Der Citec auf die Pelle rücken

MieterInnnen aus Berliner Citec-Häuser wollen künftig zusammenarbeiten.

Einschüchterungen von MieterInnen, fehlende Transparenz, Verdacht auf Baubetrug, die Liste der Vorwürfe ist lang, die Berliner MieterInnen am 19. Februar zusammengetragen haben. Sie richten sich alle an den gleichen Eigentümer, die Citec Immo Invest GmbH mit Sitz in Berlin.
Bereits im Frühjahr letzten Jahres hatten sich erstmals berlinweit Mieter/innen aus Citec-Häusern zum Austausch getroffen. Dort hatte man ein  erneutes Treffen in diesem Jahr vereinbart. BewohnerInnen der Friedelstraße 54 haben die Einladung jetzt übernommen. Sie wehren sich seit mehr als einen Jahr gegen die von der Citec angekündigte energetische Modernisierung und die damit verbundenen Mieterhöhungen. Zum 30.April wurde dem Stadtteilladen f54 in dem Haus gekündigt.In diesem Räumen fand nun das Treffen mit Mieter/innen aus 7 Citec-Häusern statt. Sie kamen aus den Stadtteilen Neukölln, Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg.
Angst vor Kündigung ist groß

Schnell stellte sich heraus, dass die energetische Modernisierung und die damit verbundenen  Mieterhöhungen die zentralen Probleme in den Citec-Häusern sind So bezweifeln MieterInnen aus mehreren Häusern die Angaben der Citec, dass mehr als 10 %  der Hausfassade schadhaft sind. Dieser Prozentsatz ist für die Eigentümer wichtig Denn Häuser, deren Fassade mehr als 10 % beschädigt ist, müssen laut Gesetzgeber modernisiert werden. Die MieterInnen können in einem solchen Fall keine finanziellen Härtefälle geltend machen. Stutzig wurden die MieterInnen, dass das auf sämtliche Citec-Häuser zutreffen soll. Darunter sind auch Gebäude, deren Fassade erst vor einigen Jahren vollständig renoviert wurde. Deutlich wurde aber auch, dass es sehr schwierig für die MieterInnen ist, hier einen Baubetrug nachzuweisen, weil ihnen der Einblick in die Unterlagen verweigert wird und sie auch von der Justiz dabei keine  Unterstützung bekommen. Eine Klage auf Einsicht in die Unterlagen wurde abgelehnt. Andere Mieter/innen, die gegen eine hohe Mieterhöhung kämpfen, haben sich unter Druck bereiterklärt, diese unter Vorbehalt zu zahlen. Vorher hatten sie nur die Miete in der ursprünglichen Höhe bezahlt. Weil sie dann aber schnell mit mehr als einer Monatsmiete in Verzug gekommen wären, wollten sie keinen Kündigungsgrund liefern und zahlten unter Vorbehalt. Es stellt sich auch heraus, dass einige Mierter/innen eine  Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hatten, aber nicht Mitglied einer MieterInnenorganisation sind. Die Bewohner/innen der Friedelstraße warben noch einmal für einen Eintritt in die Berliner Mietergemeinschaft und wiesen darauf hin, dass es ihnen dabei nicht nur um den Rechtsschutz sondern auch um die Mitgliedschaft in ein Organisation geht, die politische Forderungen im Interesse der Mieter/innen stellt. Die anschließende Diskussion zeigte, dass das Vernetzungstreffen, aber auch die oft schon monatelangen Auseinandersetzungen mit der Citec in den einzelnen Häusern, bei den betroffenen MieterInnen die Bereitschaft zur Organisierung erhöht haben.

Der Citec auf die Pelle rücken

In den nächsten Wochen stehen weitere gemeinsame Aktionen der Citec-MieterInnen an. Dazu gehört eine Busfahrt von Berlin nach Wien am 18./19. März. Dort soll vor der Citec-Zentrale protestiert werden Die Aktion wird auch von österreichischen Gruppierungen unterstützt. „Wir wollen in Wien deutlich machen, dass wir keine Mietzahlungsautomaten sind“, begründete eine Mieterin die Fahrt nach Wien. Die Friedelstraße 54 organisiert im Rahmen der Reihe „Logik der Verdrängung  – Logik des Kapitals“ an  unterschiedlichen Orten Veranstaltungen zum Thema „Wohnen und Widerstand“. Am 24. 2. Februar liest Margit Englert  Auszüge aus dem von ihr herausgebenden Buch „Rosemarie F. – Kein Skandal“, als Exempel für die ganz normale aber in der Konsequenz tödliche Logik des Kapitals auf dem Wohnungsmarkt.  Die  weiteren Termine der Veranstaltungsreihe finden sich hier:
nouvelledune.blogsport.de/2016/01/25/veranstaltungsreihe-logik-der-verdraengung-logik-des-kapitals/

