Viktor Agartz

Kalenderblatt

Nach seinem Tod war er recht bald vergessen. Erst in den letzten Jahren setzten sich gewerkschaftliche Initiativen für seine Rehabilitierung ein. Von einer Rückkehr des Viktor Agartz, wie der Titel einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung lautete, kann allerdings nicht geredet werden. Am 9. Dezember jährte sich zum 50. Mal sein Todestag.

Der 1887 in Remscheid geborene marxistische Nationalökonom war während der NS-Zeit in die innere Immigration abgetaucht; er arbeitete als Wirtschaftsprüfer bei der Rheinisch Westfälischen Treuhand AG. Seine große Stunde schlug 1945. Er wurde SPD-Mitglied und im Mai 1946 Generalsekretär des Wirtschaftsrates der britischen Zone. Bereits im Frühjahr 1947 gab er das Amt aus angeblich gesundheitlichen Gründen wieder ab. Sein Nachfolger Ludwig Erhardt nutzte den Posten für seinen Einstieg in die Politik. Die beiden Männer wurden auf wirtschafts- und gesellschaftspolitischem Gebiet erbitterte Kontrahenten. Während Erhardt den Kapitalismus unter dem Label soziale Marktwirtschaft restaurieren wollte, wurde Agartz zu einem wichtigen Theoretiker des linken Gewerkschaftsflügels. Als Leiter des vom DGB gegründeten Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts (WWI) avancierte er zum Exponenten einer sozialistischen Wirtschaftsdemokratie. Mitbestimmungskonzepte wie sie der rechte Flügel von DGB und SPD favorisierte, lehnte Agartz als Mitverwaltung des Kapitalismus ab.

Auf dem DGB-Kongress im Oktober 1954 wurde sein Grundsatzreferat, in dem er sich scharf gegen restaurative Tendenzen in der Bundesrepublik wandte, mit stürmischem Applaus bedacht. Seine klare linke Position war jedoch bei der SPD-Führung, die sich bereits auf den Weg nach Godesberg machte, nicht mehr gefragt, ebenso wenig beim DGB-Vorstand. Agartz verlor sein Amt, auch weil er im tiefsten Kalten Krieg nicht bereit war, die Kontakte zum ostdeutschen FDGB abzubrechen. Trotz starker Kritik an der autoritären DDR sah er FDGB und SED als Teil der deutschen Arbeiterbewegung an, mit der eine Kooperation möglich und notwendig sei. Im März 1957 wurde er wegen landesverräterischer Kontakte zur DDR angeklagt. Obwohl aus Mangel an Beweisen freigesprochen, blieb er für die bundesdeutsche Öffentlichkeit stigmatisiert. Agartz engagierte sich hernach in der kleinen linkssozialistischen Opposition der Bundesrepublik, zog sich aber dann, als jegliche Erfolge ausblieben, enttäuscht aus der Politik zurück.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/955345.viktor-agartz.html

Peter Nowak

Ermutigen die Pegida-Aufmärsche auch militante Rechte?

Nach den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis Nürnberger Land verschärft sich die Debatte

Seit Wochen warnen zivilgesellschaftliche Gruppen, dass die in der Bevölkerung durch Pegida und andere Aufmärsche artikulierte Ablehnung von Flüchtlingen auch militante Neonazis ermutigen könnte, zur Tat zu schreiten. Das wurde oft als Panikmache abqualifiziert. Nun wurden in dem kleinen Ort Vorra im Landkreis Nürnberger Land mehrere Unterkünfte für Geflüchtete, die im kommenden Februar bezogen werden sollten, in Brand gesetzt [1].

An den Mauern hatten die unbekannten Täter Hakenkreuze hinterlassen. Zum Tatgeschehen gibt es im Presseportal [2] der Polizei von Mittelfranken folgende Informationen:

Am 11. Dezember 2014 gegen 22:45 Uhr wurde der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Mittelfranken durch einen Anwohner ein Feuer im Dachbereich des Anwesens 91247 Vorra, Hirschbacher Straße 1 mitgeteilt. Bei dem Anwesen handelt es sich um ein ehemaliges Gasthaus, das zukünftig als Asylbewerberunterkunft genutzt werden sollte. Das Feuer wurde nach ersten Erkenntnissen mittels Brandbeschleuniger in einem Zimmer im 1. Obergeschoß gelegt. Dieses brannte völlig aus. Personen kamen nicht zu Schaden. Kurz danach wurde ein zweiter Brand in der Hauptstraße 40 gemeldet. Das zweite Anwesen befindet sich ca. einhundert Meter vom ersten Anwesen entfernt. Hierbei handelt es sich um ein ehemaliges Wohnhaus, das ebenfalls als Asylbewerberunterkunft dienen sollte. Das Feuer brach im Treppenhaus aus und konnte schnell gelöscht werden. Es entstand Sachschaden. Während der Löscharbeiten stellten Feuerwehrleute noch einen Schwelbrand im Nebengebäude der Hirschbacher Straße 1 fest, der ebenfalls rasch gelöscht wurde. Der Gesamtschaden an den Gebäuden wird auf ca. 700.000 € geschätzt.“

Kein Boden für die extreme Rechte in Bayern?

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann geht [3] daher auch von einem Anschlag der extremen Rechten aus. Auf dem CSU-Parteitag, der gestern in Nürnberg begann, betonte [4] der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, dass es in Bayern „für Rechtsradikalismus keinen Boden“ gebe. Die Aussage ist schon verwunderlich. Denn es gibt ja offensichtlich extreme Rechte in Bayern.

Zudem gilt in der CSU seit den Zeiten von F.J. Strauß die Devise, dass die CSU so weit nach rechts ausgreifen muss, dass daneben kein Platz mehr ist. Dass heißt, die Partei soll die Fragen aufgreifen, die angeblich besorgte Bürger in die Arme der extremen Rechten treibt. Genau diese Argumentationsmuster kommen bereits seit Tagen aus den Reihen der Union, wenn es um die Pegida-Demonstrationen geht, mit denen selbsternannte Patrioten gegen angebliche Islamisierung und Überfremdung auf die Straße gehen.

Selbst der Bundesinnenminister äußert [5] trotz aller von ihm erkannten problematischen Entwicklungen Verständnis für die Demonstranten.

