«Verschärfter Terror»

Von den Gezi-Protesten scheint in der Türkei nicht viel übrig zu sein. Die Opposition sieht Erdogans autoritären Staatsumbau machtlos zu. Ein Gespräch mit dem linken türkischen Regisseur Imre Azim.

Der Regisseur Imre Azem ist seit Jahren Teil der ausserparlamentarischen Linken in der Türkei. In seinen neuesten Film «Türkei: Ringen um Demokratie» begleitete er vier türkische Oppositionelle ein Jahr lang bei ihrer politischen Arbeit.

Eine der ProtagonistInnen im Film ist das Vorstandsmitglied der Istanbuler Architektenkammer Mücella Yapici, die etwas despektierlich «Mutter der Gezi-Proteste» genannt wird. Auf dem Höhepunkt der Proteste schrieben viele, eine Rückkehr zur autoritären Türkei sei jetzt nicht mehr möglich. Warum haben sie sich so geirrt?

Imre Azem: Diese Einschätzung haben sie in einer Zeit getroffen, als viele Menschen die Angst vor dem Staat und seiner Polizei verloren hatten. Sie machten sich in Liedern über die Polizei, die Wasserwerfer und das Tränengas lustig. Wenn Erdogan die DemonstrantInnen als RandaliererInnen und ChaotInnen bezeichnete, empfanden sie das nicht als Beschimpfung, sondern als Ehrenbezeichnung. Da gab es eine Situation, wo die alten Methoden der Herrschaft nicht mehr gezogen haben. Doch dann hat das Regime den Terror auf allen Ebenen verschärft. Es wurde nicht mehr nur mit Tränengas geschossen. Es gab Tote und Verletzte. Seit 2015 sind in der gesamten Türkei mehr als 2000 Menschen ermordet worden.

Die überwiegende Mehrheit der Toten gab es in Kurdistan. Haben die Gezi-Proteste nicht zu einer Annäherung zwischen türkischen und kurdischen Linken beigetragen?

Nein, das lag aber auch an der Art und Weise, wie die kurdische Bewegung mit den Friedensgesprächen umgegangen ist, die es damals zwischen der PKK und dem Regime gab. Die wurden über den türkischen Geheimdienst geführt. Die kurdische Bewegung hatte die Illusion, sie könne mit Erdogan einen Friedensvertrag schliessen. Die Zivilgesellschaft und auch das Parlament wurden umgangen. Dadurch befand sich auch die HDP in einen Dilemma. Anfangs beteiligte sie sich nur zögerlich an den Gezi-Protesten, weil sie Erdogan nicht schwächen wollte, solange die kurdische Bewegung noch mit ihm verhandelte. Erst als sich abzeichnete, dass Erdogan die Gespräche scheitern lassen wird, wurde die HDP zu einem wichtigen Bestandteil der Gezi-Proteste. Da waren sie aber schon in der Endphase. Viele AktivistInnen wünschen sich, dass die kurdische Bewegung hier auch ihre eigene Rolle kritisch betrachtet. Die Friedensgespräche müssen Teil eines gesellschaftlichen Prozesses sein. Geheimverhandlungen mit dem Regime darf es nicht mehr geben.

Ist von den Gezi-Protesten in der heutigen Gesellschaft überhaupt etwas übrig geblieben?

Viele der Gezi-AktivistInnen haben die Nein-Kampagne gegen das Referendum getragen, mit dem Erdogan den autoritären Staatsumbau vorantreibt. 2013 gab es Stadtteilversammlungen, an denen sich politische AktivistInnen, aber auch viele Menschen beteiligt hatten, die nie zuvor politisch aktiv gewesen waren. Viele von ihnen haben sich in den Komitees gegen das Referendum engagiert. Nur deshalb ist möglich gewesen, im ganzen Land aktiv zu werden und der staatlichen Propaganda- und Repressionsmaschinerie zu trotzen.

Aber endete nicht auch die Nein-Kampagne wieder in einer Niederlage? Hätte man nicht neue Proteste erwarten können, nachdem Erdogan nur durch offensichtlichen Betrug ganz knapp das Referendum gewonnen hat?

