Der Trend ist gegen die Linkspartei

Nach dem Debakel in der Niedersachsenwahl nimmt die Partei Kurs auf ein Bündnis mit SPD und Grünen – warum aber nicht mit den Piraten?

Ist es ein Erfolg oder eher Menetekel? Die Linkspartei wird nicht mehr insgesamt vom Verfassungsschutz beobachtet, lediglich einige von den Behörden als „extremistisch“ eingestufte Gruppierungen genießen dieses Privileg. Dass sich führende Spitzenpolitiker dagegen verwahren, ist nicht nur verständlich, sondern auch politisch klug. Ansonsten würden sie den Verdacht nicht los, dass sie eigentlich diese inkriminierten Gruppierungen gerne selber los werden wollten. Nein, so weit ist es zumindest in der Öffentlichkeit noch nicht.

Selbst als ein beim Parteivorstand der Linken beschäftigter Antifaschist in der letzten Woche wegen seinen Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, obwohl ihn niemand beschuldigte, auch nur einen Stein geworfen zu haben, sondern er nur mit dem Megaphon zum Widerstand gegen die Rechten aufgerufen hatte, gab es öffentlich keine Distanzierungen. Ob es dabei bleibt, muss sich zeigen. Denn der Trend steht gegen die Linkspartei.

Das zeigt sich bei der Niedersachsenwahl. Dort wurde die Partei so lange unter die Fünfprozenthürde geschrieben, dass das von der Mehrheit der Presse gewollte Ereignis auch eintrat. Denn die Botschaft ist klar. Einer Partei, der nicht mehr der Einzug ins Parlament zugetraut wird, verliert an Zustimmung, weil viele Wähler noch die Logik von den verlorenen Stimmen verinnerlicht haben. Deshalb gibt es selbst bei Journalisten, die nicht als Freunde der Linkspartei gelten, den Aufruf, die Fünfprozentklausel fallen zu lassen.

Doch die Probleme der Linken wären damit nicht gelöst. In Niedersachsen hat sie ebenso wie in NRW wenige gravierende Fehler gemacht. Sie hat in beiden Bundesländern als linkssozialdemokratische Partei agiert, die sich, wenn es die Mehrheitsverhältnisse erlauben, als Teil der ominösen rot-grünen Mehrheit versteht. Bemerkenswert war, dass auch Sarah Wagenknecht diese Linie nicht nur verbal unterstützte. Sie war von manchen schon als Wirtschaftsministerin in einem von der Linken unterstützten rotgrünen Kabinett gehandelt worden. Dabei galt die bundesweit bekannte Linkspolitikerin Wagenknecht lange als vehementer Kritikerin solcher rosa-grünen Mehrheitsbeschaffungsspiele. Ihr Positionswechsel, den sie selber natürlich nicht als solchen sehen will, ist kein persönliches Problem. Bei den Grünen konnten wir zwischen 1984 und 1990 sehen, wie ehemalige Gegner einer Koalition mit der SPD entweder ausgetreten sind oder die Position wechselten. Heute sind sie schon fast am linken Flügel gegenüber den Befürwortern eines Bündnisses mit der Union.

Um solche Mechanismen zu erklären, helfen keine individuellen Schuldzuweisungen, sondern die Lektüre von Johannes Agnolis wichtiger Schrift „Transformation der Demokratie“, die als Grundlage einer linken Parlamentskritik gelten kann. Dann wird aber auch deutlich, dass die Linke nicht unbedingt mehr Stimmen gewonnen hätte, wenn sie stärker ihren unbedingten Oppositionskurs herausgestellt hätte. Die meisten Wähler haben die Münteferingsche Logik, dass Opposition Mist ist, verinnerlicht, obwohl beispielsweise die meisten Atomkraftwerke in der BRD nicht von den Grünen an der Regierung, sondern von einer bunten außerparlamentarischen Anti-AKW-Bewegung verhindert worden sind.

Gysi und die 7 Zwerge – oder die Sehnsucht nach dem starken Mann?

Gerade das grünennahe Milieu, das der Linkspartei übel nimmt, sich neben den Grünen als eigene reformistische Partei behaupten zu wollen, hat jahrelang vor dem Fundamentalismus der Partei gewarnt. Dass man ihr das in Niedersachsen nun wirklich nicht vorwerfen kann, hat keinen der Kommentatoren dazu bewegt, über die eigene Kritik nachzudenken. Im Gegenteil wird die Linke jetzt noch mehr runter geschrieben.

Stein des Anstoßes ist nun die Präsentation des Spitzenteams für die kommenden Bundestagswahlen. Die gleichen Journalisten, die sich ereiferten, dass die Partei von alten Männern wie Lafontaine und Gysi geprägt war, machen sich jetzt darüber lustig, dass die Partei in einem achtköpfigen Team antritt. Was eigentlich als große Modernisierung einer Partei gilt, die noch vor einem Jahr stark von dem Streit zwischen Lafontaine und Gysi geprägt war, zumal das Team auch noch quotiert ist, wird nun ausgerechnet in der Taz in einer Weise desavouiert, die man einem Lafontaine mit Recht nicht hätte durchgehen lassen. Vom Wimmelbild ist da die Rede oder von Gysi und den sieben Zwergen? Um Inhalte geht es nicht und die Kommentare machen deutlich, dass die Kritik an der Macht eines Gysis oder Lafontaines nicht ernst gemeint war.

Auch jetzt fehlt eine inhaltliche Kritik an dem linken Motto „8 Köpfe für den Politikwechsel“. Natürlich wird hier aktiv Kurs auf ein Bündnis mit SPD und Grünen genommen. Dass deren Ablehnung eines solchen Bündnisses von den umworbenen Partnern nicht nur taktisch begründet ist, wird von der Linkspartei freilich ausgeblendet. Wieso linke Positionen ausgerechnet mit dem SPD-Rechten Steinbrück durchsetzbar sein sollen, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, wie die Ablehnung aller Kriegseinsätze mit einer grünen Partei durchgesetzt werden soll, die beim Libyen-Konflikt als Speerspitze des Menschenrechtsbellizismus auftrat?

Zudem hat die Linke mit dem Motto implizit auch den Anspruch aufgegeben, als konsequente Opposition aufzutreten, die dazu keine Mitregierungsoptionen brauchen. Je näher die Bundestagswahl rückt und je mehr ein Bündnis zwischen SPD und Grünen möglich erscheint, desto schwieriger wird es die Linke haben, sich als eigenständige Partei profilieren zu können.


Warum kein Wahlbündnis Piraten-Linkspartei?

In vielen Medien ist der Wunsch groß, die Linkspartei möglichst nahe an oder sogar unter die Fünfprozenthürde zu schreiben. Umso erstaunlicher ist, dass nicht über ein Wahlbündnis zwischen Piraten und der Linken diskutiert wird. Dabei hätten sie es in Niedersachsen gemeinsam knapp in den Landtag geschafft. Auch die Inhalte sind recht ähnlich. Beide sind Reformparteien, die den Kapitalismus etwas verbessern wollten. Dabei haben die Piraten ihren Schwerpunkt im Bereich Internet und Transparenz und die Linken im Sozialen. In beiden Bereichen gibt es kaum grundsätzliche Unterschiede.

Dass eine Piratenkandidatin für den niedersächsischen Landtag sogar den Linken einen Twitteraccount zur Verfügung stellte, zeigt, dass es hier auch personell keine unüberwindlichen Hindernisse für eine Kooperation gibt. Warum dann nicht beide, die vom Standpunkt beider Parteien einzig vernünftigen Konsequenzen ziehen und eine rechtlich nicht einfache, aber machbare Wahlallianz schmieden, bleibt erklärungsbedürftig.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153604
Peter Nowak

Wer ist verantwortlich?

Ulrich Müller ist Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der Organisation LobbyControl

nd: Der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs sorgt seit einigen Tagen wegen seiner Nebentätigkeiten für Aufsehen. Ist er nur besonders ungeschickt vorgegangen oder ist es so, dass Nebentätigkeiten von Politikern generell kritischer gesehen in der Öffentlichkeit gesehen werden?
U.M.: Im Fall von Michael Fuchs sind es zwei Aspekte, die für eine gewisse Öffentlichkeit gesorgt haben. Zum einen hat er als Abgeordneter Reden bei der Firma Hakluyt & Company gehalten, die als Privatnachrichtendienst für Unternehmen strategische Informationen sammelt. Zum Anderen stand diese Tätigkeit vier Jahre unter einem falschen Firmennamen auf der Bundestagswebseite. Dort war die gemeinnützige Hakluyt Society aufgeführt.
2.) Ist dafür Fuchs oder die Bundestagsverwaltung verantwortlich?
U.M. :Beide Seiten haben Fehler gemacht. Der Ausgang der falschen Angaben liegt in einer unvollständigen Meldung von Fuchs 2008, der eine nichtexistierende Hakluyt London angab. Es lässt sich nicht mehr klären, wie daraus die Halkluyt Society auf der Bundestagshomepage wurde. 2009 gab Fuchs „Hakluyt & Co“ an, da hätte die Bundestagsverwaltung den Fehler bemerken und korrigieren müssen.

3.) Aber können mit beiden Firmennamen nicht nur Insider etwas anfangen?

