Die Übergabe eines Protestbriefs an das Jobcenter in Friedrichshain führt zu einem Polizeieinsatz. Es geht um Mieten, die das Amt zu spät überweist.

Zwangsräumungen nach Mietverzug: Adressat ruft Polizei

Es handelt sich nicht um einen Einzelfall“, erklärte zudem Gitta von der Erwerbsloseninitiative Basta auf der Kundgebung. Auch sie unterstützt Erwerbslose in der Auseinandersetzung mit den Ämtern. In den Jobcentern Mitte, Lichtenberg, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg habe es in der letzten Zeit Probleme bei der Übernahme von Wohnkosten bei neuen Mietverträgen gegeben, so Gitta.

Ganze zehn Polizeifahrzeuge mit Blaulicht sorgten am Donnerstagabend vor dem Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg in der Landsberger Allee für Aufsehen. „Es wird doch keine Geiselnahme sein?“, fragte eine erschrockene Passantin. Die Frau konnte beruhigt werden: „Wir waren eine Gruppe von rund zehn Personen, die …

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Etwas tun gegen Jobcenter-Willkür

Erfahrungsaustausch von Erwerblosen in Meißen

Erwerbslose haben allerlei Ärger mit dem Jobcenter in Meißen . Bei einem Treffen vereinbarten Betroffene, sich künftig gegenseitig zum Amt zu begleiten.

Der Runde, die sich im Vereinshaus des Kleingartenvereins Meißen traf, war nicht nach Feiern zumute. Gekommen waren Erwerbslose, um sich über ihre Konflikte mit dem Jobcenter Meißen auszutauschen. Initiator des Treffens war Stefan Klaussner (Name geändert), der im Erwerbslosenforum Deutschland seine Auseinandersetzung mit dem Jobcenter der sächsischen Stadt als »Fortsetzungsgeschichte in 6 Akten« veröffentlicht hatte.

Der Ärger begann, als sich Klaussner als Webdesigner selbstständig machen wollte. Er habe eine Webseite ins Netz gestellt, um zu sehen, »ob es überhaupt eine Nachfrage gibt«. Das Jobcenter unterstellte ihm, mit der Webseite Geld zu verdienen, das er nicht angegeben habe. Seine Leistungen wurden gestrichen, neue Anträge nicht beantwortet. Da die Zahlungen ausblieben, machte Klaussner Mietschulden. Im Wiederholungsfall droht ihm die Kündigung. Besonders empört ist er darüber, dass auch sein Sohn aus erster Ehe und seine jetzige Ehefrau unter der Leistungsverweigerung zu leiden haben.

Das Jobcenter hingegen macht Klaussner für die Probleme verantwortlich. Er habe die Existenz der Webseite nicht gemeldet und sei damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen.

Der Fall wurde juristisch geklärt: Das Dresdener Sozialgericht verpflichtete das Jobcenter zur Zahlung der vorenthaltenen Leistungen, denn der Verdacht, Klaussner verfüge über weitere Einnahmen, gehe nicht über Vermutungen hinaus. Im Verfahren sei »hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass der Antragsteller über keine nennenswerten Vermögenswerte oder Einkommen verfügt, aus denen er seinen Lebensunterhalt und den seines Sohnes zunächst vollständig bestreiten kann«, heißt es in der Urteilsbegründung.

Doch dieser Erfolg beendete den Konflikt nicht. Klaussner soll erneut einen umfangreichen Fragenbogen ausfüllen, indem er unter anderem seine IP-Adressen sowie seine Telefonverbindungen vorlegen sollte. Eine Weigerung bedeutet erneute Leistungskürzungen wegen mangelnder Mitwirkung.

Wie sich bei dem Treffen herausstellte, ist Klaussner nicht der einzige, der mit dem Jobcenter Meißen Probleme hat. Eine Frau berichtete, dass sie und ihre schwer kranke Tochter fast ihre Wohnung verloren hätten, weil das Amt immer wieder Leistungen zu spät oder gar nicht überwiesen habe. In letzter Minute konnte mit Hilfe des Berliner Bündnisses gegen Zwangsräumungen die Obdachlosigkeit verhindert werden. »Das Jobcenter agiert wie eine Dampfwalze«, meinte ein Mann, der im Finanzsektor tätig war, bevor er erwerbslos wurde. »Wenn mal eine Auseinandersetzung erfolgreich beendet wurde, kommt schon der nächste Brief und der Kampf beginnt von Neuem.«

