Wenn die Renditechancen steigen, wird schneller geräumt

Berlin: Der sozialstaatlich-immobilienwirtschaftliche Komplex und die Frage, ob Hausbesetzungen eine geeignete Aktionsform zur Schaffung von Wohnraum sind

Zwangsräumungen sind in Berlin und anderen Städten zu einem politischen Thema geworden, seit sich Mieter dagegen zu wehren begonnen haben. Dass sind längst nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aus der linken Ecke. Senioren die in der Stillen Straße in Berlin-Pankow eine Begegnungsstätte besetzen [1], die aus finanziellen Gründen geschlossen werden soll, die Mieter der Palisadenstraß [2]e, die erfolgreich eine Mieterhöhung in ihrer Seniorenanlage verhindert haben, wurden über Berlin hinaus bekannt- Auch die 67 jährige schwer kranke Rentnerin Rosemarie F [3]., die am 11. April 2013 zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung gestorben ist, wurde bundesweit zu einen Symbol für eine unbarmherzige Wohnungspolitik.

Einblicke in den sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“

Zum zweiten Todestag hat Margit Englert in dem in der Edition Assemblage erschienenen Buch Rosemarie F. kein Skandal [4] die Umstände untersucht, die zum Tod der Rentnerin führten. Dazu wertete Englert zahlreiche Dokumente aus, die die Rentnerin dem Berliner Bündnis „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ [5] überlassen hatte. Bei der Initiative suchte sie Unterstützung gegen ihre Zwangsräumung.

In dem Buch werden auch zahlreiche Briefe veröffentlicht, mit denen sich F. gegen ihre Räumung wehrte. Doch sie hatte gegen den „sozialstaatlich-immoblienwirtschaftlichen Komplex“ keine Chance, wie Englert das Konglomerat aus Eigentumswohnungsbesitzer und ihrer Lobbygruppen, Politik und eines Hilfesystem, das vor allem darauf abzielt, Zwangsräumungen möglichst geräuschlos zu bewältigen, bezeichnet. Darüber gibt sie im Buch einen guten Überblick.

Sie zitiert auch die Kommentare einiger Nachbarn in den Eigentumswohnungen des Wohnblocks, in dem F. wohnte. Die Rentnerin hätte nicht in das Haus gepasst. Schließlich bezog sie Grundsicherung, sammelte zur Aufbesserung ihrer geringen Rente Flaschen und war damit niemand, die nicht gut verwertbar. Englerts Anliegen war es, den Fall er Rentnerin nicht als Ausnahme hinzustellen, wie es viele Medien nach dem Tod der Rentnerin praktizierten. Englert erklärt gegenüber Telepolis:

Wenn der Tod Rosemaries zum Skandal erhoben wird, lässt es sich leicht zurücklehnen und zur Tagesordnung übergehen. Und auf der Tagesordnung steht halt, Gewinne mit Immobilien zu machen, oder sich mit gutem Einkommen in Berlin eine der freiwerdenden Wohnungen zu nehmen, oder sich vorbildlich um die eigene Altersversorgung zu kümmern, durch Investition in Immobilien.

Langzeitmieter sind eine Gewinnbremse

Was Englert am Beispiel von Rosemarie F. ausführte, haben Stadtforscher der Berliner Humboldtuniversität in einer noch nicht veröffentlichten Fallstudie mit dem Titel „Zwangsräumungen und Krise des Hilfesystems“ gut belegt. In der von Laura Berner, Andrej Holm und Inga Jensen verfassten Fallstudie, die Telepolis vorliegt, heißt es:

Der Berliner Wohnungsmarkt ist in den letzten Jahren durch eine fast flächendeckende Mietsteigerungsdynamik geprägt und innerhalb des S-Bahn-Ringes hat sich Gentrification zu einem Mainstream-Phänomen entwickelt. Diese Entwicklungen haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Zwangsräumungen in Berlin und die Überlastung des wohnungsbezogenen Hilfesystems. Insbesondere die Entstehung von Mietschulden, die Klagebereitschaft von Eigentümer*innen und die Unterbringungsschwierigkeiten sind eng mit Mietsteigerungen im Bestand, Ertragserwartungen von Eigentümer*innen und den Preisentwicklungen von Wohnungsangeboten verbunden.