„Unter denjenigen, die da teilnehmen, gibt es doch ganz schön viele, die bringen ihre Sorgen zum Ausdruck vor den Herausforderungen unserer Zeit“, zeigte Thomas de Maiziere Verständnis für die besorgten Bürger. Man müsse es ernst nehmen, wenn sich Bürger „fremd im eigenen Land“ fühlen. Damit benutzte de Maiziere gar einen Duktus, der schon länger verstärkt von Rechtspopulisten verwendet wird.

Angesichts solch verständnisvoller Töne für die rechte Bürgerbewegung sieht die Taz [6] CDU und AfD im Wettstreit um die Pegida-Anhänger. Der AfD-Vorsitzende Lucke weist bereits länger darauf hin, dass die Forderungen seiner Partei mit den Zielen von Pegida in vielen Punkten übereinstimmen. Damit vollzieht auch Lucke, der als Exponent des neoliberalen Flügels der AfD gilt, einen Rechtsruck mit. Noch vor und kurz nach den Bundestagswahlen wollte er gegen heftige Kritik des erstarkenden rechten Flügels die AfD nicht in erster Linie mit dem Widerstand gegen Islamisierung und Einwanderung verbunden wissen.

Welche Konsequenzen hat der Anschlag für die Pegida-Bewegung?

Nun wäre es sicher falsch, allen Pegida-Demonstranten zu unterstellen, sie würden Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzen wollen. Es wird aber ein politisches Klima geschaffen, in dem sich auch die extreme Rechte als Vollstrecker eines „Volkswillens“ gerieren kann und zur Tat schreitet.

So war es bereits 1980, als zwei vietnamesische Arbeiter in Hamburg von einer Neonazigruppe ermordet [7] wurden. Die ersten offiziell anerkannten rechtsradikalen Morde seit 1945 [8] geschahen zu einer Zeit, als eine massive Kampagne gegen die Zuwanderung von Migranten in der BRD begann. Rechte Professoren unterzeichneten 1981 ein Heidelberger Manifest [9] zur Ausländerbegrenzung. In den frühen 1990er Jahren brannten Flüchtlingsheime, als eine massive öffentliche Kampagne zur Unterminierung des Asylrechts angestoßen wurde, die bis weit in die bürgerliche Mitte hinein reichte.

Auch damals bekamen besorgte Bürger, die applaudierten, als die Fenster von Flüchtlingsunterkünften eingeschlagen wurden, viel Verständnis von Politikern der Union. Auch damals war viel von den Sorgen der Bürger die Rede, die man Ernst nehmen müsse. Und 2014?

Als hätte es diese jahrzehntelange Kampagne nicht gegeben, fabuliert [10] Bild, es fehle eine „konkrete Einwanderungs- und Integrationspolitik“. Da steht zu erwarten, dass bald neue Vorschläge für die Einschränkung von Zuwanderung auftauchen werden, die sich auf die besorgten Bürger beruft. Selbst die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte wurden Anfang der 90er Jahre als Argument für eine schnelle Verschärfung des Asylrechts benutzt.

Dass die rechten Stichwortgeber von Pegida durch die Anschläge in Nürnberg nachdenklich werden, ist nicht zu erwarten. Auf PI-News werden bereits Verschwörungstheorien verbreitet. Danach dient der Anschlag in Nürnberg ebenso der „Manipulierung der Massen“ wie die NSU.

http://www.heise.de/tp/news/Ermutigen-die-Pegida-Aufmaersche-auch-militante-Rechte-2489217.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.br.de/nachrichten/mittelfranken/inhalt/vorra-brand-fluechtlingsunterkunft-100.html

[2]

http://www.polizei.bayern.de/mittelfranken/news/presse/aktuell/index.html/212405

[3]

http://www.joachimherrmann.de/index.php?ka=1&ska=1&idn=2266

[4]

http://www.br.de/nachrichten/csu-parteitag-nuernberg-106.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-proteste-thomas-de-maiziere-zeigt-verstaendnis-a-1008028.html

[6]

https://www.taz.de/CDU-und-AfD/!151182/

[7]

http://www.korientation.de/2014/08/25/die-ersten-offiziell-anerkannten-rassistischen-morde-seit-1945-gedenken-an-ngoc-chau-nguyen-und-anh-lan-do

[8]

http://www.zeit.de/2012/09/Anschlag-1980/komplettansicht

[9]

http://www.apabiz.de/archiv/material/Profile/Heidelberger%20Kreis.htm

[10] http://www.bild.de/regional/dresden/migrationspolitik/dresden-und-die-

Holt sie rein

Linke Gewerkschafter wollen erreichen, dass sich der DGB stärker für Flüchtlinge einsetzt

In Berlin ließ der DGB Flüchtlinge von der Polizei räumen, in Hamburg bot ver.di Flüchtlingen die Mitgliedschaft an. Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass das Beispiel Hamburg Schule macht.

»Wir kämpfen um unsere Würde. Unterstützen Sie uns dabei«, mahnt Bogan Droma eindringlich. Der Mann aus Rumänien arbeitete mit zehn Kollegen auf der Baustelle des jüngst eröffneten Nobel-Einkaufszentrums Mall of Berlin und wurde um den Lohn geprellt. Jeden Tag stehen sie vor der Mall und fordern ihr Geld ein. Dromas Rede bildete den Auftakt einer Veranstaltung im Berliner IG-Metall-Haus am Mittwochabend unter dem Motto: »Auch Geflüchtete sind Kolleginnen und Kollegen: Holt sie in die Gewerkschaft rein«. Bogdan Droma unterstützt diese Forderung. »Viele Menschen aus Rumänien und anderen Ländern werden um ihre Löhne betrogen und brauchen Solidarität.«

Bereits Mitglied in einer deutschen Gewerkschaft ist Asuquo Udo. In Nigeria geboren verdiente er jahrelang in Libyen den Lebensunterhalt für seine Familie. »Der NATO-Krieg hat mich zur Flucht gezwungen«, erklärt Udo bei der Veranstaltung. Über Italien kam er nach Hamburg, wo er in der Flüchtlingsorganisation »Lampedusa Hamburg« aktiv war. »Wir haben deutlich gemacht, dass wir Teil der Gesellschaft sind.« Daher waren er und seine Mitstreiter erfreut, dass der ver.di-Gewerkschaftssekretär Peter Bremme den Lampedusa-Flüchtlingen eine Mitgliedschaft anbot. Auf einer Webseite ist neben einem Foto ihr früherer Beruf vermerkt. Handwerker, Arbeiter und Intellektuelle sind darunter. Für Udo war dieses Bild sehr wichtig. »Es zeigte uns nicht als hilfsbedürftige Flüchtlinge, sondern als Kollegen«, sagt er. Er verschweigt aber auch nicht, dass es in der ver.di-Zentrale Widerstand gegen die Aufnahme der 300 Flüchtlinge gab. Sie verstoße gegen die Satzung, hieß die Begründung.

