Nehmen die Atlantiker Rache an Westerwelle?

Die EU-Krise stärkt die Atlantiker aller Parteien
„Wer gibt zuerst auf – Gaddafi oder Westerwelle?“, titelte die taz am Montag. Tatsächlich steht der Außenminister in diesen Tagen von allen Seiten unter Beschuss. Der Mann, der noch vor gar nicht so langer Zeit als der Politiker gefeiert wurde, der die FDP an ihr „Traumziel 18 Prozent“ herangeführt hat, wird nun für den tiefen Fall der Partei in Umfragen verantwortlich gemacht.

Das ist Politik und Westerwelle hat diese Methoden beim Ausbooten seiner Vorgänger selbst angewandt. Nach seinem Abgang als Parteivorsitzender war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sein Außenministerposten zur Disposition stehen würde. Umso mehr als es Westerwelle nie gelang, das Ministeramt wie viele seiner Vorgänger als Trumpfkarte auszuspielen. Seine Vorgänger im Außenministeramt überrundeten mit guten Umfragewerten in der Regel ihre Parteifreunde. Das lag aber weniger an persönlichen Eigenschaften, sondern vielmehr an einem außenpolitischen Konsens über alle Parteigrenzen hinweg. Und der ist mittlerweile zerbrochen.

So kann der aktuelle Furor gegen den Außenminister als Revanche der Altantiker aller Parteien interpretiert werden, die mit der Enthaltung der Bundesregierung in der Libyen-Krise von Anfang an unzufrieden waren. Nachdem die willigen Nato-Staaten ihre libyschen Verbündeten mit wochenlangen Einsätzen an die Macht gebombt haben, geht es um die Verteilung der Kriegsbeute in Form von Konzessionen für die Öl-und Gasförderung und andere lukrative Verträge im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau.

Da könnte Deutschland gegenüber Frankreich und Italien das Nachsehen haben. Die dortigen Regierungen haben sich rechtzeitig von ihrem engen Bündnispartner bei der Flüchtlingsabwehr, Gaddafi, abgewandt. In ihrer Wendigkeit gleichen sie führenden Figuren des libyschen Anti-Gaddafi-Bündnisses, die lange Zeit hohe Posten im alten Regimes besetzen und nun das neue Libyen repräsentieren wollen. Ob sich die libyschen Alt-Oppositionellen, vor allem Monarchisten und Islamisten, damit abfinden werden, ist fraglich. Innerlibysche Konflikte sind vorprogrammiert.

Regimeachange nach irakischen Muster

Dabei bestätigt der Ablauf der Nato-Intervention eigentlich die Kritiker. Ein Regimechange mit Hilfe der Nato-Kriegstechnik wurde als humanitärer Eingriff zum Schutz der Bevölkerung vor den Bomben des alten Regimes verkauft. Über die Opfer der Nato-Bomben redet kaum jemand.

Ein außenpolitischer Kommentar der Wochenzeitung Freitag weist auf die Parallelen zwischen dem Irak und Libyen hin:

„Das kann nur goutieren, wer nach den bitteren Erfahrungen allein der vergangenen zwei Jahrzehnte im Nahen Osten und in Mittelasien weiter der Vorstellung anhängt, Krieg sei in diesen Regionen ein legitimes und erfolgversprechende Mittel der Politik. Wo bitteschön wurde der Beweis dafür erbracht?“

Diese Frage interessiert weder Westerwelle noch seine Kritiker. Unter denen sind erstaunlich viele Sozialdemokraten und Grüne, die in der Causa Irak noch vehement für eine gewisse, wie wir heute wissen, sehr begrenzte Enthaltung beim Kriegführen eingetreten waren und diese Positionierung auch nach dem militärischen Sieg der Willigen im Irak verteidigten. Dass viele von ihnen heute als Atlantiker gegen Westerwelle auftreten, liegt nicht nur an ihrer Oppositionsrolle, sondern auch an der EU-Krise.

Die Kritiker des Irakkrieges wollten die EU als scheinbar weniger bellizistische Alternative zur USA in Stellung bringen, wobei vor allem viele osteuropäische Staaten nicht mitmachten. Fast ein Jahrzehnt später ist diese EU als Alternative zu den USA nur mehr eine Schimäre. Daher flüchten sich manche einstweilen wieder zu vermeintlich soliden atlantischen Gewissheiten. Beim nächsten internationalen Konflikt, möglicherweise im Fall Syrien, kann sich das schon wieder ändern.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150388

Peter Nowak

Der Neuköllner Patriarch und der unseriöse, spaßige Wahlkampf


Die etablierten Parteien tun sich schwer mit den Aktionen der Buschkowsky-Jugend und der Titanic-Partei

Die Buschkowsky-Jugend hatte in den letzten Tagen etwas Spaß in den trögen Wahlkampf in Neukölln und damit sogar ihren Namensgeber, den Neuköllner SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky, zum Schmunzeln gebracht. Als der vor einigen Tagen in einem Britzer Bioladen Brotdosen für Schüler füllte, bekam er Besuch von einer Gruppe junger Fans, die ihm garantiert deutsche Erdäpfeln überreichten. „Wir freuen uns, wenn Sie in jede dieser Brotdosen auch mal eine Kartoffel tun“, erklärten sie dem Bürgermeister.

„Ich staune, dass die Piraten sich zu meiner Anhängerschaft dazugesellt haben“, nahm Buschkowsky den Auftritt mit Humor und hieß seinen selbsternannten Fanclub willkommen. Doch seit gestern ist Schluss mit lustig und der Bürgermeister möchte über seine ungezogene Jugend nicht mehr lachen. Gegenüber Telepolis erklärte er:

„Ich halte es nicht für erstrebenswert, einen Wahlkampf mit verdeckt und namenlos agierenden Agitprop-Trupps salonfähig zu machen. Das erinnert ein bisschen an die Weimarer Republik. Ich halte die Demokratie für eine seriöse Gesellschaftsordnung, die auch eine seriöse Auseinandersetzung verdient.“

Nachdem das rbb-Politikmagazin Klartext mit Stefan Gerbing, einen Mitarbeiter der Linken-Bundestagsabgeordneten Katja Kipping, als Sprecher der Buchkowsky-Jugend enttarnt hatte, sind auch von der SPD andere Töne zu hören. „Nach guter alter Stasi-Manier – unter falschem Namen und im Dunkeln – agiert der Agitprop-Wahlkampf-Störtrupp aus dem Dunstkreis der Linken gegen die SPD in Neukölln“, heißt es in einer Pressemitteilung der Neuköllner SPD.

Dabei betonte Kipping, die innerhalb der Linken der DDR-kritischen Strömung angehört, gegenüber Telepolis, die Tätigkeit bei der Spaßguerilla falle in die Freizeit ihres parteilosen Mitarbeiters und werde von ihr nicht kommentiert.

„Die Zeiten, in denen sich ArbeitgeberInnen ins Privatleben ihrer Beschäftigten einmischen, sind ja zum Glück vorbei.“

Mustafa Müller, der neue Sprecher der Buschkowsky-Jugend, bestätigte Kippings Aussage. „Wir haben mit der Linken sowenig zu tun wie mit anderen Parteien.“ Die Buschkowsky-Jugend müsse sich einen neuen Pressesprecher suchen. Zudem sei ihre Facebookseite gesperrt. Trotzdem wolle sie bis zum Wahltermin weiter an ihren Zielen arbeiten, die sie in ihrem Manifest niedergelegt hat. Danach soll Buschkowsky zum Neuköllner Patriarchen erklärt werden, ein Hartzschutzgesetz in Neukölln eingeführt und alle Satellitenschüsseln von Migranten demontiert werden. Als Entschädigung für seine Anfeindungen in Kreuzberg solle Buschkowsky-Freund Thilo Sarrazin die Möglichkeit gegeben werden, seine Thesen von der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm „aus dem weltoffenen Neukölln ins intolerante Kreuzberg“ zu rufen.