U.M.: LobbyControl hatte schon länger den Verdacht, dass Fuchs seine Tätigkeiten bei dem Privatnachrichtendienst und nicht dem gemeinnützigen Verein hielt, konnte es aber nicht beweisen. Daher hat die falsche Zuordnung verhindert, dass schon früher kritische Fragen zu dieser Nebentätigkeit von Fuchs gestellt werden. Schließlich war Hakluyt & Company im Jahr 2000 auch in Deutschland in die Schlagzeilen geraten, nachdem bekannt geworden war, dass die Firma im Auftrag der Konzerne Shell und BP den deutschen Spitzel Manfred Schlickenrieder, der sich als linker Filmemacher ausgab, bei Umweltorganisationen einschleuste.

4.) Welchen Anteil hatte das Internet bei der Richtigstellung der Nebentätigkeiten von Fuchs?
U.M.: Die Kollegen von Abgeordnetenwatch hatten bei der Halkluyt Society angefragt und erfahren, dass Fuchs dort nie geredet hat. Dass Internet hatte dann bei der Verbreitung dieser Informationen eine wichtige Rolle gespielt.


5.) Wie bewerten Sie die Rolle der anderen Medien?

U.M.: Von den Medien im Printbereich hätten wir eine stärkere Thematisierung des Falls erwartet. Besonders ist aufgefallen, dass die Lokalmedien aus dem Wahlkreis von Fuchs sehr unkritisch berichtet haben.

5.) Wie war die Kooperation zwischen LobbyControl und Abgeordnetenwatch im Fall Fuchs
?
U.M.: Es gab schon vorher fallweise eine Zusammenarbeit. Wir haben ja unterschiedliche, aber überlappende Ziele. Während Abgeordnetenwatch sich der Transparenz im Bundestag widmet, geht es bei LobbyControl um die Recherche über Lobbyarbeit in allen Bereichen. Im Fall von Fuchs wurde die Kooperation mit Abgeordnetenwatch enger, nachdem der Abgeordnete mit juristischen Mitteln vorging.

6.) Sehen Sie als Konsequenz einen gesetzlichen Handlungsbedarf?
U.M.: Wir forderten schon im Fall von Peer Steinbrück, dass bei Vorträgen von Politikern die eigentlichen Auftraggeber mit genannt werden müssen. Darüber wird noch im Bundestag diskutiert. Außerdem brauchen wir eine bessere Kontrolle der Angaben von Abgeordneten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/810804.wer-ist-verantwortlich.html
Interview: Peter Nowak

Konfessionslos in der Schule?

Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten(IBKA) hat eine bundesweite Kampagne für eine Schule ohne Religionsunterricht angekündigt. Dazu soll das religionskritische Buch »Konfessionslos in der Schule« des IBKA-Vorsitzende Rainer Ponitka an Bildungspolitiker in den Landesparlamenten verschickt werden. Zudem sind Diskussionsveranstaltungen mit Lehrern und Schülern über den Einfluss der Religion auf die Schule geplant. Dort sollen sich die Schüler auch über Möglichkeiten informieren lassen können, wie sie sich vom Religionsunterricht befreien lassen können. Dieses Recht ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. So können sich in Nordrhein-Westfalen Schüler mit Erreichen des 14. Lebensjahrs auch ohne Einwilligung der Eltern vom Religionsunterricht befreien lassen. In Saarland und Bayern ist das erst mit dem Beginn der Volljährigkeit möglich. Ponitka plädiert für die Abschaffung des Religionsunterrichts. Als Ersatz soll es einen Ethikunterricht jenseits aller Konfessionen geben.

Für das IBKA-Konzept einer religionsfreien Schule gibt es viele Gründe. Aber ein Argument wird vom IBKA bisher zu wenig verwendet. In vielen Schulen in Deutschland geht die Zahl der Kinder mit christlichem Hintergrund zurück, während die Anzahl der Schüler mit islamischen Glauben steigt. Ein gemeinsamer Ethikunterricht könnte verhindern, dass an den Schulen jede Religion ihre eigene Domäne verteidigt. Das Konzept einer säkularen Schule muss aber nicht nur gegen die großen christlichen Kirchen, sondern auch islamische Organisationen verteidigt werden, die es als größte Errungenschaft sehen, wenn sie eigenen Religionsunterricht durchführen können.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/153561
Peter Nowak

Angriff der christlichen Taliban?

Ein Buch konstatiert eine neue Radikalität der Abtreibungsgegner in Deutschland. Das Spektrum reicht von der extremen Rechten bis in fast alle Bundestagsparteien

Die Abweisung eines Vergewaltigungsopfers durch zwei katholische Klinken in Köln sorgt derzeit bundesweit für Schlagzeilen. Vor allem die Begründung verursachte Empörung. Danach ist es dem Personal seit Kurzem unter Androhung einer fristlosen Kündigung dienstlich verboten, Vergewaltigungsopfer zur Beweissicherung gynäkologisch zu untersuchen, weil damit eine Beratung über eine eventuell daraus drohende Schwangerschaft und eine Verordnung der von der katholischen Kirche abgelehnten „Pille danach“ einhergehen könnte.

Ist das nicht ein guter Beweis für den zunehmenden Einfluss von Abtreibungsgegnern in Deutschlands, der am Mittwochabend auf einer Podiumsdiskussion im Berliner Familienplanungszentrum Balance konstatiert wurde? Dort wurde ein neues Buch mit dem Titel „Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter-)nationalen Raum“ vorgestellt, das kürzlich im Verlag AG Spak veröffentlicht worden ist.

Es macht auf ein Thema aufmerksam, dass in Deutschland lange Zeit kaum mehr beachtet worden ist. Vorbei scheinen die großen Debatten um den Paragraphen 218, der mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ von der Frauenbewegung angegriffen worden ist. 1990 brachte das Thema noch mal Tausende auf die Straße, die forderten, dass im wiedervereinigten Deutschland das Abtreibungsgesetz der DDR Übernommen werden soll. Doch auch hier setzte sich die BRD durch. Nach dem Schwangerschafts- und Familienhilfeänderungsgesetz, das im Oktober 1995 in Kraft trat, bleiben Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich strafbar. Die eng begrenzten Ausnahme sind seitdem umkämpft, denn nicht mehr die Befürworter, sondern die Gegner jeglicher Abtreibung machen seitdem inner- und außerparlamentarisch mobil, wie verschiedene Autoren in dem Buch nachweisen. So hat die CDU/CSU 2008 einen Gesetzesentwurf zur Verhinderung von Spätabtreibungen vorgelegt. 2010 wurden die Bedingungen für die medizinische Indikation verschärft.

1000 Kreuze und Guerillajournalismus der Abtreibungsgegner

Doch auch auf außerparlamentarischer Ebene haben die Abtreibungsgegner in den letzten Jahren ihre Aktivitäten ausgeweitet. Seit einigen Jahren organisieren sie in verschiedenen europäischen Ländern Mitte September sogenannte „Märsche für das Leben“, auf denen weiße Kreuze getragen werden, die aus der Sicht der Abtreibungsgegner die getöteten Kinder symbolisieren sollen. Seit 2011 hat sich die Teilnehmerzahl erhöht und durch die Beteiligung jüngerer Gruppen und Einzelpersonen hat sich auch das Aktionsrepertoire erweitert.

Die Szene der jungen Lebensschützer trifft sich europaweit zu Tagungen und hat auch das Internet als Kampffeld entdeckt. Vorbild der Abtreibungsgegner ist dabei eindeutig die USA, wo sie im Windschatten der von Ronald Reagan ausgerufenen Konservativen Revolution Erfolge verzeichneten, wie die Historikern Dagmar Herzog aufzeigt. Zu den Aktionsfeldern gehört auch ein Guerilla-Journalismus. Danach geben sich Abtreibungsgegnerinnen als hilfesuchende Frauen aus, die dann die Ärzte und das Klinikpersonal dadurch zu kompromittieren versuchen, dass sie ihnen Gesetzesverstöße nachweisen wollen und Videos von Gesprächen ins Netz stellen.

Auch in Deutschland müssen sich Einrichtungen, die legale Abtreibungen durchführen oder die betroffenen Frauen unterstützen, wie Pro Familia oder Balance immer wieder mit Anzeigen der Gegner auseinandersetzen. Aufhänger ist dabei der Paragraph 219 a des Strafgesetzbuches, der Werbung für eine Abtreibung unter Strafe stellt. Damit kann schon die Information über eine Einrichtung, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt, kriminalisiert werden, stellt die Gesundheitsberatung Sybill Schulz fest. Weiterhin versuchen Abtreibungsgegner, Frauen auch vor den Einrichtungen direkt anzusprechen und moralisch unter Druck zu setzen, was von dem österreichischen Arzt Christian Fiala als psychische Gewalt beschrieben wird, die als freie Meinungsäußerung getarnt wird.

Dass dieses unterschiedliche Repertoire der Abtreibungsgegner ihre Wirkung nicht verfehlt, wird an mehreren Stellen im Buch deutlich. So musste das Familienzentrum Balance ihre Webpräsenz verändern. Viele der von der Einrichtung angeschriebenen Ärzte und Pro-Choic- Einrichtungen, die ins Visier der Gegner geraten sind, wollen darüber in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Die Befürchtung ist groß, dass heute eine offensive Propagierung des feministischen Grundsatzes „Mein Bauch gehört mir“ wieder mit Stigmatisierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung verbunden ist.

Neue Perspektiven für die Abtreibungsgegner?