Für Anna Basten ist diese Erklärung unverständlich. Sie arbeitet ehrenamtlich beim Arbeitskreis »Undokumentiertes Arbeiten«, der beim DGB angedockt ist. Dieser unterstützt Menschen ohne Papiere beim Kampf um ihre Arbeitsrechte. »Der ver.di-Vorsitzende Bsirske hat uns dazu ermutigt, den Menschen, die wir beraten, auch die Gewerkschaftsmitgliedschaft anzubieten«, berichtet Basten in Berlin. Mehr als 50 Neumitglieder hätten sie dadurch gewonnen. Wenn sich Teile der Gewerkschaft gegen die Aufnahme der Geflüchteten aussprechen, sei das ein Rückschritt.

Auch der Sprecher des Landesmigrationsausschusses von ver.di Berlin, Erdogan Kaya, beklagt, dass sich die Gewerkschaften vor einigen Jahrzehnten noch vernehmlicher für die Rechte von Migranten eingesetzt haben. »Als die Geflüchteten in Berlin und anderen Städten in den letzten Monaten für ihre Rechte eintraten, gab es im DGB ein großes Schweigen«, beklagt Kaya.

Um diesen Zustand zu ändern, hat sich ein neues Bündnis »Gewerkschaftsrechte auch für Flüchtlinge« in Berlin gegründet. Die Initiative ging von der Basisgruppe »ver.di aktiv« aus. »Anfangs war unser Kreis überschaubar«, sagt Gewerkschafter Rolf Linder gegenüber »nd«. Doch am 2. Oktober ließ der Berliner DGB-Vorstand ihre von Flüchtlingen besetzte Zentrale durch die Polizei räumen. »Statt solidarischer Unterstützung gab es Anzeigen und Ausgrenzung. Das hat viele Gewerkschaftsmitglieder empört«, berichtet Linder. Kurz nach der Räumung habe sich die Zahl der Teilnehmer bei dem Treffen des gewerkschaftlichen Bündnisses erhöht. Schnell sei man sich darüber einig gewesen, dass es nicht reicht, die Räumung durch den DGB-Vorstand zu verurteilen. »Wir wollten zeigen, wie es auch anders geht«, so Linder. Die Veranstaltung im IG-Metall-Haus mit rund 80 Teilnehmern sieht er als Auftakt für eine innergewerkschaftliche Diskussion über Gewerkschaftsrechte für Geflüchtete. Enttäuscht hat ihn jedoch, dass kein einziger Vorstandsvertreter einer Gewerkschaft vorbeigeschaut hat.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/954609.holt-sie-rein.html

Peter Nowak

Ist ein „antirassistischer Adventsbesuch“ Terror?

Dein Streik, mein Streik

Weihnachtszeit, Streikzeit. Doch für einen erfolgreichen Arbeitskampf bedürfen die Beschäftigten der Unterstützung. Wie diese aussehen könnte, wird in der Linken diskutiert.

Der Textildiscounter Kik wird seit Jahren kritisiert, weil er seine Kleidung unter verheerenden Arbeitsbedingungen in Ländern wie Bangladesh und Indien produzieren lässt. Mitte November wurde bekannt, dass es auch mit den Arbeitsbedingungen in den hiesigen Filialen des Unternehmens keineswegs zum Besten steht. Das derzeitige Geschäftsmodell von Kik basiere auf »Lohndumping und niedrigen Sozialstandards«, kritisierte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie hatte Mitte November zum ersten Streik vor einer Niederlassung des Textildiscounters in Deutschland aufgerufen. Etwa 500 Beschäftigte des Zentrallagers im nordrhein-westfälischen Bönen legten am 17. November von vier bis 24 Uhr die Arbeit nieder. Da von dem Lager alle Kik-Filialen in Deutschland beliefert werden, waren die Folgen schnell spürbar.

Die Gewerkschaft will mit dem Streik die Anerkennung aller Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen für die Beschäftigten in der Logistik von Kik durchsetzen. Nach Angaben von Verdi bekommt ein Lagerarbeiter nach dem nordrhein-westfälischen Einzelhandelstarifvertrag 2 106 Euro brutto Monatslohn. Bei Kik erhält er jedoch nur 1 650 Euro brutto. Sollte die Geschäftsführung weiterhin nicht nachgeben, könnten die Beschäftigten in den nächsten Wochen erneut in den Streik treten. Schließlich ist die Vorweihnachtszeit, in der mehr gekauft wird, besonders gut dafür geeignet, einen Arbeitskampf zu führen, der der anderen Seite wirklich wehtut.

Auch die Beschäftigten einiger Standorte des Versandhandels Amazon könnten bald wieder ihre Streikwesten anziehen. Der Konzern bereite sich schon auf neue Arbeitskämpfe vor, berichteten Beschäftigte in den vergangenen Wochen. Auch in diesen Auseinandersetzungen geht es um die Frage, ob die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag des Versand- oder des Einzelhandels bezahlt werden. Letzteres fordern Verdi und viele Beschäftigte. Der Vorstand von Amazon will es hingegen bei der bisherigen Regelung belassen, nach der die Beschäftigten nach dem Tarifvertrag der Logistikbranche bezahlt werden – und dadurch einen niedrigeren Lohn erhalten.

