die sich furchtbar darüber aufregten, dass die USA Freude aushorchen lässt. Meist endete das Lamento mit der Aufforderung an die Bundesregierung und Merkel persönlich, Rückgrat gegenüber den USA zu zeigen und oftmals fehlte der Verweis auf die angeblich fehlende Souveränität Deutschlands nicht.

Dass bei den NSA-Angelegenheiten eigentlich nur Sachen verhandelt wurden, die alle Staaten, die es sich leisten können, so oder ähnlich machen, und dass Deutschland da keine Ausnahme macht, hörte man schon seltener. Da wurde dann Snowden in Deutschland schon mal als Held der Freiheit gefeiert, ihm wurden auch diverse Auszeichnungen in Deutschland verliehen.


Doch immer war auch klar, dass ein deutscher Snowden auch von diesen Oppositionspolitikern bestimmt nicht mit Preisen überhäuft würde. Denn dann ging es ja um deutsche Interessen, die öffentlich gemacht würden und die Menschen, die gefeiert werden, wenn sie in den USA leben, sind schnell Verräter, wenn sie auch in Deutschland Daten transparent machen, die als vertraulich und geheim deklariert werden.

So erklärte das Grüne Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss Konstantin von Notz[4], die Veröffentlichung der Dokumente auf Wikileaks sei nicht hilfreich und schade sogar[5] bei den Bemühungen, die NSA-Angelegenheit im Ausschuss aufzuklären.

Parlamentarische Kontrolle bedeute nicht, dass alles an die Öffentlichkeit gehöre, machte der grüne Parlamentarier die Grenzen der Transparenz deutlich. Nun könnte man ja argumentieren, dass die Veröffentlichungen dafür sorgen, dass jetzt nicht nur ein exklusiver Kreis im NSA-Untersuchungsausschuss die Daten lesen könnten und damit genau die Transparenz hergestellt würde, die ein Bundestagsausschuss niemals gewähren kann, solange die Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Was die Veröffentlichung als geheim deklarierter Dokumente anging, war der linke Flügel der Arbeiterbewegung vor 100 Jahren schon mal weiter. Eine der ersten Maßnahmen der jungen Sowjetregierung war im November 1917 die Veröffentlichung von Dokumenten, die von den Vorgängerregierungen als geheim erklärt hatten.

Auch einige der europäischen Länder, die in den Dokumenten erwähnt wurden, waren über die Transparenzoffensive nicht erfreut. In Bayern war eine der ersten Aktionen der kurzlebigen Räterepublik unter Vorsitz des linken Sozialdemokraten Kurt Eisner die Veröffentlichung[6] von als geheim klassifizierten Dokumenten der deutschen Außenpolitik und Diplomatie. Sie machten deutlich, welchen Anteil Deutschland für den Ausbruch des 1. Weltkriegs hatte.

Die alten Mächte aber auch die Mehrheitssozialdemokratie, die sie beerbte, waren erbost über diese Veröffentlichung. Der Hass auf die Räterepublik und ihre Protagonisten wuchs. Kurt Eisner wurde von einem Mitglied des völkischen Thulegesellschaft[7], einer direkten Vorläuferorganisation der NSDAP ermordet.

Dieses Schicksal würde den Whistleblower nicht drohen, die die NSA-Dokumente an Wikileaks weitergeleitet haben. Doch eine Haftstrafe wäre durchaus denkbar. Sollte es dazu kommen, wird sich zeigen, wer von denen, die in den letzten Jahren Snowden lobten, auch für die hiesigen Whistleblower eintritt.

https://www.heise.de/tp/features/Gerechtigkeit-auch-fuer-Whistleblower-in-Deutschland-3549769.html

Peter Nowak


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http://www.heise.de/-3549769

Links in diesem Artikel:
[1] https://wikileaks.org/bnd-inquiry/
[2] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/wikileaks-und-nsa-ausschuss-dokument-koennte-informanten-verraten-a-1124153.html
[3] https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:rBXOJ40BhZMJ:https://wikileaks.org/bnd-inquiry/docs/Bundestag%2520Vorabunterrichtung%2520RfAB%252023.6.2014-1.pdf+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de&client=firefox-b
[4] http://von-notz.de/
[5] http://www.deutschlandfunk.de/von-notz-gruene-wikileaks-veroeffentlichung-zu-nsa-schadet.447.de.html?drn:news_id=684551
[6] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Dokumente_zum_Kriegsausbruch_und_zum_Versailler_Schuldspruch,_1922
[7] http://www.relinfo.ch/thule/info.html

Knackis in der Altersarmut

Sozialverbände kämpfen für den Rentenanspruch von Inhaftierten. Doch viele Gefängnisse verhindern, dass die Insassen über ihre Rechte aufgeklärt werden.