Es gibt aber auch andere Erfahrungen. So schreibt die Publizistin Jutta Ditfurth, die schon 1988 erklärte, dass sie zwei Mal abgetrieben habe und es nicht bereue, in ihrem Vorwort, dass von Männern in ihrem Wikipedia-Eintrag immer wieder heftige Diskussionen von Abtreibungsgegnern geführt werden. Noch im letzten Jahr sei sie vom Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in einem Gespräch über ein völlig anderes Thema unvermittelt gefragt worden, ob sie abgetrieben habe. „Wie oft haben Sie in Ihrem Leben onaniert und damit mögliches menschliches Leben vergeudet?, fragte ich zurück. Mit roten Ohren wechselte er das Thema“, beschreibt Ditfurth die für den Redakteur wohl eher peinliche Episode.

Aber auch jenseits von persönlicher Courage hat die Offensive der „christlichen Taliban“ zur Entstehung einer neuen politischen Bewegung geführt, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung propagiert. Als Beispiele werden in dem Buch oft sehr kreative Aktionen anlässlich der Märsche der Abtreibungsgegner genannt aufgeführt. Ein Höhepunkt waren eine Großdemonstration und zahlreiche Aktionen anlässlich des Papstbesuches 2011 in Berlin und auch in anderen Städten. Auch dass es nun nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder ein Buch gibt, das die Szene der Abtreibungsgegner analysiert und kritisiert, kann als Zeichen für ein neues Selbstbewusstsein de Pro-Choice-Bewegung interpretiert werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153561
Peter Nowak
Peter Nowak

Wenn der Mitarbeiter als Sicherheitsrisiko behandelt wird

Entwurf zum „Beschäftigtendatenschutzgesetz“: Kritiker sehen eine Ausweitung der legal möglichen Überwachung

Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung, der noch im Januar im Bundestag verabschiedet werden soll, will die heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz verbieten, die legale Überwachung aber ausweiten. Kaum wurde das Vorhaben am Wochenende bekannt, gab es Kritik von Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden. Der IG-Metall-Justiziar Thomas Klebe bezeichnet den Entwurf als Katastrophe.

„Bei der offenen Videoüberwachung bedeuteten die Regelungen eine Verschlechterung gegenüber der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Während sie bisher nur vorübergehend und nur aus konkretem Anlass erlaubt worden sei, solle sie nun ohne zeitliche Beschränkungen und auch zur Qualitätskontrolle möglich sein: Das ist Vorratsdatenspeicherung.“

Auch der DGB und die Dienstleistungsgewerkschaft verdi haben Widerstand gegen den Gesetzentwurf angekündigt. Politiker aus den Koalitionsparteien sehen es als Erfolg, dass künftig Überwachungen im Sanitärbereich oder in Umkleidekabinen nicht mehr möglich sein sollen. Damit machen sie aber nur deutlich, wie weit verbreitet und ausufernd die bisherige Überwachungspraxis war.

Kritik am Gesetzesvorhaben der Bundesregierung kommt auch aus dem Unternehmerlager. Sie richtet sich vor allem gegen die geplanten Regelungen, wonach Facebook und andere soziale Netzwerke künftig für Arbeitgeber auch dann tabu sein sollen, wenn sie bereits mit Betriebsräten andere Regelungen vereinbart haben. Sollte das Gesetz wie geplant im Sommer in Kraft treten, müssten zahlreiche Konzerne solche betriebsinternen Vereinbarungen mit wesentlich geringeren Datenschutzregelungen verändern.

Deshalb hatten zahlreiche Wirtschaftsverbände gehofft, dass sich die Bundesregierung mit der gesetzlichen Regelung noch Zeit lässt, weil bis dahin die betriebsinternen Regelungen gelten. Tatsächlich schien es lange so, als würde auch der Beschäftigtendatenschutz zu den Gesetzesvorhaben gehören, die in die nächste Legislaturperiode verschoben werden.

Ständig neue Fälle von Mitarbeiterüberwachung

Dass die Regierungskoalition nun doch in dieser Legislaturperiode den Datenschutz am Arbeitsplatz regeln will, liegt an der nicht abreißenden Serie von bekannt gewordenen Mitarbeiterüberwachungen. Besonders im Dienstleistungsbereich scheint das Motto „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ längst zur Richtschnur für viele Betriebe geworden sein.

Auch im neuen Jahr wurde wieder ein Fall von heimlicher Mitarbeiterüberwachung bekannt. Wie der Spiegel berichtete sollen Mitarbeiter beim Discounter Aldi-Süd mit versteckter Kamera beobachtet worden sein. Die Firma wies die Vorwürfe zurück und erklärte, wenn überwacht worden sei, dann hätten die Maßnahmen zur Aufdeckung von Straftaten gedient. Mit dieser Begründung werden bekannt gewordene Überwachungsfälle am Arbeitsplatz generell gerechtfertigt.

Der Detektiv plaudert gegenüber dem Spiegel recht detailliert aus dem Nähkästchen. „Ich hatte weiterhin den Auftrag, alle Auffälligkeiten zu melden. Also auch, wenn ein Mitarbeiter zu langsam arbeitete, ich von einem Verhältnis der Mitarbeiter untereinander erfahren habe oder ich andere Details aus dem Privatleben mitbekam, zum Beispiel im Hinblick auf die finanzielle Situation des Mitarbeiters“, berichtete der Detektiv. Dieses Vorgehen mag zwar dem offiziellen Firmen-Selbstverständnis widersprechen, ist aber mittlerweile Alltag im Arbeitsleben.

Ob bei Lidl oder bei der Steakhauskette Maredo, die heimliche Mitarbeiterbeobachtung ist anscheinend längst Alltag, aber nicht unbedingt legal. Die Bundesarbeitsgerichte haben der Videoüberwachung am Arbeitsplatz enge Grenzen gesetzt.

Kein Thema für die Datenschutzbewegung?

Bemerkenswert ist, dass die Überwachung am Arbeitsplatz bei der Datenschutzbewegung, die sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt hat, nicht im Fokus steht. Sicher wird das Thema vor allem von den an den Bündnissen beteiligten Gewerkschaften angesprochen. Aber generell ist der Widerstand wesentlich stärker, wenn die Bundesregierung oder EU-Gremien Überwachungsmaßnahmen planen, als wenn sie in den Unternehmen praktiziert wird.
In der Vergangenheit monierten Erwerbslosenverbände bereits, dass auch die Pflicht von ALG II-Empfängern, ihre Konten offenzulegen, wenig Kritik bei der Datenschutzbewegung auslöste.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153531
Peter Nowak

Parlamentarische Rückendeckung für Wowereit

Misstrauensvotum wurde abgelehnt, eine Blamage für die Opposition

Heute mussten die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses eine Sonderschicht einlegen. Am Vormittag wurde über das von der parlamentarischen Opposition eingebrachte Misstrauensvotum gegen den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit abgestimmt. Es wurde abgelehnt. Eine Überraschung war das nicht, nachdem sich beide Partner der großen Koalition, die eine große Mehrheit im Abgeordnetenhaus haben, hinter die durch die ständige Verzögerung des Hauptstadtflughafens unter Druck geratenen Bürgermeister stellten.

Blamage für die Opposition

Doch die Abstimmung wurde am Ende eine Blamage für die parlamentarische Opposition. Denn bei der Abstimmung erhielt Wowereit mindestens eine Stimme aus ihren Reihen. 62 Abgeordnete stimmten mit Ja, 85 votierten gegen den Antrag. SPD und CDU-Fraktion haben 85 Mandate, ein CDU-Abgeordneter aber fehlte. Demnach muss Wowereit eine Stimme bekommen haben, die nicht der SPD oder der CDU-Fraktion zuzurechnen ist, unter der Voraussetzung, dass sämtliche Mandatsträger des Regierungslagers die Vorlage ablehnten. Zuvor hatte die Opposition gehofft, dass zumindest einzelne Abweichler im Regierungslager für das Misstrauensvotum stimmen.

Das Ergebnis der Abstimmung wird nun eher für weiteren Zwist unter den Oppositionsfraktionen sorgten. Dort gibt es noch immer den Wettbewerb, wer die entschiedenste Oppositionspolitik betreibt. Deshalb preschten die Grünen, die Wowereit noch immer nicht verzeihen können, dass der Regierende Bürgermeister nicht sie, sondern die CDU als Koalitionspartner auswählte, mit dem Misstrauensvotum vor. Die Piraten, die bundesweit im Abwärtstrend sind und sich auch in Berlin gegenseitig mit Faschismusvorwürfen belegen, schlossen sich sofort an. Bei der Linkspartei, die ein Jahrzehnt mit Wowereit geräuschlos regierte, dauerte es länger, bis man sich dem Misstrauensvotum anschloss. Schließlich hätte sie ihre Rolle als Oppositionspartei sonst endgültig eingebüßt.

Vor allen im Umfeld der Linkspartei gab es von Anfang an die Kritik, dass ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Misstrauensvotum die Koalition eher zusammenschweißt. Das mag für den Moment auch stimmen. Doch die Diskussion um das Misstrauensvotum hat auch die Schwäche einer SPD offenbart, die in Berlin schlicht keinen Nachfolger für Wowereit hat, nachdem der als Nachfolger vorgesehene Michael Müller parteiintern ausgebremst wurde. Außerhalb der parlamentarischen Opposition hat das Flughafendesaster eher wirtschaftsliberalen Positionen wieder Auftrieb verschafft. So wurde diskutiert, ob der Airport schneller fertig geworden wäre, wenn er privaten Unternehmen gebaut worden wäre. Als hätte es nicht zahlreiche Bauskandale auch mit privaten Unternehmen gegeben.

