Mein Block, meine Blockade

Für die Berliner Mieterbewegung ist die Winterpause vorbei. Mehr als 400 Menschen beteiligten sich am Samstag an der ersten Demonstration im neuen Jahr. Auch eine neue Parole riefen die Aktivisten auf ihrer kurzen Route durch Kreuzberg: »Die Gülbols bleiben in der Lause, die Polizei, die geht nach Hause!« Gemeint ist die Familie Gülbol aus der Lausitzer Straße 8, die zum Symbol des neuen Berliner Mieterwiderstands geworden ist. Nach jahrelangem Rechtsstreit mit ihrem Hauseigentümer André Franell war ihnen der Mietvertrag gekündigt worden, weil sie die Fristen zur Mietnachzahlung um einige Tage versäumt hatten. Sie klagten erneut, verloren jedoch in allen Instanzen, und so wurde ein Räumungstermin angekündigt. Dergleichen passiert eigentlich jeden Tag und meistens erfährt niemand davon. Doch die Gülbols gingen an die Öffentlichkeit, eine Solidaritätsinitiative entstand und über 200 Menschen verhinderten im vergangenen Oktober mit einer Blockade die angesetzte Räumung.

Ein zweiter Termin wurde im Dezember von der Justiz abgesagt. Doch am 14. Februar dürfte es ernst werden. Das Bündnis »Zwangsräumung blockieren« ist vorbereitet und organisierte mehrere Blockadetrainings. Selbst wenn die Räumung mit Polizeigewalt durchgesetzt werden sollte, dürfte die Mieterbewegung weiter an Stärke gewinnen. In den vergangenen Wochen haben sich weitere von Räumung bedrohte Mieter in Kreuzberg an die Öffentlichkeit gewandt und konnten durch politischen Druck einige Erfolge erzielen. Auch die Berliner Blockupy-Plattform ruft zur Räumungsverhinderung auf. Eine kluge Entscheidung, wie es scheint – schließlich spüren viele Menschen die Krise gerade in Form steigender Mieten. In diesem Sinne lassen sich der Widerstand gegen die Zwangsräumung wie auch die Mieter-Protesthütte, die seit acht Monaten am Kottbusser Tor steht, als eine Form des Krisenprotests im Alltag verstehen.
http://jungle-world.com/artikel/2013/07/47151.html
Peter Nowak

Gesponserte Demokratieforschung

Auch in die Geisteswissenschaften fließt wie im Fall des Göttinger Instituts für Demokratieforschung Geld von Unternehmen. Geprägt wurde in einer von BP geförderten Studie der „Wutbürger“

Verbindungen zwischen Wirtschaft und Hochschulen sind in der letzten Zeit transparenter geworden. Dafür sorgt die Seite Hochschulwatch, die von der taz gemeinsam mit der NGO Transparency International und Studierendenorganisationen gegründet wurde.

Dabei stellte sich schnell heraus, dass die Verflechtungen noch umfassender als vermutet sind. Nicht nur im naturwissenschaftlichen Bereich sind im Rahmen der Drittmittelforschung mittlerweile Finanziers aus der Wirtschaft an der Tagesordnung. Im geisteswissenschaftlichen Bereich scheint eine solche Kooperation vor allem deshalb für ungewöhnlich gehalten zu werden, weil sich diese Fakultäten gerne als besonders kritisch gaben und der Gegensatz zwischen Bildung und Wirtschaft gerne besonders herausgestellt wird. Daher gab es einige Schlagzeilen, als sich herausstellte, dass auch das Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen vom Mineralölkonzern BP gesponsert wird.

Wie LobbyControl herausfand, gab der Konzern beim Demokratieinstitut eine Studie zu den Bürgerprotesten in Auftrag. „Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, welche Einstellungen und Motivlagen in typischen Gruppen engagierter Bürgerinnen und Bürger vorherrschen. Dazu gehörten auch die Einstellungen der Aktivisten gegenüber Unternehmen, soweit es um deren Mitwirkung an Infrastrukturprojekten geht“, erklärte ein BP-Sprecher gegen LobbyControl.

Das Institut betont seine Unabhängigkeit auch gegenüber BP: „Bei uns lag die völlige Forschungsfreiheit. BP hat zu keiner Zeit Einfluss auf das Projektdesign oder die Konzeption genommen.“ Das Institut habe darauf bestanden, dass die Studie als Grundlagenforschung angelegt worden sei. Dabei sei rechtsverbindlich festgelegt worden, dass BP als Förderer keinen Einfluss auf Inhalte und Konzeption gehabt habe.

Studienteilnehmer zu spät informiert?

Unklar blieb, wann die protestbewegten Teilnehmer der Studie über Proteste in Deutschland von dem BP-Engagement erfahren haben. Gegenüber der taz erklärte der Institutsleiter Franz Walter, die Interviewer seien angewiesen gewesen, „den Befragten und Studienteilnehmern zu keiner Zeit die Förderer der Untersuchung zu verheimlichen“. Spätestens nach dem Ende der Studie seien sie über das BP-Engagement informiert worden. Das sei zu spät, eine Information hätte am Anfang erfolgen müssen, moniert LobbyControl und dokumentiert einen Brief, mit dem das Demokratieinstitut eine Bürgerinitiative gegen die CCS-Technologie für die Teilnahme an der Studie gewinnen wollte. BP ist dort nicht erwähnt.

Dabei ist gerade das Verhältnis zwischen Umweltinitiativen und dem BP-Konzern alles andere als spannungsfrei. Schließlich gehört er zu den Unternehmen, die auch im CCS-Geschäft mitmischen wollen. Zudem hat Walter betont, dass die Kontakte zwischen BP und dem Institut über das kmw outrage Management erfolgten. Zu deren Aufgaben gehört es laut Darstellung auf der Homepage: „Ihr Unternehmen daraufhin zu überprüfen, welche Risiken es hat und welche Krisen daraus entstehen können, Ihr etabliertes Krisenmanagement daraufhin zu überprüfen, ob es einer realen Krise standhält, ein Krisenmanagement in Ihrem Unternehmen zu implementieren. Wir sind dabei auf Prävention spezialisiert, helfen aber auch beim echten Krisenmanagement“, heißt es dort.

Zu einer solchen Krise gehören aber auch Bürgerproteste, die ein vom Konzern geplantes Projekt behindern oder vielleicht sogar für längere Zeit lahmlegen, was für den Konzern mit finanziellen Verlusten verbunden ist. Aus seiner Sicht geht es darum, solche Risiken zu minimieren. Dafür gibt es verschiedene Wege. Eine Integration möglicher Protestpotentiale im Vorfeld ist eine Variante, eine Denunzierung von Protestgruppen oder diese unglaubwürdig zu machen eine andere.

Wutbürger gesponsert durch BP?

In diesem Zusammenhang kann auch von dem Inhalt der Studie nicht ganz ausgeblendet werden, die von BP in Auftrag gegeben und vom Demokratieinstitut erarbeitet wurde. Schließlich sorgte auch die Studie dafür, dass sich der Begriff Wutbürger für die Charakterisierung der neueren Proteste durchsetzte. Und es wird noch nachgelegt, dass die Protestakteure alt und egoistisch seien.

Hier zeigt sich auch, wie man mit Fakten auch unterschiedliche Stimmung machen kann. Die Tatsache, dass viele Akteure der neuen Proteste teilweise im Rentenalter und gut ausgebildet sind, kann man so interpretieren, dass heute viele Menschen im Rentenalter noch rüstig sind und sich dann politisch engagieren und damit etwas nachholen, wofür es oft im Arbeitsleben weder Raum noch Zeit gab. Welche Folgen könnte eine solche Entwicklung für eine Protestbewegung haben, die bisher immer jugendbewegt war? Doch solche Fragen stellen sich nicht. Statt dessen wird der egoistische Wutbürger als neues Protestsubjekt eingeführt. Bei der Vorstellung der Studie äußert Walter auch den Verdacht, dass direkte Demokratie nicht die Herzensangelegenheit der Aktivisten ist, weil sie diese Forderung leidenschaftslos vortragen würden. Hier wird ein Bild und eine Stimmung über die Protestbewegung erzeugt, die auch BP gefallen dürfte. Kritische Fragen in diese Richtung scheinen bei den Institutsverantwortlichen nicht besonders beliebt.