MieterEcho oline 23.02.2016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/citec.html

Peter Nowak

Wenn die Dampfwalze rollt

Jobcenter kooperieren mit Wohnungseigentümern, vernachlässigen aber ihre Pflicht zur Mietübernahme. Berichte von Betroffenen zeigen, dass hinter skandalösen Wohnungsräumungen System steckt.

Eigentlich müsste das Jobcenter Meißen mit Stefan Klausner* zufrieden sein. Der Mann musste nach einem längeren Auslandsaufenthalt ALG-II-Leistungen beantragen, wollte sich aber schnell im Internetbereich selbstständig machen. Zur Vorbereitung stellte er eine Website online, die dazu dienen sollte, sich potentiellen Kunden vorzustellen. Doch schon nach wenigen Tagen meldete sich das Jobcenter und unterstellte Klausner, er generiere durch die Website Einkünfte, die er nicht gemeldet habe. Daraus ­erwuchs eine mehrjährige Auseinandersetzung, die Klausner mittlerweile als Fortsetzungsgeschichte in sechs Akten auf dem Internetportal Erwerbslosenforum.de dokumentiert. Klausner wurden im Verlauf des Konflikts mit dem Jobcenter immer wieder die finanziellen Leistungen ­gekürzt oder ganz gestrichen. Auf umfangreichen Fragebögen sollte er detaillierte Auskünfte über sämtliche Ausgaben geben, darunter die Finanzierung seiner Hochzeit. »Im März dieses Jahres wollte das Jobcenter die Telefondaten bei meinem Provider einsehen und drohte bei Weigerung mit den Einstellungen der Leistungen«, berichtet Klausner im Gespräch mit der Jungle World. Solche Informationen könne das Amt verlangen, wenn es um die Mitwirkungspflichten eines Arbeitslosen geht, sagte ein Mitarbeiter des Mei­ßener Jobcenters.

Auch Erfolge auf dem Rechtsweg halfen Klausner wenig. »Durch Vorlage aktueller Kontoauszüge sowie eidesstattlich versicherter Erklärungen ist hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass der Antragsteller über keine nennenswerten Vermögenswerte oder Einkommen verfügt, aus denen er seinen Lebensunterhalt und den seines Sohnes zunächst vollständig bestreiten kann«, begründete das Dresdner Sozialgericht seine verpflichtende Aufforderung an das Jobcenter Meißen, die Leistungssperre gegen Klausner aufzuheben. Doch schon wenige Tage später erreichte den Erwerbslosen ein neues Schreiben vom Jobcenter, in dem er erneut bei Androhung des Leistungsentzugs zur Beantwortung eines Fragenkatalogs aufgefordert wurde.

»Kaum hast du einen gerichtlichen Erfolg gegen das Jobcenter errungen, kommt der nächste Brief und die Auseinandersetzung beginnt von Neuem. Es ist wie eine Dampfwalze, die dich überrollt«, beschreibt ein Mann, der ehemals im Finanzsektor beschäftigt war, seine Erfahrungen mit dem Meißener Jobcenter. Ute, eine Frau Ende 40, nickt zustimmend. Auch ihr warf das Jobcenter Vernachlässigung ihrer Mitwirkungspflichten vor und strich die finanziellen Leistungen. Sie konnte ihre Miete nicht mehr zahlen und erhielt die Kündigung, der vom Amtsgericht Meißen stattgegeben wurde. Einen Räumungsaufschub lehnte es mit der Begründung ab, Ute und ihre Mitbewohnerin hätten Passivität bei der Wohnungssuche gezeigt und ihre Ansprüche zu hoch geschraubt. Erst als sie das Berliner Bündnis gegen Zwangsräumung einschalteten, konnten die beiden Frauen eine neue Wohnung beziehen und die Obdachlosigkeit abwenden.