Neuer Namen für den Flughafen?

Die meisten Bewohner Berlins beteiligen sich nicht an der großen medialen Aufregung um das Winterlochthema BER. Sie reagieren eher sarkastisch und erinnern daran, dass der Kölner Dombau Jahrhunderte dauerte. Derweil gibt es einen Wettbewerb um die Neubenennung des Airport. Satire oder nicht – mit Rückgriff auf preußische Tugenden fordert ein bisher unbekannter „Willy-Brandt-Freundes- und Freundinnenkreis“ eine Umbenennung mit der Begründung „Willy Brandt hat es nicht verdient, dass sein anerkannt guter Name im Zusammenhang mit einem derartigen Desaster bleibend in Verbindung gebracht wird!“ Der für Medien und Kultur beim Neuen Deutschland zuständige Redakteur Jürgen Amendt hat den bekannten Westberliner Kabarettisten Wolfgang Neuss als Alternative in die Diskussion gebracht. Als Begründung schreibt er: „Der Berliner Kabarettist war ein radikaler Pazifist (‚Auf deutschem Boden darf nie mehr ein Joint ausgehen‘). Statt Brandt könnte Neuss die Gäste des BER begrüßen. Man müsste natürlich Neuss die Ehre erweisen und über den Eingang ein großes Schild anbringen, auf dem geschrieben steht: ‚Vom Berliner Boden aus darf nie mehr ein Flugzeug starten.'“
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153523
Peter Nowak

Die vergessenen Toten

In Berlin soll ein Gedenk- und Informa­tionsort für die Opfer der »Aktion T4« eingerichtet werden. Es ist nicht der erste Versuch, sich der Thematik erinnerungspolitisch zu nähern, und wie schon in der Vergangenheit gibt es auch diesmal Anlass zu Kritik.

»Ich vergehe vor Not, muss ich Euch schreiben. Jetzt, wo meine Männer fort sind, muss ich hier sitzen und kann nichts tun«, schrieb ein Schuhmachermeister, der von den nationalsozialistischen Behörden als angeblich Geisteskranker verhaftet worden war, am 3. September 1939 aus der Psychiatrieanstalt Grafeneck an seine Angehörigen. Wie er sind nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 1940 und 1941 mehr als 70 000 Psychiatriepatienten und Menschen mit Behinderungen durch Ärzte und Pflegekräfte ermordet worden. Für sie soll nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom November 2011 ein Gedenk- und Erinnerungsort geschaffen werden. Um zu entscheiden, in welcher Form dies geschehen soll, wurde wenig später vom Land Berlin und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ein Wettbewerb für die Gestaltung ausgerichtet. Im Dezember vorigen Jahres schließlich, rund ein Jahr nach dem Beschluss des Bundestages, konnten die eingegangen Entwürfe für den geplanten »Gedenk- und Informationsort Tiergartenstraße 4« in einer Sonderausstellung in der Berliner Topographie des Terrors begutachtet werden.
Leicht zu übersehen. Ein neuer Gedenk- und Erinnerungsort soll die unscheinbare Gedenkplatte vor der Berliner Philharmonie ergänzen
Leicht zu übersehen. Ein neuer Gedenk- und Erinnerungsort soll die unscheinbare Gedenkplatte vor der Berliner Philharmonie ergänzen (Foto: PA/akg-images/Henning Langenheim)

Ein großer Teil der Entwürfe befasst sich mit der im Krieg zerstörten Villa in der Tiergartenstraße 4, in der die Mordaktion, die heute in Anspielung auf die Adresse des Hauses auch »Aktion T4« genannt wird, geplant wurde. Dass sich diese Bezeichnung langsam durchsetzt, ist auch ein Erfolg von Betroffenengruppen, die sich seit langem gegen den verharmlosenden Begriff »Euthanasiemorde« wehrten. Euthanasie heißt wörtlich übersetzt »schöner Tod«. Dagegen wurden die als geisteskrank stigmatisierten Menschen grausam ermordet, vergast, vergiftet oder erhängt. Dennoch findet der euphemistische, aus der Terminologie der Eugenik stammende Begriff bis heute Verwendung.

In den ausgestellten Entwürfen für den Gedenk­ort sollen neben dem Ort, an dem die Taten geplant wurden, auch die Opfer ein Gesicht bekommen. Bei dem als Siegerentwurf prämierten Modell, das von der Berliner Architektin Ursula Wilms gemeinsam mit dem Stuttgarter Konzeptkünstler Nikolaus Koliusis und dem Aachener Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann eingereicht worden war, bildet eine blaue, halbdurchsichtige Spiegelwand den Mittelpunkt. Damit greifen die Preisträger Elemente des »Andernacher Spiegelcontainers« auf, der von dem Künstler Paul Patze gemeinsam mit Schülern 1996 entworfen wurde, um an die Opfer der Morde in der Villa zu erinnern, die nach einem Zwischenaufenthalt in Andernach im hessischen Hadamar vergast worden waren. Ferner soll eine 40 Meter lange Sitzbank die Tiergartenstraße mit dem Denkmal verbinden. Die nach Westen ausgerichtete, schräg gestellte Betonwand dient dabei auch als Grundkonstruktion für ein durchlaufendes, aus 13 Elementen bestehendes Informationspult, auf dem Biographien einzelner Opfer der »Aktion T4« präsentiert werden sollen. Eine Gedenkplatte, die bereits 1989 am Ort eingelassen worden ist, soll ebenfalls in das mit dem ersten Preis prämierte Modell integriert werden. Die Inschrift derselben ist schlicht aber präzise: »Die Zahl der Opfer ist groß, gering die Zahl der verurteilten Täter«.

Tatsächlich sind in beiden Teilen Deutschlands die meisten an den Morden beteiligten Ärzte sowie das Klinikpersonal nicht nur nicht bestraft worden, viele Täter haben ihre Karriere oft bruchlos fortsetzen können. Entwürfe, die solche Zusammenhänge deutlicher thematisierten und an die Diskriminierung von Psychiatriepatienten bis in die Gegenwart erinnerten, kamen bei dem Wettbewerb nicht in die engere Auswahl. So sollten etwa in einem der abgelehnten Entwürfe sechs Stelen aus dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas die sechs Orte symbolisieren, an denen die Morde in Deutschland verübt wurden, und damit gleichzeitig auch der von Historikern nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Vernichtung der zu geisteskrank erklärten Menschen und der Shoa symbolisch zum Ausdruck gebracht werden.

Doch nicht nur die fehlende Kontextualisierung innerhalb der Gesamtheit der nationalsozialistischen Verbrechen sorgt für Unmut. So kritisieren etwa Verbände von Psychiatrieerfahrenen die aktuelle Denkmalauslobung als »Pro-forma-Gedenken zum Billigtarif« und beziehen sich damit auf die lediglich 500 000 Euro, die der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien für den Gedenkort zur Verfügung gestellt hat. Auch einige der in der Topgraphie des Terrors gezeigten Denkmalentwürfe äußerten in ihren Begleittexten eine ähnliche Kritik.

Nicht vertreten unter den präsentierten Entwürfen war ein Vorschlag für einen Gedenkort, den mehrere Betroffenenverbände bereits vor 15 Jahren gemacht hatten. Am 26. Januar 1998 hatte sich in Berlin ein »Freundeskreis des Museums ›Haus des Eigensinns‹« konstituiert, dessen Ziel es war, an der Gründung einer Stiftung sowie eines Museums mitzuwirken, das an der historischen Stätte Tiergartenstraße 4 in Berlin hätte errichtet werden sollen (Jungle World 2/1999). Die Diskussion um ein würdiges Erinnern an die Opfer der »Aktion-T4« ist also alles andere als neu.

Obwohl damals zum Freundeskreis des Haus des Eigensinns mit Dorothea Buck eine Überlebende der »Aktion-T4« zählte und mit dem Auschwitz-Überlebenden Henry Friedlander auch ein Histo­riker vertreten war, der in seinen Forschungen den Zusammenhang zwischen den Morden und der Shoa nachgezeichnet hat, wurde das Projekt von Politik und Öffentlichkeit von Anfang an ignoriert. An den möglichen Kosten kann es nicht gelegen haben. Ein privater Stifter, der unbekannt bleiben wollte, hätte für die Errichtung einen Beitrag von 1,75 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Damit wäre das Projekt auch ohne öffent­liche Mittel finanziell wesentlich großzügiger ausgestattet gewesen als der jetzt ausgelobte Gedenkort.