Peter Nowak

Berlinovo hat Zwangsräumung eines schwerkranken Mieters ausgesetzt

Die für den 4. Mai angesetzte Räumung eines Mieters in Marzahn-Hellersdorf wird vorerst ausgesetzt. Das ist das Ergebnis eines Go-In von ca. 30 Personen in die Zentral der landeseigenen Berlinnovo Immobilien Gesellschaft am Halleschen Ufer. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ hatte zu der Aktion am Donnerstagnachmittag aufgerufen, nachdem es relativ kurzfristig von der anstehenden Zwangsräumung des schwerkranken Mieters der Berlinnovo erfahren hatte. Zunächst sah es nicht so aus, als wäre das Unternehmen verhandlungsbereit. Ein Jurist erklärte, er hätte kein Verhandlungsmandat und forderte die Unterstützer des Mieters zum sofortigen Verlassen des Gebäudes auf. Die Räumung wollte er auf keinen Fall zurücknahmen, weil den anderen MieterInnen sei ein Zusammenleben mit dem Mieter nicht zuzumuten sei. Dem widersprachen die Aktivist/innen heftig. Sie hätten sich mehrmals mit den Nachbarn unterhalten. Sie hatten bestätigt, dass es in der Vergangenheit Probleme gegeben hatte. Eine Zwangsräumung des Mieters hätten sie aber vehement abgelehnt. Zunächst alles nach einer Konfrontation aus. Erst als ein Mitglied des Berlinnovo-Vorstands erschien, begannen die Verhandlungen. Nach einer knappen Stunde wurde das Ergebnis verkündet. Die Räumung wird vorerst ausgesetzt. In den nächsten Wochensoll es eitere Verhandlungen mit den Mieter geben, um eine einvernehmliche Lösung zu erzielen. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ betonte, dass der Aufschub ein großer Erfolg sei, weil es jetzt Raum für andere Lösungen gebe. Allerdings sei die Räumung nur ausgesetzt. Zu einer Erklärung, dass auf die Räumung des Mieters verzichtet wird, hat sich die Berlinnova nicht bereit erklärt. Vor dem Hintergrund des weiterhin gültigen Räumungsurteil ist der Mieter also immer noch von der Verlaust der Wohnung bedroht. Hier könnte auch ein Druckmittel liegen, um ihn zu für ihn ungünstigen Zugeständnissen zu nötigen. Auch in der Vergangenheit hat es bereits Gespräche zwischen den Mieter/innen und der Berlinovo gegeben.
„Der Mieter war zu einer Mediation bereit. Doch die Berlinovo hatte die Gespräche abgebrochen und auf den Räumungstermin bestanden“, erklärte  ein Mitglieds des Bündnisses Zwangsräumung verhindern.

Das Erbe des Berliner Bankenskandals

Durch die drohende Räumung kam mit der Berlinnovo eine Immobilienfirma in den Focus, die bisher wenig bekannt ist. Ihre Geschichte reicht in die 1990er Jahre zurück. In der Berlinnov sind die ursprünglich von der Bankgesellschaft Berlin AG aufgelegten Immobilienfonds zusammengefasst, die im Jahr 2001 ein Grund für den „Berliner Bankenskandal“ waren. Die Berlinovo hält diese Fondsbestände heute als landeseigenes Nachfolgeunternehmen der Berliner Immobilien Holding (BIH) bzw. der Immobilien und Baumanagement der Bankgesellschaft Berlin GmbH (IBG). Für die Fondszeichner/innen wurden seinerzeit langjährige Gewinngarantien ausgestellt, die vom Land Berlin gedeckt wurden und bis heute gültig sind. Um diese Gewinngarantien zu bedienen, verfolgt die Berlinovo eine eindeutig renditeorientierte Unternehmenspraxis.. Die Aussetzung der Zwangsräumung war der Angst vor einem Imageverlust geschuldet. Schließlich war ein RBB-Team während des Go-Ins vor Ort. Nur wenn der Druck nicht nachlässt, kann der Mieter hoffen, dass die Räumung nicht nur vorübergehend ausgesetzt wird.

aus: MieterEcho online 01.05.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/berlinovo-zwangsraeumung.html

Peter Nowak

Forscher empfehlen Widerstand

WOHNEN Die Zahl der Zwangsräumungen nimmt weiter zu. Das besagt die neue Studie „Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“ von Soziologen der HU

Zwangsräumungen sind in Berlin und anderen Städten spätestens zu einem politischen Thema geworden, seitdem sich MieterInnen dagegen wehren. Gerade hat sich auch die Wissenschaft dem Thema angenommen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Humboldt-Universität haben die StadtforscherInnen Laura Berner, Inga Jensen und Andrej Holm die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt und die Funktionsweise der bestehenden Hilfsmöglichkeiten für Menschen, denen eine Zwangsräumung droht, untersucht. Die ForscherInnen stützten sich in der 186-seitigen Studie insbesondere auf die durch die Fraktion der Piratenpartei im Abgeordnetenhaus gesammelten Daten aus den Jahren 2007 bis 2013. Daneben befragten sie zahlreiche BehördenmitarbeiterInnen und Betroffene.

Die von vielen MieterInnenorganisationen geäußerten Befürchtungen, dass die Zahl der Zwangsräumungen mit den Renditechancen der WohnungseigentümerInnen steigt, werden bestätigt, heißt es in der Studie. „Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele EigentümerInnen in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den MieterInnenwechsel zu forcieren“, schreiben die StadtforscherInnen. Und diese Entwicklung wird in ganz Berlin festgestellt. Mit neun Räumungen auf 1.000 Haushalte finden in Marzahn die meisten Zwangsräumungen statt. An zweiter Stelle steht Spandau.

Die Studie belegt auch, dass oft die Jobcenter Zwangsräumungen verursachen. „Mit ihrer konsequenten Orientierung an Kostensenkungsverfahren und der repressiven Hartz-IV-Gesetzgebung sind die Jobcenter an der Entstehung von Mietrückständen oft beteiligt“, so die ForscherInnen. Auch die Analyse der Hilfesysteme ist alles andere als ermutigend für die Betroffenen: „Unter den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheint die Mietschuldenübernahme als klassisches Instrument der sozialen Wohnhilfe völlig ungeeignet, um eine Vermeidung von Wohnungslosigkeit durchzusetzen.“

Hoffnung setzten die ForscherInnen dagegen auf zunehmende MieterInnenproteste: „Angesichts der sich stetig verschärfenden Wohnungsmarktsituation und der zunehmenden Verarmung von immer mehr Menschen sind Widerstand und Protest notwendiger Motor und Voraussetzung für Veränderung“, heißt es am Schluss der Studie.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F04%2F20%2Fa0122&cHash=aa3e364021b9501c03f54573b925759c

ab 23.4. ist die Studie online zu finden unter:
https://www.sowi.hu-berlin.de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/studie-zr-web.pdf h