„Der Kritiker raunt, wir hätten Auftragsforschung betrieben. Natürlich ist nichts daran richtig. Implizit wie explizit meint man jedenfalls auf Seiten der selbsterklärten Anti-Lobbyisten, dass drittmittelfinanzierte Forschung grundsätzlich interessengeleitet ist. Nun wird man nicht verhehlen können, dass die Frage nach den Interessen von Finanziers in der Forschung unzweifelhaft ihre Berechtigung habe. Das Ganze überschreitet aber dann eine Grenze, wenn wider besseren Wissens auch den ausführenden Forschern unterstellt wird, sie hätten Forschungsdesign, Interpretationen, Konzeptionen und Ergebnisse den Bedürfnissen ihrer Mittelgeber angepasst.“ Genau das soll hier nicht unterstellt werden. Es besteht vielmehr der begründende Verdacht, dass das Institut seine Schlussfolgerungen ganz ohne Einflussnahme zur Zufriedenheit von BP erarbeitet hat. Eine direkte Einflussnahme ist gar nicht nötig, wenn die Macher der Studie ganz ohne Druck die passenden Stichworte liefern. Das Problem besteht also eher darin, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen des Instituts und vo BP ganz ohne Druck und Beeinflussung fast komplementär sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/10/153729
Peter Nowak

Täter-Abos kündigen

»Opferabo« lautete das von Sprachwissenschaftlern ausgewählte Unwort des Jahres 2012. Es war vom ehemaligen Wettermoderator Jörg Kachelmann in Umlauf gebracht worden, nachdem er aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde. Der Begriff richtete sich gegen Frauen, die sich gegen Männergewalt wehren. Seitdem wird immer häufiger über angeblich zu Unrecht beschuldigte Männer berichtet. Die Berliner Initiative »Täter-Abos kündigen« will am 14. Februar, dem Internationalen Protesttag gegen Gewalt an Frauen, gemeinsam mit Interessierten ein Plakat gestalten, auf dem dargestellt ist, wie gering die Zahl der zur Anzeige kommenden Gewalttaten gegen Frauen tatsächlich ist. Das Plakat soll dann in Kreuzberg im öffentlichen Raum angebracht werden. Treffpunkt ist um 19 Uhr im Südblock, Admiralstraße 1-2 in Berlin-Kreuzberg.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812782.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

30 Stunden sind genug

Ein Bündnis von Wissenschaftlern, Politikern und Gewerkschaftern setzt Akzente gegen Niedriglohn, Stress und Arbeitshetze

Immer wieder wird über Arbeitshetze und vermehrten Stress geklagt. Jetzt haben 100 Gewerkschafter, Wissenschaftler und Politiker der Links- und Piratenpartei eine besondere Therapie vorgeschlagen. In einem Offenen Brief schlagen sie eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich vor. Die dahinterstehende Wirtschaftsanalyse ist linkskeynsianistisch geprägt und geht davon aus, dass durch ein höheres Einkommen die Massenkaufkraft steigt und damit die Wirtschaft angekurbelt wird:

„Seit Jahren findet eine sozial und ökonomisch kontraproduktive Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Gewinn, Zins, Miete, Pacht) statt. Dadurch wurde die Binnennachfrage eingeschränkt und das überschüssige Kapital – weg von der produzierenden Realwirtschaft – in den Finanzsektor umgeleitet. Gewaltige Finanzspekulationen und Finanzkrisen waren die Folge. Die Krisenbewältigung darf nicht denen überlassen werden, die aus den Krisen hohe Gewinne gezogen haben und jetzt erneut versuchen, mit Scheinalternativen und einer Therapie an Symptomen ausschließlich den Besitzstand der Vermögenden auf Kosten der großen Bevölkerungsmehrheit zu sichern. Fast vierzig Jahre neoliberaler Kapitalismus sind genug.“

Ziel Vollbeschäftigung?

Auffällig ist, dass die Initiatoren die Arbeitszeitverkürzung schon in der Überschrift als Allheilmittel gegen die Erwerbslosigkeit anpreisen. „Ohne Arbeitszeitverkürzung nie wieder Vollbeschäftigung“, heißt es dort. Im ersten Absatz wird dann dazu aufgerufen, „dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit höchste wirtschaftliche, politische, soziale und humanitäre Priorität einzuräumen“. Aus der linksgewerkschaftlichen Perspektive der Autoren ist die Massenarbeitslosigkeit ein politisch gewolltes wirtschaftsliberales Projekt, um in Deutschland einen Niedriglohnsektor durchzusetzen. „Die neoliberale Umverteilung wäre ohne die langandauernde Massenarbeitslosigkeit nicht durchzusetzen gewesen. Ein Überangebot an den Arbeitsmärkten führt zu Lohnverfall“, heißt es in dem Aufruf.

Die Konzentration auf die Durchsetzung Vollbeschäftigung ist ein Manko in dem Aufruf, weil damit die Diskussion über Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungs- und Reproduktionssektor ausgeblendet wird. Vor allem könnte diese argumentative Engführung dazu führen, dass der Aufruf in die traditionsgewerkschaftliche Ecke gesteckt wird. Das aber wäre bedauerlich. Denn das Grundanliegen des Aufrufs ist unterstützenswert. Weil durch die Entwicklung der Produktivkräfte zumindest in den hochkapitalisierten Staaten die Lohnarbeit knapp wird, sollte die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder verstärkt in die gesellschaftliche Diskussion gebracht werden.

Der Aufruf knüpft an Diskussionen in Teilen der Gewerkschaften an, in denen versucht wurde, das Thema Arbeitszeitverkürzung dort wieder zu popularisieren. Schließlich können sich noch manche an die Kampagne zur Durchsetzung der 35 Stunden Ende der 70er Jahre erinnern, die eine gesellschaftliche Debatte weit über das Gewerkschaftsmilieu hinaus auslöste. Allerdings haben sich die aktuellen Gewerkschaftsvorstände so auf Defensivkämpfe eingestellt, dass sie sich an eine solche Forderung nicht mehr heranwagen. Das zeigen auch die gewerkschaftlichen Reaktionen auf den Aufruf zur 30-Stunden-Woche. Führende verdi-Gewerkschafter erinnerten daran, dass man in den Betrieben heute eher das Problem hat, gegen Arbeitszeitverlängerungen anzukämpfen. Aber gerade dieser Befund macht noch einmal deutlich, wie notwendig eine Kampagne für eine Arbeitszeitverkürzung wäre, die mit vielen Argumentationshilfen vorbereitet werden muss, damit die Beschäftigten in der Lage sind, auch für diese Forderung zu streiken.

„Weltfremd, falsch, gefährlich“?

Dass die Auseinandersetzung nicht einfach wird und gegen einen zähen neoliberalen Konsens ankämpfen muss, zeigten die ersten Reaktionen auf den Aufruf. Das wirtschaftsliberale Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bezeichnet die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als „weltfremd“ und „von marxistischen Vorstellungen geprägt“.