Problematisch an der Idee war dagegen der Plan, im »Haus des Eigensinns« auch die sogenannte Prinzhornsammlung, eine Sammlung von Kunst sogenannter Geisteskranker, zu präsentieren. Der Arzt Hans Prinzhorn, dem die Sammlung ihren Namen verdankt, bewegte sich seinerzeit im völkischen Milieu der Weimarer Republik und unterstützte in den letzten Jahren vor seinem Tod im Jahre 1933 die Nationalsozialisten. Für ihn waren die Kunstwerke der Psychiatrie­patienten Teil der Krankenakte. Lange Zeit waren die Artefakte in Kellern der Heidelberger Universitätsklinik gelagert. Erst 2001 wurde auf dem Gelände der Klinik ein Museum eröffnet, in dem seither in regelmäßigen Abständen Teile der Prinzhornsammlung gezeigt werden. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrene sprach in diesem Kontext von einer zweifachen Enteignung der Patienten. Sie sind als Künstler in der Regel namentlich nicht genannt und auch nicht gefragt worden, ob sie ihre Arbeiten weggeben wollten. Zumindest mit dieser Debatte wird sich der nun prämierte Entwurf nicht auseinandersetzen.
http://jungle-world.com/artikel/2013/02/46913.html
Peter Nowak

Bafögantragstau – oder wie die Krise in Deutschland ankommt

Mit der Agenda 2020 soll der Sozialstaat auf allen Gebieten weiter abgebaut werden

Ende Dezember 2012 hat die Berliner GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt in einer Pressemitteilung Alarm geschlagen. Weil die Bafög-Anträge von Tausenden Schülern und Studierenden trotz rechtzeitiger Abgabe noch nicht bearbeitet worden sind, sei die Situation der Betroffenen dramatisch. Viele wissen nicht, wie sie die nächste Miete bezahlen sollen. Zudem haben sich viele Betroffene verschuldet. Denn von den Abschlagszahlungen, die nur 80 Prozent des Bafög betragen, kann kaum jemand über die Runden kommen. Die Berliner GEW forderte, dass zumindest diese Abschläge unbürokratisch weiter gewährt werden muss, ohne dass die Betroffenen weitere Anträge steellen müssen.

„Bafögantragstau – oder wie die Krise in Deutschland ankommt“ weiterlesen

Das Gedenken hat ein Nachspiel

Nach ihrer Protestaktion bei der Erinnerungsfeier am Montag verteidigt sich die Oury-Jalloh-Initiative gegen Vorwürfe
Die Proteste bei der Gedenkveranstaltung für den verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh sorgen weiter für Diskussionen.
Der Eklat bei der Gedenkveranstaltung zum achten Todestag des afrikanischen Flüchtlings Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 unter ungeklärten Umständen in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte, beschäftigt weiter die Medien. Eine Gruppe von Flüchtlingen hatte am Montag lautstark ihren Unmut über die Veranstaltung deutlich gemacht und von Heuchelei gesprochen (ND berichtete). Einige Medien sprachen darauf von Störer, die von Außerhalb“ gekommen sind und monierten sich über einen „gewaltbereiten afrikanischen Asylbewerber“.
„Mit uns hat niemand geredet gesprochen“ meinte Komi Edzro von der „Initiative In Gedenken an Oury Jalloh e.V. gegenüber ND. Zu den konkreten Vorfällen auf der Kundgebung wolle die Initiative erst Stellung nehmen, wenn man sich genau über die Vorfälle erkundigt hat. Man werde aber auch die eigenen Freunde gegen mögliche strafrechtlichen Konsequenzen aber auch zunehmende öffentliche Angriffe verteidigen, betonte er. Dabei geht es vor allem Abraham H., der sich am Montag gegen die Kundgebung protestierte. „Der Mann ist durch die Ereignisse rund um Oury Jallohs Tod traumatisiert“, betont Edzro. Er erinnerte an die Demonstration zum siebten Todestag von Yalloh im letzten Jahr, als die Polizei brutal gegen die Aktivisten vorging. Zu den verletzten Demonstranten gehörte auch H. Auch bei den Gerichtsverfahren, die die Todesumstände von Jalloh klären sollten, sei H. immer wieder gemaßregelt worden, wenn er seine Empörung über den Umgang mit dem Fall äußerte. Schließlich habe er sogar ein Hausverbot für das Gerichtsgebäude bekommen. „Die Menschen, die dafür sorgten, dass sich die Justiz mit den Todesumständen befassen muss, werden so davon ausgeschlossen. Das schafft Empörung und Wut“, beschreibt Edzro die Gefühle vieler der in der Gedenkinitiative aktiven Flüchtlinge. Der Tod der Mutter von Oury Jalloh, die sich bis zum Schluss für die Aufklärung des Todes ihres Sohnes einsetzte habe die Verbitterung ebenso erhöht, wie die Meldung, dass in Polizeikreisen einen Spendenaufruf kursiert, mit dem die Geldstrafe beglichen werden soll, zu der der Dessauer Polizeibeamte Andreas S. verurteilt wurde. Er war der nach zwei langwierigen Gerichtsverfahren der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen worden. Dass aber die Frage, wie es zu dem Tod von Jalloh kam, unbeantwortet blieb, sorgt bei der Initiative für besonders große Wut. Schließlich hatten sie über Jahre für die Gerichtsverfahren gekämpft, weil sie dort Aufklärung erhoffen haben. „Jetzt wird uns gesagt, wir müssen das Urteil akzeptieren. Doch wir verlangen weiter Aufklärung“, betont Edzro.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/809512.das-gedenken-hat-ein-nachspiel.html

Peter Nowak

Wowereit – Rücktritt auf Raten?

Der Regierende Bürgermeister von Berlin steht nach der fünften Verschiebung der Flughafenöffnung unter Druck – aber vielleicht wird der Bevölkerung dann klar, dass der neue Airport gar nicht gebraucht wird

Am gestrigen Nachmittag kündigte der Regierende Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit seinen Rücktritt an, vorerst aber nur aus dem Aufsichtsrat der Berliner Flughafengesellschaft. Zuvor wurde eine Meldung der Bildzeitung bestätigt, dass sich die Eröffnung des Airport am Rande von Berlin erneut verschiebt und vor dem Frühjahr 2014 nicht denkbar ist.

Damit ist der Termin bereits vier Mal verschoben worden. Ursprünglich sollte er am 30.Oktober 2011 in Betrieb gegangen sein. Das Datum war schon lange stillschweigend und ohne öffentliche Aufmerksamkeit gecancelt worden. Doch für die Eröffnung am 3.Juni 2012 waren nicht nur bereits Plakate gedruckt. Auch viele Läden haben schon Verträge abgeschlossen. Daher sorgte die Verschiebung dieses Termins für erheblichen Druck auf die Politik. Nachdem kurzzeitig der 17.März 2013 als neuer Eröffnungstermin genannt wurde, hatte man sich dann auf den 27.Oktober verständigt. Auch dieser Termin ist nun Makulatur.

Hätte Wowereit, der sicher schon länger über das Flughafendebakel informiert war, nicht schon nach den letzten Wahlen sehr zur Überraschung eines Großteils der Berliner Bevölkerung – und zum Unmut großer Teile seiner eigenen Partei – eine Koalition mit der CDU statt mit den Grünen durchgesetzt, wäre er wahrscheinlich nicht mehr im Amt. Denn ein Bündnis aus SPD und Grünen hatte nur eine knappe Mehrheit gehabt. Die Grünen, die die Brüskierung durch Wowereit bis heute nicht verwunden haben, zeigen nun, dass sie auch Opposition können und waren die ersten, die Wowereits Rücktritt fordern. Die gesamte übrige buntscheckige parlamentarische Opposition aus Piraten, FDP und Linken schloss sich an.

Doch solange der christdemokratische Koalitionspartner bei der Stange bleibt, wird Wowereit im Amt bleiben können. Am kommenden Donnerstag dürfte er das Misstrauensvotum im Abgeordnetenhaus daher überstehen. Aber auch die Union wird nur auf einen günstigen Moment und gute Umfragewerte warten, um Wowereit zu Fall zu bringen. Das ist schließlich das politische Geschäft. Der damalige SPD-Hoffnungsträger hat 2001 genauso gehandelt, als er den Diepgen-Senat stürzte und die erste Koalition mit der PDS einging.

Diese Zeit mit einem so pflegeleichten Koalitionspartner dürften Wowereits beste Jahre gewesen sein. Damals war in der Hauptstadtpresse auch gelegentlich gerätselt worden, wie lange Wowereit es in Berlin aushält. In jenen Tagen wurde er als reif für einen Posten in der Bundespolitik gehandelt, sogar als möglicher Kanzlerkandidat stand er zur Diskussion.

Wowereit statt Steinbrück?

Würde Wowereit demnächst zurücktreten müssen, ist davon nicht mehr die Rede. Warum eigentlich? Sollte die SPD bei der Landtagswahl in Niedersachsen nicht gewinnen und der Unmut über Peer Steinbrück zunehmen, wäre doch Wowereit die perfekte Alternative. Schließlich hat er es in seinen besten Zeiten in Berlin verstanden, neoliberale Politik charmant zu verkaufen. Er lamentierte nicht über zu geringe Einkommen der Spitzenpolitiker, sondern kreierte den Spruch „arm, aber sexy“. Dass er damit selbst nicht gemeint war, wurde ihm gerne verziehen.

Denn er war eher dafür bekannt, dass er auf Festivals und Partys als bei Banken und Großunternehmen Ansprachen hielt. Über Honorare wurde gar nicht gesprochen. War es seine Bescheidenheit oder ist Wowereit in finanziellen Dingen nur dezenter als sein Parteifreund Steinbrück?