Sollten sich die Beschäftigten in der Vorweihnachtszeit für den Arbeitskampf entscheiden, können sie an mehreren Standorten mit der Unterstützung linker Gruppen rechnen. Bereits im vergangenen Jahr hat sich in Leipzig das Bündnis »Streiksoli« gegründet, das vor allem von Studierenden getragen wird. »Wir sind alle Amazon« lautete das Motto des Bündnisses, das ein Vorbild auch für andere Städte war. Nach einem ersten bundesweiten Treffen im Frühsommer in Leipzig erörterten Mitte November in Frankfurt am Main etwa 30 Personen, wie eine bestmögliche Unterstützung von Arbeitskämpfen aussehen könnte. Es nahmen auch Beschäftigte von Amazon aus der Filiale im osthessischen Bad Hersfeld teil, die in der jüngsten Zeit zu einem Zentrum des Arbeitskampfs geworden ist. Über die Bedeutung der Streiksolidarität für eine weitere Zusammenarbeit von Studierenden und Beschäftigten schrieben Jana Werner und John Lütten in einem in der Reihe »Standpunkte« der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenen Text: »Die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen bleibt unvermindert relevant.«

Darin waren sich alle Teilnehmer des Treffens in Frankfurt am Main einig. Im Detail gab es aber durchaus Differenzen. Soll lediglich ein bundesweites Netzwerk der Streiksolidarität aufgebaut werden, wie es vor allem das Bündnis »Streiksoli« favorisiert? Oder soll sich das Bündnis auch ein kurzes Selbstverständnis geben? Hinter den Kontroversen in organisatorischen Fragen stehen auch politische Differenzen. Wie eng sollen Gruppen in der Streiksolidarität mit den DGB-Gewerkschaften kooperieren? Wie sollen sie reagieren, wenn die Gewerkschaftsvorstände, wie so oft in der Vergangenheit, einen Arbeitskampf gegen den Willen einer Mehrheit der Beschäftigten zu beenden versuchen und dabei Zugeständnisse an die Arbeitgeber machen, die von vielen Beschäftigten abgelehnt werden? Solche Konflikte zwischen einer durch den Arbeitskampf politisierten Belegschaft und den Verhandlungsführern der Gewerkschaft sind vor allem nach längeren Arbeitskämpfen häufig zu verzeichnen. Der Frage des Umgangs damit zieht sich durch die Geschichte der jüngeren außerbetrieblichen Streiksolidarität, die sich kaum auf Vorbilder in der Vergangenheit beziehen kann. An die wenigen erinnerte Jan Ole Arps in seinem 2011 im Verlag Assoziation A erschienenen Buch »Frühschicht«.

In den siebziger Jahren waren vor allem die verschiedenen kommunistischen Parteien und linke operaistische Gruppen für die Streiksolidarität verantwortlich. Sie waren allerdings in der Regel darum bemüht, eigene Betriebszellen zu gründen. Das Verhältnis zu den verschiedenen DGB-Führungen war überwiegend sehr angespannt. Gewerkschaftsvorstände verabschiedeten Unvereinbarkeitsbeschlüsse, kämpferische Kollegen waren schnell mit Gewerkschaftsausschlüssen konfrontiert. Vor einigen Wochen dokumentierte der Verlag »Die Buchmacherei« unter dem Titel »Macht und Recht im Betrieb« die exemplarische Auseinandersetzung bei BMW in Berlin zwischen 1984 und 1987. Auch damals fürchteten die Gewerkschaftsvorstände, dass politische Gruppen in den Streik eingreifen und die betrieblichen Auseinandersetzungen politisieren könnten.

Mit dem Niedergang der kommunistischen Parteien und der operaistischen Streiksolidarität schien zeitweilig auch die Politisierung von Streiks der Vergangenheit anzugehören. Doch auch die Gewerkschaften selbst gerieten in den vergangenen Jahrzehnten in die Krise. In vielen Branchen gelang es ihnen kaum noch, Tarifverträge durchzusetzen, weil der Organisationsgrad der Belegschaften zu gering war. Gewerkschaftstheoretiker erkannten, dass ohne gesellschaftliche Unterstützung in vielen Branchen Arbeitskämpfe kaum noch zu gewinnen waren, und suchten nach Bündnispartnern. Dabei trafen sie nicht auf kommunistische Kader, sondern auf außerparlamentarische Linke, die sich wieder verstärkt mit Kämpfen in der Arbeitswelt beschäftigten.

Bereits 2008 wurde der damalige Einzelhandelsstreik in Berlin von eigenständigen Solidaritätsbekundungen linker Gruppen begleitet. Die Initiative ging vom Bündnis »Euro-Mayday« aus, das mehrere Jahre lang am 1. Mai Demonstrationen von Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen veranstaltete. Höhepunkt der damaligen Solidaritätsarbeit war die Aktion »Dichtmachen«, bei der im Juni 2008 eine Berliner Supermarktfiliale für mehrere Stunden blockiert wurde. Im Film »Ende der Vertretung« wurde die durchaus nicht konfliktfreie Kooperation der außerparlamentarischen Unterstützer mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi thematisiert. In Nordrhein-Westfalen unterstützten linke Gruppen bereits 2007 monatelang den Streik von Beschäftigten der Catering-Firma Gate Gourmet, der von der DGB-Gewerkschaft NGG und auch Basisgewerkschaften wie den Wobblies geführt wurde. Vielleicht ergibt sich in der Vorweihnachtszeit Gelegenheit zu ähnlichen Solidaritätsbekundungen.

http://jungle-world.com/artikel/2014/48/51003.html

Peter Nowak

Straffreiheit für V-Leute

Rechtsruck in der deutschen Friedensbewegung?

»Erschreckende Parallelen«

In Halle, Stadtteil Silberhöhe, wurde kürzlich ein kleines Mädchen auf einem Spielplatz rassistisch beleidigt und attackiert. Die Jungle World hat mit Marie Müller gesprochen, die Mitglied der antirassistischen Gruppe »No Lager Halle« ist.

Sie haben in einer Pressemeldung einen rassistischen Angriff auf einem Spielplatz öffentlich gemacht. Was war geschehen?

Am Mittwoch, dem 29. Oktober, wurde ein zehnjähriges Mädchen auf einem Spielplatz in Halle-Silberhöhe von sieben bis acht Kindern rassistisch beleidigt, geschlagen und getreten. Es musste anschließend im Krankenhaus behandelt werden. Wir fragen uns, was Kinder dazu bringt, anderen Kindern rassistische Gewalt anzutun.