Dort wird anschaulich beschrieben, wie die Wohnungseigentümer von einem Mieterwechsel profitieren und wie der dann auch forciert wird. Aus einer ökonomischen Perspektive verwandeln sich Bewohner, die schon sehr lange im Haus wohnen und günstige Bestandsmieten zahlen in „unrentable Mieter“. Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele Eigentümer in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den Mieterwechsel zu forcieren.

Diese Entwicklung haben die Stadtforscher nicht nur in einigen angesagten Szenestadtteilen sondern in ganz Berlin festgestellt. Die Zahl der Zwangsräumungen war denn auch nicht in Kreuzberg oder Neukölln sondern in dem Stadtteil Marzahn im Osten Berlins besonders hoch. Belegt wird in der Studie auch, dass Jobcenter mit ihrem Handeln die Bedingungen für Zwangsräumungen schaffen:

Jobcenter und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sind Teil einer staatlichen Koproduktion von Zwangsräumungen und erzwungenen Umzügen. Mit ihrer konsequenten Orientierung an Kostensenkungsverfahren und der repressiven Hartz-IV-Gesetzgebung sind die Jobcenter an der Entstehung von Mietrückständen oft beteiligt.

Ein Hilfesystem, das den Betroffenen nicht hilft

In der Studie werden auch die verschiedenen Instrumentarien untersucht, mit denen der Verlust der Wohnung von einkommensschwachen Mietern verhindern werden soll. Ihre Schlussfolgerungen sind wenig ermutigend:

Unter den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheinen die Mietschuldenübernahme und die Unterbringung als klassische Instrumente der Sozialen Wohnhilfe völlig ungeeignet, um eine Vermeidung von Wohnungslosigkeit tatsächlich durchzusetzen.

Ausführlich wird an vielen Beispielen belegt, wie die Hilfesysteme selbst dem Zwang unterworfen sind, rentabel zu arbeiten und dadurch Ausgrenzungsmechanismen gegen einkommensschwache Mieter entwickeln.

Durch Sparzwang und fehlende Ressourcen entwickelt sich eine Logik des Hilfesystems, die die eigentliche Logik von Auffangsystemen ins Gegenteil verkehrt. Statt davon auszugehen, dass unterstützungsbedürftige Menschen grundsätzlich immer Hilfe gewährt wird, gilt die Devise: „Es ist nichts zum Verteilen da, Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings möglich.“

Im Fazit betont das Forschertrio noch einmal, dass mit den Instrumenten des Hilfesystems Zwangsräumungen und erzwungene Umzüge nicht verhindert werden können. Organisierter Widerstand gegen Zwangsräumungen, wie er in Spanien in den letzten Jahren massenhaft praktiziert und in Deutschland in einigen Städten durchaus ein Faktor wurde, könnte die Interessen für einkommensschwacher Mieter besser vertreten.

In Berlin wurde unter dem Motto „Besetzen statt Räumen“ [6] diskutiert, ob Häuserbesetzungen nicht zur Etablierung einer Subkultur, sondern zur Schaffung von Wohnraum für von Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit bedrohten Menschen eine Aktionsform sind. Im Vorfeld des in Berlin noch immer unruhigen 1. Mai ergehen sich manche Medien in Spekulationen [7], ob diese Aktionsform an diesen Tag etwa ausprobiert werden soll.

Tatsächlich steht die Organsierung von sozialer Gegenwehr in diesem Jahr auch um den 1. Mai verstärkt im Mittelpunkt. So wird auch am Vorabend des 1. Mai nicht mehr unter dem politisch missverständlichen Motto Walpurgisnacht [8], um den Schwerpunkt deutlicher auf den Widerstand sozialen Widerstand zu legen.

Wenn selbst im Tagespiegel bestätigt [9]wird, dass die Politik an der Bereitstellung von billigem Wohnraum gescheitert ist, dürften solche Bestrebungen der außerparlamentarischen Initiativen auf Unterstützung stoßen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-die-Renditechancen-steigen-wird-schneller-geraeumt-2599807.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/

[2]

http://palisaden-panther.blogspot.de/

[3]

http://petitionen24.de/events/gedenktag-rosemarie-fliess-protestmarsch-berlin/

[4]

http://www.edition-assemblage.de/rosemarie-f-kein-skandal/

[5]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[6]

http://besetzenstattraeumen.blogsport.de/

[7]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/1-mai-in-berlin-hausbesetzung-statt-steinhagel/11596958.html

[8]

http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/

[9] http://www.tagesspiegel.de/berlin/steigende-mieten-in-berlin-politik-schei