Eine aktuelle Meldung auf der DIW-Homepage lautet: „Immer mehr Menschen im Rentenalter sind berufstätig.“ Das ist eine Folge des Niedriglohnsektors, der sich im Rentenalter als Altersarmut fortsetzt. Die massive Senkung der Kosten der Ware Arbeitskraft würde durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich konterkariert, daher haben wirtschaftsliberale Kriese daran kein Interesse. Auch sozialdemokratisch orientierte Wirtschaftswissenschaftler wie Peter Bofinger oder Heiner Flassbeck, die schon mal einen zu harten neoliberalen Kurs sanft kritisieren, haben sich schon gegen die 30-Stunden-Woche positioniert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153724
Peter Nowak

Feministischer Blick auf die Krise

Hausfrauenlohn – eine alte Debatte neu gelesen

Viel wurde in letzter Zeit in linken Debatten vom Ende der Arbeitsgesellschaft gesprochen. Meist wird dieser Befund an der Entwicklung n der industriellen Produktion festgemacht. Doch in letzter Zeit meldeten sich vermehrt Stimmen zu Wort, die in diesen linken Konzepten eine Unsichtbarmachung der Reproduktionsarbeit sehen, die in den letzten Jahrzehnten weltweit gewachsen ist und noch immer überwiegend von Frauen ausgeübt wird. So fand 2009 in Berlin ein gut besuchter Kongress unter dem Titel „Who cares“ statt, der sich mit der Pflegearbeit in den Familien und im Dienstleistungssektor befasst. Feministische Zusammenhänge haben diese Debatten schon vor mehr 40 Jahren geführt. Der Münsteraner Verlag Edition Assemblage hat jetzt einige Grundlagentexte dieser Debatte in einem kleinen Band zusammengestellt und unter dem Titel „Aufstand aus der Küche“ veröffentlicht. Darin sind zwei aktuelle und ein alter Aufsatz der emeritierten US-Professorin Silvia Federici abgedruckt, die 1972 das „Feministische Kollektiv“ mitbegründete, dass mit der Forderung „Lohn für Hausfrauenarbeit“ weit über die feministische Bewegung hinaus für Kontroversen sorgte.
Federici formuliert in dem Band eine aktuelle Kritik der Reproduktinsarbeit im globaen Kapitalismus und plädiert für eine feministische Politik der Gemeingüter. Der Verlag eröffnet damit seine neue Reihe „Kitchen Politics – Querfeministische Interventionen“. Sie soll einen Mangel der aktuellen feministischen Diskussion beheben, die sich zu wenig um Kapitalismuskritik bemühe, zugleich aber den ökonomiekritischen, marxistischen Diskurs erweitern, der bis heute an einem männerdominierten Blick krankt und Geschlechterverhältnisse nur am Rande behandelt.
Federicis zentrales Anliegen war die Politisierung der Arbeitsteilung und der geschlechtsspezifischen Zuweisung der privaten, unbezahlten Sorgearbeit an Frauen. Die Forderung nach einem Hausfrauenlohn sorgte in linken Zusammenhängen für große Aufregung, galt sie doch als „Herdprämie“ fürs Zuhausebleiben und nicht zuletzt stellte sie den Arbeitsbegriff von Karl Marx infrage. Für ihn war Reproduktionsarbeit nicht produktiv, weil sie keinen Mehrwert erwirtschaftet.
Wie heftig die Diskussion damals auch in feministischen Zusammenhängen geführt wurde, zeigt der letzte Beitrag im Buch. Die 1974 verfasste Replik auf die Kritik des Hausfrauenlohns wurde damals von einer marxistischen Zeitung nicht abgedruckt. Fast 40 Jahre später liest sich er Text erstaunlich aktuell. Federicis These „Es ist aber nicht nötig, eine Fabrik zu betreten, um von der kapitalistischen Organisation der Arbeiter_innenklasse betroffen zu sein“. Das mag Mitte der 70er Jahren noch auf Unverständnis gestoßen sein. Im Zeitalter der boomenden Dienstleistungsbranche ist die Einschätzung nachvollziehbar. Das ist ganz im Sinne der Herausgeberinnen: Sie wollen mit dem Buch nicht etwa ein historisches Interesse befrieden, sondern einen Beitrag zur aktuellen Debatte um die Reproduktionsarbeit liefern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/812138.feministischer-blick-auf-die-krise.html
Peter Nowak

Silvia Federici, Aufstand aus der Küche, Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, Aus dem Englischen von Max Henninger, Edition Assemblage, Reihe: Kitchen Politics, Band 1, 128 Seiten, 9.80 Euro, Münster 2012, ISBN 978-3-942885-32-4
http://www.edition-assemblage.de/aufstand-aus-der-kuche

Gysi und die Stasi – eine endlose Geschichte

Der Fraktionschef der Linkspartei prophezeit, dass auch das neue Verfahren gegen ihn eingestellt wird

Die Facebookseite des Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken, Gregor Gysi wird in den letzten Tagen besonders frequentiert. Denn dem Politiker wurde die Immunität aberkannt, weil die Hamburger Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen uneidlicher Falschaussage gegen ihn eingeleitet hat.

Das konservative Springerblatt Die Welt hatte die Nachricht zuerst gemeldet mit der Eingangsbemerkung: „Exklusive Meldungen darüber, dass Gregor Gysi vielleicht doch entgegen seinen knallharten Dementis ein Zuträger der Stasi gewesen sein könnte, werden gewöhnlich von deutschen Medien nur ungern angepackt.“

Der Politiker gibt sich auf Facebook auch bei nach der neuen Anzeige selbstbewusst: „Nach einer Anzeige muss in einem Ermittlungsverfahren der Vorwurf geprüft werden. Das ist schon einmal geschehen. Selbstverständlich wird das Verfahren wie damals eingestellt werden, da ich niemals eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Deshalb gibt es nicht den geringsten Grund, über die Kandidatur nachzudenken“, kommentiert er die neueste Entwicklung.

Tatsächlich ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach einer Anzeige genau so obligatorisch wie die vorherige Aberkennung der Immunität, soweit es sich um einen Mandatsträger handelt. Im Umfeld der Linken dürften die neuerlichen Ermittlungen dem Spitzenkandidaten Gysi nicht schaden, sondern eher Pluspunkte einbringen. Die Partei wird den als Realo nicht unumstrittenen Politiker verteidigen und sich hinter ihn stellen. Seine Kandidatur durfte also parteiintern unstrittiger sein denn je. Wie die Reaktionen in parteiferneren Kreisen ausfallen, wird auch vom Fortgang der Ermittlungen abhängen.

Investigativteam gegen Gysi

Trotzdem stellen sich auch jetzt schon einige Fragen. Was bewegt das Welt-Investigationsteam mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR der Frage, ob Gysi wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet hat, eine solche Bedeutung zuzumessen? Schließlich ist längst bekannt, dass es eine Zusammenarbeit gab – die Frage ist, ob Gysi damals wusste, dass es sich um die Stasi handelte oder ob er andere Staatsorgane hinter seinen Gesprächspartnern vermutete.

Gysi arbeitete in der DDR als Rechtsanwalt und hatte in dieser Funktion Kontakte zu den damals real existierenden Staatsorganen. Wenn in dem Vorspann in der Welt suggeriert wird, die Medien in Deutschland würden Gysi schonen wollen, dann offenbart sich damit das Weltbild von einer linken Medienmacht, wie es eigentlich sonst nur in Kreisen der alten und neuen Rechten vorhanden ist. Tatsächlich gibt es nur wenige Medien, die das Thema Gysi und die Stasi nicht thematisieren. Und sie bleiben dabei durchaus nicht immer sachlich. So veröffentlichte Der Spiegel in den 1990er Jahren einen Titel zu Gysi, in dem Kritiker ein Spiel mit antisemitischen Codes sehen.

Auffällig ist auch, dass es in Westdeutschland in den ersten zwei Jahrzehnten keine großen Diskussionen über die Kontakte der damaligen Politiker zu den Staatssicherheitsorganen des nationalsozialistischen Regimes gab, das bekanntlich anders als die DDR nicht Akten-, sondern Leichenberge hinterlassen hat. Ein Investigativ-Team der Welt ist dazu nicht bekannt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153714
Peter Nowak

Droht konzernkritischem Film Verbot?