Viele Beobachter sehen in der Buschkowsky-Jugend eine Nachfolge der Aktion Pink Rabbit gegen Deutschland, mit der die Berliner Naturfreudejugend vor zwei Jahren für viele LacherInnen sorgte.

Gas geben mit Haider

Der Humor der Buschkowsky-Jugend wird von der Titanic-Partei übertroffen, die mit der Persiflage eines NPD-Plakats viel Zustimmung erhielt. Nur gibt auf den verfremdeten Plakaten nicht der NPD-Chef auf dem Motorrad, sondern Österreichs Rechtspopulist Jörg Haider Gas.

Zu sehen ist das Wrack des Wagens mit dem er tödlich verunglückt ist. Wahlkampf kann also Spaß machen, die meisten Politiker haben aber keinen Humor, lautet das Fazit der lustigen Wahlkampfinterventionen. Unter den „seriösen Parteien“ gelang der Piratenpartei, die inhaltlich zwischen FDP und Grünen steht, mit humoristischen Plakaten ein Umfragenhoch.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150371

Peter Nowak

Deutsche Kartoffel in der Schülerbrotbox


WAHLKAMPF II In Neukölln treibt eine „Buskowsky-Jugend“ die populistischen Thesen des Bürgermeisters auf die Spitze. Die SPD glaubt nun, die Gruppe sei von der Linken gesteuert, und zieht Stasi-Vergleiche

Die Neuköllner SPD zieht alle Register: „Nach guter alter Stasi-Manier – unter falschem Namen und im Dunkeln – agiert der Agitprop-Wahlkampf-Störtrupp aus dem Dunstkreis der Linken gegen die SPD“, heißt es in einer Erklärung. Der Hintergrund: Das rbb-Magazin „Klartext“ hatte Stefan Gerbing, Mitarbeiter der Linken-Bundestagsabgeordneten Katja Kipping, als Sprecher der „Buskowsky-Jugend“ enttarnt. Die Gruppe hatte zuletzt etwas Spaß in den Bezirkswahlkampf gebracht – sogar für Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky. Als der in einem Britzer Bioladen Schüler-Brotdosen füllte, überreichten ihm Mitglieder der „Jugend“ Erdäpfel aus deutscher Ernte. „Wir freuen uns, wenn Sie in diese Dosen auch mal eine Kartoffel tun“, hieß es. Der SPD-Mann nahm es mit Humor und hieß den vermeintlichen Fanclub willkommen.

Nach der „Enttarnung“ des Sprechers kamen nun die feindlichen Töne von SPD und Bezirksamt. Katja Kipping dagegen sagte der taz, sie habe mit der Bus-kowsky-Jugend nichts zu tun. „Während der Arbeitszeit fallen für meine MitarbeiterInnen andere Aufgaben an“, so die Politikerin vom undogmatischen Flügel der Linken. Mustafa Müller, der neue Sprecher der Buskowsky-Jugend, wählte deutlichere Worte. „Dass wir jetzt in die Ecke der Linken gesteckt werden, behagt uns gar nicht.“ Man habe mit keiner Partei etwas zu tun. Zudem sei Gerbing, der mittlerweile nicht mehr Pressesprecher sei, parteilos und habe nur seinen Arbeitsplatz bei Kipping.

Die Buskowsky-Jugend werde bis zur Wahl weiter an den Zielen arbeiten, die sie in einem „Manifest“ niedergelegt hat, sagte Müller. Danach soll Buschkowsky zum Neuköllner Patriarchen erklärt, ein Hartzschutzgesetz eingeführt und alle Satellitenschüsseln von MigrantInnen demontiert werden. Als Entschädigung für die in Kreuzberg erlittenen Anfeindungen solle Buschkowsky-Freund Sarrazin die Möglichkeit gegeben werden, seine Thesen von der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm zu rufen.

„Wir halten Ironie für ein Mittel, Buschkowkys Aussagen zu Erwerbslosen, MigrantInnen und Minderheiten zu überspitzen und das Gesellschaftsmodell dahinter deutlich zu machen“, so Müller. Ob der Stasi-Vergleich der Neuköllner SPD selbst Satire war, bleibt offen: Eine angekündigte Stellungnahme des Bezirksamts traf bis Redaktionsschluss nicht

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F08%2F27%2Fa0181&cHash=e440505ab8

Peter Nowak

Scheitert die deutsche Regierung an der EU?

Bundeskanzlerin Merkel muss mit einem Aufstand in Teilen der Union und der FDP gegen den geplanten EU-Rettungsplan rechnen

Sollte Bundeskanzlerin Merkel mit der Sondersitzung der Unionsfraktion am 23.August die Hoffnung verbunden haben, die Debatte um den EU-Rettungsplan zu beenden, so ist sie damit gescheitert. Vielmehr ist das Gegenteil eingetreten. Nicht nur in der Union, auch in der FDP melden sich weiterhin Politiker zu Wort, die beim gegenwärtigen EU-Rettungsfonds die deutschen Interessen zu wenig gewahrt sehen.

Bricht Wulff oder die EZB die EU-Verträge?

Die Kritiker haben Unterstützung von Bundespräsident Christian Wulff bekommen, der in einer Rede vor Nobelpreisträgern auf der Insel Lindau die Europäische ZentralbankY beschuldigt hat, mit dem Aufkauf von Staatsanleihen von einzelnen EU-Staaten die EU-Verträge zu brechen. Dabei bezog er sich auf Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in dem der Erwerb von Schuldtiteln durch die EZB verboten wird.

Mittlerweile wird freilich Wulff selber beschuldigt, mit seiner Rede den Artikel 130 des EU-Vertrags verletzt zu haben, in dem sich die Mitgliedstaaten verpflichten, „nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen“.

Unterschiedliche Kritik am Demokratiedefizit der EU

Die Kritik am Demokratieabbau im Rahmen des EU-Prozesses wird von unterschiedlichen Akteuren formuliert. So haben Zeitungen in Griechenland und Portugal, aber auch soziale Initiativen in den letzten Wochen immer wieder moniert, dass verschuldete Länder unter EU-Protektorat gestellt und ihre Parlamente bei wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen entmachtet werden. In einen viel beachteten Aufsatz in den Blättern für Deutsche und Internationale Politik hat das Mitglied des IG-Metall-Vorstands Heinz Jürgen Urban vor einer „postdemokratischen Krise in der EU“ gewarnt.

„Im Zuge dieser Strategie ist die Europäische Union zu einem abgehobenen ‚Elitenprozess‘ mutiert, in dem die Institutionen der Demokratie äußerlich intakt blieben, dem europäischen Demos aber immer offensichtlicher die Beteiligung am ‚Europäischen Projekt‘ verweigert wurde“, lautet eine zentrale These des Gewerkschafters, der befürchtet, dass aus der EU „ein autoritäres Regime prekärer Stabilität“ entstehen könnte, dass Parlamente und Gewerkschaften in den Ländern der europäischen Peripherie entmachtet.

Die Kritik, wie sie von Politikern aus Union und FDP geäußert wird, zielt auf mehr Druck auf diese Länder. So erklärte Unions-Vize Johannes Singhammer: „Bevor die deutschen Steuerzahler zur Haftung herangezogen werden, müssen Länder wie Italien oder Portugal zunächst einmal ihre beträchtlichen Goldreserven einsetzen.“ Damit unterstützte er die Vorschläge der stellvertretenden CDU-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Sie regte am Dienstag an, die europäischen Institutionen sollten sich ihre Kredite von den notleidenden Ländern künftig über Goldreserven oder Industriebeteiligungen absichern lassen.

Wirtschaftsnahe Kritiker inner- und außerhalb der Union werfen der bisher als Merkel-Vertrauten geltenden Politikerin vor, das Vertrauen in den EU-Rettungsplan zu untergraben. Zudem besäßen Länder wie Griechenland gar nicht mehr so viele Reserven, die sie als Sicherheit anbieten könnten. Zu den Verteidigern des Vorstoßes von der Leyens gehört der CDU-Bundesabgeordnete Philipp Missfelder. Er verwies auf Sondervollmachten, die Finnland am EU-Sondergipfel zu den Griechenlandhilfen zugestanden wurden: „Es gibt keinen Grund zu sagen, (…) Finnland darf das in Anspruch nehmen und Deutschland darf das nicht in Anspruch nehmen“, sagte Missfelder.