Jahrzehntelanges Arbeiten ohne Aussicht auf Altersbezüge – genau das droht vielen ehemaligen Strafgefangenen, obwohl sich immer mehr in ei­genen Gewerkschaften organisieren (Jungle World 48/2015).

„Knackis in der Altersarmut“ weiterlesen

G20-Gegner: Globalisierungskritik ohne Nationalismus

Die Abgrenzung von Attac gegen rechte Globalisierungskritiker setzt einen klaren Akzent, ansonsten dominieren die alten Event-Rezepte

Nun können die Kritiker und Gegner des G20-Gipfels[1], der im Juli nächsten Jahres in Hamburg stattfinden soll, doch noch in den Räumen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg tagen. Das Hochschulpräsidium wollte zuvor die Räume für die Globalisierungskritiker kündigen, war aber juristisch damit gescheitert[2].

Schon werden von Attac Szenarien vorgestellt, nach denen Demonstranten am 8.Juli die Hamburger Innenstadt füllen sollen. Dabei müssen an diesem Wochenende erst einmal die Widersprüche innerhalb der Protestszene ausgeräumt werden. An einem Punkt dürfte es zumindest keinen Dissens geben. Avancen von rechts werden auch bei den G20-Protesten nicht auf Gegenliebe stoßen.

Kürzlich hat Attac eine Erklärung[3] verabschiedet, in der einer Globalisierungskritik ohne Nationalismus das Wort geredet wird. Die Klarstellung war auch deshalb notwendig geworden, weil rechte und rechtspopulistische Kräfte Auftrieb bekommen, die mit einem Standortnationalismus gegen den Freihandel mobilisieren. Die Wahl von Trump war ein Menetekel.

Wenn er nun tatsächlich Verträge wie TTIP verhindert, ist das Wasser auf die Mühlen nationalistischer Globalisierungskritiker. Mag auch der Kreis der Protestorganisatoren gegen rechte Avancen immun sein, so gilt das längst nicht für alle, die sich in den letzten Jahren an den von ihnen organisierten Protesten beteiligt hatten. So haben die Protestorganisatoren ein Problem, das auch die Linkspartei kennt.

Sie bzw. ihre Vorgängerpartei wurden auch von Menschen gewählt, die sie als Protestpartei wahrnahmen und eben mangels Alternative ihr Kreuz bei den Linksreformisten machten. Das erklärt, warum so viele von ihnen jetzt die AfD wählen. So beteiligten sich auch viele Freihandelsgegner an den von Linken organisierten Demonstrationen, weil es eben keine anderen wahrnehmbaren Akteure auf diesen Gebiet gab.

Das könnte sich mit dem Aufstieg rechter Bewegungen ändern, die noch darauf verweisen können, dass nicht die Linken, sondern Trump TTIP verhindert hätte, wenn er denn in dieser Frage seine Versprechungen einhält.

Interessant könnte es werden, wenn nun die Globalisierungskritiker Anfang Juli die wahrscheinliche Teilnahme von Trump dazu nutzen, um die Massen auf die Straße zu kriegen. Dann soll ausgerechnet jener Politiker, der für eine rechte Globalisierungskritik steht, den linken Globalisierungskritikern als Zugpferd für ihre Proteste dienen. Dabei stellt sich die Frage, welchen Stellenwert dann noch die Globalisierungskritik bei der Mobilisierung hat oder ob es nicht doch eher eine Antifa-Mobilisierung mit etwas globalisierungskritischen Touch sein wird.

Zumal sich ja neben Trump unter den im Juli anreisenden Politikern weitere Personen finden dürften, die sich für eine Antifa-Mobilisierung eignen. Zudem wird es im Juli 2017 Wahlen in Holland gegeben haben, die auch mit einem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Wilders enden könnten, der noch im letzten Jahr als Redner bei Pegida-Kundgebungen aufgetreten ist[4].

Auch in Frankreich finden die Präsidentenwahlen kurz vor dem G20-Gipfel statt. Mit einem Sieg von Le Pen würden die Weichen für die Proteste endgültig auf die Antifa-Schiene geschoben. Doch das Wahlergebnis ist für die Protestbewegung auch dann fatal, wenn Le Pen verliert. Denn ihr Gegenkandidat würde nach den aktuellen Umfragen kein Sozialdemokrat und nicht einmal ein liberaler Konservativer.

Mit Fillon stünde ein ultrakonservativer Traditionalist und Thatcher-Freund in der Stichwahl gegen Le Pen, der bereits angekündigt hat, die Zumutungen gegen die Lohnabhängigen enorm zu verschärfen, damit Frankreich im EU-Rahmen mit Deutschland ökonomisch konkurrieren kann. Er will die von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik verschärft umsetzen, gegen die in Frankreich erst vor wenigen Monaten Zugtausende auf die Straßen gingen und gegen die es massive Streiks gab.