Peter Nowak

Geschichte einer tödlichen Entmietung

Vor zwei starb die Berliner Rentnerin Rosemarie F. Zwei Tage zuvor war sie aus ihrer Wohnung in Berlin-Reinickendorf zwangsgeräumt worden. Zum  zweiten Jahrestag ihres Todes hat die Sozialwissenschaftlerin Margit Englert  unter dem Titel  „Rosemarie F. Kein Skandal „ im  Verlag „Edition Assemblage“  ein Buch veröffentlicht.  Die Autorin lernte die Rentnerin   im Berliner „Bündnis Zwangsräumung verhindern!“ können, in dem sie  Unterstützung bei dem  Kampf gegen ihre Räumung suchte. Zu den Treffen brachte sie auch die Unterlagen und amtlichen Dokumente, die Grundlage des Buches geworden sind.  Darunter befinden sich viele Schreiben, die die Rentnerin an die Behörden und Wohnungseigentümerin Birgit Hartig  richtete, um ihre Räumung zu verhindern. Margit Englert geht sehr sensibel mit den persönlichen Daten der Rentnerin um. Sie hat schon im Vorwort deutlich gemacht, dass es in dem  Buch nicht um das Leben der Rentnerin geht, sondern um die Verhältnisse, die zu ihrem Tod führten. “Denn es ist klar, was Rosemarie widerfahren ist, ist kein Einzelschicksal. …. Es geht in diesem Text also nicht darum, Rosemarie als einen besonderen oder außergewöhnlichen Menschen herauszustellen“.

„Kapitalanlage in  beschleunigten B-Lage“

Im Titel wird deutlich, dass es der Autorin um die kapitalistischen Verwertungsinteressen geht, die zum Tod der Rentnerin führten. „Wenn der Tod Rosemaries zum Skandal erhoben wird, lässt es sich leicht zurücklehnen und zur Tagesordnung übergehen. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen, oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der freiwerdenden Wohnungen zu nehmen, oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern, durch Investition in Immobilien“, begründet Englert ihre im Titel formulierte Kritik an einer kurzatmigen Skandalisierungspolitik. Die Rezeption des Todes der Rentnerin bestätigt sie. Nach dem Tod der Rentnerin  gab es eine kurze folgenlose Empörung. Nicht einmal ein von den Oppositionsparteien im Berliner Abgeordnetenhaus ins Gespräch gebrachtes Räumungsmoratorium für RentnerInnen und schwer kranke Menschen wurde realisiert. Die Zwangsräumungen von einkommensschwachen Menschen gehen täglich weiter.
Englert benennt die Profiteur/innen und Verlier/innen der aktuellen Berliner Wohnungspolitik. Detailliert schildert sie, wie die in der Weimarer Republik errichtete Wohnsiedlung, in der F. wohnte, in den letzten beiden Jahrzehnten zur „Kapitalanlage in beschleunigter B-Lage“ geworden ist. Die Wohnung von Rosemarie F. wurde von der Geschäftsfrau Birgit Hartig erworben, die gemeinsam mit ihren Ehemann  die  Räumung der Rentnerin vorantrieb.  Gestützt auf die Dokumente  schildert Englert, wie Jobcenter und Eigentümer die Rentnerin  um ihre Wohnung brachten. „Der (Neo)liberalismus nutzt Sozialbehörden, die immer noch vorgeben, ärmere Menschen vor dem Verlust der Wohnung schützen zu wollen, als Instrument der Entmietung“, lautet  Englerts  Resümee.  Das im Untertitel gegebene Versprechen,  „Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ zu ermöglichen, werden auf den knapp 130 Seiten gut einlöst
Auf den letzten Seite sind Adressen von Organisationen wie der Berliner MieterGemeinschaft aufgelistet, an die sich MieterInnen wenden können, die sich dem Agieren des „sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ widersetzen wollen.
Am Freitag, den 10. April  um 19 Uhr  wurde das Buch von  Margit Englert im Cafe am Schäfersee in der Residenzstraße 43 in Berlin-Reinickendorf vorgestellt   Dort hatte das Bündnis Zwangsräumung verhindern gemeinsam mit Rosemarie  F.  noch wenige Tage vor ihren Tod eine Nachbarschaftsveranstaltung zu Verhinderung der Räumung organisiert.

Englert Margit, Rosemarie F. kein Skandal, Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex, April 2015, Edition Assemblage, 134 Seiten, 7.80 Euro
ISBN 978-3-942885-83-6

aus:  MieterEcho online 13.04.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/rosemarie-f.html

Peter Nowak

„Unmenschlichkeit der neoliberalen Stadtentwicklung“

ZWANGSRÄUMUNG Margit Englert beschreibt in ihrem Buch das Schicksal von Rosemarie F., die aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde und danach starb

taz: Frau Englert, wo lernten Sie Rosemarie F. kennen?

Margit Englert: Ich habe in den Jahren 2012/13 einige Monate im Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ mitgearbeitet. Rosemarie ist zu einer Demonstration des Bündnisses gekommen, als sie den Brief von der Gerichtsvollzieherin bekommen hatte. Rosemarie war sehr verzweifelt und krank, am Ende ihrer Kräfte, aber sie wollte kämpfen.

Was war Ihre Motivation, zwei Jahre nach dem Tod von Rosemarie F. dieses Buch über ihren Fall zu schreiben?