Finnland hatte mit Verweis auf die EU-kritische Stimmung in dem Land, die sich in dem Überraschungserfolg der rechtspopulistischen Wahren Finnen manifestierte, die Zugeständnisse erhalten, weil das Land wegen der geforderten Einstimmigkeit den gesamten Rettungsplan hätte blockieren können. Was damals als absolute Ausnahme gehandelt wurde, wird nun von den EU-Skeptikern im deutschen Regierungslager Exempel interpretiert.

Positionierung in der Nach-Merkel-Ära

Dabei geht es auch um die Positionierung der deutschen Konservativen und Liberalen in der Nach-Merkel-Ära. Mit dem Pochen auf deutsche Interessen in der EU-Politik wollen diese Parteien ein Thema besetzen, das in der Bevölkerung durchaus eine Rolle spielt und kampagnenfähig werden könnte. Eine Union und eine FDP, die sich im Wahlkampf als Wächter der Stabilität des Euro gerieren und die Oppositionsparteien der Nachlässigkeit zeihen, könnten aus dem Umfragetief herauskommen.

Dabei haben diese Politiker des Regierungslagers allerdings ein Problem. Die Parteien müssen Maßnahmen mittragen, die dem angestrebten Image als Hüter der Währungsstabilität zuwiderläuft. Während FDP- und Unionspolitiker deutsche Interessen in der EU pointieren und die nationale Karte spielen wollen, vermeldet das Handelsblatt, dass in der Schublade von Finanzminister Schäuble, der als Oppositionspolitiker übrigens auch zu den EU-Skeptikern gerechnet wurde, ein Geheimpapier liege, das EU-Gremien gegenüber dem nationalen Parlament weitere Handlungsvollmachten einräumen soll.

In dem 41 Seiten umfassenden Geheimpapier erläutert Schäuble seine Pläne für die konkrete Ausgestaltung der erweiterten Befugnisse des Rettungsschirms, der von 440 auf 770 Milliarden Euro aufgestockt werden soll. Danach soll der Deutsche Bundestag dem EFSF eine Art Generalbevollmächtigung erteilen, um Rettungsmaßnahmen für Schuldenstaaten durchführen zu können. Das Direktorium des Fonds soll künftig drei zusätzliche finanzpolitische Handlungsinstrumente erhalten und dafür Richtlinien erlassen, die keiner direkten parlamentarischen Kontrolle unterliegen.
Handelsblatt

Sofort haben Politiker beider Regierungsfraktionen Protest erhoben und erklärt, das Finanzministerium habe vor einer solchen Entmachtung des Parlaments gewarnt. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums hat mittlerweile erklärt, das Parlament sei über die Pläne informiert worden.

FDP-Politiker reden vom Koalitionsbruch

Der Spagat zwischen Realpolitik und dem Propagieren von deutschen Interessen in der EU ist die Ursache des heftigen Streits in der Regierung. Demnächst gibt es zwei Termine, die ihn zu einer Regierungskrise ausweiten könnte.

Am 7. September will das Bundesverfassungsgericht sein lange erwartetes Urteil über die Rechtmäßigkeit der Milliardenhilfe für Griechenland verkünden. Zu den Klägern gegen die Währungspolitik der Bundesregierung gehört auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Gauweiler. Sollte das Gericht den Klägern Recht geben, wäre nicht nur die Regierung, sondern auch die EU in der Krise. Aber auch wenn das Gericht, wie die meisten Beobachter erwarten, die Klage ablehnt, ist die Bundesregierung nicht außer Gefahr.

Am 23. September sollen Bundestag und Bundesrat über die Beschlüsse der EU-Staats- und Regierungschefs vom Juli abstimmen. Sollte die Bundesregierung dann keine eigene Mehrheit zusammenbringen, könnte die Regierung am Ende sein. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Sylvia Canel war nicht die Einzige, die offen einen Koalitionsbruch über die EU-Frage ins Gespräch gebracht hat. Sie bekam in ihrer Partei Unterstützung. Dann könne die Post-Merkel-Ära, auf die einige Bundestagsabgeordnete mit ihrer Kritik an der EU-Politik zielen, schneller als erwartet beginnen.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35368/1.html

Peter Nowak

Die Mauer, eine Satire und ihre Opfer

Die ganze Nation feierte am vergangenen Wochenende den Mauerfall? Die ganze Nation: Eine Satirepartei und eine kleine Tageszeitung mit Osthintergrund in Berlin-Mitte verweigerten sich

Während die Aktion der Titanic-Partei, die mit ihrer Devise „Die endgültige Teilung Deutschlands ist unser Auftrag“ wenig Aufmerksamkeit zeugte, erregt die Titelseite der Wochenendausgabe der jungen Welt die Gemüter auf der rechten und der linken Seite der Nation bis heute. Unter einem Bild von bewaffneten DDR-Grenzschützern wurde für den Mauerbau gedankt u.a. „für 28 Jahre Geschichtswissenschaft statt Guidoknoppgeschichtchen, für 28 Jahre Club Cola und FKK, für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe, für 28 Jahre munteren Sex ohne ‚Feuchtgebiete‘ und Bild-Fachwissen, für 28 Jahre Bildung für alle …“
aus dem jW-Titelblatt

Die Machart des Titelblattes liest sich so, als hätten sich DDR-Patrioten und Satiriker zusammengetan. Nun könnte man den Grundsatz „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ ernst nehmen und die Darbietung achselzuckelnd, schmunzelnd oder stirnrunzelnd dem Altpapier zuführen. Doch die Satireeinlage hat wohl einen Nerv getroffen. Auch einige Tage danach reißt die Zahl der Leserbriefe an die jW-Redaktion nicht ab.

Sogar CDU-Generalsekretär Gröhe, der gemeinhin nicht zu den jW-Lesern zählt, meldete sich mit einem offenen Brief zu Wort und bezeichnete die jW-Titelseite als „einen Tiefpunkt ihres verkorksten Weltbildes“. Der Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, verglich die junge Welt gar mit dem Naziblatt „Der Stürmer“.

Keine Kooperation mit der jungen Welt

Auch für viele in der Linkspartei war die Mauersatire der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Unter dem Aufruf „Keine Kooperation mit der jungen Welt“ werden alle Parteigremien aufgefordert, die Zusammenarbeit mit dem Blatt einzustellen. In dem Aufruf, der vor allem von Linken-Politikern aus der Emanzipatorischen Linken und dem Forum Demokratischer Sozialisten unterschrieben wurde, heißt es:

Ein Anfang wäre die Einstellung jeder Kooperation mit der Tageszeitung „junge Welt“, was damit beginnt, diese Zeitung nicht mehr durch Anzeigenschaltung quasi „mit zu finanzieren“ und ihr keine Stände mehr auf Veranstaltungen und Parteitagen zu genehmigen.

Die Frontstellung ist nicht verwunderlich, schließlich wurden in der jungen Welt Politiker dieses Spektrums immer wieder massiv angegriffen. Zudem war das Blatt wegen seiner Frontstellung gegen die israelische Politik im Nahostkonflikt schon lange in der Linkspartei, aber auch der außerparlamentarischen Linken umstritten. Schon vor mehr als 13 Jahren hatte sich in Abgrenzung zur Linie der jungen Welt mit der Jungle World eine eigene Wochenzeitung gegründet.

Bei dem aktuellen Streit fehlt allerdings die Trennschärfe zwischen einer scharfen politischen Auseinandersetzung und dem Umgang mit Satire. Wenn immer wieder betont wird, wie menschenverachtend und brutal die Titelseite sei, muss man sich fragen, ob das nicht das gute Recht von Satire ist. Ein solches Vorgehen erinnert an ähnliche Interventionen von DDR-Bürgerrechtlern, die in den 1990er Jahren bierernst gegen den satirischen Fortsetzungsroman von Gerhard Henschel und Wiglaf Droste „Der Barbier von Bebra“ in der taz vorgingen. Auch dem Duo ohne Osthintergrund wurde Menschenverachtung und Respektlosigkeit vorgeworfen.