Eine Klage von Veolia gegen den Verleih von „Water makes Money“ könnte für den Konzern selbst zum Bumerang zu werden

Am kommenden Dienstag wird auf Arte mit Water makes Money ein Film ausgestrahlt, der besonders viel Aufmerksamkeit erfahren dürfte . Schließlich ist es ungewiss, ob der Film noch nach lange in dieser Version gezeigt werden kann.

Am 14. Februar beginnt im Pariser Justizpalast der Prozess des französischen Konzerns Veolia gegen den Verleih La Mare aux Canards, der den Film vertreibt. Der Konzern gibt an, in dem Film mit Korruption in Verbindung gebracht zu werden und dadurch beleidigt worden zu sein.

Der Film läuft am kommenden Dienstag im Rahmen eines Themenabends, der sich mit dem Lobbyismus großer Konzerne befasst. Die Titel der anderen Beiträge lauten: „Die Macht der Lobbyisten“ und im „Vorzimmer der Macht“. Tatsächlich zeigt der Film sehr prägnant, wie im Zuge der neoliberalen Regulationsphase mächtige Konzerne verstanden haben, mit dem lebenswichtigen Wasser große Profite zu machen (Trinkwasser als Geschäftsmodell).

„Seit ‚New Labour‘, Blair und Schröder – seit viele die Folgen der Privatisierungen am eigenen Leib verspüren, ist es aber unschicklich geworden, von Privatisierung zu sprechen. Seither klopfen Heere von Beraterfirmen bei finanziell klammen Kommunen an und versprechen neue Geschäftsmodelle: PublicPrivatePartnership, Crossborder leasing, Franchising und vieles dergleichen mehr“, heißt es im Filmmaterial.

Diese Zauberworte des Wirtschaftsliberalismus, die ein Peer Steinbrück genau so selbstverständlich verwendet wie ein Friedrich Merz oder ein Philipp Rösler werden in dem Film kenntlich als Geldmaschine für wenige Konzerne und Enteignung von Millionen Kunden in vielen Ländern. Die Filmemacher dokumentieren, wie französische Kommunen, seien sie von den Kommunisten oder den Konservativen regiert, der Marketingstrategie von Veolia und Co. folgen. Der Film geht ins Detail und dokumentiert, wie Wirtschaftsliberalismus im Kleinen groß funktioniert (Tröpfchen für Tröpfchen Qualität).

Inhaltliche Fehler werden dem Film nicht vorgeworfen:

„Nicht die im Film gezeigten Fakten werden bestritten, nur ‚Korruption‘ hätte man sie nicht nennen dürfen“, erklären Leslie Franke, Herdolor Lorenz und Lissi Dobbler, die den konzernkritischen Film gemeinsam produziert haben. In einer Erklärung gibt sich ein Veolia-Sprecher konziliant und beteuert, den Film nicht verbieten zu wollen und sich der Diskussion stellen zu wollen.

Die Konzernkritiker fragen, wie diese Erklärung dazu passt, dass nun eine Verleihfirma vor Gericht gezogen wird. Zudem scheiterte der französische Konzern mit einer Klage gegen die Filmregisseure Leslie Franke und Herdolor Lorenz, weil die deutschen Behörden sich verweigert und die deutsche Veolia-Tochter sich der Klage nicht anschließen wollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153706
Peter Nowak

Party für einen Treffpunkt im Kiez

KREUZBERG In der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule soll ein soziales Zentrum entstehen

Noch wird gehämmert in den Räumen des Irving-Zola-Hauses in der Ohlauer Straße 12 in Kreuzberg. In dem Nebengebäude der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule soll am Wochenende die Eröffnungsparty für ein neues soziales Zentrum steigen. Der Grundsatz „Do it yourself“ wird ernst genommen: Gerade ist die Bühne zusammengezimmert worden. Mehrere Menschen probieren schon mal die Stabilität aus.

Sie wird am Wochenende eine tragende Rolle spielen: Am Samstagabend wird dort ab 22 Uhr unter anderem die Rapperin Lena Stoehrfaktor auftreten. Am Sonntagnachmittag geht es mit Kleinkunst weiter. Alle Veranstaltungen sind kostenfrei. Die BesucherInnen spenden, was sie erübrigen können. „Das ist ein wichtiger Grundsatz im Irving-Zola-Haus. Geld soll keine Zugangsbarriere sein“, betont Michael, der die frühere Schule am 8. Dezember mit besetzt hat.

Während im Hauptgebäude Flüchtlinge aus ganz Deutschland eine Unterkunft für den Winter gefunden haben, soll der Flachbau zum „barrierefreien und selbstbestimmten Raum“ werden, so die Idee der Macher. Mittlerweile wird er von vielen sozialen Initiativen genutzt. Die ehemalige Schule ist begehrt: Auch viele andere Initiativen aus dem Kiez interessieren sich für die Räume. Die Aktivisten setzen mit der Party ein Zeichen: Sie wollen bleiben.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F02%2F09%2Fa0272&cHash=f4555ca0160b4862cfa90884b8c4ee35
Peter Nowak

NEUE PROTESTPLATTFORM

Statt Besetzen setzt man jetzt auf Blockieren

Nicht mehr so viel zu hören ist von der Occupy-Bewegung, die im vergangenen Jahr auch in Berlin Plätze besetzt hatte. Stattdessen wurde jetzt in Berlin eine Blockupy-Plattform gegründet. Dabei drängelten sich am Dienstagabend mehr als 60 Personen aus verschiedenen linken Gruppen und Initiativen in den größten Raum der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg.

Das Spektrum reichte von ehemaligen Occupy-AktivistInnen über Antifagruppen, Erwerbsloseninitiativen, den Berliner Naturfreunden bis zu linken Hochschulgruppen. Aber auch Unorganisierte seien bei Blockupy ausdrücklich willkommen. „Die Plattform ist kein Delegiertentreffen politischer Gruppen, sondern ein Forum für alle Interessierten“, sagt Aktivistin Tina Pleitsch.

Aktionstage mit Camps

Das neue Bündnis will in Berlin zu den Aktionstagen gegen die Europäische Zentralbank mobilisieren, die am 31. Mai und 1. Juni in diesem Jahr in Frankfurt am Main stattfinden sollen. Wie bei den ersten Blockupy-Aktionstagen in der Mainmetropole im vergangenen Jahr sind Camps, Blockaden, Veranstaltungen und auch eine Großdemonstration geplant.

In Berlin selbst will man bei der neuen Plattform bereits in der nächsten Woche mit Blockaden beginnen. Unter dem Motto „Blockupy goes Zwangsräumungen verhindern“ wird dazu aufgerufen, am 14. Februar die Zwangsräumung einer Familie in der Lausitzer Straße 8 zu verhindern, die nach einem jahrelangen Streit mit dem Eigentümer um Mieterhöhungen ihre Wohnung verlieren soll. Ein erster Räumungstermin war bereits im Dezember 2012 durch eine Blockade verhindert worden (taz berichtete).
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F02%2F08%2Fa0231&cHash=c40d0abf60e1d1130e693ed2fce7dfb9
Peter Nowak

Verbilligte Strom-Kontingente für Bedürftige

Forderung der neuen Sozial-AG beim Berliner Energietisch

Start eines Volksbegehrens, das kommunale Energieversorgung in Berlin fordert, ist am 11. Februar. Auf die Aktivisten des Berliner Energietisches, die das Volksbegehren organisieren, kommt eine Menge Arbeit zu. Bis zum 10 Juni 2013 wollen sie 200 000 Unterschriften für ihren Gesetzentwurf sammeln, der eine »demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung« in Berlin fordert.

Zu Wochenbeginn gründete sich die Arbeitsgruppe Soziales im Berliner Energietisch neu. Sie will dafür sorgen, dass die sozialpolitischen Grundsätze beim Sammeln der Unterschriften deutlich werden. Auf einem Flyer sollen die sozialprogrammatischen Grundsätze zusammengefasst werden. Zum Kreis der Aktivisten gehören Mitglieder der Gruppe »Für eine linke Strömung (fels), der umweltpolitischen Gruppen BUND und Gegenstrom sowie der Grünen Jugend.