Und warum sollte ausgerechnet ein sich länger dahinziehender Hauptstadtflughafenbau einen Karriereknick für Wowereit bedeuten? Könnte er die Vorwürfe der Opposition nicht in Pluspunkte für sich umwandeln? Da wird ihm vorgeworfen, im Aufsichtsrat mit stoischer Ruhe der BER-Pleite zugesehen zu haben. Ja, wäre es besser gewesen, er hätte das Ganze durch hektische Symbolaktionen noch mehr chaotisiert? Oder hätten die Oppositionsparteien, wenn sie an der Regierung gewesen wären, die Bevölkerung etwa aufgerufen, am Wochenende Freiwilligenarbeit am Flughafengelände zu leisten, damit der Eröffnungstermin eingehalten wird? Hektisch genug waren ja schon die Verantwortlichen der Flughafengesellschaft, die nach der Debatte um die Terminverschiebung fast alle Fachleute entlassen haben, so dass niemand mehr wusste, wie es jetzt weitergeht.

Vom Flughafen mit Terminverzögerungen zur Bauruine

Sie haben aus einem Flughafenbau mit Terminverzögerungen eine Bauruine gemacht. Gäbe es bei der parlamentarischen Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus auch noch Menschen, die nicht wie die Regierung im Wartestand agierten, würden sie ihre Chance nutzen und die Parole ausgeben, der Berliner Flughafen soll eine Bauruine bleiben. Schließlich sind in den 1970er und 1980er Jahren auch viele AKW-Projekte entweder Bauruinen geblieben oder aus der Planung erst gar nicht hinausgekommen und die Grünen haben applaudiert.

Denn eines zeigt sich doch durch die dauernden Verzögerungen ganz deutlich. Es geht auch ohne den neuen Großflughafen. Außerdem wäre es ein durchaus umweltfreundliches Unterfangen, wenn der Vielfliegerei vor allem auf Kurzstrecken Grenzen gesetzt würden. Vor mehr als 25 Jahren waren die Grünen noch Teil eines breiten, bundesweit beachteten Bündnisses gegen den Bau der Startbahn am Frankfurter Flughafen. Der Kampf, in den die ganze Rhein-Main-Region einbezogen war, ging verloren.

Mit dem Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21 hat ein solch entschiedener Ein-Punkt-Protest gegen ein Verkehrsinfrastrukturprojekt seine Fortsetzung gefunden. Dort beobachten die Aktivisten akribisch, ob sich eine seltene Fledermaus oder ein Juchtenkäfer in die Bäume und das Gestrüpp verirrt, damit das Bauvorhaben verzögert werden kann.

Beim Berliner Flughafen klappt das ohne animalische Hilfe. Wenn schon die parlamentarische Opposition so phantasielos ist, könnte ja vielleicht eine außerparlamentarische Bewegung entstehen, die nicht nur den Weiterbau einer Stadtautobahn verhindern will, sondern sich auch die Forderung nach Erhalt des Airports als Bauruine zu eigen macht.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153487
Peter Nowak

»Ihr Arbeitslosengeld fällt komplett weg«


Weil er zum dritten PC-Grundkurs nicht mehr ging, erhält ein Koch aus Forst drei Monate kein Geld

Bert Neumann ist empört. Der gelernte Koch aus Forst, dessen Name hier auf seinen Wunsch hin geändert wurde, ist seit mehreren Jahren erwerbslos und hat Hartz IV bezogen. Gerade hat ihm sein Jobcenter mitgeteilt, dass er von 1. Januar bis 31. März keinerlei finanzielle Unterstützung bekommen wird. »Die Minderung erfolgt für die Dauer von drei Monaten und beträgt 100 Prozent des Arbeitslosengeld II«, heißt es in dem Schreiben einer Sachbearbeiterin. Als wäre diese Mitteilung nicht schon aussagekräftig genug, wurde im nächsten Absatz des Schreibens noch einmal wiederholt: »Ihr Arbeitslosengeld II fällt in diesem Zeitraum komplett weg.«

Als Grund wird angeben, Neumann sei einem PC-Grundkurs des Bildungswerks Futura GmbH unentschuldigt ferngeblieben. Neumann bestreitet diesen Vorwurf nicht. »Ich wurde zum dritten Mal in den gleichen Computerkurs geschickt, der aber immer von unterschiedlichen Trägern veranstaltet wurde«, erklärt er. Dort seien den Kursteilnehmern die Grundlagen der Internetnutzung beigebracht worden. Dadurch sollten sie in die Lage versetzt werden, im Netz nach Stellenangeboten zu suchen und sich übers Internet zu bewerben. »Wir lernten in dem Kurs, wie man einen Computer anschaltet und die Maus bedient. Da ich aber schon lange mit dem Computer arbeite, war das für mich überhaupt nichts Neues«, begründete Neumann sein Verhalten. Das habe er auch seiner Sachbearbeiterin beim Jobcenter mitgeteilt. Die aber habe ihn mit der Begründung, dass auf einer der Bewerbungen, die er zu dem Termin mitbringen musste, ein Fleck gewesen sei, aufgefordert, den Kurs erneut zu besuchen.

»Mit einer teilweisen Streichung des ALG II habe ich gerechnet, nachdem ich den Kurs verlassen habe, nicht aber mit einer Totalstreichung« erzählt Neumann. Um dringend notwendige Lebensmittel zu kaufen, wurde ihm vom Amt ein Gutschein im Wert von 176 Euro ausgehändigt. Den darf er nur für bestimmte Waren eintauschen. Zudem muss er den Betrag bei einem einzigen Einkauf ausgeben. Ist der Wert des Einkaufs geringer, verfällt der Rest, weil kein Wechselgeld ausgegeben werden darf. Neumanns größte Sorge ist momentan, seine Wohnung zu verlieren, weil er seine Miete nicht bezahlen kann. »Ich habe es dem Vermieter noch gar nicht gesagt, weil ich befürchte, dass er mir sofort die Kündigung schicken wird«, sagt Neumann. Mit Hilfe der Linkspartei hat er einen Anwalt gefunden, der Klage gegen den Totalentzug von Hartz IV eingereicht hat.

Die Erfolgsaussichten sind nicht schlecht. Eine 100-prozentige Sanktion sei zwar generell rechtmäßig, im Detail aber an sehr vielen Punkten angreifbar, erklärt Harald Thome. »Erfolge gibt es regelmäßig. Ich würde behaupten, dass in der juristischen Prüfung zirka 75 Prozent der Sanktionsbescheide kassiert werden«, betont der beim Verein Tacheles arbeitende Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht.

Doch bis zu einer juristischen Entscheidung kann es einige Wochen dauern. Zurzeit wird Neumann von Freunden unterstützt. Sie planen für Anfang Februar eine Veranstaltung zum Widerstand gegen Zwangsmaßnahmen unter dem Hartz-IV-Regime. Dort soll etwa der Berliner Aktivist und Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens Ralph Boes reden, der vor einigen Wochen mit einem Hungerstreik gegen die Sanktionen der Jobcenter bundesweit für Aufsehen sorgte. Auf der Veranstaltung soll auch die Initiative vorgestellt werden, die zum Ziel hat, dass sich Erwerbslose bei ihren Terminen beim Jobcenter von Personen ihrer Wahl begleiten und unterstützen lassen können. Die Gruppe hat mittlerweile erfahren, dass in Forst aktuell fünf Erwerbslosen die Bezüge komplett gestrichen wurden.

Silvia Friese vom Jobcenter Spree-Neiße verwies darauf, dass Neumann in der Vergangenheit bereits zwei Maßnahmen abgebrochen habe und nun unentschuldigt bei dem PC-Kurs fehlte. Da der Erwerbslose bisher nicht seine Bereitschaft erklärt habe, »die Pflichten nachträglich erfüllen zu wollen«, sei »eine nachträgliche Begrenzung der Sanktion auf 60 Prozent des Regelbedarfes nicht möglich.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/809300.ihr-arbeitslosengeld-faellt-komplett-weg.html

Peter Nowak

„Ihr Arbeitslosengeld fällt komplett weg“

Während Bild gegen selbstbewusste Erwerbslose hetzt, gehört ein Totalentzug von Hartz IV-Leistungen zur scharfen Waffe der Jobcenter

„Die Minderung erfolgt für die Dauer von drei Monaten und beträgt 100 % des Arbeitslosengeld II“, teilte die Sachbearbeiterin des Forster Jobcenters dem erwerbslosen Bert N. mit. Als wäre diese Mitteilung nicht schon aussagekräftig genug, wurde, wird im nächsten Absatz des Schreibens noch einmal wiederholt: „Ihr Arbeitslosengeld II fällt in diesem Zeitraum komplett weg.“

Als Grund für den Komplettentzug von Hartz IV wurde vom Jobcenter in dem Schreiben angegeben, N. sei einem PC-Grundkurs des Bildungswerks Futura GmbH unentschuldigt ferngeblieben. „Ich wurde zum dritten Mal in den gleichen Computerkurs geschickt, der aber immer von unterschiedlichen Trägern veranstaltet wurde“, erklärte der Erwerbslose gegenüber Telepolis. Dort seien den Kursteilnehmern die Grundlagen der Internetnutzung beigebracht worden, damit sie das es bei den Bewerbungen nutzen können. Da N. seit Jahren mit Computern umgehen kann, langweilte er sich in dem Kurs schon beim ersten Mal. Dass ihn die Sachbearbeiter im Jobcenter gleich dreimal zum Kursbesuch aufforderten, interpretiert N. genauso als Schikane wie der Totalentzug des ALGII.