Die junge Welt zumindest dürfte so viel ungewohnte Publicity kurzfristig freuen. Ob sie aber, sollte es Anzeigenausfälle geben, doch noch zu den ersten Mauersatireopfern gehört, wird sich erst mittelfristig zeigen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35327/1.html

Ein Hauch von London in Berlin?


In der letzten Nacht hatte Berlin einen besonderen Rekord zu verzeichnen. 18 Autos haben in verschiedenen Straßen gebrannt, 14 wurden direkt angezündet

Der Schwerpunkt der Brandstiftungen lag im Stadtteil Charlottenburg, einem typischen Westberliner Mittelklassequartier, wo es seit mehr als 30 Jahren keine sichtbare linke Szene mehr gibt. Bereits in der Nacht zum Montag waren in dem Stadtteil elf Fahrzeuge in Flammen aufgegangen. Wurden 2010 insgesamt 54 Autos angezündet, waren es in diesem Jahr schon 138.

Während der Berliner Boulevardpresse ihr populistisches Potential in Sachen Autobrände schon vor Jahren verschossen hat und zur Zeit eher ratlos wirkt, gibt sich Berlins Innensenator Ehrhart Körting im beginnenden Berliner Wahlkampf ganz als Volksversteher: „Ich habe als Bürger eine ungeheure Wut“, gab der SPD-Politiker in einem Rundfunkinterview den Wahlkämpfer, um dann sachlich festzustellen, dass die Polizei nichts über die Täter wisse. Körting betonte auch, dass es falsch sei, alle Brandstiftungen automatisch der linken Szene zuzuordnen.

Die Einrichtung einer speziellen politischen Sonderkommission, wie sie von der Berliner CDU gefordert wurde, lehnt Körting vorerst noch mit dem Argument ab, die bestehenden Strukturen reichten zur Aufklärung auf. Der CDU-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf hat die von der Justiz ausgesetzte Belohnung für Hinweise auf die Brandstiftung von 5.000 auf 7.000 Euro erhöht und fordert die Versicherungen auf, ebenfalls selber Belohnungen auszusetzen. Die Frage, ob mit dieser Maßnahme nicht die Gewaltenteilung verletzt wird, stellt in Berlin kaum jemand. Schließlich ist Wahlkampf in Berlin und die schwächelnde Union versucht sich mit dem Law-and Order-Thema gegenüber der Koalition zu profilieren. Andererseits steht die CDU bei diesem Thema von rechts unter Druck. Schließlich hat die aus rechten CDUlern mitgegründete Partei „Die Freiheit“ das Sicherheitsthema seit ihrer Gründung in ihrem Repertoire.

Hauptstädte des abgehängten Prekariats

Die noch weiter rechts stehende Bewegung Pro Berlin schlägt in die gleiche Kerbe. Schon vor einigen Wochen sorgte sie mit ihrer Kampagne „Berlin-Hauptstadt der Angst“ für Aufsehen. Beide Rechtsparteien stellen einen Bezug zwischen den Unruhen in Großbritannien und den brennenden Autos in Berlin her.

Jenseits aller rechten Propaganda ist die Frage tatsächlich berechtigt, ob es eine Verbindung gibt. Vor einigen Tagen, auf dem Höhepunkt der Unruhen auf der britischen Insel, wurde noch niveauvoller diskutiert. Da ging es auch um die Frage, ob sich die Situation der abgehängten Teile des Prekariats nicht in Berlin und London angleicht. Damit sind die Menschen gemeint, die mit dem akademischen Prekariat in Spanien, das sich in den letzten Wochen in der Bewegung der Empörten organisiert hat, die Ablehnung sämtlicher Parteien und Großorganisationen teilen. Im Unterschied zu den mit viel Medienlob bedachten spanischen Aktivisten haben die Abgehängten in London und Berlin offenbar weder die Zeit noch den Willen, eine Alternativgesellschaft auf ihren Plena zu entwerfen. Sie holen sich das, was ihnen ihrer Meinung nach vorenthalten wird, sofort und sie nehmen die Objekte ins Visier, die sie für hassenswert halten. Dass die Autozündler ihr Aktionsrevier nicht in die „armen Kieze“ Neukölln und Kreuzberg, sondern in mittelständische Reviere verlegt haben, könnte ebenso ein Indiz für diese These sein.
Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150322

Die Menschenwürde des Magnus G.

Das Landgericht Frankfurt bekräftigt das Folterverbot und sorgt mit seiner Entscheidung, dem Mörder des Bankierssohns Jakob Metzler eine Entschädigung zuzugestehen, für große Empörung
  Das Land Hessen muss Magnus Gäfgen 3000 Euro Entschädigung (nicht Schmerzensgeld, wie hier zunächst falsch gestanden hatte, d. Red.) zahlen, weil ihm während eines Polizeiverhörs mit „unvorstellbaren Schmerzen“ gedroht worden war. Damit sei die Menschenwürde Gäfgens verletzt worden, urteilte das Landgericht Frankfurt heute. Der Kläger hatte wesentlich mehr Schadensersatz gefordert, nämlich insgesamt 10.000 Euro. Das Gericht folgte dem nicht. Schadensersatzansprüche, die Gäfgen geltend gemacht hatte, wurden abgewiesen. Zudem muss er 4/5 der Prozesskosten selbst tragen.

Die Entscheidung des Landgerichts hat sofort hohe Wellen der Empörung geschlagen, wie alles, was im letzten Jahrzehnt mit dem Namen Magnus Gäfgen verbunden wurde. Denn er wollte mit der Entführung eines Kindes Geld erpressen. Der 8-jährige Jakob von Metzler war in dem Versteck erstickt.

Gäfgen, der zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde und im Gefängnis sein Jurastudium beendete, hat in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. So wollte er eine Stiftung zur Entschädigung von Gewaltopfern gründen. Auch dieser Schritt wurde nicht als Ausdruck eines Versuchs der Wiedergutmachung, sondern als Verhöhnung der Opfer gewertet und mit Hass zurück gewiesen.

Dagegen hat das Frankfurter Landgericht mit seiner Entscheidung noch einmal klargestellt, dass auch verurteilte Mörder eine Menschenwürde haben, die nicht erst mit der Anwendung, sondern schon durch die Drohung mit Folter verletzt wird. Damit hat der Fall Gäfgen für ein Stück Rechtssicherheit gesorgt, auch wenn Gäfgen als Kämpfer für die Menschenwürde sicher nicht geeignet ist.

Das Gericht hat die Forderung nach einem Schadensersatz ebenso abgelehnt wie nach einem Schmerzensgeld für die Folterdrohung, weil ein Psychiater nicht zweifelsfrei klären konnte, ob die psychischen Spätfolgen, unter denen Gäfgen nach eigenen Aussagen leidet, eine Folge der Folterdrohung sind. Schließlich könnten die Folgen auch von der Erkenntnis herrühren, für den Tod eines Kindes verantwortlich zu sein. Gäfgens Anwalt will wegen der Ablehnung eines Schadensersatzes in die nächste Instanz gehen. So dürfte der Fall weiter für Aufregung und große Empörung sorgen.

Diese Reaktion ist bei den Verwandten und Freunden von Jakob von Metzler sowie bei Opfern von krimineller Gewalt mehr als nachvollziehbar. Doch der ressentimentgeladene Wunsch, „so einer wie Gäfgen“ sollte, wenn es schon keine Todesstrafe mehr gibt, wenigstens für immer „im Knast begraben“ sein und keine Reaktion von ihm sollte nach Außen dringen – was auch nach der heutigen Entscheidung in Internetforen zu lesen ist -, wird eher von Rache als von einem rechtsstaatlichen Umgang mit einen wegen Mordes Verurteilten diktiert.