Dass ein solcher Kandidat dann von Gewerkschaftern und sozialen Aktivisten gewählt würde, nur um eine sich sozialprotektionistisch gebende Le Pen zu verhindern, glaubt niemand. Käme es zu dieser Konstellation, würde ein Großteil der Menschen sich der Wahl enthalten. Aber auch Le Pen, hätte mit ihrer nationalsozialen Rhetorik gute Chancen. Ein solches Szenario müsste eigentlich ein Weckruf für eine Linke sein, die mit ihren G20-Protesten dabei ist, die viel kritisierte Eventpolitik vergangener Jahrzehnte zu wiederholen.

Wie zu Zeiten von Heiligendamm im Jahr 2007 setzt man 10 Jahre später wieder darauf, Massen zu einem Treffen zu bringen, das für die Mehrheit der Menschen eigentlich völlig irrelevant ist. Die Mehrheit der prekär Beschäftigten und der Erwerbslosen werden die Proteste, wenn überhaupt, über die sozialen Netzwerke mitbekommen. Ihre Lebens- und Arbeitssituation verändert sich mit diesem Gipfel genauso wenig, wie es die Treffen in Heiligendamm, Göteburg, Genua und andere Gipfelorte taten.

Eine Linke, die wieder Relevanz bekommen will, müsste die Proteste und ersten Kämpfe in den neuen prekären Beschäftigungsverhältnissen zur Grundlage ihrer Arbeit machen. Dass sich in Italien Foodora-Beschäftigte in einem Arbeitskampf[5] befinden, kann man in den sozialen Netzwerken[6] erfahren, wird aber viel weniger bekanntgemacht als die neuesten Infos rund um G20.

Dabei ist Foodora auch in Deutschland ein Pionier für prekäre Arbeitsverhältnisse. Dass in der norditalienischen Logistikindustrie migrantische Arbeitskämpfe seit Jahren Arbeitskämpfe auch erfolgreich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen[7], wurde selbst dann in Deutschland nicht bekannter, als am 15. September der Streikposten Abd Elsalam Ahmed Eldanf[8] tödlich verletzt wurde.

Angestoßen durch die Blockupy-Proteste[9] der letzten Jahre gründete sich eine Plattform[10], die sich der Verallgemeinerung solcher transnationalen Arbeitskämpfe widmete. Es ist zu befürchten, dass diese Arbeit in den Mühen der Ebenen durch die Konzentration relevanter Teile der Linken auf den Hamburger Event zu kurz kommt.

Das Blockupy-Netzwerk hat mittlerweile beschlossen, seine Arbeit vorerst einzustellen und alle Kräfte auf den G20-Gipfel zu konzentrieren. Dazu hat sicher auch die geringe Beteiligung an den Berliner Blockupy-Protesten Anfang September beigetragen. Doch da müsste die Frage gestellt werden, ob die Erfolge gewerkschaftlicher und betrieblicher Basisarbeit nicht eher durch Streiks und andere Protestformen am Arbeitsplatz als durch Beteiligung an Demonstrationen gemessen werden.

Mit der Konzentration auf die Proteste in Hamburg hat man sich aber wieder auf die Logik der Massenaufmärsche als Kraftmesser des Erfolgs eingelassen.


Dabei wird es auch zu der Hamburger Mobilisierung wieder zwei völlig konträre Protestlogiken geben. Attac und Co. wollen die Protestszene stärken, um sich dadurch als Vermittler und Verhandler für die Staatsseite besser in Szene setzen zu können.

Je mehr Menschen auf die Straße gehen, desto besser können sie vermitteln, dass es sich hier um relevante Probleme geht, die Instanzen brauchen, die verhandeln und regulieren. Sie bieten sich dann natürlich gleich selber an. Dann gibt es auch noch andere Gruppen im Bündnis, die mit der Logik der Repräsentanz und Verhandlung brechen und die Proteste für Ansätze von Gegenmacht nutzen wollen.

In den Vorbereitungskonferenzen wird dann ausgehandelt, ob und wie diese beiden Logiken zusammengehen und wo die Grenzen sein werden. Dabei werden solche Fragen wie der Termin für die Großdemonstration relevant. Im Vorfeld des G20-Gipfels, wie es Attac und Co präferieren oder während des Gipfels, wie es die Teile des Protestspektrums, die mehr für Konfrontation stehen, vorziehen.

Auch die Kooperation mit dem Staat ist ein alter Streitpunkt bei solchen Konferenzen. Während Attac und viele NGO längst ihren Platz in der Protestecke des G20-Gipfels haben, lehnen andere Gruppen eine solche Form der Lobbyarbeit ab. Es sind auch biographische Fragen dabei zu berücksichtigen.

Viele jüngere Freunde des konfrontativen Protests wechseln mit Abschluss ihrer Ausbildung oder ihres Studiums so ganz langsam in die NGO-Landschaft über, bei der es auch verschiedene Abstufungen der Kritik und des Co-Managements gibt.