Haben Sie darauf eine Antwort?

Der Angriff der Kinder weist erschreckende Parallelen zu den rassistischen Feindseligkeiten der Erwachsenen auf.

Wie ging die Regionalpresse mit dem rassistischen Angriff auf dem Spielplatz um?

Die meisten regionalen Medien schrieben von einem »Streit«, der eskaliert sei, von einer »Rangelei«. Der von den Kindern ausgeübte rassistische Angriff wird dadurch bagatellisiert. Er erscheint als ein unter Kindern eben vorkommender Streit. Es wird zudem suggeriert, dass beide Seiten in den Streit verwickelt gewesen seien. In mehreren Medien wurden der »Migrationshintergrund« und das »ausländische Aussehen« des angegriffenen Mädchens erwähnt. Im Mitteldeutschen Rundfunk hieß es, das angegriffene Kind sei »dunkelhäutig« und habe »afrikanische Wurzeln«. So findet zwar eine sprachliche Markierung des »Fremden« statt, aber dass es sich um eine rassistische Tat handelte, wird nicht klar benannt.

Der Stadtteil Silberhöhe in Halle scheint sich zu einem rassistischen Brennpunkt zu entwickeln. Gibt es antifaschistische Gegenstrategien?

Die Diskussion über antifaschistische und antirassistische Gegenstrategien steht eher noch am Anfang. Es gab bisher neben einer Kundgebung des Bündnisses gegen Rechts eine antifaschistische Demonstration dort, die aber für manche zu provokativ gewesen ist.

Welche Rolle spielen organisierte Nazis in dem Stadtteil?

Die mischen dort mit. Die Nazi-Homepage »hallemax.de« versucht, die Leute angesichts der Situation zu polarisieren und aufzuwiegeln. Sollte es rechte Aufmärsche geben, ist aber auch ein breiterer Widerstand dagegen zu erwarten. Gegen Naziaufmärsche ist die Mobilisierung einfach. Gegen den Alltagsrassismus vorzugehen, ist da schon schwerer.

http://jungle-world.com/artikel/2014/48/50987.html

Peter Nowak

»Von den Sozialbehörden zu den Ausländerbehörden«

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Deutschland arbeitslosen Zuwanderern aus anderen EU-Ländern Hartz IV verweigern darf. Die Jungle World hat mit Lutz Achenbach gesprochen. Er ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Sozialrecht in Berlin und vertritt EU-Bürger, denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Deutschland einer Rumänin Hartz-IV-Leistungen verweigern kann. Sind Sie enttäuscht?

Es hätte natürlich auch gute Argumente dafür gegeben, der Frau aus Rumänien Leistungen nach Hartz IV zuzusprechen, beispielsweise das Diskriminierungsverbot innerhalb der EU. Viele hätten sich auch gewünscht, dass das Gericht grundsätzlicher über die Frage entscheidet, welche Verbindung ein EU-Bürger zum deutschen Arbeitsmarkt in Deutschland haben muss, wenn er Leistungen nach Hartz IV bekommt. Das hat der EuGH nicht gemacht.

Wird durch das Urteil die Situation für EU-Bürger erschwert, Leistungen nach Hartz IV zu beantragen?

Zunächst einmal wurde ein Einzelfall entschieden, der mit der Frage, mit der wir uns seit langem befassen, nicht direkt etwas zu tun hat.

Warum?

In dem konkreten Fall, über den der EuGH am Dienstag entschieden hat, ging es um eine Rumänin, die mit ihren Kind bei ihrer Schwester in Leipzig lebt und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Hier hat das Gericht entschieden, dass keine Hartz-Leistungen gezahlt werden müssen. Wir kennen aber viele Fälle von EU-Bürgern, die dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen und teilweise auch schon hier gearbeitet haben, denen Hartz-IV-Leistungen verweigert werden. Darüber hat das Gericht nicht entschieden und das Urteil ist damit nicht unmittelbar auf sie anwendbar.

Welche Verschärfungen plant die Politik, um EU-Bürger von den Leistungen auszuschließen?

Gerade wurde eine Änderung des Freizügigkeitsgesetzes auf den Weg gebracht, die das Recht zur Arbeitssuche auf sechs Monate begrenzt. Wer länger bleiben will, muss gegenüber der Ausländerbehörde nachweisen, begründete Aussicht zu haben, eingestellt zu werden. Damit wird das Problem weg von den Sozialbehörden hin zu den Ausländerbehörden geschoben, wo sich die Bundesregierung eine restriktivere Auslegung erhofft.

http://jungle-world.com/artikel/2014/47/50960.html

Interview: Peter Nowak

Rettete Gysi die Linkspartei vor der Spaltung?

Die Realofraktion versuchte einen Durchmarsch, doch Gysi spielte vorerst noch nicht mit

Eigentlich war es um den Flügelstreik bei der Linkspartei in den letzten Monaten stiller geworden. Selbst Kritiker des gegenwärtigen Führungsduos bescheinigten Bernd Riexinger und Katja Kipping, dass sie es vermocht haben, der zerstrittenen Partei wieder gemeinsame Ziele zu vermitteln. Die Unterschiede in vielen Fragen sind damit nicht vom Tisch. Aber es ist ihnen gelungen, die Partei wieder auf die Fragen zu konzentrieren, bei denen es weitgehende Einigkeit gibt – und bei denen sie realen Einfluss nehmen kann. Das sind Kämpfe gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und bestimmt nicht der Frieden im Nahen Osten.

Das hätten Inge Höger, Heike Hänsel und Annette Groth wissen müssen, als sie gegen den Willen und die Beschlusslage der Fraktion am 9. November ein Tribunal gegen Israel in Berlin veranstalten wollten und dazu einen kanadischen und US-amerikanischen Antizionisten einluden. Man kann den Abgeordneten glauben, dass sie den Termin nicht bewusst auf den Jahrestag der Reichspogromnacht gelegt haben. Doch scheinen sie sich auch ansonsten nicht viele Gedanken vor dem Treffen gemacht zu haben.