Auch Stefan Klausner bekommt Unterstützung von außerhalb. Bei einem Treffen der unzufriedenen Kunden des Meißener Jobcenters boten die FAU Dresden und die Berliner Erwerbslosenini­tiative Basta ihre Unterstützung an. Auch ein Mitarbeiter einer SPD-Bundestagsabgeordneten war gekommen, um sich über die Probleme zu informieren. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Meißen, Bärbel Heym, hatte hingegen abgesagt und dies damit begründet, dass bei aller notwendigen Kritik an Hartz IV Pauschalisierungen nicht hilfreich seien: »Wir sollten uns in der aufgeheizten politischen Atmosphäre nicht zu Skandalisierungen verleiten lassen, sondern um vernünftige Lösungen kämpfen«, so beschied Heym einem der Koordinatoren des Treffens. Dabei geht es den Organisatoren gerade nicht darum, einzelne Jobcenter als besonders skandalös darzustellen, sondern darum, Selbstorganisierung voranzutreiben und konsequente Interessenvertretung von Erwerbslosen zu ermöglichen.

Die Erwerbslosen betonten auf dem Treffen, das Problem sei das Hartz-IV-System. Es liefert erst den Rahmen, in dem dann Jobcenter besonders restriktiv agieren. In Berlin wurde das Jobcenter Neukölln vor einigen Wochen von Erwerbsloseninitiativen und dem Bündnis gegen Zwangsräumungen mit einen Negativpreis ausgezeichnet. Während der Aktion hielten die Kritiker Schilder mit der Aufschrift »Jobcenter Neukölln ist Verdrängung« hoch. Kurz zuvor hatte eine von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität erarbeitete Studie mit dem Titel »Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems« wissenschaftlich bestätigt, was viele Betroffene seit Jahren kritisieren. Das Verhalten der Jobcenter spielt bei Zwangsräumungen eine gewichtige Rolle. So lehnt der Studie zufolge die Neuköllner Behörde in 85 Prozent der Fälle eine Mietschuldenübernahme ab und gibt damit den Weg zur Räumung frei. Das ist in Berlin der absolute Spitzenwert. Auch verursacht das Jobcenter Zwangsräumungen dadurch, dass es Mietzahlungen an ALG-II-Bezieher zu spät leistet, Sanktionen verhängt oder die Mieten auf falsche Konten überweist.

Vor einigen Wochen hat Margit Englert die Zwangsräumung der Rentnerin Rosemarie F. aufgrund der hinterlassenen Dokumente in dem Buch »Rosemarie F. Kein Skandal« akribisch aufgearbeitet. Dabei wird deutlich, wie das Amt, das eigentlich für die Grundsicherung zuständig ist, im Zusammenwirken mit der Wohnungseigentümerin den Hinauswurf der schwerkranken Frau erreichte, die zwei Tage später in einer Obdachloseneinrichtung starb.

»Wenn so ein Fall wie Rosemaries Tod öffentlich als Skandal wahrgenommen wird, geht man in der Regel schnell wieder zur Tagesordnung über. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der frei werdenden Wohnungen zu nehmen oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern – durch Investition in Immobilien«, betont Englert. Sie spricht von einem regelrechten »sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex«, der sich da gegen die grundlegenden Interessen und Bedürfnisse von Mietern, die auf Grundsicherung angewiesen sind, zusammenschließt.

Darum, dass genau diese Verschiebung der Aktivitäten der Jobcenter zugunsten der Eigentümer und zuungunsten der Mieter nicht mehr so reibungslos funktioniert und, dass das Systematische dieser Skandale offenkundig wird, geht es Erwerbsloseninitiativen wie Basta, die sich deshalb auch um die solidarische Kooperation der vom Hartz-IV-System Betroffenen über Städte­grenzen hinweg bemühen. Der Besuch in einer Stadt wie Meißen, die viele Linke in Berlin vor allem als Hort von Neonazis und Rassismus wahrnehmen, kann auch für eine differenziertere Sicht sorgen. Schließlich bekommen auch Berliner Mieter, denen Zwangsräumung droht, aus anderen Städten Unterstützung. So informiert die Kölner Initiative »Recht auf Stadt« einmal die Woche über die der 56jährigen Berliner Mieterin Andrea Borschert drohende Zwangsräumung. Die Kündigung ihrer Wohnung wird von den Kölner Wohnungseigentümern vorangetrieben.