Natürlich sind die Staatsapparate dabei keine neutralen Beobachter. Schon mehr als 6 Monate vor Beginn des G20-Gipfels gibt es Streit um das Demonstrationsrecht. Das Komitee für Grundrechte hatte kürzlich in einer Erklärung bedauert[11], dass der rot-grüne Senat sich für eine repressive Linie entschieden hat. Das machen die Menschenrechtler an der Personalie des neuen Polizeipräsidenten fest:

Hartmut Dudde, der unter dem Rechtspopulisten und früheren Innenminister Ronald Schill Karriere gemacht hat, hat in seiner Zeit in der Gesamteinsatzleitung der Bereitschaftspolizei mehrfach Rechtsbrüche begangen. Rechtswidrige Einkesselungen von Versammlungsteilnehmer*innen – so z.B der Kessel in Harlingen beim Castortransport 2010, Verbot von Transparenten aufgrund der Länge, Ingewahrsamnahmen, Auflösung von Versammlungen – immer wieder mussten Gerichte feststellen, dass die Polizei Hamburg unter Leitung von Hartmut Dudde gegen das Versammlungsrecht und die Grundrechte der Bürger*innen verstoßen hat[12].

Komitee für Grundrechte

Als weitere Zeichen für eine Eskalation gegenüber den nicht konsensorientierten Teil der G20-Protestbewegung bewertet das Komitee für Grundrechte die Aufrüstung der Polizei und den Ausbau der Untersuchungsgefängnisse. Doch, wenn es um die Einschränkung von Grundrechten gegen radikale Teile der Protestbewegung geht, braucht man gar nicht bis zum G20-Gipfel zu warten.

In der kommenden Woche plant ein kleines antiimperialistisches Protestbündnis eine Demonstration gegen das in Hamburg tagende OSZE-Treffen. Das Hamburger Abendblatt sieht die Einkaufsfreiheit in Gefahr[13] und stellte sich auf die Seite der um das Weihnachtsgeschäft besorgten Händler.

Dass das Blatt noch Angaben über die politische Vita und den Wohnort des Demoanmelders bekannt gab, ist ein eindeutiger Verstoß gegen den Datenschutz und eine Einschüchterung von potentiellen Teilnehmern und Anmeldern solcher Demonstrationen.

https://www.heise.de/tp/features/G20-Gegner-Globalisierungskritik-ohne-Nationalismus-3549554.html

Peter Nowak


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http://www.heise.de/-3549554

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.g20hamburg.org/de/node
[2] http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/hamburger-senat-muss-raum-fuer-g20-aktionskonferenz-zur-verfuegung-stellen/
[3] http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/-0f177611f2/
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-geert-wilders-bei-kundgebung-in-dresden-a-1028335.html
[5] https://strugglesinitaly.wordpress.com/2016/10/30/foodora-strikes-in-italy-the-dark-side-of-the-sharing-economy/
[6] https://www.facebook.com/notes/deliverance-project/international-news-release-an-extensive-call-to-all-riders-of-europe/1301332033220753
[7] http://de.labournet.tv/die-angst-wegschmeissen
[8] http://de.labournet.tv/node/7064
[9] https://blockupy.org
[10] http://www.transnational-strike.info/
[11] http://www.grundrechtekomitee.de/node/824
[12] https://kleineanfragen.de/hamburg/21/62-eskalationen-und-rechtsver
[13] http://www.abendblatt.de/hamburg/article208735847/OSZE-Gipfel-in-Hamburg-Haendler-in-Sorge-um-ihre-Laeden.html