Wer das Video [1] über den Auftritt der bunt zusammen gewürfelten Gruppe bei Gysi gesehen hat, denkt eher an eine Folge von „Neues aus der Anstalt“ als an den Besuch einer Gruppe von parlamentarischen Israelkritikern, die sich bei Gysi darüber beschweren wollen, dass ihre Veranstaltungen abgesagt wurden. Hatte die Gruppe eigentlich vor dem Besuch darüber gesprochen, was sie dort erreichen und wie sie vorgehen wollten?

Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder unangemeldete Blitzbesuche von Hausbesetzern oder Wagenplatzbewohnern bei Politikern, wenn Räumungen drohten. Die waren allerdings wesentlich besser vorbereitet als diese Gysi-Visite. Auf dem Video ist zu sehen, dass die Abgeordneten ahnten, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Warum aber wurde das Video dann trotzdem ins Netz gestellt? Das kann eigentlich nur die Tat von Personen sein, die die Gruppe nicht nur öffentlich diskreditieren, sondern auch den mühsam erkämpfen Parteifrieden zerstören wollen. Das ist gründlich gelungen.

„Ihr sprecht nicht für uns“

Wenige Tage nachdem das Gysi-Mobbing für Aufsehen sorgte, legte die Realofraktion [2] die Axt an die Parteieinheit. Ihr Aufruf unter den Titel „Ihr sprecht nicht für uns“ [3] hätte leicht als Dokument der Parteispaltung in die Geschichte eingehen können. Schon der Titel ist verräterisch. Denn tatsächlich war bereits klar, dass die genannten Bundestagsabgeordneten in vielen Fragen nicht im Namen der Unterzeichner des Aufrufs sprechen, in der Nahostfrage schon gar nicht.

Nur stand das nicht infrage und die Gescholtenen hatten auch gar nicht diesen Anspruch. Die Frage ist doch vielmehr, ob sie mit ihren Postionen für ihre Wähler und den Parteiflügel, den sie repräsentieren, sprechen. Die beiden linken Strömungen Sozialistische Linke [4] und Antikapitalistische Linke [5] haben sich in ihren Erklärungen [6] hinter die Kritisierten gestellt, was absehbar war.

So ging es bei dem Aufruf eben nicht darum, dass die Abgeordneten in der Nahostfrage nicht für die Realofraktion sprachen. Diese nutzte vielmehr den unprofessionellen Auftritt für den Versuch eines Durchmarsches. Sie wollte die Kooperation mit der Parteilinken aufkündigen. Dabei handelten die Parteirealos durchaus nicht ungeschickt.

Demnächst soll in Thüringen der erste Ministerpräsident der Linkspartei gewählt werden. Schon im Vorfeld verrenkt sich Bodo Ramelow so sehr, dass er sogar strukturelle Ähnlichkeiten des Geheimdienstes der DDR und des NS festzustellen [7] glaubt, ohne die nicht nur strukturellen, sondern auch personellen Verbindungen zwischen den Geheimdiensten des 3. Reiches und seines westlichen Nachfolgerstaates auch nur zu erwähnen.

Sollte Ramelow trotz durchaus noch möglicher Hindernisse seinen Traum, erster linker Ministerpräsidenten zu werden, realisieren können, wird die Zerreißprobe für die Partei erst beginnen. Denn dann muss er Bundeswehrempfängen ebenso seinen Segen geben wie den Treffen der verschiedenen Industrielobbygruppen. Schließlich geht es ja um den Standort Thüringen und dem ist jeder Ministerpräsident jenseits der unterschiedlichen Parteipolitik verpflichtet.

Ein linker Parteiflügel, der den Genossen Ministerpräsidenten dann immer wieder an das Parteiprogramm erinnert, wäre da nur hinderlich und könnte die Regierung des ersten linken Ministerpräsidenten in Turbulenzen bringen. Für den Realoflügel ist allerdings eine erfolgreiche linke Landesregierung ein Baustein für eine Regierungsbeteiligung auch auf Bundesebene. Das viel zitierte rot-rot-grüne Bündnis wird es nur geben, wenn eine solche Konstellation in Thüringen nicht schon in den ersten Wochen scheitert.

Die ehemalige PDS-Politikerin Angela Marquardt, die vor einigen Jahren zur SPD wechselte, wo sie deren Denkfabrik [8] leitet, machte im Jungle World-Interview [9] klar, dass ein solches Bündnis alle Reformen unter den Haushaltsvorbehalt stellen wird. Die von Kapitallobbygruppen geforderte und von der Politik umgesetzte Schuldenbremse wird von ihr nicht Infrage gestellt. Das macht deutlich, wie eng der Spielraum für Reformen in einer solchen linken Reformkoalition sein wird. Ein linker Parteiflügel, der immer wieder auf die Beschlüsse der Linkspartei hinweist, würde da nur stören. Deswegen wollte der Realoparteiflügel sich seiner entledigen, bevor die Generalprobe in Erfurt beginnt.

Gysi als Parteiretter

Ihr Kalkül hätte aufgeben können. Ein Großteil der Medien hätte, wie schon vor 30 Jahren bei den Grünen, auf Seiten der Realos gestanden. Der linke Flügel hätte die Legislaturperiode, unter welchem Label auch immer, zwar noch im Parlament gesessen, wäre aber von den Medien so nachdrücklich als Fundamentalisten denunziert worden, dass sie keine Wahlen hätten gewinnen können. Die Realofraktion hätte dagegen die Medien auf ihrer Seite gehabt.

Doch Gregor Gysi spielte dabei nicht mit und ließ die Realos scheitern. Nebenbei machte er aber auch klar, dass er mehr als Riexinger und Kipping das Zentrum der Partei ist. Er nannte den Realoaufruf interessant, schloss sich ihm aber nicht an und warnte davor, den internen Streit weiterzuführen. Damit verhinderte er eine Parteispaltung. Die wäre nicht zu verhindern gewesen, wenn sich Gysi auf Seiten der Realos gestellt und das nicht nur mit politisch klargestellt, sondern auch als Betroffener des unangemeldeten Besuchs argumentiert hätte.

Jetzt wird darüber spekuliert, ob sich die Parteirealos von Gysi verraten fühlen. Doch Gysi hat durch seine jüngste Parteirettung deutlich gemacht, dass in der Partei weiterhin ohne ihn nichts läuft. Seine Aktion wird sicher auch einen Preis haben. Es war schon deutlich, dass die Parteilinke in den letzten Tagen alles vermied, um Öl ins Feuer zu gießen.