Ich wollte die Unmenschlichkeit der neoliberalen Stadtentwicklung aufzeigen. Denn Rosemarie ist ja nicht die Einzige, es findet in Berlin ein Austausch eines großen Teils der Bevölkerung statt. Was das für die Menschen bedeutet, die aus ihren Wohnungen geschmissen werden, wird in der öffentlichen Diskussion weitgehend tabuisiert.

Warum wurde der Tod von Rosemarie F. nach einer Zwangsräumung kein Skandal?

Wenn so ein Fall wie Rosemaries Tod öffentlich als Skandal wahrgenommen wird, geht man in der Regel schnell wieder zur Tagesordnung über. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der frei werdenden Wohnungen zu nehmen oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern -durch Investition in Immobilien.

Im Untertitel werden „Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex“ versprochen. Was meinen Sie damit?

Mieterhöhung durch Neuvermietung ist eine der wichtigsten Renditestrategien auf dem Immobilienmarkt. Rosemarie ist zwangsgeräumt worden, weil das Grundsicherungsamt ihre Miete aus unterschiedlichen Gründen nicht überwiesen hatte. Die Räumung ermöglichte es der Vermieterin, die Wohnung von Rosemarie zu einer deutlich höheren Miete wieder zu vermieten. Sozialbehörden generieren also Gewinne für die Immobilienwirtschaft. Eine aktuelle Studie, die von StadtforscherInnen an der Humboldt-Universität erstellt wurde, kommt flächendeckend für ganz Berlin zu demselben Ergebnis.

Was kritisieren Sie an den Medienreaktionen nach dem Tod von Rosemarie F.?

Die bürgerliche Presse hat Rosemarie in vielfacher Weise diffamiert, ist über ihre persönlichen Grenzen gegangen und hat so die politisch-ökonomischen Verhältnisse und auch das Handeln der Behörden aus dem Fokus genommen. Nach einem der schlimmsten Artikel sagte sie: „Das überlebe ich nicht.“

Frau Englert, aus welchem Grund stellen Sie das Buch zwei Jahre nach dem Tod von Rosemarie F. in der Nähe ihres ehemaligen Wohnorts im Café am Schäfersee vor?

Weil Rosemarie in diesem Café gemeinsam mit ihren UnterstützerInnen aus dem Bündnis einige Tage vor ihrem Tod dort eine Nachbarschaftsversammlung abgehalten hat. Viele Menschen auch in diesem Teil Berlins stehen unter immensem Druck, weil sie ihre Mieten kaum noch bezahlen können oder schon keine eigenen Wohnungen mehr haben und die Behörden oft alles andere tun, als ihnen zu helfen, genauso wie bei Rosemarie. Ich fänd’s schön, auch mit dieser Initiative wieder praktisch-politisch zu arbeiten.

INTERVIEW: PETER NOWAK

Margit Englert: „Rosemarie F. Kein Skandal“. Edition Assemblage, 2015, 128 Seiten

http://www.taz.de/Opfer-von-Wohnungraeumungen/!157883/

Interview: Peter Nowak

Hoch die Hände für Allmende

»Hier wird verdrängt«, war auf Plakaten zu lesen, die zwei Frauen in die Höhe hielten. Die Umstehenden skandierten »Hoch die Hände für Allmende«. Rund 300 Menschen versammelten sich in Berlin-Kreuzberg vor dem Kottbuser Damm 25/26, um ihre Solidarität mit dem migrationspolitischen Verein »Allmende« auszudrücken. Für neun Uhr am Freitagmorgen hatte sich der Gerichtsvollzieher angekündigt, der die Schlösser austauschen und die Räume dem Eigentümer übergeben sollte. Für den Vorabend der Räumung hatte »Allmende« zu einer Abschiedsparty eingeladen. Doch überraschend – auch für den Verein – hatte die Polizei bereits die Zugänge zum Haus abgeriegelt. Zahlreiche Menschen trafen sich noch am Abend in der Nähe zu einer Spontandemonstration. Der Eigentümer hatte den Ende 2013 ausgelaufenen Mietvertrag mit dem Verein nicht verlängert und Ende 2014 gerichtlich die Räumung erwirkt. Seitdem hatte »Allmende« gemeinsam mit weiteren betroffenen Mietern für den Tag der Räumung zu Protesten aufgerufen. Die fielen jedoch überschaubar aus. Die Räumung fand an der Schnittstelle zwischen den Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln statt. »Allmende« beteiligt sich seit Jahren an Bündnissen gegen Nazis und wendet sich gegen einen Sozialchauvinismus à la Sarrazin. In der Nachbarschaft warnten Banner vor weiterer Verdrängung. Die Angst ist groß, dass Menschen mit geringen Einkommen und nichtkommerzielle Projekte sich Kreuzkölln bald nicht mehr leisten können. Ein Mitglied des Berliner Bündnisses gegen Zwangsräumungen zog gegenüber der Jungle World eine gemischte Bilanz der Proteste. Die Räumung habe zwar nur mit einem großen Polizeiaufgebot durchgesetzt werden können, aber darauf habe sich die Polizei mittlerweile auch eingestellt. Vor einigen Jahren gab es noch Bilder von Gerichtsvollziehern, die angesichts zahlreicher Zwangsräumungsgegner unverrichteter Dinge abziehen mussten. Das soll nun wohl vermieden werden.

http://jungle-world.com/artikel/2015/14/51721.html

Peter Nowak

Mieter muss nicht umziehen

WOHNEN Von Räumung bedrohter Mieter erreicht Vergleich mit der Degewo – Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ wertet das als Erfolg seiner Arbeit

Dieter S. darf aufatmen. Der von einer Räumung bedrohte Mieter einer Degewo-Wohnung in Moabit kann dort wohnen bleiben, wo er seit 15 Jahren lebt. Sein Anwalt und die Wohnungsbaugesellschaft Degewo haben sich auf diesen Vergleich geeinigt. Die Degewo hatte S. gekündigt, weil der mehrmals seine Mietzahlungen gemindert hatte, unter anderem wegen Baulärm. Nur ein Teil der Mietminderungen wurden gerichtlich anerkannt. Obwohl S. die offenen Forderungen beglichen hatte, entschied das Berliner Amtsgericht im April 2014, die Kündigung der Degewo sei rechtmäßig.