Viele AktivistInnen sehen Erdogan als eigentlichen Verlierer. Er hat Unmengen an Geld für die landesweite Kampagne ausgegeben. In allen Städten waren nur Banner und Losungen zu sehen, die für ein Ja beim Referendum warben. Die GegnerInnen wurden mit allen Mitteln behindert und schikaniert. Ein Grossteil der HDP-Abgeordneten, die eine zentrale Rolle bei der Nein-Kampagne spielten, wurde inhaftiert. In den kurdischen Provinzen wurden die Wahlurnen nur in grösseren Städten, nicht aber in den Dörfern aufgestellt. Eine Gruppe von Aktivist-Innen, die eine gemeinsame Fahrt aus den Dörfern zu den Wahlurnen organisieren wollte, um den Leuten eine Abstimmung zu ermöglichen, wurde in der Nacht zuvor verhaftet. Wenn es dem Regime unter diesen Umständen trotzdem nur mit einem offensichtlichen Betrug gelungen ist, eine knappe Mehrheit zu erlangen, ist das kein Erfolg, sondern eine Niederlage für Erdogan.

Warum wurde dieser Betrug dann nicht zu einem neuen Anlass für ein Wiederaufleben der Massenproteste in der Türkei?

Es gab in der Nein-Kampagne eine Arbeitsteilung. Die ausserparlamentarische Bewegung sorgte dafür, dass landesweit gegen das Referendum mobilisiert wurde. Die grösste Oppositionspartei CHP hatte es übernommen, für den Schutz der Wahlurnen zu sorgen. Sie ist die einzige politische Kraft, die wegen ihrer Grösse und landesweiten Verankerung dazu in der Lage ist. Doch der Betrug fand nicht an den Wahlurnen, sondern bei der höchsten Wahlbehörde statt, als sie ungestempelte Abstimmungsscheine für gültig erklärte. Darauf war die CHP nicht vorbereitet. Als sich der Betrug abzeichnete, gab die CHP die Losung aus, man werde das Ergebnis des Referendums vor Gericht anfechten. Es war aber klar, dass die Justiz im Sinne Erdogans entscheiden wird, weil die längst auf die Regierungslinie gebracht worden ist. So sorgte das Verhalten der CHP für Demobilisierung. Sie wollte keine Strassenproteste, weil sie Unruhe und einen Bürgerkrieg fürchtet. So kam es zu keinen weiteren Protesten. Auch viele GegnerInnen des Referendums nehmen es hin, dass ihre Stimmen gestohlen wurden. Aber die mehrheitliche Ablehnung ist geblieben. Es wird sich zeigen, wann die in Widerstand umschlägt.

Mittlerweile hat die CHP doch noch zu Protesten aufgerufen. Wie ernst ist es der Partei dieses Mal?

Der Anlass für die landesweiten Märsche, zu denen die CHP aufruft, war die Verurteilung eines Parlamentsmitglieds der CHP, weil er die Waffenlieferung von islamistischen Gruppen im syrischen Bürgerkrieg öffentlich gemacht hat. Viele AktivistInnen kritisieren, dass die CHP erst zum Protest aufruft, nachdem ein Parlamentsmitglied von Repression betroffen ist. Dabei sind Abgeordnete der HDP schon seit Monaten im Gefängnis, ohne dass es von der CHP eine Aktion gab. Trotz dieser Kritik beteiligen sich mittlerweile fast alle Spektren der ausserparlamentarischen Linken in der Türkei an dem Marsch. Sie sehen hier eine Möglichkeit, sich besser zu organisieren. Was die Haltung der CHP betrifft, bin ich pessimistisch. Das ist eine typisch sozialdemokratische Staatspartei, die grosse Angst hat, ihre Privilegien zu verlieren, wenn sie sich zu stark in der ausserparlamentarischen Bewegung engagiert. Daher befürchte ich, dass sie auch den Marsch bald beenden und es nicht zum Äussersten kommen lassen wird.

Dann ist Erdogans Macht also trotz seiner Niederlage beim Referendum nicht gefährdet?

Ich befürchte, dass er sich vorerst einfach deshalb durchsetzen wird, weil er ganz offen einen Bürgerkrieg in der Türkei in Kauf nimmt. Das käme ihm beim autoritären Staatsumbau vielleicht sogar sehr gelegen. Doch in der Opposition will niemand einen solchen Bürgerkrieg in Kauf nehmen, der mit noch mehr Gewalt und noch mehr Toten verbunden ist. Auch die Gruppen der ausserparlamentarischen Linken sind organisatorisch nicht in der Lage, dass sie eine solche Auseinandersetzung gewinnen können. Das ist das Dilemma der Opposition in der Türkei.