Dass Volkes Stimme durchaus nicht alle rechtskräftig wegen Mordes Verurteilte für immer „im Gefängnis begraben“ sehen will, zeigt der Umgang mit mehreren wegen schwerer Kriegsverbrechen, darunter des Mordes an Kindern und alten Menschen am Ende des Zweiten Weltkrieges in Norditalien, verurteilte ehemalige deutsche Wehrmachtssoldaten. Dagegen regt sich keine öffentliche Empörung.

In Berlin protestierten ca. 80 Menschen dagegen, dass das Urteil für die Täter keinerlei Konsequenzen haben soll. Im Gegensatz zu vielen ressentimentgeladenen Tönen im Fall Gäfgen forderten sie allerdings die strikte Einhaltung des rechtsstaatlichen Verfahrens.

www.heise.de/tp/blogs/8/150255

Peter Nowak

Kreuzberg jetzt Sarrazin-freie Zone?

Der Ex-Senator und Ex-Bankier polarisiert dank medialer Hilfe wieder

In den letzten Wochen war es um den Bestsellerautor Thilo Sarrazin ruhig geworden. Seit die SPD beschlossen hat, sich nicht von ihrem umstrittenen Mitglied zu trennen, ließ seine Medienpräsenz nach. Das hat sich in den letzten Tagen geändert. Mitte Juli war Sarrazin mit der ZDF-Autorin Güner Balci und Kameraleuten auf Kreuzbergs Straßen. Das ZDF-Kulturmagazin Aspekte hatte Sarrazin „unter die Türken“ geschickt. Das Ergebnis des Besuchs ] kann man heute ab 23.15 Uhr im ZDF sehen.

„Zunächst verliefen der Besuch und auch die Gespräche ungestört. Erst gegen Ende, vor einem Restaurant, wurden die Arbeiten von einzelnen Passanten lautstark kritisiert. Nach einem kurzen Gespräch schlug der Besitzer des Restaurants vor, es sei besser, den Besuch abzubrechen – um eine Eskalation zu vermeiden“, berichtete Güner Balci. Ähnliche Erinnerungen Schreibt  ein Augenzeuge in den deutsch-türkischen Nachrichten.

Auf den Internetseiten der Sarrazinfans liest sich der Besuch ihres Idols wesentlich dramatischer. Da werden wahlweise Muslime ] oder Türken  beschuldigt, Sarrazin aus Kreuzberg vertrieben zu haben. Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky spricht von Psychoterror eines Pöbels gegen Sarrazin. Dieses Statement ist bei ihm nicht verwunderlich, gilt doch Buschkowsky als eine Soft-Version von Sarrazin in der SPD und hat sich trotz der Kritik an manchen seiner Formulierungen stets hinter ihn gestellt.

Einladung zum Publik-Buhing in Kreuzberg

Der kritisierte in einer Pressemitteilung die Inszenierung bei aspekte. „Es ist wirklich mehr als peinlich, wenn Aspekte, ein renommiertes Kulturmagazin, es offensichtlich nötig hat, einen solch vorhersehbaren Eklat zu inszenieren. Wer Thilo Sarrazin unter sichtbarer filmischer Beobachtung durch Berlin-Kreuzberg und Neukölln schickt, kalkuliert mit wütenden Reaktionen“, meint der Kulturrat-Geschäftsführer Olaf Zimmermann.

Das rief wiederum und unvermeidlich Henryk M. Broder auf den Plan, der für Sarrazin in die Bresche sprang und dafür antisemitischen Anwürfen  ausgesetzt ist. Broder insistiert vor allem darauf, dass Kreuzberg keine No-Go-Area für Sarrazin sein darf. Aber ist nicht allein die Befürchtung bei einem Mann grundlos, der via Bild und TV in jedes Wohnzimmer Eingang findet? Broder gab wegen der für ihn „antiaufklärerischen, paternalistischen und reaktionären“ Kritik des Kulturrats den Journalistenpreis zurück, den er im Frühjahr von diesem erhalten hatte

Die Linksparteipolitikerin Evrim Baba Sommer wies in einem Interview  darauf hin, dass Sarrazin Kritiker seines Besuches fragte, ob sie überhaupt deutsche Staatsbürger seien und damit die Meinungsfreiheit an den deutschen Pass knüpfte. Ein Bündnis linker Gruppen lädt anlässlich der Ausstrahlung der aspekte-Sendung zu einem Public-Buhing  in Kreuzberg ein. Die Organisatoren wollen damit deutlich machen, dass die Haltung zu Sarrazin nichts mit Ethnien und Religion, sondern mit einer politischen Positionierung zu tun hat.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/150190

Peter Nowak

„Der Stresstest ist bestanden“

Die Gegner des Bahnprojekets, die Grünen eingeschlossen, könnten die großen Verlierer sein
  Zwei Meldungen zum Projekt Stuttgart 21 machen deutlich, dass von dem im letzten Herbst so hochgelobten neuen Politik-Stil bei den in der Bevölkerung umstrittenen Großprojekten wenig übrig geblieben ist. Nach den bundesweit kritisierten Polizeieinsätzen wurde unter Vorsitz des CDU- und Attac-Mitglieds Heiner Geißler eine im Fernsehen übertragene Schlichtung moderiert. Doch nun zeigt sich immer mehr, dass die Kritiker dieses Prozedere Recht hatten.

Die Bahn ist trotz monatelanger Proteste und der ersten von den Grünen als stärkster Partei geführten Landesregierung ihrem Ziel näher denn je. Der Bahnhof wird mit einigen Modifizierungen gebaut und die Gegner des Projekts befinden sich in der Defensive. Das Schweizer Unternehmen SMA hat das von der Bahn schon vorher an die Presse weitergegebene Ergebnis des S-21-Stresstests nun offiziell bestätigt.

In einer über 200 Seiten starken Expertise kommt das Unternehmen zu dem Ergebnis, dass die Bahn die erforderlichen Standards für den unterirdischen Neubau des Stuttgarter Bahnhofs eingehalten habe. Zudem bestätigt das Unternehmen, dass die Bahn den Stresstest bestanden hat. In dem Papier heißt es nach Informationen des Spiegel

"Unsere Prüfung der Simulationsergebnisse hat gezeigt, dass die geforderten 49 Ankünfte im Hauptbahnhof Stuttgart in der am meisten belasteten Stunde und mit dem der Simulation unterstellten Fahrplan mit wirtschaftlich optimaler Betriebsqualität abgewickelt werden können."

"Der Stresstest ist bestanden", jubilierte eine Sprecherin der Bahn nicht zu Unrecht. Denn die von der grün-sozialdemokratischen Landesregierung vereinbarte Volksbefragung über das Projekt dürfte kein großes Hindernis für das Projekt sein. Die Union hat erwartungsgemäß kein Interesse, der neuen Landesregierung aus der Patsche zu helfen und die Hürden für die Volksabstimmungen in Baden-Württemberg zu senken. So verfehlte das
Vorhaben der Landesregierung, die Quote für ein erfolgreiches Volksbegehren zu senken, im Stuttgarter Parlament die nötige Mehrheit.

Die Gegner des Bahnprojekts, die sich nach den Landtagswahlen fast am Ziel wähnen, könnten nun die großen Verlierer sein. Sie werden an der Präsentation des Stresstestergebnisses nicht teilnehmen. Der Grundfehler der Bahn, die Experten des Aktionsbündnisses nicht von Anfang an der Definition aller Vorgaben des Stresstests zu beteiligen, könne nicht geheilt werden.

Seitens der Bahn fehle bis heute jeder Wille zur Kooperation auf Augenhöhe. Der Stresstest entwickle sich so zu einem "Weichspüler" für ein untaugliches Bahnbetriebskonzept, lautet die Begründung für die Absage, die nicht nur von den Parkschützern, die dem Moderationsprozedere von Anfang an kritisch gegenüberstanden, sondern auch von Umweltgruppen und Wahlbündnissen, die an dem Prozess beteiligt waren, gemeinsam vertreten wurden.

Vor einer neuen großen Koalition?