Für den Kauf der dringend benötigten Lebensmittel wurde ihm vom Amt ein Gutschein im Wert von176 Euro ausgehändigt. Das Landessozialgericht NRW hatte 2009 entschieden, dass das Jobcenter zeitgleich mit dem vollständigen Wegfall von Hartz IV-Leistungen auch darüber entscheiden muss, ob dem Hartz IV-Bezieher Sachleistungen oder geldwerte Leistungen wie Lebensmittelgutscheine zur Verfügung gestellt werden. Diese Verpflichtung ergibt sich für das Gericht aus dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes. Genussmittel dürfen damit mit dem Gutschein nicht erworben werden. Zudem muss der gesamte Betrag bei einem Einkauf ausgeben werden, sonst verfällt der Restbeitrag, weil kein Wechselgeld ausgezahlt werden darf. Nach dem Ende der Sperre werden die Gutscheine allerdings mit 10 % von seinen Hartz IV-Leistungen abgezogen


Gefahr der Obdachlosigkeit droht

Seit der Streichung des ALG II kann N. auch die Miete nicht bezahlen. „Ich habe es dem Vermieter noch gar nicht gesagt, weil ich befürchte, dass er mir sofort die Kündigung schicken wird“, meint N. Mittlerweile hat er einen Anwalt eingeschaltet, der Klage gegen den Totalentzug von Hartz IV eingereicht.

Seine Erfolgsaussichten sind nicht schlecht. Eine 100 % Sanktion sei generell rechtmäßig, im Detail aber an sehr vielen Punkten angreifbar, erklärt der Referent für Arbeitslosen- und Sozialrecht beim Verein Tacheles Harald Thome gegenüber Telepolis. „Erfolge gibt es regelmäßig. Ich würde behaupten, dass in der juristischen Prüfung ca. 75 % der Sanktionsbescheide kassiert werden.“ Thome vertritt auch die These, dass eine Sanktion, die einen Wohnungsverlust zur Folge hat, verfassungswidrig ist. Das ist für ihn zumindest die Konsequenz aus den BVerfG- Urteilen zur Höhe von Hartz IV und zum Asylbewerberleistungsgesetz vom Februar 2009 und Juli 2012. Allerdings ist ein Weg durch die juristischen Instanzen zeitaufwendig. Ein Mensch, dem sämtliche Leistungen gestrichen wurden und der befürchten muss, die Wohnung zu verlieren, hat aber diese Zeit oft nicht.

Widerstand gegen Hartz IV-Regime

In Forst hat sich mittlerweile eine Gruppe gebildet, die für Anfang Februar eine Veranstaltung zum Thema „Zwang und Widerstand unter Hartz IV“ plant Eingeladen ist mit Ralph Boes auch ein Erwerbslosenaktivist, der in den letzten Wochen mit einen Hungerstreik gegen Sanktionen der Jobcenter zur Zielscheibe populistischer Boulevardmedien und deren Leser wurde. Dabei ist ein kritisches Hinterfragen der von Boes gewählten Hungerstreikaktion sicherlich berechtigt. Doch Bild hat in ihm nur einen neuen Angriffspunkt für ihre sozialchauvinistische Hetze gegen Erwerbslose gefunden, die eigene Interessen vertreten und die offen sagen, dass sie das Hartz IV-Regime ablehnen.

Wie schon bei ähnlichen Kampagnen gegen „freche Arbeitslose“ wird Bild dabei von einen Teil der Leserschaft unterstützt und überboten. Der Soziologe Berthold Vogel vertritt die These, dass eine von Absturzängsten geplagte Mittelschicht mit den Ressentiments gegen die zu Überflüssigen erklärten „Unterklassen“ reagiert. Dazu gesellen sich noch Menschen im Niedriglohnbereich, die gerade, weil sie sich ausbeuten lassen, alle Kritiker an dem System besonders stark angreifen. Dass nicht ein Totalentzug von Hartz und eine damit zumindest billigende Inkaufnahme von Obdachlosigkeit für Schlagzeilen sorgt, sondern ein Erwerbsloser, der gegen das Sanktionsregime kämpft, ist das eigentliche Problem. Die Zahl der Totalsanktionierten wächst. Allein in Forst sind 5 Fälle bekannt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153474
Peter Nowak

Wie lange können wir uns den Autoverkehr noch leisten?


Eine Studie errechnet die hohen gesellschaftlichen Kosten des Automobilverkehrs

Immer, wenn der Spritpreis steigt, wird von der Automobillobby und den Boulevardmedien das Bild vom Autofahrer als Melkkuh der Nation bemüht. Nun hat eine von dem Verkehrswissenschaftler Udo Becker erstellte Studie der TU-Dresden mit diesem Bild gründlich aufgeräumt. Vielmehr ist der Autoverkehr ein teures Zuschussgeschäft für die Gesellschaft. Jedes in der EU angemeldete Auto verursacht jährlich Kosten von durchschnittlich 1.600 Euro.

Im EU-Schnitt muss demnach jeder Bürger 750 Euro für den Autoverkehr zuschießen. Deutschland gehört zu den fünf EU- Ländern, in denen die Subventionen für den Individualverkehr mit mehr als 2.000 Euro besonders hoch sind. Der Betrag errechnet sich aus den Folgekosten der Autounfälle, der medizinischen Behandlung von Lärm, Schadstoffausstoß und andere durch den Autoverkehr verursachte Umweltschäden. Die Datenbasis stammt aus zahlreichen Teilstudien, die in den letzten Jahren in europäischen Ländern erstellt wurden und im ersten Teil der Studie vorgestellt werden.

Auf dieser Grundlage der kommen die Verfasser zu dem Fazit, dass im EU-Raum durch den Autoverkehr jährlich Kosten in der Größenordnung von ca. 373 Milliarden pro Jahr nach der hohen Schätzung und 258 Milliarden Euro nach einer niedrigen Schätzung entstehen. Bei der Größenordnung liegt es auf der Hand, dass die Beträge nicht durch die Autobenutzer selber getragen werden können. In der Zusammenfassung der Studie heißt es: „Gleichzeitig ist anzumerken, dass der Autoverkehr in der EU durch andere Personen und Regionen hoch subventioniert wird und dass dieser auch durch künftige Generationen subventioniert werden wird: Anwohner von Hauptverkehrsstraßen, Steuerzahler, ältere Menschen, die kein Auto besitzen, Nachbarländer und Kinder, Enkel und alle künftigen Generationen subventionieren den heutigen Verkehr. Sie müssen einen Teil der Rechnung bezahlen oder werden einen Teil der Rechnung bezahlen müssen.“

Sanfte Preiserhöhungen für Autofahrer

An die Adresse der Politik richten die Verfasser der Studie die Empfehlung, die externen Kosten des Autoverkehrs nun regelmäßig schätzen zu lassen und „sanfte Wege zur Einbeziehung dieser Kosten in die Verkehrspreise“ zu entwickeln. Das ist ganz im Sinne des grünen Europapolitikers Michael Cramer, der nun keinesfalls einen Konfrontationskurs gegen die Autolobby propagiert, zu der immerhin in Form des ADAC auch Millionen Autobesitzern gehören. Schließlich erinnern sich noch manche Grüne an die Zeit vor fast 15 Jahren, als die Diskussion über die Erhöhung des Benzinpreises auf 5 DM pro Liter als Grund für die damalige Wahlniederlage ausgegeben wurde.

Dabei gäbe es durchaus berechtigte Kritik an einer Zielrichtung der Studie, die nur den Autofahrer und nicht auch die Automobilkonzerne in den Blick nimmt. Warum sollten die sich nicht ebenso an den gesellschaftlichen Kosten des von ihnen so sehr beworbenen Produkts beteiligen, wie es die Umweltbewegung von den Atomkonzernen bei der Entsorgung des Atommülls mit Recht fordert? Auch in diesem Fall dauerte es viele Jahre, bis in der Gesellschaft anerkannt wurde, dass zu den Kosten des AKW-Betriebs auch die Aufwendungen für die Zwischenlagerung des Atommülls und viele weitere Posten gehören.

Umdenken bei der Opel-Belegschaft?

Natürlich mag es gerade in Zeiten der Automobilkrise nicht einfach sein, relevante Teile der Beschäftigten für Diskussionen über Alternativen zu den Autos zu begeistern. Doch vielleicht ist es auch eine positive Nachricht, dass die Mehrheit der Opel-Belegschaft im von Schließung bedrohten Werk in Bochum nun nicht die Parole ausgibt, dass dort Autos um jeden Preis gebaut werden müssen.

Wie der langjährige oppositionelle Opel-Betriebsrat Wolfgang Schaumberg in einem Interview erklärte, können sich vor allem viele der älteren Beschäftigten mit Abfindungen anfreunden, eine linke Minderheit im Betrieb diskutiert sogar, dass sie gerne auf das Autoproduzieren verzichten würde, wenn sie weiter bezahlt werden. Es geht eben nicht um Produzentenstolz, sondern um ihren Lebensunterhalt. Eine andere Initiative tritt für eine enge Kooperation von Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung ein. Solche Äußerungen in einem von der Schließung bedrohten Automobilbetrieb lassen zumindest hoffen, dass an den Beschäftigten ein Ausstieg aus der Autogesellschaft nicht scheitern muss.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153423
Peter Nowak

Einmal kostenlos probetragen, bitte!