Menschen mit geringen Einkommen machten sich Sorgen, weil häufig die Energiewende für Strompreiserhöhungen verantwortlich gemacht werde, meinte ein Mitglied der AG. »Sie sind daher oft für ökologische Belange oft schwer erreichbar. Gerade sie wollen wir mit unseren sozialpolitischen Forderungen ansprechen und für die Unterstützung des Volksbegehrens gewinnen.«

Bei der Sozial-AG wird nicht vom Energiesparen, sondern von Maßnahmen gegen die zunehmende Energiearmut in der Gesellschaft gesprochen. Davon sind Menschen mit geringen Einkommen besonders betroffen. Als Beispiel werden Stromsperren genannt, von denen auch in Berlin jährlich tausende Menschen betroffen sind. Zu den Maßnahmen gegen die Energiearmut, die in den sozialpolitischen Grundsätzen vorgeschlagen werden, gehört neben der Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV und Wohngeld auch ein verbilligtes Stromkontingent. Die Forderung nach einer bestimmte Menge Gratisstrom stieß auf Widerspruch bei Umweltgruppen. Sie befürchteten, dass das im Widerspruch zur Verringerung des Stromverbrauchs stehen könnte
www.neues-deutschland.de/artikel/812303.verbilligte-strom-kontingente-fuer-beduerftige.html

Peter Nowak

Denunziantenschutz beim Jobcenter?

Anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher werden in deren Akten aufgenommen, ohne sie davon in Kenntnis zu setzen. Die Datenschutzbestimmungen der Jobcenter garantieren die Anonymität der Informanten

Verdient sich der Hartz IV beziehende Nachbar etwa noch etwas dazu oder lebt er gar nicht in einer Zweck-Wohngemeinschaft? Es gibt Zeitgenossen, die sich solche Fragen über die in ihrer Umgebung wohnenden Mitmenschen stellen und dem Jobcenter entsprechende Hinweise geben. Für die Betroffenen kann das gravierende Folgen haben.

So wurde bereits 2010 durch die taz ein Fall in Göttingen bekannt, wo ein anonymer Anrufer das Jobcenter darüber informierte, dass eine Hartz IV-Bezieherin mehr bei ihrem Freund als in ihrer Wohnung leben würde. Mitarbeiter des Jobcenters leiteten weitere Erkundigungen in der Nachbarschaft der Denunzierten ein. Danach wurde der Frau die Hartz IV-Leistung gestrichen, ohne sie vorher auch nur angehört und mit den Vorwürfen konfrontiert zu haben. Dabei handelte es sich um einen alltäglichen Vorgang, der nur publik wurde, weil die Betroffene die Öffentlichkeit informierte.

Bis heute hat sie keine Ahnung, wer sie denunziert hat. So geht es vielen Betroffenen, bei denen plötzlich Sozialdetektive auftauchen, die feststellen wollen, wie viele Zahnbürsten im Badezimmer eines Erwerbslosen zu finden sind und ob die Butter im Kühlschrank einer Bedarfsgemeinschaft getrennt aufbewahrt wird. Diese Besuche empfinden die betroffenen Hartz IV-Bezieher besonders demütigend, weil es sich hier um einen massiven Eingriff in die Privatsphäre handelt. Jeder Hartz IV-Bezieher muss schon bei der Antragsstellung zustimmen, dass er den Behörden Einblick in sämtliche Konten gewährt. Nun ist selbst die eigene Wohnung nicht mehr vor Kontrolle sicher. Besonders belastend ist es für viele Betroffene, dass sie nicht wissen, von wem sie angezeigt worden sind. War es ein Nachbar, ein Bekannter oder womöglich sogar ein vermeintlicher Freund?

Dass soll auch in Zukunft so bleiben. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten der Linken Katja Kipping hervorgeht, garantieren die Datenschutzbestimmungen der Jobcenter die Anonymität der Denunzianten. In der Antwort der Bundesregierung auf ihre schriftliche Anfrage, bestätigt der Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Gerd Hoofe, dass anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher in deren Akten aufgenommen, ihnen aber nicht zur Kenntnis gegeben werden. Vor einer möglichen Akteneinsicht durch die Betroffenen sollen anonyme Anzeigen aus der Akte entfernt werden.

Datenschutz für Informanten?

Auf Kippings Frage, welche Anweisungen bzw. Regelungen und welche konkreten Praktiken in den Jobcentern hinsichtlich der in die Leistungsakte eines Hartz IV-Beziehers aufzunehmenden anonymen Anzeigen bzw. Strafanzeigen bestehen, heißt es in der Antwort:

„Der Informant hat Anspruch auf Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten. … Daher sollen im Regelfall entsprechende (anonyme) Anzeigen in einem verschlossenen Umschlag in der Leistungsakte aufbewahrt werden. Bei der Gewährung von Akteneinsicht ist diese im Regelfall herauszunehmen.“

Auf die Frage, welche Möglichkeiten für einen Hartz IV-Bezieher bestehen, Kenntnis über anonyme Anzeigen bzw. Strafanzeigen gegen ihn zu erlangen und sich gegen diese rechtlich zur Wehr zu setzen, antwortet der Ministeriumsvertreter, dass die Betroffenen die Namen der Informanten in Erfahrung bringen könnten, wenn es sich bei den Anzeigen nachweislich um Falschaussagen handelt und sie sich dagegen juristisch wehren wollen. Das können die Betroffenen aber nicht, wenn sie gar nicht wissen, dass gegen sie Anzeigen vorliegen.

Informelle Mitarbeiter der DDR können neidisch werden

„Anonyme Anzeigen gegen die Betroffenen in den Leistungsakten der Jobcenter sind ein Skandal. Erst recht, wenn sie dem Angezeigten nicht mal zur Kenntnis gegeben werden, weil sie bei Akteneinsicht vorher entfernt werden. Die Anzeigen beeinflussen den Fallmanager und der Betroffene weiß von nichts“, so Kippings Einschätzung, die von Erwerbsloseninitiativen geteilt werden.

Schließlich ist es absurd, wenn ausgerechnet Informanten sich auf Datenschutz berufen können sollen, den die beschuldigten Hartz IV-Bezieher nicht haben. Mancher ehemalige Informelle Informant der DDR dürfte da neidisch werden. Die haben sich gerne auch auf den Datenschutz berufen, als die Bürgerbewegung ihre Daten offenlegte.

Dieser von der Politik gewollte Datenschutz für anonyme Informanten ist auch ein Symptom für die gewollte Entsolidarisierung einer Gesellschaft. Denn so wird das Denunziantentum gefördert. In Zeiten, in denen ein Sarrazin zum Bestseller-Autor wird und Bild oder Sendungen wie Hart aber Fair mit Hetze gegen Erwerbslose Geschäfte machen bzw. für Aufmerksamkeit sorgen, gibt es genügend Willige, die dazu bereit sind.