*Name von der Redaktion geändert

http://jungle-world.com/artikel/2015/32/52439.html

Peter Nowak

Jobcenter Meißen, kein Skandal

Tod einer Rentnerin

Im April 2013 starb die Berliner Rentnerin Rosemarie Fließ, nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt worden war. Zum zweiten Jahrestag ihres Todes hat Margit Englert unter dem Titel »Rosemarie F. Kein Skandal« im Münsteraner Verlag Edition Assemblage ein Buch herausgebracht, das sein im Untertitel gegebenes Versprechen, »Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex« zu liefern, vollständig einlöst. Die Autorin lernte Rosemarie Fließ im Berliner Bündnis Zwangsräumung verhindern! kennen, wo die Rentnerin Unterstützung bei ihrem Kampf gegen die Räumung suchte. Zu den Treffen brachte sie auch die Unterlagen und amtlichen Dokumente mit, die Grundlage des Buches geworden sind. Dabei ist Englert sehr sensibel mit den persönlichen Daten der Rentnerin umgegangen. Schon im Vorwort macht sie deutlich, dass es in dem Buch nicht um das Leben der Rentnerin geht, sondern um die Verhältnisse, die zu ihrem Tod führten: »Denn es ist klar, was Rosemarie widerfahren ist, ist kein Einzelschicksal. Es geht in diesem Text also nicht darum, Rosemarie als einen besonderen oder außergewöhnlichen Menschen herauszustellen«. Anders als ein Großteil der Medien, die nach dem Tod der Rentnerin die Ursachen im Verhalten der Frau suchten, richtet Margit Englert den Fokus auf die kapitalistischen Verwertungsbedingungen, die Wohnraum zu einer Ware machen, und benennt die Profiteur_innen und Verlierer_innen.

https://www.akweb.de/ak_s/ak606/15.htm

Peter Nowak

Rosemarie F. Kein Skandal. Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex. Edition Assemblage, Münster 2015. 134 Seiten, 7,80 EUR.

Geschichte einer tödlichen Entmietung

Vor zwei starb die Berliner Rentnerin Rosemarie F. Zwei Tage zuvor war sie aus ihrer Wohnung in Berlin-Reinickendorf zwangsgeräumt worden. Zum  zweiten Jahrestag ihres Todes hat die Sozialwissenschaftlerin Margit Englert  unter dem Titel  „Rosemarie F. Kein Skandal „ im  Verlag „Edition Assemblage“  ein Buch veröffentlicht.  Die Autorin lernte die Rentnerin   im Berliner „Bündnis Zwangsräumung verhindern!“ können, in dem sie  Unterstützung bei dem  Kampf gegen ihre Räumung suchte. Zu den Treffen brachte sie auch die Unterlagen und amtlichen Dokumente, die Grundlage des Buches geworden sind.  Darunter befinden sich viele Schreiben, die die Rentnerin an die Behörden und Wohnungseigentümerin Birgit Hartig  richtete, um ihre Räumung zu verhindern. Margit Englert geht sehr sensibel mit den persönlichen Daten der Rentnerin um. Sie hat schon im Vorwort deutlich gemacht, dass es in dem  Buch nicht um das Leben der Rentnerin geht, sondern um die Verhältnisse, die zu ihrem Tod führten. “Denn es ist klar, was Rosemarie widerfahren ist, ist kein Einzelschicksal. …. Es geht in diesem Text also nicht darum, Rosemarie als einen besonderen oder außergewöhnlichen Menschen herauszustellen“.