Wenn die Pressesprecherin eines Unternehmens auf die Bitte um ein kurzes Interview mit der Aufforderung reagiert, ihr doch zunächst ein Exemplar der anfragenden Zeitung per Post zuzuschicken, dann wird kaum jemand vermuten, dass dieses Ansinnen aus dem vorigen Jahrhundert ausgerechnet von einem Unternehmen kommt, das als besonders internetaffin gilt. Dabei handelt es sich um die für Presse und Öffentlichkeit zuständige Stelle des Internetschuhversands Zalando, dem kürzlich in Berlin der »Marketingpreis 2012« verliehen wurde. Über die Preisverleihung im Kreis von Stars und Sternchen heißt es auf der Zalando-Homepage: »Kaviar-Gauche for Zalando-Collection«.

Von Kaviar können die Leiharbeiter, die die »Zalando-Collection« produzieren, nur träumen. Das ZDF hat im August 2012 recherchiert, dass sie in einem der Werke in Brandenburg mit einem Stundenlohn von sieben Euro oder gar mit einem unbezahlten »Schnupperpraktikum« vorliebnehmen müssen (Jungle World 32/12). Ob darin der Grund liegt, dass die Öffentlichkeitsabteilung auf eine Interviewanfrage reagiert, als wisse sie nicht, wie man eine Antwort-Mail schreibt, und komplett auf Tauchstation geht? Ob sie fürchtet, dass nachgefragt wird, ob die Produzenten der Schuhe nach der Preisverleihung nicht auch einen Happen vom Kaviar verdient hätten? Vielleicht mauert das Unternehmen auch, weil das Handelsblatt gerade eine Schwäche der Firma offengelegt hat. Der Umtausch von georderten Schuhen in großer Stückzahl könne die Erfolgsbilanz von Zalando verhageln. Schließlich drückt der Schuh erst beim Tragen, und ein Rückgaberecht ist gesetzlich festgeschrieben. Daraus könnte sich eine moderne, kreative Protestform entwickeln: Schuhe ordern, einmal probetragen, dann zurückschicken. Und dabei immer an die Leiharbeiter denken.
http://jungle-world.com/artikel/2012/51/46835.html
Peter Nowak

Die Arbeit könnt ihr behalten

Die Reaktionen auf die Schließungspläne bei Opel zeigen, dass es heute kaum noch möglich ist, in einer einzelnen Fabrik Kämpfe zu führen.

»Hier hat sich die Belegschaft selbst organisiert. Von Donnerstag an stand fest, die Belegschaft handelt und entscheidet gemeinsam jeden Schritt und jede Aktion. Ohne großartige Abstimmungen wurden die Tore besetzt, um zu verhindern, dass LKW mit Ladung das Werk verließen – leer konnten sie fahren.« Dieser Lagebericht des oppositionellen Bochumer Opel-Betriebsrates Manfred Strobel ist vor acht Jahren in der Zeitschrift Express erschienen, die gewerkschaftlichen Kämpfen außerhalb des DGB ein Forum gibt. Damals hatte ein durch angekündigte Massenentlassungen ausgelöster sechstägiger Streik der Opel-Belegschaft für Begeisterung unter Linken gesorgt, weil die Aktion nicht die Handschrift der IG-Metall-Führung getragen hatte.

Acht Jahre später nun, am 10.Dezember, wurde der Beschluss verkündet, das Opelwerk zu schließen. Das zog jedoch keine Torbesetzungen und Streiks nach sich. Kurz nach Bekanntwerden des Beschlusses, am 11. Dezember, beteiligten sich gerade mal 100 Beschäftigte an einer Demonstra­tion durch das Werk. Am 14. Dezember rief die IG Metall zu einer Kundgebung vor dem Tor 4 auf. Die meisten Reden verbreiteten Zweckoptimismus. Es sei schon ein »Erfolg«, dass die Gespräche weitergehen, hieß es. So soll über die Auszahlung der 4,3 Prozent Tariflohnerhöhung, die Opel wegen der Vorleistung der Belegschaft gestundet worden sind, am 8. Januar weiterverhandelt und das Ergebnis dann den Kollegen zur Abstimmung vorgelegt werden. Zudem bezeichneten die Betriebsräte die Aufsichtsratsversammlung vom 12. Dezember als erfolgreich, weil dort der Schließungsplan noch nicht offiziell bestätigt wurde. »Das halte ich für eine Nebelkerze. Schließlich wissen alle, dass es den Schließungsbeschluss gibt«, kommentierte Wolfgang Schaumberg diesen Versuch, die Belegschaft ruhigzustellen. Schaumberg war jahrzehntelang in der oppositionellen Gewerkschaftsgruppe Gegenwehr ohne Grenzen (GoG) engagiert. Sie und ihre Vorläufer haben in den vergangenen drei Jahrzehnten bei Opel eine wichtige Rolle gespielt und sicher auch zum sechstägigen Streik vor acht Jahren beigetragen. Dass die Gruppe, die die Standortlogik und das gewerkschaftliche Co-Management immer bekämpft hat, bei der jüngsten Betriebsratswahl erstmals kein Mandat mehr bekommen hat, zeigt, wie die Verhältnisse sich geändert haben.

Heute liegt der Altersdurchschnitt im Werk bei über 47 Jahren. »Gerade die Älteren hoffen auf eine Abfindung und rechnen sich schon aus, wie sie mit Abfindungen und Arbeitslosengeld bis zum Rentenalter kommen«, beschreibt Schaumberg die Situation. Weil die Komponentenfertigung für andere Werke aus Bochum abgezogen wurde, könnte ein Ausstand heute nicht mehr, wie 2004, die Opel-Produktion in ganz Europa lahmlegen. Dieser durch die technologische Entwicklung begünstigte Verlust der Produzentenmacht hat auch dazu geführt, dass viele Streikaktivisten von 2004 Abfindungen angenommen und sich aus dem Betrieb verabschiedet haben. Dazu gehört auch der Express-Autor Manfred Strobel. Der »Arbeitermilitante«, der, wie der vor einigen Jahren verrentete Wolfgang Schaumberg, über Jahrzehnte im Betrieb arbeitete und seine Erfahrungen an die jeweils nächste Generation weitergab, war auch bei Opel schon vor den Schließungsplänen ein anachronistischer Typus geworden. Schließlich haben die Bochumer Opelaner den Machtverlust selber erfahren. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Belegschaftsmitglieder kontinuierlich zurückgegangen.

Dass die Macht der Arbeiter schwindet, bedingt durch den technologischen Fortschritt und die Politik der Wirtschaftsverbände, macht Belegschaften in vielen europäischen Ländern zu schaffen. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass die Zahl der Entscheidungsstreiks in einzelnen Fabriken in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist und die aus der Defensive geführten politischen Streiks zugenommen haben, lautet die These des kürzlich erschienenen Buchs »Politische Streiks im Europa der Krise«.

Der Vorstand der IG Metall zumindest macht sich über neue Kampfformen kaum Gedanken. Auf ihrer Homepage wird der Opel-Konflikt zu einem Kampf zwischen den Standorten USA und Deutschland stilisiert. Von einer »Kampfansage von General Motors an Opel Bochum« ist da etwa die Rede. Das Management habe die Marke Opel beschädigt, lautet die Klage der gewerkschaftlichen Co-Manager, die ein profitables Opel-Werk fordern. »Damit sind weitere Verzichtserklärungen der Beschäftigten schon vorprogrammiert«, kommentiert Schaumberg.

Allerdings gibt es auch bei Opel noch Widerspruch gegen die Linie der IG Metall. So empfahl ein oppositioneller Betriebsrat auf der Kundgebung am 14. Dezember, sich an den belgischen Ford-Kollegen aus Genk ein Beispiel zu nehmen, die Anfang November nach der Ankündigung der Werkschließung vor dem Ford-Werk in Köln protestiert hatten. Die Aktion sei in den Medien in Deutschland als Randale hingestellt worden, es habe sich aber um eine Protestaktion mit Vorbildcharakter gehandelt, sagte er unter Applaus. Ebenfalls aus den Reihen oppositioneller Opel-Gewerkschafter wird mit dem Vorschlag, Gewerkschaften und Umweltorganisationen sollen sich gemeinsam für die Produktion umweltfreundlicher Autos einsetzen, an die Konversionspläne der siebziger Jahre angeknüpft.

»Solche Forderungen können nicht in einem Werk umgesetzt werden, sondern setzen eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Kapital voraus«, betont Schaumberg. Bei der GoG wird daher über die Forderung diskutiert, dem Management mit der Position gegenüberzutreten: »Die Arbeit könnt ihr behalten, aber ihr müsst uns weiter bezahlen.« Schließlich hätten die Lohnabhängigen die Situation, die zum Beschluss führte, das Werk zu schließen, nicht verursacht. Damit knüpfen sie an die Parole »Wir zahlen nicht für eure Krise« an. Im Fall Opel ist die Parole sogar treffend. Denn es ist auch das durch die deutsche Krisenpolitik der europäischen Peripherie oktroyierte Verarmungsprogramm, das den deutschen Export einbrechen ließ und Opel unrentabel macht. Wer jeden Cent zweimal umdrehen muss, kauft keine Autos.

http://jungle-world.com/artikel/2012/51/46820.html
Peter Nowak