Peter Nowak

Aus für Opel – und nichts passiert

Opel Bochum zeigt, wie schwer sic hdie Belegschaften mit der Automobilkrise tun

„Hier hat sich die Belegschaft selbst organisiert. Von Donnerstag an stand fest, die Belegschaft handelt und entscheidet gemeinsam jeden Schritt und jede Aktion. Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, dass LKWs mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren.“ Dieser Lagebericht des oppositionellen Bochumer Opel-Betriebsrates Manfred Strobel ist vor acht Jahren in der Zeitschrift Express erschienen, die gewerkschaftlichen Kämpfen in und außerhalb des DGB ein Forum gibt.
Damals hatte ein durch angekündigte Massenentlassungen ausgelöster sechstägiger Streik der Opel-Belegschaft in Teilen der Linken für Begeisterung gesorgt. Denn die Aktion hatte erkennbar nicht die Handschrift der IG-Metall-Führung getragen. Der Berliner Verlag „Die Buchmacherei“ hat unter dem Titel „6 Tage der Selbstermächtigung“ ein Buch herausgegeben, in dem die damaligen Kämpfe anschaulich dokumentiert sind. Acht Jahre später wurde der Schließungsbeschluss des Opelwerkes verkündet und es gab keine Torbesetzungen und Streiks. Kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses demonstrierten am 10. Dezember knapp 100 Beschäftigten durch das Werk. Am 14. Dezember hatte die IG-Metall zu einer Kundgebung vor dem Tor 4 aufgerufen. Der Tenor der meisten Reden war Zweckoptimismus. Es sei schon ein Erfolg, dass die Gespräche weitergehen. So soll über die Auszahlung der 4,3% Tariflohnerhöhung, die Opel wegen als Vorleistung der Belegschaft gestundet worden sind, weiterverhandelt und das Ergebnis dann den Kollegen zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem wurde von den Betriebsräten die Aufsichtsratsversammlung vom 12. Dezember als erfolgreich bezeichnet, weil dort kein Schließungsplan vorgelegt worden war.
„Das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt“, kommentierte Wolfgang Schaumberg diesem Versuch, die Belegschaft ruhig zu stellen. Schaumberg war jahrzehntelang in der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) aktiv. Sie und ihre Vorläufer haben in den vergangenen drei Jahrzehnten bei Opel eine wichtige Rolle gespielt und sicher auch mit zum 6tägigen Streik vor 8 Jahren beigetragen. Dass die Gruppe, die die Standortlogik und das gewerkschaftliche Comanagement immer bekämpft hat, bei der letzten Betriebsratswahl erstmals kein Mandat mehr bekommen hat, zeigt das veränderte Klima.

Viele wollen lieber die Abfindung kassieren

Heute liegt der Altersdurchschnitt im Werk bei über 47 Jahren. „Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen“, beschreibt Schaumberg die Situation Weil die Komponentenfertigung für andere Werke aus Bochum abgezogen wurde, könnte ein Ausstand heute nicht mehr wie 2004 die Opel-Produktion in ganz Europa lahmlegen. Dieser durch die technologische Entwicklung begünstigte Verlust der Produzentenmacht hat auch dazu geführt, dass sich viele StreikaktivistInnen von 2004 mit Abfindungen aus dem Betrieb verabschiedet haben. Dazu gehört auch der Express-Autor Manfred Strobel. Die Figur des “Arbeitermilitanten“, der, wie der vor einigen Jahren verrentete Wolfgang Schaumberg, über Jahrzehnte im Betrieb arbeiteten und Kampferfahrungen an neue Generationen weitergaben, war auch bei Opel schon vor den Schließungsplänen ein Auslaufmodell. Schließlich haben die Bochumer OpelanerInnen den Machtverlust selber erfahren können. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Anzahl der Belegschaftsmitglieder kontinuierlich zurück gegangen.
Dieser Rückgang der ArbeiterInnenmacht, bedingt durch den technologischen Fortschritt und die Politik der Wirtschaftsverbände, machen Belegschaften in vielen europäischen Ländern zu schaffen. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass Entscheidungsstreiks in einzelnen Fabriken in den letzen Jahren zurückgegangen sind und dafür die aus der Defensive geführten politischen Streiks zugenommen haben, lautet die These des von Alexander Gallas, Jörg Nowak und Florian Wilde kürzlich im VSA-Verlag erschienenen Buch „Politische Streiks im Europa der Krise“.
Der IG-Metall-Vorstand zumindest macht sich über neue Kampfformen kaum Gedanken. Auf ihrer Homepage wird der Opel-Konflikt zu einem Kampf zwischen den Standorten USA und Deutschland stilisiert. Dort ist von „einer Kampfansage von General Motors an Opel Bochum“ die Rede. Das Management habe die Marke Opel beschädigt, lautet die Klage der gewerkschaftlichen Komanager, die ein profitables Opel-Werk fordern. „Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten schon vorprogrammiert“, kommentiert Schaumberg realistisch.
Allerdings gibt auch bei Opel noch verschiedene Formen von Widerspruch gegen diese IG-Metall Linie. So empfahl ein oppositioneller Betriebsrat auf der Kundgebung am 14. Dezember, sich an den belgischen Ford-Kollegen aus Genk ein Beispiel zu nehmen, die Anfang November nach der Ankündigung der Werkschließung vor dem Ford-Werk in Köln protestierten. Die Aktion sei in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt worden, es habe sich aber um eine Protestaktion mit Vorbildcharakter, erklärte er unter Applaus.

Oppositonelle Gewerkschafter gespalten

Ebenfalls aus den Reihen oppositioneller Opel-Gewerkschafter wird mit dem Vorschlag, Gewerkschaften und Umweltorganisationen sollen sich gemeinsam für die Produktion umweltfreundlicher Autos einsetzen, an die Konversionspläne der 70er Jahre angeknüpft.
„Solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus“, betont Schaumberg. Bei der GoG wird daher die Forderung diskutiert, dem Management mit der Position gegenüber zu treten, die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen. Schließlich hätten die Lohnabhängigen die Situation nicht verursacht, die zum Schließungsbeschluss führte. Damit knüpfen sie an die Parole „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ an. Im Fall Opel ist die Parole sehr treffend. Denn es ist auch die durch die deutsche Krisenpolitik der europäischen Peripherie aufoktroyiertes Verarmungsprogramm, das den deutschen Export einbrechen ließ und Opel unrentabel macht. Wer jeden Cent zweimal umdrehten muss, kauft schließlich keine Autos.
Ein erstes Fazit, das sich aus den Reaktionen auf die Opel-Krise ziehen lässt, ist so also durchaus zwiespältig. Viele außerparlamentarische Linke hätten natürlich jeden direkten Widerstand im Werk als Zeichen für die weiterhin lebendige ArbeiterInnenbewegung interpretiert. Dass aber die KollegInnen eben nicht einfach die Brocken hinwerfen und stattdessen ihre Abfindungen ausrechnen, ist auch der Erkenntnis geschuldet, dass im heutigen Kapitalismus eine isolierte Lösung in einer einzelnen Fabrik nicht möglich ist.
Die von der Umweltgewerkschaft angefachte Debatte über die Produktion von umweltfreundlichen Fahrzeugen ist nur möglich, wenn die Eigentumsfrage und ProduzentInnenmacht und Konzepte einer gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Planung der Produktion wieder gestellt wird. In Zeiten, in denen die Markt- und Kapitallogik scheinbar alternativlos erscheint , könnten damit linke Zielvorstellungen wieder in der Öffentlichkeit platziert werden. Für das erste März-Wochenende plant die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Stuttgart eine Konferenz zum Thema „Erneuerung durch Streik“. In dem detaillierten Programm, das auf der Homepage http://www.rosalux.de/event/46538/erneuerung-durch-streik.html veröffentlicht, ist bisher allerdings Opel-Bochum nicht erwähnt.

aus analyse und kritik 579
http://www.akweb.de/
Peter Nowak

Cam over: Geraten in Berlin nach den Autos jetzt die Kameras ins Visier?

Der Aufruf Cam Over beruht auf dem Konzept des autonomen Subjekts

Um die Autobrände in Berlin ist es in letzter Zeit ruhiger geworden. Dabei gibt es noch immer brennende Fahrzeuge, wobei die Frage, ob politische Motive der Hintergrund sind, oft nicht klar ist. Es gab immer wieder massive Kritik auch in linken Kreisen, ausgerechnet das Auto zum Symbol aller Übel in der Welt aufzubauen und zu meinen, ein brennendes Auto wäre nicht eher ein Problem des Besitzers und keine Schlacht gegen den Kapitalismus. Zumal die Autos, die am wenigsten bewacht und gesichert sind, bestimmt nicht den wohlhabendsten Zeitgenossen gehören. Nun scheinen sich einige Aktivisten der linken Szene ein anderes Objekt ausgesucht zu haben: die Kameras, die in den letzten Jahren im Alltag massiv zugenommen haben.