Die Frage wird sein, ob die außerparlamentarische Bewegung nach einem endgültigen Baubeginn noch einmal die alte Kraft zurück erlangt, was viele Beobachter bezweifeln. Dann wäre die Moderation ein besonders probates Mittel gewesen, umstrittene Projekte bürgerfreundlich doch durchzusetzen.

Die Folgen für die grün-rote Landesregierung sind noch unklar. Da die Grünen gegen Stuttgart 21, die SPD aber dafür ist, könnte damit die Koalition platzen und eine große Koalition der Bahnfreunde folgen. Selbst die grünennahe taz moniert die Blauäugigkeit der Regierungspartei:

"Die Partei um Ministerpräsident Winfried Kretschmann will das Bahnprojekt Stuttgart 21 stoppen, doch derzeit verpufft ihre Strategie dazu komplett."

Vielleicht müsste man die Blauäugigkeit von Teilen der Protestbewegung, die der Moderation zustimmten, in die Kritik einbeziehen. Obwohl sie grundsätzlich gegen das Projekt S21 waren, haben sie sich auf eine Debatte über dessen Rentabilität eingelassen. Sie hätten von der Anti-AKW-Bewegung lernen können, die gut beraten war, mit den Energiekonzernen nicht über die Rentabilität von AKWs zu diskutieren.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150186

Peter Nowak

Das Demonstrationsrecht beginnt auf der Straße

Die Pflicht zur Anmeldung einer Demonstration kennt das Grundgesetz nicht
Linke Demonstrationen sind in Berlin-Kreuzberg Alltag. Doch der Aufzug von rund 1000 Menschen, der am vergangenen Sonnabend an den vor zehn Jahren in Genua von der italienischen Polizei erschossenen Globalisierungskritiker Carlo Giuliani erinnern sollte, fiel aus dem Rahmen. Er war bei der Polizei nicht angemeldet worden. Man werde nicht diejenigen um Erlaubnis fragen, die direkt oder indirekt am Tod Giulianis verantwortlich sind, erklärten die anonymen Organisatoren der Demonstration via E-Mail.

Es war nicht das erste Mal in Berlin, frühere Versuche endeten allerdings schnell im Polizeikessel, etwa eine Demonstration nach der Räumung des linken Hausprojekt in der Liebigstraße im Februar. Von rund 150 Teilnehmern wurden die Personalien aufgenommen. Eine nicht angemeldete Solidaritätsdemo für die Proteste in Griechenland in Berlin fiel aus, nachdem sich kein Anmelder fand und die Polizei die Demonstration nicht laufen lassen wollte.

Wegen dieser Unwägbarkeiten ist die Regel, dass auch linksradikale Demonstrationen gegen Staat und Polizei bei eben jenen angemeldet werden. Dazu gehört auch die »Revolutionäre 1. Mai-Demo« in Kreuzberg, für die es oft nicht einfach ist, einen Anmelder zu finden. Nachdem in diesem Jahr der Name des Anmelders gegen den Willen der Veranstalter in der Presse auftauchte, trat er von der Funktion zurück. Darauf ließ das Demobündnis einige Tagen offen, ob ein neuer Anmelder benannt wird. Das tat es dann allerdings doch, und so war am 1. Mai 2011, wie bei allen vorherigen linksradikalen Mai-Demos, dem Versammlungsgesetz Genüge getan.

Das wird allerdings nicht überall so praktiziert. »Unangemeldete Demonstrationen der linken Szene – in Freiburg sind sie fast schon Normalität«, schrieb kürzlich die »Badische Zeitung«. Selbst ein Sprecher der Freiburger Polizei scheint sich damit abgefunden haben. »Überall in Deutschland werden Demonstrationen angemeldet, nur in Freiburg nicht«, erklärte er der Zeitung.

Damit liegt er allerdings falsch. Auch in Wuppertal meldet die linke Szene Demonstrationen oft bewusst nicht an. Hamburger Antifagruppen organisierten Mitte Juli eine unangemeldete Demonstration gegen Nazigewalt. In Göttingen wurde der Ordnungsbehörde statt einer Anmeldung viele Jahre lediglich ein Flugblatt mit den Demodaten zugestellt. Schließlich dient die Anmeldung vor allem dazu, dass sich die Polizei vorbereiten und beispielsweise den Verkehr umleiten kann.

Anders als die Berliner Demonstrationsaufrufer begründen die Freiburger Aktivisten die Nichtanmeldung bürgerrechtlich. Die Weigerung sei eine Reaktion darauf, dass die Verantwortlichen für Demonstrationen oft Repressalien der Polizei erfahren.

Dieses Argument kann Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie gut nachvollziehen. Sie beklagt die zunehmende Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Dazu gehören Auflagen, die Ablehnung von Anmeldern und die Verweigerung von Demorouten.

Die Verpflichtung zur Anmeldung einer Demonstration ist lediglich im Versammlungsrecht geregelt, im Grundgesetz steht davon kein Wort. »Auch unangemeldete Demonstrationen stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts und eine fehlende Anmeldung ist weder ein Auflösungsgrund, noch können Teilnehmer deswegen strafrechtlich belangt werden«, betont Steven gegenüber ND. Das Komitee für Grundrechte wird sich auf seiner Jahrestagung im September mit dem Thema befassen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/202453.das-demonstrationsrecht-beginnt-auf-der-strasse.html

Peter Nowak

Linke ringt um Existenzrecht

Mehr als die Israelfrage dürfte die Frage für die Partei wichtig sein, ob sie vom Rand oder aus der Mitte der Gesellschaft Politik machen soll

 Das Vorstandsduo der Linken, Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, stellten am 11. Juli in Berlin die Leitanträge ihres Parteivorstands vor. Es soll am nächsten Parteitag Ende Oktober in Erfurt beschlossen werden. Das öffentliche Interesse an einem noch nicht einmal beschlossenen Programm rührt vor allem aus der Debatte in und um die Linke in den letzten Monaten. Galt sie noch vor einem Jahr als Gewinnerin der Krise, so wird sie mittlerweile schon wieder herunter geschrieben. Selbst von einer Spaltung in eine Ost- und eine Westpartei ist gelegentlich wieder die Rede.

Die Erklärung von Lötzsch dazu klang etwas hilflos: Eine Spaltung wäre „dumm“ und würde die Partei schwächen, hört sich nicht gerade nach einem kraftvollen Dementi an. Wenn in mehreren Artikeln nach der Pressekonferenz darauf hingewiesen wird, dass der Vorstand Gerüchte über eine Spaltung zurückweist, wird das Dilemma schon deutlich, in dem sich die Partei befindet. Denn wenn die Mitteilung, dass eine Spaltung nicht beabsichtig ist, an solch prominenter Stelle zu finden ist, kann es um die Partei nicht gut stehen. Wenn Ernst auf der Pressekonferenz erklärt, die Partei wolle den Menschen Mut machen, so darf nicht vergessen werden, dass die Parteivorsitzenden nach dem Streit der vergangenen Monate erst einmal ihren Mitgliedern und ihrer eigenen Basis wieder Mut machen wollen.

Kompromisse oder Grundsätze?

Wie hältst Du es mit Israel, lautete eine der Fragen, an der sich innerhalb der Linken einige Mitglieder und Strömungen besonders heftig verzankten. In dem neuen Programm soll ein Passus eingefügt werden, dass die Partei das Existenzrecht Israels verteidigt. Gleichzeitig soll die Legitimität einer politischen Kritik an Israel ebenfalls bekräftigt werden. Es ist anzunehmen, dass dieser Passus noch einige Debatten in und außerhalb der Partei hervorrufen wird. Bei der Abstimmung über das Programm unter der Mitgliedschaft dürfte allerdings eine Mehrheit für den Vorschlag sicher sein. Denn mag die große Mehrheit der Mitglieder der Linkspartei intuitiv die Palästinenser unterstützen, steht das bei ihnen nicht im Vordergrund, so die Beobachtung des Leipziger Soziologen Peter Ullrich.