„Kapitalanlage in  beschleunigten B-Lage“

Im Titel wird deutlich, dass es der Autorin um die kapitalistischen Verwertungsinteressen geht, die zum Tod der Rentnerin führten. „Wenn der Tod Rosemaries zum Skandal erhoben wird, lässt es sich leicht zurücklehnen und zur Tagesordnung übergehen. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen, oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der freiwerdenden Wohnungen zu nehmen, oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern, durch Investition in Immobilien“, begründet Englert ihre im Titel formulierte Kritik an einer kurzatmigen Skandalisierungspolitik. Die Rezeption des Todes der Rentnerin bestätigt sie. Nach dem Tod der Rentnerin  gab es eine kurze folgenlose Empörung. Nicht einmal ein von den Oppositionsparteien im Berliner Abgeordnetenhaus ins Gespräch gebrachtes Räumungsmoratorium für RentnerInnen und schwer kranke Menschen wurde realisiert. Die Zwangsräumungen von einkommensschwachen Menschen gehen täglich weiter.
Englert benennt die Profiteur/innen und Verlier/innen der aktuellen Berliner Wohnungspolitik. Detailliert schildert sie, wie die in der Weimarer Republik errichtete Wohnsiedlung, in der F. wohnte, in den letzten beiden Jahrzehnten zur „Kapitalanlage in beschleunigter B-Lage“ geworden ist. Die Wohnung von Rosemarie F. wurde von der Geschäftsfrau Birgit Hartig erworben, die gemeinsam mit ihren Ehemann  die  Räumung der Rentnerin vorantrieb.  Gestützt auf die Dokumente  schildert Englert, wie Jobcenter und Eigentümer die Rentnerin  um ihre Wohnung brachten. „Der (Neo)liberalismus nutzt Sozialbehörden, die immer noch vorgeben, ärmere Menschen vor dem Verlust der Wohnung schützen zu wollen, als Instrument der Entmietung“, lautet  Englerts  Resümee.  Das im Untertitel gegebene Versprechen,  „Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ zu ermöglichen, werden auf den knapp 130 Seiten gut einlöst
Auf den letzten Seite sind Adressen von Organisationen wie der Berliner MieterGemeinschaft aufgelistet, an die sich MieterInnen wenden können, die sich dem Agieren des „sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ widersetzen wollen.
Am Freitag, den 10. April  um 19 Uhr  wurde das Buch von  Margit Englert im Cafe am Schäfersee in der Residenzstraße 43 in Berlin-Reinickendorf vorgestellt   Dort hatte das Bündnis Zwangsräumung verhindern gemeinsam mit Rosemarie  F.  noch wenige Tage vor ihren Tod eine Nachbarschaftsveranstaltung zu Verhinderung der Räumung organisiert.

Englert Margit, Rosemarie F. kein Skandal, Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex, April 2015, Edition Assemblage, 134 Seiten, 7.80 Euro
ISBN 978-3-942885-83-6

aus:  MieterEcho online 13.04.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/rosemarie-f.html

Peter Nowak

Wenn die Renditechancen steigen, wird schneller geräumt

Berlin: Der sozialstaatlich-immobilienwirtschaftliche Komplex und die Frage, ob Hausbesetzungen eine geeignete Aktionsform zur Schaffung von Wohnraum sind

Zwangsräumungen sind in Berlin und anderen Städten zu einem politischen Thema geworden, seit sich Mieter dagegen zu wehren begonnen haben. Dass sind längst nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aus der linken Ecke. Senioren die in der Stillen Straße in Berlin-Pankow eine Begegnungsstätte besetzen [1], die aus finanziellen Gründen geschlossen werden soll, die Mieter der Palisadenstraß [2]e, die erfolgreich eine Mieterhöhung in ihrer Seniorenanlage verhindert haben, wurden über Berlin hinaus bekannt- Auch die 67 jährige schwer kranke Rentnerin Rosemarie F [3]., die am 11. April 2013 zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung gestorben ist, wurde bundesweit zu einen Symbol für eine unbarmherzige Wohnungspolitik.

Einblicke in den sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“

Zum zweiten Todestag hat Margit Englert in dem in der Edition Assemblage erschienenen Buch Rosemarie F. kein Skandal [4] die Umstände untersucht, die zum Tod der Rentnerin führten. Dazu wertete Englert zahlreiche Dokumente aus, die die Rentnerin dem Berliner Bündnis „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ [5] überlassen hatte. Bei der Initiative suchte sie Unterstützung gegen ihre Zwangsräumung.

In dem Buch werden auch zahlreiche Briefe veröffentlicht, mit denen sich F. gegen ihre Räumung wehrte. Doch sie hatte gegen den „sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“ keine Chance, wie Englert das Konglomerat aus Eigentumswohnungsbesitzer und ihrer Lobbygruppen, Politik und eines Hilfesystem, das vor allem darauf abzielt, Zwangsräumungen möglichst geräuschlos zu bewältigen, bezeichnet. Darüber gibt sie im Buch einen guten Überblick.

Sie zitiert auch die Kommentare einiger Nachbarn in den Eigentumswohnungen des Wohnblocks, in dem F. wohnte. Die Rentnerin hätte nicht in das Haus gepasst. Schließlich bezog sie Grundsicherung, sammelte zur Aufbesserung ihrer geringen Rente Flaschen und war damit niemand, die nicht gut verwertbar. Englerts Anliegen war es, den Fall er Rentnerin nicht als Ausnahme hinzustellen, wie es viele Medien nach dem Tod der Rentnerin praktizierten. Englert erklärt gegenüber Telepolis:

Wenn der Tod Rosemaries zum Skandal erhoben wird, lässt es sich leicht zurücklehnen und zur Tagesordnung übergehen. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen, oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der freiwerdenden Wohnungen zu nehmen, oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern, durch Investition in Immobilien.