S. wandte sich auch an das Berliner Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“, das vergangenen Freitag bei einem Go-in mit Picknick in der Degewo-Zentrale die Rücknahme der Kündigung forderte. „Von den Degewo-VertreterInnen hörten wir, dass ein Vergleich vorbereitet wird“, sagte Sara Walter von dem Bündnis gegenüber der taz. Auch der betroffene Mieter sie davon überrascht worden.

Isabella Canisius von der Degewo betonte gegenüber der taz, der Vergleich sei bereits vor der Aktion des Bündnisses geplant gewesen. In der Vereinbarung habe S. zusagen müssen, seine Verpflichtungen als Mieter künftig einzuhalten. Er habe zugesichert, seine Forderungen nach Mietminderung nicht mehr weiter zu verfolgen und einen Teil der Verfahrenskosten zu tragen.

Für Sara Walter vom Bündnis sind diese Klauseln ein Wermutstropfen bei der Vereinbarung. S. habe auf Mieterrechte verzichten müssen, um eine Zwangsräumung zu verhindern. Die Einigung sieht sie auch als Erfolg der Aktivitäten des Bündnisses. In den vergangenen Monaten habe das Bündnis öfter bei Wohnungsbaugesellschaften, Sozialbehörden und Jobcentern interveniert, um Zwangsräumungen zu verhindern. Eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Oliver Höfinghoff (Piraten) hat ergeben, dass es von 2008 bis April 2013 bei der Degewo 1.223 Räumungen gegeben hat.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F08%2F22%2Fa0122&cHash=e0e8108f3671ff7124c9d4a309ee69b7

Peter Nowak

Zwangsräumung steht ins Haus

MIETRECHT Weil eine schwer kranke Mieterin aufgrund eines Formfehlers in der Mieterhöhung nicht zahlt, will die Degewo sie räumen lassen. Prozess vertagt

In Schöneberg könnte es bald zur Zwangsräumung einer schwer kranken Frau kommen. Angelika L. war am Mittwoch mit Beatmungsgerät und Pflegerin zur Verhandlung vor dem Schöneberger Amtsgericht erschienen. L.s Vermieterin, die Wohnungsbaugesellschaft Degewo, verlangt die Räumung der Wohnung, weil L. mit der Miete im Verzug ist. Zum Urteil kam es nicht: Das Gericht vertagte den Fall, um Auskünfte einzuholen.

„Die Mietschulden waren so hoch, dass wir den juristischen Weg gehen mussten“, erklärte Degewo-Sprecher Lutz Ackermann gegenüber der taz. Die Auseinandersetzung mit L. habe sich mehrere Jahre hingezogen, mittlerweile hätten sich hohe Mietschulden angehäuft.

Laut L. entstanden die Mietschulden wegen der unwirksamen Ankündigung einer Mieterhöhung durch die Degewo: Weil dort nicht erwähnt worden sei, dass das Unternehmen für eine Modernisierung Fördermittel von der staatlichen KfW-Bank erhalten hatte, habe ein Gericht bei einem Nachbarn die Mieterhöhung wegen des Formfehlers für unwirksam erklärt. Der Degewo-Sprecher bezeichnet diese Darstellung als „komplett falsch“.

Fehler unwahrscheinlich

Laut Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft kommt es häufiger vor, dass Mieterhöhungen durch Formfehler unwirksam werden. Die Vermieter müssten dann eine korrigierte Mieterhöhung verschicken. Dass eine große Wohnungsbaugesellschaft wie die Degewo einen solchen kostenträchtigen Fehler begingen, hält Oellerich für unwahrscheinlich.

Angelika L. und ihr Lebensgefährte wollen die Wohnung nicht freiwillig räumen – auch wenn das Gericht zu ihren Ungunsten entscheidet. Sie haben das Bündnis gegen Zwangsräumungen um Unterstützung gebeten, falls sich der Gerichtsvollzieher ankündigen sollte. Bündnis-Aktivist David Schuster sieht das als Zeichen, dass der Widerstand gegen Räumungen auch außerhalb linker Zusammenhänge wächst. Für eine Unterstützung sei nun entscheidend, welchen Weg die MieterInnen gehen wollen. An einer Eskalation habe man kein Interesse. Oft versuche das Bündnis mit den MieterInnen Lösungen zu finden, um eine Räumung zu verhindern.

Nachdem vor einigen Wochen die schwer kranke Rosemarie F. kurz nach der Zwangsräumung gestorben war, hatten MieterInneninitiativen ein Räumungsmoratorium für SeniorInnen und Kranke gefordert. Die Diskussion ist jedoch schnell wieder versandet.
taz
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2013%2F05%2F17%2Fa0151&cHash=7cfb9692d210a36228184e1a97da67cd

Peter Nowak

Droht neue Zwangsräumung einer schwerkranken Mieterin?


In Schöneberg könnte es bald eine neue Räumung einer schwerkranken Mieterin geben.