Zur Streitfrage könnte eher werden, wie es die Linke mit der Unterstützung einer von SPD und Grünen getragenen Regierung hält und wie viele Kompromisse sie dafür einzugehen bereit ist. Der Realo-Flügel sieht dabei den Berliner Landesverband als Vorbild, obwohl der im Bündnis mit der SPD einen Großteil seiner Grundsätze vertagen musste. Für Landesverbände der Linken vor allem in den westdeutschen Bundesländern ist der Berliner Landesverband hingegen zum Beispiel geworden, wie eine Linke nicht Politik machen sollte. Für manche Politiker der früheren PDS, wie den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch, geht es bei dem Streit darum, ob die Partei vom Rande her die Gesellschaft kritisieren oder in der Mitte der Gesellschaft wirken will. Bartsch lässt keinen Zweifel, dass für ihn nur letztere Option in Frage kommt. Diese Diskussion dürfte mehr als der Streit um Israel die Partei in Zukunft prägen. Wie gut sie die Auseinandersetzung übersteht, wird sich spätestens beim Parteitag in Erfurt zeigen und davon hängt auch die politische Existenzberechtigung der Partei ab.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150131

Peter Nowak

Kein Mensch ist asozial

Ein Bündnis kämpft für einen Gedenkort auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Arbeitshauses in Rummelsburg.
An der Rummelsburger Bucht im Berliner Stadtteil Lichtenberg hat in den vergangenen Jahren ein Bauboom eingesetzt. Man muss schon lange suchen, um in der Gegend noch Hinweise auf Berlins größtes ehemaliges Arbeitshaus zu entdecken, das dort 1879 in der Hauptstraße 8 eingeweiht wurde. Auf einer Tafel des ehemaligen Expo-Projekts Rummelsburg ist lediglich zu lesen: »Das Arbeitshaus und das Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden.« Die vielen Menschen, die dort, als asozial und arbeitsscheu stigmatisiert, zwangseingewiesen wurden, werden nicht erwähnt. Dabei war für sie das Arbeitshaus oft ein Ort des Schreckens, wie der Berliner Historiker Thomas Irmer betont. Die sechs dreistöckige Gebäude umfassende Anlage war für mehr als 1 000 Insassen beiderlei Geschlechts vorgesehen. Dazu gehörten Personen, die nach einer Strafverbüßung eingewiesen wurden, aber auch Obdachlose, Bettler, Prostituierte und Pflegebedürftige, die kein Hospital aufnahm.
 
1933 sorgten Razzien und Verhaftungswellen dafür, dass das Arbeitshaus bald überbelegt war. Arrestzellen für Homosexuelle und »psychisch Abwegige«, ein »Bewahrungshaus« für »Asoziale« und eine »Sonderabteilung« für Juden wurden eingerichtet. Nach einem Erlass des Reichsinnenministeriums von 1937 wurden die Insassen aus Rummelsburg, soweit sie für den »Zwangs­arbeitsein­satz« ungeeignet waren, in Konzentrationslager überführt. Wie viele Menschen davon betroffen waren, ist ebenso wenig bekannt wie deren Namen und ihr weiteres Schicksal. Der Arbeitskreis »Marginalisierte gestern und heute«, in dem Erwerbslosen- und Antifagruppen sowie soziale Initiativen zusammenarbeiten, hat in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Veranstaltungen sowie einem Buch und einem Film an die Geschichte des Arbeitshauses erinnert.
 
Der AK fordert eine intensivere Forschung und einen eigenen Gedenkort für die als asozial Stigmatisierten auf dem Gelände. Am 24. Juni konnte er nun einen ersten Erfolg verbuchen. Die Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg verfügte einen vorläufigen Baustopp für ein Grundstück, auf dem der Friedhof des Arbeitshauses lag, um dort Ausgrabungen durchführen zu können.

In den vergangenen Wochen hatte der AK mit einer symbolischen Besetzung und einer Open-Air-Filmnacht gegen die Privatisierung des Grundstücks protestiert. »Es ist der letzte freie Ort, an dem ein würdiger Erinnerungsort für die Opfer der Stigmatisierung als Asoziale und Arbeitsscheue errichtet werden kann«, erklärte Lothar Eberhardt von der Gedenkinitiative. Doch um das zu erreichen, werden die Aktivisten wohl noch mehr Druck ausüben müssen als bisher. Denn die Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg haben dem Baustopp aus teils fragwürdigen Gründen zugestimmt.
 
Die CDU interessiert sich vor allem für die Zeit von 1950 bis 1990, als das Gebäude in der DDR als Untersuchungsgefängnis genutzt wurde. »Die Singularität der Naziverbrechen darf nicht aufgeweicht werden«, bekräftigt demgegenüber Dirk Stegemann vom AK. Die Initiative fordert einen Gedenkort für die als asozial Stigmatisierten sowie die sowjetischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die tagsüber in Fabriken in Lichtenberg und Oberschöneweide schuften mussten und nachts auf dem Gelände unter erbärmlichen Bedingungen untergebracht waren. Die Existenz dieses Zwangsarbeiterlagers ist erst vor kurzem bekannt geworden. Lothar Eberhardt erinnert überdies daran, dass die Geschichte der Verfolgung sogenannter Asozialer lange vor 1933 begann und 1945 nicht beendet war. Sie erhielten im Nachkriegsdeutschland keine Entschädigung. Unter den Opfern der Neonaziangriffe der vergangenen Jahre waren auch Erwerbslose wie der im Jahr 2000 in Berlin-Buch ermordete Dieter Eich. An sie soll nach dem Willen des Arbeitskreises am Ort des ehemaligen Arbeitshauses ebenfalls erinnert werden.

http://jungle-world.com/artikel/2011/26/43491.html

Peter Nowak

Bald Stresstest für Kretschmann?

Während weiter über die Besetzungsaktion der S21-Gegner in Stuttgart gestritten wird, könnte die Bahn den Stresstest gewinnen

Gestern sind in Stuttgart S21-Gegner erneut vor die Presse getreten. Noch immer ging es um die Bewertung der Besetzungsaktion (Wer eskaliert im Konflikt um Stuttgart 21?) im Anschluss an eine Demonstration am letzten Montag, bei der es nach Polizeiangaben zu Sachschäden und 9 verletzten Polizisten gekommen ist. Die 21-Gegner distanzierten sich eindeutig davon:
„Es ist Gewalt passiert. Dafür entschuldigen wir uns bei den Menschen, die zu Schaden gekommen sind“, , der Landesgeschäftsführer des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (Bund), Berthold Frieß. Auch der Sprecher der Parkschützer Matthias von Herrmann bekräftigte noch einmal: „Gewalt als Methode, um Interessen durchzusetzen, ist abzulehnen“.

Beide Organisationen widersprachen erneut in mehreren Punkten der Darstellung der Polizei zu den Abläufen nach der Besetzung. Mehrere Zeugen berichteten von einer Rangelei mit dem Zivilbeamten, der eine Dienstwaffe getragen habe, ohne als Polizist erkennbar gewesen zu sein. Dabei hätten Demonstranten dem Beamten mit Dienstwaffe zugerufen „Tu die Waffe weg“. Nach Darstellung der Polizei wurde versucht, ihm die Waffe zu entreißen.