Unter dem Slogan „Cam Over 2013“ haben Unbekannte zur Zerstörung von Überwachungskameras aufgerufen. Das Motto erinnert nicht zufällig an das englische »Game over. Im Aktionsaufruf heißt es: „Ziel des Spiels ist es möglichst viele Überwachungskameras zu entwerten.“ Die Sicherheitsbehörden nahmen diese Aufrufe sehr ernst. Webseiten, die das Aktionskonzept dokumentierten oder per Video die Unbrauchbarmachung einer Kamera exemplarisch vorführten, wurden umgehend gesperrt (http://camover.blogsport.de/spielidee/), aber sind wenig später wieder online.

Sowohl auf der aktivistischen Plattform Indymedia als auch auf anderen Webseiten wurden Schreiben veröffentlicht, in denen sich Gruppen mit Fantasienamen zu vollzogenen Kameraentwertungen bekennen. Sie ziehen dort auch eine Parallel zum 16. Europäischen Polizeikongress, der vom 16. bis 20 Februar in Berlin tagt. Das zentrale Thema soll dort „Schutz und Sicherheit im digitalen Raum“ sein. Wie in den vergangenen Jahren hat sich auch 2013 ein Bündnis zusammen gefunden, das gegen diesen Polizeikongress aktiv wird.

Militante Liberale?
Der Wechsel vom Auto zur Kamera scheint für die anonymen Aktivisten zunächst nicht unlogisch. Anders als ein Auto ist eine Überwachungskamera auch gesellschaftlich viel umstrittener. Das Recht, nicht beobachtet zu werden, wird gerade in der bürgerlichen Öffentlichkeit mit Nachdruck vertreten. Anders als ein Auto kann auch kaum jemand behaupten, eine Kamera wäre eben ein persönliches Hobby. Allerdings fällt auf, dass sich die anonymen Cam-Overisten nicht einmal die Mühe gemacht zu haben, ihren Aktivismus mit einer linken Gesellschaftskritik erklären zu wollen. So heißt es in dem Cam-Over-Aufruf verbalradikal, aber ohne jegliche Argumente:

„Wir hassen Überwachungskameras. Sie waren schon seit ihrer Erfindung scheisse. In unseren Städten verfolgen sie uns mittlerweile auf Schritt und Tritt. Auf der Straße, in Läden, in Wohnhäusern und in Bus und Bahn. Permanent werden wir beäugt, überwacht, ausspioniert. Menschen und Institutionen, die es am besten überhaupt nicht geben sollte, speichern Bilder unseres Lebens und vermitteln uns den Eindruck, ständiger Kontrolle zu unterliegen. Weil wir dieser Vision schon viel zu nahe sind, jeder Moment aber der letzte sein könnte, sie zu zerstören, rufen wir zu einem Spiel auf. Ein freudiges Spiel mit einem ernsten Ziel.“

Hier wird deutlich, dass die anonymen Verfasser in der Ideologie eigentlich militante Liberale sind. So mögen ihre Aktionsformen radikal sein, die Begründung aber könnten Liberale jeglicher Couleur unterschreiben, die schließlich alle die Autonomie des bürgerlichen Subjekts hochhalten und die Überwachung als grobe Verletzung dieser Autonomie verstehen. Selten wird deutlich, dass viele, die sich als Autonome verstehen, tatsächlich die letzten Verfechter dieser bürgerlichen Autonomie sind. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass es oft gerade Menschen mit wenig Geld sind, die an bestimmten Orten Überwachungskameras fordern. Der Grund liegt nicht darin, dass es sich hier um große Sicherheitsfanatiker halten.

Die Ängste der Subalternen werden ignoriertVielmehr haben sie einfach Angst, zu bestimmten Zeiten bestimmte Plätze aufzusuchen. Die Kameras suggerieren ihnen Sicherheit. Die Kritik, dass es dabei nur um ein Sicherheits-Placebo handelt, ist berechtigt. Aber auch in der Medizin sind Placebos nicht ganz wirkungslos. Daher ist der Kampf gegen die Kameras nicht falsch, wenn aber die konkreten Ängste von sich als schwach empfindenden Teilen der Bevölkerung ausgeblendet wird, ist es eine Angelegenheit des autonomen Bürgers, der nicht überwacht wenden und auf seine Autonomie wert legt.

Wenn dann Rentner, Frauen oder Menschen mit Handicaps nicht mehr aus dem Haus gehen, weil sie, ob begründet oder nicht, Angst vor Überfällen, Vergewaltigungen und anderen Angriffen haben, ist ein solcher Aktivismus sicher kein Beitrag dazu, dafür zu sorgen, dass die Straßen und Plätze wieder von allen genutzt werden können.

Peter Nowak

Wenn die Kündigung in die Rehaklinik geschickt wird

Stress am Arbeitsplatz und Kündigung: „Wie misst man eigentlich die Arbeitsleistung eines Produktentwicklers?“

Stress am Arbeitsplatz ist mittlerweile ein Dauerthema. Nachdem vor zwei Wochen der DGB eine Studie zu diesem Thema vorgelegt hat, treffen sich heute in Berlin Vertreter aus Politik, Gewerkschaften, und Wirtschaft, um über Maßnahmen zu beraten. Der Medizinsoziologe Johannes Siegrist bringt die Zunahme von Stress am Arbeitsplatz auch mit der Globalisierung in Verbindung.

„Die Intensität der Arbeit hat sich in den vergangenen 20 Jahren in vielen Berufen gesteigert. Das Tempo, die Arbeitsmenge, die zu erledigen ist, und die Anforderungen an die Arbeit haben sich erhöht.“

Ein wichtiger Grund sei die zunehmende Konkurrenz in Zeiten der Globalisierung. Wobei die Konkurrenzsituation längst in allen Bereichen des Arbeitslebens Einzug gehalten hat. Günther Demin (Name auf Wunsch des Betroffenen verändert) kennt das Thema Stress am Arbeitsplatz allerdings nicht nur aus den Medien. Dem 48-jährigen Softwareentwickler eines mittelständischen Betriebs wurde im Dezember gekündigt. Jetzt kämpft er um seinen Arbeitsplatz.

Demin würde zu geringe Arbeitsleistung erbringen, so Begründung der Firma. Für ihn ist der Vorwurf nicht nachvollziehbar. „Wie misst man eigentlich die Arbeitsleistung eines Produktentwicklers?“, fragt er sich. Vor allem die Umstände der Kündigung machen ihn wütend. So sei mit ihm vor der Kündigung nicht gesprochen worden. Außerdem war er krankgeschrieben, als er die Kündigung erhalten hat. Dass es kein großer Beitrag zur Genesung ist, wenn man kurz vor Weihnachten in einer Rehaklinik die Kündigung erhält, kann sich jeder denken.

Klinikaufenthalt als Arbeitsverweigerung?

Zumal der Firmenleitung seine gesundheitlichen Probleme bekannt gewesen sein müssen. Denn Demin hat sich eigentlich vorbildlich verhalten, wenn man die Tipps und Ratschläge der medizinischen Fachleute zum Maßstab nimmt. Schon im Frühjahr letzten Jahres stellte er nach gesundheitlichen Problemen bei seiner Rentenversicherung einen Antrag auf eine stationäre Behandlung in einer Rehaklinik. „Neben der Sicherung meiner Gesundheit hatte auch der Erhalt meines Arbeitsplatzes für mich hohe Priorität“, erklärt Demin.

Deshalb bat er seinen Arbeitgeber um eine Arbeitszeitverkürzung, damit er die Anforderungen am Arbeitsplatz und die Wiederherstellung seiner Gesundheit miteinander verbinden kann. Der Arbeitgeber habe die Bitte aber abgelehnt, so Demin. Stattdessen erhielt er eine Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung.