Angelika L. war am Mittwoch mit einem Beatmungsgerät und einer Pflegerin bei der Verhandlung vor dem Schöneburger Amtsgericht erschienen. Das Gericht hat sich vertagt, weil es weitere Auskünfte einholen will. Die Vermieterin von L., die Wohnungsbaugesellschaft DeGeWo, verlangt die Räumung der Wohnung, weil Angelika L. mit der Miete im Verzug ist. „Die Mietschulden sind inzwischen so hoch, dass wir den juristischen Weg gehen mussten“, erklärte der Pressesprecher der DeGeWo Lutz Ackermann. Die Auseinandersetzung mit der Mieterin habe sich schon mehrere Jahre hingezogen.
Angelika L. erklärte, die Mietschulden seien wegen der unwirksamen Ankündigung einer Mieterhöhung durch die DeGeWo entstanden. Weil dort nicht erwähnt worden sei, dass die DeGeWo für eine Modernisierung Fördermittel von der KfW-Bank erhalten hat, habe ein Gericht bei ihrem Nachbarn entschieden, dass diese Mieterhöhung wegen des Formfehlers unwirksam sei. Daher habe auch die diese Mieterhöhung ignoriert. Diese Darstellung der Mieterin Angelika L. bezeichnet Lutz Ackermann von der DeGeWo als komplett falsch und nicht nachvollziehbar.

Zum Widerstand entschlossen

Angelika L. und ihr Lebensgefährte wollen die Auseinandersetzung mit der DeGeWo fortsetzen und sind entschlossen, die Wohnung nicht freiwillig zu räumen, auch wenn das Gericht der DeGeWo Recht geben sollte Die Mieter haben mittlerweile das Bündnis gegen Zwangsräumungen um Unterstützung gebeten. Es hat in den vergangenen Monaten in mehreren Fällen am Tag der Räumung mit Blockaden und Kundgebungen vor Ort protestiert. Bisher gelangen Verzögerungen und eine große öffentliche Aufmerksamkeit für die Thematik der Zwangsräumungen. Bündnis-Aktivist David Schuster sieht es sehr positiv, dass sich wie im Fall von Angelika L. auch Mieter zum Widerstand bereit sind, die bisher politisch nicht aktiv waren. Zu den Ursachen der Mietschulden könne und wolle das Bündnis keine Stellung nehmen, betonte Schuster. Das sei auch nicht die Aufgabe des Bündnisses. Für die Unterstützung gegen Räumungen sei nur entscheidend, welchen Weg die MieterInnen gehen wollen. An einer Eskalation habe man aber kein Interesse. Oft versuche das Bündnis gemeinsam mit den MieterInnen Lösungen zu finden, um eine Räumungen zu verhindern.

Räumungsmoratorium für Schwerkranke nie diskutiert

Ob es im Fall von Angelika L. noch Kompromissmöglichkeiten gibt, ließ auch der DeGeWo-Sprecher Ackermann offen. Nachdem vor einigen Wochen die schwerkranke Rosemarie F. zwei Tage nach einer Zwangsräumung in einer Notunterkunft gestorben war, hatten Politiker aller Parteien verbal große Betroffenheit geäußert. Doch nach einigen Tagen war das Thema aus den Medien verschwunden. Ein Räumungsmoratorium zumindest für Schwerkranke, das von verschiedenen Initiativen gefordert wurde, ist nie ernsthaft diskutiert worden.

aus: Mieterecho online
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/zwangsraeumung-degewo.html
Peter Nowak

Tod nach Zwangsräumung

Nach dem Tod einer Berliner Rentnerin, die vor zwei Tagen aus ihrer Wohnung geräumt wurde, ist die Betroffenheit groß. Doch wird sich an der Praxis der Zwangsräumungen etwas ändern?

Am 11.April ist die Berliner Rentnerin R. F. im Alter von 67 Jahren gestorben. Sie musste die letzten Tage in einer Notübernachtung verbringen. Sie war nämlich am 29. März aus ihrer Wohnung in Reinickendorf zwangsweise vertrieben worden. Die Frau bekam eine Rente vom Amt für Grundsicherung und bewohnte eine Eigentumswohnung zur Miete, die regelmäßig direkt vom Amt für Grundsicherung an die wechselnden Eigentümer überwiesen wurde. Durch Krankenhausaufenthalte von Frau F. und Eigentümerwechsel ist die Miete nicht rechtzeitig gezahlt worden. Der Rentnerin wurde gekündigt und die Eigentümer bekamen vor Gericht Recht und besaßen so alle Räumungstitel. So etwas passiert sehr oft in Deutschland und wird in der Regel nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

In den letzten Wochen ihres Lebens etwas Solidarität erfahren

Doch in Berlin hat sich mittlerweile ein Bündnis gegen Zwangsumzüge gegründet, das sich mit Blockaden und Protesten engagierte, wenn Mieter gegen ihren Willen auf die Straße geworfen wurden. Auch Frau F. hatte davon erfahren und sich vor einigen Wochen an das Bündnis gewandt. Die Aktivisten haben immerhin einen Räumungsaufschub erreicht. Ein Räumungstermin Ende Februar wurde verschoben.

Doch letztlich ließen sich die Eigentümer nicht von der Räumung abhalten. Ein großes Polizeiaufgebot verhinderte bei der Räumung von Frau F. alle Blockadeversuche. Dabei hat das Bündnis gegen Zwangsumzüge gemeinsam mit der Frau vom Sozialstadtrat von Reinickendorf die Zusage bekommen, dass die Mietschulden vom Amt übernommen werden und das Amt auch für die zukünftige Mietzahlungen garantiert. Die Eigentümer der Wohnung waren weder zu Gesprächen noch zu Kompromissen bereit.