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«Verschärfter Terror»

Interview: Peter Nowak

Schlag gegen die linke Opposition in der Türkei


Nur ein kleiner Prozentsatz der in den letzten Tagen Festgenommen waren Islamisten

Nach dem islamistischen Attentat von Suruc, das sich gegen eine Zusammenkunft linker Jugendorganisationen richtet (Suruc-Anschlag: Verschwörungstheorien und Rachemorde[1]), geht die Polizei in der Türkei hauptsächlich gegen die Opfer vor. Das zeigte sich am vergangenen Freitag, als 5000 Polizisten in zahlreichen Städten der Türkei Razzien vornahmen.

In der Öffentlichkeit wurde die Polizeiaktion vor allem so interpretiert, als gehe der Staat jetzt endlich gegen islamistische Gruppen vor, die in der Vergangenheit oft wohlwollend toleriert, wenn nicht gar direkt unterstützt worden waren. So wurde die Razzia auch in Verbindung mit militärischen Angriffen auf Islamisten in Syrien gesetzt. Doch tatsächlich waren von den Razzien in erster Linie linke Strukturen betroffen.

Neben Einrichtungen der kurdischen Nationalbewegung war vor allem die marxistische DHKP-C im Visier der Staatsorgane. Sie ist eine der Gruppen aus der außerparlamentarischen Linken in der Türkei, die weiterhin den bewaffneten Kampf zur einer politischen Option erklärt und die sich in den letzten Monaten nach großen Verlusten durch die staatliche Repression wieder reorganisiert zu haben scheint. Sie war bei Streiks und bei außerparlamentarischen Aktionen in der Türkei wieder verstärkt in Erscheinung getreten.

Nach der Niederlage der betont gewaltfreien und zivilgesellschaftlichen Proteste rund um den Gezi-Park könnten bei manchen Aktivisten eine radikalere Opposition und Gruppen mit längerer politischer Erfahrung wieder an Attraktivität gewonnen haben. Auch das könnte ein Grund für die Reorganisation der radikalen Linken gewesen sein. In den Monaten gab es immer wieder Verhaftungen in diesen Kreisen. Auch der britische Staatsbürger Stephen Kaczynski wurde am 2. April als angeblicher DHKP-C-Unterstützer verhaftet und befindet sich im unbefristeten Hungerstreik[2].

Erschossen wegen Widerstand gegen Festnahme?

Die Razzia vom letzten Freitag, bei der nach Angaben linker Anwaltsvereine über 300 vermeintliche Aktivisten der radikalen Linken verhaftet worden sind, forderte auch ein Todesopfer.

„Unsere Mandantin Günay Özarslan wurde von der Polizei erschossen“. Diese Erklärung[3] veröffentlichte der linke „Anwaltsverein des Volkes“ in der Türkei vor zwei Tagen. Dort ist auch das Foto der Frau zu sehen, die in Istanbul erschossen worden war. Sie war eine seit Jahren bekannte Aktivistin der außerparlamentarischen Linken in der Türkei. Mittlerweile sprechen viele Menschenrechtsorganisationen vom Mord[4] an Günay Özarslan. Die Polizei behauptet, sie habe Widerstand gegen ihre Festnahme geleistet.

Waffenstillstand mit der PKK endgültig beendet

Neben der außerparlamentarischen Linken sind vor allem die Strukturen der kurdischen Nationalbewegung im Visier des türkischen Staates. Während in den meisten Medien vor allem von Angriffen des türkischen Militärs auf die Islamisten der IS die Rede war, wurde eher am Rande erwähnt, dass PKK-Stellungen im Nordirak angegriffen wurden.

„Der türkische Staat beendet den Waffenstillstand mit der PKK endgültig“, heißt[5] es in einer Stellungnahme der Informationsstelle Kurdistan e.V.[6]. Detailliert wird beschrieben[7], wie in den letzten Tagen in der Türkei gegen Mitglieder linken Partei HDP und gegen progressive Medien vorgegangen wurde.