Dabei habe es sich klar um ein Missverständnis gehandelt, betont der Betroffene. Er habe seinen Arbeitgeber auf seinen beantragten, aber auch noch nicht bewilligten Klinikaufenthalt hinweisen wollen und gesagt, dass er möglicherweise krankheitsbedingt für einige Wochen nicht am Arbeitsplatz erscheinen könne. Die Abmahnung sei später zurückgenommen worden.

Demin zeigt im Gespräch mit Telepolis sogar Verständnis für seinen Chef. Vielleicht sei die Ankündigung ja tatsächlich missverständlich formuliert gewesen. Allerdings kann auch eine besondere Stresssituation entstehen, wenn Beschäftigte erfahren müssen, dass ein angekündigter Klinikaufenthalt als Arbeitsverweigerung sanktioniert wird. Könnten solche Maßnahmen nicht gerade dazu führen, dass Beschäftigte, statt sich um ihre Gesundheit zu kümmern, alles unternehmen, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten und dann lieber Pillen schlucken, als sich krankschreiben zu lassen?

Normalität, die viele nicht wahrhaben wollen

Im Sommer 2012 bat Demin seinen Chef um eine Arbeitszeitverkürzung. Zuvor hatte er einen Nervenzusammenbruch erlitten, der mit einem zweiwöchigen Klinikaufenthalt verbunden war. Dieses Mal hatte er zur Untermauerung ein ärztliches Attest vorweisen können. „Meine damaligen Ärzte bescheinigten mir, dass eine kürzere Arbeitszeit für mich gesundheitlich dringend anzuraten ist“, betont Demin. Darauf habe ihm sein Arbeitgeber eine bis Ende 2012 befristete Arbeitszeitverkürzung genehmigt. Ab September 2012 habe er 32 statt bisher 40 Stunden in der Woche gearbeitet. Ab 31. Oktober habe die beantragte Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik begonnen, die Anfang Dezember noch einmal um drei Wochen verlängert worden sei. Während dieser Behandlung sei ihm die Kündigung zugeschickt worden.

Die Rehaklinik hat er Ende Dezember verlassen. Allerdings sei er noch bis zum 18.Februar 2013 arbeitsunfähig geschrieben, berichtet Demin gegenüber Telepolis. Für seinen Arbeitsplatz will er in dieser Zeit aber trotzdem kämpfen. Ein Gütetermin vor dem Stuttgarter Arbeitsgericht blieb am 29. Januar ohne Ergebnis. Jetzt will er sich auf den Arbeitsgerichtsprozess vorbereiten und dabei auch Gewerkschaften und soziale Initiativen informieren. Der Termin des Prozesses steht noch nicht fest. Von der Firma gab es bislang noch keine Stellungnahme zu den Vorwürfen.

Sie soll auf Wunsch des Betroffenen nicht namentlich genannt werden. Es ist auch nicht nötig, denn was Demin berichtet, ist gerade nicht ein besonders skandalöser Fall, sondern eher die Schilderung einer Normalität, die viele nicht wahrhaben wollen. Wenn sich jetzt auch Vertreter der Politik und Wirtschaft alarmiert zeigen, wird nicht selten auf die volkswirtschaftlichen Schäden verwiesen, die durch die gesundheitlichen Folgen von Stress am Arbeitsplatz entstehen. Der Fall Günther Demin macht aber deutlich, wie hoch die Kosten für den einzelnen Beschäftigten sind, über die auch in der aktuellen Debatte zu selten geredet wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153640
Peter Nowak

Konferenz der Unsichtbaren

Es gibt viele weibliche Flüchtlinge, doch bei Protesten sind sie kaum präsent – das soll sich ändern
Weibliche Asylbewerber leiden nicht nur unter der allgemeinen Diskriminierung von Flüchtlingen, sondern zudem unter sexistischer Behandlung – bei Ämtern, in Heimen und innerhalb der Flüchtlingsbewegung. Zum ersten Mal widmet sich nun eine Konferenz ausschließlich ihren spezifischen Problemen. Das soll Frauen ermutigen, sich stärker zu engagieren.

»Jede von uns trägt den Schmerz der Vergangenheit. Wir haben Armut, Elend, Krieg, politische Verfolgung, sexuelle Gewalt und Erniedrigung erlebt. Wir sind einen langen, beschwerlichen Weg gegangen und gemeinsam befinden wir uns hier in der Migration im Exil.« Mit diesen eindringlichen Worten beginnt der Aufruf für die erste Flüchtlingsfrauenkonferenz in Deutschland, die vom 19. bis 21. April in Hamburg stattfinden soll. Die Initiative steht im Kontext des wachsenden Widerstands von Flüchtlingen. 2012 gilt als Jahr ihres Aufbruchs, Höhepunkte waren ein Marsch von Würzburg nach Berlin, der Hungerstreik am Brandenburger Tor und die Errichtung eines Flüchtlingscamps im Bezirk Kreuzberg. Doch dieser Widerstand scheint männlich zu sein – Frauen sind dabei kaum sichtbar. Aus diesem Befund ist im vergangenen Jahr beim Flüchtlingssommercamp in Erfurt die Idee für die Konferenz entstanden.

»In den letzten Jahren ist uns aufgefallen, dass gerade in unserem selbstorganisierten Kampf die Beteiligung von Frauen sehr gering ist«, erklärt eine Aktivistin vom Vorbereitungskreis. Dabei sind Frauen nicht weniger von den Problemen betroffen. Die Residenzpflicht schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein, sie müssen abgeschottet in Heimen leben, und immer wieder droht die Abschiebung. Im Gegensatz zu Männern sind sie aber zudem mit sexistischer Unterdrückung konfrontiert, nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch hierzulande, auf Ämtern und in Heimen. »Frauen erfahren Ausgrenzung, Erniedrigung und Ausbeutung in ihrem Alltag besonders stark, deshalb haben sie kaum Kraft, sich am Widerstand zu beteiligen«, meint die Konferenzorganisatorin.

Der Erfahrungsaustausch soll deshalb auf der Konferenz viel Raum bekommen. Dabei werden Frauen nicht nur vom Kampf für ihre Rechte in ihren Herkunftsländern und von sexuellen Belästigungen bei Festnahmen berichten. Auch Übergriffe in deutschen Flüchtlingsunterkünften von männlichen Flüchtlingen und Mitarbeitern sollen zur Sprache kommen, genauso wie sexistische Einstellungen deutscher Behörden. Die Frauen wollen darüber hinaus beraten, wie sie mit sexistischem Verhalten innerhalb der Flüchtlingsstrukturen umgehen können. Zu Opfern wollen sie sich allerdings nicht stilisieren lassen, betont die Aktivistin des Vorbereitungskreises.

Sie hofft, dass die Konferenz Frauen ermutigt, sich in der Flüchtlingsbewegung stärker einzubringen. Deshalb wird im Rahmen der Veranstaltung auch das Internationale Flüchtlingstribunal vorbereitet, das im Juni in Berlin stattfinden soll. Dann wollen Flüchtlingsorganisationen Anklage gegen die deutsche Regierung erheben. Ihr wird zur Last gelegt, mitverantwortlich zu sein für die Fluchtursachen, die Toten an den europäischen Außengrenzen und »für das psychische und physische Leid, das Flüchtlinge und MigrantInnen hierzulande tagtäglich erleben«. Für die Flüchtlinge sind solche Aktivitäten ein finanzieller Kraftakt. Die Organisatorinnen der Frauenkonferenz haben daher ein Spendenkonto eingerichtet.

Spendenkonto: Förderverein Karawane, Kto-Nr. 40 30 780 800, GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67, Stichwort: Flüchtlingsfrauenkonferenz

http://www.neues-deutschland.de/artikel/811433.konferenz-der-unsichtbaren.html
Peter Nowak