Schließlich wächst ihre Rendite, wenn sie die Rentnerin aus der Wohnung werfen lassen und einen neuen Vertrag mit einer wesentlich höheren Miete durchsetzen. Dann wird dort keine Rentnerin mit Grundsicherung mehr dort wohnen können. Die Räumung wurde auch nicht ausgesetzt, obwohl den Behörden die gesundheitlichen Probleme der Frau bekannt waren. Ein ärztliches Attest hatte erklärt, dass die Aufregung im Zusammenhang mit einer Räumung ihrer Gesundheit abträglich ist. Dass sich diese Prognose so schnell bewahrheiten sollte, sorgte bei den Aktivisten von dem Bündnis gegen Zwangsumzüge für Trauer: „Wir hier trösten uns ein wenig damit, dass R. zu ihrem Lebensende noch ein wenig Solidarität erfahren hat, womit sie in den letzten Jahren sicherlich nicht sehr reich beschenkt war“, schrieben die Mitglieder einer Wohngemeinschaft, in der die Rentnerin nach ihrer Räumung aufgenommen wurde.

Frau F. hatte sich vor ihrer Räumung an Protesten beteiligt, als eine Familie in Neukölln geräumt wurde. Auch einige Politiker haben sich nach dem Tod der Rentnerin betroffen geäußert. So heißt es in einer Pressemitteilung der Grünen Neukölln:

„Der Vollzug von Zwangsräumungen ist in Berlin an der Tagesordnung. Wöchentlich werden Menschen aus ihren Wohnungen gedrängt, wenn mit ihnen keine Rendite zu machen ist. Das Menschenrecht auf eine Wohnung findet dabei keinerlei Beachtung.“

Leider vermisst man in der Erklärung eine Initiative für ein Moratorium für sämtliche Zwangsräumungen. Natürlich werden sofort die Interessenvertreter der Wohnungs- und Hauseigentümer ihre Stimme erheben und sich über den geplanten Eingriff in ihr Eigentumsrecht beschweren und in der Politik wird es Vertreter fast aller Parteien geben, die ihnen beipflichten. Aber eine solche Debatte würde zumindest deutlich machen, dass das Recht auf Rendite für Eigentümer höher steht als das Recht auf eine Wohnung.

In Spanien, wo es seit der Krise eine Fülle von Zwangsräumungen gibt, war die konservative Regierung erst nach zahlreichen Selbstmorden von Betroffenen bereit, ein begrenztes Räumungsmoratorium für besonders Bedürftige zu erlassen. Doch in der Praxis gehen die Räumungen unvermindert weiter.

In Deutschland gibt es bisher noch nicht einmal solche minimalen Bestrebungen, einkommensschwache Menschen vor Obdachlosigkeit zu schützen. Für den 29. April steht eine erneute Zwangsräumung an. Dann soll eine Frau mit ihrer Tochter aus der Wohnung geworfen werden. Die Gegenmobilisierung hat bereits begonnen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154090
Peter Nowak

Kein Durchkommen für Gerichtsvollzieherin

Mieteraktivisten verhinderten in Berlin- Kreuzberg eine Wohnungsräumung

„Ob Ali ob Kalle, wir bleiben alle“, hallte es am Montagmorgen durch die Lausitzer Straße in Berlin-Kreuzberg. Dort hatten sich vor dem Eingang der Nummer 8 ca. 150 Menschen versammelt. Sie wollten verhindern, dass die seit Jahren in diesem Haus lebende fünfköpfige Familie G. zwangsgeräumt wird.

Die Familie hatte Einspruch gegen eine Mieterhöhung erhoben und in sämtlichen juristischen Instanzen verloren. Weil die Familie die vom Gericht verfügten Mietnachzahlungen erst zwei Monate nach der gesetzten Frist beglich, wurde ihnen vom Hauseigentümer gekündigt. Der Bundesgerichtshof hielt die Kündigung wegen der verspäteten Nachzahlung für rechtmäßig. Für den 22. Oktober hatte sich die Gerichtsvollzieherin angesagt. Die Familie wandte sich an Nachbarn und Mieterorganisationen, die zum Kiezfrühstück in die Lausitzer Straße 8 mobilisierten. Daher war der Hauseingang blockiert, als die Gerichtsvollzieherin um 9 Uhr aus ihrem Auto stieg.

Sie versuchte gar nicht erst ins Haus zu gelangen sondern fuhr wieder weg. Es ist wahrscheinlich, dass sie das nächste Mal unangekündigt und mit Polizeibegleitung wieder kommt. Trotzdem sehen sowohl die betroffene Familie als auch die Aktion als Erfolg. „Die Verhinderung der Räumung ist ein Zeichen praktischer Solidarität mit von Verdrängung bedrohten Mieter in Berlin“, erklärte David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ gegenüber Telepolis.

Mieterwiderstand wird Alltag

Die positive Einschätzung wird verständlich, wenn man die Räumungsverhinderung in einen größeren politischen Kontext einordnet. Es sind nicht mehr langjährige politische Aktivisten, sondern Betroffene, die sich gegen eine als ungerecht empfundene Entscheidung wehren, die den Berliner Mieterwiederstand der letzten Monate prägten. Schon vor der Familie G. hat sich die ganz in der Nähe lebende Frau C. entschlossen, sich gegen die Räumung zu wehren.