“ Den bisherigen Informationen zufolge wurden in Istanbul 103, in Urfa 35, in Adana 13, in Mersin 21, in İzmir 29, in Bursa 9, in Şırnak 3, in Iğdır 9, in Bitlis 7, in Mardin 11, in Elazığ 6, in Adıyaman 8, in Amed 18, in Ankara 11 Personen festgenommen. Über die Zahl der Festnahmen in Van und Kocaeli liegen bislang noch keine Informationen vor. Diese Festnahmen halten weiter an. Nur in drei Provinzen (İstanbul, Adıyaman und Ankara) wurden Personen unter dem Vorwand der Mitgliedschaft in dem Islamischen Staat IS festgenommen“, schreibt das kurdische Informationszentrum.

Geht Erdogans Kalkül auf?

Die Militäraktionen nach außen und die Repression der letzten Tage nach innen können nicht ohne einen Blick auf die aktuelle politische Situation in der Türkei betrachtet werden Die islamistische AKP hat die absolute Mehrheit bei den letzten Parlamentswahlen verloren (Türkei-Wahlkampf: Es geht um zehn Prozent[8]). Dafür sitzt mit der HDP[9] eine linke Partei im türkischen Parlament, die es verstanden hat, über die kurdische Nationalbewegung auch die zersplitterte türkische Linke anzusprechen.

Die islamistische Hardlinerfraktion um Präsident Erdogan ist erstmals an ihre innenpolitischen Grenzen gestoßen. Sogar ein Machtverlust mit nachfolgender strafrechtlicher Ahndung der zahlreichen Gesetzesverstöße drohten Erdogan und seinen engsten Paladinen. Mit der Strategie der Spannung nach innen und außen könnte dieser Machtverlust abgewendet werden. Schließlich könnte sich die AKP als Partei der Ordnung präsentieren und in Kriegs- und Notstandszeiten hätte sie Chanen, wieder Mehrheiten zu bekommen. Notfalls können repressive Maßnahmen und Manipulationen einen Teil dazu beitragen.

Schon kurz nach den verlorenen Wahlen hat Erdogan das Militär für einen Einmarsch in Teile Syriens gewinnen wollen (http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2015/06/514368/mit-18-000-soldaten-tuerkei-marschiert-in-syrien-ein/ ). Doch beim Generalstab gab es damals Bedenken, Hilfestellung für eine abgewählte Regierung zu leisten. Dahinter standen interne Auseinandersetzungen im türkischen Machtapparat. Die scheinen nun vorerst ausgeräumt.

Der Anschlag der Islamisten (Die Türkei am Scheideweg: Demokratie oder Terror?[10]) und die nachfolgende massive Mobilsierung der kurdischen Nationalbewegung und der türkischen Linken haben die zerstrittenen Eliten geeint gegen den inneren Feind. Das sind aber nicht die Islamisten. Die haben schließlich nicht nur mit dem jüngsten Anschlag eher eine Hilfsfunktion gehabt. Es geht gegen die Linke und gegen die kurdische Nationalbewegung. Profitieren könnte Erdogan und die AKP, die damit die Grenzen überwinden wollen, die ihn die Wähler mit den verlorenen Parlamentswahlen gesetzt hatten.

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45537/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45517/

[2]

http://political-prisoners.net/items/item/3623-stephen-kaczynsski-im-hungersstreik.html

[3]

http://www.sendika.org/2015/07/halkin-hukuk-burosu-gunay-ozarslan-infaz-edildi-catisma-yasanmadi-deliller-karartildi/

[4]

http://www.evrensel.net/haber/256687/avukatlar-catisma-yok-gunay-ozarslan-infaz-edildi

[5]

http://yxkonline.com/index.php/publikationen/pressemitteilungen/597-der-tuerkische-staat-beendet-den-waffenstillstand-mit-der-pkk-endgueltig-liveticker-zu-den-entwicklungen

[6]

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/

[7]

http://civaka-azad.org/tuerkische-luftwaffe-bombardiert-pkk-stellungen-im-nordirak-tuerkeiweite-festnahmewelle-gegen-mitglieder-von-hdp-und-dbp/

[8]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45021/

[9]

http://www.hdp.org.tr/

[10] http://www.heise.de/tp/artikel/45/45499

Links regiert? Skepsis bleibt

Außerparlamentarische Gruppen und ihr zwiespältiges Verhältnis zu Parteien

Linke Parteien in Europa sorgen derzeit für Hoffnung auf Veränderung – auch in der außerparlamentarischen Bewegung? Eine Debatte in Berlin machte einen anhaltenden Zwiespalt deutlich.