»Kein Unglücksfall« – Der Tod eines Streikpostens in Italien

Der Tod eines Kollegen auf Streikposten hat Mitte September in Italien zu massiven Protesten geführt. In Deutschland war das – auch in der linken Öffentlichkeit – kaum ein Thema.
„Er ist mit einem Megaphon in der Hand gestorben. Er ist von SEAM [einem Zulieferer von GLS] und GLS getötet worden.“ Das sagten einige KollegInnen von Abd Elsalam Ahmed Eldanf, der am 15. September 2016 bei der Blockade eines bestreikten GLS-Warenlagers in Piacenza von einem Firmenwagen überfahren wurde. Sie klagen damit auch die beiden Unternehmen an, bei denen der in Ägypten geborene Mann seit 2003 gearbeitet hat.
Mit dem Streik wollten die Beschäftigten die unbefristete Anstellung von 13 KollegInnen und die Wiedereinstellung von weiteren KollegInnen, die ihren Job verloren hatten, weil sie Gewerkschaftsmitglieder geworden waren, durchsetzen. Abd Elsalam hatte bereits einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Er beteiligte sich an dem Streik, um seine KollegInnen zu unterstützen. Dieses solidarische Agieren der Beschäftigten kennzeichnet den seit 2008 andauernden Kampfzyklus in der norditalienischen Logistikbranche. „Die meist migrantischen LogistikarbeiterInnen in Italien haben es in den letzten sechs Jahren geschafft, durch militante Streiks ihre menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen grundlegend zu verbessern. Während sie früher regelmäßig bei der Lohnabrechnung betrogen und von den VorarbeiterInnen mit gewalttätiger Arroganz behandelt wurden, haben sie jetzt in vielen Unternehmen normale Bedingungen für sich erkämpft. Wegen dieser Erfolge organisieren sich immer mehr ArbeiterInnen in der Basisgewerkschaft S.I. Cobas und setzen sich mit ihren KollegInnen zur Wehr“, schreibt Bärbel Schönafinger auf der Plattform Labournet.tv. Sie hat einige der italienischen LogistikarbeiterInnen 2014 beim europäischen Treffen von BasisgewerkschafterInnen in Berlin kennengelernt und diese in Norditalien besucht. Aus den Besuchen und Gesprächen ging auch der Film „Die Angst wegschmeißen“ (http://de.labournet.tv/die-angst-wegschmeissen) hervor, mit dem sie den Arbeitskampf in Norditalien in Deutschland bekannter gemacht hat.
Terror gegen Streikende
Für Giorgio Grappi, Sozialwissenschaftler, aktives Mitglied der MigrantInnen-Koordination von Bologna und des Kollektivs »S-Connessioniprecarie« (Prekäre Verbindungen), ist der Tod von Abd Elsalam nicht der tragische Unglücksfall, als den ihn die italienische Justiz darstellt. In einem Interview mit der linken Zeitung Il Manifesto bezeichnet er Abd Elsalams Tod als Höhepunkt der Gewalt, die von Seiten der Unternehmen und des Staates seit Beginn des Kampfzyklus gegen die Streikenden zum Ausdruck kam. „Wer die Arbeitskämpfe der migrantischen ArbeiterInnen in der Logistik verfolgt hat, kennt die Gewalt, die von Unternehmerseite bei den Blockaden ausgeübt wird, die Versuche, sie zu durchbrechen, und die Polizeieinsätze gegen Streikposten sehr genau“, erklärt Grappi. „Youtube ist voll von Videos, die ArbeiterInnen mit schweren Verletzungen zeigen, die ihnen Polizei oder Streikbrecher zugefügt haben“, berichtet auch Bärbel Schönafinger. Die Kampfbereitschaft und Entschlossenheit der Beschäftigten konnte damit nicht gebrochen werden .
Sie haben es geschafft, sich italienweit zu organisieren und gegenseitig in ihren Kämpfen zu unterstützen, so dass auch Kämpfe in Warenlagern gewonnen werden konnten, in denen zunächst nur ein kleiner Teil der Belegschaft in den Streik getreten war. Der Kampfzyklus hatte zudem eine integrative Kraft für die radikale Linke in Italien, die die LogistikarbeiterInnen tatkräftig unterstützt. Der Arbeitskampf wird sowohl von sozialen Zentren und autonomen Zusammenhängen als auch von verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen in Norditalien unterstützt. Die unterschiedlichen Spektren der italienischen Linken kooperieren bei der Streikunterstützung. Keine Unterstützung für den Arbeitskampf kam hingegen von den großen Gewerkschaftszentralen in Italien. Ob sich dies nach dem Tod von Abd Elsalam ändert, muss sich zeigen. Am 18. September erklärte der Sekretär der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Maurizio Landini: „Mit der Auftragsvergabe an Subunternehmer und Kürzungen bei der Vorbeugung befindet sich die Arbeitssicherheit in einer dramatischen Lage. Man muss die verfehlten Gesetze korrigieren.“ Die CGIL fordert ein neues Statut für die Rechte der Werktätigen und ein Referendum gegen den Jobs Act (kann man das erläutern?). Für den 21. September hatte auch die FIOM-CGIL zu Streiks und Betriebsversammlungen aufgerufen.
Kaum Unterstützung aus Deutschland
Obwohl einige der in Norditalien bestreikten Logistikunternehmen wie IKEA und DHM auch Filialen in deutschen Städten haben, ist es bislang in Deutschland nicht gelungen, eine Solidaritätsstruktur zur Unterstützung der Streikenden in Italien aufzubauen. Nachdem die Auseinandersetzungen in Norditalien durch den Film „Die Angst wegschmeißen“ bekannter wurden, gab es im Sommer 2015 auch Versuche, mit Aktionstagen die Solidarität mit den Streikenden auszuweiten. Das Konzept sah vor, parallel zum Arbeitskampf in Italien auch vor den Filialen in Deutschland die Forderungen der Belegschaft zu unterstützen. In Berlin, Hamburg und dem Ruhrgebiet gab es kleinere Aktionen wie z.B. unangemeldete Kundgebungen, und an IKEA-KundInnen wurden Flugblätter mit Informationen zu den Hintergründen der Streiks in italienischen Logistikunternehmen, die für IKEA arbeiten, verteilt. Doch es gelang nicht, die Solidaritätsaktionen kontinuierlich fortzusetzen oder gar auszuweiten. So wurde der Tod von Abd Elsalam Ahmed Eldanf in Deutschland kaum registriert. Lediglich in den Tageszeitungen Neues Deutschland und junge welt sowie in der Monatszeitung analyse und kritik (ak) gab es Artikel bzw. ein Interview dazu. Auch die außerparlamentarische Linke, die 2001 beim Tod des Globalisierungskritikers Carlo Giuliani noch in vielen Städten Aktionen organisierte, ignorierte den Tod des Streikpostens. Dieses Schweigen ist ein Zeichen, wie schlecht es um eine europaweite gewerkschaftliche Solidarität bestellt ist.
http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak

Radeln gegen Rüstung

RALLYE Antimilitaristisches Bündnis ruft Montagabend zu Protest gegen Sicherheitskonferenz auf

Nach Lösungen für „Europa in Gefahr“ suchen am kommenden Montag VertreterInnen der Politik, Nato und Rüstungsindustrie. Organisiert von der Zeitschrift Behördenspiegel treffen sie sich bei der „Berliner Sicherheitskonferenz“ (BSC) im Hotel Andel’s in der Landsberger Allee 106. Am Montagabend organisiert das antimilitaristische   Mit einer sechs Kilometer langen Fahrradtour wollen die
AntimilitaristInnen Orte im Berliner Regierungsviertel aufsuchen, die mit Aufrüstung in Verbindung stehen sollen. Die Tour beginnt am Bundeswehr-Showroom gegenüber dem SBahnhof Friedrichstraße, gefolgt vom Bundesverteidigungsministerium und der Berliner
Dependance der Europäischen Kommission. Beendet wird die Tour mit einer Kundgebung vor der französischen Botschaft am Pariser Platz. Dort treffen sich die TeilnehmerInnen der BSC ab 19 Uhr zu einem Empfang und werden so mit den Protesten konfrontiert. Mehrere Jahre tagte die BSC ohne öffentliche Wahrnehmung. „Die Konferenz hat auf Öffentlichkeitsarbeit weitgehend verzichtet und war daher lange nicht bekannt“, erklärte Martina Roth vom No-War-Bündnis der taz. Sie verweist auf die zahlreichen SponsorInnen aus der Rüstungsindustrie. Dazu gehört der Kampfflugzeughersteller Lockheed Martin aus den USA ebenso wie der europäische Konzern Airbus Defence and Space, der die Bundeswehr mit Elektronik und IT-Systemen beliefert.

aus Taz vom MONTAG, 28. NOVEMBER 2016

Peter Nowak

Die permanente digitale Selbstüberwachung

Simon Schaupp entlarvt, warum wir selbst schuld sind an der Stärke des neoliberalen Systems

Gleich im ersten Kapitel beschreibt der Soziologe Simon Schaupp, wie er gegen seinen Willen zum Self-Tracker wurde. Er hatte mit seinem neuen Smartphone an einer Demonstration teilgenommen und das neue Gerät meldet sich mit der Botschaft: »Glückwünsch Simon, Sie haben heute mehr als 1000 Schritte gemacht. Versuchen Sie doch morgen 1500.« Die vorinstallierte App hatte nicht nur die Demonstrationsschritte und die Route, sondern auch die Laufgeschwindigkeit und den Kalorienverbrauch während der Demonstration aufgezeichnet.

Während Schaupp unbeabsichtigt ein detailliertes Bewegungsprotokoll aufzeichnen ließ, wächst weltweit die Zahl der Menschen, die täglich ganz freiwillig ihr gesamtes Leben – von der Arbeit über das Joggen bis zum Schlaf – minutiös dokumentieren, sich überwachen lassen und die Daten dann auch noch über soziale Netzwerke in alle Welt verbreiten.

Der kritische Autor stellte sich die Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen dieses Phänomens: »Welche politischen und ökonomischen Strukturen machen es notwendig, sich permanent selbst zu überwachen und zu optimieren?« Schaupp warnt eindringlich, dass Self-Tracking aktuell eine enorme Rolle bei der Selbstzurichtung und Konditionierung des Subjekts für die Zumutungen des Kapitalismus spielt. Gerade diese schon alltägliche und massenhaft verbreitete Praxis bewirkt und sichert, dass der Neoliberalismus so stark ist wie nie zuvor und selbst die Krisen der vergangenen Jahre scheinbar schadlos überstanden hat.