Langzeitmieter sind eine Gewinnbremse

Was Englert am Beispiel von Rosemarie F. ausführte, haben Stadtforscher der Berliner Humboldtuniversität in einer noch nicht veröffentlichten Fallstudie mit dem Titel „Zwangsräumungen und Krise des Hilfesystems“ gut belegt. In der von Laura Berner, Andrej Holm und Inga Jensen verfassten Fallstudie, die Telepolis vorliegt, heißt es:

Der Berliner Wohnungsmarkt ist in den letzten Jahren durch eine fast flächendeckende Mietsteigerungsdynamik geprägt und innerhalb des S-Bahn-Ringes hat sich Gentrification zu einem Mainstream-Phänomen entwickelt. Diese Entwicklungen haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Zwangsräumungen in Berlin und die Überlastung des wohnungsbezogenen Hilfesystems. Insbesondere die Entstehung von Mietschulden, die Klagebereitschaft von Eigentümer*innen und die Unterbringungsschwierigkeiten sind eng mit Mietsteigerungen im Bestand, Ertragserwartungen von Eigentümer*innen und den Preisentwicklungen von Wohnungsangeboten verbunden.

Dort wird anschaulich beschrieben, wie die Wohnungseigentümer von einem Mieterwechsel profitieren und wie der dann auch forciert wird. Aus einer ökonomischen Perspektive verwandeln sich Bewohner, die schon sehr lange im Haus wohnen und günstige Bestandsmieten zahlen in „unrentable Mieter“. Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele Eigentümer in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den Mieterwechsel zu forcieren.

Diese Entwicklung haben die Stadtforscher nicht nur in einigen angesagten Szenestadtteilen sondern in ganz Berlin festgestellt. Die Zahl der Zwangsräumungen war denn auch nicht in Kreuzberg oder Neukölln sondern in dem Stadtteil Marzahn im Osten Berlins besonders hoch. Belegt wird in der Studie auch, dass Jobcenter mit ihrem Handeln die Bedingungen für Zwangsräumungen schaffen:

Jobcenter und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sind Teil einer staatlichen Koproduktion von Zwangsräumungen und erzwungenen Umzügen. Mit ihrer konsequenten Orientierung an Kostensenkungsverfahren und der repressiven Hartz-IV-Gesetzgebung sind die Jobcenter an der Entstehung von Mietrückständen oft beteiligt.

Ein Hilfesystem, das den Betroffenen nicht hilft

In der Studie werden auch die verschiedenen Instrumentarien untersucht, mit denen der Verlust der Wohnung von einkommensschwachen Mietern verhindern werden soll. Ihre Schlussfolgerungen sind wenig ermutigend:

Unter den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheinen die Mietschuldenübernahme und die Unterbringung als klassische Instrumente der Sozialen Wohnhilfe völlig ungeeignet, um eine Vermeidung von Wohnungslosigkeit tatsächlich durchzusetzen.

Ausführlich wird an vielen Beispielen belegt, wie die Hilfesysteme selbst dem Zwang unterworfen sind, rentabel zu arbeiten und dadurch Ausgrenzungsmechanismen gegen einkommensschwache Mieter entwickeln.

Durch Sparzwang und fehlende Ressourcen entwickelt sich eine Logik des Hilfesystems, die die eigentliche Logik von Auffangsystemen ins Gegenteil verkehrt. Statt davon auszugehen, dass unterstützungsbedürftige Menschen grundsätzlich immer Hilfe gewährt wird, gilt die Devise: „Es ist nichts zum Verteilen da, Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings möglich.“

Im Fazit betont das Forschertrio noch einmal, dass mit den Instrumenten des Hilfesystems Zwangsräumungen und erzwungene Umzüge nicht verhindert werden können. Organisierter Widerstand gegen Zwangsräumungen, wie er in Spanien in den letzten Jahren massenhaft praktiziert und in Deutschland in einigen Städten durchaus ein Faktor wurde, könnte die Interessen für einkommensschwacher Mieter besser vertreten.

In Berlin wurde unter dem Motto „Besetzen statt Räumen“ [6] diskutiert, ob Häuserbesetzungen nicht zur Etablierung einer Subkultur, sondern zur Schaffung von Wohnraum für von Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit bedrohten Menschen eine Aktionsform sind. Im Vorfeld des in Berlin noch immer unruhigen 1. Mai ergehen sich manche Medien in Spekulationen [7], ob diese Aktionsform an diesen Tag etwa ausprobiert werden soll.