Andere Zeugen sagten aus, der Zivilbeamte soll vor der tätlichen Auseinandersetzung versucht haben, Baumaterial zu beschädigen und habe Demonstranten vergeblich zum Mitmachen aufgefordert. Allerdings hat sich auf den Aufruf der Parkschützer hin auch ein Mann gemeldet, der mit voller Namensnennung eine andere Erinnerung an die Vorgeschichte der Auseinandersetzung mit dem Zivilpolizisten, der nach seinen Angaben unmittelbar beteiligt gewesen war, hat:

„In der Berliner Morgenpost steht, dass das Theater um den angeblich schwerverletzten Zivilen damit begann, dass dieser zusammen mit einem Kollegen einen Demonstranten wg. Verdachts auf Sachbeschädigung überprüfte. Das ist richtig. Dieser Demonstrant war ich. Habe mit einem Kugelschreiber einen Reifen des Baulasters um ein wenig Luft erleichtert. Was für eine Sache da beschädigt worden sein soll, erschließt sich mir nicht.
Ich wurde aber korrekt und sogar höflich behandelt – nur der inzwischen durch Videos bekannt gewordene Zivile war spürbar aggressiv. Natürlich sehe ich es als unverantwortlich, wenn nicht gar gemeingefährlich an, bewaffnete(!) Beamte in eine aufgebrachte Menschenmenge zu beordern – allerdings entschuldigt das nicht die dokumentierten Übergriffe.“

 Vor neuen Auseinandersetzungen

In den nächsten Tagen könnte sich die Auseinandersetzung um das Bahnprojekt noch zuspitzen. Während die Gegner am 9. Juli zu einer überregionalen Großdemonstration unter dem Motto „Baustopp für immer“ mobilisieren, heißt es anderswo, dass die Bahn den Stresstest für das Projekt bestanden hat. Dabei geht es um eine Computersimulation über die Leistungsfähigkeit des Projekts, die nach der von dem CDU-Politiker Heiner Geißler geleiteten Schlichtung vereinbart wurde. Sollte sich die Meldung bestätigen, kommt auf die grün-rote Landesregierung ein Stresstest zu.

Die neue Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und Zivilgesellschaft Gisela Erler, die mit dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann die Vorliebe für schwarz-grüne Bündnisse teilt, hat schon angekündigt, dass die Landesregierung die Bahn schützen muss.

Mittlerweile machen auch die S21-Befürworter gegen die neue Regierung mobil und adaptieren dabei Slogans ihrer Gegner. So wurde der Verkehrsminister und erklärte Gegner des Projekts Winfried Hermann mit dem Ruf „Lügenpack“ empfangen, wie noch vor einigen Monaten die Politiker der abgewählten CDU-FDP-Landesregierung von der anderen Seite.

 http://www.heise.de/tp/blogs/8/150047

Peter Nowak

Wer eskaliert im Konflikt um Stuttgart 21?

Parkschützer werfen Polizei Falschmeldungen über Verletzte bei Besetzungsaktion vor
  „Gewalt bei Stuttgart 21-Protesten“. Solche Schlagzeilen gab es in den letzten Stunden in vielen Medien, nachdem am 20. Juni im Anschluss an eine Großdemonstration in Stuttgart Tausende Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 das Gelände des Grundwassermanagements besetzt hatten.

Einen ganz anderen Eindruck vermittelt eine Pressemitteilung de Protestbündnisses Parkschützer zur gleichen Aktion: „Die Versammlung auf dem Gelände verläuft friedlich, es kam zu keinen Ausschreitungen, auch die Polizei verhält sich sehr ruhig. In gelöster Feierabendstimmung nehmen die Anwesenden ein Stück ihrer Stadt wieder in Besitz.“

Gegenüber Telepolis hielt der Pressesprecher der Parkschützer Matthias von Herrmann an dieser Darstellung fest. An der Besetzung hätten sich ganz normale Bürger beteiligt, die zuvor an der Montagsdemonstration teilgenommen hatten und mit der Aktion ein deutlicheres Zeichen des Protestes setzen wollten Bei der Besetzung sei es auch von einzelnen Personen zu Sachbeschädigungen gekommen, die allerdings von seiner Organisation, die für gewaltlose Proteste eintritt, nicht unterstützt werden. Herrmann sieht in diesen Aktionen auch die Folge einer Wut gegenüber dem Agieren der Bahn AG, die mit dem Weiterbau vollendete Tatsachen schaffen wolle, obwohl die Rechtsgrundlage von vielen Juristen bezweifelt werde.

Zivilpolizist als Provokateur?

Herrmann widerspricht der Darstellung der Polizei, es habe neun verletzte Beamte bei der Besetzungsaktion gegeben. In einem Fall sei ein Knallkörper in der Art eines Silvesterböllers in der Nähe des Demonstrationszuges explodiert. Da in unmittelbare Nähe befindliche Demonstranten keine Schäden davon getragen haben, sei es nicht glaubhaft, dass ein in weiterer Entfernung sich aufhaltender Polizist trotz Helms einen Gehörschaden dadurch erlitten habe.

Der Vorfall erinnert an ein ähnliches Ereignis im Juni 2010, wo ein am Rande einer Demonstration der Sozialproteste explodierender Böller medial zunächst als ein gegen Polizisten gerichteter Sprengsatz dargestellt wurde.

Auch Meldungen über einen schwerverletzten Zivilpolizisten kann Herrmann nicht bestätigen. Der Beamte sei von Demonstranten enttarnt worden, die beobachtet haben wollen, wie er zu Straftaten angestiftet haben soll. Auf Fotos, die ihn nach seiner Enttarnung zeigen, sei von schweren Verletzungen nichts zu sehen. Die „Parkschützer“ suchen Videos und Augenzeugenberichte zu den Vorfällen.

Die Bahn-AG will trotz der stärkeren Proteste den Bau fortsetzen. Doch es könnten neue Hindernisse auftauchen. Am 21. Juni hat der Umweltverband BUND eine einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingereicht, um den Weiterbau an dem Projekt juristisch zu stoppen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150030

Peter Nowak

Koch-Mehrin ohne Doktor

Doktorarbeit der FDP-Politikerin und Botschafterin der Neuen Marktwirtschaft bestand zu weiten Teilen aus Plagiaten

Am Nachmittag des 15. Juni war die Homepage der FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin zeitweise nicht zu erreichen. Das ist verständlich, schließlich war sie dort noch mit ihrem Doktortitel aufgeführt. Der wurde ihr an diesem Tag von der Heidelberger Universität aberkannt.

Die ehemalige Studentin der Geschichte und Volkswirtschaftslehre in Hamburg, Straßburg und Heidelberg hatte 1998 zum Thema Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: Die Lateinische Münzunion 1865-1927 promoviert und dabei nicht die wissenschaftlichen Regeln eingehalten. Der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, der ihre Arbeit jetzt überprüfte, begründete die Aberkennung ihres Doktortitels mit dem Befund, dass diese „in substanziellen Teilen aus Plagiaten besteht“.

„Auf rund 80 Textseiten der Dissertation finden sich über 120 Stellen, die nach Bewertung des Promotionsausschusses als Plagiate zu klassifizieren sind. Diese Plagiate stammen aus über 30 verschiedenen Publikationen, von denen zwei Drittel nicht im Literaturverzeichnis aufgeführt worden sind“, präzisierte der Vorsitzende des Promotionsausschusses Manfred Berg die Vorwürfe. Deshalb stelle Kochs Arbeit „keine selbstständige wissenschaftliche Arbeit“ im Sinne der Promotionsordnung der Fakultät und des Landeshochschulgesetzes Baden-Württemberg dar.

Politische Konsequenzen?

Ob die Aberkennung des Titels, den Koch-Mehrin bis zur Aberkennung verwendete, weitere politische Konsequenzen hat, muss sich zeigen. Im Zuge der Auseinandersetzung um die Doktorarbeit ist die Liberale ihre Ämter als Vorsitzende FDP-Europafraktion und als Vizepräsidentin des Europaparlaments niedergelegt, ihr Abgeordnetenmandat allerdings behalten. Auch als Botschafterin der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sowie als Mitglied des Young-Global-Leaders wird Koch-Mehrin weiterhin geführt (http://www.liberalismus-portal.de/silvana-koch-mehrin.htm). Die Doktorarbeit der Politikerin war im Zuge der Affäre um den ehemaligen Verteidigungsminister Guttenberg im Frühjahr ins Visier von VroniPlag geraten, wo man sich auf das Auffinden von Plagiaten bei Doktorarbeiten von Politikern spezialisiert hat. Während sich im Internet die Freunde Freunde und Kritiker von Koch-Mehrin seit Wochen einen Schlagabtausch lieferten, hat die Politikerin zu den Vorwürfen weitgehend geschwiegen.

 http://www.heise.de/tp/blogs/10/150005

Peter Nowak