»Im Self-Tracking verschmelzen Polizei und Verdächtiger zu einer Person zusammen, die sich selbst mit allen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln ausspioniert. Jeder versäumte Jogginggrund, jede überzählige Kalorie, jede verträumte Minute Arbeitszeit wird registriert und angemahnt, um nicht vor sich selbst in den Verdacht zu geraten, das Kapitalverbrechen der Leistungsgesellschaft zu begehen: Nicht das Maximum aus sich herauszuholen«, fasst Schaupp die ökonomischen Zusammenhänge prägnant zusammen.

Der Wissenschaftler zeigt anhand der Werbung für die unterschiedlichen Self-Tracking-Methoden, wie die letztlich fatale Selbstkonditionierung funktioniert. Es ist bezeichnend, dass mit Bergsteigern und Soldaten zwei Gruppen, die immer wieder auch Tote und Schwerverletzte zu verzeichnen haben, Vorbilder für das Self-Tracking sind.

Die Botschaft ist klar: Schonung von Gesundheit und Leben ist im Ellenbogen-Kapitalismus der »Leistungsträger« nur etwas für Loser, Schwächlinge und Versager. Self-Tracking hat laut dem Verfasser auch schon längst Einzug in die Politik gehalten und wird von dieser explizit gewünscht. So hat das britische Gesundheitsministerium Ärzte aufgefordert, ihren Patienten Self-Tracking-Anwendungen zu verschreiben, »damit diese in die Lage versetzt werden, ihre Gesundheit effektiver zu überwachen und so mehr Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen«. Krankenkassen belohnen eifrige Self-Tracker mit Prämien. Wer nicht mitmacht, zahlt höhere Beiträge. Auch die Europäische Kommission setzt große Hoffnungen darauf, mit Self-Tracking immense Einsparungen im europäischen Gesundheitsbudget zu erzielen.

Im letzten Kapitel stellt sich Schaupp die Frage, ob in einer nicht von der Kapitalverwertung bestimmten Gesellschaft die zuvor von ihm beklagten Methoden in emanzipatorischem Sinne verwendet werden könnten. Er gibt darauf keine Antwort. Sie zu finden, überlässt er den Lesern. Nach der Lektüre des Buches drängt sich jedoch noch eine andere Frage auf, die Schaupp nicht stellt: Ist es nicht höchste Zeit, dass sich die Menschen offensiver den Self-Tracking-Methoden verweigern, dem Markt und dem Staat definitiv erklären, sich nicht mehr ständig weiter optimieren zu wollen, nicht mehr immer neue Rekorde und Höchstwerte aus sich herausholen zu lassen?

Simon Schaupp: Digitale Selbstüberwachung. Self-Tracking im kybernetischen Kapitalismus. Verlag Graswurzelrevolution. 160 S., br., 14,90 €.

Peter Nowak

Im eigenen Buch lesen ist verboten

Ein Ratgeber von aktiven Gefängnisinsassen wird Häftlingen verwehrt.

Moussa Schmitz ist auch hinter Gittern ein umtriebiger Mensch. Immer wieder meldet sich der in der JVA Wuppertal inhaftierte Mann mit kritischen Artikeln zur rechtlichen und sozialen Situation in den Gefängnissen zu Wort. Er ist auch einer der Autoren des im April 2016 im Verlag Assoziation A erschienenen Ratgebers »Wege durch den Knast«. Doch das Buch hat Schmitz nie erhalten. Die Gefängnisleitung verweigerte die Weiterleitung mit Verweis auf die Anstaltsordnung. Das ist allerdings kein Einzelfall. Der von einem Team aus ehemaligen und aktuellen Gefangenen, Juristen und linken Solidaritätsgruppen erstellte 600-seitige Leitfaden erreicht seine Adressaten, die Häftlinge, oft nicht.

In letzter Zeit scheinen manche Gefängnisleitungen den Ratgeber als Störung des Knastalltags zu begreifen und reagieren mit Sanktionen. »In allen bayerischen Gefängnissen wird das Buch nicht weitergeleitet. Die JVA Straubing hat den Anfang gemacht, Aichach hat mit einer schriftlichen Verfügung nachgezogen. Danach gefährdet der Ratgeber die Sicherheit und Ordnung, sei deshalb vollzugsfeindlich und aufwieglerisch«, erklärt Janko L. vom Herausgeberkollektiv gegenüber »nd«. Mittlerweile scheinen sich auch Gefängnisse in anderen Bundesländern diesem harten Kurs anzuschließen. In den letzten Wochen haben die Justizvollzugsanstalten Darmstadt, Werl und Butzbach den Ratgeber nicht an die den Häftlinge weitergeleitet. Auch eine Stellungnahme der Herausgeber zu dem Verbot sowie ein Auszug aus dem Buch, in dem juristische Wege aufgelistet sind, wie man sich gegen solche Sanktionen wehren kann, wurden von den Insassen ferngehalten.

Die Sanktionen treffen einen Ratgeber, der an keiner Stelle polemisch ist. Die Beiträge sind in sachlichem Ton gehalten. Sie sollen den Gefangenen helfen, sich im Knast zurechtzufinden und sie dazu ermutigen, ihre Rechte auch hinter Gittern wahrzunehmen.