Tatsächlich steht die Organsierung von sozialer Gegenwehr in diesem Jahr auch um den 1. Mai verstärkt im Mittelpunkt. So wird auch am Vorabend des 1. Mai nicht mehr unter dem politisch missverständlichen Motto Walpurgisnacht [8], um den Schwerpunkt deutlicher auf den Widerstand sozialen Widerstand zu legen.

Wenn selbst im Tagespiegel bestätigt [9]wird, dass die Politik an der Bereitstellung von billigem Wohnraum gescheitert ist, dürften solche Bestrebungen der außerparlamentarischen Initiativen auf Unterstützung stoßen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-die-Renditechancen-steigen-wird-schneller-geraeumt-2599807.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/

[2]

http://palisaden-panther.blogspot.de/

[3]

http://petitionen24.de/events/gedenktag-rosemarie-fliess-protestmarsch-berlin/

[4]

http://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/

[5]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[6]

http://besetzenstattraeumen.blogsport.de/

[7]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/1-mai-in-berlin-hausbesetzung-statt-steinhagel/11596958.html

[8]

http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/

[9] http://www.tagesspiegel.de/berlin/steigende-mieten-in-berlin-politik-schei

„Unmenschlichkeit der neoliberalen Stadtentwicklung“

ZWANGSRÄUMUNG Margit Englert beschreibt in ihrem Buch das Schicksal von Rosemarie F., die aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde und danach starb

taz: Frau Englert, wo lernten Sie Rosemarie F. kennen?

Margit Englert: Ich habe in den Jahren 2012/13 einige Monate im Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ mitgearbeitet. Rosemarie ist zu einer Demonstration des Bündnisses gekommen, als sie den Brief von der Gerichtsvollzieherin bekommen hatte. Rosemarie war sehr verzweifelt und krank, am Ende ihrer Kräfte, aber sie wollte kämpfen.

Was war Ihre Motivation, zwei Jahre nach dem Tod von Rosemarie F. dieses Buch über ihren Fall zu schreiben?

Ich wollte die Unmenschlichkeit der neoliberalen Stadtentwicklung aufzeigen. Denn Rosemarie ist ja nicht die Einzige, es findet in Berlin ein Austausch eines großen Teils der Bevölkerung statt. Was das für die Menschen bedeutet, die aus ihren Wohnungen geschmissen werden, wird in der öffentlichen Diskussion weitgehend tabuisiert.

Warum wurde der Tod von Rosemarie F. nach einer Zwangsräumung kein Skandal?

Wenn so ein Fall wie Rosemaries Tod öffentlich als Skandal wahrgenommen wird, geht man in der Regel schnell wieder zur Tagesordnung über. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der frei werdenden Wohnungen zu nehmen oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern -durch Investition in Immobilien.

Im Untertitel werden „Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ versprochen. Was meinen Sie damit?

Mieterhöhung durch Neuvermietung ist eine der wichtigsten Renditestrategien auf dem Immobilienmarkt. Rosemarie ist zwangsgeräumt worden, weil das Grundsicherungsamt ihre Miete aus unterschiedlichen Gründen nicht überwiesen hatte. Die Räumung ermöglichte es der Vermieterin, die Wohnung von Rosemarie zu einer deutlich höheren Miete wieder zu vermieten. Sozialbehörden generieren also Gewinne für die Immobilienwirtschaft. Eine aktuelle Studie, die von StadtforscherInnen an der Humboldt-Universität erstellt wurde, kommt flächendeckend für ganz Berlin zu demselben Ergebnis.

Was kritisieren Sie an den Medienreaktionen nach dem Tod von Rosemarie F.?

Die bürgerliche Presse hat Rosemarie in vielfacher Weise diffamiert, ist über ihre persönlichen Grenzen gegangen und hat so die politisch-ökonomischen Verhältnisse und auch das Handeln der Behörden aus dem Fokus genommen. Nach einem der schlimmsten Artikel sagte sie: „Das überlebe ich nicht.“

Frau Englert, aus welchem Grund stellen Sie das Buch zwei Jahre nach dem Tod von Rosemarie F. in der Nähe ihres ehemaligen Wohnorts im Café am Schäfersee vor?