Sollte es zu einer Ramelow-Regierung in Thüringen kommen, wird man das noch öfter erleben. Kommt sie nicht zustande oder scheitert schnell, dürften die Realos erneut den linken Flügel dafür verantwortlich machen und versuchen, ihn abzustoßen. Ob sich Gysi dann noch mal als Parteiretter erweist, ist fraglich.

http://www.heise.de/tp/news/Rettete-Gysi-die-Linkspartei-vor-der-Spaltung-2460561.html

Peter Nowak 

Links:

[1]

https://www.youtube.com/watch?v=KQUpUGCfT3s

[2]

http://www.forum-ds.de/

[3]

http://ihrsprechtnichtfueruns.de/

[4]

http://www.sozialistische-linke.de/

[5]

http://www.antikapitalistische-linke.de/

[6]

http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=684#more-684

[7]

http://www.welt.de/politik/deutschland/article134430594/Ramelow-zieht-Vergleich-zwischen-Stasi-und-Gestapo.html

[8]

http://www.spd-denkfabrik.de/cms/website.php?id=%2Fde%2Fkontakt.php

[9]

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50852.html

Unvergessen

Tagungsnotizen

»Dein unbekannter Bruder« lautet der Titel einer DEFA-Produktion über den kommunistischen Widerstand gegen Hitler in Hamburg. 1982 wurde er von der DDR für die Filmfestspiele in Cannes nominiert, dann aber zurückgezogen und aus dem Kinoprogramm gestrichen. Ein Fall von Zensur der SED? So einfach lässt sich der Vorgang nicht erklären, meint Schauspieler Uwe Kockisch, der im Film die Hauptrolle spielte. Ehemalige Widerstandskämpfer hätten moniert, dass ihr Kampf falsch dargestellt sei. Kokisch interpretierte dies als Streit von Generationen um Geschichtsbilder. Der Film wurde zum Auftakt einer Konferenz im Berliner Haus der Demokratie gezeigt, die sich mit Perspektiven einer Erinnerungskultur des Arbeiterwiderstands befasste. Hans Coppi von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) stellte die Frage, ob und wie sich diese wandle, wenn kaum noch Zeitzeugen leben. Zum Guten oder Schlechten?

Sabine Kritter von der Gedenkstätte Sachsenhausen registrierte bereits in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel in der Gedenkstättenpädagogik. In Abgrenzung zur Geschichtspolitik der DDR werde der Fokus nun auf bisher marginalisierte Opfergruppen gelegt. Dazu gehören Menschen, die als sogenannte »Asoziale« oder wegen sexueller Andersartigkeit verfolgt worden sind. Der aktivistische Widerstand hingegen sei in den Hintergrund getreten. Kritter gab zudem zu bedenken, dass im Alltag vieler Jugendlicher der Arbeiterwiderstand nicht mehr präsent sei. Auch der Geschichtsdidaktiker Martin Lücke bezweifelte, dass jener noch eine besondere Rolle in der Wissensvermittlung über Opposition und Widerstand gegen die NS-Diktatur einnehme. Ihm widersprach der an der FU Berlin lehrende Politikwissenschaftler Stefan Heinz. Er verwies auf jüngste Forschungen , durch die deutlich geworden sei, dass der Widerstand gegen das NS-Regime in Gewerkschaftskreisen größer als bisher angenommen gewesen ist.

Sodann stellten junge Historiker und junge Gewerkschafter Projekte vor, die sich mit dem Arbeiterwiderstand befassen. Dazu gehört die von der Berliner VVN-BdA initiierte, ehrenamtlich wirkende Arbeitsgruppe »Fragt uns, wir sind die letzten«; fünf Broschüren mit Interviews sind von ihr bisher erschienen. Der Bezirksjugendsekretär der IG Metall-Jugend Berlin-Brandenburg-Sachsen Christian Schletze-Wischmann informierte über eine biografische Videoreihe junger Gewerkschaftsmitglieder. Die Historikerin Bärbel Schindler-Saefkow wiederum berichtete über den langen Weg bis zur Errichtung eines Denkmals für den Arbeiterwiderstand in den Askania-Werken in Berlin Marienfelde. Dabei betonte sie die positiven Erfahrungen mit Jugendlichen einer nahe gelegenen Schule. Praktische Beispiele also, die demonstrieren, dass sich die heutige Jugend sehr wohl interessiert.

Peter Nowak

Middelhoff-Urteil: Sieg des Populismus

Kein Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige von Hartz IV-Empfängern

Die EU-Mauer fiel nicht

Verschwundene Gedenkkreuze für Mauertote lösen heftige Debatte in der Berliner Lokalpolitik aus

Die Künstler des »Zentrums für politische Schönheit« wollten die EU-Außengrenze einreißen. Symbolisch. Doch nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen sie.

Während in Deutschland am vergangenen Wochenende alle Medien vor allem über die Öffnung der Berliner Mauer vor 25 Jahren redeten, machten sich etwa 100 Menschen zur EU-Außengrenze auf. Sie starteten am Freitag vom Berliner Gorkitheater mit zwei Bussen zum »Ersten Europäischen Mauerfall« nach Bulgarien: Ihr Ziel waren die Grenzanlagen zwischen Bulgarien in der Türkei.

Kurz vor dem Start klang Philipp Ruch von dem Künstlerkollektiv »Zentrum für politische Schönheit«, das die Aktion vorbereitete, kämpferisch. Mit Blick auf die Ereignisse zum Berliner Mauerjubiläum sagte er: »Gedenken wir nicht der Vergangenheit, gedenken wir der Gegenwart – und reißen die EU-Außenmauern ein. Nicht mit warmen Worten, sondern mit Bolzenschneidern!« Davon fühlten sich nicht nur Künstler, sondern auch antirassistische Aktivisten angesprochen, die an der durch Spenden finanzierten Bustour teilnahmen.