Die Linke und der Staat, über diese sensible Frage sind viele Bücher geschrieben worden. Großes Interesse zeigte sich auch am Freitagabend, als das Museum des Kapitalismus nicht alle Interessierten fassen konnte, die an einer Diskussionsveranstaltung zu dieser Fragestellung teilnehmen wollten. Das Podium war international besetzt. Henning Obens von der Interventionistischen Linken und Chris vom »Ums Ganze«-Bündnis repräsentierten jenen Teil der außerparlamentarischen Linken, der eine Kooperation mit linken Parteien nicht grundsätzlich ablehnt.

Die Parteien brauchen eine starke außerparlamentarische Bewegung ebenso wie umgekehrt die außerparlamentarische Linke Parteien braucht, die ihre Themen in der Öffentlichkeit platzieren – so lassen sich die Statements beider Aktivisten zusammenfassen. Beide benannten zugleich die Gefahr von Vereinnahmungsversuchen durch politische Parteien. Juliane Wiedemann von der Linkspartei räumte ein, es sei ein großes Problem, dass politische Parteien in Bündnissen oft außerparlamentarische Initiativen dominieren wollten oder sich auch manchmal arrogant über deren Arbeitsweisen hinwegsetzen. Dabei bekannte Wiedemann mit Verweis auf Thüringen und Brandenburg, dass die LINKE zuweilen gar den Staat repräsentiert. Trotzdem wollte Wiedemann darin keinen Widerspruch zu außerparlamentarischen Aktivitäten ihrer Partei sehen.

Diesen Spagat müssen zurzeit auch die linken Parteien SYRIZA in Griechenland und Podemos in Spanien aushalten. Dionisis Granas, der in Berlin für SYRIZA arbeitet, betonte, dass die Situation seiner Partei aus zwei Gründen besonders kompliziert sei. Bei SYRIZA arbeiten sowohl Aktivisten der radikalen Linken als auch ehemalige Sozialdemokraten mit. Zudem sei der Druck der EU-Institutionen so stark, dass der Partei bisher wenig Zeit für linke Reformen in Griechenland geblieben sei. Die Frage, ob SYRIZA derzeit dabei ist, sich dem EU-Diktat zu beugen, das vor einer Woche noch mehr als 60 Prozent der griechischen Bevölkerung abgelehnt hatten, war wohl zu frisch. Sie spielte in der Debatte keine größere Rolle.

Die Erfahrung, dass eine linke Partei zuvor als »rechts« kritisierte Politik machen muss, könnte auch Podemos in Spanien bevorstehen. Miguel Sanz Alcantara, der in Berlin für die neue spanische Linkspartei warb, betonte, dass die Zeit kommen könnte, wo er und andere Podemos-Mitglieder gegen Maßnahmen der eigenen Regierung auf die Straße gehen. Er betonte, dass eine linke Partei diesen Spagat aushalten müsse. Erst wenn es Versuche geben sollte, solche Proteste unter Hinweis auf die Parteiräson zu unterbinden, wäre für Alcantara die Mitgliedschaft in Frage gestellt.

Die Erfolge von Podemos-Kandidatinnen bei den Bürgermeisterwahlen in Barcelona und Madrid inspirierten einen Zuhörer zum Wunsch, hierin ein Vorbild für Berlin zu sehen. Beide waren in außerparlamentarischen Bewegungen aktiv, beispielsweise im Kampf gegen Zwangsräumungen von Mietern. Noch ist die Amtszeit zu kurz, um zu analysieren, wie sich ihre neuen Aufgaben auf diese sozialen Bewegungen auswirken. Anders die Erfahrungen von Sehnaz Ildan von der linken Partei HDP. Sie berichtete, wie ihre Partei vom Staat nicht kooptiert, sondern bekämpft wird.

Das Museum des Kapitalismus in der Böhmischen Straße 11 in Berlin-Neukölln ist Di, Do und Freitag von 11 bis 21 Uhr und Sonntag von 11 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/977605.links-regiert-skepsis-bleibt.html

Peter Nowak