Weil Rosemarie in diesem Café gemeinsam mit ihren UnterstützerInnen aus dem Bündnis einige Tage vor ihrem Tod dort eine Nachbarschaftsversammlung abgehalten hat. Viele Menschen auch in diesem Teil Berlins stehen unter immensem Druck, weil sie ihre Mieten kaum noch bezahlen können oder schon keine eigenen Wohnungen mehr haben und die Behörden oft alles andere tun, als ihnen zu helfen, genauso wie bei Rosemarie. Ich fänd’s schön, auch mit dieser Initiative wieder praktisch-politisch zu arbeiten.

INTERVIEW: PETER NOWAK

Margit Englert: „Rosemarie F. Kein Skandal“. Edition Assemblage, 2015, 128 Seiten

http://www.taz.de/Opfer-von-Wohnungraeumungen/!157883/

Interview: Peter Nowak

Räumung ins Nichts

Auch nach dem Tod einer Rentnerin darf weiter zwangsgeräumt werden

Vor zwei Jahren starb die Berliner Rentnerin Rosemarie Fließ. Sie war zwei Tage zuvor aus ihrer Wohnung geworfen worden. Ihr Tod sorgte für Empörung, aber nur kurz. Politische Konsequenzen blieben aus. Selbst ein von den Oppositionsparteien im Berliner Abgeordnetenhaus vorgeschlagenes Räumungsmoratorium für Rentner und schwer kranke Menschen wurde nie realisiert. Die Zwangsräumungen von einkommensschwachen Menschen gehen täglich weiter. Notiz wird von ihnen nur genommen, wenn sich die Betroffenen wehren, wie es die 67-jährige Rosemarie Fließ getan hatte. Zum zweiten Jahrestag ihres Todes hat die Sozialwissenschaftlerin Margit Englert unter dem Titel »Rosemarie F. kein Skandal« ein Buch herausgebracht, das die im Untertitel versprochenen »Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex« überzeugend einlöst.

Englert lernte Rosemarie Fließ im Berliner Bündnis »Zwangsräumung verhindern!« kennen, wo die Rentnerin Unterstützung suchte. Zu den Treffen brachte sie die Unterlagen und amtlichen Dokumente mit, die nun Grundlage des Buches geworden sind. Sensibel geht Englert mit den persönlichen Daten um. Bereits im Vorwort macht sie deutlich, dass es in dem Buch nicht um das Leben der Rentnerin, sondern um die Verhältnisse gehen soll, die zu ihrem Tod führten. Anders als ein Großteil der Medien, die die Ursachen im Verhalten der Frau suchten, richtet Englert den Fokus auf die kapitalistischen Verwertungsbedingungen, die Wohnraum zu einer Ware machen, auf Profiteure und Verlierer. Sie beschreibt die Geschichte der Siedlung in Reinickendorf, in der Fließ gewohnt hat, und geht dabei bis in ihre Anfangsjahre in der Weimarer Republik zurück. Schon damals konnten sich die einkommensschwachen Teile der Bevölkerung die Wohnungen dort nicht leisten. Detailliert schildert die Wissenschaftlerin, wie diese Wohnanlage in den letzten beiden Jahrzehnten zur »Kapitalanlage in beschleunigter B-Lage« geworden ist. Aus Miet- wurden Eigentumswohnungen. Die Wohnung von Rosemarie Fließ wurde von der Geschäftsfrau Birgit Hartig erworben, die gemeinsam mit ihrem Ehemann jeden Kompromiss zur Abwendung der Räumung verweigerte. Englert schildert auch die fragwürdige Rolle des Jobcenters. »Der (Neo)liberalismus nutzt Sozialbehörden, die immer noch vorgeben, ärmere Menschen vor dem Verlust der Wohnung schützen zu wollen, als Instrument der Entmietung«, lautet ihr Resümee. Das harte Urteil wird auf den 130 Seiten exemplarisch belegt.

Am zweiten Todestag von Rosemarie Fließ stellt Margit Englert ihr Buch im Café am Schäfersee in Berlin-Reinickendorf vor. Dort hatte das Bündnis »Zwangsräumung verhindern!« zusammen mit Rosemarie Fließ wenige Tage vor ihrem Tod eine Nachbarschaftsveranstaltung zu Verhinderung der Räumung organisiert (10. April, 19 Uhr, Residenzstraße 43).

Margit Englert: Rosemarie F. kein Skandal, Edition Assemblage, 134 Seiten, 7,80 Euro.

Peter Nowak