Manche der Teilnehmer waren am Ende jedoch enttäuscht. Denn die Gruppe kam nur in Sichtweite der Grenze. Der Zugang war von einem großen Polizeiaufgebot versperrt. »Mir war klar, dass eine vorher öffentlich angekündigte Demontage des Grenzzauns nicht gelingen kann«, monierte ein Teilnehmer aus dem antirassistischen Spektrum im Radio. Doch habe er gehofft, dass die Organisatoren noch eine Überraschung vorbereitet gehabt hätten. So wie er waren auch andere Fahrgäste nach der langen Anfahrt darüber enttäuscht, dass sofort die Rückreise angetreten wurde.

Der Initiator Ruch wollte jedoch keineswegs von einer Niederlage sprechen, auch wenn die europäische Mauer nicht angetastet wurde. Schließlich sei durch die Aktion nicht nur in Deutschland sondern auch in den Ländern, die der Bus durchquerte, die Tatsache diskutiert worden, dass Flüchtlinge gewaltsam an der Einreise nach Europa gehindert werden. Besonders in Bulgarien war die Aktion ein zentrales Thema in den Medien. Der erst vor Kurzem in sein Amt gewählte bulgarische Innenminister hatte im Fernsehen sein Verbleiben im Amt daran geknüpft, dass die Grenze zur Türkei unangetastet bleiben werde.

Die Teilnehmer der Aktion bekamen auch die grenzüberschreitende Polizeiarbeit zu spüren. Bereits bei der Abfahrt in Berlin war das Gepäck aller Fahrgäste kontrolliert worden. Bei mehreren Grenzübertritten wiederholte sich das Prozedere. Und mittlerweile ermittelt der Staatsschutz gegen die Künstler, weil sie im Vorfeld der Aktion auch Weiße Kreuze entwendet hatten, die an die Mauertoten in Berlin erinnern. Das »Zentrum für politische Schönheit« erklärte, man habe die Kreuze vorübergehend zu den Geflüchteten gebracht, die heute die EU-Grenzen überwinden wollen.

Die Kreuze wurden nach Angaben der Polizei am Sonntagabend zwar wieder zurückgebracht. Doch löste ihr zeitweiliges Verschwinden eine heftige Diskussion in der Berliner Lokalpolitik aus. So griff Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) das Maxim-Gorki-Theater wegen einer angeblichen Mittäterschaft an. In einem Gastbeitrag im »Tagespiegel« schrieb Henkel am Wochenende, diese »verabscheuungswürdige« Tat erhielte eine neue Dimension, da das Theater zugebe, »die Aktion unterstützt zu haben, auch wenn das Ausmaß noch nicht ganz klar ist.« Besonders bitter sei, dass diese Komplizenschaft offenbar mit Steuergeldern gefördert worden sei, so Henkel. »Die Rolle des Maxim-Gorki-Theaters muss dringend aufgeklärt werden.«

Gegenwind für seine Kommentare erhielt Henkel von den Berliner Grünen. Diese betonten am Montag im Innenausschuss, der Senator habe keinerlei Anhaltspunkte für seine Anschuldigungen vorgelegt. Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagte, stattdessen drohe Henkel der Intendantin Shermin Langhoff, »einer Migrantin wohlgemerkt«. Dabei müsse der Senat für die Freiheit der Kunst eintreten.

Das öffentlich finanzierte Gorki-Theater hatte lediglich zugegeben, Duplikate der Kreuze für die Aktion der Protestierer gebaut zu haben. Intendantin Langhoff bestätigte das der »Berliner Morgenpost«. Langhoff hatte auch gesprochen, als die Protestierer Richtung Südosteuropa abgefahren waren. Laut »Morgenpost« erhielt die Protestgruppe 10 000 Euro aus dem Kulturetat Berlins.

Die Grünen fragten mehrfach, ob es Ermittlungen auch gegen das Theater gebe. Staatssekretär Bernd Krömer (CDU), der Henkel im Ausschuss vertrat, sprach trotz Nachfragen nur von Ermittlungen in alle Richtungen und »Gesprächen mit einem Rechtsanwalt« ohne das näher zu erläutern. Probleme mit dem Gesetz bekommen jetzt zumindest die drei Männer und eine Frau, die die Gedenkkreuze zurückbrachten. Gegen sie ermittle nun der Staatsschutz, teilte die Polizei am Montag mit. Mit Agenturen

Peter Nowak

Mehr als Symbolik

»Genug geschwiegen« steht auf dem Transparent an der Spitze der Demonstration. Dahinter gehen zehn Personen in weißen T-Shirts, auf denen die Gesichter der zehn Todesopfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« zu sehen sind. Drei Jahre sind seit dessen Selbstenttarnung vergangen. In Berlin wurde das zum Anlass genommen, um mit einer Demonstration zu erinnern, dass jenseits offizieller Sonntagsreden keine ernsthaften Konsequenzen gezogen wurden. In den Redebeiträgen, die am Samstag auf der Route durch den Wedding gehalten werden, wird betont, dass Rassismus in großen Teilen der Bevölkerung wie auch in den Staatsapparaten fest verankert sei. Knapp 1 500 Menschen beteiligen sich an der Demonstration, bei der es nur einen ernsthaften Zwischenfall gibt. Aus einem Haus wird ein schweres Gefäß auf die Demonstranten geschleudert, zum Glück trifft es niemanden. Auf der Abschlusskundgebung betonen mehrere Redner, dass der Kampf um das Gedenken an die NSU-Opfer weitergeht. In vielen Städten wollen Angehörige die Straßen, in denen ihre Verwandten ermordet wurden, nach den Opfern benennen. Überall wurde dieses Ansinnen abgewiesen oder verzögert. In einigen Fällen sammelten Anwohner sogar Unterschriften gegen eine Umbenennung. Mit symbolischen Straßenumbenennungen haben Angehörige und antirassistische Gruppen in Hamburg und Berlin deutlich gemacht, dass sie es nicht akzeptieren, dass den Angehörigen selbst diese Geste der Anerkennung verweigert wird. Von der Politik können sie keine Unterstützung erwarten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte am 31. Oktober das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und lobte dessen Beitrag für die Sicherheit Deutschlands. Die ungeklärten Fragen über die Rolle dieses Dienstes beim Umgang mit dem NSU reduzierte Merkel auf »ein paar Dinge aus der Vergangenheit«. Es ist zu befürchten, dass sie damit großen Teilen der deutschen Bevölkerung nach dem Munde redet.

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50871.html

Peter Nowak