Sie hatte Schilder mit entsprechenden Aufschriften in die Fenster ihrer Parterrewohnung gehängt, wodurch sympathisierende Nachbarn und Unterstützer auf ihren Fall aufmerksam wurden. Zum Forum für Menschen wie Frau C. und Familie G. wurde in den letzten Monaten das Mietercamp am Kottbuser Tor, das die lockeren Zeltplanen mittlerweile durch einen Container ersetzt hat und damit deutlich machte, dass ihr Protest auch in der kalten Jahreszeit weitergeht.

Mittlerweile haben sich Architekten und Sozialwissenschaftler mit einem Aufruf für eine Wohnungspolitik, die sich an sozialen Belangen richtet, den Forderungen der Mieteraktivisten angeschlossen. Aber nicht nur in Kreuzberg hat sich der Mietenprotest ausgeweitet.

Im Ostberliner Stadtteil Pankow verhinderten Senioren mit einer Besetzung die Schließung ihres Treffpunktes. Jetzt soll die Einrichtung von der Volkssolidarität weitergeführt werden. Zu den Unterstützern aus aller Welt gehörten auch die als „rebellische Großeltern“ bekannt gewordenen Senioren, die in Spanien die Occupy-Bewegung unterstützen.

Auch der Widerstand gegen Zwangsräumungen ist in Spanien in Zeiten der Krise in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. In Deutschland steht die Bewegung noch am Anfang. Nicht nur die Erwerbslosenaktivisten, die 2006 die Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge gründeten, sind mit der jüngsten (Protest-)Entwicklung sehr zufrieden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153041
Peter Nowak

Frau Cengiz soll bleiben


Mieterinitiativen und ein Bündnis protestieren gegen Zwangsräumung in Kreuzberg

Im beschaulichen Berliner Westen dürfte es heute unruhig werden. Mieterinitiativen und das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« rufen zu einer Kundgebung vor dem Büro der Falstaf Vermögensverwaltung AG in der Schlüterstraße 4, Stadtteil Charlottenburg, auf.

»Ob Nuriye, ob Kalle, wir bleiben alle«, so heißt das Motto. Damit soll Nuriye Cengiz unterstützt werden, der demnächst die Zwangsräumung droht. Sie sollte die Wohnung am Maybachufer 18 bis zum 30. April räumen. Die fristlose Kündigung wurde juristisch in zwei Instanzen bestätigt. Frau Cengiz hat mittlerweile Berufung beim Berliner Landgericht eingelegt.

Aber Nuriye Cengiz hat sich nicht nur auf den Rechtsweg verlassen. Auf handgeschriebenen Plakaten, die sie in die Fenster ihrer Parterrewohnung klebte, informierte sie die Passanten über ihre drohende Räumung und ihren Widerstand: »Ich gehe hier nicht lebendig raus«, heißt es da. Und: »Ich bleibe hier, ich bin schwer krank.«

Diese Botschaften lasen auch zwei Mitglieder der Berliner »Kampagne gegen Zwangsumzüge«, die sich 2005 gegründet hat, um Erwerbslose zu unterstützen, die nach der Einführung von Hartz IV wegen zu hoher Mieten umziehen sollen. Sie nahmen sofort Kontakt mit der Mieterin auf und daraus ist das Solidaritätskomitee entstanden.

»Ich habe schon immer gegen Ungerechtigkeit gekämpft«, begründete Nuriye Cengiz ihre Plakataktion. Die Metallarbeiterin hat sich als Betriebsrätin gegen niedrige Löhne eingesetzt. Auch im Mieterbeirat hat sie sich schon engagiert. Nachdem sie krank wurde und nach 30-jähriger Berufstätigkeit in Rente ging, wollte sie sich eigentlich zur Ruhe setzen. Daher war sie froh, dass sie 2005 nach langer Suche die behindertengerechte Wohnung am Maybachufer gefunden hatte. Doch mittlerweile liegt das Haus in einer Gegend, in der aus Kreuzberg der angesagte Szenebezirk »Kreuzkölln« wurde. Den Aufwertungsdruck bekam auch Frau Cengiz zu spüren. Nachdem das Haus 2008 von der Falstaf Vermögensverwaltung übernommen wurde und die Anschlussförderung wegfiel, begannen die Mietsteigerungen. »Plötzlich sollte ich für meine 47 Quadratmeter große Wohnung statt 386 Euro 638 Euro zahlen«, sagt die Frau. Die meisten Mieter zogen aus, und es entstanden teure Eigentumswohnungen.

Nur Cengiz entschloss sich zum Widerstand. Die neuen Nachbarn waren von den Plakaten an den Fenstern gar nicht begeistert. Doch durch die Unterstützung der Mieteraktivisten hat sie wieder Mut geschöpft. Oft ist sie im nahen Camp am Kottbusser Tor zu Besuch, wo sich seit Ende Mai Mieter aus Protest gegen hohe Mieten niedergelassen haben. Auch sie unterstützen die Kundgebung.

»Frau Cengiz kämpft exemplarisch für viele Mieter, die nicht mehr wissen, wie lange sie noch ihre Miete bezahlen können«, erklärt ein Sprecher der Initiative »Zwangsräumung verhindern«. Sollte es zu einem Räumungstermin kommen, will sie dieses Motto umsetzen. Dabei sehen die Aktivisten ihr Vorbild in Ländern wie Spanien. Dort haben im Zuge der Krise tausende Menschen ihre Wohnungen verloren, und Blockaden gegen Wohnungsräumungen sind mittlerweile an der Tagesordnung.

2. 8., 15 Uhr, Schlüterstraße 4 / Ecke Schillerstraße
http://www.neues-deutschland.de/artikel/234353.frau-cengiz-soll-bleiben.html
Peter Nowak