»›Wege durch den Knast‹ ist ein umfassendes Standardwerk für Betroffene, Angehörige und Interessierte. Es vermittelt tiefe Einblicke in die Unbill des Knastalltags, informiert über die Rechte von Inhaftierten und zeigt Möglichkeiten auf, wie diese auch durchgesetzt werden können«, annonciert der Verlag Assoziation A den Leitfaden. In einzelnen Kapiteln werden rechtliche Fragen aufgeworfen sowie praktische Tipps für den Alltag gegeben, zu denen Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Anregungen für Sport- und Gesundheitsprogramme hinter Gittern gehören. Das Buch ist eine überarbeitete Fassung eines bereits in den in 1990er Jahren erschienenen Knastleitfadens. Der wiederum hat auch einen Vorläufer: die 1980 erschienene Loseblattsammlung unter dem Titel »Ratgeber für Gefangene mit medizinischen und juristischen Hinweisen«.

Reiner Wendling vom Verlag Assoziation A weist im Gespräch mit dem »nd« auf die Willkür der Sanktionsmaßnahmen hin. »Während der Ratgeber in einigen Gefängnissen Eingang in die Bibliotheken gefunden hat, dürfen in anderen Knästen die Gefangenen nicht einmal Auszüge daraus erhalten.« Doch den Weg vor Gericht hält Wendling nach Rücksprache mit Juristen für zu riskant. Dann könnte der kleinen Willkür der Gefängnisleitungen auch die große Willkür folgen, wenn die Gerichte die Sanktionen für rechtmäßig erklärten. Der Ratgeber würde dann unter Umständen auch den Häftlingen vorenthalten, die ihn heute noch problemlos bestellen können.

ttps://www.neues-deutschland.de/artikel/1032202.im-eigenen-buch-lesen-ist-verboten.html

Von Peter Nowak

Justizminister ignorieren Rentenforderung

JVA Verbände und Gewerkschaften fordern Rentenanspruch und Mindestlohn für Strafgefangene

Mehmet Aykol arbeitet seit über 20 Jahren in einer Druckerei. Dennoch droht ihm Altersarmut, weil er später auf Grundsicherung angewiesen sein wird. Er gehört zu den rund 64.000 Strafgefangenen in Deutschland, die trotz regelmäßiger
Arbeit keine Rentenansprüche haben. „Das widerspricht dem erklärten Ziel des Strafvollzugs, straffällig gewordene Menschen
dabei zu unterstützen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden“, sagt Michael Löher vom Vorstand des Deutschen Vereins
für öffentliche und privatFürsorge e. V. Er fordert wie andere sozialpolitische Organisationen, dass Strafgefangene einen
Anspruch auf eine Rente haben sollten. Löher & Co. richten ihre Forderung an die Konferenz der Justizminister der Länder, die am 17. November in Berlin tagt. Warum die Rente im Knast erneut nicht auf der Tagesordnung steht, kann die Behörde auf Anfrage der taz nicht erklären. Fakt ist: Das Thema wird wie so oft in den letzten Jahrzehnten vertagt. Schließlich sah das Strafvollzugsgesetz von 1977 bereitsdie Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung vor. Sie wurde bis heute nicht
umgesetzt, weil sich Bund und Länder über die Finanzierung nicht einigen konnten. „Arbeitende Gefangene werden nicht nur gegenüber ihren KollegInnen draußen diskriminiert, sondern auch gegenüber den Strafgefangenen, die als FreigängerInnen außerhalb der Gefängnisse arbeiten und in die Rentenversicherung einbezogen sind“, betont die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, Gabriele Sauermann. Ganze Familien würden durch den Ausschluss aus der Rentenversicherung stark belastet. Der Sprecher der 2014 gegründeten Gefangenengewerkschaft/ bundesweite Organisation (GG/BO) betont, dass neben der Rente auch die Zahlung von Mindestlohn nötig ist. Die Bundesländer sehen in der Knastarbeit
kein Arbeitsverhältnis, deshalb erhalten Gefangene auch keinen Lohn, sondern „Entgelt“. In der Berliner JVA Tegel etwa
bekommt ein Gefangener zwischen 8 und 15 Euro pro Tag. Das ist ein Stundenlohn weit unter 2 Euro. „Wo aktuell so viel von Altersarmut die Rede ist, können die Strafgefangenen nicht einfach aus der Diskussion ausgespart werden“, kritisiert Löher. Er
benennt ein klares Ziel der Initiative: „Nach den nächsten Bundestagswahlen muss die Rente hinter Gittern Teil der Koalitionsvereinbarungen werden“.

Inland TAZ.DIE TAGESZEITUNGDIENSTAG, 15. NOVEMBER 2016
PETER NOWAK